Die Tagesschau erklärt die Welt
Das unterhaltsame Wissensbuch für Groß und Klein. Anschaulich und kompetent wird die Gegenwart dargestellt: Grundwissen über Politik, Wirtschaft, Kultur, Wissenschaft, Technik und Umwelt, das die Nachrichten verständlicher macht.
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Die Tagesschau erklärt die Welt von SylkeTempel
LESEPROBE
2. Ausland
Neue Weltordnungen
Zwei fette Jungs in einem Ring
Der Staatsbesuch war im GrundeRoutine. US-Präsident Ronald Reagan würde nach Berlin reisen, Politikertreffen, Hände schütteln, ein paar nette Reden halten und dann wiederverschwinden. Doch die Rede, die er an jenem 12. Juni 1987 auf einer Plattformvor dem vermauerten Brandenburger Tor hielt, sollte seine berühmteste werden,und der Schlusssatz, der mittels Lautsprechern auch im Ostteil der Stadt gut zuhören war, wurde beinahe ein geflügeltes Wort: « Mr. Gorbatschow, reißen Siediese Mauer nieder! » Die Formulierung war eher zufällig in das Redemanuskriptgelangt, und Reagan, der ehemalige Schauspieler mit Sinn für Dramatik, fandsie griffig. Seine deutschen Gastgeber aber lächelten nachsichtig über den«typisch amerikanischen», naiven Optimismus des Präsidenten. Diese Mauer, sowar man überzeugt, würde noch lange stehen.
Dass sie ausgerechnet am g. November1989 fiel, überraschte letztlich sogar die Führung der DDR. Günter Schabowski,Sprecher des DDR-Politbüros, hatte in einer Pressekonferenz an jenem Abendeine erhebliche Lockerung der Ausreisebestimmungen verkündet. Das gelte, fügteer erst auf Nachfrage eines Journalisten hinzu, ab sofort. Tausende Ostberlinermachten sich noch in derselben Nacht auf, um endlich über die Boulevards imWestteil der Stadt zu schlendern. Die DDR-Grenzsoldaten, überwältigt vomAnsturm, stellten die Kontrollen ein. Fernsehteams aus der ganzen Welt filmten,wie Tausende auf die Mauer kletterten und feierten oder dem Beton mit Hammerund Meißel zu Leibe rückten.
Der Fall der Mauer markierte eineZeitenwende. Mit ihr verschwanden die DDR und die kommunistischen Regime Osteuropasvon der weltpolitischen Bildfläche. Zwei Jahre später, am erstenWeihnachtsfeiertag des Jahres 1991, war es mit der Sowjetunion ebenfalls zuEnde. Der Vorsitzende der Kommunistischen Partei, Michail Gorbatschow, musste dieStaatsführung an Boris Jelzin abgeben. Über der sowjetischen Machtzentrale inMoskau, dem Kreml, wehte fortan nicht mehr die rote Fahne der Sowjetunion,sondern die blau-weiß-rote der Russischen Föderation. Die Supermacht begab sichauf einen langen und holprigen Weg in die Demokratie (siehe Kapitel 4).Der Kalte Krieg war beendet. Und damit auch ein System, das jahrzehntelang dieWelt geprägt hatte.
Die Mauer stand nicht nur für dieTeilung Berlins und Deutschlands, sondern für eine globale Teilung: in die«westliche Welt» der kapitalistischen Demokratien, die «sozialistische Welt»unter Führung der Sowjetunion - und «den Rest»: Entwicklungsländer, die als«Dritte Welt» entweder die finanzielle und politische Unterstützung einer derbeiden Supermächte genossen oder sich als «blockfreie Staaten» zusammenschlossen,weil sie keinem der beiden ideologischen Lager angehören wollten.
Das Weltgeschehen ließ sich relativeinfach erklären: Was zählte, waren Stärke und Durchsetzungsfähigkeit. Es ging umEinflussbereiche und die Erhaltung von Stabilität, um die Stärke von Panzer-und Luftwaffendivisionen, die Anzahl und Reichweite von Atomwaffen und um«nukleare Abschreckung»: Beide Supermächte verfügten über ein riesiges Arsenalvon Massenvernichtungswaffen, mit dem sie die Welt gleich mehrfachhätten zerstören können. Und beide setzten darauf, dass der andere vernünftiggenug wäre, das eigene Überleben nicht aufs Spiel zu setzen, keinen dritten,alles vernichtenden Weltkrieg zu riskieren und eine Politik der Entspannung zubetreiben.
Auf der internationalen Bühnebestimmten USA und Sowjetunion den Lauf der Dinge. In Afrika und Asien, wo dieeuropäischen Kolonialreiche nach dem Zweiten Weltkrieg langsam zerfallen waren,lieferten sie sich nicht nur in Korea, Vietnam und Angola «Stellvertreterkriege»:Die neuen Staaten waren oftmals ungenügend auf ihre Unabhängigkeit vorbereitet;es fehlten politische Eliten, die verlässliche Institutionen aufbauen konnten;und in der Mehrzahl waren sie mit willkürlich gezogenen Grenzen «gesegnet», dieverschiedene ethnische Gruppierungen in einem neuen « Nationalstaat»zusammenwürfelten oder voneinander trennten. Zahlreiche Bürgerkriege waren dieFolge, wobei die jeweiligen Kriegsparteien von den Supermächten danachbeurteilt wurden, ob sie zu «unserem» oder «deren Lager» zählten. Wer sich,gleich ob Rebell oder Regierungsmacht, als Freund des Westens ausgab, durfteauf den Beistand der USA zählen. Wem die Errichtung eines sozialistischenGesellschaftssystems vorschwebte, auf den der Sowjetunion.
Aber die beiden Supermächte konntensich auch miteinander verständigen und die Stellvertreterkriege beenden, indemsie ihre Unterstützung für eine der Parteien einstellten oder befreundeteRegierungen zur Ordnung riefen. Selbst die neutralen Staaten waren vorsichtigdarauf bedacht, es sich nicht mit einem der beiden Riesen zu verscherzen.«Müsste man den Kalten Krieg als Sport darstellen», meint der amerikanischePolitologe Michael Mandelbaum, « so wären die Supermächte Sumo-Ringer. Zweifette Jungs im Ring, die sich nach festgelegten Ritualen mächtig aufplusternund mit den Füßen stampfen, aber bis zum Ende des Wettkampfs kaum inKörperkontakt treten. Dann wird relativ schnell einer der beiden aus dem Ringgedrängt, und die Sache ist erledigt.»
Nach dem Zusammenbruch derSowjetunion blieb mit den USA nur noch einer der «fetten Jungs» übrig, der von keinemvergleichbar starken Gegenspieler mehr in Schach gehalten wird und über mehrMacht verfügt als je zuvor seit 1945. Am Mattenrand machen sich neue Kandidatenzum Sumo-Ringen bereit. China bringt als bevölkerungsreichstes Land der Erdeund nach einem Jahrzehnt ungeheuren wirtschaftlichen Aufschwungs einige Pfundeauf die Waage. Das abgemagerte Russland sehnt sich nach den glorreichen Tagenals Supermacht. Die Europäische Union sähe sich gerne als Gegengewichtzu den USA, kann sich aber oft genug nicht auf eine gemeinsame Linie einigen.Brasilien und Indien verstehen sich längst nicht mehr als Entwicklungsländer,die auf das Wohlwollen und die Finanzhilfe der reichen Industriestaatenangewiesen sind, und machen ihren Einfluss geltend. Aber heißt die Sportart,die in der internationalen Arena gespielt wird, überhaupt noch Sumo-Ringen?Wird nicht schon längst ein neuer Wettkampf ausgetragen?
Ganz bestimmt, meint deraußenpolitische Kolumnist der «New York Times », Thomas Friedman; der neueWettbewerb heiße «Hundert-Meter-Lauf, in dem alle immer wieder von neuembeginnen müssen». Denn während Journalisten und Politologen zu Beginn derneunziger Jahre noch von der «Ära nach dem Kalten Krieg» sprachen, war bereitsein anderes System entstanden: Globalisierung.
© Rowohlt Berlin Verlag
- Autor: Sylke Tempel
- Altersempfehlung: Ab 13 Jahre
- 2006, 4. Aufl., 272 Seiten, mit farbigen Abbildungen, Maße: 16,6 x 24 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Rowohlt, Berlin
- ISBN-10: 3871345490
- ISBN-13: 9783871345494
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