Die wilden Piroggenpiraten
Ein tollkühnes Abenteuer um eine entführte Mohnschnecke und ihre furchtlosen Retter. Nominiert für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2013, Kategorie Kinderbuch
Einer für alle, alle für eine
Eine süße Mohnschnecke als Piratenkapitän, eine wilde Pirogge im Kloster, ein Hörnchen im Kerker, ein Eclair, das Schiffbruch erleidet.
Es wird wild gekämpft, es rieseln die Füllungen, und der Schlachtruf lautet: Macht sie...
Eine süße Mohnschnecke als Piratenkapitän, eine wilde Pirogge im Kloster, ein Hörnchen im Kerker, ein Eclair, das Schiffbruch erleidet.
Es wird wild gekämpft, es rieseln die Füllungen, und der Schlachtruf lautet: Macht sie...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Die wilden Piroggenpiraten “
Klappentext zu „Die wilden Piroggenpiraten “
Einer für alle, alle für eineEine süße Mohnschnecke als Piratenkapitän, eine wilde Pirogge im Kloster, ein Hörnchen im Kerker, ein Eclair, das Schiffbruch erleidet.
Es wird wild gekämpft, es rieseln die Füllungen, und der Schlachtruf lautet: Macht sie zu Semmelbröseln!
Dieses Buch ist einzigartig. Es ist verrückt, wahnsinnig komisch und abgedreht. Und es hat alles, was ein großer Abenteuerroman braucht. Und alle, wirklich alle, werden ihren Spaß haben und lauthals lachen, wenn sie die essbaren Helden auf ihrem steinigen Weg zum großen Glück begleiten.
Ein Hoch auf alle Kaffeestückchen und Teigtaschen dieser Welt!
Lese-Probe zu „Die wilden Piroggenpiraten “
Die wilden Piroggenpiraten von Maris Putnins3. Kapitel
DAS SCHIFF DER WILDEN PIROGGEN
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Lediglich auf der Zuckerstern ahnte niemand etwas von der drohenden Gefahr, denn das Segel verdeckte die Sicht auf das völlig lautlos näher kommende Piroggenschiff. Mohnschnecke hatte den Kopf an Hörnchens Brust gelehnt und gab sich dem Zauber der Fahrt hin, bis es zu spät war. Mit einem dumpfen Rummsen stieß das Piroggenschiff, die Speckkugel, gegen das winzige Segelboot, und sogleich bohrten sich mehrere Enterhaken in die Bordwand der Yacht, so dass sie an die Brigg gefesselt war. Markerschütternde Schreie ertönten. Im Windschatten der hohen Bordwand des Angreifers wurde das Großsegel der Yacht schlaff, und die beiden jungen Leute hatten nun freie Sicht auf den ganzen schreckeneinflößenden Segler. Wie es sich gehörte, zierte eine Galionsfigur den Bug - die holzgeschnitzte Figur eines dickbäuchigen Piroggendämons. Aus den geöffneten Geschützpforten starrten die Mündungen von Kanonenrohren direkt in Hörnchens Gesicht. Neben den Geschützen schimmerten im Halbdunkel des Schiffsrumpfes weiß die Augen der rußgeschwärzten Piroggenkanoniere, die glühende Lunten zum Abfeuern der Pulverladungen in den Händen hielten. Andere Piroggen hingen über die Reling, brüllten furchterregend und schwangen ihre schartigen Säbel. Ein besonders unverschämter tätowierter und pickliger Pirogg streckte Mohnschnecke seine grüne Zwiebellauchzunge heraus, und ein anderer, der fürchterlich schielte, feuerte aus seiner mit Gewürznelken geladenen Muskete plötzlich einen Schuss ab, der ein riesiges Loch in das Segel der Yacht riss. Versengte Stofffetzen rieselten auf die verschreckten Ausflügler herab. Es war entsetzlich! Mohnschnecke schmiegte sich dicht an Hörnchen, aber auch er war wie gelähmt.
Auf der Kommandobrücke stand, die Arme über der Brust verschränkt, der Piroggenkapitän persönlich. Er hatte ein Holzbein, trug eine schwarze Augenklappe, einen mit befransten goldenen Epauletten verzierten schwarzen Uniformrock, an der Seite hing ein Krummsäbel mit silberbeschlagener Scheide, und in den Gürtel waren zwei Pistolen gesteckt. Mohnschnecke verschlug es den Atem. Ihr fielen die häufig gehörten Berichte ein. Dies hier waren die schlimmsten Piraten, nämlich die Speckpiroggen mit ihrem wilden, speck- und zwiebelgefüllten Anführer Mordan!
Als er den Schuss hörte, ruderte Eclair noch verzweifelter. Er war zu weit weg! Wenn er gekonnt hätte, wäre er am liebsten über das Wasser gerannt und hätte das widerspenstige Boot hinter sich hergezogen ... Er kämpfte mit den schweren Riemen, ohne den aufgerissenen Blasen an seinen Händen Beachtung zu schenken, aber das Boot bewegte sich zu langsam vorwärts. Eclair hatte keine Ahnung, was er tun sollte, wenn er das Piroggenschiff erreichen würde, und wie er Mohnschnecke helfen könnte. Die Hauptsache war, es zu schaffen, nicht zu spät zu kommen, sie zu retten! ...
Die Piroggen hievten die gefangenen Ausflügler an Bord ihres Schiffes. Umzingelt von den Piroggen, stand Hörnchen starr und bleich da, aber in Mohnschnecke erwachten Trotz und Zorn. Wie konnten diese gemeinen, schmutzigen Piroggen es wagen, sie mit ihren ungewaschenen Pfoten anzufassen! Und sie fing an, so lange tüchtig mit ihrem Sonnenschirm auf die Angreifer einzudreschen, bis er auseinanderfiel, aber die Piroggen lachten nur amüsiert. Schließlich hatten sie genug von dem rauflustigen Mädchen und fesselten es mit dicken Seilen an den Fockmast, um ein Weilchen Ruhe vor ihm zu haben.
Ein paar Piroggen ließen sich auf Hörnchens Yacht hinab und durchsuchten sie rasch nach Beute, gerieten jedoch in Wut, weil sie nichts Nützliches fanden. Die Yacht selbst konnten sie nicht gebrauchen. Die Piroggen machten die Enterhaken los, und der Kapitänsmaat nahm eine Kanonenkugel - eine große, schwarze Zwetschge - und warf sie mitten auf die Yacht. Die Kugel riss ein beträchtliches Leck in den Boden des kleinen Schiffs, und von ihrem schweren Kiel nach unten gezogen, begann die Zuckerstern rasch zu sinken. Nach ein paar Sekunden ragte nur noch die Mastspitze aus dem Wasser, und dann verschwand auch sie. Dort, wo soeben noch eine schöne Segelyacht auf den Wellen geschaukelt hatte, stiegen ein paar Luftblasen zur Wasseroberfläche auf. Nun wandten sich die Piroggen Hörnchen zu.
»In Scheiben schneiden!«
»Lasst uns Zwieback aus ihm machen! Eine ganze Tüte voll Zwieback!«
»Zerbröseln! Zerbröseln!«
»Nein, lasst uns einen Bagel aus ihm machen - wir binden ihn vor eine Kanone und feuern ab.«
»Bagel! Bagel!«
»Seht mal, er hat die Hosen schon voll Teig!«
Hörnchen dachte, dass sein letztes Stündchen geschlagen hatte, und wurde noch bleicher. Aber da ertönte von der Brücke die krächzende Stimme von Käpt'n Mordan.
»Kümmel und Kelle nochmal! Wir schicken diese Festlandnudel über die Planke!«
Die Piroggen jubelten. Diese uralte und unerschütterliche Tradition der wilden Piroggen, einen ungebetenen Gast zu zwingen, über eine auf die Reling gelegte Bohle zu gehen, bis er ins Wasser fiel, hatten sie schon lange nicht mehr gepflegt, denn der verruchte Speckpirogg Mordan machte nur selten Gefangene - normalerweise ließ er die ausgeraubten Schiffe samt ihrer Besatzung in die Luft jagen, und darum war ihnen die Planke gar nicht in den Sinn gekommen. Die Piroggen waren einhellig begeistert. Halbpirogg, der Kapitänsmaat, schleppte schon ein langes Brett herbei. Den Namen trug er, seit ihm während einer Enterschlacht mit einer spunischen Longaniza-Galeere ein Gegner einen beträchtlichen Happen aus der Seite gesäbelt hatte, wobei ein Teil der Füllung in der Hitze des Gefechts herausgepurzelt war. Später wurde die Seite mit gewachstem Hanfgarn zugenäht, und der Spitzname blieb für alle Zeiten an ihm haften.
Die Piroggen schoben das eine Ende der Planke weit über die Reling, das andere zurrten sie tüchtig fest. Dann hievten sie den kreidebleichen Hörnchen auf diesen schmalen, ins nasse Nichts führenden Steg und trieben ihn mit Säbel- und Bootshakenpieksern voran. Hörnchen war völlig verdattert, seine Knie zitterten und der Atem wurde flach, denn je weiter er ging, desto mehr federte das Brett auf und ab. Als er in der Mitte der Planke war, hielt Hörnchen es nicht mehr aus.
»Lasst mich laufen! Mein Vater ist reich, er wird bezahlen! ... «, krähte er.
»Reich? Dann zurück mit dem Knödel!«, befahl Käpt'n Mordan, aber die Piroggen hatten Feuer gefangen und trieben Hörnchen immer weiter.
»Zurück mit ihm, hab ich gesagt! Erst das Gold, dann das Vergnügen!«, schnauzte der Kapitän und eilte mit gegen die Stufen pochendem Holzbein von der Brücke hinunter auf Deck. In diesem Augenblick fuhr ein jäher Windstoß in die Segel. Die Speckkugel legte sich auf die Seite, der arme Hörnchen verlor das Gleichgewicht und fiel mit einem gellenden Schrei in die Tiefe. Zwar versuchten die Piroggen im letzten Moment, ihn aufzufangen, doch ihre ausgestreckten Hände bekamen nur noch Luft zu fassen.
Wider Erwarten endete Hörnchens Sturz nicht mit einem Platsch ins Wasser. Stattdessen ertönte ein lautes Knacken, unmittelbar gefolgt von einem dumpfen Poltern. Die Piroggen beugten sich verdutzt über die Reling.
Wie der Zufall es wollte, kam Eclair mit letzter Kraft just in der Sekunde an das Piroggenschiff herangerudert, als Hörnchen von der Planke rutschte - er fiel genau in Eclairs Boot, wobei einer der Riemen zu Bruch ging, und schlug dann mit dem Kopf an die Bordwand. Erschöpft und verblüfft stierte Eclair seinen wie vom Himmel gefallenen ohnmächtigen Passagier an. Während die Piroggen unter heftigen Flüchen versuchten, das Ruderboot mit ihren Enterhaken zu fassen zu bekommen, kam eine weitere Bö und legte sich schwer in die Segel der Brigg. Die Piroggen heulten vor Wut, aber das finstere Schiff drehte sich in den auffrischenden Wind und driftete immer weiter von dem Ruderboot fort, in dem Eclair vollkommen reglos dasaß. Er hatte das Ende des zerbrochenen Riemens in der Hand und sah hilflos zu, wie der Piroggensegler samt Mohnschnecke entschwand.
Unter grimmigen Holzbeintritten nach links und rechts bahnte Käpt'n Mordan sich einen Weg zur Heckkanone und stieß eine Lunte ins Zündloch. Ein Schuss donnerte, das ganze Schiffsheck war in schwarzen Pulverrauch gehüllt, aber auch diesmal hatten die Piroggen das Nachsehen: Die abgefeuerte Zwetschge flog pfeifend über Eclairs Kopf hinweg, klatschte auf die Wasserfläche und machte noch ein paar Hüpfer, bis sie schließlich in den Fluten versank. Die kräftige Brise vergrößerte den Abstand zwischen der Brigg und dem einsamen Ruderboot zusehends. Ein Wendemanöver war nicht möglich. Käpt'n Mordan spuckte über die Reling und wandte dem Ruderboot den Rücken zu. Die Speckkugel entfernte sich aus der Bucht.
Eclair seufzte und griff nach dem heil gebliebenen Riemen. Hörnchen lag immer noch bewusstlos da. Es blieb ihm nichts anderes übrig als zu versuchen, nach Murseille zurückzukehren. Mit einem Riemen zu rudern war noch viel anstrengender als mit zweien, da er wechselweise auf beiden Seiten des Bootes paddeln musste, weil es sonst ununterbrochen im Kreis gefahren wäre. Der kräftige Gegenwind war hinderlich, und seine wunden Hände taten unerträglich weh, aber Eclair gab nicht auf und kämpfte sich langsam voran.
Nach einer halben Stunde harter Arbeit geriet das Boot in den Windschatten der Insel, und das Rudern wurde leichter. Auch die Wellen waren hier deutlich flacher. Der Abend brach an, und über Sankt Krokant leuchteten Sträuße unzähliger heller Sternchen und geschweifter Kometen auf - Graf Napoleons erstes Feuerwerk wurde gezündet. Einen Augenblick später trug der Wind auch das durch die Entfernung verzögerte Knallen der Raketen heran, vermischt mit den Klängen einer fröhlichen Mazurka. Das Fest ging weiter. Die jungen Leute auf der Insel hatten das Piroggenschiff schon wieder vergessen: Das alles war so weit weg gewesen, niemand wusste genau, worum es eigentlich ging, und außerdem hatten weder die meisten Gäste noch Napoleon selbst etwas gesehen oder gehört - also konnte man unbeschwert weitertanzen und sich vergnügen.
Eclair fing wieder an zu rudern. Als das Boot aus dem Windschatten der Insel herausfuhr und die Wellen erneut hartnäckig am Bug rüttelten, kam Hörnchen, der die ganze Zeit hilflos auf dem Boden herumgekullert war, zur Besinnung.
»Wo bin ich?«, fragte er mit schwacher Stimme. »Ist das hier das Schlaraffenland? Bin ich tot? Ojemine, tut mir der Kopf weh!«
»Nein, du bist nicht tot. Und ich bin kein Engel, sondern eher Charon«, antwortete Eclair nach einer Weile, »aber wahrscheinlich wäre es besser, wenn wir beide tot wären.«
»Wo ist das Mädchen geblieben?« Hörnchen setzte sich auf und nahm den schmerzenden Kopf in die Hände. »Verflixt, die Salzkörnchen sind mir abgefallen! Wo ist meine Yacht? Und warum chauffierst du mich mit dieser Nussschale? ...«
»Ich werde der Reihe nach antworten.« Eclair spürte, wie allmählich unbändiger Zorn in ihm aufstieg. Dieser eingebildete Schnösel, wegen dem Mohnschnecke entführt und vielleicht sogar schon tot war! »Fräulein Mohnschnecke hast du in der Gewalt der Piroggen gelassen. Die Yacht wurde versenkt. Diese Nussschale bringt dich an Land, und wenn sie dir nicht gefällt, kannst du ja aussteigen. Ach ja, und ohne diese Salzkörnchen siehst du besser aus.«
»Ich kann es nicht ertragen, wenn irgendein Diener ... «
»Ich bin kein Diener.« In Eclairs Stimme schwang schwarzer Pfeffer mit. »Auf jeden Fall bin ich bereit, Ihnen mit Bratspießen in der Hand an einem abgelegenen Ort Genugtuung zu verschaffen, verehrter Herr!«
In Wirklichkeit wollte Eclair dem Lackaffen am liebsten eins mit dem Riemen überbraten, aber die Kräfte waren knapp und die Küste noch immer fern. Eclair fuhr fort, gegen Wind und Wellen anzukämpfen.
»Ach, mein Kopf tut mir so weh! « Hörnchen ließ sich wieder niedersinken und stellte keine Fragen mehr, sondern stöhnte nur leise auf, wenn er von den Wellen hin- und her-geworfen wurde.
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2012
Lediglich auf der Zuckerstern ahnte niemand etwas von der drohenden Gefahr, denn das Segel verdeckte die Sicht auf das völlig lautlos näher kommende Piroggenschiff. Mohnschnecke hatte den Kopf an Hörnchens Brust gelehnt und gab sich dem Zauber der Fahrt hin, bis es zu spät war. Mit einem dumpfen Rummsen stieß das Piroggenschiff, die Speckkugel, gegen das winzige Segelboot, und sogleich bohrten sich mehrere Enterhaken in die Bordwand der Yacht, so dass sie an die Brigg gefesselt war. Markerschütternde Schreie ertönten. Im Windschatten der hohen Bordwand des Angreifers wurde das Großsegel der Yacht schlaff, und die beiden jungen Leute hatten nun freie Sicht auf den ganzen schreckeneinflößenden Segler. Wie es sich gehörte, zierte eine Galionsfigur den Bug - die holzgeschnitzte Figur eines dickbäuchigen Piroggendämons. Aus den geöffneten Geschützpforten starrten die Mündungen von Kanonenrohren direkt in Hörnchens Gesicht. Neben den Geschützen schimmerten im Halbdunkel des Schiffsrumpfes weiß die Augen der rußgeschwärzten Piroggenkanoniere, die glühende Lunten zum Abfeuern der Pulverladungen in den Händen hielten. Andere Piroggen hingen über die Reling, brüllten furchterregend und schwangen ihre schartigen Säbel. Ein besonders unverschämter tätowierter und pickliger Pirogg streckte Mohnschnecke seine grüne Zwiebellauchzunge heraus, und ein anderer, der fürchterlich schielte, feuerte aus seiner mit Gewürznelken geladenen Muskete plötzlich einen Schuss ab, der ein riesiges Loch in das Segel der Yacht riss. Versengte Stofffetzen rieselten auf die verschreckten Ausflügler herab. Es war entsetzlich! Mohnschnecke schmiegte sich dicht an Hörnchen, aber auch er war wie gelähmt.
Auf der Kommandobrücke stand, die Arme über der Brust verschränkt, der Piroggenkapitän persönlich. Er hatte ein Holzbein, trug eine schwarze Augenklappe, einen mit befransten goldenen Epauletten verzierten schwarzen Uniformrock, an der Seite hing ein Krummsäbel mit silberbeschlagener Scheide, und in den Gürtel waren zwei Pistolen gesteckt. Mohnschnecke verschlug es den Atem. Ihr fielen die häufig gehörten Berichte ein. Dies hier waren die schlimmsten Piraten, nämlich die Speckpiroggen mit ihrem wilden, speck- und zwiebelgefüllten Anführer Mordan!
Als er den Schuss hörte, ruderte Eclair noch verzweifelter. Er war zu weit weg! Wenn er gekonnt hätte, wäre er am liebsten über das Wasser gerannt und hätte das widerspenstige Boot hinter sich hergezogen ... Er kämpfte mit den schweren Riemen, ohne den aufgerissenen Blasen an seinen Händen Beachtung zu schenken, aber das Boot bewegte sich zu langsam vorwärts. Eclair hatte keine Ahnung, was er tun sollte, wenn er das Piroggenschiff erreichen würde, und wie er Mohnschnecke helfen könnte. Die Hauptsache war, es zu schaffen, nicht zu spät zu kommen, sie zu retten! ...
Die Piroggen hievten die gefangenen Ausflügler an Bord ihres Schiffes. Umzingelt von den Piroggen, stand Hörnchen starr und bleich da, aber in Mohnschnecke erwachten Trotz und Zorn. Wie konnten diese gemeinen, schmutzigen Piroggen es wagen, sie mit ihren ungewaschenen Pfoten anzufassen! Und sie fing an, so lange tüchtig mit ihrem Sonnenschirm auf die Angreifer einzudreschen, bis er auseinanderfiel, aber die Piroggen lachten nur amüsiert. Schließlich hatten sie genug von dem rauflustigen Mädchen und fesselten es mit dicken Seilen an den Fockmast, um ein Weilchen Ruhe vor ihm zu haben.
Ein paar Piroggen ließen sich auf Hörnchens Yacht hinab und durchsuchten sie rasch nach Beute, gerieten jedoch in Wut, weil sie nichts Nützliches fanden. Die Yacht selbst konnten sie nicht gebrauchen. Die Piroggen machten die Enterhaken los, und der Kapitänsmaat nahm eine Kanonenkugel - eine große, schwarze Zwetschge - und warf sie mitten auf die Yacht. Die Kugel riss ein beträchtliches Leck in den Boden des kleinen Schiffs, und von ihrem schweren Kiel nach unten gezogen, begann die Zuckerstern rasch zu sinken. Nach ein paar Sekunden ragte nur noch die Mastspitze aus dem Wasser, und dann verschwand auch sie. Dort, wo soeben noch eine schöne Segelyacht auf den Wellen geschaukelt hatte, stiegen ein paar Luftblasen zur Wasseroberfläche auf. Nun wandten sich die Piroggen Hörnchen zu.
»In Scheiben schneiden!«
»Lasst uns Zwieback aus ihm machen! Eine ganze Tüte voll Zwieback!«
»Zerbröseln! Zerbröseln!«
»Nein, lasst uns einen Bagel aus ihm machen - wir binden ihn vor eine Kanone und feuern ab.«
»Bagel! Bagel!«
»Seht mal, er hat die Hosen schon voll Teig!«
Hörnchen dachte, dass sein letztes Stündchen geschlagen hatte, und wurde noch bleicher. Aber da ertönte von der Brücke die krächzende Stimme von Käpt'n Mordan.
»Kümmel und Kelle nochmal! Wir schicken diese Festlandnudel über die Planke!«
Die Piroggen jubelten. Diese uralte und unerschütterliche Tradition der wilden Piroggen, einen ungebetenen Gast zu zwingen, über eine auf die Reling gelegte Bohle zu gehen, bis er ins Wasser fiel, hatten sie schon lange nicht mehr gepflegt, denn der verruchte Speckpirogg Mordan machte nur selten Gefangene - normalerweise ließ er die ausgeraubten Schiffe samt ihrer Besatzung in die Luft jagen, und darum war ihnen die Planke gar nicht in den Sinn gekommen. Die Piroggen waren einhellig begeistert. Halbpirogg, der Kapitänsmaat, schleppte schon ein langes Brett herbei. Den Namen trug er, seit ihm während einer Enterschlacht mit einer spunischen Longaniza-Galeere ein Gegner einen beträchtlichen Happen aus der Seite gesäbelt hatte, wobei ein Teil der Füllung in der Hitze des Gefechts herausgepurzelt war. Später wurde die Seite mit gewachstem Hanfgarn zugenäht, und der Spitzname blieb für alle Zeiten an ihm haften.
Die Piroggen schoben das eine Ende der Planke weit über die Reling, das andere zurrten sie tüchtig fest. Dann hievten sie den kreidebleichen Hörnchen auf diesen schmalen, ins nasse Nichts führenden Steg und trieben ihn mit Säbel- und Bootshakenpieksern voran. Hörnchen war völlig verdattert, seine Knie zitterten und der Atem wurde flach, denn je weiter er ging, desto mehr federte das Brett auf und ab. Als er in der Mitte der Planke war, hielt Hörnchen es nicht mehr aus.
»Lasst mich laufen! Mein Vater ist reich, er wird bezahlen! ... «, krähte er.
»Reich? Dann zurück mit dem Knödel!«, befahl Käpt'n Mordan, aber die Piroggen hatten Feuer gefangen und trieben Hörnchen immer weiter.
»Zurück mit ihm, hab ich gesagt! Erst das Gold, dann das Vergnügen!«, schnauzte der Kapitän und eilte mit gegen die Stufen pochendem Holzbein von der Brücke hinunter auf Deck. In diesem Augenblick fuhr ein jäher Windstoß in die Segel. Die Speckkugel legte sich auf die Seite, der arme Hörnchen verlor das Gleichgewicht und fiel mit einem gellenden Schrei in die Tiefe. Zwar versuchten die Piroggen im letzten Moment, ihn aufzufangen, doch ihre ausgestreckten Hände bekamen nur noch Luft zu fassen.
Wider Erwarten endete Hörnchens Sturz nicht mit einem Platsch ins Wasser. Stattdessen ertönte ein lautes Knacken, unmittelbar gefolgt von einem dumpfen Poltern. Die Piroggen beugten sich verdutzt über die Reling.
Wie der Zufall es wollte, kam Eclair mit letzter Kraft just in der Sekunde an das Piroggenschiff herangerudert, als Hörnchen von der Planke rutschte - er fiel genau in Eclairs Boot, wobei einer der Riemen zu Bruch ging, und schlug dann mit dem Kopf an die Bordwand. Erschöpft und verblüfft stierte Eclair seinen wie vom Himmel gefallenen ohnmächtigen Passagier an. Während die Piroggen unter heftigen Flüchen versuchten, das Ruderboot mit ihren Enterhaken zu fassen zu bekommen, kam eine weitere Bö und legte sich schwer in die Segel der Brigg. Die Piroggen heulten vor Wut, aber das finstere Schiff drehte sich in den auffrischenden Wind und driftete immer weiter von dem Ruderboot fort, in dem Eclair vollkommen reglos dasaß. Er hatte das Ende des zerbrochenen Riemens in der Hand und sah hilflos zu, wie der Piroggensegler samt Mohnschnecke entschwand.
Unter grimmigen Holzbeintritten nach links und rechts bahnte Käpt'n Mordan sich einen Weg zur Heckkanone und stieß eine Lunte ins Zündloch. Ein Schuss donnerte, das ganze Schiffsheck war in schwarzen Pulverrauch gehüllt, aber auch diesmal hatten die Piroggen das Nachsehen: Die abgefeuerte Zwetschge flog pfeifend über Eclairs Kopf hinweg, klatschte auf die Wasserfläche und machte noch ein paar Hüpfer, bis sie schließlich in den Fluten versank. Die kräftige Brise vergrößerte den Abstand zwischen der Brigg und dem einsamen Ruderboot zusehends. Ein Wendemanöver war nicht möglich. Käpt'n Mordan spuckte über die Reling und wandte dem Ruderboot den Rücken zu. Die Speckkugel entfernte sich aus der Bucht.
Eclair seufzte und griff nach dem heil gebliebenen Riemen. Hörnchen lag immer noch bewusstlos da. Es blieb ihm nichts anderes übrig als zu versuchen, nach Murseille zurückzukehren. Mit einem Riemen zu rudern war noch viel anstrengender als mit zweien, da er wechselweise auf beiden Seiten des Bootes paddeln musste, weil es sonst ununterbrochen im Kreis gefahren wäre. Der kräftige Gegenwind war hinderlich, und seine wunden Hände taten unerträglich weh, aber Eclair gab nicht auf und kämpfte sich langsam voran.
Nach einer halben Stunde harter Arbeit geriet das Boot in den Windschatten der Insel, und das Rudern wurde leichter. Auch die Wellen waren hier deutlich flacher. Der Abend brach an, und über Sankt Krokant leuchteten Sträuße unzähliger heller Sternchen und geschweifter Kometen auf - Graf Napoleons erstes Feuerwerk wurde gezündet. Einen Augenblick später trug der Wind auch das durch die Entfernung verzögerte Knallen der Raketen heran, vermischt mit den Klängen einer fröhlichen Mazurka. Das Fest ging weiter. Die jungen Leute auf der Insel hatten das Piroggenschiff schon wieder vergessen: Das alles war so weit weg gewesen, niemand wusste genau, worum es eigentlich ging, und außerdem hatten weder die meisten Gäste noch Napoleon selbst etwas gesehen oder gehört - also konnte man unbeschwert weitertanzen und sich vergnügen.
Eclair fing wieder an zu rudern. Als das Boot aus dem Windschatten der Insel herausfuhr und die Wellen erneut hartnäckig am Bug rüttelten, kam Hörnchen, der die ganze Zeit hilflos auf dem Boden herumgekullert war, zur Besinnung.
»Wo bin ich?«, fragte er mit schwacher Stimme. »Ist das hier das Schlaraffenland? Bin ich tot? Ojemine, tut mir der Kopf weh!«
»Nein, du bist nicht tot. Und ich bin kein Engel, sondern eher Charon«, antwortete Eclair nach einer Weile, »aber wahrscheinlich wäre es besser, wenn wir beide tot wären.«
»Wo ist das Mädchen geblieben?« Hörnchen setzte sich auf und nahm den schmerzenden Kopf in die Hände. »Verflixt, die Salzkörnchen sind mir abgefallen! Wo ist meine Yacht? Und warum chauffierst du mich mit dieser Nussschale? ...«
»Ich werde der Reihe nach antworten.« Eclair spürte, wie allmählich unbändiger Zorn in ihm aufstieg. Dieser eingebildete Schnösel, wegen dem Mohnschnecke entführt und vielleicht sogar schon tot war! »Fräulein Mohnschnecke hast du in der Gewalt der Piroggen gelassen. Die Yacht wurde versenkt. Diese Nussschale bringt dich an Land, und wenn sie dir nicht gefällt, kannst du ja aussteigen. Ach ja, und ohne diese Salzkörnchen siehst du besser aus.«
»Ich kann es nicht ertragen, wenn irgendein Diener ... «
»Ich bin kein Diener.« In Eclairs Stimme schwang schwarzer Pfeffer mit. »Auf jeden Fall bin ich bereit, Ihnen mit Bratspießen in der Hand an einem abgelegenen Ort Genugtuung zu verschaffen, verehrter Herr!«
In Wirklichkeit wollte Eclair dem Lackaffen am liebsten eins mit dem Riemen überbraten, aber die Kräfte waren knapp und die Küste noch immer fern. Eclair fuhr fort, gegen Wind und Wellen anzukämpfen.
»Ach, mein Kopf tut mir so weh! « Hörnchen ließ sich wieder niedersinken und stellte keine Fragen mehr, sondern stöhnte nur leise auf, wenn er von den Wellen hin- und her-geworfen wurde.
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2012
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Autoren-Porträt von Maris Putnins
Putnins, MarisMaris Putnins (sprich: Máhris Púttninsch), geboren 1950 in Valmiera, Lettland, ist Theater-, Drehbuch- und Kinderbuchautor, Illustrator, Filmproduzent, Schauspieler, Puppenspieler und Bühnenbildner. Sein Roman 'Die wilden Piroggenpiraten' wurde für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2013 nominiert.
Teich, Karsten
Karsten Teich, geboren 1967, studierte an der Hochschule der Künste in Kassel Malerei. Seit 1996 lebt er mit seiner Familie in Berlin und arbeitet für verschiedene Verlage, Magazine und Tageszeitungen. Für seine Illustrationen wurde er bereits vielfach ausgezeichnet.
Bibliographische Angaben
- Autor: Maris Putnins
- Altersempfehlung: 10 - 12 Jahre
- 2012, 2. Aufl., 656 Seiten, mit Abbildungen, Maße: 15,4 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Aus d. Lett. v. Matthias Knoll
- Übersetzer: Matthias Knoll
- Verlag: FISCHER Taschenbuch
- ISBN-10: 3596854520
- ISBN-13: 9783596854523
Rezension zu „Die wilden Piroggenpiraten “
Eine Lesevergnügen der besonderen Art. Hilde Elisabeth Menzel Süddeutsche Zeitung 20140307
Kommentar zu "Die wilden Piroggenpiraten"
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