Die wilden Piroggenpiraten
Ein tollkühnes Abenteuer um eine entführte Mohnschnecke und ihre furchtlosen Retter
Ein verrücktes, wahnsinnig komisches, abgedrehtes Buch, das alles hat, was ein großer Abenteuerroman braucht.
Eine süße Mohnschnecke an Bord eines Piratenschiffes, eine wilde Pirogge im Kloster, ein Hörnchen im Kerker, ein Eclair, das Schiffbruch...
Eine süße Mohnschnecke an Bord eines Piratenschiffes, eine wilde Pirogge im Kloster, ein Hörnchen im Kerker, ein Eclair, das Schiffbruch...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Die wilden Piroggenpiraten “
Klappentext zu „Die wilden Piroggenpiraten “
Ein verrücktes, wahnsinnig komisches, abgedrehtes Buch, das alles hat, was ein großer Abenteuerroman braucht.Eine süße Mohnschnecke an Bord eines Piratenschiffes, eine wilde Pirogge im Kloster, ein Hörnchen im Kerker, ein Eclair, das Schiffbruch erleidet - es wird wild gekämpft, es rieseln die Füllungen, und der Schlachtruf lautet: "Macht sie zu Semmelbröseln!" Alle, wirklich alle, werden ihren Spaß haben und lauthals lachen, wenn sie die essbaren Helden auf ihrem steinigen Weg zum großen Glück begleiten. Ein Hoch auf alle Kaffeestückchen und Teigtaschen dieser Welt!
Lese-Probe zu „Die wilden Piroggenpiraten “
Die wilden Piroggenpiraten von Maris PutnisProlog
Dereinst vor langer, langer Zeit herrschten in der fernen Südsee die wilden Piroggenpiraten. Auf verschiedenen Schiffen durchstreiften sie die unermesslichen Weiten des Meeres, hielten jedes Schiff an, dem sie begegneten, raubten sämtliche Schätze und verkauften die gefangenen Schiffsleute als Sklaven. Die Seefahrt wurde immer gefährlicher, und nur noch selten wagte es ein Händler, seine Ware über das offene Meer zu schicken. Meistens segelten sie alle dicht vor der Küste, obgleich auch das wegen der vielen Untiefen, Sandbänke und Riffe sehr gefährlich war. Trotzdem entschied sich die Mehrheit der Kapitäne für ebendiese Routen, denn in größerer Entfernung von der Küste konnte ein unvorsichtiger Reisender unverhofft auf ein fremdes Schiff unter schwarzer Flagge voller wilder Piroggen treffen - und dann stehe der Große Konditor ihm bei! Nur mit vielen Kanonen bestückte Kauffahrer und Kriegsschiffe riskierten es, die von den Piroggenpiraten beherrschten Gebiete zu passieren, doch auch von ihnen ging so manches nie wieder in seinem Heimathafen vor Anker, und niemand vermochte zu sagen, was genau mit dem Schiff geschehen war. Später saßen die Piroggen dann in einer Spelunke auf der Insel Tortilla, ihrem Stützpunkt, und prahlten voreinander mit den Offiziersepauletten der königlichspunischen Flotte, die sie erbeutet hatten.
Die Piroggen waren auf sehr unterschiedlichen Schiffen unterwegs, weil sie in der Regel keine große Auswahl hatten, womit sie auf Beutezug gingen - sie fuhren mit allem, was sie sich gerade unter den Nagel reißen konnten.
... mehr
Da gab es in Tai-Wan-Tan gebaute flache Schiffe, die Dschunken genannt wurden. An den Masten trugen sie trapezförmige Schilfrohrsegel, und sie waren voller Wan-Tan- Piroggen. Die waren mit Reis gefüllt und trugen die Haare zu langen Zöpfen geflochten. Niemand verstand ihre Sprache, und offenbar verstanden sie selber einander auch nicht. Diese safrangelben Piroggen waren derart heimtückisch und unberechenbar, dass die anderen wilden Piroggen ihnen möglichst aus dem Weg gingen.
In langen, schweren Bretterbooten segelten die bärtigen Piroggen aus dem fernen Sibeerien. Sie waren bettelarm, immerzu hungrig und mit Sauerkraut gefüllt. Vielleicht war ihr Charakter just wegen dieses grässlich sauren Krauts so sauertöpfisch und unbeherrscht. Ihr Anführer trug eine Zobelfellmütze, fluchte ununterbrochen auf sibeerisch und spuckte über die Reling, wobei er gelegentlich durch die Löcher des geflickten Segels spähte und nachsah, was auf der anderen Seite des Bootes vor sich ging.
In zerlumpten Kajaks, deren Gestell aus gebogenem Eibenholz mit Robbenfell überzogen war, gingen die Belaschis aus dem hohen Norden auf Raubzug. Ihre Sprache erinnerte an das Quaken von Fröschen, und sie stanken immer nach verfaulten Eiern. Die anderen Piroggen betrachteten sie nicht wirklich als ihresgleichen, denn die Belaschis waren an einer Seite offen, so dass ständig die Füllung herausfiel. Oftmals jedoch erwiesen sie sich als garstiger als die übrigen, und wenn etwas besonders Fieses angestellt werden sollte, dann waren die Belaschis genau die Richtigen.
In schmalen, langen Ruderbooten mit zähnefletschenden Drachenköpfen am Bug fuhren die gehörnten Pilzpiroggen aus Stulle im hohen Norden zur See. Sie waren pilzgefüllt und alle gleichermaßen dreckig. Manch böse Zunge behauptete sogar, ihre Füllung bestünde aus Fliegenpilzen. Das war durchaus möglich, denn beim Kämpfen verloren die Pilzpiroggen immer völlig den Verstand, und dann war es unmöglich, mit ihnen Frieden zu schließen.
Es gab auch viele kleinere Schiffe. Auf solchen kreuzten die Kaldaunenpiroggen, die eine kleine spunische Barkentine besaßen, als auch die Fischpiroggen, die niemand für voll nahm, weil sie sich vorwiegend mit Fischerei beschäftigten, oder die gänzlich unbedeutenden Krümelquarkpiroggen, die ihre Balkenflöße mit langen Stangen an der Küste entlangschoben und es lediglich fertigbrachten, hin und wieder einen unachtsamen Angler auszurauben.
Die allerfürchterlichsten jedoch waren die Speckpiroggen. Sie segelten mit einer stattlichen Brigg, glänzten vor Fett und galten als schier unbezwingbar. Besonders zeichnete sich ihr Anführer namens Mordan aus. Er trug einen schwarzen Dreispitz und auf dem einen Auge eine Klappe, sein rechtes Bein war aus Holz, vor allem jedoch war er nicht nur mit Speck gefüllt, sondern auch mit Zwiebeln. Aus diesem Grunde haftete ihm stets ein penetranter Geruch an, und sein Naturell war außerordentlich bissig. Käpt'n Mordan hatte unzählige siegreiche Seeschlachten und Dutzende versenkter Schiffe auf dem Kerbholz. Die übrigen Piroggen betrachteten ihn als ihren ungekrönten Admiral, und das gefiel dem Speckpiroggenkapitän ausgesprochen gut.
Ungeachtet des Treibens der Piroggen auf dem offenen Meer jedoch verlief das Leben an der Küste in dem kleinen Hafenstädtchen Murseille vollkommen eintönig. Zu festgelegten Zeiten fanden Wahlen und Messen statt, was sich in ununterbrochenem Wechsel Jahr für Jahr wiederholte. Denjenigen, die mit der Seefahrt nichts zu tun hatten, erschienen die wilden Piroggenpiraten als etwas Fernes und Sagenhaftes, etwas, womit sie nie zu schaffen haben würden und worüber man sich in häuslicher Geborgenheit am Kamin unter einer warmen Decke hübsche Schauergeschichten erzählt. Alles Furchtbare geschah irgendwo anders; die legendären Sklavenmärkte, die niemand je mit eigenen Augen gesehen hatte, befanden sich in weiter Ferne jenseits des Meeres. Vielleicht waren sie auch nur eine Erfindung, denn in Murseille gab es keine Sklaven, höchstens vielleicht den kleinen schwarzen Salzlakritzjungen, den Admiral Schinken, der Oberbefehlshaber der königlichen Flotte, Bürgermeister Honigkuchen zum Geschenk gemacht hatte, als er einmal auf Durchreise war. Der Bürgermeister prahlte später überall mit der besonderen Gewogenheit des Admirals, aber in Wirklichkeit konnte Schinken das Lakritzaroma des Jungen nicht ausstehen und war froh, ihn loszuwerden. Nun begleitete er den Bürgermeister auf Schritt und Tritt, verscheuchte mit einem Palmwedel die vom Honigduft angelockten Wespen und ließ auf merkwürdige Weise das Weiße seiner Augen in dem schwarzglänzenden Gesicht rollen. An den in weite Pluderhosen aus rotem Atlasstoff gekleideten kleinen Kerl hatten sich die Einwohner von Murseille längst gewöhnt, und sie betrachteten ihn eher als ein Souvenir aus fernen Landen denn als jemanden, der versklavt ist. Seine Sprache verstand niemand, und in der Landessprache konnte er lediglich »Schinken-Schwein« sagen, wobei niemand so recht schlau daraus wurde, ob er damit Namen und Abstammung seines einstigen Herrn meinte oder aber seinen Eindruck von dessen Wesensart.
1. Kapitel
Wie der Zufall es wollte, wohnte in Murseille eine an Jahren gänzlich junge und sehr schöne Mohnschnecke namens Eloise. Ihre Eltern besaßen ein zweigeschossiges Haus in der Nähe des Stadtzentrums mit einem kleinen Mohngeschäft im Erdgeschoss, und Mohnschneckes Vater, ein beleibter und ehrenwerter Mohnstrudel, liebte es, am Nachmittag in den Laden hinunterzugehen und sich würdevoll vor dem Verkaufstresen zu zeigen, die Stammkunden zu begrüßen und die Geschäfte zu überwachen, obwohl dazu keine rechte Notwendigkeit bestand.
Mohnschneckes Mutter hingegen, eine magere und ein wenig harte Wiener Mohnpotitze, die Mohnschneckes Vater als junges Fräulein in Austerreich auf einer Handelsreise kennengelernt hatte, als es noch weich und zart war (das Fräulein natürlich, nicht Austerreich!), ließ sich so gut wie nie im Laden blicken. Ein solcher gesellschaftlicher Umgang war für ihr Empfinden nicht fein genug.
»Wer kann denn hier in Murseille auch nur die geringste Feingebäckheit erwarten? Ach, damals, in Austerreich, in der Confiserie Ihrer Majestät, als wir mit dem speziellen bühmischen Puderzucker gepudert wurden ...«, pflegte sie unter verächtlichem Schnaufen zu sagen. Frau Potitze zog es vor, den gediegenen Damenklub »Würzige Delikatessen« zu besuchen, und hegte im Stillen die Hoffnung, eines Tages Klubpräsidentin zu werden.
Mohnschneckes Eltern mangelte es nicht an Geld, obwohl niemand in der Stadt wusste, wie Mohnstrudel eigentlich zu seinem Wohlstand gekommen war. Es ging das Gerücht, dass sein Oheim seinerzeit gemeinsam mit Großvater Klatschmohn heimlich große Mengen Mohnmilch, die in Murseille strengstens verboten ist, importiert habe. Manch einer sprach sogar von Schmuggel, aber solche Gespräche wurden nur mit gedämpfter Stimme in den dunkelsten Ecken der Kaschemmen nach dem Leeren mehrerer Gläser Rosenlikör geführt. Offen sprach niemand darüber, obgleich dem in Mohnstrudels Laden gekauften Mohn gelegentlich ein ungewöhnliches und betörendes Aroma anhaftete.
Genaugenommen wurde in dem Laden nicht nur mit Mohn gehandelt, obwohl dieser die wichtigste Ware darstellte. In Regalen, Truhen, Säcken und speziellen Glaskolben gab es hier auch Leinsaat, Hanf-und Sesamsamen, schwarzen, grünen und Cayennepfeffer, Zimtstangen, Kakaopulver, pechschwarze süße und salzige Lakritzstangen, dunkelgrüne Pfefferminzbonbons, braunen Rohrzucker, Muskatnüsse, Thymian, Rosmarin, Rosenöl in winzigen Glasflakons, Wacholderbeeren, Lorbeerblätter, Basilikum, Gewürznelken, Koriander, Melisse, Vanillestangen und viele andere wohlschmeckende und duftende Dinge.
Mohnschnecke war ein hübsches Mädchen. Sie las viele Romane, die in der feinen Gebäckschaft spielten, war sehr sentimental und sehnte sich, je älter sie wurde, zunehmend nach aufregenden Abenteuern. Morgens blieb sie gern lange in ihre vielen Kissen gekuschelt und träumte von Palmen, Lagunen und mit Blumengirlanden geschmückten, braungebrannten Helden in Mondscheinnächten.
An einem späten Samstagmorgen, beinahe schon zur Mittagszeit, kam Mohnschnecke in den Laden herunter, um aus den Vorräten ihres Vaters die Mohnstreuselung auf ihrem Stupsnäschen aufzufrischen. Am Verkaufstresen war der neue Verkäufer damit beschäftigt, einen stämmigen Topfkuchen zu bedienen. Früher arbeitete dort ein tollpatschiger Quarkplunder, aber an ihm blieb ständig viel zu viel Mohn haften, und auch seine Erscheinung war nicht besonders ansprechend. Als ein schlanker, eleganter junger Mann mit guter Bildung und aristokratischer Abstammung auf der Suche nach Arbeit bei Mohnschneckes Vater vorstellig wurde, war das Schicksal des Quarkplunders besiegelt.
Der neue Verkäufer namens Eclair war zweifellos ein sehr gut aussehender Jüngling, überzogen mit einer schimmernden Schokoladenglasur, gefüllt mit heller Creme und außerordentlich gut erzogen. Längere Studien an der Bonbonne hatten seine geistigen Fähigkeiten vervollkommnet, was man leider weder von seinen Muskeln noch von seiner finanziellen Lage sagen konnte. Der letzte Sprössling eines während der Revolution ruinierten Adelsgeschlechts war bettelarm, sonst hätte er nicht sein Heimatland verlassen und Arbeit als Verkäufer in einem Mohngeschäft suchen müssen. Andererseits waren es vor allem diese Eigenschaften Eclairs sowie seine beeindruckenden Referenzen (die er in Wirklichkeit selber geschrieben hatte), die Mohnstrudel veranlassten, den trödeligen Quarkplunder unverzüglich zu entlassen und dem neuen Angestellten ein höheres Gehalt in Aussicht zu stellen, als er eigentlich gewollt und Eclair erhofft hatte.
»Monsieur Eclair!«, rief Mohnschnecke und stieg die Treppe herunter, nachdem der zufriedene Topfkuchen den Laden endlich verlassen hatte. Da es gerade keine anderen Kunden gab, nutzte Eclair die freie Zeit, um die kupferbeschlagene Ladentheke aufzupolieren.
»Guten Morgen, Mademoiselle!« Eclair verbeugte sich höflich.
»Ich bräuchte ein wenig Mohn - von dem feinen, glänzenden, bitte, aus der obersten Schublade im Probenschrank!« Mohnschnecke trat an den Tresen und lächelte Eclair strahlend an.
»Wie viel darf ich Ihnen abwiegen?« Eclair griff bereits nach dem Mohnschäufelchen und einer Papiertüte.
»Bah, abwiegen - also nein, was denken Sie sich denn? Ich möchte doch nicht meine Füllung austauschen, ich brauche nur eine kleine Prise, um mir die Nase zu pudern.« Mohnschnecke nahm dem Verkäufer kokett das Schäufelchen aus der Hand, mit dem er gerade eine Portion Mohn abgemessen hatte, und trat vor den Spiegel. Eclair beobachtete sie verstohlen. Mohnschnecke war wirklich hübsch und gefiel ihm sehr, aber letzten Endes war er nur ein armer Angestellter und Mohnschnecke die Tochter seines Chefs. Eclair seufzte leise und fuhr fort, den Tresen zu polieren.
Dass sie Eclair gefiel, war für Mohnschnecke kein Geheimnis. Sie war gerade mit dem Bemohnen ihres Näschens fertig, als dem Mädchen einer von diesen eigentlich ganz unschuldigen Einfällen in den Sinn kam, die manchmal völlig unvorhersehbare und weitreichende Folgen zu haben geruhen.
»Können Sie rudern?«, fragte sie unvermittelt.
»Ob ich was kann?« Eclair verstand nicht ganz.
»Nun, ich meine, mit zwei Riemen ein Boot vorwärtsbewegen. Ein Riemen ist so ein längliches Holz mit flachem Ende, das man Blatt nennt. Das taucht man ins Wasser ...«
»Selbstverständlich kann ich rudern, Mademoiselle. Weshalb fragen Sie?« Während seines Studiums an der Bonbonne hatte Eclair einmal als Nummer sieben am akademischen Ruderwettkampf teilgenommen. Dass das Boot auf halber Strecke umkippte und das wütende Team Eclair nicht einmal half, ans Ufer zu schwimmen, spielt dabei keine Rolle - wer weiß, welcher Tölpel sich so lange und unhandliche Riemen für die Wettkampfboote der Universität ausgedacht hatte?
»Sie könnten mich morgen nach Sankt Krokant übersetzen - morgen ist der erste Sonntag nach Frühlingsanfang, und Graf Napoleon eröffnet die Gartenfestsaison. Es wird Tanz, Spiel und Feuerwerk geben ...«
Graf Napoleon von und zu Schnitte - ein Schichtkuchen mit Sahnefüllung - war eine überaus prominente Persönlichkeit in der Stadt. Vor mehreren Jahren hatte er in Murseille und Umgebung für große Aufregung gesorgt, indem er eine eigene Armee aufstellte und versuchte, ins Königreich Käsien einzumarschieren - mit der Absicht, es zu erobern und sich als Kaiser einzusetzen. Obgleich der Graf für dieses Unternehmen einen ganzen Haufen Geld ausgab, verhielt er sich bei dem Vorhaben recht leichtsinnig, indem er sein Hauptaugenmerk auf Farbe und Schnitt der Soldatenuniformen, die Länge der Federn an den Offiziersmützen und das Repertoire des Stabsorchesters richtete. Die Armee geriet weder groß noch ausreichend kriegerisch, und obwohl die Marzipankapelle während der Paraden tadellos zackige Mazurken spielte und die von den Offizieren angeführten Kompanien mit ihren glänzenden Knöpfen tüchtig marschierten, endete das Ganze mit einem unbedeutenden Scharmützel im Grenzgebiet, nach dem die Soldaten des Kaisers in spe in alle Himmelsrichtungen entflohen. Zum Schluss wurde Graf Napoleon verhaftet und aus Murseille verbannt. Eine Eskorte englischer Puddings brachte ihn nach Sankt Krokant. Die Insel lag in nicht allzu großer Entfernung vor Murseille in der Meeresbucht, gehörte aber offiziell nicht mehr zum Stadtgebiet. Nun war der Graf gezwungen, dort im Exil zu bleiben, denn die englischen Puddings wachten strengstens darüber, dass er nicht aufs Festland zurückkehrte und eine weitere kopflose militärische Operation anzettelte.
Da er die Insel nicht verlassen durfte, sorgte der Graf für seine Unterhaltung. Er veranstaltete regelmäßig ausgelassene Tanzfeste, die sich bei der Murseiller Jugend größter Beliebtheit erfreuten. Manchmal war es gar nicht so einfach, auf die Insel zu gelangen, aber es war die Mühe wert. Die Marzipankapelle der aufgelösten Armee spielte nun zum Tanz auf, und jeder Ball wurde von einem mehrfachen Feuerwerk begleitet, das man an klaren Abenden nicht nur vom Murseiller Hafen, sondern sogar vom Marktplatz aus sehen konnte. Ein jeder, der die farbigen Feuerblumen am nächtlichen Himmel erblühen sah, spürte den unbändigen Wunsch, auch nur ein einziges Mal an einem Gartenfest des verbannten Grafen teilzunehmen.
»Aber Ihr Herr Vater ...«, setzte Eclair an.
Es war allgemein bekannt, dass Mohnschneckes Eltern sich recht missbilligend zu Napoleons Bällen äußerten und ihrer Tochter bislang kein einziges Mal erlaubt hatten, nach Sankt Krokant zu fahren.
»Mein Vater braucht nicht alles zu wissen.« Mohnschnecke sah Eclair tief in die Augen. »Werden Sie morgen ein Boot auftreiben können?«
»Ich weiß es wirklich nicht ...« Der arme Eclair geriet völlig in Verwirrung.
»Morgen ist doch Sonntag, und Sie haben frei, und Sie sind bestimmt ein sehr guter Ruderer, das sehe ich Ihnen an!« Mohnschnecke sah Eclair immer noch gerade in die Augen, bis der junge Mann errötete. In diesem Augenblick betrat eine lärmende Zimtbrötchenfamilie den Laden, und Eclair musste sich seinen Pflichten zuwenden.
»Also, dann bis morgen Mittag an der alten Frikadellenpier! «, rief Mohnschnecke ihm zu, während sie die Treppe emporstieg, und Eclair blieb nichts weiter übrig als zu nicken, denn das Oberhaupt der Zimtbrötchenfamilie wühlte bereits in den Hanfsamenproben herum, ohne sich für die richtige Sorte entscheiden zu können, und die Kinder stießen einen Sack schwarzen Pfeffer um, der sich nun lustig hüpfend über den Boden des ganzen Ladens verteilte.
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main
Da gab es in Tai-Wan-Tan gebaute flache Schiffe, die Dschunken genannt wurden. An den Masten trugen sie trapezförmige Schilfrohrsegel, und sie waren voller Wan-Tan- Piroggen. Die waren mit Reis gefüllt und trugen die Haare zu langen Zöpfen geflochten. Niemand verstand ihre Sprache, und offenbar verstanden sie selber einander auch nicht. Diese safrangelben Piroggen waren derart heimtückisch und unberechenbar, dass die anderen wilden Piroggen ihnen möglichst aus dem Weg gingen.
In langen, schweren Bretterbooten segelten die bärtigen Piroggen aus dem fernen Sibeerien. Sie waren bettelarm, immerzu hungrig und mit Sauerkraut gefüllt. Vielleicht war ihr Charakter just wegen dieses grässlich sauren Krauts so sauertöpfisch und unbeherrscht. Ihr Anführer trug eine Zobelfellmütze, fluchte ununterbrochen auf sibeerisch und spuckte über die Reling, wobei er gelegentlich durch die Löcher des geflickten Segels spähte und nachsah, was auf der anderen Seite des Bootes vor sich ging.
In zerlumpten Kajaks, deren Gestell aus gebogenem Eibenholz mit Robbenfell überzogen war, gingen die Belaschis aus dem hohen Norden auf Raubzug. Ihre Sprache erinnerte an das Quaken von Fröschen, und sie stanken immer nach verfaulten Eiern. Die anderen Piroggen betrachteten sie nicht wirklich als ihresgleichen, denn die Belaschis waren an einer Seite offen, so dass ständig die Füllung herausfiel. Oftmals jedoch erwiesen sie sich als garstiger als die übrigen, und wenn etwas besonders Fieses angestellt werden sollte, dann waren die Belaschis genau die Richtigen.
In schmalen, langen Ruderbooten mit zähnefletschenden Drachenköpfen am Bug fuhren die gehörnten Pilzpiroggen aus Stulle im hohen Norden zur See. Sie waren pilzgefüllt und alle gleichermaßen dreckig. Manch böse Zunge behauptete sogar, ihre Füllung bestünde aus Fliegenpilzen. Das war durchaus möglich, denn beim Kämpfen verloren die Pilzpiroggen immer völlig den Verstand, und dann war es unmöglich, mit ihnen Frieden zu schließen.
Es gab auch viele kleinere Schiffe. Auf solchen kreuzten die Kaldaunenpiroggen, die eine kleine spunische Barkentine besaßen, als auch die Fischpiroggen, die niemand für voll nahm, weil sie sich vorwiegend mit Fischerei beschäftigten, oder die gänzlich unbedeutenden Krümelquarkpiroggen, die ihre Balkenflöße mit langen Stangen an der Küste entlangschoben und es lediglich fertigbrachten, hin und wieder einen unachtsamen Angler auszurauben.
Die allerfürchterlichsten jedoch waren die Speckpiroggen. Sie segelten mit einer stattlichen Brigg, glänzten vor Fett und galten als schier unbezwingbar. Besonders zeichnete sich ihr Anführer namens Mordan aus. Er trug einen schwarzen Dreispitz und auf dem einen Auge eine Klappe, sein rechtes Bein war aus Holz, vor allem jedoch war er nicht nur mit Speck gefüllt, sondern auch mit Zwiebeln. Aus diesem Grunde haftete ihm stets ein penetranter Geruch an, und sein Naturell war außerordentlich bissig. Käpt'n Mordan hatte unzählige siegreiche Seeschlachten und Dutzende versenkter Schiffe auf dem Kerbholz. Die übrigen Piroggen betrachteten ihn als ihren ungekrönten Admiral, und das gefiel dem Speckpiroggenkapitän ausgesprochen gut.
Ungeachtet des Treibens der Piroggen auf dem offenen Meer jedoch verlief das Leben an der Küste in dem kleinen Hafenstädtchen Murseille vollkommen eintönig. Zu festgelegten Zeiten fanden Wahlen und Messen statt, was sich in ununterbrochenem Wechsel Jahr für Jahr wiederholte. Denjenigen, die mit der Seefahrt nichts zu tun hatten, erschienen die wilden Piroggenpiraten als etwas Fernes und Sagenhaftes, etwas, womit sie nie zu schaffen haben würden und worüber man sich in häuslicher Geborgenheit am Kamin unter einer warmen Decke hübsche Schauergeschichten erzählt. Alles Furchtbare geschah irgendwo anders; die legendären Sklavenmärkte, die niemand je mit eigenen Augen gesehen hatte, befanden sich in weiter Ferne jenseits des Meeres. Vielleicht waren sie auch nur eine Erfindung, denn in Murseille gab es keine Sklaven, höchstens vielleicht den kleinen schwarzen Salzlakritzjungen, den Admiral Schinken, der Oberbefehlshaber der königlichen Flotte, Bürgermeister Honigkuchen zum Geschenk gemacht hatte, als er einmal auf Durchreise war. Der Bürgermeister prahlte später überall mit der besonderen Gewogenheit des Admirals, aber in Wirklichkeit konnte Schinken das Lakritzaroma des Jungen nicht ausstehen und war froh, ihn loszuwerden. Nun begleitete er den Bürgermeister auf Schritt und Tritt, verscheuchte mit einem Palmwedel die vom Honigduft angelockten Wespen und ließ auf merkwürdige Weise das Weiße seiner Augen in dem schwarzglänzenden Gesicht rollen. An den in weite Pluderhosen aus rotem Atlasstoff gekleideten kleinen Kerl hatten sich die Einwohner von Murseille längst gewöhnt, und sie betrachteten ihn eher als ein Souvenir aus fernen Landen denn als jemanden, der versklavt ist. Seine Sprache verstand niemand, und in der Landessprache konnte er lediglich »Schinken-Schwein« sagen, wobei niemand so recht schlau daraus wurde, ob er damit Namen und Abstammung seines einstigen Herrn meinte oder aber seinen Eindruck von dessen Wesensart.
1. Kapitel
Wie der Zufall es wollte, wohnte in Murseille eine an Jahren gänzlich junge und sehr schöne Mohnschnecke namens Eloise. Ihre Eltern besaßen ein zweigeschossiges Haus in der Nähe des Stadtzentrums mit einem kleinen Mohngeschäft im Erdgeschoss, und Mohnschneckes Vater, ein beleibter und ehrenwerter Mohnstrudel, liebte es, am Nachmittag in den Laden hinunterzugehen und sich würdevoll vor dem Verkaufstresen zu zeigen, die Stammkunden zu begrüßen und die Geschäfte zu überwachen, obwohl dazu keine rechte Notwendigkeit bestand.
Mohnschneckes Mutter hingegen, eine magere und ein wenig harte Wiener Mohnpotitze, die Mohnschneckes Vater als junges Fräulein in Austerreich auf einer Handelsreise kennengelernt hatte, als es noch weich und zart war (das Fräulein natürlich, nicht Austerreich!), ließ sich so gut wie nie im Laden blicken. Ein solcher gesellschaftlicher Umgang war für ihr Empfinden nicht fein genug.
»Wer kann denn hier in Murseille auch nur die geringste Feingebäckheit erwarten? Ach, damals, in Austerreich, in der Confiserie Ihrer Majestät, als wir mit dem speziellen bühmischen Puderzucker gepudert wurden ...«, pflegte sie unter verächtlichem Schnaufen zu sagen. Frau Potitze zog es vor, den gediegenen Damenklub »Würzige Delikatessen« zu besuchen, und hegte im Stillen die Hoffnung, eines Tages Klubpräsidentin zu werden.
Mohnschneckes Eltern mangelte es nicht an Geld, obwohl niemand in der Stadt wusste, wie Mohnstrudel eigentlich zu seinem Wohlstand gekommen war. Es ging das Gerücht, dass sein Oheim seinerzeit gemeinsam mit Großvater Klatschmohn heimlich große Mengen Mohnmilch, die in Murseille strengstens verboten ist, importiert habe. Manch einer sprach sogar von Schmuggel, aber solche Gespräche wurden nur mit gedämpfter Stimme in den dunkelsten Ecken der Kaschemmen nach dem Leeren mehrerer Gläser Rosenlikör geführt. Offen sprach niemand darüber, obgleich dem in Mohnstrudels Laden gekauften Mohn gelegentlich ein ungewöhnliches und betörendes Aroma anhaftete.
Genaugenommen wurde in dem Laden nicht nur mit Mohn gehandelt, obwohl dieser die wichtigste Ware darstellte. In Regalen, Truhen, Säcken und speziellen Glaskolben gab es hier auch Leinsaat, Hanf-und Sesamsamen, schwarzen, grünen und Cayennepfeffer, Zimtstangen, Kakaopulver, pechschwarze süße und salzige Lakritzstangen, dunkelgrüne Pfefferminzbonbons, braunen Rohrzucker, Muskatnüsse, Thymian, Rosmarin, Rosenöl in winzigen Glasflakons, Wacholderbeeren, Lorbeerblätter, Basilikum, Gewürznelken, Koriander, Melisse, Vanillestangen und viele andere wohlschmeckende und duftende Dinge.
Mohnschnecke war ein hübsches Mädchen. Sie las viele Romane, die in der feinen Gebäckschaft spielten, war sehr sentimental und sehnte sich, je älter sie wurde, zunehmend nach aufregenden Abenteuern. Morgens blieb sie gern lange in ihre vielen Kissen gekuschelt und träumte von Palmen, Lagunen und mit Blumengirlanden geschmückten, braungebrannten Helden in Mondscheinnächten.
An einem späten Samstagmorgen, beinahe schon zur Mittagszeit, kam Mohnschnecke in den Laden herunter, um aus den Vorräten ihres Vaters die Mohnstreuselung auf ihrem Stupsnäschen aufzufrischen. Am Verkaufstresen war der neue Verkäufer damit beschäftigt, einen stämmigen Topfkuchen zu bedienen. Früher arbeitete dort ein tollpatschiger Quarkplunder, aber an ihm blieb ständig viel zu viel Mohn haften, und auch seine Erscheinung war nicht besonders ansprechend. Als ein schlanker, eleganter junger Mann mit guter Bildung und aristokratischer Abstammung auf der Suche nach Arbeit bei Mohnschneckes Vater vorstellig wurde, war das Schicksal des Quarkplunders besiegelt.
Der neue Verkäufer namens Eclair war zweifellos ein sehr gut aussehender Jüngling, überzogen mit einer schimmernden Schokoladenglasur, gefüllt mit heller Creme und außerordentlich gut erzogen. Längere Studien an der Bonbonne hatten seine geistigen Fähigkeiten vervollkommnet, was man leider weder von seinen Muskeln noch von seiner finanziellen Lage sagen konnte. Der letzte Sprössling eines während der Revolution ruinierten Adelsgeschlechts war bettelarm, sonst hätte er nicht sein Heimatland verlassen und Arbeit als Verkäufer in einem Mohngeschäft suchen müssen. Andererseits waren es vor allem diese Eigenschaften Eclairs sowie seine beeindruckenden Referenzen (die er in Wirklichkeit selber geschrieben hatte), die Mohnstrudel veranlassten, den trödeligen Quarkplunder unverzüglich zu entlassen und dem neuen Angestellten ein höheres Gehalt in Aussicht zu stellen, als er eigentlich gewollt und Eclair erhofft hatte.
»Monsieur Eclair!«, rief Mohnschnecke und stieg die Treppe herunter, nachdem der zufriedene Topfkuchen den Laden endlich verlassen hatte. Da es gerade keine anderen Kunden gab, nutzte Eclair die freie Zeit, um die kupferbeschlagene Ladentheke aufzupolieren.
»Guten Morgen, Mademoiselle!« Eclair verbeugte sich höflich.
»Ich bräuchte ein wenig Mohn - von dem feinen, glänzenden, bitte, aus der obersten Schublade im Probenschrank!« Mohnschnecke trat an den Tresen und lächelte Eclair strahlend an.
»Wie viel darf ich Ihnen abwiegen?« Eclair griff bereits nach dem Mohnschäufelchen und einer Papiertüte.
»Bah, abwiegen - also nein, was denken Sie sich denn? Ich möchte doch nicht meine Füllung austauschen, ich brauche nur eine kleine Prise, um mir die Nase zu pudern.« Mohnschnecke nahm dem Verkäufer kokett das Schäufelchen aus der Hand, mit dem er gerade eine Portion Mohn abgemessen hatte, und trat vor den Spiegel. Eclair beobachtete sie verstohlen. Mohnschnecke war wirklich hübsch und gefiel ihm sehr, aber letzten Endes war er nur ein armer Angestellter und Mohnschnecke die Tochter seines Chefs. Eclair seufzte leise und fuhr fort, den Tresen zu polieren.
Dass sie Eclair gefiel, war für Mohnschnecke kein Geheimnis. Sie war gerade mit dem Bemohnen ihres Näschens fertig, als dem Mädchen einer von diesen eigentlich ganz unschuldigen Einfällen in den Sinn kam, die manchmal völlig unvorhersehbare und weitreichende Folgen zu haben geruhen.
»Können Sie rudern?«, fragte sie unvermittelt.
»Ob ich was kann?« Eclair verstand nicht ganz.
»Nun, ich meine, mit zwei Riemen ein Boot vorwärtsbewegen. Ein Riemen ist so ein längliches Holz mit flachem Ende, das man Blatt nennt. Das taucht man ins Wasser ...«
»Selbstverständlich kann ich rudern, Mademoiselle. Weshalb fragen Sie?« Während seines Studiums an der Bonbonne hatte Eclair einmal als Nummer sieben am akademischen Ruderwettkampf teilgenommen. Dass das Boot auf halber Strecke umkippte und das wütende Team Eclair nicht einmal half, ans Ufer zu schwimmen, spielt dabei keine Rolle - wer weiß, welcher Tölpel sich so lange und unhandliche Riemen für die Wettkampfboote der Universität ausgedacht hatte?
»Sie könnten mich morgen nach Sankt Krokant übersetzen - morgen ist der erste Sonntag nach Frühlingsanfang, und Graf Napoleon eröffnet die Gartenfestsaison. Es wird Tanz, Spiel und Feuerwerk geben ...«
Graf Napoleon von und zu Schnitte - ein Schichtkuchen mit Sahnefüllung - war eine überaus prominente Persönlichkeit in der Stadt. Vor mehreren Jahren hatte er in Murseille und Umgebung für große Aufregung gesorgt, indem er eine eigene Armee aufstellte und versuchte, ins Königreich Käsien einzumarschieren - mit der Absicht, es zu erobern und sich als Kaiser einzusetzen. Obgleich der Graf für dieses Unternehmen einen ganzen Haufen Geld ausgab, verhielt er sich bei dem Vorhaben recht leichtsinnig, indem er sein Hauptaugenmerk auf Farbe und Schnitt der Soldatenuniformen, die Länge der Federn an den Offiziersmützen und das Repertoire des Stabsorchesters richtete. Die Armee geriet weder groß noch ausreichend kriegerisch, und obwohl die Marzipankapelle während der Paraden tadellos zackige Mazurken spielte und die von den Offizieren angeführten Kompanien mit ihren glänzenden Knöpfen tüchtig marschierten, endete das Ganze mit einem unbedeutenden Scharmützel im Grenzgebiet, nach dem die Soldaten des Kaisers in spe in alle Himmelsrichtungen entflohen. Zum Schluss wurde Graf Napoleon verhaftet und aus Murseille verbannt. Eine Eskorte englischer Puddings brachte ihn nach Sankt Krokant. Die Insel lag in nicht allzu großer Entfernung vor Murseille in der Meeresbucht, gehörte aber offiziell nicht mehr zum Stadtgebiet. Nun war der Graf gezwungen, dort im Exil zu bleiben, denn die englischen Puddings wachten strengstens darüber, dass er nicht aufs Festland zurückkehrte und eine weitere kopflose militärische Operation anzettelte.
Da er die Insel nicht verlassen durfte, sorgte der Graf für seine Unterhaltung. Er veranstaltete regelmäßig ausgelassene Tanzfeste, die sich bei der Murseiller Jugend größter Beliebtheit erfreuten. Manchmal war es gar nicht so einfach, auf die Insel zu gelangen, aber es war die Mühe wert. Die Marzipankapelle der aufgelösten Armee spielte nun zum Tanz auf, und jeder Ball wurde von einem mehrfachen Feuerwerk begleitet, das man an klaren Abenden nicht nur vom Murseiller Hafen, sondern sogar vom Marktplatz aus sehen konnte. Ein jeder, der die farbigen Feuerblumen am nächtlichen Himmel erblühen sah, spürte den unbändigen Wunsch, auch nur ein einziges Mal an einem Gartenfest des verbannten Grafen teilzunehmen.
»Aber Ihr Herr Vater ...«, setzte Eclair an.
Es war allgemein bekannt, dass Mohnschneckes Eltern sich recht missbilligend zu Napoleons Bällen äußerten und ihrer Tochter bislang kein einziges Mal erlaubt hatten, nach Sankt Krokant zu fahren.
»Mein Vater braucht nicht alles zu wissen.« Mohnschnecke sah Eclair tief in die Augen. »Werden Sie morgen ein Boot auftreiben können?«
»Ich weiß es wirklich nicht ...« Der arme Eclair geriet völlig in Verwirrung.
»Morgen ist doch Sonntag, und Sie haben frei, und Sie sind bestimmt ein sehr guter Ruderer, das sehe ich Ihnen an!« Mohnschnecke sah Eclair immer noch gerade in die Augen, bis der junge Mann errötete. In diesem Augenblick betrat eine lärmende Zimtbrötchenfamilie den Laden, und Eclair musste sich seinen Pflichten zuwenden.
»Also, dann bis morgen Mittag an der alten Frikadellenpier! «, rief Mohnschnecke ihm zu, während sie die Treppe emporstieg, und Eclair blieb nichts weiter übrig als zu nicken, denn das Oberhaupt der Zimtbrötchenfamilie wühlte bereits in den Hanfsamenproben herum, ohne sich für die richtige Sorte entscheiden zu können, und die Kinder stießen einen Sack schwarzen Pfeffer um, der sich nun lustig hüpfend über den Boden des ganzen Ladens verteilte.
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main
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Autoren-Porträt von Maris Putnins
Putnins, MarisMaris Putnins (sprich: Máhris Púttninsch), geboren 1950 in Valmiera, Lettland, ist Theater-, Drehbuch- und Kinderbuchautor, Illustrator, Filmproduzent, Schauspieler, Puppenspieler und Bühnenbildner. Sein Roman 'Die wilden Piroggenpiraten' wurde für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2013 nominiert.
Teich, Karsten
Karsten Teich, geboren 1967, studierte an der Hochschule der Künste in Kassel Malerei. Seit 1996 lebt er mit seiner Familie in Berlin und arbeitet für verschiedene Verlage, Magazine und Tageszeitungen. Für seine Illustrationen wurde er bereits vielfach ausgezeichnet.
Knoll, Matthias
Matthias Knoll, geboren 1963 in Berlin, kam 1991 zum »Tag der Lyrik« nach Riga, um seine Gedichte vorzulesen - und wurde zum Übersetzer. Er betreibt ein Internetportal für Autoren und Texte aus Lettland und veranstaltet im Sommer literarische Führungen durch Riga.
Bibliographische Angaben
- Autor: Maris Putnins
- Altersempfehlung: 8 - 10 Jahre
- 2014, 656 Seiten, mit Abbildungen, Maße: 12,6 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzung: Knoll, Matthias; Illustration: Teich, Karsten
- Übersetzer: Matthias Knoll
- Verlag: FISCHER KJB
- ISBN-10: 3596810515
- ISBN-13: 9783596810512
- Erscheinungsdatum: 20.02.2014
Rezension zu „Die wilden Piroggenpiraten “
Eine Lesevergnügen der besonderen Art. Hilde Elisabeth Menzel Süddeutsche Zeitung 20140307
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