Die TV-Falle
Das gab es noch nie: Ein ehemaliger Senderchef erklärt, wie Fernsehen funktioniert. Ein faszinierender Einblick in die Welt von Topstars, TV-Bossen, Medienverflechtungen und Werbemillionen.
Drei Jahre war er Chef von Sat.1, führte den "Bällchensender"...
Das gab es noch nie: Ein ehemaliger Senderchef erklärt, wie Fernsehen funktioniert. Ein faszinierender Einblick in die Welt von Topstars, TV-Bossen, Medienverflechtungen und Werbemillionen.
Drei Jahre war er Chef von Sat.1, führte den "Bällchensender" über einen radikalen Imagewechsel ("Sat.1 zeigt's allen") zum wirtschaftlich größten Erfolg der Sendergeschichte. Unterhaltsam und durchaus selbstkritisch schildert Roger Schawinski den spannenden Alltag eines Senderchefs und spart nicht mit interessanten Details: Wie wird ein erfolgreiches Fernsehprogramm gemacht? Wirkt sich der Kampf um die Quote auf die Qualität aus? Was wissen die Macher über die Zuschauer? Wie kam das Sendeformat der Telenovela nach Deutschland? Wer entschied, welcher Mann Lisa Plenske in der letzten Folge von "Verliebt in Berlin" an den Traualtar führen durfte?
Nicht zuletzt kommt der erfolgreiche Medienpionier auf die Verbindungen zwischen Politik, Produktionsgesellschaften, Printmedien und Fernsehen zu sprechen und regt dazu an, Fernsehkultur und rechtliche Rahmenbedingungen für das einflussreichste Medium der Gegenwart neu zu diskutieren.
Die TV-Falle von Roger Schawinski
LESEPROBE
Die Verhandlungen mit Alexandra Neldel standenkurz vor dem Durchbruch. Ich hatte unserem Star aus Verliebt in Berlin einfinanziell einmaliges Angebot für die äußerst wichtige halbjährige Verlängerungunserer Telenovela gemacht, das sie schlichtweg nichtablehnen konnte. Doch dann warf sie eine zusätzliche Bedingung in die Runde,die uns in höchste Aufregung versetzte: Sie würde nur unterschreiben, ließ sieuns über ihren Anwalt wissen, wenn wir ihr vertraglich zusichern würden, dasssie im großen Finale als Lisa Plenske nicht wievorgesehen David (Mathis Künzler), sondern seinenRivalen Rokko (Manuel Cortez)heiraten werde.
Von Beginn an hatte es auf dem Set zwischen ihr und Mathis Künzler gekriselt, wie es bei solchen Produktionen immer wiedervorkommt. Als gegen Ende des ersten Sendejahres ein zweiter männlicherHauptdarsteller in die Telenovela eingeführt wurde,sah sie die Möglichkeit für den endgültigen Triumph über ihren Kontrahenten:Sie würde ihm das große Finale versauen und Rokkoheiraten. Sie hatte begriffen, dass sie nun die Macht besaß, und niemand sonst.Durch harte Arbeit und großartige Leistungen war sie an einem Punkt angelangt,wo sie sich wie eine Diva benehmen konnte. Weshalb also sollte sie ihrePosition nicht in einer Sache ausspielen, die ihr wichtig war? Das ist es doch,weshalb es sich lohnt, ein Star zu sein, wie wir aus so vielenHollywood-Geschichten erfahren durften.
Wir analysierten eingehend unsere Position. Schließlich entschied ich, dasswir in dieser Frage nicht nachgeben durften. Wir mussten dafür sogar das Risikoeiner Absage in Kauf nehmen, denn sonst würden wir das Allerwichtigste, nämlichdie Glaubwürdigkeit des Formats, in höchstem Maße gefährden.
»Der Zuschauer soll entscheiden, wen du heiraten wirst«, erklärte ich Alexandra.»Kurz vor Schluss werden wir mit einer Marktforschung ergründen, mit wem dunach Meinung der Mehrheit der Fans vor den Altar treten sollst. Und so wird es danngeschehen.« Um diesem Argument zusätzliches Gewicht zugeben, verbesserten wir noch einige finanzielle Rahmenbedingungen underreichten so, dass Alexandra Neldel den Vertrag zumletztmöglichen Zeitpunkt unterschrieb - und dann Monate später David mit großerHingabe und zur riesigen Begeisterung ihres Publikums doch noch heiratete.
Der Ablauf ist immer derselbe: Zu Beginn ist es jeweils der Sender, der amDrücker ist. Er entwickelt die Projekte, er entscheidet über die Besetzung.Neben den zuständigen Redaktionsleitern ist immer auch der Senderchef bei derVergabe der wichtigsten Parts involviert. Wird dann ein großes Projekterfolgreich, drehen sich die Machtverhältnisse schnell in ihr Gegenteil. DieHauptdarsteller werden oft innerhalb von Monaten zu Stars, auf die nunumgekehrt der Sender angewiesen ist. Zwar ist eine TV-Serie das Produkt der Leistungenvon sehr vielen Menschen, die mit ihrer Arbeit, ihrem Engagement und ihrerInspiration zum Gelingen beitragen. Von all diesen Personen schafft es alleinder Hauptdarsteller oder die Hauptdarstellerin zu Geld und Ruhm zugleich. Unddazu auch noch zu Macht, die nicht nur von internationalen Filmstars, sondernauch von einigen Quotenbringern im deutschen Fernsehen ins Spiel gebracht wird,wie wir hie und da erfahren mussten.
Die Verwandlung von der unauffälligen, unansehbaren Raupe zum strahlenden Schmetterlingist etwas, das in einem voll mediatisierten Umfeld nicht von allen Menschenohne einschneidende Veränderung der Persönlichkeitsstruktur bewältigt werden kann.Die unsäglich langen Fototermine und die herausgezögertenAuftritte auf den omnipräsenten roten Teppichenführen bei vielen neuen Stars zu einem veränderten Selbstverständnis, das dieKommunikation in ihrem beruflichen und privaten Umfeld erschwert. Einige wenigeSätze als Moderator einer obskuren Sendung irgendeines Senders, und schon istman ein neuer Mensch mit eigenem »Management«, das von nun an gegen eine kräftigeProvision jeden beruflichen Schritt begleitet.
Eine der Kernaufgaben eines Senderchefs ist die Betreuung seinerSendergesichter. Sie hat er zu hegen und zu pflegen, ihnen hat erAufmerksamkeit, Verständnis und Zuneigung zu schenken. Ihnen gratuliert er zumGeburtstag und zu Weihnachten, sie besucht er auf dem Set einer Show oder einesDrehs, um sein besonderes Interesse an diesem einen Projekt zu demonstrieren. Erversichert ihnen, dass er im Rahmen seiner Möglichkeiten nichts unversuchtlassen wird, um für den größtmöglichen Support für diese Sendung in Form vonWerbung und Trailer zu sorgen. Er ruft seine Sendergesichter bei guten Quotenan, um zu gratulieren, und bei schlechten, um zu trösten. Er liefert ein Rundum-Wohlfühlpaket, wohl wissend, dass viele seinerTopstars in ständiger Angst vor einem Quotenflop leben, der ihre Karriereruinieren könnte. Die Unsicherheiten des Fernsehgeschäfts und dieKurzfristigkeit der meisten Verträge sind ideale Nährböden zum Heranzüchten vonneurotischen Persönlichkeitsstrukturen.
Die permanente Gefahr, aus dem Kreis der Privilegierten vertrieben zuwerden, aus der Community der Schönen, Reichen undBerühmten, führt nur allzu leicht zu seelischen Verkrümmungen.
Längst nicht alle Sendergesichter verhalten sich so. Viele TV-Topleute begegnetenmir wie Menschen, die nicht ununterbrochen nach einer Kaskade von Komplimentenlechzen. Cordula Stratmann ist nie in Gefahr geraten, die Bodenhaftung zuverlieren oder in eine der überall bereitgestellten Fallen zu tapsen, ebensowenig Angelika Kallwass, Ingo Lenßen,Barbara Salesch, Bastian Pastewka,Alexander Hold, Kai Pflaume und viele mehr, die ich hier nicht alle aufzählenkann. Durch absolute Gelassenheit zeichnet sich Hugo Egon Balder aus.Vielleicht ist eine langjährige Erfahrung mit brutalen beruflichen Abstürzenhilfreich, um den aktuellen Erfolg unverkrampft und angstfrei genießen zu können.Ebenso nützlich scheint das Wissen, dass es ein Leben nach dem aktuellen Hype geben kann, und dass selbst ein Fall um hunderte vonPositionen auf der Star-Control-Liste der Bunten keineVerdammung in die ewige Bedeutungslosigkeit ist.
Ein Beispiel möchte ich hier etwas ausführlicher darstellen, weil es aufbesonders deutliche Weise aufzeigt, wie sich dieses delikate Verhältniszwischen Senderchef und Sendergesicht entwickeln kann. Es ist die Geschichtezwischen Sat.1 und Ottfried Fischer, bekannt als Bulle von Tölz.
An meinem allerersten Arbeitstag bei Sat.1 legte man mir eine Liste vonTelefonaten vor, die ich unverzüglich machen sollte, um mich bei denwichtigsten Personen vorzustellen. Ganz weit oben stand der Name von OttfriedFischer. Die mitgelieferte Information machte mich erstmals stutzig: Es sei vorallem wichtig, dass ich ihn vor seinem Produzenten Ernst von Theumer anrufe, sonst gäbe es Probleme.
Der Anruf verlief wie die meisten anderen. Ottfried Fischer war sichtlicherfreut, und wir vereinbarten, uns bald zu einem Essen zu treffen. Stunden später,als ich von Theumer am Apparat hatte, sagte er mirohne Umschweife: »Der Otti hat mich sofort nach IhremTelefonat freudestrahlend angerufen und erzählt, dass Sie ihn vor mirkontaktiert haben.« Offenbar war mir die Hackordnung korrektübermittelt worden. Ich war noch in kein Fettnäpfchen getreten, die breitgestreut herumlagen, wie ich bald erfahren sollte.
Das Essen fand einige Wochen später in der Trattoriaim Münchner Ausgehviertel Schwabing statt. Im Vorfeldteilte man mir einige Benimmregeln mit, die ich beachten sollte. Als erstes wardas eine Beschreibung von Fischers Frau Renate, die auch gleichzeitig als seineManagerin auftrat. Die attraktive ehemalige Radiomoderatorin sei diebestimmende Figur, sehr extravertiert, sehr dominierend, während er, dergroßartige, politisch profilierte Kabarettist und erfolgreiche TV-Schauspieler,meist schweigend daneben sitze. Es gehe vor allem darum, mit ihr einVertrauensverhältnis aufzubauen. Wichtig sei aber zusätzlich, dass ichdurchhalte.
Mein Vorgänger Martin Hoffmann habe es jeweils bis mindestens zwei Uhr frühgeschafft und den Fischers kräftig mitgeholfen, Flasche um Flasche Wein zuleeren. Und manchmal, etwa nach einem Essen beim Griechen in Ottis Wohnort Gauting, habe man anschließend auf denwenigen hundert Metern bis zu Ottis Haus noch einenkleinen Zwischenhalt eingelegt, um sich in einer Bar für die letzte Wegstreckemit Hochprozentigem zu stärken. Hoffmann sei von diesen München-Besuchenjeweils aschfahl im Gesicht nach Berlin zurückgekehrt.
Ich traf die beiden Fischers gutgelaunt an ihrem Stammtisch. Nach einerhalben Stunde waren wir per du und mit zunehmendem Alkoholflossen immer mehr Anekdoten. Eine der ersten waren detaillierte Schilderungender Besuche meines Amtsvorgängers, die Renate ohne Umschweife so erzählte, dassüberdeutlich wurde, dass von mir eine ähnliche Sitz- und Trinkleistung erwartetwerde. Doch ich hatte meinen Fahrer bewusst auf elf Uhr bestellt undverabschiedete mich pünktlich mit Hinweis auf mein pickelhartes Programm am nächstenTag. Ich wollte klar signalisieren: Ja, ich kümmere mich persönlich um meineStars, aber in meinem eigenen Stil. ( )
© Verlag Kein & Aber
- Autor: Roger Schawinski
- 2007, 256 Seiten, mit zahlreichen Abbildungen, Maße: 13,7 x 21,2 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Kein & Aber
- ISBN-10: 3036955054
- ISBN-13: 9783036955056
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