Die Stunde der Seherin
Historischer Roman
Schottland, 11. Jahrhundert: Zwei Frauen kämpfen um ihr Glück - und um die Liebe ...
Durch schicksalhafte Umstände verschlägt es die Schwestern Margaret und Christina an den Hof des schottischen Königs Malcolm. Während die...
Durch schicksalhafte Umstände verschlägt es die Schwestern Margaret und Christina an den Hof des schottischen Königs Malcolm. Während die...
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Produktinformationen zu „Die Stunde der Seherin “
Schottland, 11. Jahrhundert: Zwei Frauen kämpfen um ihr Glück - und um die Liebe ...
Durch schicksalhafte Umstände verschlägt es die Schwestern Margaret und Christina an den Hof des schottischen Königs Malcolm. Während die schöne Margaret sogleich das Interesse des Königs auf sich zieht, fühlt sich die jüngere Christina allein gelassen und zieht sich immer mehr in sich selbst zurück. Doch als die vergötterte große Schwester einem Fluch zum Opfer fällt, der auf einem geheimnisvollen Stundenbuch liegt, kommt wieder Leben in Christina. Um der Schwester zu helfen, nimmt sie das Buch an sich und verlässt die Burg. Gemeinsam mit dem jungen Mönch Niall begibt sie sich auf eine abenteuerliche Reise bis zum Ursprung des Fluches. Doch um das Leben Margarets retten zu können, muss Christina eine schwere Entscheidung treffen und ein großes Opfer bringen ...
Farbenprächtig, fesselnd, dramatisch - eine abenteuerliche Reise zweier ungleicher Schwestern!
Durch schicksalhafte Umstände verschlägt es die Schwestern Margaret und Christina an den Hof des schottischen Königs Malcolm. Während die schöne Margaret sogleich das Interesse des Königs auf sich zieht, fühlt sich die jüngere Christina allein gelassen und zieht sich immer mehr in sich selbst zurück. Doch als die vergötterte große Schwester einem Fluch zum Opfer fällt, der auf einem geheimnisvollen Stundenbuch liegt, kommt wieder Leben in Christina. Um der Schwester zu helfen, nimmt sie das Buch an sich und verlässt die Burg. Gemeinsam mit dem jungen Mönch Niall begibt sie sich auf eine abenteuerliche Reise bis zum Ursprung des Fluches. Doch um das Leben Margarets retten zu können, muss Christina eine schwere Entscheidung treffen und ein großes Opfer bringen ...
Farbenprächtig, fesselnd, dramatisch - eine abenteuerliche Reise zweier ungleicher Schwestern!
Klappentext zu „Die Stunde der Seherin “
Schottland, 11. Jahrhundert: Zwei Frauen kämpfen um ihr Glück und um die Liebe ...Durch schicksalhafte Umstände verschlägt es die Schwestern Margaret und Christina an den Hof des schottischen Königs Malcolm. Während die schöne Margaret sogleich das Interesse des Königs auf sich zieht, fühlt sich die jüngere Christina allein gelassen und zieht sich immer mehr in sich selbst zurück. Doch als die vergötterte große Schwester einem Fluch zum Opfer fällt, der auf einem geheimnisvollen Stundenbuch liegt, kommt wieder Leben in Christina. Um der Schwester zu helfen, nimmt sie das Buch an sich und verlässt die Burg. Gemeinsam mit dem jungen Mönch Niall begibt sie sich auf eine abenteuerliche Reise bis zum Ursprung des Fluches. Doch um das Leben Margarets retten zu können, muss Christina eine schwere Entscheidung treffen und ein großes Opfer bringen
Farbenprächtig, fesselnd, dramatisch eine abenteuerliche Reise zweier ungleicher Schwestern!
Lese-Probe zu „Die Stunde der Seherin “
Der Ton in ihrem Ohr veränderte sich.Als der Sturm sie über Bord gezogen und ins Wasser geworfen hatte, war der Ton quälend schrill gewesen. Peinigend hatte er ihren ganzen Kopf ausgefüllt, hatte sie wie eine Fadenpuppe an der aufgewühlten Wasseroberfläche entlanggezogen. Sie konnte sich daran erinnern, wie ihr Salzwasser ins Gesicht spritzte, aber nicht daran, untergetaucht zu sein oder Wasser geschluckt zu haben.
Der Ton wurde weich.
So weich wie die Kuhle, in die Christina sich dankbar hatte sinken lassen, nachdem sie durch hartes Schilfrohr gekrochen war und sich die Hände an scharfen Blattkanten aufgeschnitten hatte. Das Schilf wogte immer noch drohend vor ihrer Nase, doch es konnte ihr nichts mehr anhaben.
Der Ton nahm Gestalt an.
Er verließ die ausgetretene Spur, auf der er sich sonst bewegte und sie peinigte, und schmiegte sich stattdessen in ihr Ohr, wo er feine Schnörkel formte, Wohlklänge, wunderbare Klänge. ' Christina legte beide Hände auf die Ohren, um die Töne darin zu behalten, damit sie ihren Kopf ausfüllten und sie aus der Kälte davontrugen.
"Allmächtiger Gott, lieber Herr, willst du mich auf die Probe stellen, dass du mir so etwas Schönes in den Weg legst? Ganz bestimmt willst du mich strafen. '"
Christina runzelte die Stirn. Ihr war entsetzlich kalt, aber die Melodie in ihrem Kopf half gegen die Kälte. Sie half ihr immer, sich über Schmerz und Kälte zu erheben, sie half ihr, den Körper eine Stufe höher zu heben, dorthin, wo die Kälte zwar nach ihr griff, sie aber nicht erreichen konnte - wenn niemand störte. Hier aber störte jemand den Ton und ihre innige Zweisamkeit mit ihm, hier verhinderte jemand, dass sie sich entfernen konnte.
"Herr, hab Erbarmen, prüfe mich nicht so Sanft streifte ein Atemzug ihr Gesicht. Dann kam eine Hand, die mit großer Zartheit über ihre Wange strich und wie ein bloßer Gedanke ihre Lippen berührte. Christina schlug die Augen auf. Der Ton verschwand, es wurde still in ihrem Ohr. Nur das Schilf
... mehr
wogte im immer noch böigen Wind an diesem düsteren Tag im Jahre des Herrn 1069. Der Sturm hatte sich beruhigt, und das große Meer hatte endlich seine Wellen eingeholt. Über ihnen schrien Möwen. Es roch nach fauligen Algen - aber nicht nach Salz. Und der Finger war von ihren Lippen verschwunden. "Vergebt. "
Seine Stimme erstarb. Er war jung und schlecht rasiert, das Haar hing ihm in unordentlichen Strähnen über die schmalen Schultern. Seine Augen schimmerten in sanftem Braun. schimmerten ein wenig zu sehr, wie Christina fand. Und er hockte auch ein wenig zu dicht bei ihr. Zumindest ließ seine einfache Kleidung darauf schließen, dass sein Abstand sehr ungehörig war. Vor allem aber wandte er den Blick nicht von ihr. Auch das gehörte sich nicht, doch ihr wurde plötzlich ganz heiß. Einen langen Moment versank sie in diesem Blick.
Die Kälte hatte es nicht gewagt, an ihr hochzukriechen. Christinas Kleider klebten ihr immer noch nass am Körper, und auch an ihrer Lage im schlammigen Schilf hatte sich nichts geändert. Außer dass der Mann sie anschaute und mit seinen Blicken umfing und wärmte. Sie schloss die Augen. Es war gut so.
"Ich bringe Euch, gleich bringe ich Euch vergebt mir - Herr, womit prüfst du mich hier. ich will Euch sagen. der Herr vergebe mir, Er sendet mir Prüfungen. '" Sein Stammeln wurde immer wirrer, und dann fasste er sie an. Christina riss die Augen wieder auf. Alle Töne in ihrem Kopf waren nun verstummt, als wollten sie lautem Geschrei Platz machen, weil er Hand an sie legte. Doch er drapierte nur seinen Mantel um ihre schmalen Schultern. Das tat er ziemlich ungeschickt. Dann entschied er sich zu einem weiteren Schritt und grub ihren Oberkörper aus dem Schlammloch. Sie versuchte instinktiv, sich zu wehren, obwohl das närrisch war, denn er tat ihr ja nichts.
"Vergebt mir." Der Mann fuhr zurück. Bis zu den Knien hockte er im Schlamm vor ihr. Mit einem zerfetzten Ärmel wischte er sich den Schweiß von der Stirn - und das brachte Christina zum Lachen. Wieso schwitzte der Mann? Es war eiskalt, und es hatte angefangen zu regnen.
"In Eurer Welt ist es sicher so warm, dass es auch für mich noch reicht", neckte sie den Fremden, der ihr die schützende Melodie genommen und ihr dafür seine Wärme gebracht hatte. Und weil er über diese Worte zu strahlen begann, streckte sie die Arme aus und ließ sich von ihm aus dem Schlamm ziehen. Als er versuchte, sie hochzuheben, landete sie halb auf seinem Rücken.
"He!", protestierte sie, worauf er sie umgehend freigab und in den Schlamm zurückgleiten ließ.
"Vergebt vergebt, vergebt." Er versuchte es erneut, diesmal anders, einen Arm in ihrem Rücken, den anderen um ihre Beine, doch sie rutschte ihm aus den Händen und landete ein weiteres Mal im Schlamm. Sein entsetztes Gesicht nahm ihr den Ärger. Ihr hilfloser Retter rührte ihr Herz, und so streckte sie wie ein Kind die Hände nach ihm aus, und diesmal fand er den richtigen Griff. Sie war viel kleiner als die meisten Frauen und fügte sich perfekt in das schützende Nest seiner Arme.
"Vergebt meine Ungeschicklichkeit, ich habe so etwas lange nicht mehr gemacht", murmelte er. Auf seiner Stirn erschienen Falten, weil er die Brauen zur Mitte hochzog, vielleicht weil er nicht wusste, was er als Nächstes tun sollte. Einem Impuls folgend, streckte Christina die Hand aus und strich über diese Falten. "Ihr denkt zu viel." Sie lächelte. "Rettet mich doch einfach." Die Falten vertieften sich. Sein Antlitz färbte sich tiefrot, dann hastete er ohne Erwiderung los. Statt zu fragen, wohin er eilte, umfasste sie ihn und legte den Kopf an die kräftige Schulter, während er wie ein Storch durch den fast knietiefen Uferschlamm stakste. Inzwischen keuchte er vor Anstrengung, umklammerte sie aber immer fester. Und seltsam . ' sie war froh, so fest gehalten zu werden. Es fühlte sich gut an, nachdem sie so viele Stunden alleine gewesen war. Waren es Stunden gewesen? Sie wusste es nicht. Und jetzt spielte es auch keine Rolle mehr. Verstohlen steckte sie die Nase an seinen Hals, wo unter feinen Falten seine Ader wild pochte.
"Ich sah das Schiff, die zerstörten Reste, ich sah Eure Leute - das sind doch Eure Leute?" Er schluckte hastig, bevor er weitersprach. Ihr Finger hatte ein Brandmal in seinem Gesicht hinterlassen, ob ihr das klar war? Jeder würde es sehen, würde auch sein schamloses Begehren sehen, welches er fühlte, seit er das Mädchen in diesem Schlammloch entdeckt hatte er verbot sich weitere Gedanken. "Der Sturm der Sturm letzte Nacht hat Bäume umgeknickt, und die Wellen brandeten bis weit in die Bucht hinein, sie fraßen tiefe Löcher ins Ufer und rissen Teile unserer Hütten hinweg." Wieder hielt er an und holte tief Luft, weil ihn das Reden beim Laufen anstrengte. Er war kein Held, der Frauen mühelos über Felsschluchten trug, und sie sah aus, als wüsste sie das. "Ich hörte auch, wie Euer Schiff zerbrach. Doch Gottes Zorn war so groß, dass ich nicht wagte nachzusehen." Er hastete weiter. Plötzlich schämte er sich für dieses feige Versäumnis, weil sie ja wohl auf dem Schiff gewesen war.
"Ihr habt aber doch nachgesehen", unterbrach das Mädchen ihn lächelnd. "Und Ihr habt mich gefunden." Ihre Augen waren so nah und merkwürdig vertraut, obwohl sie sich doch gerade erst kennengelernt hatten. Ihr Angelsächsisch hatte einen hinreißend rollenden Akzent, doch er wagte nicht zu fragen, woher sie kam. Sie war ihm vor die Füße gefallen, vielleicht hatte der Himmel sie dort abgelegt.
Er blieb verzaubert stehen. "Ja. Das habe ich. Ich habe Euch gefunden." Dann schloss er den Mund, aus Angst, etwas wirklich Falsches zu tun, und schaute sie nur noch an.
"Gut", flüsterte sie. In seiner Brust machte sich ein Ziehen bemerkbar, und das nahm ihm die Luft. Vielleicht sah er besser woanders hin - was schwierig war, weil er sie doch so fest an sich gedrückt hielt und eigentlich nur in ihr Gesicht schauen konnte. "Gut", wisperte sie und lächelte dabei ein wenig hilflos. Das Ziehen breitete sich in ihm aus.
"Wie ist Euer Name?"
"Nial", stammelte er.
"Nial", flüsterte sie. Sie sprach seinen Namen anders aus - wunderbar anders. Er schauderte, dachte daran, ihr seine anderen Namen zu nennen, den seines Vaters und den Namen des Ortes im Hochland von Moray, wo er herstammte, nur um zu hören, wie sie das aussprechen würde. Doch sie hatte genug Freude an seinem Namen. "Nial", wiederholte sie entzückt. "Nial. Danke, Nial", raunte sie an sein Ohr. Dann schlang sie ihm den freien Arm um den Hals, und weil er just in diesem Augenblick den Kopf drehte, verrutschte ihr offenbar für die Wange gedachter Kuss auf seinen Mund. Und für einen langen, zauberhaften Moment ließ sie die Lippen dort verharren.
"Verzeiht", lächelte sie dann. "Nein. Verzeiht nicht, Nial."
"Christina! Um Himmels willen - dem Himmel sei gedankt! Christina lebt!", schrie da eine Frau auf. Nial umrundete die letzten Ginsterbüsche, dann hatten sie das Schiffswrack erreicht, das sich wie durch ein Wunder nicht in den Felsen ein paar Steinwürfe weiter gebohrt hatte, sondern auf dem Ufersand auseinandergebrochen war. Christina vergaß, was noch vor wenigen Augenblicken geschehen war, vergaß den Kuss, den Mann - alles. Die Nacht hatte sich zurückgemeldet. Es war kein böser Traum gewesen, der Sturm nicht und auch nicht das Auflaufen des Schiffes.
Da lag es, wie ein bizarr verdrehtes Mahnmal, um die Menschen daran zu erinnern, dass Gott der Allmächtige stark genug war, einen ganz normalen Junimorgen zum letzten Morgen im Leben zu machen, wenn Ihm danach war. Der Sturm hatte mitten in der Nacht gehässig Menschen über Bord gezogen und gegen Felsbrocken geschleudert, er hatte sie den hungrigen Wellen zum Fraß vorgeworfen und die Ertrunkenen hasserfüllt auf den Boden der Bucht gestampft, wo kein Gebet sie je erreichen würde. Sie erinnerte sich. Nachdem das Ruder zerbrochen und der Mast umgestürzt war und ein tiefes Loch in den Schiffsrumpf gerissen hatte, war auch sie über Bord gegangen - sie war geflogen, hatte kaum das Wasser berührt, und dann hatte die See sie auf eine fast fürsorgliche Art getragen, anstatt sie hinabzuziehen, und mit der nächsten Welle hatte es sie in das schlammige Schilfbett gespült. Sie hatte den Schatten des Schiffs noch gesehen, hatte gesehen, wie eine besonders heftige Bö es wie einen leblosen Kadaver ans Ufer geworfen hatte. Und dann ohrenbetäubendes Krachen, Splittern, endloses Ächzen. Schreie - auch daran erinnerte sie sich. Grässliche Schreie . Dann hatte sie das Bewusstsein verloren. "Allmächtiger", flüsterte sie. Tröstend drückte der Mann sie und verlangsamte seine Schritte, als zögerte er, sie dem grauenvollen Bild zu übergeben.
"Lasst mich, Nial." Sie versuchte sich aus seinen Armen zu befreien, und behutsam stellte er sie auf den Boden, ganz dicht bei sich und ohne sie loszulassen, und sie war froh über diese tröstliche Nähe, während sie in stummem Entsetzen den verwüsteten Strand nach Schwester und Mutter absuchte. Bis zuletzt waren sie bei ihr gewesen - und dann auf einmal nicht mehr.
Die Überlebenden lagen erschöpft zwischen Trümmern aus Planken, Kisten und Fässern. Hier und da verliehen angeschwemmte Kleidungsstücke dem schwarzen Ufer eine bizarre bunte Farbe. Ein Hund lief schnüffelnd von einem Stück zum anderen, Raben zankten sich mit Möwen um die Herrschaft über das Schlachtfeld. Noch konnte man sie von den Toten zurückhalten, doch lange würden sie sich von ein paar hilflos geschwungenen Holzstöcken nicht abwehren lassen, es waren viel zu wenig Helfer gegen die Aasfresser. Man hörte leises Weinen, manche jammerten vor Schmerzen. Ein Mann schrie heiser und reckte seinen blutüberströmten Armstumpf in die Luft, doch niemand war da, um ihm die Pein zu nehmen, er würde bis zum Ende aushalten müssen. Gott würde irgendwann vielleicht Mitleid mit ihm haben und ihn von seinen Schmerzen erlösen. Christina erkannte den Priester unter den Toten. Sein aufgedunsenes Gesicht hatte keine Ähnlichkeit mehr mit dem freundlichen Beichtvater von gestern. Von weiter hinten drang monoton aus Frauenkehlen das Paternoster. Überall rannten kopflos Menschen herum und konnten doch nichts gegen das Unglück ausrichten.
"Allmächtiger", flüsterte sie wieder und bohrte ihr Gesicht in Nials zerlumpte Kleider.
Im nächsten Augenblick hatte die Frau Christina erreicht und riss sie schluchzend von ihm weg. Eine zweite stürzte herbei, trat an ihre andere Seite. Bei Gott, Christina war klein und zart wie ein Kind, sie ging den Frauen nur bis zur Schulter. aber er hatte kein Kind in den Armen gehalten. Er wusste, wie willige Frauen sich anfühlten, zum Teufel, das wusste er nur zu gut. Hungrig sah er ihr hinterher, kämpfte gegen den Wunsch, ihr nachzulaufen. Dann sah er nur noch wehendes Frauenhaar zwischen flatternden Mänteln - weißblondes, langes Haar, das im schüchternen Morgenlicht unschuldig leuchtete, und er hörte, wie sie in den Armen der anderen weinte. Er blieb zurück, allein dem heftigen Wind des Nordens ausgeliefert, der ihn dafür strafte, das zu begehren, dem er doch entsagen wollte.
Von zwei Seiten gestützt, wurde sie weggeführt, und er sah ihr nach, immer noch fassungslos über den Kuss, den sie hatte geschehen lassen. Da drehte sie sich noch einmal zu ihm um, bedeutete ihren Frauen anzuhalten, doch die drängten sie weiter, zum trockenen Ufer hin, von wo noch mehr Menschen auf sie zuliefen. Sein Mantel, voll nassem Schmutz und Schilfblättern, umfing ihre schlanke Gestalt wie ein Versprechen, im Gedränge auf sie achtzugeben. Ihr Lächeln auf dem tränenüberströmten Gesicht wärmte sein Herz und überstrahlte die grausige Kulisse.
"Hier, für dich." Ein Mann in Dienerkleidung drückte ihm etwas in die Hand. "Für die Rettung, und Gott segne dich dafür, lässt die Dame Agatha ausrichten."
"Wer ist sie?", fragte Nial, ohne den Blick von dem Mädchen zu lassen. Der Diener zog die Brauen hoch. "Das ist Christina, die Tochter von Prinz Edward, welcher einst König von England werden sollte und dann leider starb. Ihre Mutter ist die Dame Agatha."
Die Namen verwirrten Nial. Weder fiel ihm ein, wer Prinz Edward war, noch wusste er, wer jetzt König in England war.
Es spielte keine Rolle, dass er eine Prinzentochter gerettet hatte. Er wusste nur, dass er das Mädchen Christina schon jetzt schmerzlich vermisste. Der Ring, den man ihm als Belohnung überreicht hatte, fiel ihm aus der Hand. Nials Füße schienen auf dem Fleck festgewachsen zu sein, wo er stand - festgewachsen für alle Zeiten. Wohin sollte er auch gehen, jeder Weg ohne sie schien sinnlos zu sein.
Sie wurde immer kleiner, war zwischen den beiden Frauen kaum noch zu erkennen. Doch ihr offenes Haar schlug im Wind hin und her, als winkte es ihm zu. Sie hatte ihn ins Mark getroffen.
Und weil er immer noch wie verzaubert stehen blieb, wurde er Zeuge, wie das Ufer von einem Pulk Reiter eingenommen wurde, die mit angelegten Waffen auf die Schiffbrüchigen zupreschten.
Die Mutter hatte sie lange umarmt und geküsst und Gott immer wieder gedankt, dass er ihr Mädchen gerettet hatte. "So lange haben wir dich gesucht, Edgar ist sogar noch einmal ins Wasser gestiegen und hat mit ein paar Männern das Schilf durchsucht", schluchzte sie. "Dein Bruder hat viele Menschen aus dem Wasser gezogen. Er ist ein wahrer Held." Sie lächelte unter Tränen, voll Stolz auf ihren jüngsten Sohn. Christina strich ihrer Mutter beruhigend über das immer noch volle Haar. Sie war einst eine Schönheit gewesen, doch Sorgen und Trauer hatten sie immer magerer und kleiner werden lassen. Im Lauf der Jahre hatte sich ihr tiefschwarzes Haar in eine dünne weiße Wolke verwandelt, welche sie stets unter einer Haube verbarg. Jetzt hing es ihr traurig und nass auf die krummen Schultern, und Christina drehte es zärtlich zu einem Knoten, damit es ihr nicht feucht im Nacken hing. Ein Haarband, irgendwer musste doch ein Band oder eine Haarnadel für die Mutter haben. Ein törichter Gedanke, wo andere das Unwetter nicht einmal überlebt hatten. Doch dieser Gedanke hatte ein Ziel - Mutters frisierte Haare -, und vielleicht würde er ein glückliches Lächeln auf ihr Gesicht zaubern. Und so fand sie ihn dann doch nicht so töricht. Suchend drehte sie sich zu den Frauen um, die hilflos herumstanden und nicht wussten, wohin sie gehen und was sie tun sollten - durchnässt, hungrig und orientierungslos standen sie am Strand, von dem sie nicht mal wussten, in welchem Land er lag.
"Ja, Mutter, Edgar ist ein Held", bestätigte sie, obwohl sie diese Ansicht eigentlich nicht teilte. Doch ihre Worte und das Frisieren taten Agatha gut; sie entspannte sich und wollte tatsächlich ein Lächeln versuchen. In diesem Augenblick begann der Boden unter ihnen zu dröhnen, weil ein ganzes Heer den Hügel herabstürmte. Christina traute ihren Augen nicht. Der Wind hatte das Nahen der Reiter heimtückisch bis zuletzt vor ihnen verborgen, und nun gab es kein Entrinnen mehr.
"Habt Mitleid!", schrie Agatha und fiel vor dem ersten Reiter auf die Knie. Christina drehte sich um und rannte zurück zu ihr. "Mutter, bist du närrisch?" Im allerletzten Moment konnte sie die in Panik geratene Frau aus der Gefahrenzone ziehen, schleifte sie durch den Sand und warf sie neben das Pferd. Es scheute vor der hastigen Bewegung und stieg schreiend neben ihnen hoch. Die Hufe schleuderten Schlammklumpen in die feuchte Morgenluft. Wie kleine, bösartige Geschosse prasselten sie auf die Frauen nieder, trafen sie am Kopf, im Gesicht. Christina duckte sich über ihre Mutter. Ihr Herz wollte ihr schier die Brust sprengen vor Aufregung, als jemand dicht neben ihnen vom Pferd sprang und seine Schwertspitze in den Sand bohrte.
"Sicher wisst Ihr .."
"Sicher werdet Ihr Erbarmen mit uns Schiffbrüchigen haben. Gott wird Eure Hände dafür segnen", unterbrach eine Frauenstimme den Ankömmling. Der Wind hatte für einen Moment nachgelassen, um die klare Stimme ihrer älteren Schwester auf leichten Händen tragen zu können. Es wurde still. Das Schwert fiel in den Sand. Vorsichtig hob Christina den Kopf. Vor ihr stand ein Mann, ein Riese in kriegerischer Gewandung mit glänzenden Eisenstulpen bis zu den Ellbogen, und starrte Margaret von England an, als hätte sich ihm eine Erscheinung gezeigt. Das nasse Kleid hing ihr in Fetzen von den Schultern herab, die der Mantel nur ungenügend verbergen konnte, und der Wind ließ ihr goldblondes Haar wie lange, elegante Finger über diese Schultern tanzen. Die Augen des Mannes saugten sich förmlich an der nackten, weißen Stelle fest. Auf ihrem Gesicht erschien ein winziges, verächtliches Lächeln, als sie das erkannte, und mit einer ruhigen Bewegung zog sie den Mantel ein Stück höher, um weiteren lüsternen Blicken zuvorzukommen.
"Vielleicht könnt Ihr uns verraten, an welche Küste der Sturm uns verschlagen hat?", fragte sie, als er sich immer noch nicht bewegte. "Vielleicht sprecht Ihr unsere Sprache? Sprecht Ihr Lateinisch? Griechisch? Französisch? Angelsächsisch? Dänisch?" Mühelos strömten ihr die fremden Worte über die Lippen. Schließlich legte sie die Unterarme übereinander, fügte hinzu: "Ungarisch?" und wartete ruhig auf eine Antwort.
Christina hielt den Atem an. Mit ihrem langen, blonden Haar und den tiefblauen Augen war ihre Schwester selbst in diesen schmutzigen Lumpen und erschöpft von den Strapazen der Sturmnacht noch wunderschön, doch noch nie hatte sie erlebt, dass es einem Ritter derart die Sprache verschlug! Langsam richtete sie sich auf, ohne die Hand von der schluchzenden Mutter zu nehmen. Der Reiter verschlang Margaret mit Blicken, bis ihm wohl auffiel, wie ungehörig das war.
"Ich - ähm." Der Mann bemerkte, dass ihm sein Schwert abhandengekommen war. Hastig bückte er sich und hob es auf. Offenbar war es ein magisches Schwert, denn kaum umschloss seine Hand den Knauf, fand der Mann die Sprache wieder - ein höfisches Angelsächsisch mit spaßigem Akzent, aber gut zu verstehen.
"Edinburgh. Dort, hinter den Hügeln. Ihr seid in in Lothian ähm, der Sturm hat Euch also die Küste."
Margaret lächelte nachsichtig und neigte den Kopf. "Edinburgh in Lothian also, habt Dank."
Seine Stimme erstarb. Er war jung und schlecht rasiert, das Haar hing ihm in unordentlichen Strähnen über die schmalen Schultern. Seine Augen schimmerten in sanftem Braun. schimmerten ein wenig zu sehr, wie Christina fand. Und er hockte auch ein wenig zu dicht bei ihr. Zumindest ließ seine einfache Kleidung darauf schließen, dass sein Abstand sehr ungehörig war. Vor allem aber wandte er den Blick nicht von ihr. Auch das gehörte sich nicht, doch ihr wurde plötzlich ganz heiß. Einen langen Moment versank sie in diesem Blick.
Die Kälte hatte es nicht gewagt, an ihr hochzukriechen. Christinas Kleider klebten ihr immer noch nass am Körper, und auch an ihrer Lage im schlammigen Schilf hatte sich nichts geändert. Außer dass der Mann sie anschaute und mit seinen Blicken umfing und wärmte. Sie schloss die Augen. Es war gut so.
"Ich bringe Euch, gleich bringe ich Euch vergebt mir - Herr, womit prüfst du mich hier. ich will Euch sagen. der Herr vergebe mir, Er sendet mir Prüfungen. '" Sein Stammeln wurde immer wirrer, und dann fasste er sie an. Christina riss die Augen wieder auf. Alle Töne in ihrem Kopf waren nun verstummt, als wollten sie lautem Geschrei Platz machen, weil er Hand an sie legte. Doch er drapierte nur seinen Mantel um ihre schmalen Schultern. Das tat er ziemlich ungeschickt. Dann entschied er sich zu einem weiteren Schritt und grub ihren Oberkörper aus dem Schlammloch. Sie versuchte instinktiv, sich zu wehren, obwohl das närrisch war, denn er tat ihr ja nichts.
"Vergebt mir." Der Mann fuhr zurück. Bis zu den Knien hockte er im Schlamm vor ihr. Mit einem zerfetzten Ärmel wischte er sich den Schweiß von der Stirn - und das brachte Christina zum Lachen. Wieso schwitzte der Mann? Es war eiskalt, und es hatte angefangen zu regnen.
"In Eurer Welt ist es sicher so warm, dass es auch für mich noch reicht", neckte sie den Fremden, der ihr die schützende Melodie genommen und ihr dafür seine Wärme gebracht hatte. Und weil er über diese Worte zu strahlen begann, streckte sie die Arme aus und ließ sich von ihm aus dem Schlamm ziehen. Als er versuchte, sie hochzuheben, landete sie halb auf seinem Rücken.
"He!", protestierte sie, worauf er sie umgehend freigab und in den Schlamm zurückgleiten ließ.
"Vergebt vergebt, vergebt." Er versuchte es erneut, diesmal anders, einen Arm in ihrem Rücken, den anderen um ihre Beine, doch sie rutschte ihm aus den Händen und landete ein weiteres Mal im Schlamm. Sein entsetztes Gesicht nahm ihr den Ärger. Ihr hilfloser Retter rührte ihr Herz, und so streckte sie wie ein Kind die Hände nach ihm aus, und diesmal fand er den richtigen Griff. Sie war viel kleiner als die meisten Frauen und fügte sich perfekt in das schützende Nest seiner Arme.
"Vergebt meine Ungeschicklichkeit, ich habe so etwas lange nicht mehr gemacht", murmelte er. Auf seiner Stirn erschienen Falten, weil er die Brauen zur Mitte hochzog, vielleicht weil er nicht wusste, was er als Nächstes tun sollte. Einem Impuls folgend, streckte Christina die Hand aus und strich über diese Falten. "Ihr denkt zu viel." Sie lächelte. "Rettet mich doch einfach." Die Falten vertieften sich. Sein Antlitz färbte sich tiefrot, dann hastete er ohne Erwiderung los. Statt zu fragen, wohin er eilte, umfasste sie ihn und legte den Kopf an die kräftige Schulter, während er wie ein Storch durch den fast knietiefen Uferschlamm stakste. Inzwischen keuchte er vor Anstrengung, umklammerte sie aber immer fester. Und seltsam . ' sie war froh, so fest gehalten zu werden. Es fühlte sich gut an, nachdem sie so viele Stunden alleine gewesen war. Waren es Stunden gewesen? Sie wusste es nicht. Und jetzt spielte es auch keine Rolle mehr. Verstohlen steckte sie die Nase an seinen Hals, wo unter feinen Falten seine Ader wild pochte.
"Ich sah das Schiff, die zerstörten Reste, ich sah Eure Leute - das sind doch Eure Leute?" Er schluckte hastig, bevor er weitersprach. Ihr Finger hatte ein Brandmal in seinem Gesicht hinterlassen, ob ihr das klar war? Jeder würde es sehen, würde auch sein schamloses Begehren sehen, welches er fühlte, seit er das Mädchen in diesem Schlammloch entdeckt hatte er verbot sich weitere Gedanken. "Der Sturm der Sturm letzte Nacht hat Bäume umgeknickt, und die Wellen brandeten bis weit in die Bucht hinein, sie fraßen tiefe Löcher ins Ufer und rissen Teile unserer Hütten hinweg." Wieder hielt er an und holte tief Luft, weil ihn das Reden beim Laufen anstrengte. Er war kein Held, der Frauen mühelos über Felsschluchten trug, und sie sah aus, als wüsste sie das. "Ich hörte auch, wie Euer Schiff zerbrach. Doch Gottes Zorn war so groß, dass ich nicht wagte nachzusehen." Er hastete weiter. Plötzlich schämte er sich für dieses feige Versäumnis, weil sie ja wohl auf dem Schiff gewesen war.
"Ihr habt aber doch nachgesehen", unterbrach das Mädchen ihn lächelnd. "Und Ihr habt mich gefunden." Ihre Augen waren so nah und merkwürdig vertraut, obwohl sie sich doch gerade erst kennengelernt hatten. Ihr Angelsächsisch hatte einen hinreißend rollenden Akzent, doch er wagte nicht zu fragen, woher sie kam. Sie war ihm vor die Füße gefallen, vielleicht hatte der Himmel sie dort abgelegt.
Er blieb verzaubert stehen. "Ja. Das habe ich. Ich habe Euch gefunden." Dann schloss er den Mund, aus Angst, etwas wirklich Falsches zu tun, und schaute sie nur noch an.
"Gut", flüsterte sie. In seiner Brust machte sich ein Ziehen bemerkbar, und das nahm ihm die Luft. Vielleicht sah er besser woanders hin - was schwierig war, weil er sie doch so fest an sich gedrückt hielt und eigentlich nur in ihr Gesicht schauen konnte. "Gut", wisperte sie und lächelte dabei ein wenig hilflos. Das Ziehen breitete sich in ihm aus.
"Wie ist Euer Name?"
"Nial", stammelte er.
"Nial", flüsterte sie. Sie sprach seinen Namen anders aus - wunderbar anders. Er schauderte, dachte daran, ihr seine anderen Namen zu nennen, den seines Vaters und den Namen des Ortes im Hochland von Moray, wo er herstammte, nur um zu hören, wie sie das aussprechen würde. Doch sie hatte genug Freude an seinem Namen. "Nial", wiederholte sie entzückt. "Nial. Danke, Nial", raunte sie an sein Ohr. Dann schlang sie ihm den freien Arm um den Hals, und weil er just in diesem Augenblick den Kopf drehte, verrutschte ihr offenbar für die Wange gedachter Kuss auf seinen Mund. Und für einen langen, zauberhaften Moment ließ sie die Lippen dort verharren.
"Verzeiht", lächelte sie dann. "Nein. Verzeiht nicht, Nial."
"Christina! Um Himmels willen - dem Himmel sei gedankt! Christina lebt!", schrie da eine Frau auf. Nial umrundete die letzten Ginsterbüsche, dann hatten sie das Schiffswrack erreicht, das sich wie durch ein Wunder nicht in den Felsen ein paar Steinwürfe weiter gebohrt hatte, sondern auf dem Ufersand auseinandergebrochen war. Christina vergaß, was noch vor wenigen Augenblicken geschehen war, vergaß den Kuss, den Mann - alles. Die Nacht hatte sich zurückgemeldet. Es war kein böser Traum gewesen, der Sturm nicht und auch nicht das Auflaufen des Schiffes.
Da lag es, wie ein bizarr verdrehtes Mahnmal, um die Menschen daran zu erinnern, dass Gott der Allmächtige stark genug war, einen ganz normalen Junimorgen zum letzten Morgen im Leben zu machen, wenn Ihm danach war. Der Sturm hatte mitten in der Nacht gehässig Menschen über Bord gezogen und gegen Felsbrocken geschleudert, er hatte sie den hungrigen Wellen zum Fraß vorgeworfen und die Ertrunkenen hasserfüllt auf den Boden der Bucht gestampft, wo kein Gebet sie je erreichen würde. Sie erinnerte sich. Nachdem das Ruder zerbrochen und der Mast umgestürzt war und ein tiefes Loch in den Schiffsrumpf gerissen hatte, war auch sie über Bord gegangen - sie war geflogen, hatte kaum das Wasser berührt, und dann hatte die See sie auf eine fast fürsorgliche Art getragen, anstatt sie hinabzuziehen, und mit der nächsten Welle hatte es sie in das schlammige Schilfbett gespült. Sie hatte den Schatten des Schiffs noch gesehen, hatte gesehen, wie eine besonders heftige Bö es wie einen leblosen Kadaver ans Ufer geworfen hatte. Und dann ohrenbetäubendes Krachen, Splittern, endloses Ächzen. Schreie - auch daran erinnerte sie sich. Grässliche Schreie . Dann hatte sie das Bewusstsein verloren. "Allmächtiger", flüsterte sie. Tröstend drückte der Mann sie und verlangsamte seine Schritte, als zögerte er, sie dem grauenvollen Bild zu übergeben.
"Lasst mich, Nial." Sie versuchte sich aus seinen Armen zu befreien, und behutsam stellte er sie auf den Boden, ganz dicht bei sich und ohne sie loszulassen, und sie war froh über diese tröstliche Nähe, während sie in stummem Entsetzen den verwüsteten Strand nach Schwester und Mutter absuchte. Bis zuletzt waren sie bei ihr gewesen - und dann auf einmal nicht mehr.
Die Überlebenden lagen erschöpft zwischen Trümmern aus Planken, Kisten und Fässern. Hier und da verliehen angeschwemmte Kleidungsstücke dem schwarzen Ufer eine bizarre bunte Farbe. Ein Hund lief schnüffelnd von einem Stück zum anderen, Raben zankten sich mit Möwen um die Herrschaft über das Schlachtfeld. Noch konnte man sie von den Toten zurückhalten, doch lange würden sie sich von ein paar hilflos geschwungenen Holzstöcken nicht abwehren lassen, es waren viel zu wenig Helfer gegen die Aasfresser. Man hörte leises Weinen, manche jammerten vor Schmerzen. Ein Mann schrie heiser und reckte seinen blutüberströmten Armstumpf in die Luft, doch niemand war da, um ihm die Pein zu nehmen, er würde bis zum Ende aushalten müssen. Gott würde irgendwann vielleicht Mitleid mit ihm haben und ihn von seinen Schmerzen erlösen. Christina erkannte den Priester unter den Toten. Sein aufgedunsenes Gesicht hatte keine Ähnlichkeit mehr mit dem freundlichen Beichtvater von gestern. Von weiter hinten drang monoton aus Frauenkehlen das Paternoster. Überall rannten kopflos Menschen herum und konnten doch nichts gegen das Unglück ausrichten.
"Allmächtiger", flüsterte sie wieder und bohrte ihr Gesicht in Nials zerlumpte Kleider.
Im nächsten Augenblick hatte die Frau Christina erreicht und riss sie schluchzend von ihm weg. Eine zweite stürzte herbei, trat an ihre andere Seite. Bei Gott, Christina war klein und zart wie ein Kind, sie ging den Frauen nur bis zur Schulter. aber er hatte kein Kind in den Armen gehalten. Er wusste, wie willige Frauen sich anfühlten, zum Teufel, das wusste er nur zu gut. Hungrig sah er ihr hinterher, kämpfte gegen den Wunsch, ihr nachzulaufen. Dann sah er nur noch wehendes Frauenhaar zwischen flatternden Mänteln - weißblondes, langes Haar, das im schüchternen Morgenlicht unschuldig leuchtete, und er hörte, wie sie in den Armen der anderen weinte. Er blieb zurück, allein dem heftigen Wind des Nordens ausgeliefert, der ihn dafür strafte, das zu begehren, dem er doch entsagen wollte.
Von zwei Seiten gestützt, wurde sie weggeführt, und er sah ihr nach, immer noch fassungslos über den Kuss, den sie hatte geschehen lassen. Da drehte sie sich noch einmal zu ihm um, bedeutete ihren Frauen anzuhalten, doch die drängten sie weiter, zum trockenen Ufer hin, von wo noch mehr Menschen auf sie zuliefen. Sein Mantel, voll nassem Schmutz und Schilfblättern, umfing ihre schlanke Gestalt wie ein Versprechen, im Gedränge auf sie achtzugeben. Ihr Lächeln auf dem tränenüberströmten Gesicht wärmte sein Herz und überstrahlte die grausige Kulisse.
"Hier, für dich." Ein Mann in Dienerkleidung drückte ihm etwas in die Hand. "Für die Rettung, und Gott segne dich dafür, lässt die Dame Agatha ausrichten."
"Wer ist sie?", fragte Nial, ohne den Blick von dem Mädchen zu lassen. Der Diener zog die Brauen hoch. "Das ist Christina, die Tochter von Prinz Edward, welcher einst König von England werden sollte und dann leider starb. Ihre Mutter ist die Dame Agatha."
Die Namen verwirrten Nial. Weder fiel ihm ein, wer Prinz Edward war, noch wusste er, wer jetzt König in England war.
Es spielte keine Rolle, dass er eine Prinzentochter gerettet hatte. Er wusste nur, dass er das Mädchen Christina schon jetzt schmerzlich vermisste. Der Ring, den man ihm als Belohnung überreicht hatte, fiel ihm aus der Hand. Nials Füße schienen auf dem Fleck festgewachsen zu sein, wo er stand - festgewachsen für alle Zeiten. Wohin sollte er auch gehen, jeder Weg ohne sie schien sinnlos zu sein.
Sie wurde immer kleiner, war zwischen den beiden Frauen kaum noch zu erkennen. Doch ihr offenes Haar schlug im Wind hin und her, als winkte es ihm zu. Sie hatte ihn ins Mark getroffen.
Und weil er immer noch wie verzaubert stehen blieb, wurde er Zeuge, wie das Ufer von einem Pulk Reiter eingenommen wurde, die mit angelegten Waffen auf die Schiffbrüchigen zupreschten.
Die Mutter hatte sie lange umarmt und geküsst und Gott immer wieder gedankt, dass er ihr Mädchen gerettet hatte. "So lange haben wir dich gesucht, Edgar ist sogar noch einmal ins Wasser gestiegen und hat mit ein paar Männern das Schilf durchsucht", schluchzte sie. "Dein Bruder hat viele Menschen aus dem Wasser gezogen. Er ist ein wahrer Held." Sie lächelte unter Tränen, voll Stolz auf ihren jüngsten Sohn. Christina strich ihrer Mutter beruhigend über das immer noch volle Haar. Sie war einst eine Schönheit gewesen, doch Sorgen und Trauer hatten sie immer magerer und kleiner werden lassen. Im Lauf der Jahre hatte sich ihr tiefschwarzes Haar in eine dünne weiße Wolke verwandelt, welche sie stets unter einer Haube verbarg. Jetzt hing es ihr traurig und nass auf die krummen Schultern, und Christina drehte es zärtlich zu einem Knoten, damit es ihr nicht feucht im Nacken hing. Ein Haarband, irgendwer musste doch ein Band oder eine Haarnadel für die Mutter haben. Ein törichter Gedanke, wo andere das Unwetter nicht einmal überlebt hatten. Doch dieser Gedanke hatte ein Ziel - Mutters frisierte Haare -, und vielleicht würde er ein glückliches Lächeln auf ihr Gesicht zaubern. Und so fand sie ihn dann doch nicht so töricht. Suchend drehte sie sich zu den Frauen um, die hilflos herumstanden und nicht wussten, wohin sie gehen und was sie tun sollten - durchnässt, hungrig und orientierungslos standen sie am Strand, von dem sie nicht mal wussten, in welchem Land er lag.
"Ja, Mutter, Edgar ist ein Held", bestätigte sie, obwohl sie diese Ansicht eigentlich nicht teilte. Doch ihre Worte und das Frisieren taten Agatha gut; sie entspannte sich und wollte tatsächlich ein Lächeln versuchen. In diesem Augenblick begann der Boden unter ihnen zu dröhnen, weil ein ganzes Heer den Hügel herabstürmte. Christina traute ihren Augen nicht. Der Wind hatte das Nahen der Reiter heimtückisch bis zuletzt vor ihnen verborgen, und nun gab es kein Entrinnen mehr.
"Habt Mitleid!", schrie Agatha und fiel vor dem ersten Reiter auf die Knie. Christina drehte sich um und rannte zurück zu ihr. "Mutter, bist du närrisch?" Im allerletzten Moment konnte sie die in Panik geratene Frau aus der Gefahrenzone ziehen, schleifte sie durch den Sand und warf sie neben das Pferd. Es scheute vor der hastigen Bewegung und stieg schreiend neben ihnen hoch. Die Hufe schleuderten Schlammklumpen in die feuchte Morgenluft. Wie kleine, bösartige Geschosse prasselten sie auf die Frauen nieder, trafen sie am Kopf, im Gesicht. Christina duckte sich über ihre Mutter. Ihr Herz wollte ihr schier die Brust sprengen vor Aufregung, als jemand dicht neben ihnen vom Pferd sprang und seine Schwertspitze in den Sand bohrte.
"Sicher wisst Ihr .."
"Sicher werdet Ihr Erbarmen mit uns Schiffbrüchigen haben. Gott wird Eure Hände dafür segnen", unterbrach eine Frauenstimme den Ankömmling. Der Wind hatte für einen Moment nachgelassen, um die klare Stimme ihrer älteren Schwester auf leichten Händen tragen zu können. Es wurde still. Das Schwert fiel in den Sand. Vorsichtig hob Christina den Kopf. Vor ihr stand ein Mann, ein Riese in kriegerischer Gewandung mit glänzenden Eisenstulpen bis zu den Ellbogen, und starrte Margaret von England an, als hätte sich ihm eine Erscheinung gezeigt. Das nasse Kleid hing ihr in Fetzen von den Schultern herab, die der Mantel nur ungenügend verbergen konnte, und der Wind ließ ihr goldblondes Haar wie lange, elegante Finger über diese Schultern tanzen. Die Augen des Mannes saugten sich förmlich an der nackten, weißen Stelle fest. Auf ihrem Gesicht erschien ein winziges, verächtliches Lächeln, als sie das erkannte, und mit einer ruhigen Bewegung zog sie den Mantel ein Stück höher, um weiteren lüsternen Blicken zuvorzukommen.
"Vielleicht könnt Ihr uns verraten, an welche Küste der Sturm uns verschlagen hat?", fragte sie, als er sich immer noch nicht bewegte. "Vielleicht sprecht Ihr unsere Sprache? Sprecht Ihr Lateinisch? Griechisch? Französisch? Angelsächsisch? Dänisch?" Mühelos strömten ihr die fremden Worte über die Lippen. Schließlich legte sie die Unterarme übereinander, fügte hinzu: "Ungarisch?" und wartete ruhig auf eine Antwort.
Christina hielt den Atem an. Mit ihrem langen, blonden Haar und den tiefblauen Augen war ihre Schwester selbst in diesen schmutzigen Lumpen und erschöpft von den Strapazen der Sturmnacht noch wunderschön, doch noch nie hatte sie erlebt, dass es einem Ritter derart die Sprache verschlug! Langsam richtete sie sich auf, ohne die Hand von der schluchzenden Mutter zu nehmen. Der Reiter verschlang Margaret mit Blicken, bis ihm wohl auffiel, wie ungehörig das war.
"Ich - ähm." Der Mann bemerkte, dass ihm sein Schwert abhandengekommen war. Hastig bückte er sich und hob es auf. Offenbar war es ein magisches Schwert, denn kaum umschloss seine Hand den Knauf, fand der Mann die Sprache wieder - ein höfisches Angelsächsisch mit spaßigem Akzent, aber gut zu verstehen.
"Edinburgh. Dort, hinter den Hügeln. Ihr seid in in Lothian ähm, der Sturm hat Euch also die Küste."
Margaret lächelte nachsichtig und neigte den Kopf. "Edinburgh in Lothian also, habt Dank."
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Autoren-Porträt von Dagmar Trodler
Dagmar Trodler wurde 1965 in der Eifel geboren. Seit 1987 arbeitete sie als Krankenschwester und studierte daneben Geschichte und skandinavische Philologie. Sie beherrscht mehrere nordische Sprachen, und ihre Faszination für das Eintauchen in vergangene Zeiten führte zu dem Entschluss, ihren großartigen historischen Erstlingsroman zu schreiben,
Bibliographische Angaben
- Autor: Dagmar Trodler
- 2011, 1, 414 Seiten, Maße: 14 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Blanvalet
- ISBN-10: 3764502894
- ISBN-13: 9783764502898
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