Die Spur der Hexe
Historischer Roman
Spanien, 1610: Zwei Menschen, wie sie unterschiedlicher nicht sein können, prallen aufeinander: Die junge Hexe Mayo, die auf der Suche nach ihrer Ziehmutter Ederra ist, und der berüchtigte Inquisitor Salazar, der paradoxerweise nicht an Hexen und Teufelswesen glaubt.
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Produktinformationen zu „Die Spur der Hexe “
Spanien, 1610: Zwei Menschen, wie sie unterschiedlicher nicht sein können, prallen aufeinander: Die junge Hexe Mayo, die auf der Suche nach ihrer Ziehmutter Ederra ist, und der berüchtigte Inquisitor Salazar, der paradoxerweise nicht an Hexen und Teufelswesen glaubt.
Klappentext zu „Die Spur der Hexe “
Die Hexe und der Inquisitor"Ein Buch voller Magie und Zauberkraft!"
El País
Spanien, 1610: Die Geschichte der jungen Hexe Mayo, die gemeinsam mit ihrem verzauberten Esel Beltrán auf der Suche nach ihrer Ziehmutter ist. Und die des Inquisitors Salazar, der die Heilige Inquisition herausfordert, da er trotz seines Amtes nicht an Hexen und andere Teufelswesen glaubt. Als sich die beiden begegnen, gerät ihre Welt ins Wanken.
Lese-Probe zu „Die Spur der Hexe “
Die Spur der Hexe von Nerea RiescoProlog
Plaza de Santiago, Logroño, Sonntag, der 7.November 1610
Elf wegen Hexerei zum Tode Verurteilte bewegten sich in einer Reihe langsam durch die aufgepeitschte Menge auf den Scheiterhaufen zu. Fünf von ihnen hatten die Welt der Lebenden bereits verlassen, doch das hinderte das Heilige Offizium nicht daran, auch ihnen die Reinigung durch das Feuer zuteil werden zu lassen. Es hatte einen gewissen Cosme de Arellano damit beauftragt, Ebenbilder aus Holz anzufertigen.
Für Cosme war der Auftrag überraschend gekommen, denn mehr als einmal waren seine Schnitzarbeiten von Priestern abgelehnt worden, weil sie den Schmerz der Mater Dolorosa oder die Wunden der Peitschenhiebe auf dem Körper des dornengekrönten Christus so wirklichkeitsgetreu darboten, dass besonders phantasiebegabte Betschwestern Ohnmachtsanfälle bekamen und schlecht träumten. Und er war dementsprechend aufgeregt: Das war seine lang herbeigesehnte Chance. Die ganze Stadt und eine Menge eigens für das Autodafé anreisender Fremder würden seine Arbeit bewundern. Nicht einmal in seinen kühnsten Träumen hätte er sich ausgemalt, einmal so viel Publikum zu haben. Daher widmete er sich seiner Aufgabe mit Leib und Seele.
Er begab sich zu den geheimen Gefängnissen und befragte den Aufseher und die Zellengenossen. Er wollte wissen, wie die Augen, die Haare, die Statur seiner Modelle ausgesehen hatten, mit welchem Gesichtsausdruck sie dieses Jammertal verlassen hatten…
Seine Figuren sollten nicht einfach Holzklötze mit menschlichen Umrissen sein. Mehrere Tage arbeitete er bis zum frühen Morgen, um den Figuren die Tragik zu verleihen, die er für den Anlass für angemessen hielt. Er schnitzte zerknirschte Gesichter, wirre Mähnen, weit aufgerissene Augen, deren Blick sich im Unendlichen verlor, flehentlich zum Himmel ausgestreckte
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Hände, bis er ein Quintett des Schreckens geschaffen hatte, mit dem es an Schaurigkeit nur die Seelen im Fegefeuer an Allerseelen aufnehmen konnten. Er war mit dem Ergebnis zufrieden, doch seine Frau erschrak sich jedes Mal fast zu Tode, wenn sie im Halbdunkel an den Gestalten vorbeikam. Daher warf er für den Rest ihres Verbleibs in der Werkstatt den Holzfiguren Tücher über.
Schuld an dem vorzeitigen Tod der Angeklagten war eine seltsame Epidemie mit Fieber und starken Leibschmerzen, die sich Monate vor dem Autodafé in den geheimen Gefängnissen der Inquisition ausgebreitet und eine große Zahl von Opfern gefordert hatte. Die Krankheit hatte Delirien und Raserei hervorgerufen und Befragungen unmöglich gemacht. Hin und wieder schien die Krankheit den Angeklagten eine Pause zu gönnen, plötzlich waren sie wieder klar im Kopf, hatten rote Wangen und Appetit. Doch sobald die Inquisitoren die Besserung nutzen wollten, um die Gefangenen in die Zange zu nehmen, erlitten sie einen Rückfall, und die Pläne der Inquisitoren waren zunichte. Allmählich erweckte das unter den Mitgliedern des Tribunals Misstrauen.
Die erste Holzfigur in der Reihe der Verurteilten war die der Witwe María de Echalecu, einer vierzigjährigen Wäscherin aus Urdax. Bevor ihr Mann starb, war sie eine lebenslustige, manchmal etwas verwirrte Frau gewesen. Sie hatte immer in demselben Haus gelebt, das sie als Erstgeborene nach alter Sitte der Navarrer von ihren Eltern geerbt hatte. Von klein auf war ihre Nachbarin ihre beste Freundin gewesen, sie waren wie Schwestern. Gemeinsam entdeckten sie die Welt, erlebten sie die erste Menstruation und ihre Folgen und durchlitten den Tod ihrer Väter. In schlechten Zeiten waren sie einander eine Stütze, und sie genossen die Momente des Glücks mit allen Sinnen, denn für sie waren es Geschenke des Himmels. Sie liebten sich wie sich nur der Himmel und die Sonne, die Bäume und die Erde lieben können, und das erzeugte Verdacht unter den Nachbarn, die an bedingungslose Freundschaft nicht glauben wollten. Um dem Gerede ein Ende zu machen, beschlossen beide zu heiraten. Anfangs schien trautes Einvernehmen zu herrschen, doch mit der Zeit wurden ihre Männer argwöhnisch und fühlten sich durch die enge Freundschaft der Frauen bedroht, bis sie ihnen jeglichen Kontakt untersagten. Die Streitigkeiten endeten mit dem Tod von Marías Ehemann.
Diesen machte sich der Mann der Freundin zunutze, um María vor dem Heiligen Offizium zu bezichtigen, sie hätte seine Kühe verhext, die nun saure Milch gäben, und sie habe den Hagel herbeigezaubert, der seine Ernte vernichtet hatte.
Eines Tages wurde sie früh am Morgen geholt und in den Kerker geworfen. Als sie erkrankte, behaupteten die Ärzte, ihrer verhängnisvollen Krankheit würde etwas Übernatürliches anhafteten, denn in den letzten Augenblicken ihres Lebens hatte sie, noch bevor sie gestehen konnte, endgültig den Verstand verloren. Sie hatte sich unter großen Mühen von der Pritsche erhoben und war zu der Säule aus dem durch die Luke einfallenden Sonnenlicht gewankt. Den glasigen Blick zur Decke gerichtet, hatte sie gemurmelt: »Da ist May… hinter dem Fenster. Mayo… ich komme, ich komme.«
Keiner verstand, wovon sie redete, und man schrieb das Gestammel dem Fieberdelirium zu. Inquisitor Becerra war noch zu ihr geeilt, um ihr ein Kreuz auf die Lippen zu legen, damit sie sich mit dem Herrn versöhnte, bevor sie ihren letzten Atemzug tat. Doch María hatte ihn nur verächtlich angesehen, sich abgewandt und war dann, ohne jede Absolution, leblos zu Boden gefallen.
Die zweite Holzfigur war die von Estevanía de Petrisancena.
Mateo Ruiz, der die Figuren bemalte und einkleidete, hatte ihre natürliche Schönheit noch unterstrichen, indem er ihrem gelockten Haar einen strahlenden Kupferton verliehen hatte. Estevanía war siebenunddreißig geworden. Sie war mit dem Landarbeiter Juanes de Azpilcueta verheiratet. Als sie verhaftet wurde, hatte dieser alles für einen unglücklichen Irrtum gehalten, denn seine Estevanía war sanft und lammfromm. Später hatte man ihm gesagt, der Teufel habe sie mitten in der Nacht zum Hexensabbat entführt und dort hätten sie viele beim unzüchtigen Treiben mit glutäugigen Dämonen beobachtet. Damit er nichts merkte, habe man ihm eine Puppe ins Bett gelegt, die nicht nur wie Estevanía aussah, sondern auch nach ihr duftete. Sie war in demselben braunen Rock gestorben, den sie bei ihrer Verhaftung getragen hatte, und sie hatte bis zuletzt abgestritten, eine Hexe zu sein. Mateo Ruiz hatte als Zeichen der Inquisition auf jede Brust das Lilienkreuz der Dominikaner gemalt.
Am Hals der dritten Figur hing ein Schild mit dem Namen Juanes de Odia. Er war sechzig Jahre alt und stammte ebenfalls aus Urdax, wo er als Kohlenhändler und Siebmacher tätig war. Er war zweifellos der gebildetste unter den Gefangenen. Er war im Gebiet sehr bekannt, weil er den Leuten immer wieder predigte, alles Unglück, das über sie hereingebrochen war, sei auf die Macht zurückzuführen, die König und Feudalherren über sie hatten. Die Bewohner von Urdax waren Leibeigene, die das Land des Klosters bewirtschafteten, während ihre Nachbarn aus Zugarramurdi freie Bauern und Schäfer waren. Und so hatte sich in ihm die Überzeugung festgesetzt, dass es notwendig war, die bestehenden Besitzverhältnisse aufzulösen und das Vermögen von Kirche und Staat unter den Armen zu verteilen. Er scharte gern Kinder um sich, denen er Geschichten über gewitzte Mäuse erzählte, die es mit der Hauskatze aufnahmen, weil sie wussten, dass sie in der Überzahl waren und es durchaus mit dem Feind aufnehmen konnten, wenn sie mit vereinten Kräften kämpften. Juanes setzte all seine Hoffnung in die junge Generation und ignorierte dabei die Tatsache, dass die jungen Männer über keinerlei Ausrüstung verfügten und eher verängstigt als kampfeslustig waren. Doch dank seiner beredten Zunge konnte er sie am Ende davon überzeugen, dass ihm im Traum der Herr erschienen war und den Sieg verheißen hatte. Doch zur Schlacht kam es nie, denn an einem Samstagmorgen wurde er verhaftet und eingekerkert. Sechs Monate später starb er, nachts, und beteuerte noch mit dem letzten Atemzug seine Unschuld.
Die vierte Figur war die von Juanes de Echegui: blass, dünn und ein begeisterter Jäger. Die kühnen Bemühungen der Inquisitoren, seine sündige Seele zu retten, blieben erfolglos. Juanes war zu dem Zeitpunkt achtundsechzig Jahre alt, besaß einen Acker und zwanzig Schafe. Als die Männer des Heiligen Offiziums kamen, um ihn zu verhaften, stieg er gerade einen Hügel hinauf, um Kamillenblüten zu pflücken, aus denen er Tee gegen das ihn seit Jahren quälende Sodbrennen zubereitete. Er starb an den Folgen der Epidemie im Kerker, ohne zu wissen, was aus seiner Tochter werden würde, die ebenfalls wegen Hexerei verhaftet worden war.
Die fünfte Figur stellte María de Zozaya dar. Nicht nur das ganze Dorf hatte sie mit Steinen beworfen und ihr »Hexe« nachgerufen, sondern sie selbst hatte in den buntesten Farben geschildert, welche Schandtaten sie begangen hatte. Es dauerte Stunden, bis die Figur mit dem grünlichen, pergamentähnlichen Gesicht endlich die Läuterung durch das Feuer erfuhr. So lange brauchte man nämlich, um all ihre schrecklichen Geständnisse zu verlesen, die an den Wänden der Plaza de Santiago zwischen entsetzten Mienen, Ausrufen des Missfallens und Ohnmachtsanfällen der Frauen widerhallten. Einige Zeit später sollte der Humanist Pedro de Valencia eine gelehrte Rede an den Generalinquisitor mit dem Titel »Über die Geschichten der Hexen« schreiben, in der er unter anderem sagte, dass die Verbrechen der Hexen öffentlich vorgelesen wurden, sei ein großer Fehler gewesen. Seiner umfassenden Kenntnis der menschlichen Schwächen nach war es nicht angeraten, Verirrungen zu beschreiben, denn dadurch könnte die Phantasie der naiven Seelen gerade erst angestachelt werden, die sich bis dahin nicht einmal vorstellen konnten, dass solche Perversionen überhaupt möglich waren. Er deutete an, dass ein geistig schwacher Mensch sich sogar versucht fühlen könnte, sie nachzuahmen, was bei guten Taten scheinbar nie der Fall war.
María de Zozaya war jedenfalls von Grund auf verderbt. Sie war achtzig, als sie im Gefängnis zu Tode kam. Nach eigener Aussage hatte sie sich im Alter von zehn Jahren der Sekte angeschlossen. Sie behauptete, sie hätte mit Hilfe eines Zaubermittels in Windeseile die Orte erreichen können, an denen ein Hexensabbat stattfand.
Sie versprach den Inquisitoren sogar, ihnen dieses zu beschaffen, doch eine Übergabe ist nirgends verzeichnet. Seit Jahren schon hatte sie die Häuser der Dorfbewohner aufgesucht und die in ihren Bettchen liegenden Säuglinge gequält. Sie brüstete sich vor dem Tribunal damit, zwanzig Menschen zur Hexerei bekehrt und acht Menschen verhext zu haben, von denen zwei zu Tode kamen. Außerdem gestand sie, mit dem Teufel geschlechtlich verkehrt zu haben. Die Inquisitoren waren außer sich, als sie das hörten, schauten betreten zu Boden und bekreuzigten sich mehrmals.
Die Epidemie raffte sie drei Monate vor dem Autodafé dahin.
Später sagten die Inquisitoren Becerra und Salazar aus, sie glaubten inzwischen, dass der Teufel bei diesen rätselhaften Erkrankungsfällen seine Hände im Spiel habe. Nicht einmal die erfahrenen Ärzte könnten erkennen, um was es sich handele, und wann immer sie glaubten, sie hätten die Angeklagten kuriert, wurden diese wieder vom Fieber befallen. Das wunderte die Inquisitoren nicht. Viele Hexen gestanden, der Teufel besuche sie weiterhin in der Nacht, obwohl die Verliese geheim waren, weil er Verkehr mit ihnen haben wolle. Es war klar, dass er einen Zauber anwendete, der die tödliche Krankheit hervorrief, bevor sie eine Aussage machen konnten. Die fünf verstorbenen Angeklagten wurden in absentia verurteilt, ihre Überreste pietätvoll bis zum Autodafé aufbewahrt und zusammen mit der Holzfigur dem Feuer übergeben. Die Inquisition hatte für diesen Tag dreizehn Lagen Holz bestellt.
Trotz des Autodafés und der strikten Anwendung der Strafen blieb der Verdacht, die Teufelssekte treibe im Norden weiterhin ihr Unwesen, hartnäckig bestehen, und die Inquisition hatte ein waches Auge über das Gebiet. Einhundertzwei Personen wurden in der Folge verhaftet, und monatelang füllten sich die geheimen Gefängnisse mit Verdächtigen. Sie wurden verhört, bis sie auch das letzte Detail ihrer schändlichen Machenschaften gestanden hatten, ohne dass ihre Angehörigen oder ihre Bekannten auch nur die geringste Idee hatten, wo man sie festhielt.
Unter den Verhafteten befand sich eine Frau, die wegen ihres außergewöhnlichen Aussehens als »Ederra« bekannt war – das baskische Wort für »schön«. Sie reiste von Dorf zu Dorf und bot gegen Kost und Logis ihre Fähigkeiten als Heilerin und Parfümeurin an. Sie kannte sich mit der Heilkraft der Pflanzen aus und verstand sich aufs trefflichste darauf, Trünke, Salben und Pillen herzustellen und sie so zu kombinieren, dass sie die größte Wirkung entfalteten. Ederra verfügte über ein Wissen aus uralter Zeit, das weise Frauen Generation für Generation untereinander weitergegeben hatten. Sie wurde in Zugarramurdi verhaftet, nachdem ein Arzt sie denunziert hatte. Er hatte sich durch den Umstand bedroht gefühlt, dass da eine Frau war, die Impotenz oder die Schmerzen der Geburt weit besser zu bekämpfen vermochte als er. Er sagte den Inquisistoren, das verstieße in jeder Hinsicht gegen das Gebot Gottes, der sich in diesem Punkt klar ausgedrückt hatte. Es hieß schließlich schon in der Genesis, die Frau sollte unter Schmerzen gebären.
Seit die Inquisitoren Ederra, die Schöne, in ihrer Gewalt hatten, war das scheue Mädchen mit Namen Mayo de Labastide d’Armagnac es nicht müde geworden, sie zu suchen, denn ohne Ederra war sie verloren; sie musste sie finden, es war eine Frage von Leben und Tod.
Mayo war bei dem Autodafé auf der Plaza de Santiago dabei gewesen und hatte verzweifelt nach Ederras anmutiger Gestalt Ausschau gehalten – jedoch vergeblich. Sie wusste nicht, ob das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen war. Ederra konnte immer noch mit anderen Verdächtigen in den geheimen Verliesen der Inquisition weilen, oder aber an der Epidemie gestorben sein, von der sie gehört hatte. Doch daran wollte Mayo nicht einmal denken. Ederra konnte nicht tot sein, das müsste sie doch spüren … oder etwa nicht? Denn obwohl seit ihrer Geburt alle Zeichen darauf hindeuteten, war aus ihr keine rechte Hexe geworden. Ihre Zauberkünste funktionierten nur leidlich, und ihre hellseherischen Fähigkeiten ließen sehr zu wünschen übrig.
Niemand hätte sich für das Schicksal der schönen Ederra interessiert, niemand hätte sie vermisst, wären da nicht Mayo de Labastide und der verzauberte Esel Beltrán gewesen, die sich nach dem denkwürdigen Autodafé hartnäckig auf die Suche nach ihr machten. Für Mayo Labastide galt: Solange es Leben gab, gab es Hoffnung. Und sie hatte Hoffnung, alle Hoffnung der Welt, und die Zeit, sie zu nutzen.
© S. Fischer Verlag GmbH
Schuld an dem vorzeitigen Tod der Angeklagten war eine seltsame Epidemie mit Fieber und starken Leibschmerzen, die sich Monate vor dem Autodafé in den geheimen Gefängnissen der Inquisition ausgebreitet und eine große Zahl von Opfern gefordert hatte. Die Krankheit hatte Delirien und Raserei hervorgerufen und Befragungen unmöglich gemacht. Hin und wieder schien die Krankheit den Angeklagten eine Pause zu gönnen, plötzlich waren sie wieder klar im Kopf, hatten rote Wangen und Appetit. Doch sobald die Inquisitoren die Besserung nutzen wollten, um die Gefangenen in die Zange zu nehmen, erlitten sie einen Rückfall, und die Pläne der Inquisitoren waren zunichte. Allmählich erweckte das unter den Mitgliedern des Tribunals Misstrauen.
Die erste Holzfigur in der Reihe der Verurteilten war die der Witwe María de Echalecu, einer vierzigjährigen Wäscherin aus Urdax. Bevor ihr Mann starb, war sie eine lebenslustige, manchmal etwas verwirrte Frau gewesen. Sie hatte immer in demselben Haus gelebt, das sie als Erstgeborene nach alter Sitte der Navarrer von ihren Eltern geerbt hatte. Von klein auf war ihre Nachbarin ihre beste Freundin gewesen, sie waren wie Schwestern. Gemeinsam entdeckten sie die Welt, erlebten sie die erste Menstruation und ihre Folgen und durchlitten den Tod ihrer Väter. In schlechten Zeiten waren sie einander eine Stütze, und sie genossen die Momente des Glücks mit allen Sinnen, denn für sie waren es Geschenke des Himmels. Sie liebten sich wie sich nur der Himmel und die Sonne, die Bäume und die Erde lieben können, und das erzeugte Verdacht unter den Nachbarn, die an bedingungslose Freundschaft nicht glauben wollten. Um dem Gerede ein Ende zu machen, beschlossen beide zu heiraten. Anfangs schien trautes Einvernehmen zu herrschen, doch mit der Zeit wurden ihre Männer argwöhnisch und fühlten sich durch die enge Freundschaft der Frauen bedroht, bis sie ihnen jeglichen Kontakt untersagten. Die Streitigkeiten endeten mit dem Tod von Marías Ehemann.
Diesen machte sich der Mann der Freundin zunutze, um María vor dem Heiligen Offizium zu bezichtigen, sie hätte seine Kühe verhext, die nun saure Milch gäben, und sie habe den Hagel herbeigezaubert, der seine Ernte vernichtet hatte.
Eines Tages wurde sie früh am Morgen geholt und in den Kerker geworfen. Als sie erkrankte, behaupteten die Ärzte, ihrer verhängnisvollen Krankheit würde etwas Übernatürliches anhafteten, denn in den letzten Augenblicken ihres Lebens hatte sie, noch bevor sie gestehen konnte, endgültig den Verstand verloren. Sie hatte sich unter großen Mühen von der Pritsche erhoben und war zu der Säule aus dem durch die Luke einfallenden Sonnenlicht gewankt. Den glasigen Blick zur Decke gerichtet, hatte sie gemurmelt: »Da ist May… hinter dem Fenster. Mayo… ich komme, ich komme.«
Keiner verstand, wovon sie redete, und man schrieb das Gestammel dem Fieberdelirium zu. Inquisitor Becerra war noch zu ihr geeilt, um ihr ein Kreuz auf die Lippen zu legen, damit sie sich mit dem Herrn versöhnte, bevor sie ihren letzten Atemzug tat. Doch María hatte ihn nur verächtlich angesehen, sich abgewandt und war dann, ohne jede Absolution, leblos zu Boden gefallen.
Die zweite Holzfigur war die von Estevanía de Petrisancena.
Mateo Ruiz, der die Figuren bemalte und einkleidete, hatte ihre natürliche Schönheit noch unterstrichen, indem er ihrem gelockten Haar einen strahlenden Kupferton verliehen hatte. Estevanía war siebenunddreißig geworden. Sie war mit dem Landarbeiter Juanes de Azpilcueta verheiratet. Als sie verhaftet wurde, hatte dieser alles für einen unglücklichen Irrtum gehalten, denn seine Estevanía war sanft und lammfromm. Später hatte man ihm gesagt, der Teufel habe sie mitten in der Nacht zum Hexensabbat entführt und dort hätten sie viele beim unzüchtigen Treiben mit glutäugigen Dämonen beobachtet. Damit er nichts merkte, habe man ihm eine Puppe ins Bett gelegt, die nicht nur wie Estevanía aussah, sondern auch nach ihr duftete. Sie war in demselben braunen Rock gestorben, den sie bei ihrer Verhaftung getragen hatte, und sie hatte bis zuletzt abgestritten, eine Hexe zu sein. Mateo Ruiz hatte als Zeichen der Inquisition auf jede Brust das Lilienkreuz der Dominikaner gemalt.
Am Hals der dritten Figur hing ein Schild mit dem Namen Juanes de Odia. Er war sechzig Jahre alt und stammte ebenfalls aus Urdax, wo er als Kohlenhändler und Siebmacher tätig war. Er war zweifellos der gebildetste unter den Gefangenen. Er war im Gebiet sehr bekannt, weil er den Leuten immer wieder predigte, alles Unglück, das über sie hereingebrochen war, sei auf die Macht zurückzuführen, die König und Feudalherren über sie hatten. Die Bewohner von Urdax waren Leibeigene, die das Land des Klosters bewirtschafteten, während ihre Nachbarn aus Zugarramurdi freie Bauern und Schäfer waren. Und so hatte sich in ihm die Überzeugung festgesetzt, dass es notwendig war, die bestehenden Besitzverhältnisse aufzulösen und das Vermögen von Kirche und Staat unter den Armen zu verteilen. Er scharte gern Kinder um sich, denen er Geschichten über gewitzte Mäuse erzählte, die es mit der Hauskatze aufnahmen, weil sie wussten, dass sie in der Überzahl waren und es durchaus mit dem Feind aufnehmen konnten, wenn sie mit vereinten Kräften kämpften. Juanes setzte all seine Hoffnung in die junge Generation und ignorierte dabei die Tatsache, dass die jungen Männer über keinerlei Ausrüstung verfügten und eher verängstigt als kampfeslustig waren. Doch dank seiner beredten Zunge konnte er sie am Ende davon überzeugen, dass ihm im Traum der Herr erschienen war und den Sieg verheißen hatte. Doch zur Schlacht kam es nie, denn an einem Samstagmorgen wurde er verhaftet und eingekerkert. Sechs Monate später starb er, nachts, und beteuerte noch mit dem letzten Atemzug seine Unschuld.
Die vierte Figur war die von Juanes de Echegui: blass, dünn und ein begeisterter Jäger. Die kühnen Bemühungen der Inquisitoren, seine sündige Seele zu retten, blieben erfolglos. Juanes war zu dem Zeitpunkt achtundsechzig Jahre alt, besaß einen Acker und zwanzig Schafe. Als die Männer des Heiligen Offiziums kamen, um ihn zu verhaften, stieg er gerade einen Hügel hinauf, um Kamillenblüten zu pflücken, aus denen er Tee gegen das ihn seit Jahren quälende Sodbrennen zubereitete. Er starb an den Folgen der Epidemie im Kerker, ohne zu wissen, was aus seiner Tochter werden würde, die ebenfalls wegen Hexerei verhaftet worden war.
Die fünfte Figur stellte María de Zozaya dar. Nicht nur das ganze Dorf hatte sie mit Steinen beworfen und ihr »Hexe« nachgerufen, sondern sie selbst hatte in den buntesten Farben geschildert, welche Schandtaten sie begangen hatte. Es dauerte Stunden, bis die Figur mit dem grünlichen, pergamentähnlichen Gesicht endlich die Läuterung durch das Feuer erfuhr. So lange brauchte man nämlich, um all ihre schrecklichen Geständnisse zu verlesen, die an den Wänden der Plaza de Santiago zwischen entsetzten Mienen, Ausrufen des Missfallens und Ohnmachtsanfällen der Frauen widerhallten. Einige Zeit später sollte der Humanist Pedro de Valencia eine gelehrte Rede an den Generalinquisitor mit dem Titel »Über die Geschichten der Hexen« schreiben, in der er unter anderem sagte, dass die Verbrechen der Hexen öffentlich vorgelesen wurden, sei ein großer Fehler gewesen. Seiner umfassenden Kenntnis der menschlichen Schwächen nach war es nicht angeraten, Verirrungen zu beschreiben, denn dadurch könnte die Phantasie der naiven Seelen gerade erst angestachelt werden, die sich bis dahin nicht einmal vorstellen konnten, dass solche Perversionen überhaupt möglich waren. Er deutete an, dass ein geistig schwacher Mensch sich sogar versucht fühlen könnte, sie nachzuahmen, was bei guten Taten scheinbar nie der Fall war.
María de Zozaya war jedenfalls von Grund auf verderbt. Sie war achtzig, als sie im Gefängnis zu Tode kam. Nach eigener Aussage hatte sie sich im Alter von zehn Jahren der Sekte angeschlossen. Sie behauptete, sie hätte mit Hilfe eines Zaubermittels in Windeseile die Orte erreichen können, an denen ein Hexensabbat stattfand.
Sie versprach den Inquisitoren sogar, ihnen dieses zu beschaffen, doch eine Übergabe ist nirgends verzeichnet. Seit Jahren schon hatte sie die Häuser der Dorfbewohner aufgesucht und die in ihren Bettchen liegenden Säuglinge gequält. Sie brüstete sich vor dem Tribunal damit, zwanzig Menschen zur Hexerei bekehrt und acht Menschen verhext zu haben, von denen zwei zu Tode kamen. Außerdem gestand sie, mit dem Teufel geschlechtlich verkehrt zu haben. Die Inquisitoren waren außer sich, als sie das hörten, schauten betreten zu Boden und bekreuzigten sich mehrmals.
Die Epidemie raffte sie drei Monate vor dem Autodafé dahin.
Später sagten die Inquisitoren Becerra und Salazar aus, sie glaubten inzwischen, dass der Teufel bei diesen rätselhaften Erkrankungsfällen seine Hände im Spiel habe. Nicht einmal die erfahrenen Ärzte könnten erkennen, um was es sich handele, und wann immer sie glaubten, sie hätten die Angeklagten kuriert, wurden diese wieder vom Fieber befallen. Das wunderte die Inquisitoren nicht. Viele Hexen gestanden, der Teufel besuche sie weiterhin in der Nacht, obwohl die Verliese geheim waren, weil er Verkehr mit ihnen haben wolle. Es war klar, dass er einen Zauber anwendete, der die tödliche Krankheit hervorrief, bevor sie eine Aussage machen konnten. Die fünf verstorbenen Angeklagten wurden in absentia verurteilt, ihre Überreste pietätvoll bis zum Autodafé aufbewahrt und zusammen mit der Holzfigur dem Feuer übergeben. Die Inquisition hatte für diesen Tag dreizehn Lagen Holz bestellt.
Trotz des Autodafés und der strikten Anwendung der Strafen blieb der Verdacht, die Teufelssekte treibe im Norden weiterhin ihr Unwesen, hartnäckig bestehen, und die Inquisition hatte ein waches Auge über das Gebiet. Einhundertzwei Personen wurden in der Folge verhaftet, und monatelang füllten sich die geheimen Gefängnisse mit Verdächtigen. Sie wurden verhört, bis sie auch das letzte Detail ihrer schändlichen Machenschaften gestanden hatten, ohne dass ihre Angehörigen oder ihre Bekannten auch nur die geringste Idee hatten, wo man sie festhielt.
Unter den Verhafteten befand sich eine Frau, die wegen ihres außergewöhnlichen Aussehens als »Ederra« bekannt war – das baskische Wort für »schön«. Sie reiste von Dorf zu Dorf und bot gegen Kost und Logis ihre Fähigkeiten als Heilerin und Parfümeurin an. Sie kannte sich mit der Heilkraft der Pflanzen aus und verstand sich aufs trefflichste darauf, Trünke, Salben und Pillen herzustellen und sie so zu kombinieren, dass sie die größte Wirkung entfalteten. Ederra verfügte über ein Wissen aus uralter Zeit, das weise Frauen Generation für Generation untereinander weitergegeben hatten. Sie wurde in Zugarramurdi verhaftet, nachdem ein Arzt sie denunziert hatte. Er hatte sich durch den Umstand bedroht gefühlt, dass da eine Frau war, die Impotenz oder die Schmerzen der Geburt weit besser zu bekämpfen vermochte als er. Er sagte den Inquisistoren, das verstieße in jeder Hinsicht gegen das Gebot Gottes, der sich in diesem Punkt klar ausgedrückt hatte. Es hieß schließlich schon in der Genesis, die Frau sollte unter Schmerzen gebären.
Seit die Inquisitoren Ederra, die Schöne, in ihrer Gewalt hatten, war das scheue Mädchen mit Namen Mayo de Labastide d’Armagnac es nicht müde geworden, sie zu suchen, denn ohne Ederra war sie verloren; sie musste sie finden, es war eine Frage von Leben und Tod.
Mayo war bei dem Autodafé auf der Plaza de Santiago dabei gewesen und hatte verzweifelt nach Ederras anmutiger Gestalt Ausschau gehalten – jedoch vergeblich. Sie wusste nicht, ob das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen war. Ederra konnte immer noch mit anderen Verdächtigen in den geheimen Verliesen der Inquisition weilen, oder aber an der Epidemie gestorben sein, von der sie gehört hatte. Doch daran wollte Mayo nicht einmal denken. Ederra konnte nicht tot sein, das müsste sie doch spüren … oder etwa nicht? Denn obwohl seit ihrer Geburt alle Zeichen darauf hindeuteten, war aus ihr keine rechte Hexe geworden. Ihre Zauberkünste funktionierten nur leidlich, und ihre hellseherischen Fähigkeiten ließen sehr zu wünschen übrig.
Niemand hätte sich für das Schicksal der schönen Ederra interessiert, niemand hätte sie vermisst, wären da nicht Mayo de Labastide und der verzauberte Esel Beltrán gewesen, die sich nach dem denkwürdigen Autodafé hartnäckig auf die Suche nach ihr machten. Für Mayo Labastide galt: Solange es Leben gab, gab es Hoffnung. Und sie hatte Hoffnung, alle Hoffnung der Welt, und die Zeit, sie zu nutzen.
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Autoren-Porträt von Nerea Riesco
Nerea Riesco wurde 1974 im baskischen Bilbao geboren. Sie wuchs in Valladolid auf, später zog sie nach Sevilla und studierte dort Journalismus. Sie schreibt Kolumnen für die große spanische Zeitung »El País« und unterrichtet kreatives Schreiben an der Universität von Sevilla. Außerdem arbeitet sie für den spanisch-arabischen Radiosender »Wahatu al Andalus«.
Bibliographische Angaben
- Autor: Nerea Riesco
- 2009, 378 Seiten, Maße: 14,5 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Aus d. Span. v. Sabine Giersberg
- Übersetzer: Sabine Giersberg
- Verlag: FISCHER Scherz
- ISBN-10: 3502101892
- ISBN-13: 9783502101895
- Erscheinungsdatum: 11.11.2009
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