Elbengift / Die Zwerge von Elan-Dhor Bd.1
Roman. Originalausgabe
Die neue Fantasy-Saga.
"Großartig, wie Frank Rehfeld den Bogen in seiner neuen Elan-Dhor-Saga spannt."
WOLGANG HOHLBEIN
"Großartig, wie Frank Rehfeld den Bogen in seiner neuen Elan-Dhor-Saga spannt."
WOLGANG HOHLBEIN
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Produktinformationen zu „Elbengift / Die Zwerge von Elan-Dhor Bd.1 “
Die neue Fantasy-Saga.
"Großartig, wie Frank Rehfeld den Bogen in seiner neuen Elan-Dhor-Saga spannt."
WOLGANG HOHLBEIN
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Klappentext zu „Elbengift / Die Zwerge von Elan-Dhor Bd.1 “
Die neue Fantasy-Saga des deutschen ErfolgsautorsMit Hilfe der Elben gelang es den Zwergen von Elan-Dhor, die Invasion der Dunkelelben zurückzuschlagen und die Angreifer zu vernichten. Doch der Preis war zu hoch. Der Fluch, der die Vorfahren der Dunkelelben verdammte, hat ein neues Ziel gefunden. Nun ist es an Warlon und den Zwergen, den Elben Hilfe und Heilung zu bringen, auch wenn sich bereits wieder alter Groll zwischen den Völkern regt. Doch Warlon wird seine neuen Freunde niemals im Stich lassen ...
Lese-Probe zu „Elbengift / Die Zwerge von Elan-Dhor Bd.1 “
Elbengift von Frank RehfeldPROLOG
... mehr
Stimmen drangen vergänglichen Schatten gleich durch die Unendlichkeit, wurden leiser, verloren sich, zerfaserten und verhallten schließlich im Nichts, bis kurz darauf neue erklangen. Jedenfalls dachte das Wesen dies zunächst, bis es irgendwann plötzlich erkannte, dass es sich eigentlich nicht um Stimmen, sondern um seine eigenen Gedanken handelte.
Die Erkenntnis löste Erschrecken in ihm aus, eine Empfindung, die es bisher noch nie gespürt hatte, von der es nicht gewusst hatte, dass es dazu fähig war. Es hatte nicht einmal geahnt, dass es überhaupt zu Empfindungen fähig war. Jedenfalls konnte es sich nicht erinnern, jemals zuvor welche verspürt zu haben. Es konnte sich nicht erinnern, dass es überhaupt jemals etwas anderes gekannt hatte als die Unendlichkeit um sich herum, durch die es trieb, angefüllt mit allen nur erdenklichen Farben und voller seltsamer Formen, die immer wieder zerflossen und sich neu bildeten.
Und den Stimmen.
Die Stimmen waren da gewesen, seit es sich erinnern konnte, ohne dass es ihnen jemals bewusst gelauscht hatte. Nun jedoch hatte sich etwas verändert, und es begriff, dass es bereits zuvor etwas gefühlt hatte, ohne sich dessen bewusst gewesen zu sein, weil das Gefühl bislang einfach ein vertrauter Teil seiner Existenz gewesen war. Die Stimmen waren beruhigend gewesen, hatten es mit der tröstlichen Einbildung erfüllt, dass andere bei ihm waren, obwohl es ihnen noch nie begegnet war.
Nun jedoch war diese Illusion ausgelöscht, und das Gefühl von Einsamkeit brach mit erbarmungsloser Gewalt über es herein. Es begriff, dass es in Wahrheit allein war, dass es vollkommen für sich durch die Endlosigkeit trieb. Das Erschrecken darüber steigerte sich zu Entsetzen und wurde immer stärker, bis es nicht einmal mehr klar denken konnte und selbst die vermeintlichen Stimmen verstummten. Aber der Aufruhr in seinem Inneren übertrug sich auf seine Umgebung. Die Farben wirbelten wild durcheinander und vermengten sich, die Formen zerflossen und bildeten sich neu, zumeist zu bedrohlich erscheinenden, deformierten Gebilden, die sich gleich darauf wieder auflösten und erneut andere Gestalt annahmen.
Einsam.
Allein.
Treibend in der Unendlichkeit.
Unfähig, etwas anderes zu tun, als nur zu sein.
In ihm herrschten nichts als Chaos, Schrecken und Angst. Es wusste nicht, wie lange es gefesselt von seinen Empfindungen einfach nur so dahintrieb, da Zeit hier keinerlei Bedeutung besaß, bis sich auf einmal etwas änderte.
WER BIST DU?
WAS BIST DU?
Verwirrung mischte sich unter die Empfindungen, die es erfüllten. Die Stimme entsprang nicht ihm selbst, war kein bloßer Widerhall seiner Gedanken, dennoch begriff es erst mit Verzögerung, dass sie tatsächlich von außen zu ihm drang und was das bedeutete.
Gerade noch hatte es die Erkenntnis der allumfassenden Einsamkeit in tiefste Verzweiflung gestürzt, doch sie traf nicht zu.
Es war nicht allein!
1
DIE FROSTSPINNE
Dezember 9424 neuer Zeitrechnung der Elben
Frostige Böen fauchten den Reitern einen Willkommensgruß entgegen, als sie den Kamm des Felsgrates erreichten, der ihnen bislang notdürftig Schutz vor dem eisigen Wind geboten hatte. Es wäre für Lhiuvan einfach gewesen, sich genau wie seine Begleiter durch Magie vor der Kälte und dem Sturm zu schützen, doch im Gegensatz zu ihnen hatte er darauf verzichtet und lediglich um sein Pferd einen entsprechenden Zauber gewoben. Er mochte die Unbilden der Natur, selbst den rauen Biss des Windes, der ihm wie eine Kampfansage Schneefäuste entgegenschleuderte und die ungeschützte Haut seines Gesichts prickeln und brennen ließ.
Zumindest an diesem Tag.
Der Schnee stach wie mit Millionen winziger Nadeln auf sein Gesicht ein, aber er begrüßte den Schmerz, denn er zeigte ihm, dass er noch lebendig war. Ein Gefühl, das er in letzter Zeit viel zu selten verspürt hatte. Kälte und Schnee waren wie ein Feind, dem er sich zum Kampf stellen wollte, dem er nicht ausweichen und von dem er sich nicht niederringen lassen würde.
»Wie weit wollt Ihr die Patrouille noch ausdehnen?«, fragte einer der Elbenkrieger, die ihn begleiteten. Er musste schreien, um sich durch das Brüllen des Sturms verständlich zu machen. »Die Frostspinne entfernt sich vom Tal und stellt schon längst keine Gefahr mehr dar.«
Ein anderer deutete auf die kaum noch erkennbaren Vertiefungen im Schnee vor ihnen.
»Ihre Spur ist schon jetzt fast zugeweht, und in ein, zwei Stunden wird es dunkel. Spätestens dann müssen wir die Verfolgung abbrechen. Wenn wir jetzt umkehren, können wir es bis zur Dämmerung noch zurück zum Tal schaffen.«
Lhiuvan sah zum Himmel auf, der mit dicken, grauen Wolken bedeckt war, die das Versprechen auf noch viel mehr Schnee bargen. Dann ließ er seinen Blick über die Einöde aus Felsen, Schnee und Eis wandern, die sich vor ihnen erstreckte. Natürlich hatten die anderen recht, natürlich wäre es an der Zeit, umzukehren. Sie hätten es schon längst tun sollen. Die Frostspinne war dem goldenen Tal nicht einmal sonderlich nahe gekommen und hatte niemals eine Bedrohung dargestellt. Nur durch puren Zufall waren sie auf ihre Spur gestoßen, und es hatte von Anfang an keinen vernünftigen Grund gegeben, sie zu verfolgen.
Aber nicht immer ging es nur um Vernunft.
»Brechen wir die Verfolgung ab«, entschied er nach kurzem Überlegen. »Ich denke auch, dass das Biest keine Gefahr mehr darstellt. Reitet schon vor. Ich will nur noch etwas überprüfen und folge euch dann.«
Mit sichtlicher Erleichterung wendeten die Reiter ihre Pferde, lediglich Naltiria zögerte. Die junge Kriegerin hatte noch nicht an vielen Patrouillenritten teilgenommen, und Lhiuvan wusste, dass sie eine schwärmerische Verliebtheit für ihn empfand, ein Gefühl ohne jegliche Aussicht auf Erwiderung.
»Ich würde lieber mit Euch reiten«, sagte sie. Der Wind riss ihr die Worte von den Lippen, sodass Lhiuvan sie kaum verstehen konnte.
Er schüttelte den Kopf.
»Das ist nicht nötig. Ich werde nicht lange brauchen.«
»Ihr wollt die Frostspinne weiter verfolgen«, hielt Naltiria ihm unumwunden vor. »Versucht gar nicht erst, es zu leugnen, ich erkenne es in Euren Augen. Ich habe keine Angst vor dem Ungeheuer. Lasst mich Euch begleiten.«
Lhiuvan erschrak. Waren ihm seine Gedanken so deutlich anzumerken? Am liebsten hätte er Naltiria befohlen, sich den anderen anzuschließen, doch stattdessen zuckte er nach ein paar Sekunden nur die Achseln und ritt weiter. Sollte sie ihm folgen, wenn sie wollte.
Er verstand selbst nicht ganz, was mit ihm los war. Gedanken, wie er sie in letzter Zeit immer häufiger und drängender verspürte, hatte er früher nicht gekannt - das Verlangen, sich mit jemandem oder wenigstens mit etwas zu messen, zu kämpfen.
Zu töten.
Es war ein düsteres Verlangen, eines Elben unwürdig. Er schämte sich dafür, doch es war so stark, dass es ihn manchmal fast von innen heraus aufzufressen schien, wenn er ihm nicht bald nachgab. Bis in seine Träume hinein verfolgte ihn immer häufiger der Drang, sein Schwert in lebendes Fleisch zu treiben, mit seiner Klinge durch Haut, Sehnen, Muskeln und Knochen zu schneiden, zu töten und zu zerstückeln.
Wie stets, wenn ihn diese Gedanken packten, empfand Lhiuvan Schrecken und Abscheu vor sich selbst, und wie stets versuchte er sie auch jetzt zu verdrängen.
»Warum?«, brüllte Naltiria ihm über das Fauchen des Sturms zu, nachdem sie ihr Pferd an seine Seite gelenkt hatte.
Lhiuvan antwortete nicht, tat, als hätte er sie gar nicht gehört.
»Warum?«, rief sie noch einmal. »Die Frostspinne stellt doch keine Gefahr mehr da. Warum wollt Ihr sie unbedingt weiter jagen?«
Fast widerwillig wandte Lhiuvan ihr für einen Moment das Gesicht zu und blickte sie an. Kälte und Wind vermochten ihr nichts anzuhaben - auch sie hatte sich durch einen Zauber geschützt. Ihr blondes, glattes Haar fiel herab und umrahmte ihr Gesicht. Es war ein überaus hübsches Gesicht, wie auch er zugeben musste, mit großen, leicht mandelförmigen Augen. Er hätte sich ob ihrer Gefühle für ihn glücklich schätzen sollen, obwohl ihm bewusst war, dass diese weniger ihm persönlich als dem berühmten Krieger galten, dem sie ihr Leben verdankte. Als Sklavin und dazu bestimmt, wie Schlachtvieh zu enden, war sie in den unterirdischen Katakomben tief unter dem Schattengebirge und der Zwergenmine Elan-Dhor aufgewachsen. Einem Stoßtrupp aus Elben und Zwergen war es gelungen, die Gefahr durch die Thir-Ailith, die Abtrünnigen seines Volkes, die sich dem Bösen verschrieben hatten und vor Äonen in die Tiefe verbannt worden waren, zu beseitigen und deren Opfer zu befreien, darunter auch Naltiria.
Etwas mehr als sieben Jahre lag das nun zurück.
Und damit auch der Tod Aliriels, der einzigen Frau, die er jemals geliebt hatte und jemals lieben würde. In einem Stollen der Zwergenmine Zarkhadul hatte sie bei einem Überfall der Thir-Ailith ein grausames und sinnloses Ende gefunden, und trotz der mittlerweile verstrichenen Jahre war es ihm seither unmöglich, etwas für eine andere Frau zu empfinden. Es wäre ihm wie Verrat vorgekommen.
Auch Naltiria würde dies irgendwann erkennen, vermutlich schon bald, und selbst wenn es sie im ersten Moment schmerzen würde, würde sie wahrscheinlich schnell darüber hinwegkommen. Aber auch daran wollte er jetzt nicht denken.
Er hätte ihr gar nicht erst gestatten sollen, bei ihm zu bleiben, aber sein Verlangen, sich in einem Kampf zu beweisen, war kurzzeitig so stark gewesen, dass ihm alles andere gleichgültig geworden war, und es wäre grausam und verantwortungslos gewesen, sie jetzt allein zurückzuschicken. Noch andere Gefahren und Ungeheuer als Frostspinnen lauerten in der eisigen Einöde, und obwohl sie sich trotz ihrer Jugend bereits zu einer hervorragenden Kriegerin entwickelt hatte, wollte er sie keinem unnötigen Risiko aussetzen.
Narr, schalt er sich gleich darauf selbst. Welche größeren Gefahren könnten sie wohl erwarten, als eine hungrige Frostspinne auf Beutezug zu jagen, die schrecklichste Bestie in diesem Teil der Welt?
Wortlos trieb er sein Pferd an, preschte schneller und schneller durch die Eiswüste, ehe die Spuren des Ungeheuers völlig verweht wurden. Die Frostspinne hatte ihre Höhle irgendwo in der Nähe, das spürte er. Sie kamen dem Ungeheuer näher. Erwartung und Vorfreude erregten ihn und löschten jegliches andere Gefühl aus.
Kein Mensch, vermutlich nicht einmal der geübteste menschliche Fährtenfinder, wäre noch in der Lage gewesen, der Spur der Frostspinne zu folgen. Aber was konnte man von minderwertigen Völkern schon erwarten, egal ob es sich um Menschen, Zwerge oder sonst jemanden handelt, dachte Lhiuvan. Niemand unter ihnen besaß so scharfe Sinne wie ein Elb, und genau diese scharfen Sinne ermöglichten es ihm selbst jetzt noch, die fast zugewehten Abdrücke im Schnee zu erkennen.
Er ritt wesentlich schneller, als in diesem Gelände angeraten gewesen wäre. Überall unter der trügerisch glatten Schneedecke konnten sich tückische Spalten verbergen, die eine Gefahr für ihn, aber mehr noch für sein Pferd darstellten. Doch das Jagdfieber war stärker als jede Regung seines Verstandes. Er wandte nicht einmal den Kopf, um sich zu vergewissern, ob Naltiria ihm noch folgte.
Nach einiger Zeit wurden die Spuren deutlicher und führten in einem Bogen auf eine große Hügelkette im Norden zu. Mit etwas Glück, so hoffte Lhiuvan, waren diese Hügel das Ziel der Frostspinne und sie hatte irgendwo dort eine Höhle. Er war der Verfolgung überdrüssig, wollte das Ungeheuer endlich stellen, es im Kampf bezwingen und töten.
Die Hügel erwiesen sich als fast gebirgsartig zerklüftet, mit tief eingeschnittenen Schluchten und steil aufragenden Felswänden. Eine Umgebung, wie Frostspinnen sie liebten, was Lhiuvans Hoffnung steigerte, den Unterschlupf des Ungeheuers gefunden zu haben.
Die Felsen boten Schutz vor dem Biss des Windes, wodurch auch die Spuren der Bestie nicht mehr so rasch verweht wurden und nun wieder besser zu sehen waren. Sie führten durch eine breite, gewundene Schlucht, die von zerklüfteten, rund einem Dutzend Meter hohen Felswänden begrenzt wurde.
Sie gelangten an eine recht steil ansteigende Geröllhalde. Lhiuvan zögerte kurz, dann sprang er aus dem Sattel und band sein Pferd an einem Felsbrocken fest. Es erschien ihm zu gefährlich, über das mit einer dicken Schneedecke überzogene Geröll zu reiten. Er zog eine Fackel aus den Satteltaschen, wartete, bis Naltiria es ihm gleichgetan hatte, dann begannen sie die Steigung hinaufzuklettern. Rasch merkten sie, wie gut es war, dass sie die Tiere zurückgelassen hatten. Das feine Gestein war so glatt, dass es ihren Füßen mehrmals keinen Halt bot und sie nur mit äußerster Geschicklichkeit verhindern konnten, dass sie stürzten und das gerade erst emporgestiegene Stück zurückrutschten. Jedes Pferd würde sich auf diesem Untergrund die Beine brechen.
Schließlich endete der Hang. Fast lotrecht fiel das Gestein in einen mehrere Meter durchmessenden Kessel ab, der auf allen Seiten von hohen Felsen umgeben war. In einer der Felswände klaffte ein Loch, bei dem es sich nur um den Eingang zur Höhle der Frostspinne handeln konnte. Innerlich jubelte Lhiuvan in grimmigem Triumph auf. Er hatte gewusst, dass er das Ungeheuer allen Widrigkeiten zum Trotz aufspüren würde. Nun endlich waren sie am Ende ihrer Jagd angelangt und hatten ihr Ziel erreicht.
Die Felswand wies kaum Vorsprünge oder Vertiefungen auf und stellte selbst für einen Elben eine Herausforderung dar. Durchgefroren, wie er war, würde er es schwerlich schaffen, daran hinunterzuklettern, erkannte Lhiuvan. Auch würde er seine ganze Kraft und Geschmeidigkeit im Kampf gegen die Frostspinne benötigen, und so umgab er sich nun doch mit einem Schutzzauber gegen die Kälte. Rasch breitete sich eine angenehme Wärme auf seiner Haut aus, drang kribbelnd in sein Inneres und vertrieb die Steifheit aus seinen Gliedern.
Er beugte sich vor, musterte die vor ihm abfallende Felswand gründlich und schwang sich dann über die Kante. Behände und elegant, wie es nur ein Elb vermochte, kletterte er ohne einen Laut in die Tiefe, fand für Hände und Füße Halt an kaum sichtbaren Vorsprüngen oder Vertiefungen im Gestein, so dass es aussah, als würde er wie eine Spinne am Fels kleben.
Bereits nach wenigen Sekunden erreichte er den Grund des Kessels. Naltiria folgte ihm nicht minder langsam und mit mindestens ebenso großer Eleganz. Als sie sich nur noch einen knappen Meter über dem Boden befand, bröckelte ein winziger Vorsprung ab, auf den sie den rechten Fuß setzte. Instinktiv versuchte Lhiuvan den Stein aufzufangen, aber trotz seiner elbenhaft schnellen Reaktion griff seine Hand ins Leere. Der nicht ganz faustgroße Stein fiel zu Boden und kullerte davon.
Gleich darauf erreichte auch Naltiria den Grund. Lhiuvan warf ihr einen zornigen Blick zu. Einige Sekunden lang lauschte er angespannt, aber es blieb alles ruhig. Offenbar war der Aufprall des Steins nicht bis in die Höhle zu hören gewesen.
Vorsichtig näherten sie sich der Öffnung im Fels und zogen ihre Schwerter, wobei sie die Klinge zwischen Daumen und Zeigefinger hindurchgleiten ließen, um jedes verräterische Geräusch zu vermeiden.
Sie drangen ein Stück weit in den Stollen ein, der sich hinter der Öffnung erstreckte, bis es zu dunkel wurde, als dass sie noch etwas hätten erkennen können. Lhiuvan rieb die Spitze seiner Fackel an der Wand entlang. Funken sprühten und setzten die Fackel in Brand. Ein grelles weißes Licht flackerte auf.
Spätestens jetzt musste die Frostspinne die drohende Gefahr bemerken, aber das spielte nun keine Rolle mehr. Das Ungeheuer konnte ihnen nicht mehr entkommen.
Wenige Schritte vor ihnen verbreiterte sich der Stollen und mündete in eine Höhle. Lhiuvan bebte mittlerweile vor Erregung am ganzen Körper. Nur mit Mühe konnte er sich beherrschen, nicht blindlings vorzustürmen. Seine Nerven waren zum Zerreißen gespannt, sein Verstand nur noch von dem Gedanken ans Töten und Vernichten erfüllt.
Sie erreichten den Eingang zur eigentlichen Höhle. Sie war größer als erwartet, viele Dutzend Meter in alle Richtungen, und selbst das grell-weiße, nahezu taghelle Licht der Fackel reichte nicht aus, sie vollständig zu erleuchten. Allerdings nahm Lhiuvan an ihrem hinteren Ende vage, schattenhafte Bewegungen wahr.
Um seine Selbstbeherrschung war es endgültig geschehen. Ohne auch nur einen Moment nachzudenken, stürmte er mit einem lauten Schrei los, sein Schwert in der einen und die Fackel in der anderen Hand. Hinter ihm rief Naltiria etwas, doch er nahm es nur am Rande wahr und achtete nicht darauf.
Wenige Sekunden später schrie sie erneut, und diesmal war es eindeutig ein Warnschrei. Im gleichen Moment sah Lhiuvan aus den Augenwinkeln eine Bewegung. Instinktiv warf er sich zur Seite, und vermutlich rettete nur diese ungeheuer schnelle Reaktion ihm das Leben.
Welche Bewegung er auch immer im Hintergrund der Höhle gesehen hatte, die Frostspinne war es nicht. Das Ungeheuer musste seine Annäherung sehr wohl frühzeitig bemerkt haben und hatte an der Decke gelauert. Nun ließ es sich auf ihn herabfallen, und nur um Haaresbreite entging er einem tödlichen Hieb.
Statt ihn voll zu treffen, streifte das auf ihn herabzuckende Spinnenbein ihn nur, dennoch war die Wucht des Hiebes immer noch groß genug, ihn von den Beinen zu reißen und mehrere Meter weit durch die Luft zu wirbeln. Die Fackel entglitt seiner Hand und fiel zu Boden, brannte dort jedoch weiter. Wenigstens gelang es Lhiuvan, sein Schwert festzuhalten und so zu drehen, dass er sich beim Aufprall auf den Fels nicht selbst darauf aufspießte oder anderweitig verletzte.
Benommen blieb er einen Moment liegen und kämpfte gegen den Schmerz an, der wie eine feurige Lohe durch seinen ganzen Körper raste. Neben ihm ragte die Frostspinne wie ein Berg empor, erschien ihm aus seiner lie genden Position noch größer, als sie ohnehin war. Hellgraues, stoppeliges Fell, das ihr sowohl vor Fels als auch im Schnee ideale Tarnung bot, bedeckte ihren monströsen Körper und die mehr als mannslangen Beine. Aus im Fackellicht funkelnden Facettenaugen starrte das Ungeheuer auf ihn herab, doch es griff nicht an, um ihm den Todesstoß zu versetzen.
Stattdessen wandte es unschlüssig den Kopf. Erst jetzt sah Lhiuvan, dass Naltiria herbeigeeilt war und dem Monstrum mit ihrem Schwert einen wuchtigen Hieb versetzte. Zum zweiten Mal innerhalb weniger Sekunden rettete sie ihm damit das Leben.
Die Bestie ließ die Gelegenheit verstreichen, ihn zu töten, stattdessen fuhr sie herum und wandte sich dem augenscheinlich gefährlicheren Gegner zu, der sie attackierte. Drohend fauchte sie Naltiria an, die einen weiteren Streich gegen eines der langen Beine führte, es jedoch verfehlte.
Vorsichtig bewegte Lhiuvan seine Glieder. Er hatte sich eine Reihe von Prellungen zugezogen, doch erleichtert stellte er fest, dass offenbar keine Knochen gebrochen waren. Schrecken und Schmerz hatten das Jagdfieber und die Erregung in ihm abkühlen lassen. Nun aber kehrten sie rasch zurück und überschwemmten erneut seine Gedanken. Er unterdrückte den Schmerz, stemmte sich hoch und packte sein Schwert fester.
Naltiria wurde von der Frostspinne immer weiter zurückgedrängt. Durch die Länge ihrer Beine besaß diese eine weitaus größere Reichweite als die junge Elbin. Immer wieder schlug das Ungeheuer nach ihr, manchmal mit mehreren Beinen gleichzeitig, und teilweise gelang es Naltiria nur mit knapper Not, den Hieben ausweichen. Nur vereinzelt kam sie dazu, ihrerseits mit dem Schwert zuzuschlagen. Und selbst wenn sie traf, erwies sich das Fell der Frostspinne als so zäh, dass ihre Klinge es kaum zu durchdringen vermochte und dem Monstrum nur leichte Verletzungen zufügte, die es kaum behinderten, sondern es höchstens noch wütender machten.
Umgekehrt steckte in den langen Spinnenbeinen genug Kraft, um einen Elben zu töten oder zumindest kampfunfähig zu machen. Lhiuvan wagte sich kaum vorzustellen, was mit ihm geschehen wäre, wenn der Hieb ihn voll getroffen hätte.
Und dabei waren die Beine noch nicht einmal die gefährlichsten Waffen einer Frostspinne. Sie trug ihren Namen nicht nur deshalb, weil sie vor allem in eisigen Breitengraden anzutreffen war. Sollte es ihr gelingen, ihn mit ihren Giftzähnen zu beißen, so war er verloren. Das Gift einer ausgewachsenen Frostspinne war für jedes Lebewesen absolut tödlich.
Noch bevor das Untier auf die neue Gefahr aufmerksam wurde, versetzte Lhiuvan ihm von hinten einen Schlag gegen eines seiner Beine. Auch seine Klinge vermochte das Fell lediglich zu ritzen, doch immerhin quollen einige Blutstropfen aus der Wunde.
Die Bestie stieß ein wütendes Fauchen aus, doch noch ehe sie herumfahren und sich ihm zuwenden konnte, schlug er ein weiteres Mal zu. Er traf exakt dieselbe Stelle noch einmal. Sein Schwert fraß sich tiefer in die bereits bestehende Wunde und ließ sie weiter aufklaffen.
Sofort wich Lhiuvan einige Schritte zurück.
Originalausgabe April 2011 bei Blanvalet,
einem Unternehmen der Verlagsgruppe Random House GmbH, München
Stimmen drangen vergänglichen Schatten gleich durch die Unendlichkeit, wurden leiser, verloren sich, zerfaserten und verhallten schließlich im Nichts, bis kurz darauf neue erklangen. Jedenfalls dachte das Wesen dies zunächst, bis es irgendwann plötzlich erkannte, dass es sich eigentlich nicht um Stimmen, sondern um seine eigenen Gedanken handelte.
Die Erkenntnis löste Erschrecken in ihm aus, eine Empfindung, die es bisher noch nie gespürt hatte, von der es nicht gewusst hatte, dass es dazu fähig war. Es hatte nicht einmal geahnt, dass es überhaupt zu Empfindungen fähig war. Jedenfalls konnte es sich nicht erinnern, jemals zuvor welche verspürt zu haben. Es konnte sich nicht erinnern, dass es überhaupt jemals etwas anderes gekannt hatte als die Unendlichkeit um sich herum, durch die es trieb, angefüllt mit allen nur erdenklichen Farben und voller seltsamer Formen, die immer wieder zerflossen und sich neu bildeten.
Und den Stimmen.
Die Stimmen waren da gewesen, seit es sich erinnern konnte, ohne dass es ihnen jemals bewusst gelauscht hatte. Nun jedoch hatte sich etwas verändert, und es begriff, dass es bereits zuvor etwas gefühlt hatte, ohne sich dessen bewusst gewesen zu sein, weil das Gefühl bislang einfach ein vertrauter Teil seiner Existenz gewesen war. Die Stimmen waren beruhigend gewesen, hatten es mit der tröstlichen Einbildung erfüllt, dass andere bei ihm waren, obwohl es ihnen noch nie begegnet war.
Nun jedoch war diese Illusion ausgelöscht, und das Gefühl von Einsamkeit brach mit erbarmungsloser Gewalt über es herein. Es begriff, dass es in Wahrheit allein war, dass es vollkommen für sich durch die Endlosigkeit trieb. Das Erschrecken darüber steigerte sich zu Entsetzen und wurde immer stärker, bis es nicht einmal mehr klar denken konnte und selbst die vermeintlichen Stimmen verstummten. Aber der Aufruhr in seinem Inneren übertrug sich auf seine Umgebung. Die Farben wirbelten wild durcheinander und vermengten sich, die Formen zerflossen und bildeten sich neu, zumeist zu bedrohlich erscheinenden, deformierten Gebilden, die sich gleich darauf wieder auflösten und erneut andere Gestalt annahmen.
Einsam.
Allein.
Treibend in der Unendlichkeit.
Unfähig, etwas anderes zu tun, als nur zu sein.
In ihm herrschten nichts als Chaos, Schrecken und Angst. Es wusste nicht, wie lange es gefesselt von seinen Empfindungen einfach nur so dahintrieb, da Zeit hier keinerlei Bedeutung besaß, bis sich auf einmal etwas änderte.
WER BIST DU?
WAS BIST DU?
Verwirrung mischte sich unter die Empfindungen, die es erfüllten. Die Stimme entsprang nicht ihm selbst, war kein bloßer Widerhall seiner Gedanken, dennoch begriff es erst mit Verzögerung, dass sie tatsächlich von außen zu ihm drang und was das bedeutete.
Gerade noch hatte es die Erkenntnis der allumfassenden Einsamkeit in tiefste Verzweiflung gestürzt, doch sie traf nicht zu.
Es war nicht allein!
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DIE FROSTSPINNE
Dezember 9424 neuer Zeitrechnung der Elben
Frostige Böen fauchten den Reitern einen Willkommensgruß entgegen, als sie den Kamm des Felsgrates erreichten, der ihnen bislang notdürftig Schutz vor dem eisigen Wind geboten hatte. Es wäre für Lhiuvan einfach gewesen, sich genau wie seine Begleiter durch Magie vor der Kälte und dem Sturm zu schützen, doch im Gegensatz zu ihnen hatte er darauf verzichtet und lediglich um sein Pferd einen entsprechenden Zauber gewoben. Er mochte die Unbilden der Natur, selbst den rauen Biss des Windes, der ihm wie eine Kampfansage Schneefäuste entgegenschleuderte und die ungeschützte Haut seines Gesichts prickeln und brennen ließ.
Zumindest an diesem Tag.
Der Schnee stach wie mit Millionen winziger Nadeln auf sein Gesicht ein, aber er begrüßte den Schmerz, denn er zeigte ihm, dass er noch lebendig war. Ein Gefühl, das er in letzter Zeit viel zu selten verspürt hatte. Kälte und Schnee waren wie ein Feind, dem er sich zum Kampf stellen wollte, dem er nicht ausweichen und von dem er sich nicht niederringen lassen würde.
»Wie weit wollt Ihr die Patrouille noch ausdehnen?«, fragte einer der Elbenkrieger, die ihn begleiteten. Er musste schreien, um sich durch das Brüllen des Sturms verständlich zu machen. »Die Frostspinne entfernt sich vom Tal und stellt schon längst keine Gefahr mehr dar.«
Ein anderer deutete auf die kaum noch erkennbaren Vertiefungen im Schnee vor ihnen.
»Ihre Spur ist schon jetzt fast zugeweht, und in ein, zwei Stunden wird es dunkel. Spätestens dann müssen wir die Verfolgung abbrechen. Wenn wir jetzt umkehren, können wir es bis zur Dämmerung noch zurück zum Tal schaffen.«
Lhiuvan sah zum Himmel auf, der mit dicken, grauen Wolken bedeckt war, die das Versprechen auf noch viel mehr Schnee bargen. Dann ließ er seinen Blick über die Einöde aus Felsen, Schnee und Eis wandern, die sich vor ihnen erstreckte. Natürlich hatten die anderen recht, natürlich wäre es an der Zeit, umzukehren. Sie hätten es schon längst tun sollen. Die Frostspinne war dem goldenen Tal nicht einmal sonderlich nahe gekommen und hatte niemals eine Bedrohung dargestellt. Nur durch puren Zufall waren sie auf ihre Spur gestoßen, und es hatte von Anfang an keinen vernünftigen Grund gegeben, sie zu verfolgen.
Aber nicht immer ging es nur um Vernunft.
»Brechen wir die Verfolgung ab«, entschied er nach kurzem Überlegen. »Ich denke auch, dass das Biest keine Gefahr mehr darstellt. Reitet schon vor. Ich will nur noch etwas überprüfen und folge euch dann.«
Mit sichtlicher Erleichterung wendeten die Reiter ihre Pferde, lediglich Naltiria zögerte. Die junge Kriegerin hatte noch nicht an vielen Patrouillenritten teilgenommen, und Lhiuvan wusste, dass sie eine schwärmerische Verliebtheit für ihn empfand, ein Gefühl ohne jegliche Aussicht auf Erwiderung.
»Ich würde lieber mit Euch reiten«, sagte sie. Der Wind riss ihr die Worte von den Lippen, sodass Lhiuvan sie kaum verstehen konnte.
Er schüttelte den Kopf.
»Das ist nicht nötig. Ich werde nicht lange brauchen.«
»Ihr wollt die Frostspinne weiter verfolgen«, hielt Naltiria ihm unumwunden vor. »Versucht gar nicht erst, es zu leugnen, ich erkenne es in Euren Augen. Ich habe keine Angst vor dem Ungeheuer. Lasst mich Euch begleiten.«
Lhiuvan erschrak. Waren ihm seine Gedanken so deutlich anzumerken? Am liebsten hätte er Naltiria befohlen, sich den anderen anzuschließen, doch stattdessen zuckte er nach ein paar Sekunden nur die Achseln und ritt weiter. Sollte sie ihm folgen, wenn sie wollte.
Er verstand selbst nicht ganz, was mit ihm los war. Gedanken, wie er sie in letzter Zeit immer häufiger und drängender verspürte, hatte er früher nicht gekannt - das Verlangen, sich mit jemandem oder wenigstens mit etwas zu messen, zu kämpfen.
Zu töten.
Es war ein düsteres Verlangen, eines Elben unwürdig. Er schämte sich dafür, doch es war so stark, dass es ihn manchmal fast von innen heraus aufzufressen schien, wenn er ihm nicht bald nachgab. Bis in seine Träume hinein verfolgte ihn immer häufiger der Drang, sein Schwert in lebendes Fleisch zu treiben, mit seiner Klinge durch Haut, Sehnen, Muskeln und Knochen zu schneiden, zu töten und zu zerstückeln.
Wie stets, wenn ihn diese Gedanken packten, empfand Lhiuvan Schrecken und Abscheu vor sich selbst, und wie stets versuchte er sie auch jetzt zu verdrängen.
»Warum?«, brüllte Naltiria ihm über das Fauchen des Sturms zu, nachdem sie ihr Pferd an seine Seite gelenkt hatte.
Lhiuvan antwortete nicht, tat, als hätte er sie gar nicht gehört.
»Warum?«, rief sie noch einmal. »Die Frostspinne stellt doch keine Gefahr mehr da. Warum wollt Ihr sie unbedingt weiter jagen?«
Fast widerwillig wandte Lhiuvan ihr für einen Moment das Gesicht zu und blickte sie an. Kälte und Wind vermochten ihr nichts anzuhaben - auch sie hatte sich durch einen Zauber geschützt. Ihr blondes, glattes Haar fiel herab und umrahmte ihr Gesicht. Es war ein überaus hübsches Gesicht, wie auch er zugeben musste, mit großen, leicht mandelförmigen Augen. Er hätte sich ob ihrer Gefühle für ihn glücklich schätzen sollen, obwohl ihm bewusst war, dass diese weniger ihm persönlich als dem berühmten Krieger galten, dem sie ihr Leben verdankte. Als Sklavin und dazu bestimmt, wie Schlachtvieh zu enden, war sie in den unterirdischen Katakomben tief unter dem Schattengebirge und der Zwergenmine Elan-Dhor aufgewachsen. Einem Stoßtrupp aus Elben und Zwergen war es gelungen, die Gefahr durch die Thir-Ailith, die Abtrünnigen seines Volkes, die sich dem Bösen verschrieben hatten und vor Äonen in die Tiefe verbannt worden waren, zu beseitigen und deren Opfer zu befreien, darunter auch Naltiria.
Etwas mehr als sieben Jahre lag das nun zurück.
Und damit auch der Tod Aliriels, der einzigen Frau, die er jemals geliebt hatte und jemals lieben würde. In einem Stollen der Zwergenmine Zarkhadul hatte sie bei einem Überfall der Thir-Ailith ein grausames und sinnloses Ende gefunden, und trotz der mittlerweile verstrichenen Jahre war es ihm seither unmöglich, etwas für eine andere Frau zu empfinden. Es wäre ihm wie Verrat vorgekommen.
Auch Naltiria würde dies irgendwann erkennen, vermutlich schon bald, und selbst wenn es sie im ersten Moment schmerzen würde, würde sie wahrscheinlich schnell darüber hinwegkommen. Aber auch daran wollte er jetzt nicht denken.
Er hätte ihr gar nicht erst gestatten sollen, bei ihm zu bleiben, aber sein Verlangen, sich in einem Kampf zu beweisen, war kurzzeitig so stark gewesen, dass ihm alles andere gleichgültig geworden war, und es wäre grausam und verantwortungslos gewesen, sie jetzt allein zurückzuschicken. Noch andere Gefahren und Ungeheuer als Frostspinnen lauerten in der eisigen Einöde, und obwohl sie sich trotz ihrer Jugend bereits zu einer hervorragenden Kriegerin entwickelt hatte, wollte er sie keinem unnötigen Risiko aussetzen.
Narr, schalt er sich gleich darauf selbst. Welche größeren Gefahren könnten sie wohl erwarten, als eine hungrige Frostspinne auf Beutezug zu jagen, die schrecklichste Bestie in diesem Teil der Welt?
Wortlos trieb er sein Pferd an, preschte schneller und schneller durch die Eiswüste, ehe die Spuren des Ungeheuers völlig verweht wurden. Die Frostspinne hatte ihre Höhle irgendwo in der Nähe, das spürte er. Sie kamen dem Ungeheuer näher. Erwartung und Vorfreude erregten ihn und löschten jegliches andere Gefühl aus.
Kein Mensch, vermutlich nicht einmal der geübteste menschliche Fährtenfinder, wäre noch in der Lage gewesen, der Spur der Frostspinne zu folgen. Aber was konnte man von minderwertigen Völkern schon erwarten, egal ob es sich um Menschen, Zwerge oder sonst jemanden handelt, dachte Lhiuvan. Niemand unter ihnen besaß so scharfe Sinne wie ein Elb, und genau diese scharfen Sinne ermöglichten es ihm selbst jetzt noch, die fast zugewehten Abdrücke im Schnee zu erkennen.
Er ritt wesentlich schneller, als in diesem Gelände angeraten gewesen wäre. Überall unter der trügerisch glatten Schneedecke konnten sich tückische Spalten verbergen, die eine Gefahr für ihn, aber mehr noch für sein Pferd darstellten. Doch das Jagdfieber war stärker als jede Regung seines Verstandes. Er wandte nicht einmal den Kopf, um sich zu vergewissern, ob Naltiria ihm noch folgte.
Nach einiger Zeit wurden die Spuren deutlicher und führten in einem Bogen auf eine große Hügelkette im Norden zu. Mit etwas Glück, so hoffte Lhiuvan, waren diese Hügel das Ziel der Frostspinne und sie hatte irgendwo dort eine Höhle. Er war der Verfolgung überdrüssig, wollte das Ungeheuer endlich stellen, es im Kampf bezwingen und töten.
Die Hügel erwiesen sich als fast gebirgsartig zerklüftet, mit tief eingeschnittenen Schluchten und steil aufragenden Felswänden. Eine Umgebung, wie Frostspinnen sie liebten, was Lhiuvans Hoffnung steigerte, den Unterschlupf des Ungeheuers gefunden zu haben.
Die Felsen boten Schutz vor dem Biss des Windes, wodurch auch die Spuren der Bestie nicht mehr so rasch verweht wurden und nun wieder besser zu sehen waren. Sie führten durch eine breite, gewundene Schlucht, die von zerklüfteten, rund einem Dutzend Meter hohen Felswänden begrenzt wurde.
Sie gelangten an eine recht steil ansteigende Geröllhalde. Lhiuvan zögerte kurz, dann sprang er aus dem Sattel und band sein Pferd an einem Felsbrocken fest. Es erschien ihm zu gefährlich, über das mit einer dicken Schneedecke überzogene Geröll zu reiten. Er zog eine Fackel aus den Satteltaschen, wartete, bis Naltiria es ihm gleichgetan hatte, dann begannen sie die Steigung hinaufzuklettern. Rasch merkten sie, wie gut es war, dass sie die Tiere zurückgelassen hatten. Das feine Gestein war so glatt, dass es ihren Füßen mehrmals keinen Halt bot und sie nur mit äußerster Geschicklichkeit verhindern konnten, dass sie stürzten und das gerade erst emporgestiegene Stück zurückrutschten. Jedes Pferd würde sich auf diesem Untergrund die Beine brechen.
Schließlich endete der Hang. Fast lotrecht fiel das Gestein in einen mehrere Meter durchmessenden Kessel ab, der auf allen Seiten von hohen Felsen umgeben war. In einer der Felswände klaffte ein Loch, bei dem es sich nur um den Eingang zur Höhle der Frostspinne handeln konnte. Innerlich jubelte Lhiuvan in grimmigem Triumph auf. Er hatte gewusst, dass er das Ungeheuer allen Widrigkeiten zum Trotz aufspüren würde. Nun endlich waren sie am Ende ihrer Jagd angelangt und hatten ihr Ziel erreicht.
Die Felswand wies kaum Vorsprünge oder Vertiefungen auf und stellte selbst für einen Elben eine Herausforderung dar. Durchgefroren, wie er war, würde er es schwerlich schaffen, daran hinunterzuklettern, erkannte Lhiuvan. Auch würde er seine ganze Kraft und Geschmeidigkeit im Kampf gegen die Frostspinne benötigen, und so umgab er sich nun doch mit einem Schutzzauber gegen die Kälte. Rasch breitete sich eine angenehme Wärme auf seiner Haut aus, drang kribbelnd in sein Inneres und vertrieb die Steifheit aus seinen Gliedern.
Er beugte sich vor, musterte die vor ihm abfallende Felswand gründlich und schwang sich dann über die Kante. Behände und elegant, wie es nur ein Elb vermochte, kletterte er ohne einen Laut in die Tiefe, fand für Hände und Füße Halt an kaum sichtbaren Vorsprüngen oder Vertiefungen im Gestein, so dass es aussah, als würde er wie eine Spinne am Fels kleben.
Bereits nach wenigen Sekunden erreichte er den Grund des Kessels. Naltiria folgte ihm nicht minder langsam und mit mindestens ebenso großer Eleganz. Als sie sich nur noch einen knappen Meter über dem Boden befand, bröckelte ein winziger Vorsprung ab, auf den sie den rechten Fuß setzte. Instinktiv versuchte Lhiuvan den Stein aufzufangen, aber trotz seiner elbenhaft schnellen Reaktion griff seine Hand ins Leere. Der nicht ganz faustgroße Stein fiel zu Boden und kullerte davon.
Gleich darauf erreichte auch Naltiria den Grund. Lhiuvan warf ihr einen zornigen Blick zu. Einige Sekunden lang lauschte er angespannt, aber es blieb alles ruhig. Offenbar war der Aufprall des Steins nicht bis in die Höhle zu hören gewesen.
Vorsichtig näherten sie sich der Öffnung im Fels und zogen ihre Schwerter, wobei sie die Klinge zwischen Daumen und Zeigefinger hindurchgleiten ließen, um jedes verräterische Geräusch zu vermeiden.
Sie drangen ein Stück weit in den Stollen ein, der sich hinter der Öffnung erstreckte, bis es zu dunkel wurde, als dass sie noch etwas hätten erkennen können. Lhiuvan rieb die Spitze seiner Fackel an der Wand entlang. Funken sprühten und setzten die Fackel in Brand. Ein grelles weißes Licht flackerte auf.
Spätestens jetzt musste die Frostspinne die drohende Gefahr bemerken, aber das spielte nun keine Rolle mehr. Das Ungeheuer konnte ihnen nicht mehr entkommen.
Wenige Schritte vor ihnen verbreiterte sich der Stollen und mündete in eine Höhle. Lhiuvan bebte mittlerweile vor Erregung am ganzen Körper. Nur mit Mühe konnte er sich beherrschen, nicht blindlings vorzustürmen. Seine Nerven waren zum Zerreißen gespannt, sein Verstand nur noch von dem Gedanken ans Töten und Vernichten erfüllt.
Sie erreichten den Eingang zur eigentlichen Höhle. Sie war größer als erwartet, viele Dutzend Meter in alle Richtungen, und selbst das grell-weiße, nahezu taghelle Licht der Fackel reichte nicht aus, sie vollständig zu erleuchten. Allerdings nahm Lhiuvan an ihrem hinteren Ende vage, schattenhafte Bewegungen wahr.
Um seine Selbstbeherrschung war es endgültig geschehen. Ohne auch nur einen Moment nachzudenken, stürmte er mit einem lauten Schrei los, sein Schwert in der einen und die Fackel in der anderen Hand. Hinter ihm rief Naltiria etwas, doch er nahm es nur am Rande wahr und achtete nicht darauf.
Wenige Sekunden später schrie sie erneut, und diesmal war es eindeutig ein Warnschrei. Im gleichen Moment sah Lhiuvan aus den Augenwinkeln eine Bewegung. Instinktiv warf er sich zur Seite, und vermutlich rettete nur diese ungeheuer schnelle Reaktion ihm das Leben.
Welche Bewegung er auch immer im Hintergrund der Höhle gesehen hatte, die Frostspinne war es nicht. Das Ungeheuer musste seine Annäherung sehr wohl frühzeitig bemerkt haben und hatte an der Decke gelauert. Nun ließ es sich auf ihn herabfallen, und nur um Haaresbreite entging er einem tödlichen Hieb.
Statt ihn voll zu treffen, streifte das auf ihn herabzuckende Spinnenbein ihn nur, dennoch war die Wucht des Hiebes immer noch groß genug, ihn von den Beinen zu reißen und mehrere Meter weit durch die Luft zu wirbeln. Die Fackel entglitt seiner Hand und fiel zu Boden, brannte dort jedoch weiter. Wenigstens gelang es Lhiuvan, sein Schwert festzuhalten und so zu drehen, dass er sich beim Aufprall auf den Fels nicht selbst darauf aufspießte oder anderweitig verletzte.
Benommen blieb er einen Moment liegen und kämpfte gegen den Schmerz an, der wie eine feurige Lohe durch seinen ganzen Körper raste. Neben ihm ragte die Frostspinne wie ein Berg empor, erschien ihm aus seiner lie genden Position noch größer, als sie ohnehin war. Hellgraues, stoppeliges Fell, das ihr sowohl vor Fels als auch im Schnee ideale Tarnung bot, bedeckte ihren monströsen Körper und die mehr als mannslangen Beine. Aus im Fackellicht funkelnden Facettenaugen starrte das Ungeheuer auf ihn herab, doch es griff nicht an, um ihm den Todesstoß zu versetzen.
Stattdessen wandte es unschlüssig den Kopf. Erst jetzt sah Lhiuvan, dass Naltiria herbeigeeilt war und dem Monstrum mit ihrem Schwert einen wuchtigen Hieb versetzte. Zum zweiten Mal innerhalb weniger Sekunden rettete sie ihm damit das Leben.
Die Bestie ließ die Gelegenheit verstreichen, ihn zu töten, stattdessen fuhr sie herum und wandte sich dem augenscheinlich gefährlicheren Gegner zu, der sie attackierte. Drohend fauchte sie Naltiria an, die einen weiteren Streich gegen eines der langen Beine führte, es jedoch verfehlte.
Vorsichtig bewegte Lhiuvan seine Glieder. Er hatte sich eine Reihe von Prellungen zugezogen, doch erleichtert stellte er fest, dass offenbar keine Knochen gebrochen waren. Schrecken und Schmerz hatten das Jagdfieber und die Erregung in ihm abkühlen lassen. Nun aber kehrten sie rasch zurück und überschwemmten erneut seine Gedanken. Er unterdrückte den Schmerz, stemmte sich hoch und packte sein Schwert fester.
Naltiria wurde von der Frostspinne immer weiter zurückgedrängt. Durch die Länge ihrer Beine besaß diese eine weitaus größere Reichweite als die junge Elbin. Immer wieder schlug das Ungeheuer nach ihr, manchmal mit mehreren Beinen gleichzeitig, und teilweise gelang es Naltiria nur mit knapper Not, den Hieben ausweichen. Nur vereinzelt kam sie dazu, ihrerseits mit dem Schwert zuzuschlagen. Und selbst wenn sie traf, erwies sich das Fell der Frostspinne als so zäh, dass ihre Klinge es kaum zu durchdringen vermochte und dem Monstrum nur leichte Verletzungen zufügte, die es kaum behinderten, sondern es höchstens noch wütender machten.
Umgekehrt steckte in den langen Spinnenbeinen genug Kraft, um einen Elben zu töten oder zumindest kampfunfähig zu machen. Lhiuvan wagte sich kaum vorzustellen, was mit ihm geschehen wäre, wenn der Hieb ihn voll getroffen hätte.
Und dabei waren die Beine noch nicht einmal die gefährlichsten Waffen einer Frostspinne. Sie trug ihren Namen nicht nur deshalb, weil sie vor allem in eisigen Breitengraden anzutreffen war. Sollte es ihr gelingen, ihn mit ihren Giftzähnen zu beißen, so war er verloren. Das Gift einer ausgewachsenen Frostspinne war für jedes Lebewesen absolut tödlich.
Noch bevor das Untier auf die neue Gefahr aufmerksam wurde, versetzte Lhiuvan ihm von hinten einen Schlag gegen eines seiner Beine. Auch seine Klinge vermochte das Fell lediglich zu ritzen, doch immerhin quollen einige Blutstropfen aus der Wunde.
Die Bestie stieß ein wütendes Fauchen aus, doch noch ehe sie herumfahren und sich ihm zuwenden konnte, schlug er ein weiteres Mal zu. Er traf exakt dieselbe Stelle noch einmal. Sein Schwert fraß sich tiefer in die bereits bestehende Wunde und ließ sie weiter aufklaffen.
Sofort wich Lhiuvan einige Schritte zurück.
Originalausgabe April 2011 bei Blanvalet,
einem Unternehmen der Verlagsgruppe Random House GmbH, München
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Autoren-Porträt von Frank Rehfeld
Rehfeld, FrankFrank Rehfeld wurde 1962 in Viersen geboren und hat in den 80er-Jahren mit dem Schreiben begonnen. Er hat Bücher zu mehreren Fernsehserien geschrieben und ist als Mitautor und Überarbeiter an der erfolgreichen Serie um den Hexer Robert Craven beteiligt.
Bibliographische Angaben
- Autor: Frank Rehfeld
- 2011, 412 Seiten, Maße: 13,6 x 20,6 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Blanvalet
- ISBN-10: 3442267765
- ISBN-13: 9783442267767
- Erscheinungsdatum: 14.03.2011
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