Die Rückkehr des Bösen / Schule der Magier Bd.3
Die Welt in den Fängen der Finsternis: düster, magisch, faszinierend
Astaroth hat die Weltherrschaft an sich gerissen! Jetzt muss sich die gesamte Menschheit seinem dämonischen Willen unterordnen und in einem Albtraum leben: Die Menschen...
Astaroth hat die Weltherrschaft an sich gerissen! Jetzt muss sich die gesamte Menschheit seinem dämonischen Willen unterordnen und in einem Albtraum leben: Die Menschen...
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Produktinformationen zu „Die Rückkehr des Bösen / Schule der Magier Bd.3 “
Die Welt in den Fängen der Finsternis: düster, magisch, faszinierend
Astaroth hat die Weltherrschaft an sich gerissen! Jetzt muss sich die gesamte Menschheit seinem dämonischen Willen unterordnen und in einem Albtraum leben: Die Menschen werden versklavt und müssen unter brutalem Zwang wie in grauer Vorzeit schuften. Nur für die Rowan-Akademie gilt eine teuflische Ausnahme: In der Schule der Magier kann ein friedliches, ungestörtes Leben stattfinden - solange sich dort niemend Astaroths Befehlen widersetzt. Doch dieser Preis ist für Max, den unerschrockenen Zauberschüler, zu hoch. Für ihn gibt es nur eine Lösung: Er muss die Rowan-Akademie verlassen, um den Anführer der dunklen Mächte endgültig zu besiegen. Damit beginnt eine weitere lebensgefährliche Mission ...
Astaroth hat die Weltherrschaft an sich gerissen! Jetzt muss sich die gesamte Menschheit seinem dämonischen Willen unterordnen und in einem Albtraum leben: Die Menschen werden versklavt und müssen unter brutalem Zwang wie in grauer Vorzeit schuften. Nur für die Rowan-Akademie gilt eine teuflische Ausnahme: In der Schule der Magier kann ein friedliches, ungestörtes Leben stattfinden - solange sich dort niemend Astaroths Befehlen widersetzt. Doch dieser Preis ist für Max, den unerschrockenen Zauberschüler, zu hoch. Für ihn gibt es nur eine Lösung: Er muss die Rowan-Akademie verlassen, um den Anführer der dunklen Mächte endgültig zu besiegen. Damit beginnt eine weitere lebensgefährliche Mission ...
"Henry Neff nimmt sein junges Publikum (...) mit auf ein atemberaubendes Abenteuer voller Magie und Action, voller Fabelwesen und Mythen längst vergangener Welten." -- Fränkische Nachrichten
"Originell und witzig, ist der Roman eine fesselnde Lektüre bis zum Schluss, die schon nach wenigen Seiten die Leser in ihren zauberhaften Bann ziehen wird und mitfiebern lässt." -- Fränkische Nachrichten
"Auch der dritte Streich aus der Schule der Magier überzeugt! Henry H. Neff bietet dem Leser wieder viel Ungeheuerliches, das so ungeheuer viel Spaß macht zu lesen. Magische Spannung vom ersten Zauber bis zum letzten." -- Alex Dengler, denglers-buchkritik.de
"Originell und witzig, ist der Roman eine fesselnde Lektüre bis zum Schluss, die schon nach wenigen Seiten die Leser in ihren zauberhaften Bann ziehen wird und mitfiebern lässt." -- Fränkische Nachrichten
"Auch der dritte Streich aus der Schule der Magier überzeugt! Henry H. Neff bietet dem Leser wieder viel Ungeheuerliches, das so ungeheuer viel Spaß macht zu lesen. Magische Spannung vom ersten Zauber bis zum letzten." -- Alex Dengler, denglers-buchkritik.de
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Die Rückkehr des Bösen von Henry H. NeffKAPITEL 1
Der Mond hat ein Gesicht
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Es war nicht der warme Sonnenschein, der Max McDaniels aufweckte, und auch nicht das Blöken der
Lämmer. Es war vielmehr das Patschen kleiner Füßchen - leiser, schrecklich eiliger kleiner Füßchen -, die durch das langsam reif werdende Kornfeld auf ihn zukamen. Als sein erster Besucher ihm auf die Brust hüpfte, rührte er sich nicht. Auch beim zweiten und dritten hielt er ganz still. Doch als der zwölfte mit einem aufgeregten »Piep!« auf ihn geklettert war, riskierte er einen Blick und lächelte.
Auf ihm saßen zwölf kleine Gänschen. Ihre schneeweißen Köpfchen nickten auf und ab und die unergründlichen Augen glitzerten wie nasse Kiesel. Mit einem plötzlichen triumphierenden »Ong!« trat das größte vor und tippte Max mit seinem harten kleinen Schnabel auf die Brust. Die anderen folgten seinem Beispiel und bald wand sich Max kichernd unter dem Angriff der Winzlinge.
»Autsch!«, rief er und scheuchte sie vorsichtig weg. »Ich bin ja schon wach!«
Doch das Picken ging weiter.
»Max!«, rief eine schrille Frauenstimme.
Mehrere Krähen ergriffen die Flucht, als eine rundliche weiße Gans sich auf ihrer Suche durch das Getreide in Max' Saatreihe durchkämpfte.
»Da bist du!«, rief sie. »Liegst da rum auf deinem faulen Hintern!«
»Ein Hintern kann nicht faul sein, Hannah«, entgegnete Max. Er nahm das letzte Gänschen von seinem Bauch und setzte es vorsichtig auf die Erde, wo es prompt weiter-pickte.
»Auf deinem faulen Hüüintern!«, sang die Gans mit einem opernhaften Tremolo.
»Bravo«, sagte Max und erhob sich.
»Vielen Dank«, erwiderte Hannah mit einer Verbeugung. Sie tapste zu ihm und gab ihm einen mütterlichen Klaps. »Max, es gibt hundert Millionen Dinge zu tun, und du solltest lieber helfen, anstatt dich davonzuschleichen und auf die faule Haut zu legen.«
»Ich habe schon einen ganzen Monat lang Überstunden gemacht«, protestierte Max und unterstrich seine Aussage mit einem demonstrativen Gähnen.
»Ausreden, nichts als Ausreden«, wischte Hannah seinen Einwand fort. »Bück dich mal, mein Lieber.«
Resignierend schwieg Max und bückte sich, während die Gans ihm Erdkrumen und Strohhalme vom Hemd bürstete und sein dunkles Haar in Ordnung brachte.
»Gerade du solltest wissen, was für ein wichtiger Tag morgen ist«, seufzte sie.
»Weiß ich ja«, antwortete Max. »Und ich werde meinen Teil schon erfüllen.«
»Genau, und zwar jetzt gleich«, erwiderte sie spitz. »Auf der Stelle!«
Die Gänsemutter schubste Max mit ihrem kräftigen Flügel und pfiff nach ihren Jungen, damit sie sich aufstellten. In einer ordentlichen Reihe marschierten sie dann durch das Kornfeld. Auf der großen Lichtung des Sanktuariums schlug Hannah aufgeregt mit den Flügeln.
»Fast alles wieder normal und wunderhübsch«, freute sie sich und wies zu der wiederaufgebauten Aufzuchtstation.
Das lange, niedrige Gebäude schien sich an die kleine Lagune zu schmiegen. Die Holzwände erhoben sich glatt und sauber. Keine Spur von gesplittertem Holz oder geschwärztem Stein zeigte mehr an, dass genau dieses Gebäude vor Kurzem in Schutt und Asche gelegen hatte.
»Hmm«, machte Max und dachte bei sich, dass die Rowan-Akademie, obwohl zum größten Teil wiederaufgebaut, nie wieder ganz normal sein würde. Erst vor sechs Monaten waren Astaroths Armeen über das weitläufige Schulgelände gezogen und hatten auf dem Weg zu den Klippen, zum letzten Zufluchtsort von Rowan, die Wälder niedergebrannt, die Gebäude zerstört und das Vieh abgeschlachtet. Viele waren damals gestorben. Es war Max gewesen, der sie letztendlich aufgehalten und ganz allein gekämpft hatte, bis die einzige vernünftige Möglichkeit die gewesen war, dem Dämon das Buch Thoth auszuliefern. Es war eine schwere Entscheidung gewesen, aber bislang hatte Astaroth offensichtlich sein Wort gehalten und sich an ihr Abkommen gehalten. Die grässlichen Armeen waren wie von Geisterhand verschwunden und sie hatten Rowan in Ruhe gelassen, zwar völlig zerschlagen, aber immerhin in der Lage, es in seinem eigenen Tempo wieder aufzubauen.
Nach üblichen Maßstäben war dieses Tempo enorm gewesen. Mit Magie und Muskelkraft wurden Feldfrüchte angebaut, Steine gehauen, Wälder hochgezogen und die Herden wieder aufgestockt. Auf der weiten Ebene des Sanktuariums wogten jetzt neuerlich reiche Kornfelder, blühten und gediehen Gärten und grasten Viehherden bis an den Rand des breiten Waldes, der sich bis in die Berge hinaufzog. Max sog die Septemberluft ein und sah eine Familie schimmernder Elfen auf eine Eiche zuschweben, deren Blätter langsam gelb wurden.
Doch nicht der friedliche Rückzug des Dämons oder dass er seit Kurzem immer wieder die schrecklich scheuen Elfen zu sehen bekam, machte Max neugierig. Es gab noch andere Veränderungen. Seit Astaroth das Buch verlangt hatte, hatte Max das Gefühl, als ob es in der Welt taue - als ob die Erde aus der Kälte hereingekommen, sich den Schnee von den Stiefeln geklopft und an einem gemütlichen Feuer niedergelassen hätte.
»Es beginnt ein neues Zeitalter«, murmelte er.
»Ganz bestimmt, mein Lieber«, stimmte ihm Hannah fröhlich zu und scheuchte ihre Gänschen zu den Toren des Sanktuariums. »Und wie ich vorhergesagt habe, ist Mutter Natur bereit dafür.«
»Du spürst es auch, nicht wahr?« Gelegentlich fragte er sich, ob er ein besonderes Gespür für solche Dinge hatte. Max McDaniels war ein Sohn der Sidh, einem Land, in dem Götter und Dämonen in den Hügeln schlummerten. Als Kind einer irdischen Mutter und einer irischen Gottheit bewegte er sich auf einem schmalen Grat zwischen Sterblichkeit und Unsterblichkeit. In seinem Blut glomm der seltene Funke von Alter Magie, einer Urkraft, die Max so wild und kraftvoll wie einen Sturm werden lassen konnte. Während der Belagerung von Rowan waren Hunderte von Feinden vor ihm geflohen.
»Natürlich spüre ich es«, erwiderte Hannah, deren Kopf mit jedem Schritt auf und ab wippte. »Alles wächst und die Luft ist zum Bersten voller Magie. Es ist wie ein Sonnenstrahl auf meinem Schnabel. Man muss schon sehr dumm sein, um es nicht zu spüren.«
»Glaubst du, dass Astaroth hinter all dem steckt?«, fragte Max sie.
»Wer weiß?« Die Gans hob unschlüssig die Flügel an. »Aber ich würde wetten, dass er das eine oder andere geändert hat, seit er das Buch in die Finger bekommen hat. A llerdings muss ich auch sagen, dass mir das keineswegs die Federn sträubt.«
»Du glaubst also, dass es jetzt besser ist?«, fragte Max ein wenig enttäuscht. Er hatte erwartet, dass Astaroths Sieg Feuer und Asche folgen würden, kein friedlicher, saftiger Sommer. Die Stille war irgendwie beunruhigend.
»Hier auf jeden Fall«, schloss Hannah. Sie breitete die Flügel aus und blies die Brust auf, um so viel von der Herbstsonne aufzunehmen wie möglich. Die Gänschen taten es ihrer Mutter nach. »Auf jeden Fall habe ich getan, was mir aufgetragen war: Ich habe dich gefunden und deinen faulen Hintern zurück zum Herrenhaus gebracht. Also los, geh Rasen mähen oder Unkraut jäten, während ich mir die Federn striegeln lasse.«
»Wie bitte?«, fragte Max.
»Deluxe Feder-Behandlung, schwedische Schnabelmassage und Pediküre«, erklärte Hannah. »Die Dryaden sind mir etwas schuldig. Eine ganze Menge sogar. Also sei so nett und pass bei der Arbeit ein bisschen auf die Gänschen auf. Du weißt, dass sie dich als Babysitter vergöttern. Und denk daran: Die kleine Baby Ray hustet in letzter Zeit, Honk soll nicht so grob zu ihr sein. Und Millie darf keine Süßigkeiten bekommen, weil sie ein ganz schlimmes kleines Gänschen gewesen ist und ...«
Max schaltete ab, als Hannah eine lange Litanei von Instruktionen für jedes einzelne ihrer zappeligen, völlig identischen Kinder herunterbetete. Nachdem sie sich um Millies lästige Hautreizung gekümmert hatte, watschelte Hannah davon und begrüßte eine Arbeitsmannschaft im Vorbeigehen mit der Nonchalance eines Großstadt-Bürgermeisters. Sobald sie fort war, spürte Max ein scharfes Picken an seinem Schienbein. Die Gänschen scharten sich um seine Füße und unerbittliche Augen sahen zu ihm auf.
»Passt bloß auf eure Schnäbel auf«, warnte er und führte sie zu einer moosbewachsenen Mauer und dem Tor, das das Sanktuarium vom Rest der Rowan-Akademie trennte.
Als sie durch den tunnelartigen Laubengang aus ineinander verwobenen Bäumen gingen, schlug ihnen eine Symphonie von Geräuschen entgegen. Hämmern, Sägen, Rufe, Lachen und unzählige andere Geräusche bildeten eine Hintergrundkulisse für die fröhlichen Arbeiten. Sobald sie wieder das Tageslicht erreicht hatten, sah Max Hunderte von plaudernden Schülern und Erwachsenen, die die Ställe ausbesserten und die letzten Planken in den Zaun um das Reitgelände legten, wo die Palomino-Ponys sich aufbäumten und wieherten. Die frische Luft roch nach Farbe, Herbstlaub und dem Meer. Max spürte, wie es in seinem Magen rumorte, und spielte kurz mit dem Gedanken, sich in die Küche zu schleichen und sich einen Happen zu essen zu holen ...
Aber die Pflicht rief. Er führte die Gänschen über einen Pfad an den Ställen und am Garten vorbei, bis sie am Herrenhaus, dem zentralen Gebäude von Rowan und Max' Zuhause, angelangt waren. Als sie durch den Garten liefen, betrachtete Max voller Befriedigung den prunkvollen Eingang. Die verkohlten Steine waren geborgen worden und erstrahlten frisch geputzt in reinstem Grau, die zerschmetterten Fensterscheiben waren ersetzt worden und aus den vielen Schornsteinen auf dem steilen Schieferdach stieg einmal mehr einladender Rauch auf. Doch am schönsten waren die Eschenbäume, die wieder an der Einfahrt wuchsen. Während der Belagerung hatte der Feind sie ausgerissen und in Splitter gehackt. Doch jetzt standen sie wieder da, hoch gewachsen und voller weißer Blüten, als hätte sie nie ein Vye, Kobold oder Oger berührt.
Allerdings berührte sie jetzt eine Hexe. Bellagrog Shrope war ein riesiges Exemplar, etwa zweihundert Pfund Fleisch, gezwängt in ein Kleid, das eindeutig für eine kleinere Person gemacht war. Ihre Haut war grau, das Kleid braun, und die Kombination ließ sie aussehen wie ein riesiges, dunkles Gemüse, das man ausgerissen und dummerweise mit Zähnen versehen hatte. Diese Zähne - glänzend und dreieckig - nagten nachdenklich an ihrer Oberlippe, während sie ein paar Papiere durchsah. Eines der Gänschen stieß ein erschrockenes Piep aus.
Die Hexe hörte mit der Raschelei auf, richtete sich auf und schnüffelte hörbar. Langsam wandte sie den Kopf und musterte die Gänschen mit ihren blutunterlaufenen Krokodilsaugen.
»Hallo, meine Lieblinge«, murmelte sie und bückte sich mit ausgestreckten Armen. »Kommt und gebt der alten Bel einen Kuss!«
Die Gänschen drängten sich dicht aneinander wie eine weiche zitternde Masse. Es nutzte auch nichts, dass die Aufforderung wiederholt wurde.
Schließlich erhob sie sich und kicherte leise. »Wahrscheinlich bin ich nicht so kuschelig wie ihre alte Gänsemama.«
»Sie sind nur ein wenig schüchtern, Bellagrog«, log Max und beglückwünschte die Gänschen insgeheim zu ihrer Klarsicht.
»Ja sicher, sicher doch«, entgegnete Bellagrog und kratzte sich abwesend am Bauch. »Aber gut, auf sie habe ich nicht gewartet, sondern auf dich. Ich muss meinen Zeitplan einhalten, Max, und du bringst alles durcheinander. Das geht so nicht, mein Lieber, ganz und gar nicht ...«
Max wagte sich vor und stellte sich neben die Hexe, um ihr über die Schulter zu sehen, während sie ihre Papiere durchsah und mit dem ernsten Blick eines Buchhalters prüfte.
»Nun, weil ich dich mag, lasse ich dich zwischen ein paar Optionen wählen«, erklärte sie. »Keine sterilen Pflichten für Rowans Helden.« Sie zwinkerte und lachte dann schnaubend. »Sterile Pfliiichten ... das ist gut, Bel! Ganz schön clever! Also, Max, wir brauchen jemanden für das Mauerwerk am Tor, zum Büchereinräumen in den Archiven oder um die Schnecken für das Fest zu ölen. Was möchtest du am liebsten?«
»Was ist mit dem Alten Tom?«, erkundigte sich Max mit einem Blick auf die schier endlose Liste der noch zu erledigenden Aufgaben. »Könnte ich nicht lieber da arbeiten?« Max verband eine besondere Beziehung mit dem Alten Tom und er hatte seine klaren Glockenschläge in den letzten Monaten vermisst. Während der Belagerung war das alte Schulgebäude stark beschädigt worden. Eigentlich war es sogar Max gewesen, der die große, alte Glocke im Uhrenturm kaputt gemacht hatte. Deshalb hatte er Schuldgefühle, und wann immer es möglich war, arbeitete er gerne an dem stattlichen, verwitterten Gebäude.
»Der Zugang zum Alten Tom ist bis zur Eröffnungsfeier beschränkt«, erklärte Bellagrog nüchtern.
Max betrachtete den ein paar hundert Meter entfernt liegenden Bau. Ein hohes, weiß verkleidetes Baugerüst umgab den Turm, sodass er aussah wie ein riesiges Geschenk.
»Was ist denn los?«, wollte Max wissen.
»Die Informationen zum Alten Tom werden nur weitergegeben, wenn es nötig ist«, antwortete die Hexe und betrachtete ihre Klauen. »Du musst nichts wissen, und ich fange gerade an, mein großzügiges Angebot zu bereuen ...« Sie blätterte um und als Überschrift auf der nächsten Seite las Max Abwasser.
»Schnecken«, stieß er hervor. »Ich beschäftige mich mit den Schnecken.«
»Na gut«, stimmte Bellagrog zu und setzte seinen Namen zu ein paar anderen. »Dann mal los. Mach dir etwas Appetit für das Fest morgen. Ich werde das jedenfalls tun ...«
Bellagrog grinste die Gänschen an. Max ignorierte sie und führte seine kleinen Schützlinge auf die weiten Rasen- und Gartenflächen von Rowans Haupthof. Auf einem großen Rasenstück saßen mehrere Kinder, die mit in gelbliches Fett getauchten Lappen riesige Seeschnecken bearbeiteten. Manche davon waren kaum größer als ein Strandball, andere hingegen hatten die Größe eines Lieferwagens. Die gelbliche Flüssigkeit war eine verdickte Art von Phosphoröl, und wenn man die Schnecken mit der wächsernen, beißenden Lösung einrieb, begannen sie, sanft zu leuchten wie riesige Glühwürmchen. Im Tageslicht war es nicht so gut zu erkennen, aber auch so lag ein goldener Schimmer über dem Rasen, als ob darunter das Eldorado verborgen war. Max ging an einer Gruppe kichernder Kinder vorbei und fasste eine imposante Nautilus-Schnecke ins Auge.
Fast zwei Stunden polierte Max an der Schnecke herum. Es war eine monotone, aber befriedigende Arbeit, jeden glatten, gewölbten Teil zu wienern, bis das Öl die Oberfläche durchdrang und ein phosphoreszierendes Leuchten hervorrief. Die Gänschen benahmen sich in der Zwischenzeit relativ gut. Sie schienen sich damit zu amüsieren, ihre geisterhaft verzerrten Spiegelbilder in den Schneckenhäusern zu betrachten, bis es Honk schaffte, in einen Eimer Phosphoröl zu fallen - oder zu springen. Als Max den empörten Vogel säuberte, traf ihn ein Schatten.
»Sieh an, was haben wir denn da?«, erklang eine amüsierte Stimme.
Max drehte sich um und sah Dr. Rasmussen, den ehemaligen Leiter der Frankfurter Werkstatt. Der haarlose, skelettdürre Wissenschaftler grinste Max hinter seiner dünnen Brille hervor an. Ein paar Dutzend Erwachsene begleiteten ihn.
»Meine Damen und Herren, darf ich Ihnen Max McDaniels vorstellen«, erklärte der Ingenieur. »Der junge Mann hat die Werkstatt letztes Jahr besucht, aber unter den damaligen Umständen hatten viele von Ihnen nicht die Gelegenheit, ihn kennenzulernen. Das können wir jetzt nachholen.«
Max nickte den Fremden zu, die ihm vorgestellt wurden. Doch sie erwiderten seinen Gruß nicht, sondern sahen ihn lediglich mit kühler Neugier an. Abgesehen von der Unhöflichkeit erstaunte es Max, Mitglieder der Werkstatt in Rowan zu sehen und vor allem in Gesellschaft von Dr. Rasmussen. Die Werkstatt war eine technisch orientierte Gesellschaft - eine wissenschaftliche Abteilung, die sich vor langer Zeit von Rowan getrennt hatte und nun in einem Netzwerk unabhängiger unterirdischer Städte lebte. Jesper Rasmussen war bis zum vergangenen Jahr der Direktor der Werkstatt gewesen, aber auf Astaroths Befehl hatten ihn seine Kollegen vertrieben.
Danach hatte Rasmussen in Rowan um Asyl gebeten und seine Hilfe in technischen Dingen angeboten. Unglücklicherweise bekam man die nur zusammen mit seiner Arroganz, daher waren die Anfragen zurückgegangen. Jetzt war er der mürrischste Würdenträger von Rowan.
»Wann sind die denn gekommen?«, fragte Max Rasmussen mit einem Blick auf die Besucher.
Übersetzung: Tanja Ohlsen
© 2011 für die deutschsprachige Ausgabe cbj, München
Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten
Es war nicht der warme Sonnenschein, der Max McDaniels aufweckte, und auch nicht das Blöken der
Lämmer. Es war vielmehr das Patschen kleiner Füßchen - leiser, schrecklich eiliger kleiner Füßchen -, die durch das langsam reif werdende Kornfeld auf ihn zukamen. Als sein erster Besucher ihm auf die Brust hüpfte, rührte er sich nicht. Auch beim zweiten und dritten hielt er ganz still. Doch als der zwölfte mit einem aufgeregten »Piep!« auf ihn geklettert war, riskierte er einen Blick und lächelte.
Auf ihm saßen zwölf kleine Gänschen. Ihre schneeweißen Köpfchen nickten auf und ab und die unergründlichen Augen glitzerten wie nasse Kiesel. Mit einem plötzlichen triumphierenden »Ong!« trat das größte vor und tippte Max mit seinem harten kleinen Schnabel auf die Brust. Die anderen folgten seinem Beispiel und bald wand sich Max kichernd unter dem Angriff der Winzlinge.
»Autsch!«, rief er und scheuchte sie vorsichtig weg. »Ich bin ja schon wach!«
Doch das Picken ging weiter.
»Max!«, rief eine schrille Frauenstimme.
Mehrere Krähen ergriffen die Flucht, als eine rundliche weiße Gans sich auf ihrer Suche durch das Getreide in Max' Saatreihe durchkämpfte.
»Da bist du!«, rief sie. »Liegst da rum auf deinem faulen Hintern!«
»Ein Hintern kann nicht faul sein, Hannah«, entgegnete Max. Er nahm das letzte Gänschen von seinem Bauch und setzte es vorsichtig auf die Erde, wo es prompt weiter-pickte.
»Auf deinem faulen Hüüintern!«, sang die Gans mit einem opernhaften Tremolo.
»Bravo«, sagte Max und erhob sich.
»Vielen Dank«, erwiderte Hannah mit einer Verbeugung. Sie tapste zu ihm und gab ihm einen mütterlichen Klaps. »Max, es gibt hundert Millionen Dinge zu tun, und du solltest lieber helfen, anstatt dich davonzuschleichen und auf die faule Haut zu legen.«
»Ich habe schon einen ganzen Monat lang Überstunden gemacht«, protestierte Max und unterstrich seine Aussage mit einem demonstrativen Gähnen.
»Ausreden, nichts als Ausreden«, wischte Hannah seinen Einwand fort. »Bück dich mal, mein Lieber.«
Resignierend schwieg Max und bückte sich, während die Gans ihm Erdkrumen und Strohhalme vom Hemd bürstete und sein dunkles Haar in Ordnung brachte.
»Gerade du solltest wissen, was für ein wichtiger Tag morgen ist«, seufzte sie.
»Weiß ich ja«, antwortete Max. »Und ich werde meinen Teil schon erfüllen.«
»Genau, und zwar jetzt gleich«, erwiderte sie spitz. »Auf der Stelle!«
Die Gänsemutter schubste Max mit ihrem kräftigen Flügel und pfiff nach ihren Jungen, damit sie sich aufstellten. In einer ordentlichen Reihe marschierten sie dann durch das Kornfeld. Auf der großen Lichtung des Sanktuariums schlug Hannah aufgeregt mit den Flügeln.
»Fast alles wieder normal und wunderhübsch«, freute sie sich und wies zu der wiederaufgebauten Aufzuchtstation.
Das lange, niedrige Gebäude schien sich an die kleine Lagune zu schmiegen. Die Holzwände erhoben sich glatt und sauber. Keine Spur von gesplittertem Holz oder geschwärztem Stein zeigte mehr an, dass genau dieses Gebäude vor Kurzem in Schutt und Asche gelegen hatte.
»Hmm«, machte Max und dachte bei sich, dass die Rowan-Akademie, obwohl zum größten Teil wiederaufgebaut, nie wieder ganz normal sein würde. Erst vor sechs Monaten waren Astaroths Armeen über das weitläufige Schulgelände gezogen und hatten auf dem Weg zu den Klippen, zum letzten Zufluchtsort von Rowan, die Wälder niedergebrannt, die Gebäude zerstört und das Vieh abgeschlachtet. Viele waren damals gestorben. Es war Max gewesen, der sie letztendlich aufgehalten und ganz allein gekämpft hatte, bis die einzige vernünftige Möglichkeit die gewesen war, dem Dämon das Buch Thoth auszuliefern. Es war eine schwere Entscheidung gewesen, aber bislang hatte Astaroth offensichtlich sein Wort gehalten und sich an ihr Abkommen gehalten. Die grässlichen Armeen waren wie von Geisterhand verschwunden und sie hatten Rowan in Ruhe gelassen, zwar völlig zerschlagen, aber immerhin in der Lage, es in seinem eigenen Tempo wieder aufzubauen.
Nach üblichen Maßstäben war dieses Tempo enorm gewesen. Mit Magie und Muskelkraft wurden Feldfrüchte angebaut, Steine gehauen, Wälder hochgezogen und die Herden wieder aufgestockt. Auf der weiten Ebene des Sanktuariums wogten jetzt neuerlich reiche Kornfelder, blühten und gediehen Gärten und grasten Viehherden bis an den Rand des breiten Waldes, der sich bis in die Berge hinaufzog. Max sog die Septemberluft ein und sah eine Familie schimmernder Elfen auf eine Eiche zuschweben, deren Blätter langsam gelb wurden.
Doch nicht der friedliche Rückzug des Dämons oder dass er seit Kurzem immer wieder die schrecklich scheuen Elfen zu sehen bekam, machte Max neugierig. Es gab noch andere Veränderungen. Seit Astaroth das Buch verlangt hatte, hatte Max das Gefühl, als ob es in der Welt taue - als ob die Erde aus der Kälte hereingekommen, sich den Schnee von den Stiefeln geklopft und an einem gemütlichen Feuer niedergelassen hätte.
»Es beginnt ein neues Zeitalter«, murmelte er.
»Ganz bestimmt, mein Lieber«, stimmte ihm Hannah fröhlich zu und scheuchte ihre Gänschen zu den Toren des Sanktuariums. »Und wie ich vorhergesagt habe, ist Mutter Natur bereit dafür.«
»Du spürst es auch, nicht wahr?« Gelegentlich fragte er sich, ob er ein besonderes Gespür für solche Dinge hatte. Max McDaniels war ein Sohn der Sidh, einem Land, in dem Götter und Dämonen in den Hügeln schlummerten. Als Kind einer irdischen Mutter und einer irischen Gottheit bewegte er sich auf einem schmalen Grat zwischen Sterblichkeit und Unsterblichkeit. In seinem Blut glomm der seltene Funke von Alter Magie, einer Urkraft, die Max so wild und kraftvoll wie einen Sturm werden lassen konnte. Während der Belagerung von Rowan waren Hunderte von Feinden vor ihm geflohen.
»Natürlich spüre ich es«, erwiderte Hannah, deren Kopf mit jedem Schritt auf und ab wippte. »Alles wächst und die Luft ist zum Bersten voller Magie. Es ist wie ein Sonnenstrahl auf meinem Schnabel. Man muss schon sehr dumm sein, um es nicht zu spüren.«
»Glaubst du, dass Astaroth hinter all dem steckt?«, fragte Max sie.
»Wer weiß?« Die Gans hob unschlüssig die Flügel an. »Aber ich würde wetten, dass er das eine oder andere geändert hat, seit er das Buch in die Finger bekommen hat. A llerdings muss ich auch sagen, dass mir das keineswegs die Federn sträubt.«
»Du glaubst also, dass es jetzt besser ist?«, fragte Max ein wenig enttäuscht. Er hatte erwartet, dass Astaroths Sieg Feuer und Asche folgen würden, kein friedlicher, saftiger Sommer. Die Stille war irgendwie beunruhigend.
»Hier auf jeden Fall«, schloss Hannah. Sie breitete die Flügel aus und blies die Brust auf, um so viel von der Herbstsonne aufzunehmen wie möglich. Die Gänschen taten es ihrer Mutter nach. »Auf jeden Fall habe ich getan, was mir aufgetragen war: Ich habe dich gefunden und deinen faulen Hintern zurück zum Herrenhaus gebracht. Also los, geh Rasen mähen oder Unkraut jäten, während ich mir die Federn striegeln lasse.«
»Wie bitte?«, fragte Max.
»Deluxe Feder-Behandlung, schwedische Schnabelmassage und Pediküre«, erklärte Hannah. »Die Dryaden sind mir etwas schuldig. Eine ganze Menge sogar. Also sei so nett und pass bei der Arbeit ein bisschen auf die Gänschen auf. Du weißt, dass sie dich als Babysitter vergöttern. Und denk daran: Die kleine Baby Ray hustet in letzter Zeit, Honk soll nicht so grob zu ihr sein. Und Millie darf keine Süßigkeiten bekommen, weil sie ein ganz schlimmes kleines Gänschen gewesen ist und ...«
Max schaltete ab, als Hannah eine lange Litanei von Instruktionen für jedes einzelne ihrer zappeligen, völlig identischen Kinder herunterbetete. Nachdem sie sich um Millies lästige Hautreizung gekümmert hatte, watschelte Hannah davon und begrüßte eine Arbeitsmannschaft im Vorbeigehen mit der Nonchalance eines Großstadt-Bürgermeisters. Sobald sie fort war, spürte Max ein scharfes Picken an seinem Schienbein. Die Gänschen scharten sich um seine Füße und unerbittliche Augen sahen zu ihm auf.
»Passt bloß auf eure Schnäbel auf«, warnte er und führte sie zu einer moosbewachsenen Mauer und dem Tor, das das Sanktuarium vom Rest der Rowan-Akademie trennte.
Als sie durch den tunnelartigen Laubengang aus ineinander verwobenen Bäumen gingen, schlug ihnen eine Symphonie von Geräuschen entgegen. Hämmern, Sägen, Rufe, Lachen und unzählige andere Geräusche bildeten eine Hintergrundkulisse für die fröhlichen Arbeiten. Sobald sie wieder das Tageslicht erreicht hatten, sah Max Hunderte von plaudernden Schülern und Erwachsenen, die die Ställe ausbesserten und die letzten Planken in den Zaun um das Reitgelände legten, wo die Palomino-Ponys sich aufbäumten und wieherten. Die frische Luft roch nach Farbe, Herbstlaub und dem Meer. Max spürte, wie es in seinem Magen rumorte, und spielte kurz mit dem Gedanken, sich in die Küche zu schleichen und sich einen Happen zu essen zu holen ...
Aber die Pflicht rief. Er führte die Gänschen über einen Pfad an den Ställen und am Garten vorbei, bis sie am Herrenhaus, dem zentralen Gebäude von Rowan und Max' Zuhause, angelangt waren. Als sie durch den Garten liefen, betrachtete Max voller Befriedigung den prunkvollen Eingang. Die verkohlten Steine waren geborgen worden und erstrahlten frisch geputzt in reinstem Grau, die zerschmetterten Fensterscheiben waren ersetzt worden und aus den vielen Schornsteinen auf dem steilen Schieferdach stieg einmal mehr einladender Rauch auf. Doch am schönsten waren die Eschenbäume, die wieder an der Einfahrt wuchsen. Während der Belagerung hatte der Feind sie ausgerissen und in Splitter gehackt. Doch jetzt standen sie wieder da, hoch gewachsen und voller weißer Blüten, als hätte sie nie ein Vye, Kobold oder Oger berührt.
Allerdings berührte sie jetzt eine Hexe. Bellagrog Shrope war ein riesiges Exemplar, etwa zweihundert Pfund Fleisch, gezwängt in ein Kleid, das eindeutig für eine kleinere Person gemacht war. Ihre Haut war grau, das Kleid braun, und die Kombination ließ sie aussehen wie ein riesiges, dunkles Gemüse, das man ausgerissen und dummerweise mit Zähnen versehen hatte. Diese Zähne - glänzend und dreieckig - nagten nachdenklich an ihrer Oberlippe, während sie ein paar Papiere durchsah. Eines der Gänschen stieß ein erschrockenes Piep aus.
Die Hexe hörte mit der Raschelei auf, richtete sich auf und schnüffelte hörbar. Langsam wandte sie den Kopf und musterte die Gänschen mit ihren blutunterlaufenen Krokodilsaugen.
»Hallo, meine Lieblinge«, murmelte sie und bückte sich mit ausgestreckten Armen. »Kommt und gebt der alten Bel einen Kuss!«
Die Gänschen drängten sich dicht aneinander wie eine weiche zitternde Masse. Es nutzte auch nichts, dass die Aufforderung wiederholt wurde.
Schließlich erhob sie sich und kicherte leise. »Wahrscheinlich bin ich nicht so kuschelig wie ihre alte Gänsemama.«
»Sie sind nur ein wenig schüchtern, Bellagrog«, log Max und beglückwünschte die Gänschen insgeheim zu ihrer Klarsicht.
»Ja sicher, sicher doch«, entgegnete Bellagrog und kratzte sich abwesend am Bauch. »Aber gut, auf sie habe ich nicht gewartet, sondern auf dich. Ich muss meinen Zeitplan einhalten, Max, und du bringst alles durcheinander. Das geht so nicht, mein Lieber, ganz und gar nicht ...«
Max wagte sich vor und stellte sich neben die Hexe, um ihr über die Schulter zu sehen, während sie ihre Papiere durchsah und mit dem ernsten Blick eines Buchhalters prüfte.
»Nun, weil ich dich mag, lasse ich dich zwischen ein paar Optionen wählen«, erklärte sie. »Keine sterilen Pflichten für Rowans Helden.« Sie zwinkerte und lachte dann schnaubend. »Sterile Pfliiichten ... das ist gut, Bel! Ganz schön clever! Also, Max, wir brauchen jemanden für das Mauerwerk am Tor, zum Büchereinräumen in den Archiven oder um die Schnecken für das Fest zu ölen. Was möchtest du am liebsten?«
»Was ist mit dem Alten Tom?«, erkundigte sich Max mit einem Blick auf die schier endlose Liste der noch zu erledigenden Aufgaben. »Könnte ich nicht lieber da arbeiten?« Max verband eine besondere Beziehung mit dem Alten Tom und er hatte seine klaren Glockenschläge in den letzten Monaten vermisst. Während der Belagerung war das alte Schulgebäude stark beschädigt worden. Eigentlich war es sogar Max gewesen, der die große, alte Glocke im Uhrenturm kaputt gemacht hatte. Deshalb hatte er Schuldgefühle, und wann immer es möglich war, arbeitete er gerne an dem stattlichen, verwitterten Gebäude.
»Der Zugang zum Alten Tom ist bis zur Eröffnungsfeier beschränkt«, erklärte Bellagrog nüchtern.
Max betrachtete den ein paar hundert Meter entfernt liegenden Bau. Ein hohes, weiß verkleidetes Baugerüst umgab den Turm, sodass er aussah wie ein riesiges Geschenk.
»Was ist denn los?«, wollte Max wissen.
»Die Informationen zum Alten Tom werden nur weitergegeben, wenn es nötig ist«, antwortete die Hexe und betrachtete ihre Klauen. »Du musst nichts wissen, und ich fange gerade an, mein großzügiges Angebot zu bereuen ...« Sie blätterte um und als Überschrift auf der nächsten Seite las Max Abwasser.
»Schnecken«, stieß er hervor. »Ich beschäftige mich mit den Schnecken.«
»Na gut«, stimmte Bellagrog zu und setzte seinen Namen zu ein paar anderen. »Dann mal los. Mach dir etwas Appetit für das Fest morgen. Ich werde das jedenfalls tun ...«
Bellagrog grinste die Gänschen an. Max ignorierte sie und führte seine kleinen Schützlinge auf die weiten Rasen- und Gartenflächen von Rowans Haupthof. Auf einem großen Rasenstück saßen mehrere Kinder, die mit in gelbliches Fett getauchten Lappen riesige Seeschnecken bearbeiteten. Manche davon waren kaum größer als ein Strandball, andere hingegen hatten die Größe eines Lieferwagens. Die gelbliche Flüssigkeit war eine verdickte Art von Phosphoröl, und wenn man die Schnecken mit der wächsernen, beißenden Lösung einrieb, begannen sie, sanft zu leuchten wie riesige Glühwürmchen. Im Tageslicht war es nicht so gut zu erkennen, aber auch so lag ein goldener Schimmer über dem Rasen, als ob darunter das Eldorado verborgen war. Max ging an einer Gruppe kichernder Kinder vorbei und fasste eine imposante Nautilus-Schnecke ins Auge.
Fast zwei Stunden polierte Max an der Schnecke herum. Es war eine monotone, aber befriedigende Arbeit, jeden glatten, gewölbten Teil zu wienern, bis das Öl die Oberfläche durchdrang und ein phosphoreszierendes Leuchten hervorrief. Die Gänschen benahmen sich in der Zwischenzeit relativ gut. Sie schienen sich damit zu amüsieren, ihre geisterhaft verzerrten Spiegelbilder in den Schneckenhäusern zu betrachten, bis es Honk schaffte, in einen Eimer Phosphoröl zu fallen - oder zu springen. Als Max den empörten Vogel säuberte, traf ihn ein Schatten.
»Sieh an, was haben wir denn da?«, erklang eine amüsierte Stimme.
Max drehte sich um und sah Dr. Rasmussen, den ehemaligen Leiter der Frankfurter Werkstatt. Der haarlose, skelettdürre Wissenschaftler grinste Max hinter seiner dünnen Brille hervor an. Ein paar Dutzend Erwachsene begleiteten ihn.
»Meine Damen und Herren, darf ich Ihnen Max McDaniels vorstellen«, erklärte der Ingenieur. »Der junge Mann hat die Werkstatt letztes Jahr besucht, aber unter den damaligen Umständen hatten viele von Ihnen nicht die Gelegenheit, ihn kennenzulernen. Das können wir jetzt nachholen.«
Max nickte den Fremden zu, die ihm vorgestellt wurden. Doch sie erwiderten seinen Gruß nicht, sondern sahen ihn lediglich mit kühler Neugier an. Abgesehen von der Unhöflichkeit erstaunte es Max, Mitglieder der Werkstatt in Rowan zu sehen und vor allem in Gesellschaft von Dr. Rasmussen. Die Werkstatt war eine technisch orientierte Gesellschaft - eine wissenschaftliche Abteilung, die sich vor langer Zeit von Rowan getrennt hatte und nun in einem Netzwerk unabhängiger unterirdischer Städte lebte. Jesper Rasmussen war bis zum vergangenen Jahr der Direktor der Werkstatt gewesen, aber auf Astaroths Befehl hatten ihn seine Kollegen vertrieben.
Danach hatte Rasmussen in Rowan um Asyl gebeten und seine Hilfe in technischen Dingen angeboten. Unglücklicherweise bekam man die nur zusammen mit seiner Arroganz, daher waren die Anfragen zurückgegangen. Jetzt war er der mürrischste Würdenträger von Rowan.
»Wann sind die denn gekommen?«, fragte Max Rasmussen mit einem Blick auf die Besucher.
Übersetzung: Tanja Ohlsen
© 2011 für die deutschsprachige Ausgabe cbj, München
Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten
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Autoren-Porträt von Henry H. Neff
Henry H. Neff wurde 1973 in Massachusetts geboren und wuchs in Chicago auf. Nach dem Studium der Geschichte arbeitete Neff als Unternehmensberater bei McKinsey. Nach fünf Jahren gab er seinen Job auf und zog nach San Francisco. Heute unterrichtet er an einer Highschool Geschichte und Kunst. Nebenher schreibt und illustriert er Bücher.
Bibliographische Angaben
- Autor: Henry H. Neff
- Altersempfehlung: 10 - 12 Jahre
- 2011, 620 Seiten, Maße: 14,9 x 22,3 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzung: Ohlsen, Tanja
- Übersetzer: Tanja Ohlsen
- Verlag: cbj
- ISBN-10: 3570134911
- ISBN-13: 9783570134917
Rezension zu „Die Rückkehr des Bösen / Schule der Magier Bd.3 “
"Originell und witzig, ist der Roman eine fesselnde Lektüre bis zum Schluss, die schon nach wenigen Seiten die Leser in ihren zauberhaften Bann ziehen wird und mitfiebern lässt."
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