Die Rache der Liebenden
Die Rache der Liebenden vonWolfgang Schmidbauer
LESEPROBE
MORDSLIEBE. ZUR RETTUNG DESSEXUELLEN SELBSTGEFÜHLS DURCH GEWALT
... da fand er seine Gemahlin auf dem Lager ruhend, wiesie
einen hergelaufenen schwarzen Sklaven umschlungen hielt.
Als er das sah, da ward ihm die Welt schwarz vor Augen,
und er sprach bei sich: <Wenn dies geschehen ist,
während ich die Stadt noch nicht verlassen habe,
wie wird diese Verruchte es erst treiben,
wenn ich lange bei meinem Bruder in der Ferne weile?)
Darauf zog er sein Schwert und schlug
die beiden auf dem Lager tot.1001 NachtInsel-Ausgabe, S. 20
Zum Wesender erotischen Interaktion scheint es zu gehören, dass Gewalt überall dortausgeübt und/oder erlebt wird, wo es den Partnern nicht möglich ist, sich zuverständigen und zu einigen. Ich verwende diese komplizierte Ausdrucksweise, weiles zur fehlenden Einigung gehört, dass auch nicht geklärt werden kann, oberlebte Gewalt auch beabsichtigte Gewalt ist. Ist die Drohung der Geliebten desDämons, das Ungeheuer zu wecken und die Besucher seinem Zorn preiszugeben, Gewaltanwendung?Bereits darüber können sich Täterin und Opfer womöglich nicht einigen. EinPatient sprach von der «Gewalttätigkeit» seiner Geliebten, wenn sie sich ihmsexuell verweigerte. Er hing sehr an ihr und hat sie nie geschlagen; aber erschrie sie an, bis er heiser war; die Gewalt in seiner Kränkung war spürbar.
DieDurchmischung von Sexualität und Gewalt ist so bedrückend, dass Gegenillusionenaufgebaut werden. Sie besagen, dass Gewalt und Sexualität nichts miteinander zutun haben und alle Missverständnisse vermieden werden können, wenn politischkorrekt vor jeder körperlichen Annäherung das verbale Einverständnis desPartners eingeholt wird. Aber viele Paare wollen gerade auf die emotionalenQualitäten von sprachloser Geste und leidenschaftlicher Überwältigung nichtverzichten. So bleibt die Grenze zwischen ersehnter und unerwünschterÜberwältigung schwer auffindbar. Nicht selten gerät ein Sexualpartner in einenBann und kann sich nicht wehren. Er/sie stimmt zu, ohne es zu wollen. Ichspreche von den Fällen des sexuellen Missbrauchs von Kindern und Schutzbefohlenen(wie den Patienten von Ärzten oder Psychotherapeuten), in denen es neben denFällen von eindeutiger Brutalität Beispiele dafür gibt, dass auch scheinbarbegeisterte Zustimmung dem Akt nichts von seiner traumatisierenden Qualität nimmt.
Personen,die nicht durch das verinnerlichte «gute Paar» geschützt sind, werden durch denAuftritt der Sexualität auf der seelischen Bühne immer bedroht und womöglichverletzt. Wenn sie sich weigern, fühlen sie sich schuldig; wenn sie nachgeben,ausgebeutet oder gequält. Beinahe-Opfer wie Beate, deren Traum von Schehrezadeuns beschäftigt, ringen noch Jahrzehnte später mit der Frage, ob sie durch ihreHingabe den traumatischen Verfall ihrer Elternbilder hätten aufhalten könnenund sich durch ihre Verweigerung schuldig gemacht haben.
Nicht dieLust (oder der Verzicht auf sie) inszeniert die Gewalt in der Erotik, sonderndie Kränkung. Gekränkter Stolz lässt König Schahzaman von Samarkand die Frauenthaupten, die er doch liebt; gekränkter Stolz treibt König Schehrijar und ihnauf ihre Pilgerschaft. Sobald Schehrijar erkennt, dass sein verletztesIch-Ideal sich im Schatten eines noch größeren und noch stärker verletztenIdeals erholen darf, kann er sich zwar wieder in sein Reich begeben, aber erist an ein grausames Ritual gefesselt, das seinen Schmerz jedes Mal neu belebt,indem es verspricht, ihn nicht zu wiederholen.
Was mitSchahzaman geschah, wissen wir nicht. Wenn wir uns nicht damit bescheiden, dasser nur um der dramatischen Steigerung willen in die Geschichte aufgenommenwurde, können wir doch festhalten, dass seine Heilung besser gelang als dieseines älteren Bruders. Denn während dieser sich nur an dem übermächtigen undübermächtig betrogenen Dämon trösten konnte, weist uns das Märchen darauf hin,dass Schahzaman stärker entlastet ist, da es doch seinem eigenen, in geheimerRivalität verehrten großen Bruder schlimmer ergeht als ihm selbst.
Kränkbarkeitin der Erotik, traumatische Belastung, wenn Liebe zurückgestoßen und entwertetwird, das sind Teile des «allgemeinen Leids», mit dem sich beide Geschlechterauseinander setzen müssen. Ein von dieser Kränkbarkeit freier Geist ist dasZiel spiritueller Bewegungen. Die großen monotheistischen Religionen hingegenschufen Machtapparate. Hier wird die Kränkung nicht transzendiert, sondernfunktionalisiert; neben dem Paradies der Liebe gibt es, narzisstisch höchst bedeutungsvoll,meist auch ein Paradies der Rache: die Hölle.
© 2005 byRowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg
Interview mit Wolfgang Schmidbauer
Sie beschäftigen sich in Ihrem Buch mitBeziehungsschwierigkeiten, die oftmals auf frühe, im Familienzusammenhangerfolgte Traumatisierungen zurückgehen. Wie entstand die Idee zu diesem Buch?
Die Idee entstand aus der Frage, warum manche Menschen fastnicht über Liebesenttäuschungen hinwegkommen, während andere sich ohne Problemean dem italienischen Schlager orientieren: Quant è bello il primo amor, ilsecondo più bello ancor!" Das heißt: Die erste Liebe ist schön, die zweiteaber noch schöner." In Beratung und Therapie finden wir sehr oft Menschen, dieentweder nach dem Scheitern einer Beziehung völlig mutlos geworden sind undkeine neue beginnen, oder andere, die dann zwar noch Liebesbeziehungen anfangenoder in diesen bleiben, aber das Gefühl nicht loswerden, dass es nicht mehr soschön ist wie früher. Um dauerhaft an der Sexualität Freude zu haben, sie nichtals etwas zu erleben, das sich in der Nähe rasch verschleißt und erschöpft,müssen Männer und Frauen fähig sein, Kränkungen zu verarbeiten. Meine zentraleThese ist nun, dass das nur dann möglich ist, wenn ein Paar kommuniziert unddiese Aufgabe zu einem gemeinsamen Thema macht. Einzelmenschen sind damitüberfordert.
Anlass, das Buch so zu schreiben, war der Traum einerPatientin, die nach einer gescheiterten Ehe allen intimen Beziehungen aus demWeg ging, jedoch von sich als Schehrezade träumte. Ich begann, mich mit demMärchen zu beschäftigen und daran das Scheitern von Kränkungsverarbeitung zuuntersuchen.
Als zentralen Punkt der Probleme in Zweierbeziehungenbeschreiben Sie das Fehlen eines durch das Elternvorbild verinnerlichten"guten Paares". Können Sie uns kurz etwas darüber erzählen, was solchein "gutes Paar" ausmacht? Führt das Fehlen eines solchen Vorbildesimmer zu Traumatisierungen?
Ein solches gutes Paar sind Eltern, die sich trotzgelegentlicher Konflikte gegenseitig wertschätzen und so dem Kind vermitteln,dass es aus einer guten Beziehung kommt. Damit gewinnt das Kind die Sicherheit,dass seine Gefühle in Ordnung sind, sozusagen gut genug, um später selbstLiebesbeziehungen zu gestalten. Wenn sich die Eltern hingegen gegenseitigentwerten und schlecht machen, hat das Kind den Eindruck, dass es selbstschlecht ist und möglicherweise auch schuld daran, dass es den Eltern schlechtgeht. Es wird daher, wenn es später Liebesbeziehungen gestaltet, allesbesonders gut machen wollen, ein hohes, perfektionistisches Ideal haben und damitauch Gefahr laufen, potenzielle Partner oder Partnerinnen gnadenlos zu bewertenund zu kontrollieren. Damit sind die Aussichten auf befriedigende,entwicklungsfähige, zur Kränkungsverarbeitung fähige Liebesbeziehungenerheblich gemindert.
In diesem Zusammenhang erwähnen Sie auch den"kannibalischen Narzissmus". Wie lässt sich dieser erkennen?
Wer sich in einer Liebesbeziehung verunsichert fühlt und anseinem Wert, seiner Attraktivität als Mann bzw. Frau zweifelt, kann solcheSchwächen eingestehen und dadurch Zuwendung vom Partner holen. Wenn er oder siejedoch zu unsicher werden, wenn der Selbstwert schlecht, das Selbstgefühl (derNarzissmus) beschädigt sind, kann es zu einem kannibalischen Mechanismuskommen, kannibalisch deshalb, weil diese Lösung das aufzehrt, was sie sichwünscht. Die Betroffenen beginnen, ihre Partner zu entwerten, sie schlecht zumachen, weil sie selbst dann für kurze Zeit den Eindruck aufbauen können,selbst doch besser zu sein als dieses miese Gegenüber. Das Problem liegt darin,dass ein so behandeltes Gegenüber immer weniger Bestätigung liefert, so dass diekannibalische Wut sich durch ihre Folgen steigert, während anderseits dasSelbstgefühl so geschädigt wird, dass sich die Betroffenen keine neue Beziehungmehr zutrauen, sondern sich in der gegenseitigen Entwertung festbeißen.
Haben Sie in Ihrer analytischen Praxisdie Erfahrung gemacht, dass solche Traumata überwunden werden können? Wiegelingt das?
Im Therapeuten finden die Betroffenen einenGesprächspartner, der auf Kränkungen und Entwertungen nicht mit Gegenkränkungenreagiert, sondern den Mechanismus durchschaubar macht und daher auch helfenkann, neue Strategien zu entwickeln, wie die Kränkungsverarbeitung in einerBeziehung aufgebaut werden kann. Wer in seinem sexuellen Selbstgefühl verletztwurde, neigt dazu, sich zu isolieren und danach zu streben, als Liebhaber bzw.Liebhaberin unantastbar und perfekt zu sein - oder alles sein zu lassen, sichsofort zu trennen. Diese Perfektionsideale werden in technischen Anleitungenfür guten Sex" auch in den Medien stimuliert. Eine stabile erotische Beziehungentsteht aber nur, wenn zwei miteinander auch schwach sein können, wenn sie indie Lage kommen, sich ihre Unsicherheit und Bedürftigkeit zu gestehen und dieProbleme, die jeder durch die Nähe entwickelt, gemeinsam zu verarbeiten. DieTherapie kann die lebendige erotische Auseinandersetzung nicht ersetzen, abersie kann Patientinnen und Patienten ermutigen, sie zu suchen und akzeptierendmit eigenen Schwächen umzugehen. Den Rest erledigt dann, wenn alles gut geht,das Leben.
Ihr Buch wendet sich an den interessiertenLaien. Können Sie Lesern, die selber unter Beziehungsproblemen leiden, etwasraten? Ist es möglich, solche Probleme anhand von Büchern zu lösen und sichvielleicht sogar selbst zu heilen?
In abgemilderter und unspezifischer Form hoffe ich, dass einBuch wie Die Rache der Liebenden" den Leserinnen und Lesern hilft, eigeneSchwächen eher anzunehmen und zu kommunizieren, statt - wie das oft technischeLiebesratgeber nahe legen - in einsamer Übung sich selbst soweit zuperfektionieren, dass Beziehungsprobleme gleich gar nicht auftreten. Daher auchmeine Liebe zum Geschichtenerzählen. Geschichten sind keine Rezepte, sie sindnicht so aufdringlich und überlassen es dem Leser, seine eigenen Schlüsse zuziehen. Das erscheint mir heilsamer als technische Anweisungen. Ich möchte,dass Leser sich selbst besser verstehen und sich in ihrem persönlichen Leidannehmen, wenn sie verstehen, wie viele Möglichkeiten es in Liebesbeziehungengibt, sich glücklich oder auch unglücklich zu machen.
Die Fragen stellte Ulrike Künnecke,Literaturtest.
- Autor: Wolfgang Schmidbauer
- 2005, 224 Seiten, Maße: 13 x 20,5 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Rowohlt, Reinbek
- ISBN-10: 3498063561
- ISBN-13: 9783498063566
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