Die Welt des Ryszard Kapuscinski
Ausgewählte Geschichten und Reportagen
Zahlreiche ausgewählte Geschichten und Reportagen des berühmten polnischen Journalisten Ryszard Kapuscinski (1932 - 2007). Sein Zuhause war die Welt Kapuscinski berichtete wie kein anderer über Kriege, Krisen und die Politik. Doch genauso spannend wie...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Die Welt des Ryszard Kapuscinski “
Zahlreiche ausgewählte Geschichten und Reportagen des berühmten polnischen Journalisten Ryszard Kapuscinski (1932 - 2007). Sein Zuhause war die Welt Kapuscinski berichtete wie kein anderer über Kriege, Krisen und die Politik. Doch genauso spannend wie seine Reportagen der großen Politik sind seine poetischen Geschichten aus dem Alltag. Hier erwarten Sie seine
Beobachtungen: - Wieder ein Tag Leben - Afrikanisches Fieber - Der Fußballkrieg - König der Könige - Schah-in-schah - Imperium - Meine Reisen mit Herodot.
Beobachtungen: - Wieder ein Tag Leben - Afrikanisches Fieber - Der Fußballkrieg - König der Könige - Schah-in-schah - Imperium - Meine Reisen mit Herodot.
Der Weltensammler trifft den Welterz hler
"Mehr noch als ein gro er Reisender und Reporter war Ryszard Kapuciski ein au ergew hnlicher Erz hler, seine Geschichten bieten nicht nur Fakten, sondern destillieren sie zu einer h heren Wahrheit." - Ilija Trojanow
Schon fr h war Ilija Trojanow von Ryszard Kapuciski fasziniert, seine B cher verschlang er, lange war ihm der gro e Pole Leitstern und Idol - jetzt, nach dem Tod des gro en Autors, zeigt er uns 'seinen' Ryszard Kapuciski. Aus dem umfangreichen Gesamtwerk des polnischen Autors, Denkers und "Reporters des Jahrhunderts" hat er seine Lieblingsst cke ausgew hlt und stellt sie - begleitet von eigenen Texten ber Kapuciskis Welt - vor. Und da gibt es etwas vorzustellen: denn wer au er Kapu sci nski hat die Reden von Nasser und Nkrumah mit eigenen Ohren geh rt, Salvador Allende, Idi Amin, Che Guevara und Patrice Lumumba pers nlich getroffen? Asien, Afrika und Lateinamerika durchstreift und von innen heraus kennengelernt, den Zerfall des sowjetischen Reichs aus allen Blickwinkeln beobachtet, 30 Staatsstreiche und Revolutionen selbst miterlebt, dem Tod ins Auge geblickt und die Entwicklungen der globalisierten Welt weltweit beobachtet?
In Die Welt des Ryszard Kapuciski entsteht ein Gesamtbild von Kapuciskis Schaffen - es ist die Hommage eines jungen Weltensammlers an einen Autor, der weltweit eine ganze Generation von Neugierigen, Reiseschriftstellern, Politikern, Abenteurern und Journalisten pr gte.
"Mehr noch als ein gro er Reisender und Reporter war Ryszard Kapuciski ein au ergew hnlicher Erz hler, seine Geschichten bieten nicht nur Fakten, sondern destillieren sie zu einer h heren Wahrheit." - Ilija Trojanow
Schon fr h war Ilija Trojanow von Ryszard Kapuciski fasziniert, seine B cher verschlang er, lange war ihm der gro e Pole Leitstern und Idol - jetzt, nach dem Tod des gro en Autors, zeigt er uns 'seinen' Ryszard Kapuciski. Aus dem umfangreichen Gesamtwerk des polnischen Autors, Denkers und "Reporters des Jahrhunderts" hat er seine Lieblingsst cke ausgew hlt und stellt sie - begleitet von eigenen Texten ber Kapuciskis Welt - vor. Und da gibt es etwas vorzustellen: denn wer au er Kapu sci nski hat die Reden von Nasser und Nkrumah mit eigenen Ohren geh rt, Salvador Allende, Idi Amin, Che Guevara und Patrice Lumumba pers nlich getroffen? Asien, Afrika und Lateinamerika durchstreift und von innen heraus kennengelernt, den Zerfall des sowjetischen Reichs aus allen Blickwinkeln beobachtet, 30 Staatsstreiche und Revolutionen selbst miterlebt, dem Tod ins Auge geblickt und die Entwicklungen der globalisierten Welt weltweit beobachtet?
In Die Welt des Ryszard Kapuciski entsteht ein Gesamtbild von Kapuciskis Schaffen - es ist die Hommage eines jungen Weltensammlers an einen Autor, der weltweit eine ganze Generation von Neugierigen, Reiseschriftstellern, Politikern, Abenteurern und Journalisten pr gte.
Lese-Probe zu „Die Welt des Ryszard Kapuscinski “
Aus den NotizbüchernAbu Dhabi
Wie Kinder im Zoo einen Gorilla neckten (der Zoo ist neu und steht außerhalb der Stadt, in der Wüste). Anfangs wurde der Gorilla wütend, rannte durch seine Betonlandschaft und drohte den kleinen Quälgeistern. Schließlich setzte er sich erschöpft in die Mitte seines Käfigs und begann zu weinen. Und da - wirklich in diesem Augenblick (was für ein außergewöhnlicher Zufall!) - brach ein Sandsturm los. Ein plötzlicher, gewaltiger, machtvoller Sturm, der den Himmel mit Wolken grauen Staubs bedeckte und uns heiße Sandkörner in die Augen trieb. Alle wandten sich zur Flucht, die Kinder mit lautem Geschrei, hinter den Kindern die Erwachsenen, der Wind zauste und riss an den Tschadors, in denen erschrockene Frauen wie aufgescheuchte schwarze Vögel durch den geballten, glühenden Nebel des Wüstensturms liefen.
Im Laufen blickte ich mich für einen Moment um: Durch den Staub, die Sandwolken, das ringsum herrschende Halbdunkel sah ich den Gorilla, der vorn übergebeugt auf seinem Platz saß, wie in der Mitte abgeknickt, er saß da, schaute uns nach und schluchzte.
Meine Reisen durch die Welt habe ich vor knapp einem halben Jahrhundert begonnen. Ich verbrachte über zwanzig Jahre auf Reisen, die mich durch alle Kontinente führten. Die meiste Zeit lebte ich in der sogenannten Dritten Welt, in Ländern Asiens, Afrikas und Lateinamerikas. Warum habe ich mich ausgerechnet für das Schicksal dieses Teils der Welt interessiert? Dafür gibt es zwei Gründe - einen emotionalen und einen sachlichen.
Ich stamme aus Polesie, dem östlichsten und ärmsten Teil Polens und vielleicht Europas in den Jahren der Zwischenkriegszeit. Ich habe das "Land meiner Kindheit" früh verloren und durfte vierzig Jahre lang nicht dorthin zurückkehren. Es war wohl die Sehnsucht nach dieser einfachen, unterentwickelten Region, die meine Beziehung zur Welt geprägt hat: Ich lebte gern in armen Ländern, weil sie etwas von Polesie an sich hatten. Wenn ich als Reporter die Wahl
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zwischen der Schweiz und dem Kongo, Paris und Mogadischu hatte, zögerte ich keinen Moment. Ich entschied mich für den Kongo und Mogadischu - dort war mein Platz, dort war mein Thema.
Es gibt noch einen zweiten Grund. Als ich das Studium der Geschichte an der Universität Warschau abschloss, stand ich vor der Wahl, meine Interessen weiter zu verfolgen, indem ich viel Zeit in Archiven verbrachte, oder zu versuchen, die Geschichte im Lauf ihres Entstehens zu erleben, die Geschichte zu beobachten, wie wir sie schaffen und wie sie uns prägt. Ich entschied mich für die zweite Option, weil das damals, Mitte des 20. Jahrhunderts, ein außergewöhnlicher Moment war, eine Ausnahmesituation: wir erlebten die Geburt der Dritten Welt ...
Ein Gespräch mit Gerard Rasch. Er übersetzt meine aus einzelnen Notizen, Aufzeichnungen und Tagebuchblättern bestehenden Lapidaria ins Niederländische. Er fragt, ob ich damit einverstanden sei, dass er eine Auswahl trifft. Ich sage ihm, so ein Verfahren sei riskant, weil das Buch keine Sammlung der besten Fragmente darstellen solle, sonst würde es wie ein Kuchen, der ausschließlich aus Rosinen besteht - also ungenießbar, unverdaulich oder, in unserem Fall, unlesbar. Meiner Ansicht nach verurteilt jemand, der eine Auswahl aus den Aufzeichnungen von Novalis, Leopardi, Canetti oder Cioran trifft, deren Bücher zum Scheitern. Nach ein paar Seiten kann man das nicht mehr lesen.
Eine zu große Anhäufung von Kostbarkeiten, Konzentration der Sprache, Verdichtung von Bildern. Die allzu essentielle Prosa wirkt langweilig und ermüdend. Niemand ist geistig imstande, ständig auf dem Gipfel zu stehen. Jede gute Prosa braucht schwächere Momente, benötigt sogar etwas Kitsch, damit man eine Weile entspannen, ausruhen, die Aufmerksamkeit nachlassen, über ebenes, sanftes Terrain gehen kann.
Prosa ist ein Dahinwellen von Spannung und Entspannung, von dichten und dann wieder leeren Orten, von Episoden unterschiedlichen Wertes und unterschiedlicher Temperatur. Die Prosa bewegt sich wurmförmig dahin, und wenn wir diesem Rhythmus seine Natürlichkeit nehmen, bekommen wir ein künstliches, steriles, taubes Produkt.
Das kam mir in den Sinn, als ich eine Auswahl der Prosaschriften von Leopold Buczkowski zu erstellen versuchte, in der man, wenn man sie im Ganzen liest, herrlich schimmernde poetische Fragmente findet. Doch wenn man eine Auswahl dieser Fragmente trifft, wenn man sie aus dem Erzählfluss herausreißt, verlieren sie plötzlich ihre Bedeutung; ihre Kraft, ihr Glanz verlischt. Denn es war der Kontext, die Umgebung, die ihnen ihre Kraft und Schönheit verlieh, sie besser hervortreten ließ, ihnen als nötiger Hintergrund diente, vor dem sie glänzen und bedeutsam erscheinen konnten.
Wieder ein Tag Leben
Bevor die Stadt zugemacht und zum Tode verurteilt wurde, begaben sich verschiedene Dinge. Wie ein Kranker, der in letzter Agonie plötzlich auflebt und für kurze Zeit wieder zu Kräften kommt, gewann Ende September auch in Luanda das Leben neues Tempo und Schwung. Die Gehsteige waren gerammelt voll, auf den Fahrbahnen stauten sich die Autos. Die Menschen hasteten aufgeregt durcheinander, jeder hatte es eilig, hatte tausend Dinge zu erledigen. Um nur möglichst rasch wegzukommen von hier, sich rechtzeitig abzusetzen, ehe die erste Welle der verpesteten Luft in die Stadt strömte.
Sie wollten Angola nicht mehr.
Sie hatten genug von diesem Land, das ihr gelobtes Land sein sollte und ihnen nur Enttäuschung und Erniedrigung gebracht hatte. Sie verließen ihr afrikanisches Heim mit einem Gemisch aus Verzweiflung und Wut, Trauer und Ratlosigkeit, mit dem Gefühl, für immer von hier wegzufahren. Sie wollten nur noch ihre Haut retten und ihr Hab und Gut in Sicherheit bringen.
Alle waren damit beschäftigt, Kisten zu zimmern. Berge von Brettern und Platten wurden herbeigeschafft. Die Preise für Hämmer und Nägel kletterten in die Höhe. Kisten waren das wichtigste Gesprächsthema - wie man sie zimmert, wie man sie am stabilsten macht. Es tauchten selbsternannte Fachleute auf - Kistenschreiner, stümperhafte Architekten des Kistenbaus, und auch Kistenbaustile, -schulen und -richtungen. In den Mauern Luandas, das aus Beton und Ziegeln errichtet war, entstand eine neue, hölzerne Stadt. Die Straßen, durch die ich nun ging, sahen aus wie ein einziger riesiger Bauplatz. Ich stolperte über herumliegende Bretter, ein aus einem Balken ragender Nagel zerriss mir das Hemd. Manche Kisten waren so groß wie Sommerhäuser, denn es entwickelte sich plötzlich eine Kistenskala des Prestiges - je reicher einer war, um so größer die Kiste, die er zimmerte. Eindrucksvoll waren die Kisten der Millionäre - mit Balken verstärkt und im Inneren mit Segeltuch ausgeschlagen, besaßen sie solide, elegante Wände aus den teuersten Tropenhölzern mit präzis geschnittenen, glattpolierten Maserungen wie bei antiken Möbeln. In diese Kisten wurden ganze Salons und Schlafzimmer gepackt, Kanapees, Tische und Schränke, Küchen und Kühlschränke, Kommoden und Fauteuils, Bilder, Teppiche, Kronleuchter, Service, Bettzeug und Decken, Kleider aller Art, Wandbehänge, Puffe und Vasen, sogar künstliche Blumen (auch das habe ich gesehen) und überhaupt der ganze monströse, unerschöpfliche Kram, mit dem das Haus jedes Kleinbürgers angefüllt ist, also Nippes, Muscheln, Glaskugeln, Flakons, ausgestopfte Echsen, die metallene Miniatur des Mailänder Doms, ein Mitbringsel von einem Italienurlaub, Briefe! Briefe und Fotografien, das Hochzeitsbild im vergoldeten Rahmen - Das lassen wir vielleicht besser da, sagt der Hausherr. Na hör mal, dass du dich gar nicht schämst! ruft die Gattin empört - alle Bilder der Kinder, hier, wie er sich zum ersten Mal aufsetzt, und da sagt er zum ersten Mal: Gib! Gib!, und dort ist er mit einem Schlecker zu sehen, und da mit der Oma, mit einem Wort alles, buchstäblich alles, auch die Weinkisten, den ganzen Nudelvorrat, den ich hamsterte, als die Schießereien begannen, das Angelzeug, die Häkelnadeln, mein Stopfgarn! mein Kugelstutzen, die bunten Bauklötze Tutunias, Vögelchen, Nüsse, der Staubsauger und der Nussknacker müssen auch noch hinein, da hilft nichts, alles muss Platz finden, so dass nur mehr der nackte Boden bleibt, nackte Wände, die Wohnung im Negligé, ein Wohnungsstriptease bis zum bitteren Ende, bei vorhanglosen Fenstern, und jetzt machen wir nur mehr die Tür zu und halten am Weg zum Flughafen kurz an, um den Wohnungsschlüssel ins Meer zu werfen.
Es gibt noch einen zweiten Grund. Als ich das Studium der Geschichte an der Universität Warschau abschloss, stand ich vor der Wahl, meine Interessen weiter zu verfolgen, indem ich viel Zeit in Archiven verbrachte, oder zu versuchen, die Geschichte im Lauf ihres Entstehens zu erleben, die Geschichte zu beobachten, wie wir sie schaffen und wie sie uns prägt. Ich entschied mich für die zweite Option, weil das damals, Mitte des 20. Jahrhunderts, ein außergewöhnlicher Moment war, eine Ausnahmesituation: wir erlebten die Geburt der Dritten Welt ...
Ein Gespräch mit Gerard Rasch. Er übersetzt meine aus einzelnen Notizen, Aufzeichnungen und Tagebuchblättern bestehenden Lapidaria ins Niederländische. Er fragt, ob ich damit einverstanden sei, dass er eine Auswahl trifft. Ich sage ihm, so ein Verfahren sei riskant, weil das Buch keine Sammlung der besten Fragmente darstellen solle, sonst würde es wie ein Kuchen, der ausschließlich aus Rosinen besteht - also ungenießbar, unverdaulich oder, in unserem Fall, unlesbar. Meiner Ansicht nach verurteilt jemand, der eine Auswahl aus den Aufzeichnungen von Novalis, Leopardi, Canetti oder Cioran trifft, deren Bücher zum Scheitern. Nach ein paar Seiten kann man das nicht mehr lesen.
Eine zu große Anhäufung von Kostbarkeiten, Konzentration der Sprache, Verdichtung von Bildern. Die allzu essentielle Prosa wirkt langweilig und ermüdend. Niemand ist geistig imstande, ständig auf dem Gipfel zu stehen. Jede gute Prosa braucht schwächere Momente, benötigt sogar etwas Kitsch, damit man eine Weile entspannen, ausruhen, die Aufmerksamkeit nachlassen, über ebenes, sanftes Terrain gehen kann.
Prosa ist ein Dahinwellen von Spannung und Entspannung, von dichten und dann wieder leeren Orten, von Episoden unterschiedlichen Wertes und unterschiedlicher Temperatur. Die Prosa bewegt sich wurmförmig dahin, und wenn wir diesem Rhythmus seine Natürlichkeit nehmen, bekommen wir ein künstliches, steriles, taubes Produkt.
Das kam mir in den Sinn, als ich eine Auswahl der Prosaschriften von Leopold Buczkowski zu erstellen versuchte, in der man, wenn man sie im Ganzen liest, herrlich schimmernde poetische Fragmente findet. Doch wenn man eine Auswahl dieser Fragmente trifft, wenn man sie aus dem Erzählfluss herausreißt, verlieren sie plötzlich ihre Bedeutung; ihre Kraft, ihr Glanz verlischt. Denn es war der Kontext, die Umgebung, die ihnen ihre Kraft und Schönheit verlieh, sie besser hervortreten ließ, ihnen als nötiger Hintergrund diente, vor dem sie glänzen und bedeutsam erscheinen konnten.
Wieder ein Tag Leben
Bevor die Stadt zugemacht und zum Tode verurteilt wurde, begaben sich verschiedene Dinge. Wie ein Kranker, der in letzter Agonie plötzlich auflebt und für kurze Zeit wieder zu Kräften kommt, gewann Ende September auch in Luanda das Leben neues Tempo und Schwung. Die Gehsteige waren gerammelt voll, auf den Fahrbahnen stauten sich die Autos. Die Menschen hasteten aufgeregt durcheinander, jeder hatte es eilig, hatte tausend Dinge zu erledigen. Um nur möglichst rasch wegzukommen von hier, sich rechtzeitig abzusetzen, ehe die erste Welle der verpesteten Luft in die Stadt strömte.
Sie wollten Angola nicht mehr.
Sie hatten genug von diesem Land, das ihr gelobtes Land sein sollte und ihnen nur Enttäuschung und Erniedrigung gebracht hatte. Sie verließen ihr afrikanisches Heim mit einem Gemisch aus Verzweiflung und Wut, Trauer und Ratlosigkeit, mit dem Gefühl, für immer von hier wegzufahren. Sie wollten nur noch ihre Haut retten und ihr Hab und Gut in Sicherheit bringen.
Alle waren damit beschäftigt, Kisten zu zimmern. Berge von Brettern und Platten wurden herbeigeschafft. Die Preise für Hämmer und Nägel kletterten in die Höhe. Kisten waren das wichtigste Gesprächsthema - wie man sie zimmert, wie man sie am stabilsten macht. Es tauchten selbsternannte Fachleute auf - Kistenschreiner, stümperhafte Architekten des Kistenbaus, und auch Kistenbaustile, -schulen und -richtungen. In den Mauern Luandas, das aus Beton und Ziegeln errichtet war, entstand eine neue, hölzerne Stadt. Die Straßen, durch die ich nun ging, sahen aus wie ein einziger riesiger Bauplatz. Ich stolperte über herumliegende Bretter, ein aus einem Balken ragender Nagel zerriss mir das Hemd. Manche Kisten waren so groß wie Sommerhäuser, denn es entwickelte sich plötzlich eine Kistenskala des Prestiges - je reicher einer war, um so größer die Kiste, die er zimmerte. Eindrucksvoll waren die Kisten der Millionäre - mit Balken verstärkt und im Inneren mit Segeltuch ausgeschlagen, besaßen sie solide, elegante Wände aus den teuersten Tropenhölzern mit präzis geschnittenen, glattpolierten Maserungen wie bei antiken Möbeln. In diese Kisten wurden ganze Salons und Schlafzimmer gepackt, Kanapees, Tische und Schränke, Küchen und Kühlschränke, Kommoden und Fauteuils, Bilder, Teppiche, Kronleuchter, Service, Bettzeug und Decken, Kleider aller Art, Wandbehänge, Puffe und Vasen, sogar künstliche Blumen (auch das habe ich gesehen) und überhaupt der ganze monströse, unerschöpfliche Kram, mit dem das Haus jedes Kleinbürgers angefüllt ist, also Nippes, Muscheln, Glaskugeln, Flakons, ausgestopfte Echsen, die metallene Miniatur des Mailänder Doms, ein Mitbringsel von einem Italienurlaub, Briefe! Briefe und Fotografien, das Hochzeitsbild im vergoldeten Rahmen - Das lassen wir vielleicht besser da, sagt der Hausherr. Na hör mal, dass du dich gar nicht schämst! ruft die Gattin empört - alle Bilder der Kinder, hier, wie er sich zum ersten Mal aufsetzt, und da sagt er zum ersten Mal: Gib! Gib!, und dort ist er mit einem Schlecker zu sehen, und da mit der Oma, mit einem Wort alles, buchstäblich alles, auch die Weinkisten, den ganzen Nudelvorrat, den ich hamsterte, als die Schießereien begannen, das Angelzeug, die Häkelnadeln, mein Stopfgarn! mein Kugelstutzen, die bunten Bauklötze Tutunias, Vögelchen, Nüsse, der Staubsauger und der Nussknacker müssen auch noch hinein, da hilft nichts, alles muss Platz finden, so dass nur mehr der nackte Boden bleibt, nackte Wände, die Wohnung im Negligé, ein Wohnungsstriptease bis zum bitteren Ende, bei vorhanglosen Fenstern, und jetzt machen wir nur mehr die Tür zu und halten am Weg zum Flughafen kurz an, um den Wohnungsschlüssel ins Meer zu werfen.
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Autoren-Porträt von Ryszard Kapuscinski
Ryszard Kapuscinski ist 1932 in der ostpolnischen Stadt Pinsk geboren, die heute zu Weißrußland gehört. (Das war damals, wie er selber sagt, "Dritte Welt").1945 kam seine Familie nach Warschau, wo er studierte. In den fünfziger Jahren wurde er als Korrespondent nach Asien und in den Mittleren Osten, später auch nach Lateinamerika und nach Afrika entsandt.Ilija Trojanow, geb. 1965 in Bulgarien, aufgewachsen in Kenia, studierte und arbeitete viele Jahre in Deutschland. Seit 1998 lebt er in Bombay. Trojanow ist Autor, Herausgeber und Verleger. Er beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit afrikanischer Geschichte, Kultur und Literatur. Der Autor erhielt zahlreiche Preise: 1995 den Bertelsmann-Literaturpreis beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt, ein Aufenthaltsstipendium im Künstlerhaus Schloß Wiepersdorf sowie ein Arbeitsstipendium des Deutschen Literaturfonds e.V., 1996 den Marburger Literaturpreis, 1997 den Viktor-von-Scheffel-Preis und Thomas-Valentin-Preis der Stadt Lippstadt und 2000 den Adelbert-von-Chamisso-Preis. 2009 wurde ihm der Preis der Literaturhäuser verliehen und 2010 wurde er als 'poetischer Chronist der großen Exil- und Migrationsphänomene der Moderne' mit dem Würth-Preis geehrt.
Bibliographische Angaben
- Autor: Ryszard Kapuscinski
- 2007, 276 Seiten, Maße: 12,5 x 21,8 cm, Gebunden, Deutsch
- Herausgegeben von Trojanow, Ilija
- Herausgegeben: Ilija Trojanow
- Verlag: Eichborn
- ISBN-10: 3821858230
- ISBN-13: 9783821858234
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