Die Tage des Raben
Die Götter gönnen der jungen Eifelgräfin Alienor, ihrem geliebten Mann Erik und ihren Töchtern keinen Frieden. Auch Eriks Vaterland im finsteren Norden Europas kann ihnen nicht zur Heimat werden, und sie müssen sich erneut auf den Weg machen. Einen Weg, der sie zurück führt in Eriks Vergangenheit, an den Hof des Guilleaume von der Normandie, von dem Erik einst den Ritterschlag erhielt.
Ihm folgen sie nach England, und das Schicksal will es, dass sie schon bald die Willkür der normannischen Eroberer am eigenen Leib erfahren müssen. Alienors einzige Stütze in diesen dunklen Tagen ist Lionel, ein Mönch, dessen Leben eine geheimnisvolle Verbindung zu ihrem eigenen zu haben scheint...
Als Erik bei einer Belagerung König Guilleaume die Gefolgschaft verweigert und fliehen muss, ist Alienor mit ihren Töchtern in einem fremden Land ganz auf sich gestellt.
Die Tage des Raben von Dagmar Trodler
LESEPROBE
1. KAPITEL
Schweigsam und besonnen sei desKönigs Sohn
Und kühn im Kampf.
Heiter und wohlgemut erweise sichjeder
Bis zum Todestag.
(Hávamál 15)
England.«
»England«, wiederholte ich undversuchte, den merkwürdigen
Laut nachzuahmen, den mein Lehrer soperfekt beherrschte. Er
schüttelte den Kopf.
»Nein, England. Ihr müsst Eure Zungemehr einsetzen. Englllland.
Versucht ein anderes Wort. Jorvik.« Das bereitete mir
keine Schwierigkeiten, wie ichüberhaupt die neue Sprache auf
unserer Reise gut gelernt hatte,aber Cedric war mit meiner Aussprache
nicht zufrieden und feilte bei jederGelegenheit daran herum.
An den Tagen auf See hatte mir dasso manche langweilige
Stunde vertrieben, aber jetzt wurdees mir doch ein bisschen
lästig. Der Spielmann spürte, wieich bockig wurde, und setzte
eine strenge Miene auf.
»Konzentriert Euch. Wer weiß, wofüres einmal gut ist.« Ich
seufzte, zu träge, um wirklichverärgert zu sein. Es war so ein
friedlicher, sonniger Tag, undselbst die Möwen, die uns begleiteten,
kreischten nicht so laut wie sonst.Cedric scharrte mahnend
mit dem Fuß.
»Also gut. Jorvik.Jorrrrr-viiik. Und die Angelsachsen sagen
York. Yorrrrk.«Irgendwie klang dieser Name finster. York
»York. Mit runder Zunge, York. Hier«- er fummelte sich so
umständlich am Mundwinkel herum,dass ich lachen musste -
»hier muss es rund sein. York.England. Ihr lernt sehr schnell,
Alienor von Uppsala.« Damit setzte er seinSpielmannsgesicht
auf und begann zu dichten.
»Eine leichte Zunge ziert ihrenMund,
Worte perlenheraus, fein und rund,
tropfen in mein Ohr,
perlen in mein Herze,
machen süßen Schmerze «
Und mein Lehrer sah mich kecklächelnd an. Seine albernen Verse
hatten mich schon öfteraufgeheitert. Die Sonne schien warm auf
sein braunes und - wie beiSpielleuten üblich - kurz gehaltenes
Haar, das der Seewind verwirbelthatte. Entspannt lehnte er sich
gegen die Reling, rieb sich dasbartlose Gesicht und löste beiläufig
den Knoten seines Hemdverschlusses,den nächsten seiner
drolligen Verse schon auf der Zunge.
»Der Schmerz streicht mir die Brust «
»Wenn du mit meiner Frau tändelst, werf ich dich über Bord.«
Die ruhige Stimme hinter unsverjagte das Lächeln aus Cedrics
Augen. Hastig sprang er auf, stolperteüber die Ruderbank, auf
der wir uns niedergelassen hatten,und entfernte sich auf allen vieren
in Richtung Laderaum, wo die Kindermit Ringaile und Hermann
ein geschütztes Plätzchen gefundenhatten.
Ich drehte mich um. Erik stieg überdie Ruderbank, und mit
einem weiteren langen Schritt stander bei mir. Der Wind spielte
mit seinem offenen Haar, und inseinen Augen blitzte es mutwillig.
Als er besitzergreifendmeine Schulter umfasste, strahlte
ich ihn an.
»Ist dieser Platz noch frei, dame chière?« Erikließ sich so dicht
neben mir nieder, dass keine Federmehr zwischen uns passte.
»Ich erlaube keinem Lehrer, mitmeiner Frau zu tändeln«,
brummte er und schob seinen Armzielstrebig durch unsere
Mäntel hindurch, bis er meine Taillefand. »Wir brauchen keinen
Lehrer, schon gar keinen zerlumptenVerseschmied, und dieser
da hat obendrein falsche Augen.«
Ich küsste ihn auf den Hals. »Hat ernicht.«
»Hat er doch.«
»Ich kann ihm ja sagen, er soll michnicht anschauen.« Und
damit sah ich in die himmelfarbenenAugen des Mannes, dem
ich aller Angst zum Trotz wieder aufein Schiff und aufs Meer
gefolgt war, um Heimat in einem Landzu finden, von dem ich
nur den Namen kannte. England. Englllland.
»Du nimmst mich nicht ernst«,beschwerte er sich, ein Lächeln
in den Augen, und auch um seinenMund zuckte es verräterisch.
»Nicht immer«, flüsterte ich undsuchte den Platz an seiner
Schulter, wo es sich so gut träumenließ.
Welch unermessliches Glück, dortliegen zu dürfen! Ich ließ
meine Gedanken in die Vergangenheitschweifen. Es hatte eine
Zeit gegeben, da war Erik meinStallknecht gewesen und ich die
junge Gräfin von Sassenberg, undderartige Vertraulichkeiten
waren undenkbar gewesen. Damals, indem Jahr, welches die
Klosterschreiber 1065 nannten, hattemein Vater, der Freigraf zu
Sassenberg in der Eifel, ihn alsWilderer auf der Jagd gefangen
und in den Kerker gesperrt. Als allepeinlichen Verhöre nach
seiner Herkunft nichts ergaben,hatte er ihn mir als Knecht geschenkt
in der Hoffnung, dass ichherausfand, woher der
Fremde kam. Zärtlich strich ich überseinen Arm.
»Du willst dich alsoentschuldigen?«, flüsterte er.
»Wofür?«, fragte ich zurück.
»Naaa, für hm, dafür, dass du anderen Männern erlaubst,
mit dir zu tändeln. Ich werf ihn über Bord.« Er hatte den Arm
so selbstverständlich um meine Hüftegeschlungen, dass mein
Herz hüpfte vor Glück. Ja, ich hatteam Ende herausgefunden,
wer der schöne Fremde war - einPrinz aus schwedischem Königsgeschlecht.
Doch da war es schon zu spätgewesen, ich hatte
ihm das Leben gerettet und mich inihn verliebt das eine so
unstandesgemäß wie das andere: Manverliebt sich nicht in einen
Reitknecht. Man verliebt sich auchnicht in einen Prinzen. Doch
der Prinz hatte mich mitgenommen -entführt, kurz vor meiner
vom Vater arrangierten Hochzeit miteinem seiner Vasallen. Und
so war ich ihm ins Land seiner Ahnengefolgt, nach Schweden,
wo die Winternächte lang und dunkelsind und wo man heidnische
Götter unter Bäumen und anHausaltären verehrt.
Schwermut durchflutete mein Herz,als ich den Kopf drehte
und sein edles Profil betrachtete.Alles hatte so vielversprechend
begonnen. Man hatte ihn begeistertwillkommen geheißen, und
auch der König der Svear, Stenkil Ragnavaldsson, hatte ihn sogleich
in seine Runde aufgenommen. Einzigseine Mutter hatte
sich geweigert, mich in ihrem Hauszu begrüßen. Damit hatte das
Schicksal seinen Lauf genommen, dennder Grund dafür war eine
vor Jahren vereinbarte Verlobung,die für Erik längst ihre Gültigkeit
verloren hatte. Inzwischen teilte erja mit mir sein Leben.
Die Intrigen, die gegen ihngesponnen wurden, gipfelten nach
dem Tod König Stenkilsin einem Kampf um Thron und Ehre, den
er verlor. Eine Orgie von Blut undGewalt schwappte über das
Land, stolze und tapfere Männerverloren ihr Leben, Christen
wurden nach Jahren des Friedenswieder verfolgt und sogar ein
Bischof des Landes verwiesen. Mitden beiden Kindern, die ich
im Svearlandgeboren hatte, war ich nach Norden in eine Berghütte
der Familie geflohen, wo wir unsbeinahe drei Jahre lang
versteckt hielten, während Erik indie Verbannung gegangen war
- in dem Glauben, ich hätte sie ihmeingebrockt. Das hatte ich in
gewisser Weise auch - undSchuldgefühle plagten mich ob meiner
unüberlegten Handlungen bis heute.Die Jahre seiner Verbannung
waren die schwersten meines Lebensgewesen
Ich schlang die Hand um seinenUnterarm, wo die tätowierten
schwarzen Schlangen immer noch aufder Haut saßen und
wachten. Manchmal, wenn wirbeieinander lagen, erwachten sie
zum Leben Möwen umkreistenschreiend den hohen Mast,
und das Segel knatterte geschwätzigim Wind. Die Schwermut
wich ein wenig. Meine dritteSchiffsreise war friedlich verlaufen.
Viele sonnige Tage waren an uns vorübergezogen, auf einem
friedlichen Nordmeer, dasspielerisch seine Wellen gegen den gewergten
Bug unseres Schiffes klatschen ließund kein einziges
Mal die Finger nach einem von unsausstreckte. Trotzdem vermied
ich es, zu oft über die Reling zublicken. Immerhin hatte
ich das Meer auch schon anderserlebt, damals, als wir ins Land
der Sveargezogen waren.
© Verlagsgruppe Random House
- Autor: Dagmar Trodler
- 2005, 541 Seiten, Maße: 14,5 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Blanvalet
- ISBN-10: 3764501707
- ISBN-13: 9783764501709
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