Die Seele der Männer
Mit e. Gespräch mit Klaus Schlesinger
Am Ende seines Lebens begann Klaus Schlesinger, einen seiner lebensfrohesten Romane zu schreiben: einen ironischen, auch melancholischen Rückblick auf eine Jugend zwischen Ost und West in den fünfziger Jahren. Er hat neunzig ausgefeilte Seiten hinterlassen,...
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Produktinformationen zu „Die Seele der Männer “
Am Ende seines Lebens begann Klaus Schlesinger, einen seiner lebensfrohesten Romane zu schreiben: einen ironischen, auch melancholischen Rückblick auf eine Jugend zwischen Ost und West in den fünfziger Jahren. Er hat neunzig ausgefeilte Seiten hinterlassen, aus denen man das Geheimnis um die Seele der Männer bereits erahnen kann. - Neben diesen letzten Text werden alle seine Erzählungen gestellt: zum Wiederlesen oder Neuentdecken.
Lese-Probe zu „Die Seele der Männer “
Mit Frauen hatte Brehm keine Probleme. Wenns darum geht, sagte er zu Andre auf dem Hof vor der Lackkammer in seinem lässigsten Tonfall, könnte er an jedem Finger zehn haben. Aber woher weiß man, welche die richtige ist? Sie saßen auf Harzfässern, baumelten mit den Beinen und pafften den Rauch ihrer Zigaretten in den dunstigen Morgen. Eben hatte Brehm das Protokoll für die laufende Charge überbracht, von ihm selbst unterzeichnet. Seit er allein im Labor war, blieb ihm gar nichts anderes übrig, als die Protokolle eigenhändig zu unterzeichen, auch wenn er noch Stift war. Jedesmal, wenn er seinen Namen in die rechte untere Ecke setzte, fühlte er sich ein Stück gewachsen. Gerade weil es so viele sind, ist es schwer, sagte André, der trotz der Kühle nur ein Turnhemd trug, das seine tätowierten, außergewöhnlich muskulösen Oberarme sehen ließ. Brehm wiegte den Kopf. Er wollte auf ein bestimmtes Thema hinaus, wußte aber nicht, wie, und warf so leicht hin, ob André denn nie Schiß habe. Wovor Schiß? Daß du hängenbleibst bei einer? Brehm zog an seiner Zigarette. Abhauen kannst du jederzeit, sagte André. Das meinte Brehm nicht. Brehm meinte, daß man sich eine Menge einfangen kann, heutzutage. Davor hatte er Schiß. André lachte auf. Dafür gibts doch Mittel. In jeder Apotheke. Sogar im Seifenladen. Aber, sagte Brehm zögernd, manchmal kommts ja ganz plötzlich, und du hast nichts bei, ich meine, zur Sicherheit. Aus der halboffenen Tür zur Lackkammer hörte man die Hammerschläge, mit denen der lange Adolf die Ringe von den Kunstharzfässern schlug, deren Dauben sich dann sprungartig öffneten, als blühten sie auf. Kein Problem, sagte André. Brehm dürfe nur nicht vorher Wasser lassen. Nie Wasser lassen vorher! Und wenn du mit allem fertig bist, gehst du um die Ecke, hältst die Vorhaut zu und schiffst los! Verstehst du? Brehm nickte, obgleich er nichts verstand. Wenn du es nicht mehr aushalten kannst, aber erst dann, sagte André, mußt du loslassen. Am anderen
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Ende des schmalen Hofes tauchte die Gestalt des Technischen Leiters auf, der Konrad Stache hieß und auf der Rangliste der Fabrik gleich hinter dem Werkleiter stand. Beide, André wie Brehm, rutschten wie auf Kommando, aber auch nicht übermäßig eilig, von den Fässern herunter. Verstehst du, sagte André und spuckte in die Hände, durch den Druck wird alles rausgeschleudert, alle Bakterien und das ganze üble Zeug. Das haben wir beim Kommiß immer so gemacht, und es hat immer geklappt. André war mit achtzehn schon Panzerfahrer bei der Wehrmacht gewesen. Er wuchtete das Faß, auf dem er eben noch gesessen hatte, zur Seite, aber statt es zu rollen, wie alle es taten, stemmte er es mit beiden Armen in Brusthöhe und schleppte es mit nach hinten geneigtem Oberkörper und entenhaftem Gang Richtung Lackkammer. Seine Muskeln waren aufs äußerste gespannt, und seine Augen traten ein wenig aus den Höhlen. Brehm trat seine Zigarette mit der Fußspitze aus und grüßte den Technischen Leiter, der so tat, als hätte er nicht bemerkt, daß sie vor der Lackkammer geraucht hatten, mit einer leichten Verbeugung. Der Umgang mit Männern fiel Brehm schwerer, besonders in der ersten Zeit seiner Berufstätigkeit als Lehrling, wo er voller Offenheit und Neugier zu seinen Expeditionen in den Körper des Betriebes aufgebrochen war. Traf er bei dem weiblichen Teil der Belegschaft, gleich welchen Alters und abgesehen von den Glimmerfrauen, grundsätzlich auf Sympathie, die höchstens einmal mit mildem oder gar liebevollem Spott gewürzt war, begegnete ihm der männliche Teil mit offener Zurückhaltung, manchmal, fand er, mit Verachtung. Seine Vermutung, es läge an seiner weißen Arbeitskleidung, die ihn, wie alle Mitarbeiter des technischen Bereichs, von dem vorherrschenden Blau der Blusen, Kombinationen und Kittel abgrenzte, bestätigte sich nicht. Als er sich von dem Hilfslaboranten einen blauen, ihm etwas zu eng sitzenden Arbeitsmantel ausgeliehen hatte, waren die Antworten der Arbeiter auf seine Fragen ebenso knapp und geknurrt ausgefallen, wie wenn er ihnen, die Hände in den Taschen, im weißen Kittel bei der Arbeit zuschaute. Mehrmals war es ihm geschehen, daß ein Einrichter namens Roloff, wenn Brehm vorbeilief, mit höhnischem Ton in der Stimme gefragt hatte, ob der Herr heute wieder spazierenginge? Brehm war sich nicht bewußt, warum er sich von den anderen, meist Angestellten, unterschied, die, wie er beobachtet hatte, jeden Vormittag durch den Betrieb wanderten, mal hier, mal dort stehenblieben zu einem Gespräch, dessen privater Charakter schon durch häufig aufwallendes Lachen kenntlich wurde, bis ihm auffiel, daß niemand die Hand in der Tasche hatte und alle etwas trugen, sei es ein Werkstück, sei es ein Aktendeckel, und sie so ihren Wegen den Anschein des Offiziellen gaben. Womit Brehm nicht zurechtkam, war die Tonlage, in der die Blaugekleideten mit ihm sprachen. Sie hatte, fand Brehm, etwas Lästerndes, Verletzendes an sich. Besonders wenn sie in Gruppen auftraten, schienen sie keine Gelegenheit auszulassen, um sich auf Kosten anderer mit einem polternden, groben Lachen zu amüsieren. Einmal, Brehm war durch die Schlosserei gegangen, bat ihn ein Werkzeugmacher, der gerade an einem Metallstück feilte, mit drängender Stimme, ob er mal schnell das vernickelte Augenmaß herbeischaffen könne. Brehm war so voller Bereitschaft, dem Arbeiter, der nicht viel älter war als er, eine Gefälligkeit zu erweisen, daß er gleich losstürmte. Erst als er am Schalter der Werkzeugausgabe den Wunsch laut vortrug, merkte er, auf welch einen dummen Scherz er hereingefallen war. Am unangenehmsten waren ihm die Anspielungen auf seine Körperlichkeit. Brehm war dünn und hoch aufgeschossen, er überragte die meisten seiner Kollegen um mindestens einen halben Kopf, hatte einen schlaksigen Gang, und seine Bewegungen wurden noch ungelenker, wenn er einen Raum betrat und die Blicke der Anwesenden auf sich spürte. In dieser Zeit trat er mit Paczoska und den anderen dem Boxverein Empor Nord bei, wo sie zweimal in der Woche an Sandsäcken und Punchingbällen trainierten, und obgleich Brehm undeutlich spürte, daß er wenig Talent zu einem Spitzensportler hatte, veränderte sich sein Körper, sein Gang wurde federnder, seine Haltung herausfordernder, und dann dauerte es nicht mehr lange, bis er den Ton der Fabrik gefunden hatte und auf die Frage: Na, wie gehts, Langer? mit einem lässigen: Letztes mal gings noch! antworten konnte.
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Autoren-Porträt von Klaus Schlesinger
Klaus Schlesinger, geb. 1937 in Berlin, besuchte nach seiner Ausbildung zum Chemie-Laborant einige Semester die Ingenieur-Schule. Bis 1963 arbeitet er in Betriebs- und Universitätslabors. Von 1964-65 absolvierte er einen Reportage-Kurs bei der 'Neuen Berliner Illustrierten' unter Leitung des Schweizer Reporters Jean Villain. Seine erste Erzählung erschien 1960 in der 'Neuen Deutschen Literatur'. 1979 wurde er wegen seines Protestes gegen die Verurteilung des Schriftstellers Stefan Heym aus dem DDR-Schriftstellerverband ausgeschlossen und übersiedelte ein Jahr später nach Westberlin. 1991 zog er wieder in den Ostteil der Stadt. Im Jahr 2000 erhielt Klaus Schlesinger den Erich Fried Preis. Der Autor starb am 11.5.2001 im Alter von 64 Jahren an Leukämie.
Bibliographische Angaben
- Autor: Klaus Schlesinger
- 2004, 368 Seiten, Maße: 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Aufbau TB
- ISBN-10: 3746620759
- ISBN-13: 9783746620756
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