Die Zeit der roten Früchte
Stettin, 1930er Jahre. Greta verliebt sich Hals über Kopf in Johannes. Doch der Krieg kommt ihrer Liebesidylle dazwischen. Johannes wird eingezogen und von da an ist für Greta nichts mehr wie es war.
Ein Stück deutscher Geschichte, einfühlsam erzählt.
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Die Zeit der roten Früchte “
Stettin, 1930er Jahre. Greta verliebt sich Hals über Kopf in Johannes. Doch der Krieg kommt ihrer Liebesidylle dazwischen. Johannes wird eingezogen und von da an ist für Greta nichts mehr wie es war.
Ein Stück deutscher Geschichte, einfühlsam erzählt.
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Klappentext zu „Die Zeit der roten Früchte “
Stettin Ende der dreißiger Jahre: Die junge Greta führt ein glückliches Leben und genießt ihre erste große Liebe. Doch dann bricht der Krieg in die Idylle, Gretas Geliebter Johannes wird eingezogen, und plötzlich ist ihre Welt dramatisch verändert. Die Zeit der roten Früchte ist für Greta für immer vorbei Ein Stück deutscher Geschichte einfühlsam und atmosphärisch erzählt aus der Perspektive einer ungewöhnlichen Frau.
Stettin Ende der dreißiger Jahre: Die junge Greta führt ein glückliches Leben und genießt ihre erste große Liebe. Doch dann bricht der Krieg in die Idylle, Gretas Geliebter Johannes wird eingezogen, und plötzlich ist ihre Welt dramatisch verändert. Die Zeit der roten Früchte ist für Greta für immer vorbei ... Ein Stück deutscher Geschichte - einfühlsam und atmosphärisch erzählt aus der Perspektive einer ungewöhnlichen Frau.
Lese-Probe zu „Die Zeit der roten Früchte “
Die Zeit der roten Früchte von Wiebke Eden1
Es war die Zeit der roten Früchte. Greta durchquerte den Garten. Ihr Blick streifte die Zweige des Kirschbaums, die Himbeersträucher und blieb an den Erdbeeren hängen, die zwischen Blätterbüscheln leuchteten. Sie ging in die Hocke, pflückte ein paar Früchte und schob sie sich in den Mund. Das Beste an den roten Früchten war, dass sie sich in schnellen Häppchen kosten ließen und dass sie in einer Zeit wuchsen, die Greta am liebsten hatte im Jahr. Das Licht war mild, nicht gleißend wie später im Juli oder August, und im Garten roch es nach warmem Gras.
Das leise Blöken der Schafe unterbrach Greta. Sie aß eine letzte Beere, stand auf und öffnete das Tor zu einem umzäunten Stück Wiese, das sie in der Familie »Schafland« nannten. Die Tiere lagen im Schatten der Kastanien. Am Ende der Wiese waren der Eingang zum Stall und eine Pumpe. Greta füllte mehrere Eimer, schüttete das Wasser in einen Holztrog und rief nach den Schafen. Allmählich trotteten die Tiere herbei und drängten sich um den Trog. Greta streichelte ihnen die kahlen Flanken. Die Schafe waren erst vor kurzem geschoren worden und zuckten mit den Ohren, weil Fliegen sie kitzelten. Noch einmal griff Greta nach dem quietschenden Arm der Pumpe, um sich die Hände zu waschen, dann ging sie durch den Stall ins Haus.
Die Küchenuhr zeigte Viertel vor eins, und Greta hatte um halb zwei Dienst im Café. Sie würde sich beeilen müssen und nahm zwei Treppenstufen zu ihrer Schlafkammer auf einmal. Vor der Waschkommode kämmte sie sich rasch ihr Haar und flocht es zu einem Zopf, den sie mit Nadeln aufsteckte. Sie öffnete den Kleiderschrank und zog eine gebügelte Kittelschürze hervor. Ihre Augen glitten über den Stoff. Makellos weiß. Sie faltete die Schürze
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zusammen, steckte sie in ihre Tasche, stürzte die Treppe hinunter in die Küche. Ihre Mutter spülte Geschirr. Sie stand da in der für sie typischen Haltung, die Füße auseinander, in flachen Schuhen. Es roch vom Mittagessen her nach gekochtem Hammelfleisch. Die Mutter nickte ihr über die Schulter zu, als Greta sich verabschiedete.
Auf der Buchholzer Flur war es still. Nur vereinzelt drangen Geräusche durch die geöffneten Fenster, das Klappern von Geschirr, das Bellen eines Hundes. Greta eilte an den Häusern vorbei, Handwerker wohnten hier und Angestellte, ganz hinten ein Schuldirektor, in dessen Garten an einem Mast die Hakenkreuzfahne hing. Bauernhöfe traten in Gretas Blick, Kartoffeläcker und Getreidefelder. Noch war der Roggen grün. Eine leichte Brise strich darüber, die Halme bewegten sich in sanften Wogen, und Greta dachte an das Meer, nur dass Wasserwellen schwerfälliger wirkten als Roggenwellen. Sie erreichte den Wald, der mit Buchen, Linden und Kiefern einen Berg bedeckte, den Julo. Oben auf dem Julo stand der Bismarckturm. Liebespaare trafen sich dort.
Auf den Bänken vor einer Waldschenke saßen Eltern mit Kindern und tranken Brause. Zu ihren Füßen lagen Rucksäcke. Greta spürte die Sonne auf ihrem Gesicht, die sich durch die Baumwipfel ihre Bahn brach. Dann, als sich der Wald lichtete, war der Fluss zu sehen. Die Oder. Greta schirmte ihre Augen mit der Hand ab. Das Wasser glitzerte. Binnenwärts glitten Kähne, die in wenigen Kilometern im Hafen von Stettin anlegen würden. Ihnen wiederum kamen Schiffe entgegen, die durch das Stettiner Haff ins Meer gelangten, darunter Ausflugsdampfer, die zum Seebad von Swinemünde fuhren, wo es weißen Sandstrand gab. Greta erinnerte sich, wie die Großeltern sie als Kind mitgenommen hatten. Mit dem Großvater hatte sie nach Bernstein gesucht, während die Großmutter im Strandkorb gesessen hatte, die Beine stets unter einer Decke. Manchmal war Greta zu ihr unter die Decke gekrochen, hatte ihre vom Wasser kalten Hände und Füße an der Großmutter gewärmt, sie hatten den anderen beim Ballspielen zugesehen und die Strandkleider der Frauen bewundert oder auch nur dagesessen und nichts gesagt.
Huberts Café lag nur wenige Minuten vom Ufer entfernt. Es war ein hell verputztes Fachwerkhaus mit einem Garten und Kastanien. Gerade rückte Hubert die Tische und Stühle unter den Bäumen zurecht. Er war ein kräftiger Mann mit breiten Schultern und kurzen Unterarmen. Gutmütig, wie er war, steckte er manchmal den Küchenhilfen etwas aus der Trinkgeldkasse zu.
Greta ging am Café vorbei und betrat durch den Hintereingang die Küche. Huberts Frau warf einen vielsagenden Blick auf die Uhr. Es war genau halb zwei, doch Huberts Frau hatte es am liebsten, wenn die Küchenhilfen zu dieser Zeit bereits bei der Arbeit waren. Greta nestelte an ihrer Tasche, um den Kittel herauszuholen, in dem Augenblick stürzte Anna in die Küche, entschuldigte sich wortreich und zwinkerte Greta zu. Huberts Frau machte eine abfällige Bemerkung, holte einen Kuchen aus dem Ofen und wies ein blasses Mädchen an, ihn mit Himbeeren zu belegen. Das Mädchen war ihre Tochter.
Öl spritzte Greta ins Gesicht. Mit dem Handrücken wischte sie sich über die Wangen und tauchte die Schöpfkelle in die heiße Flüssigkeit, um Berliner Pfannkuchen herauszufischen. Die Schwingtür, die von der Küche ins Café führte, klappte ständig. Hubert und seine Frau rannten zwischen Küche und Garten hin und her. Fertig? Hubert trat neben Greta. Hastig bestreute sie die braun gebackenen Kugeln mit Staubzucker und baute sie auf dem Teller zu einer Pyramide. Die Tür klappte wieder, und Hubert verschwand mit dem Kuchenberg. Greta prüfte den Sitz ihres Kopftuchs. Stimmen drangen in die Küche, Gelächter. Ein Kind rief nach seiner Mutter, und Greta hörte, wie die Leute bestellten, dreimal Kaffee bitte, einmal Brause und viermal Pfannkuchen.
An einer Seite des Gartens, wo Ahornbäume in den Himmel ragten, gab es ein Podest mit girlandengeschmückten Pfosten. Die Bühne für die Sonntagsmusik. Als Greta ihrem Chef mit einem Kuchentablett entgegenging, sah sie, wie vier Männer in Anzügen und mit gestärkten Kragen ihre Instrumente auspackten und Notenständer aufstellten. Kurz darauf, nach dem Einstimmen, begannen sie zu spielen, eingängige Melodien, anfangs sanfte, leise, die zum Plausch bei Kaffee und Himbeerkuchen passten, dann etwas schnellere, die Verliebte auf die Tanzfläche lockten oder Väter mit Töchtern oder Kinder.
Als die Chefin außer Sichtweite war, tänzelte Anna durch die Küche und stieß eine geöffnete Schublade mit der Hüfte zu. Sie hatte rundliche Hüften, über denen der Kittel spannte, und im Nacken, über dem Knoten ihres Kopftuchs, kringelten sich blonde Locken.
Kühl war es zwischen den Tannen, als Greta abends durch den Wald nach Hause ging. Ihre Füße schmerzten vom langen Stehen. Auf der Veranda der Waldschenke leuchteten die ersten Lampions auf. Männer schoben sich ihre Mützen in den Nacken, Biergläser klirrten aneinander. Greta verließ den Wald, schlenderte die Kartoffeläcker und Roggenfelder entlang, an den Bauernhöfen und den Häusern der Handwerker und Angestellten vorbei. Ein hochgewachsener Mann mit vorstehendem Bauch kam ihr entgegen, der Schuldirektor. Greta grüßte kurz. Manchmal klingelte er bei ihnen zu Hause und verlangte den Vater zu sprechen. Einmal hatte Greta gelauscht und mitbekommen, wie der Schuldirektor den Vater aufgefordert hatte, in die Partei einzutreten. Er kenne Leute, hatte er geraunt, die das Verhalten des Vaters nicht gutheißen würden. Jedes Mal, wenn Greta den Schuldirektor weggehen sah, trug er ein Paket bei sich, und Greta wusste, dass der Vater ihm ein Stück Lamm oder Gans eingepackt hatte. Manchmal schickte der Vater Greta los, damit sie ein Pfund Kartoffeln oder Äpfel bei ihm ablieferte.
Das Haus, in dem Greta lebte, war ein Klinkerbau mit roten Dachziegeln und Sprossenfenstern. An den Mauern wuchs Efeu, so dicht, dass sich Greta als Kind vorgestellt hatte, wie dahinter, unsichtbar für Menschenaugen, Käfer wohnten. Gretas Vater war Maurer und hatte das Haus selbst gebaut. Jetzt saß er davor, auf einer Gartenbank, und rauchte. Greta setzte sich neben ihn. Meistens schwieg der Vater eine Weile, bis er sich räusperte und sagte, dass es ein guter Tag gewesen sei, weil er das Haus, das er in der nächsten Siedlung gemauert hatte, verputzt habe. Oder dass es ein guter Tag gewesen sei, weil ein Restaurant aus der Stadt eine neue Lieferung Gänsebraten bestellt habe. Oder er sagte, dass es ein schlechter Tag gewesen sei, weil er ein Lamm tot in der Box gefunden habe. Ein schlechter Tag, weil beim Kolonialwarenhändler im Dorf die Scheiben eingeschlagen worden seien. Weggebracht hätten sie den Kaufmann und seine Familie, die Leute sprachen hinter vorgehaltener Hand darüber. Greta fragte, ob sie eine Zigarette haben dürfe. Überrascht wandte der Vater den Kopf. Er zögerte, bis er in seine Brusttasche griff, eine Zigarette herauszog und sie seiner Tochter reichte. Eine Hand legte er schützend um die Streichholzflamme, als er Greta Feuer gab. Greta zog an der Zigarette und hustete. Der Vater lachte und klopfte ihr auf den Rücken.
Nach dem Abendbrot saß Greta mit ihren Schwestern Herma und Lotte in der Stube. Herma, die ein Jahr jünger war als Greta, bügelte Tischdecken und Hemden, und Lotte, die Jüngste von den dreien, nähte einen weißen Kragen an ihr Sonntagskleid. Greta stopfte Socken, die ihr die Mutter hingelegt hatte. Lustlos zog sie die Nadel durch das Fadengitter und überlegte, ob es nicht Zeit habe, Socken zu stopfen, jetzt, im Sommer. Hermas Plätteisen dampfte. Mit kräftigen Händen schob sie es über den Stoff. Der Stapel mit ordentlich gefalteten Decken und Hemden neben ihr wuchs, währenddessen strich Lotte immer wieder über den weißen Kragen, ob er richtig saß. Sie hatte zarte, geschickte Hände, mit denen ihr winzige Stiche und feine Nähte gelangen. Greta klebte der Faden zwischen den Fingern, und als sie einmal aufsah, bemerkte sie Hermas spöttischen Blick.
Ein paar Tage später verordnete Huberts Frau der Küchenhilfe Anna Überstunden. Der gedeckte Obstkuchen, den Anna gebacken hatte, war gesprungen. Sie brauche auf der Stelle einen neuen, schimpfte sie, die Gäste sollten am nächsten Tag nicht auf ihren Kuchen warten müssen, zumal Anna es mit der Pünktlichkeit ja ohnehin nicht so genau nehme. Sie winkte ihre Tochter zu sich und verließ mit ihr grußlos die Caféküche. Während Hubert in einer Ecke hinter der Theke Zahlen in Kassenbücher eintrug, blieb Greta bei Anna. Anna erzählte von Ausflügen in die Stadt, abends, mit ihrem Bruder. Ob Greta das Tanzcafé am Kaiser-Wilhelm-Denkmal kenne? Von außen, sagte Greta und erinnerte sich, wie sie während ihres Haushaltsjahrs in der Stadt manchmal davor gestanden und die Leute, die dort hineingingen, beobachtet hatte, neugierig war sie gewesen, und die Frauen hatte sie bewundert, die Frauen und ihre funkelnden Augen. Wir gehen in den oberen Stock, in die Bar, sagte Anna, da sind die Sitten loser, weniger vornehm, verstehst du. Greta errötete. Anna fuhr mit dem Finger den Schüsselrand entlang, streifte den restlichen Kuchenteig ab und leckte ihn sich vom Finger. Aber, sagte sie und lachte, mein Bruder ist ja dabei.
Sie hatten das Licht eingeschaltet und saßen leise schwatzend auf der Anrichte. Motten tummelten sich an der Fensterscheibe. Durch die Küche zog Kuchenduft. Anna schaute auf die Uhr über der Tür. Eine halbe Stunde würden sie noch warten müssen. Hubert kam und sagte, dass sie Feierabend machen sollten, er werde den Kuchen nachher aus dem Ofen holen. Greta und Anna sprangen auf den Boden. Beim Hinausgehen schnitt sich Anna ein Stück von dem missratenen Obstkuchen ab und stopfte es sich in den Mund. Als sie draußen im Hinterhof standen, fragte sie Greta, ob sie nicht mal mitkommen wolle, zum Tanzen in die Stadt? Warum nicht, antwortete Greta und versuchte, ihrer Stimme einen gleichmütigen Klang zu geben. Anna schlug das kommende Wochenende vor. Sie überquerten den Hinterhof und verabschiedeten sich. Annas Zuhause lag zur Stadt hin, an der Grenze zu Frauendorf. Greta hörte, wie ihre Schritte sich entfernten.
Herma und Lotte, mit denen Greta die Schlafkammer teilte, lagen schon im Bett, als Greta sich in der Ecke des Zimmers das Gesicht wusch und ihr Haar bürstete. Herma schlief mit dem Gesicht zur Wand, Lotte auf dem Bauch. Greta zog ihr Kleid aus, legte es über einen Stuhl und stand in Unterwäsche vor dem Spiegel der Waschkommode. Eine kleine Lampe verbreitete mildes Licht. Greta betrachtete sich. Sie war schlank, zwar kräftiger als Lotte, aber schmaler als Herma. Sachte wölbten sich ihre Brüste unter dem weißen Hemd. Greta hatte gehofft, dass sie nicht zu groß werden würden, zu auffallend, als sie zu wachsen begonnen hatten. Sie zog ihr Hemd aus, hielt es vor ihre Brüste, drehte sich mit dem Rücken zum Spiegel, als müsse sie sich vor ihren eigenen Augen schützen. Sie schaute sich über die Schulter an. Die helle Haut ihres Körpers leuchtete schwach. Etwas raschelte, Herma wälzte sich in den Kissen. Greta warf das Unterhemd in den Wäschekorb, trat leise an ihr Bett und holte unter der Decke ein Leinennachthemd hervor. Als sie am nächsten Morgen aufstand und ihren Schrank öffnete, um neue Unterwäsche herauszunehmen, fiel ihr Blick auf die violette Taft-bluse, die versteckt zwischen anderen Kleidern hing. Sie hatte sie zur Hochzeit einer Tante getragen, eine Bluse mit einem tief angesetzten Kragen und Perlmuttknöpfen.
Knaur Taschenbuch Verlag. Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf. GmbH & Co. KG, München.
Lizenzausgabe mit freundlicher Genehmigung der Arche Literatur Verlag AG, Zürich-Hamburg.
Copyright © 2008 by Arche Literatur Verlag AG, Zürich-Hamburg.
Auf der Buchholzer Flur war es still. Nur vereinzelt drangen Geräusche durch die geöffneten Fenster, das Klappern von Geschirr, das Bellen eines Hundes. Greta eilte an den Häusern vorbei, Handwerker wohnten hier und Angestellte, ganz hinten ein Schuldirektor, in dessen Garten an einem Mast die Hakenkreuzfahne hing. Bauernhöfe traten in Gretas Blick, Kartoffeläcker und Getreidefelder. Noch war der Roggen grün. Eine leichte Brise strich darüber, die Halme bewegten sich in sanften Wogen, und Greta dachte an das Meer, nur dass Wasserwellen schwerfälliger wirkten als Roggenwellen. Sie erreichte den Wald, der mit Buchen, Linden und Kiefern einen Berg bedeckte, den Julo. Oben auf dem Julo stand der Bismarckturm. Liebespaare trafen sich dort.
Auf den Bänken vor einer Waldschenke saßen Eltern mit Kindern und tranken Brause. Zu ihren Füßen lagen Rucksäcke. Greta spürte die Sonne auf ihrem Gesicht, die sich durch die Baumwipfel ihre Bahn brach. Dann, als sich der Wald lichtete, war der Fluss zu sehen. Die Oder. Greta schirmte ihre Augen mit der Hand ab. Das Wasser glitzerte. Binnenwärts glitten Kähne, die in wenigen Kilometern im Hafen von Stettin anlegen würden. Ihnen wiederum kamen Schiffe entgegen, die durch das Stettiner Haff ins Meer gelangten, darunter Ausflugsdampfer, die zum Seebad von Swinemünde fuhren, wo es weißen Sandstrand gab. Greta erinnerte sich, wie die Großeltern sie als Kind mitgenommen hatten. Mit dem Großvater hatte sie nach Bernstein gesucht, während die Großmutter im Strandkorb gesessen hatte, die Beine stets unter einer Decke. Manchmal war Greta zu ihr unter die Decke gekrochen, hatte ihre vom Wasser kalten Hände und Füße an der Großmutter gewärmt, sie hatten den anderen beim Ballspielen zugesehen und die Strandkleider der Frauen bewundert oder auch nur dagesessen und nichts gesagt.
Huberts Café lag nur wenige Minuten vom Ufer entfernt. Es war ein hell verputztes Fachwerkhaus mit einem Garten und Kastanien. Gerade rückte Hubert die Tische und Stühle unter den Bäumen zurecht. Er war ein kräftiger Mann mit breiten Schultern und kurzen Unterarmen. Gutmütig, wie er war, steckte er manchmal den Küchenhilfen etwas aus der Trinkgeldkasse zu.
Greta ging am Café vorbei und betrat durch den Hintereingang die Küche. Huberts Frau warf einen vielsagenden Blick auf die Uhr. Es war genau halb zwei, doch Huberts Frau hatte es am liebsten, wenn die Küchenhilfen zu dieser Zeit bereits bei der Arbeit waren. Greta nestelte an ihrer Tasche, um den Kittel herauszuholen, in dem Augenblick stürzte Anna in die Küche, entschuldigte sich wortreich und zwinkerte Greta zu. Huberts Frau machte eine abfällige Bemerkung, holte einen Kuchen aus dem Ofen und wies ein blasses Mädchen an, ihn mit Himbeeren zu belegen. Das Mädchen war ihre Tochter.
Öl spritzte Greta ins Gesicht. Mit dem Handrücken wischte sie sich über die Wangen und tauchte die Schöpfkelle in die heiße Flüssigkeit, um Berliner Pfannkuchen herauszufischen. Die Schwingtür, die von der Küche ins Café führte, klappte ständig. Hubert und seine Frau rannten zwischen Küche und Garten hin und her. Fertig? Hubert trat neben Greta. Hastig bestreute sie die braun gebackenen Kugeln mit Staubzucker und baute sie auf dem Teller zu einer Pyramide. Die Tür klappte wieder, und Hubert verschwand mit dem Kuchenberg. Greta prüfte den Sitz ihres Kopftuchs. Stimmen drangen in die Küche, Gelächter. Ein Kind rief nach seiner Mutter, und Greta hörte, wie die Leute bestellten, dreimal Kaffee bitte, einmal Brause und viermal Pfannkuchen.
An einer Seite des Gartens, wo Ahornbäume in den Himmel ragten, gab es ein Podest mit girlandengeschmückten Pfosten. Die Bühne für die Sonntagsmusik. Als Greta ihrem Chef mit einem Kuchentablett entgegenging, sah sie, wie vier Männer in Anzügen und mit gestärkten Kragen ihre Instrumente auspackten und Notenständer aufstellten. Kurz darauf, nach dem Einstimmen, begannen sie zu spielen, eingängige Melodien, anfangs sanfte, leise, die zum Plausch bei Kaffee und Himbeerkuchen passten, dann etwas schnellere, die Verliebte auf die Tanzfläche lockten oder Väter mit Töchtern oder Kinder.
Als die Chefin außer Sichtweite war, tänzelte Anna durch die Küche und stieß eine geöffnete Schublade mit der Hüfte zu. Sie hatte rundliche Hüften, über denen der Kittel spannte, und im Nacken, über dem Knoten ihres Kopftuchs, kringelten sich blonde Locken.
Kühl war es zwischen den Tannen, als Greta abends durch den Wald nach Hause ging. Ihre Füße schmerzten vom langen Stehen. Auf der Veranda der Waldschenke leuchteten die ersten Lampions auf. Männer schoben sich ihre Mützen in den Nacken, Biergläser klirrten aneinander. Greta verließ den Wald, schlenderte die Kartoffeläcker und Roggenfelder entlang, an den Bauernhöfen und den Häusern der Handwerker und Angestellten vorbei. Ein hochgewachsener Mann mit vorstehendem Bauch kam ihr entgegen, der Schuldirektor. Greta grüßte kurz. Manchmal klingelte er bei ihnen zu Hause und verlangte den Vater zu sprechen. Einmal hatte Greta gelauscht und mitbekommen, wie der Schuldirektor den Vater aufgefordert hatte, in die Partei einzutreten. Er kenne Leute, hatte er geraunt, die das Verhalten des Vaters nicht gutheißen würden. Jedes Mal, wenn Greta den Schuldirektor weggehen sah, trug er ein Paket bei sich, und Greta wusste, dass der Vater ihm ein Stück Lamm oder Gans eingepackt hatte. Manchmal schickte der Vater Greta los, damit sie ein Pfund Kartoffeln oder Äpfel bei ihm ablieferte.
Das Haus, in dem Greta lebte, war ein Klinkerbau mit roten Dachziegeln und Sprossenfenstern. An den Mauern wuchs Efeu, so dicht, dass sich Greta als Kind vorgestellt hatte, wie dahinter, unsichtbar für Menschenaugen, Käfer wohnten. Gretas Vater war Maurer und hatte das Haus selbst gebaut. Jetzt saß er davor, auf einer Gartenbank, und rauchte. Greta setzte sich neben ihn. Meistens schwieg der Vater eine Weile, bis er sich räusperte und sagte, dass es ein guter Tag gewesen sei, weil er das Haus, das er in der nächsten Siedlung gemauert hatte, verputzt habe. Oder dass es ein guter Tag gewesen sei, weil ein Restaurant aus der Stadt eine neue Lieferung Gänsebraten bestellt habe. Oder er sagte, dass es ein schlechter Tag gewesen sei, weil er ein Lamm tot in der Box gefunden habe. Ein schlechter Tag, weil beim Kolonialwarenhändler im Dorf die Scheiben eingeschlagen worden seien. Weggebracht hätten sie den Kaufmann und seine Familie, die Leute sprachen hinter vorgehaltener Hand darüber. Greta fragte, ob sie eine Zigarette haben dürfe. Überrascht wandte der Vater den Kopf. Er zögerte, bis er in seine Brusttasche griff, eine Zigarette herauszog und sie seiner Tochter reichte. Eine Hand legte er schützend um die Streichholzflamme, als er Greta Feuer gab. Greta zog an der Zigarette und hustete. Der Vater lachte und klopfte ihr auf den Rücken.
Nach dem Abendbrot saß Greta mit ihren Schwestern Herma und Lotte in der Stube. Herma, die ein Jahr jünger war als Greta, bügelte Tischdecken und Hemden, und Lotte, die Jüngste von den dreien, nähte einen weißen Kragen an ihr Sonntagskleid. Greta stopfte Socken, die ihr die Mutter hingelegt hatte. Lustlos zog sie die Nadel durch das Fadengitter und überlegte, ob es nicht Zeit habe, Socken zu stopfen, jetzt, im Sommer. Hermas Plätteisen dampfte. Mit kräftigen Händen schob sie es über den Stoff. Der Stapel mit ordentlich gefalteten Decken und Hemden neben ihr wuchs, währenddessen strich Lotte immer wieder über den weißen Kragen, ob er richtig saß. Sie hatte zarte, geschickte Hände, mit denen ihr winzige Stiche und feine Nähte gelangen. Greta klebte der Faden zwischen den Fingern, und als sie einmal aufsah, bemerkte sie Hermas spöttischen Blick.
Ein paar Tage später verordnete Huberts Frau der Küchenhilfe Anna Überstunden. Der gedeckte Obstkuchen, den Anna gebacken hatte, war gesprungen. Sie brauche auf der Stelle einen neuen, schimpfte sie, die Gäste sollten am nächsten Tag nicht auf ihren Kuchen warten müssen, zumal Anna es mit der Pünktlichkeit ja ohnehin nicht so genau nehme. Sie winkte ihre Tochter zu sich und verließ mit ihr grußlos die Caféküche. Während Hubert in einer Ecke hinter der Theke Zahlen in Kassenbücher eintrug, blieb Greta bei Anna. Anna erzählte von Ausflügen in die Stadt, abends, mit ihrem Bruder. Ob Greta das Tanzcafé am Kaiser-Wilhelm-Denkmal kenne? Von außen, sagte Greta und erinnerte sich, wie sie während ihres Haushaltsjahrs in der Stadt manchmal davor gestanden und die Leute, die dort hineingingen, beobachtet hatte, neugierig war sie gewesen, und die Frauen hatte sie bewundert, die Frauen und ihre funkelnden Augen. Wir gehen in den oberen Stock, in die Bar, sagte Anna, da sind die Sitten loser, weniger vornehm, verstehst du. Greta errötete. Anna fuhr mit dem Finger den Schüsselrand entlang, streifte den restlichen Kuchenteig ab und leckte ihn sich vom Finger. Aber, sagte sie und lachte, mein Bruder ist ja dabei.
Sie hatten das Licht eingeschaltet und saßen leise schwatzend auf der Anrichte. Motten tummelten sich an der Fensterscheibe. Durch die Küche zog Kuchenduft. Anna schaute auf die Uhr über der Tür. Eine halbe Stunde würden sie noch warten müssen. Hubert kam und sagte, dass sie Feierabend machen sollten, er werde den Kuchen nachher aus dem Ofen holen. Greta und Anna sprangen auf den Boden. Beim Hinausgehen schnitt sich Anna ein Stück von dem missratenen Obstkuchen ab und stopfte es sich in den Mund. Als sie draußen im Hinterhof standen, fragte sie Greta, ob sie nicht mal mitkommen wolle, zum Tanzen in die Stadt? Warum nicht, antwortete Greta und versuchte, ihrer Stimme einen gleichmütigen Klang zu geben. Anna schlug das kommende Wochenende vor. Sie überquerten den Hinterhof und verabschiedeten sich. Annas Zuhause lag zur Stadt hin, an der Grenze zu Frauendorf. Greta hörte, wie ihre Schritte sich entfernten.
Herma und Lotte, mit denen Greta die Schlafkammer teilte, lagen schon im Bett, als Greta sich in der Ecke des Zimmers das Gesicht wusch und ihr Haar bürstete. Herma schlief mit dem Gesicht zur Wand, Lotte auf dem Bauch. Greta zog ihr Kleid aus, legte es über einen Stuhl und stand in Unterwäsche vor dem Spiegel der Waschkommode. Eine kleine Lampe verbreitete mildes Licht. Greta betrachtete sich. Sie war schlank, zwar kräftiger als Lotte, aber schmaler als Herma. Sachte wölbten sich ihre Brüste unter dem weißen Hemd. Greta hatte gehofft, dass sie nicht zu groß werden würden, zu auffallend, als sie zu wachsen begonnen hatten. Sie zog ihr Hemd aus, hielt es vor ihre Brüste, drehte sich mit dem Rücken zum Spiegel, als müsse sie sich vor ihren eigenen Augen schützen. Sie schaute sich über die Schulter an. Die helle Haut ihres Körpers leuchtete schwach. Etwas raschelte, Herma wälzte sich in den Kissen. Greta warf das Unterhemd in den Wäschekorb, trat leise an ihr Bett und holte unter der Decke ein Leinennachthemd hervor. Als sie am nächsten Morgen aufstand und ihren Schrank öffnete, um neue Unterwäsche herauszunehmen, fiel ihr Blick auf die violette Taft-bluse, die versteckt zwischen anderen Kleidern hing. Sie hatte sie zur Hochzeit einer Tante getragen, eine Bluse mit einem tief angesetzten Kragen und Perlmuttknöpfen.
Knaur Taschenbuch Verlag. Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf. GmbH & Co. KG, München.
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Autoren-Porträt von Wiebke Eden
Die Autorin Wiebke Eden wurde 1968 in Jever geboren, machte nach dem Schulbesuch zunächst ein Volontariat bei der Zeitung und studierte dann Germanistik und Pädagogik. Seit 1996 ist sie als freie Journalistin tätig und schreibt für Zeitungen und Zeitschriften, zudem auch Beiträge für Radio und Fernsehen. Nach zwei Porträtbänden ist "Die Zeit der roten Früchte" ihr erster Roman. Wiebke Eden lebt und arbeitet in Berlin.
Bibliographische Angaben
- Autor: Wiebke Eden
- 2010, 236 Seiten, Maße: 12,5 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: DROEMER KNAUR
- ISBN-10: 3426503654
- ISBN-13: 9783426503652
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