Die Wiederkehr der Mavala Shikongo
Roman
Ein versprengter Haufen einsamer Männer vertreibt sich in der Halbwüste von Namibia das Alleinsein mit phantastischen Geschichten. Mavala Shikongo ist viel zu schön und viel zu selbständig, um es dort auszuhalten, und verlässt den trostlosen Ort. Dann aber...
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Produktinformationen zu „Die Wiederkehr der Mavala Shikongo “
Ein versprengter Haufen einsamer Männer vertreibt sich in der Halbwüste von Namibia das Alleinsein mit phantastischen Geschichten. Mavala Shikongo ist viel zu schön und viel zu selbständig, um es dort auszuhalten, und verlässt den trostlosen Ort. Dann aber kehrt sie wieder, ohne ein Wort der Erklärung. Man weiß nur, dass sie im Befreiungskrieg mitgekämpft hat und die Schwägerin des Schuldirektors ist, der wie alle Männer in sie verliebt ist. Am schlimmsten hat es Larry Kaplanski erwischt, einen Freiwilligen aus Amerika, der sich immerhin heimlich mit ihr trifft. Das aufsehenerregende Debüt des jungen amerikanischen Autors Peter Orner schildert mit trockenem Witz und in poetischen Bildern eine fremde Welt, die uns doch überraschend nahegeht.
Klappentext zu „Die Wiederkehr der Mavala Shikongo “
Ein versprengter Haufen einsamer Männer vertreibt sich in der Halbwüste von Namibia das Alleinsein mit phantastischen Geschichten. Mavala Shikongo ist viel zu schön und viel zu selbständig, um es dort auszuhalten, und verlässt den trostlosen Ort. Dann aber kehrt sie wieder, ohne ein Wort der Erklärung. Man weiß nur, dass sie im Befreiungskrieg mitgekämpft hat und die Schwägerin des Schuldirektors ist, der wie alle Männer in sie verliebt ist. Am schlimmsten hat es Larry Kaplanski erwischt, einen Freiwilligen aus Amerika, der sich immerhin heimlich mit ihr trifft. Das aufsehenerregende Debüt des jungen amerikanischen Autors Peter Orner schildert mit trockenem Witz und in poetischen Bildern eine fremde Welt, die uns doch überraschend nahegeht.
Lese-Probe zu „Die Wiederkehr der Mavala Shikongo “
Die Wiederkehr der Mavala Shikongo von Peter Orner Übersetzt von Henning Ahrens
90
DIE ILLEGALEN
Im Laufe jener unbarmherzig heißen Tage kamen sie in aller Frühe
aus dem Veld. Es war ein Freitag, und wir saßen gerade in der Morgen-
runde. Die Moral der Geschichte jenes Morgens drehte sich, wenn ich
mich recht erinnere, um die Bedeutung regelmäßiger Zahnpflege für
eine aufblühende Demokratie. Der Direktor las uns einen Artikel aus
dem Namibian vor, in dem von der besorgniserregend hohen Zahl maroder
Zähne in Ombalantu die Rede war. »Der Bürger muss Zahnseide
benutzen. Eine Nation muss ihre orale Gesundheit pflegen. Ich bevorzuge
gewachste Seide. Seht mir gut zu.«
... mehr
Wir bekamen kaum die Augen auf. Am Freitag bewirkte das Koffein
bei uns so gut wie gar nichts. Dann wurde plötzlich an die Tür geklopft,
und das war seltsam, denn die Jungen wussten sehr genau, dass sie bei
diesem Ritual nicht stören durften. Der Direktor bearbeitete gerade
eine Problemzone hinten in seinem Mund. Er zeigte auf Mavala:
»Mach auf.« Er liebte es, ihr in der Öffentlichkeit Befehle zu geben.
Und Mavala gehorchte, wenn auch mehr aus Neugier denn aus Gehorsam.
Beim Anblick der Kinder fiel sie auf die Knie, die Tasse Kaffee in
der Hand. Wie sie mir später erzählte, wusste sie auch nicht, warum sie
das getan hatte, aber diese Kinder hätten etwas so Bedrückendes an
sich gehabt. Sie wirkten nicht verlottert. Am Erschreckendsten war,
dass sie aussahen wie aus dem Ei gepellt. Doch sie übersahen Mavalas
ausgestreckte Arme. Sie begriffen offenbar sofort, dass der Mann mit
Krawatte, der seine Zähne mit Zahnseide reinigte, der Boss war. Einer
der zwei Jungen war groß und schmal, hatte spindeldürre Arme und
lange Hände. Der andere war stämmig, und seine unruhigen Augen
schienen uns der Reihe nach zu mustern. Wir waren verwöhnt. Was
Leid war, wussten wir nicht. Das einzige auf der Welt, was uns interessierte,
waren unser Kaffee und das Sandwich mit Ei und Tomate in der
großen Pause. Man sieht sich nie so klar wie durch die Augen von Kindern,
die keine Kinder mehr sind.
Das Mädchen hob kein einziges Mal den Kopf. Sie blickte die ganze
Zeit auf ihre Füße, rissig von der Sonne und von Blasen bedeckt, aber
irgendwie zu sauber. Dass sie nicht aufschaute, hatte offenbar nichts
mit Angst zu tun. Anscheinend war sie längst jenseits der Angst. Sie
trug ein hellblaues Kleid mit feinen Rüschen an den Säumen. Mavala
sagte, es habe sie an ein Kommunionskleid erinnert, das sie früher
besessen habe. Der Große schien ihr Bruder zu sein. Er hatte ähnliche
Augen, klein und besorgt. Er stand neben ihr, ihre nackten Füße berührten
einander. Der Stämmige sprach den Direktor an.
»Wir grüßen den Lehrer.«
»Sei gegrüßt, Kind. Woher kommt ihr?«
»Aus dem Norden, Lehrer.«
»Wie weit aus dem Norden?«
Der Junge zögerte. »Von der Grenze.«
»Von jenseits der Grenze?«
»Ja.«
»Geflohen?«
»Ja.«
»Wovor?«
Der Junge zögerte noch einmal. »Vor den Kämpfen, Herr Lehrer.«
»Savimbi?«
Der Junge war klug genug, sich zu keiner Seite zu bekennen, sogar in
einem anderen Land, sogar so weit im Süden wie in Goas. »Nur vor den
Kämpfen, Herr Lehrer.«
»Eltern?«
»Keine.«
»Wie seid ihr hergekommen? Wer hat euch gebracht?«
»Wir sind zu Fuß gekommen, Herr Lehrer.«
»Zu Fuß! Aus Angola!«
»Ja.«
»Unmöglich!« rief der Direktor. »Das sind achthundert Kilometer!«
Die Miene des stämmigen Jungen blieb unbewegt. Er schien den
Direktor einzuschätzen und merkte wohl, dass dieser zwar etwas großtuerisch,
aber nicht dumm war.
Er wiederholte leise: »Wir sind zu Fuß gekommen, Herr Lehrer.«
Der Direktor senkte den Blick zum erstenmal auf ihre Füße. »Seid
ihr hungrig?«
»Nein, Lehrer.«
»Braucht ihr ein Bett?«
»Nein.«
»Was wollt ihr dann?«
Diesmal zögerte der Junge nicht. »Schule.«
»Wie bitte?«
»Wir möchten zur Schule gehen, Herr Lehrer.«
Das war die schlichte Wahrheit. Weder Essen noch Bett, aber Schule.
Der Direktor zuckte mit den Schultern, erfreut darüber, dass sie nicht
zum Priester gegangen waren, sondern zu ihm. Hätte der Priester diesen
Lämmern Schutz gewährt, dann hätte der Direktor sofort bei der
Polizeikaserne in Karibib angerufen, und man hätte die drei Kinder
wahrscheinlich binnen eines Tages ausgewiesen und hinten auf einem
Viehtransporter wieder in den Bürgerkrieg befördert, zurück zu Dr. Savimbi.
»Wir haben noch Platz, Kinder«, sagte er, »in unserer Herberge.«
Eine gute Woche saßen sie stumm in unseren Klassenzimmern. Wenn
es nicht genug Stühle gab, saßen sie auf dem Fußboden. Wir gaben
ihnen Stifte und Papier, doch sie schrieben nur selten etwas auf. Sie
wechselten von Klasse zu Klasse wie gutmütige Ausgaben der gefürchteten
Schulinspektoren, die uns einmal im Semester heimsuchten, um
uns anhand der alten Bantu-Bewertungsskala für den Schulunterricht
von Goed bis Swak einzustufen. Sie begannen den Tag oft bei Mavalas
Vorschülern und beendeten ihn bei Pohambas Siebtklässlern, und jeder
Tag bot ihnen einen Querschnitt all dessen, was wir zu bieten hatten
(oder auch nicht). Vermutlich war es mehr Schule, als sie sich vorgestellt
hatten. Sie unterhielten sich weder mit den Jungen noch untereinander.
Sogar der Stämmige, anfangs so vorwitzig, benahm sich rasch
wie irgendein beliebiger stummer Schüler. Einmal versuchte Mavala,
mit ihm zu reden und zu erfahren, was ihnen passiert war. Sie sagte, sie
könne ihn vielleicht verstehen, doch er wandte sich wortlos ab.
Draußen bei den Gräbern sagte sie: »Er redet nur, wenn er muss. Ich
vergesse immer, welche Tugend darin liegt.«
»Du erzählst nichts.«
Sie zuckte mit den Schultern. Da sie es im Liegen tat, knirschte
dumpf der Sand.
»Ich habe nichts zu erzählen.«
»Das glaube ich dir nicht.«
Ihre Namen erfuhren wir nie, und wir erfuhren auch nichts über das,
was sie durchgemacht hatten. Natürlich hatten wir Obadiahs Radio
und die eine Woche alten Zeitungen. Wir hatten eine vage Ahnung.
Wir hätten uns manches vorstellen können, falls wir das ertragen hätten.
Soldaten, die Babys in die Luft warfen und vor den Augen der Mütter
erschossen. Aber wer kann so etwas wirklich ins Gesicht sehen?
Sie hielten sich nie lange auf. Die drei Kinder kamen morgens zur
Schule, wenn die Triangel zum zweitenmal geläutet wurde, und verschwanden
sofort nach der letzten Stunde. In der Pause zogen sie sich
auf das Veld zurück.
Im Unterricht stand das Mädchen, ob sie schwieg oder nicht, im Mittelpunkt
der Aufmerksamkeit. Man konnte riechen, wie die Jungen bei
ihrem Anblick ins Schwitzen kamen. In ihrem Blick, den sie starr auf
die Tafel richtete, lag eine unbestimmte Traurigkeit. Die Unruhe der
Jungen schien sie nicht wahrzunehmen. In ihrer Miene regte sich nur
etwas, wenn sie ihren Bruder anschaute. Manchmal berührte sie ihn im
Unterricht an der Wange, und dann wurde den Jungen ganz anders
zumute. Der Stämmige konnte offenbar allein auf sich aufpassen.
Doch was ihren schüchternen Bruder betraf - immer an ihrer Seite,
seine Füße an die ihren gedrückt -, so schien sie sich zu fragen: Was soll
aus dir werden?
Nachdem sie uns verlassen hatten, entdeckte ein Junge, dass sie weiter
draußen am Straßenrand gehaust hatten. Theofilus musste das gewusst
haben. Wir vermuteten auch, dass er ihnen Essen gebracht hatte,
denn eine so unaufdringliche Person wie ihn dürften sie als Versorger
akzeptiert haben. Er verlor allerdings nie ein Wort darüber. Doch solange
sie bei uns waren, folgte ihnen niemand bis an den Ort, wo sie
übernachteten, nicht einmal der aufmüpfigste Siebtklässler. Als Erklä-
rung kann man nur vermuten, dass ganz Goas - ohne Anweisung von
oben - einen Teil des Velds draußen an der Straße als ihr zeitweiliges
Eigentum akzeptierte, als einen Ort, wo sie sich verbargen wie blinde
Passagiere.
Sie verließen uns so plötzlich, wie sie gekommen waren. Niemand
versuchte, sie zurückzuholen.
© Weltbild
Wir bekamen kaum die Augen auf. Am Freitag bewirkte das Koffein
bei uns so gut wie gar nichts. Dann wurde plötzlich an die Tür geklopft,
und das war seltsam, denn die Jungen wussten sehr genau, dass sie bei
diesem Ritual nicht stören durften. Der Direktor bearbeitete gerade
eine Problemzone hinten in seinem Mund. Er zeigte auf Mavala:
»Mach auf.« Er liebte es, ihr in der Öffentlichkeit Befehle zu geben.
Und Mavala gehorchte, wenn auch mehr aus Neugier denn aus Gehorsam.
Beim Anblick der Kinder fiel sie auf die Knie, die Tasse Kaffee in
der Hand. Wie sie mir später erzählte, wusste sie auch nicht, warum sie
das getan hatte, aber diese Kinder hätten etwas so Bedrückendes an
sich gehabt. Sie wirkten nicht verlottert. Am Erschreckendsten war,
dass sie aussahen wie aus dem Ei gepellt. Doch sie übersahen Mavalas
ausgestreckte Arme. Sie begriffen offenbar sofort, dass der Mann mit
Krawatte, der seine Zähne mit Zahnseide reinigte, der Boss war. Einer
der zwei Jungen war groß und schmal, hatte spindeldürre Arme und
lange Hände. Der andere war stämmig, und seine unruhigen Augen
schienen uns der Reihe nach zu mustern. Wir waren verwöhnt. Was
Leid war, wussten wir nicht. Das einzige auf der Welt, was uns interessierte,
waren unser Kaffee und das Sandwich mit Ei und Tomate in der
großen Pause. Man sieht sich nie so klar wie durch die Augen von Kindern,
die keine Kinder mehr sind.
Das Mädchen hob kein einziges Mal den Kopf. Sie blickte die ganze
Zeit auf ihre Füße, rissig von der Sonne und von Blasen bedeckt, aber
irgendwie zu sauber. Dass sie nicht aufschaute, hatte offenbar nichts
mit Angst zu tun. Anscheinend war sie längst jenseits der Angst. Sie
trug ein hellblaues Kleid mit feinen Rüschen an den Säumen. Mavala
sagte, es habe sie an ein Kommunionskleid erinnert, das sie früher
besessen habe. Der Große schien ihr Bruder zu sein. Er hatte ähnliche
Augen, klein und besorgt. Er stand neben ihr, ihre nackten Füße berührten
einander. Der Stämmige sprach den Direktor an.
»Wir grüßen den Lehrer.«
»Sei gegrüßt, Kind. Woher kommt ihr?«
»Aus dem Norden, Lehrer.«
»Wie weit aus dem Norden?«
Der Junge zögerte. »Von der Grenze.«
»Von jenseits der Grenze?«
»Ja.«
»Geflohen?«
»Ja.«
»Wovor?«
Der Junge zögerte noch einmal. »Vor den Kämpfen, Herr Lehrer.«
»Savimbi?«
Der Junge war klug genug, sich zu keiner Seite zu bekennen, sogar in
einem anderen Land, sogar so weit im Süden wie in Goas. »Nur vor den
Kämpfen, Herr Lehrer.«
»Eltern?«
»Keine.«
»Wie seid ihr hergekommen? Wer hat euch gebracht?«
»Wir sind zu Fuß gekommen, Herr Lehrer.«
»Zu Fuß! Aus Angola!«
»Ja.«
»Unmöglich!« rief der Direktor. »Das sind achthundert Kilometer!«
Die Miene des stämmigen Jungen blieb unbewegt. Er schien den
Direktor einzuschätzen und merkte wohl, dass dieser zwar etwas großtuerisch,
aber nicht dumm war.
Er wiederholte leise: »Wir sind zu Fuß gekommen, Herr Lehrer.«
Der Direktor senkte den Blick zum erstenmal auf ihre Füße. »Seid
ihr hungrig?«
»Nein, Lehrer.«
»Braucht ihr ein Bett?«
»Nein.«
»Was wollt ihr dann?«
Diesmal zögerte der Junge nicht. »Schule.«
»Wie bitte?«
»Wir möchten zur Schule gehen, Herr Lehrer.«
Das war die schlichte Wahrheit. Weder Essen noch Bett, aber Schule.
Der Direktor zuckte mit den Schultern, erfreut darüber, dass sie nicht
zum Priester gegangen waren, sondern zu ihm. Hätte der Priester diesen
Lämmern Schutz gewährt, dann hätte der Direktor sofort bei der
Polizeikaserne in Karibib angerufen, und man hätte die drei Kinder
wahrscheinlich binnen eines Tages ausgewiesen und hinten auf einem
Viehtransporter wieder in den Bürgerkrieg befördert, zurück zu Dr. Savimbi.
»Wir haben noch Platz, Kinder«, sagte er, »in unserer Herberge.«
Eine gute Woche saßen sie stumm in unseren Klassenzimmern. Wenn
es nicht genug Stühle gab, saßen sie auf dem Fußboden. Wir gaben
ihnen Stifte und Papier, doch sie schrieben nur selten etwas auf. Sie
wechselten von Klasse zu Klasse wie gutmütige Ausgaben der gefürchteten
Schulinspektoren, die uns einmal im Semester heimsuchten, um
uns anhand der alten Bantu-Bewertungsskala für den Schulunterricht
von Goed bis Swak einzustufen. Sie begannen den Tag oft bei Mavalas
Vorschülern und beendeten ihn bei Pohambas Siebtklässlern, und jeder
Tag bot ihnen einen Querschnitt all dessen, was wir zu bieten hatten
(oder auch nicht). Vermutlich war es mehr Schule, als sie sich vorgestellt
hatten. Sie unterhielten sich weder mit den Jungen noch untereinander.
Sogar der Stämmige, anfangs so vorwitzig, benahm sich rasch
wie irgendein beliebiger stummer Schüler. Einmal versuchte Mavala,
mit ihm zu reden und zu erfahren, was ihnen passiert war. Sie sagte, sie
könne ihn vielleicht verstehen, doch er wandte sich wortlos ab.
Draußen bei den Gräbern sagte sie: »Er redet nur, wenn er muss. Ich
vergesse immer, welche Tugend darin liegt.«
»Du erzählst nichts.«
Sie zuckte mit den Schultern. Da sie es im Liegen tat, knirschte
dumpf der Sand.
»Ich habe nichts zu erzählen.«
»Das glaube ich dir nicht.«
Ihre Namen erfuhren wir nie, und wir erfuhren auch nichts über das,
was sie durchgemacht hatten. Natürlich hatten wir Obadiahs Radio
und die eine Woche alten Zeitungen. Wir hatten eine vage Ahnung.
Wir hätten uns manches vorstellen können, falls wir das ertragen hätten.
Soldaten, die Babys in die Luft warfen und vor den Augen der Mütter
erschossen. Aber wer kann so etwas wirklich ins Gesicht sehen?
Sie hielten sich nie lange auf. Die drei Kinder kamen morgens zur
Schule, wenn die Triangel zum zweitenmal geläutet wurde, und verschwanden
sofort nach der letzten Stunde. In der Pause zogen sie sich
auf das Veld zurück.
Im Unterricht stand das Mädchen, ob sie schwieg oder nicht, im Mittelpunkt
der Aufmerksamkeit. Man konnte riechen, wie die Jungen bei
ihrem Anblick ins Schwitzen kamen. In ihrem Blick, den sie starr auf
die Tafel richtete, lag eine unbestimmte Traurigkeit. Die Unruhe der
Jungen schien sie nicht wahrzunehmen. In ihrer Miene regte sich nur
etwas, wenn sie ihren Bruder anschaute. Manchmal berührte sie ihn im
Unterricht an der Wange, und dann wurde den Jungen ganz anders
zumute. Der Stämmige konnte offenbar allein auf sich aufpassen.
Doch was ihren schüchternen Bruder betraf - immer an ihrer Seite,
seine Füße an die ihren gedrückt -, so schien sie sich zu fragen: Was soll
aus dir werden?
Nachdem sie uns verlassen hatten, entdeckte ein Junge, dass sie weiter
draußen am Straßenrand gehaust hatten. Theofilus musste das gewusst
haben. Wir vermuteten auch, dass er ihnen Essen gebracht hatte,
denn eine so unaufdringliche Person wie ihn dürften sie als Versorger
akzeptiert haben. Er verlor allerdings nie ein Wort darüber. Doch solange
sie bei uns waren, folgte ihnen niemand bis an den Ort, wo sie
übernachteten, nicht einmal der aufmüpfigste Siebtklässler. Als Erklä-
rung kann man nur vermuten, dass ganz Goas - ohne Anweisung von
oben - einen Teil des Velds draußen an der Straße als ihr zeitweiliges
Eigentum akzeptierte, als einen Ort, wo sie sich verbargen wie blinde
Passagiere.
Sie verließen uns so plötzlich, wie sie gekommen waren. Niemand
versuchte, sie zurückzuholen.
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Autoren-Porträt von Peter Orner
Peter Orner wurde 1968 in Chicago geboren. Bereits sein erstes Buch stand auf der Auswahlliste für den PEN /Hemingway Award und gewann den Rome Prize der American Academy of Arts and Letters. Orner lebt in San Francisco und unterrichtet an der dortigen Universität.Henning Ahrens, geboren 1964, lebt als Schriftsteller und Übersetzer in Handorf, Niedersachsen. 2016 wurde er mit dem Bremer Literaturpreis ausgezeichnet.
Bibliographische Angaben
- Autor: Peter Orner
- 2008, 344 Seiten, Maße: 12,8 x 19,7 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzung: Ahrens, Henning
- Übersetzer: Henning Ahrens
- Verlag: HANSER
- ISBN-10: 3446230602
- ISBN-13: 9783446230606
Rezension zu „Die Wiederkehr der Mavala Shikongo “
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