Die Verschwörung des Bösen
Der Kampf um ein gewaltiges Reich geht weiter. Noch immer versucht Sesostris III. verzweifelt, sein auseinanderbrechendes Reich zu retten. Er ahnt nicht, dass ihm tödliche Gefahr droht: Der rachsüchtige junge Schreiber Iker und die schöne Bina, die zu den...
Der Kampf um ein gewaltiges Reich geht weiter. Noch immer versucht Sesostris III. verzweifelt, sein auseinanderbrechendes Reich zu retten. Er ahnt nicht, dass ihm tödliche Gefahr droht: Der rachsüchtige junge Schreiber Iker und die schöne Bina, die zu den Aufständischen gehört, planen ein Attentat.
Osirisvon Christian Jacq
LESEPROBE
Die Akazievon Osiris schien zu sterben. Sollte der Baum desLebens eingehen, konnten die Mysterien der Auferstehung nicht mehr gefeiertwerden und Ägypten müsste zugrunde gehen. Ohne sein Geheimnis wäre es zur Bedeutungslosigkeitverdammt und, wie so viele andere Länder auch, dem Ehrgeiz einiger weniger, derBestechlichkeit, der Ungerechtigkeit, der Lüge und der Gewalt ausgeliefert. Deshalbrang Sesostris III. mit letztem Einsatz um den Erhaltdieses unermesslich kostbaren Erbes seiner Vorfahren, das er seinem Nachfolgerübergeben wollte. Der über zwei Meter große, scharfsichtige Hüne mit seinenfünfzig Jahren führte einen äußerst schwierigen Kampf, aus dem er trotz seinernatürlichen Autorität, seinem Mut und seiner Entschlossenheit nicht ohneweiteres als Sieger hervorgehen würde. Mit seinen tief liegenden Augen, denschweren Lidern, den markanten Wangenknochen, seiner geraden, schönen Nase unddem geschwungenen Mund wirkte Sesostris geradezuunergründlich. Musste man nicht annehmen, dass er mit seinen großen Ohren auchdas leiseste Wort hören konnte, das tief in einer Höhle geflüstert wurde? DerPharao begoss den Baumstamm mit Wasser, seine Gemahlin tat das Gleiche mitMilch. Sie hatten ihre Armreifen und Halsketten aus Gold und Silber abgelegt,weil das Gesetz von Abydos kein Metall im Reich von Osiris duldete. Abydos war derspirituelle Mittelpunkt des ägyptischen Universums, das Land der Stille, dasReich der Aufrichtigkeit, die Insel der Gerechten, über der die Seelen wieVögel schwebten und die von den unvergänglichen Sternen behütet wurde. Hierherrschte Osiris, das Wesen, das ständigwiedergeboren wurde, der schon geboren war, ehe es Geburt gegeben hatte, der Schöpferdes Himmels und der Erde. Er hatte über den Tod triumphiert und war in Gestaltder großen Akazie wiederauferstanden, die ihre Wurzeln in den Nun tauchte, denOzean der Energie, aus dem alles Leben entstand. Zwar wirkte die Menschheitinmitten dieser gewaltigen Größe wie verloren, doch nun drohte sie jedenAugenblick unterzugehen. Angesichts der ernsten Lage hatte Sesostriseinen Tempel und eine ewige Ruhestätte bauen lassen, um so eine spirituelle Kraftzu erzeugen, die die Akazie retten sollte. Der Verfall wurde zwar aufgehalten,aber nur ein einziger Ast des Lebensbaums war wieder ergrünt. DieNachforschungen, die angestellt worden waren, um die Ursache für dieseKatastrophe und ihren Urheber zu entdecken, mussten jeden Augenblick zuErgebnissen führen, sollte der Angriff, den der Pharao gegen den ProvinzfürstenChnum-Hotep plante, weil man diesen für denDrahtzieher des Verbrechens hielt, noch aufgehalten werden. Ausgestattet mitder goldenen Palette, dem Symbol für seine Stellung als Oberpriester von Abydos, verlas der Pharao die Sprüche der Erkenntnis, dieauf ihr festgehalten waren. Hinter ihm waren die wenigen ständigen Priesteraufgereiht, denen es gestattet war, im Inneren dieses heiligen Bereichs zuleben, in den jeden Tag Priester zum Arbeiten kamen, nachdem sie von denSicherheitskräften durchsucht und überprüft worden waren. Der Kahle war deroffizielle Stellvertreter des Königs, entschied aber nichts ohne dieausdrückliche Zustimmung des Souveräns. Als Verantwortlicher für die Archivevom Haus des Lebens hatte der Kahle sein ganzes Leben in Abydosverbracht, und er verspürte keinerlei Neigung, zu neuen Zielen aufzubrechen.Barsch und ohne Umschweife erfüllte er jene Aufgaben, die den ständigenPriestern anvertraut waren, und duldete keinen Fehler. Hatte man das Glück,dieser auf eine kleine Zahl begrenzten Gruppe angehören zu dürfen, war jede persönlicheSchwäche untersagt. »Sind die Vorfahren angemessen verehrt worden?«, wollte der König wissen. »Der Diener des ka ist seiner Aufgabe nachgekommen. Die spirituelleEnergie der Lichtwesen erreicht uns noch immer, die Verbindung zum Unsichtbarenerweist sich nach wie vor als zuverlässig.« »Wie istes mit den Opfertischen, sind sie gedeckt?« »DerPriester, der jeden Tag das Trankopfer vergießt, hat seine Arbeit getan.« »Und das Grab des Osiris istunversehrt?«, fragte der Pharao. »Derjenige, der überdie Unversehrtheit des großen Leichnams wacht, hat die Siegel geprüft, die ander Pforte zu Osiris ewiger Ruhestätte angebrachtsind.« »Wurde die Erkenntnis den Ritualen entsprechendweitergereicht? « »Der Priester, dessen Handeln geheim ist und der dieGeheimnisse sehen kann, verrät seine Aufgabe nicht.« Docheiner dieser vier ständigen Priester erfüllte seine heiligen Dienste nicht mehraufrichtig. Aus Enttäuschung darüber, nach einer - seines Erachtens -vorbildlichen Laufbahn nicht zum Oberpriester ausersehen worden zu sein, hattedieser Priester beschlossen, sich mit Hilfe des Wissens, das er sich im Laufeseiner Dienstjahre angeeignet hatte, persönlich zu bereichern. Wenn Sesostris seine Verdienste nicht zu würdigen wusste, würdeer sich am König und an Abydos dafür rächen. »Das Torzum Himmel wird sich wieder schließen«, klagte der Kahle. »Osiris Barke durchquert nicht mehr den Sternenhimmel. Auch sie verfällt nach und nach.« Genau das hatte der Pharao befürchtet: Die Entkräftungdes Lebensbaums würde eine Reihe von anderen Katastrophen nach sich ziehen undschließlich den Untergang des ganzen Landes bewirken. Aber es wäre feige undunwürdig gewesen, davor Augen und Ohren zu verschließen. »Lass die siebenPriesterinnen der Hathor kommen«, befahl der Herrscher, »sie sollen der KöniginBeistand leisten.« Diese sieben Frauen stammten ausganz unterschiedlichen Verhältnissen, lebten wie ihre Mitbrüder ständig in Abydos und hatten wie sie den Eid auf das vollkommeneGeheimnis geschworen. Der Kahle behandelte sie genauso wenig entgegenkommend wiedie männlichen Priester und gestand ihnen auch nicht den kleinsten Fehler zu.Im Innersten des Tempels gab es keine Stellung auf Lebenszeit. Jeder Ritualist,der seiner Aufgabe offenkundig nicht genügte, musste den Tempel für immerverlassen, ohne dass der Kahle auch nur das leiseste Mitgefühl empfinden würde.Die jüngste der sieben Priesterinnen war gerade erst von der Königin Ägyptensin den Rang einer Auserwählten erhoben worden. Sie war von nahezu unwirklicherSchönheit. Ihr strahlendes Gesicht trug unvergleichlich feine Züge, ihre Haut warsamtweich, ihre Augen funkelten in einem magischen Grün, und ihre schmalenHüften zeigten beim Gehen so viel Anmut und Würde, dass sie jeden noch sounempfänglichen Menschen verzauberte. Schon als Kind hatte sie sich zurInitiation in die Mysterien hingezogen gefühlt, weshalb ihr alles Weltlichefremd geblieben war. Stattdessen hatte sie sich eingehend mit den Hieroglyphen befasstund eine Tempelpforte nach der anderen passiert. Wurde sie dazu aufgefordert,in verschiedenen Gegenden des Landes Rituale zu feiern, kehrte sie immer wiederfreudig nach Abydos zurück. In einem Kleid, das wieein Pantherfell aussah und mit Sternen bestickt war, spielte die junge Fraujetzt die Rolle der Göttin Sechmet, der Herrin überdas Haus des Lebens und die heilige Schrift, die aus den Worten der Machtgebildet und als Einzige in der Lage war, die unsichtbaren Feinde zu besiegen. DasLeben der jungen Priesterin war klar vorgezeichnet und hätte einen ganzfriedlichen Verlauf genommen, wären da nicht die verschiedenen unglücklichenEreignisse gewesen, die sie aus der Fassung gebracht hatten. Das erste war dieKrankheit des Lebensbaums, die Angst und Schrecken an einem Ort verbreitete, andem eigentlich nur gelassene Heiterkeit herrschen sollte; dann folgten dieWeissagungen, die ihr mitteilten, dass sie nicht eine von vielenGottesdienerinnen sei, sondern eine ganz besondere, die mit einer äußerstwichtigen und gefährlichen Aufgabe betraut war, die jede menschlicheVorstellung übertraf; und dann war da noch die Begegnung mit einem jungen Schreiber,Iker, den sie nicht vergessen konnte und der immeröfter ihre Andacht störte. »Die sieben Hathorinnensollen einen Kreis um den Baum des Lebens bilden«, befahl die Königin. Als diePriesterinnen dem nachgekommen waren, legte die Große Königliche Gemahlin einrotes Band um den Stamm der Akazie, das die Kräfte des Bösen gefangen haltensollte. Doch der Pharao wusste, dass dieser Schutz unzureichend war. Wollte mandie Akazie retten, musste der Goldene Kreis von Abydoszusammengerufen werden. Außer dem Kahlen zogen sich alle Ritualisten zurück. Nachdenklicherwarteten das Königspaar und der Kahle die Mitglieder des Goldenen Kreises,die über den Kanal kommen würden, den Sesostris hattegraben und mit dreihundertfünfundsechzig Opfertischen säumen lassen - alsSymbol für das himmlische Festmahl, das das ganze Jahr hindurch gefeiert wurde.Mit einer leichten Barke trafen die beiden Generäle Sepiund Nesmontu, der Große Schatzmeister Senânkh und der Träger des Königlichen Siegels, Sehotep, ein. Weil er mit einem besonderen Auftragunterwegs war, fehlte eines der fünf Mitglieder. Die Getreuen trugen einenSchrein aus vier Löwen, die sich den Rücken zuwandten. Im Inneren deszylindrischen Hohlkörpers befand sich ein Schaft, dessen Spitze mit einem Tuch bedecktwar. Er stellte den ehrwürdigen Pfeiler dar, der zu Anbeginn der Zeitentstanden war - das Rückgrat, um das sich das gesamte Land gebildet hatte. Dievier Männer stellten das Kunstwerk vor der Akazie ab. Als unermüdliche Wächter,die nie ihre Augen schlossen, rieten die vier Löwen jedem Angreifer davon ab,sich dem Baum des Lebens zu nähern. Der König und die Königin steckten jedereine Straußenfeder in den Schaft. Die Federn standen für Maat - dieGerechtigkeit, die Aufrichtigkeit und die Harmonie -, die Grundfesten, auf denendas Tag für Tag neue Erstrahlen des göttlichen Lichts in Ägypten beruhte; Maatwar die vorzüglichste Opfergabe, von der sich das Land der Pharaonen nährte. Einkalter Wind fegte über sie hinweg. »Seht nur!«, riefGeneral Nesmontu. Am Rande der Wüste war auf einemkahlen Hügel ein Schakal aufgetaucht und sah sie mit seinen schwarzen Augen,die im Licht der Sonne orangefarben schimmerten, unverwandt an. »DerSchutzgeist von Abydos billigt unser Vorgehen«,meinte die Königin. »Als Oberster der Westlichen, der Verstorbenen, die alsGerechte gelten, beehrt er uns mit seiner Anwesenheit und ermutigt uns dazu,unser Vorhaben weiterzuverfolgen.« Dieses Zeichen ausdem Jenseits bestärkte Sesostris darin, den Zustandder heiligen Stätte zu verändern. »Pflanzt eine Akazie in jederHimmelsrichtung«, ordnete er an. Die Angehörigen des Goldenen Kreises führten der Auftrag aus. So war der Baum des Lebens inZukunft durch die vier Söhne von Horus geschützt, dievon nun an Osiris Ruhestätte bewachen würden. AlsZeugen der Auferstehung stellten sie einen wirkungsvollen Zauber gegen denVerfall und die Zerstörung dar. ( )
© LimesVerlag
Übersetzung:Anja Lazarowicz
Autoren-Portrait von Christian Jacq
Der 1947 in Paris geborene Ägyptologe Christian Jacq sagtvon sich selbst, dass er zu den wenigen Menschen gehört, die ihrenKindheitstraum leben können. Sein Traum von Ägypten begann, als er im Alter von13 Jahren drei dicke Bände über die Welt der Pharaonen las. Mit 17 Jahren unddamit noch vor seinem Schulabschluss unternahm er seine erste Ägyptenreise undverbrachte im Land am Nil die Flitterwochen mit seiner jungen Frau.
Er studierte an der Sorbonne in Paris Archäologie undÄgyptologie und promovierte in Ägyptologie. Einer Karriere an der Universitätstand nichts mehr im Wege, Christian Jacq aber entschied sich fürs Schreiben.Er veröffentlichte zahlreiche Artikel, auch populärwissenschaftlicher Art, und erhieltu. a. den Ehrenpreis der Académie française. Mit dem Roman Der lange Weg nachÄgypten" kam 1987 der erste große literarische Erfolg. Jacq erzählt in diesem Buchvon Jean François Champollion, der das Geheimnis der Hieroglyphenentschlüsselte und einer der ersten Ägyptologen war.
Ermutigt durch diesen Erfolg, verfasste der Autor zahlreicheBücher und umfangreiche Romanreihen. Zu Weltruhm verhalfen ihm die fünf Bändeüber Ramses. Weitere Reihen folgten: Die Königin der Freiheit", Das Testamentder Götter", Stein des Lichts" und Osiris". In all diesen Büchern lernt derLeser historische Fakten kennen, um die sich Geschichten ranken, die sich sooder so ähnlich zugetragen haben. Jacq erzählt kenntnisreich und spannend,Information und Unterhaltung werden in seinen Büchern perfekt miteinanderverbunden.
Zwischenzeitlich entstanden immer wieder auch ägyptologischeSachbücher. Christian Jacq ist ein ausgesprochen fleißiger Schreiber undarbeitet täglich zwölf bis 15 Stunden. So verwundert es nicht, dass er weltweiteiner der meistgelesenen Autoren ist. Und es erscheint nur logisch, dass ihmdie Erhaltung der antiken Baudenkmäler Ägyptens am Herzen liegt. Er gründetedas Institut Ramsès" und erstellte mit seinem Team ein Archiv fürhieroglyphische Inschriften und eine Fotodokumentation der Baudenkmäler. Esstimmt also immer noch: Ägypten ist sein Leben!
- Autor: Christian Jacq
- 2006, 443 Seiten, Maße: 13,5 x 20,6 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Übersetzung: Lazarowicz, Anja
- Verlag: Limes
- ISBN-10: 3809025070
- ISBN-13: 9783809025078
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