Diesen Krieg kann keiner gewinnen
Chronik eines angekündigten Friedens
David Grossman hat den israelisch-palästinensischen Konflikt seit Jahren mit kritischen Kommentaren begleitet. Seine persönliche Chronik der politischen Ereignisse seit dem Osloer Abkommen gibt einen Überblick über die Situation, zeigt die Argumente der...
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Produktinformationen zu „Diesen Krieg kann keiner gewinnen “
David Grossman hat den israelisch-palästinensischen Konflikt seit Jahren mit kritischen Kommentaren begleitet. Seine persönliche Chronik der politischen Ereignisse seit dem Osloer Abkommen gibt einen Überblick über die Situation, zeigt die Argumente der Palästinenser und Israelis und liefert zugleich einen Einblick in das alltägliche Leben der Menschen unter dem Einfluss des Terrors.
Klappentext zu „Diesen Krieg kann keiner gewinnen “
David Grossman hat den israelisch-palästinensischen Konflikt seit Jahren mit kritischen Kommentaren begleitet. Seine persönliche Chronik der politischen Ereignisse seit dem Osloer Abkommen gibt einen Überblick über die Situation, zeigt die Argumente der Palästinenser und Israelis und liefert zugleich einen Einblick in das alltägliche Leben der Menschen unter dem Einfluss des Terrors.
Lese-Probe zu „Diesen Krieg kann keiner gewinnen “
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Lärm. Lärm ist das erste Wort, das mir einfällt, wenn ich an die letzten zehn Jahre denke. Fürchterlicher Lärm. Schüsse und Schreie, Hetzreden, Jammern und Klagen, Explosionen und Demonstrationen, große leere Worte, Sondersendungen vom Ort des Anschlags, Rufe nach Rache, dröhnende Hubschrauber am Himmel, die heulenden Sirenen der Ambulanzen und das frenetische Klingeln der Telefone nach jedem Zwischenfall. Im Zentrum des Wirbelsturms, im Auge des Hurrikans, herrscht Stille. Man kann sie körperlich empfinden. Eine Stille wie in dem kurzen Augenblick zwischen schlechter Nachricht und Begreifen, zwischen Schlag und Schmerz. Es ist die Leere, in der jeder Mensch, ob Israeli oder Palästinenser, mit unerschütterlicher Sicherheit alles weiß, was er nicht wissen will oder nicht zu wissen wagt. In der er tief in seinem Innern begreift selbst wenn er dies vehement bestreitet, wenn er schießt und schreit , dass er sein Leben verschwendet, dass es in einem sinnlosen Kampf verrinnt. Dass ihm in einem Konflikt, der längst gelöst sein könnte, permanent seine Identität, seine Selbstachtung und Einzigartigkeit geraubt werden. Das einzugestehen ist zu schmerzlich. Dieser Gedanke ist unerträglich. Und so erklärt sich das ständige überwältigende Bedürfnis, dieser Stille zu entfliehen, zu dem vertrauten Lärm zurückzukehren, an den wir uns niemand vermag zu sagen, wie und wann irgendwie gewöhnt haben. Wir kommen damit sogar ganz gut zurecht. Sie (das heißt »die Feinde«) werden uns nicht in die Knie zwingen. Wir haben das Recht auf unserer Seite. Wir haben keine Wahl. Wir werden »uns von unseren Schwertern nähren, und das Schwert wird ohne Ende fressen«. Aber dort, an jenem stillen Ort, ist der Lärm von draußen verstummt. Dort, von allen schützenden nationalen, religiösen und sozialen Hüllen entblößt, ist der Mensch allein, sitzt mit angezogenen Beinen da, wie jemand, der etwas Grauenvolles getan hat und sich dem Verbrechen stellt, das er an anderen und an sich selbst begangen hat und weiterhin begeht. Wenige von uns, Israelis wie Palästinenser, können stolz auf das sein, was sie in den vergangenen Jahren getan haben, womit sie, aktiv oder passiv, kollaborierten, indem sie wegsahen, Bedenken beiseite schoben oder sich selbst betäubten.
Dieses Buch enthält einige Dutzend Artikel, die auf besonders turbulente Augenblicke in den Jahren nach der Unterzeichnung des Osloer Abkommens 1993 reagieren. Ich bin kein Journalist. Ich würde mich lieber in meinem Haus einschließen und nur noch Romane schreiben. Doch die Wirklichkeit, in der ich lebe, übersteigt jede Phantasie und sickert tief in mich ein. Und manchmal ist das Verfassen eines Artikels für mich der einzige Weg, zu verstehen, zu entziffern und diesen Alltag zu überleben. Auch wegen des Lärms schreibe ich Artikel, denn häufig fühle ich mich dem Ersticken nahe und reagiere klaustrophobisch auf die betrügerischen, verlogenen Worte, die alle interessierten Parteien Regierung, Armee, Medien uns, ihren Untertanen in diesem Katastrophengebiet, ununterbrochen einzuhämmern versuchen. Mitunter kann die neue Darlegung einer Lage, die schon als hoffnungslos verloren und versteinert galt, uns in Erinnerung rufen, dass uns im Grunde kein Gottesurteil zu hilflosen Opfern von Apathie und Lähmung verdammt. Ich muss gestehen, dass mich häufig das Gefühl überkommt, Worte könnten die Wand des Horrors nicht mehr durchdringen. Es ist schwer, jemanden mit Worten zu erreichen, wenn um einen herum Menschen in die Luft gesprengt und Kinder in Fetzen gerissen werden. In solchen Momenten würde ich lieber schreiend durch die Straßen laufen als schreiben. Einige Meinungen und Hoffnungen, die ich geäußert habe, einige von mir vertretene Einschätzungen haben sich als falsch erwiesen. Diese Artikel wurden dennoch in dieses Buch aufgenommen, weil auch sie, wie ich meine, den Prozess, den viele durchlebt haben, widerspiegeln. Sie wurden aufgenommen, weil ich nicht unterschlagen will, was ich und viele andere erfahren habe. Eben so wenig möchte ich meine Hoffnungen und Sehnsüchte verleugnen. Wenn ich gelegentlich einen Blick in den Atlas werfe, packt mich die Verzweiflung. Das winzige Israel, das auf der Karte nicht einmal groß genug für den Schriftzug seines Namens ist und dessen »Taillenweite« keine elf Kilometer beträgt, ist von feindlichen Staaten und Völkern umgeben, von denen viele von der Welle des fundamentalistischen Islamismus erfaßt wurden, von Judenhass geprägt sind und sogar offen die Vernichtung des Judenstaates zu ihrem Ziel erklären. Ich spüre, wie die Finger der offenen, ausgestreckten Hand sich in Angst und Verzweiflung zur Faust ballen. Es ist verständlich, dass die Israelis in solch einer Lage sich instinktiv immer mehr verschanzen wollen. Es ist nachvollziehbar, warum sie der Versuchung erliegen, aggressiven, kriegslüsternen Führern zu folgen, und sich ängstlich, misstrauisch und vernarbt durch die Erinnerungen an die Vergangenheit in Erwartung des nächsten Zusammenstoßes mit einer stählernen Rüstung umgeben. Was erwartet uns? Wer ist weise genug, das zu wissen? Ich neige zu der Annahme, daß in absehbarer Zukunft unser Leben hier eine kontinuierliche Abfolge von kleinen und heftigen Konfrontationen bleiben wird. Ich hoffe darauf, dass der Konflikt nach und nach an Sprengkraft verliert, daß beide Seiten müde werden und die schmerzliche Anerkennung der Wahrheit Israelis und Palästinenser zwingt, zur Durchsetzung ihrer Interessen zu gewaltlosen Mitteln zu greifen. Doch selbst wenn wir zu Jahren der Gewalt und Feindschaft verdammt sind, zu brüchigen Friedensvereinbarungen, die immer und immer wieder verletzt werden, müssen wir unablässig an Alternativen arbeiten und an der heute geleugneten und verworfenen Möglichkeit der friedlichen Koexistenz festhalten. Unsere beiden Völker müssen diejenigen in den eigenen Reihen und in den Reihen der anderen, die ein echtes Interesse an Frieden haben und schon zu einem schmerzhaften Kompromiss bereit sind, unterstützen. Tun wir dies nicht, wird die ganze Arena den Extremisten, den Gewalttätigen und den Kriegstreibern offenstehen. Tun wir dies nicht, werden unsere Kinder sich nur noch dunkel daran erinnern, wofür es sich lohnt zu kämpfen und was erstrebenswert ist. Es ist erschreckend zu sehen, wie leicht man gerade das vergißt. Wie schnell die wertvollsten und wichtigsten Dinge ihren Rang verlieren und in diesem Lärm untergehen. Das ist vielleicht die deprimierendste Entdeckung der beiden letzten Jahre: die starke Anziehungskraft des Hasses und der Rachsucht. Als wäre eine dünne Schicht von Kultur und Menschlichkeit von beiden Völkern weggeblasen und Bestialität und Barbarei enthüllt worden. Beim Anblick der Greueltaten, die diese beiden Völker einander antun, vergeht einem Menschen bisweilen nicht nur die Lust, in dieser Region zu leben, sondern die Lust am Leben überhaupt. Die Chance, uns aus diesen inneren Fallen zu befreien, hängt also auch wesentlich von der Fähigkeit ab, sich der Denkweise des »Wir haben keine Wahl« und »Wir haben keinen Partner« zu erwehren. In diesem Kampf verlaufen die Fronten heute nicht zwischen Israelis und Palästinensern, sondern zwischen denen, die nicht bereit sind, sich mit der Verzweiflung abzufinden, und denen, die sie in eine Lebensform verwandeln wollen. Um diesen Kampf geht es im Kern dieses Buches: Siebenunddreißig Artikel, eine Geschichte, an der noch geschrieben wird. David Grossman, Jerusalem, Dezember 2002
Dieses Buch enthält einige Dutzend Artikel, die auf besonders turbulente Augenblicke in den Jahren nach der Unterzeichnung des Osloer Abkommens 1993 reagieren. Ich bin kein Journalist. Ich würde mich lieber in meinem Haus einschließen und nur noch Romane schreiben. Doch die Wirklichkeit, in der ich lebe, übersteigt jede Phantasie und sickert tief in mich ein. Und manchmal ist das Verfassen eines Artikels für mich der einzige Weg, zu verstehen, zu entziffern und diesen Alltag zu überleben. Auch wegen des Lärms schreibe ich Artikel, denn häufig fühle ich mich dem Ersticken nahe und reagiere klaustrophobisch auf die betrügerischen, verlogenen Worte, die alle interessierten Parteien Regierung, Armee, Medien uns, ihren Untertanen in diesem Katastrophengebiet, ununterbrochen einzuhämmern versuchen. Mitunter kann die neue Darlegung einer Lage, die schon als hoffnungslos verloren und versteinert galt, uns in Erinnerung rufen, dass uns im Grunde kein Gottesurteil zu hilflosen Opfern von Apathie und Lähmung verdammt. Ich muss gestehen, dass mich häufig das Gefühl überkommt, Worte könnten die Wand des Horrors nicht mehr durchdringen. Es ist schwer, jemanden mit Worten zu erreichen, wenn um einen herum Menschen in die Luft gesprengt und Kinder in Fetzen gerissen werden. In solchen Momenten würde ich lieber schreiend durch die Straßen laufen als schreiben. Einige Meinungen und Hoffnungen, die ich geäußert habe, einige von mir vertretene Einschätzungen haben sich als falsch erwiesen. Diese Artikel wurden dennoch in dieses Buch aufgenommen, weil auch sie, wie ich meine, den Prozess, den viele durchlebt haben, widerspiegeln. Sie wurden aufgenommen, weil ich nicht unterschlagen will, was ich und viele andere erfahren habe. Eben so wenig möchte ich meine Hoffnungen und Sehnsüchte verleugnen. Wenn ich gelegentlich einen Blick in den Atlas werfe, packt mich die Verzweiflung. Das winzige Israel, das auf der Karte nicht einmal groß genug für den Schriftzug seines Namens ist und dessen »Taillenweite« keine elf Kilometer beträgt, ist von feindlichen Staaten und Völkern umgeben, von denen viele von der Welle des fundamentalistischen Islamismus erfaßt wurden, von Judenhass geprägt sind und sogar offen die Vernichtung des Judenstaates zu ihrem Ziel erklären. Ich spüre, wie die Finger der offenen, ausgestreckten Hand sich in Angst und Verzweiflung zur Faust ballen. Es ist verständlich, dass die Israelis in solch einer Lage sich instinktiv immer mehr verschanzen wollen. Es ist nachvollziehbar, warum sie der Versuchung erliegen, aggressiven, kriegslüsternen Führern zu folgen, und sich ängstlich, misstrauisch und vernarbt durch die Erinnerungen an die Vergangenheit in Erwartung des nächsten Zusammenstoßes mit einer stählernen Rüstung umgeben. Was erwartet uns? Wer ist weise genug, das zu wissen? Ich neige zu der Annahme, daß in absehbarer Zukunft unser Leben hier eine kontinuierliche Abfolge von kleinen und heftigen Konfrontationen bleiben wird. Ich hoffe darauf, dass der Konflikt nach und nach an Sprengkraft verliert, daß beide Seiten müde werden und die schmerzliche Anerkennung der Wahrheit Israelis und Palästinenser zwingt, zur Durchsetzung ihrer Interessen zu gewaltlosen Mitteln zu greifen. Doch selbst wenn wir zu Jahren der Gewalt und Feindschaft verdammt sind, zu brüchigen Friedensvereinbarungen, die immer und immer wieder verletzt werden, müssen wir unablässig an Alternativen arbeiten und an der heute geleugneten und verworfenen Möglichkeit der friedlichen Koexistenz festhalten. Unsere beiden Völker müssen diejenigen in den eigenen Reihen und in den Reihen der anderen, die ein echtes Interesse an Frieden haben und schon zu einem schmerzhaften Kompromiss bereit sind, unterstützen. Tun wir dies nicht, wird die ganze Arena den Extremisten, den Gewalttätigen und den Kriegstreibern offenstehen. Tun wir dies nicht, werden unsere Kinder sich nur noch dunkel daran erinnern, wofür es sich lohnt zu kämpfen und was erstrebenswert ist. Es ist erschreckend zu sehen, wie leicht man gerade das vergißt. Wie schnell die wertvollsten und wichtigsten Dinge ihren Rang verlieren und in diesem Lärm untergehen. Das ist vielleicht die deprimierendste Entdeckung der beiden letzten Jahre: die starke Anziehungskraft des Hasses und der Rachsucht. Als wäre eine dünne Schicht von Kultur und Menschlichkeit von beiden Völkern weggeblasen und Bestialität und Barbarei enthüllt worden. Beim Anblick der Greueltaten, die diese beiden Völker einander antun, vergeht einem Menschen bisweilen nicht nur die Lust, in dieser Region zu leben, sondern die Lust am Leben überhaupt. Die Chance, uns aus diesen inneren Fallen zu befreien, hängt also auch wesentlich von der Fähigkeit ab, sich der Denkweise des »Wir haben keine Wahl« und »Wir haben keinen Partner« zu erwehren. In diesem Kampf verlaufen die Fronten heute nicht zwischen Israelis und Palästinensern, sondern zwischen denen, die nicht bereit sind, sich mit der Verzweiflung abzufinden, und denen, die sie in eine Lebensform verwandeln wollen. Um diesen Kampf geht es im Kern dieses Buches: Siebenunddreißig Artikel, eine Geschichte, an der noch geschrieben wird. David Grossman, Jerusalem, Dezember 2002
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Autoren-Porträt von David Grossman
David Grossman wurde 1954 in Jerusalem geboren und gehört zu den bedeutendsten Schriftstellern der israelischen Gegenwartsliteratur. 2008 erhielt er den Geschwister-Scholl-Preis, 2010 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, 2017 den internationalen Man-Booker-Preis für seinen Roman Kommt ein Pferd in die Bar. 2021 wurde ihm das Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland verliehen. Bei Hanser erschienen zuletzt Diesen Krieg kann keiner gewinnen (2003), Das Gedächtnis der Haut (2004), Die Kraft zur Korrektur (2008), Eine Frau flieht vor einer Nachricht (Roman, 2009), Die Umarmung (2012), Aus der Zeit fallen (2013), Kommt ein Pferd in die Bar (Roman, 2016), Die Sonnenprinzessin (2016), Eine Taube erschießen (Reden und Essays, 2018) und Was Nina wusste (2020). Im Hanser Kinder- und Jugendbuch erschien zuletzt 2018 das Kinderbuch Giraffe und dann ab ins Bett!, 2023 folgt das Bilderbuch Opa, warum hast du Falten?. Vera Loos, 1955 in Saarlouis geboren, ist Literaturübersetzerin und bildende Künstlerin. Sie hat angewandte Sprachwissenschaft und Kunstgeschichte an der Universität des Saarlandes und der Universität Nantes studiert. Sie hat zahlreiche Romane aus dem Hebräischen übersetzt, u. a. von David Grossman, Batya Gur, Amos Oz und Meir Shalev. Vera Loos lebt und arbeitet in Saarbrücken.
Autoren-Interview mit David Grossman
Der israelische Schriftsteller und Publizist David Grossman wird mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2010 ausgezeichnet. Die Jury ehrt damit sein aktives Engagement für die Aussöhnung zwischen Israelis und Palästinensern. Und sie würdigt damit sein literarisches Werk, weil es immer auch die Haltung der jeweils Andersdenkenden zu verstehen und zu beschreiben versuche. Boersenblatt.net sprach mit dem Preisträger. Der Börsenverein verleiht Ihnen den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2010. Was haben Sie empfunden, als Sie die Nachricht erreichte?
Grossman: Glück. Es ist ein Zeichen der Anerkennung sowohl für mein literarisches Werk als auch für meinen Standpunkt. Ich habe das Gefühl, dass mir der Preis wohl hauptsächlich wegen meines letzten Buchs »Eine Frau flieht vor einer Nachricht« zuerkannt wird. Darin verbinde ich die beiden Dramen miteinander, die uns ständig begleiten: das Drama der Familie in ihrer Zerbrechlichkeit und ihrer Intimität auf der einen Seite – und das Drama unseres Lebens hier im Nahen Osten, in der Konfliktzone. Ich versuche zu zeigen, wie der Konflikt in die intimsten Schichten unseres Lebens ausstrahlt. Das Militär, die Besatzung und die Existenzangst dringen in die innersten Regionen unseres Lebens ein.
Das sind ja auch die Themen ihrer vielen weiteren Schriften. Einer Ihrer Essays trägt den Titel “Schreiben im Katastrophengebiet” – hier zeigen Sie, dass Gewalt ständig an der Tagesordnung ist wie vor einigen Tagen vor der Küste von Gaza. Gibt es überhaupt eine friedliche Chance, die Gräben zwischen Israelis, Palästinensern und den anderen Nachbarn im Nahen Osten zu überwinden?
Grossman: Wenn wir die Zeitungen der letzten Tage lesen – dann ist der unmittelbare Eindruck der, dass die Chance auf Frieden sehr gering ist. Die Menschen sind
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sehr feindselig und argwöhnisch gegeneinander, sie misstrauen sich absolut. Aber die Geschichte zeigt, dass auch die schlimmsten Feinde am Ende Frieden schließen. Vielleicht erlaube ich mir nicht von einem Frieden zu träumen, wie er zwischen Deutschland und Frankreich existiert – aber ich kann auf eine einigermaßen gute Nachbarschaft zwischen Israel und den Palästinensern, zwischen Israel und seinen Nachbarn hoffen und mich dafür einsetzen. In der Hoffnung, dass die Führungen auf beiden Seiten bereit sind, den Konflikt zu entschärfen. Ich bleibe aber realistisch und würde die Zukunft zwischen uns und unseren Nachbarn nie idealisieren. Ich bin mir sehr der Rolle bewusst, die fanatische und fundamentalistische Elemente innerhalb der palästinensischen, der arabischen und auch der israelischen Gesellschaft spielen. Selbst wenn wir ein friedliches Miteinander erreichen, wäre es ein permanenter Kampf gegen diese Elemente.
Sind Sie nicht manchmal verzweifelt und sogar sprachlos angesichts der militärischen Logik, die alle Bemühungen um eine friedliche Koexistenz zwischen Israelis und Palästinensern untergräbt?
Grossman: Ja, durchaus. Ich sehe so viele Menschen um mich herum, die gelähmt sind, die verzweifelt oder sogar apathisch geworden sind. Israel ist mir aber zu wertvoll, um es der Apathie und der Verzweiflung zu überlassen. Wir könnten so viel mehr in unserem Leben hier erreichen. Von einem menschlichen Standpunkt aus betrachtet, ist es fast erniedrigend, sich dieser Verzweiflung zu ergeben.
Haben Sie jemals befürchtet, dass der Staat Israel und damit der Traum Theodor Herzls eines Tages scheitern könnte?
Grossman: Diese Angst hat man in Israel jeden Augenblick. Dies ist einer der Gründe, weshalb Israel immer in einer so übertriebenen Weise handelt. Der tiefe Mangel an Zuversicht ist typisch – etwas, was schwer zu verstehen ist, weil man Israel in Europa wie eine starke militärische Faust wahrnimmt. In Israel zu leben, heißt die Zerbrechlichkeit, die Angst kennenlernen, dass Israel nicht existieren könnte. Führen Sie sich nur die schiere Tatsache des demographischen Ungleichgewichts vor Augen: Hier leben sechs Millionen Juden, umgeben von rund 300 Millionen Moslems, die uns hier nicht haben wollen. Alles in allem ist die Situation sehr schwierig hier, aber ich weigere mich, deshalb aufzugeben. Wir sollten zumindest von unserer Seite alles tun, um diese Situation zu verbessern.
Ist Schreiben für Sie ein Ausweg aus der verfahrenen Situation im Nahen Osten?
Grossman: Nein, gar nicht. Es geht mir nicht darum davonzulaufen, das ist nicht meine Art. Ich will verstehen, was das Leben in einer solchen Situation mit dem Verstand, mit der Seele, mit den menschlichen Beziehungen macht.
Die Jury des Friedenspreises hebt hervor, dass Sie in Ihren Romanen und Essays versuchen, die Haltung Andersdenkender zu verstehen. Sie halten es auch für Ihre Pflicht, über den Feind nachzudenken und seine Denkweise zu begreifen. Könnten Sie sich fiktiv auch in die Person eines Hamas-Führers versetzen?
Grossman: Wenn ich über eine solche Person schreiben müsste: ja. Aber es ist schwer, andere Menschen von innen her, von ihren Erfahrungen her zu verstehen. Das gilt auch für die Figuren meines Romans. In “Eine Frau flieht vor einer Nachricht” versuche ich zu erklären, wie die Heldin Ora die Welt erlebt – und dies in dem besonderen Fall einer Frau im Krieg und in Angst. Wenn ich Literatur oder Artikel über die politische Situation schreibe, dann versuche ich immer, die ganze Situation aus beiden Blickwinkeln zu erfassen. Ich kann die Welt nicht durch eine enge Brille betrachten. Der beste Weg, sie zu verstehen, ist, sie durch ein Glas mit vielen Brennpunkten hindurch zu sehen. Das ist nicht immer einfach, weil man manchmal auch sich selbst durch die Augen des Feindes sieht. Und man sieht dann, wie verkommen man ist, weil man dem Feind üblicherweise seine dunkelste, gewalttätige und brutale Seite zeigt. Es macht uns die Entstellungen unseres Charakters, unserer Gesellschaft, unserer Nation bewusst.
Glauben Sie an die positive Kraft des dichterischen Worts?
Grossman: Täte ich es nicht, hätte ich wohl kaum all diese Bücher geschrieben. Aber ich bleibe realistisch. Natürlich glaube ich nicht, dass, wenn ich einen Artikel über den Frieden schreibe, am nächsten Morgen Benjamin Netanjahu loszieht und Frieden schließt. Aber ich bin davon überzeugt, dass ich die Dinge in einer Weise formuliere, wie sie die meisten Menschen so nicht formulieren würden. Und ich hoffe, dass Menschen in ihrer Überraschung davon ergriffen werden und sich nicht auf ihr übliches Klischee zurückziehen können.
Deswegen spielt auch in Ihrem jüngsten Roman die Lichtmetapher eine große Rolle – wie in der gesamten Aufklärung. Die erste Szene, die zunächst im Dunkeln spielt, wird plötzlich erhellt – buchstäblich durch ein Streichholz, das Ora (der Name bedeutet übersetzt “Licht”) anzündet, um ihr (männliches) Gegenüber zu erkennen, aber auch durch die Sprache selbst. Kann Literatur erhellend, aufklärerisch sein?
Grossman: Ja, unbedingt. Aber es geht mir auch darum, im Grundgefühl des Exiliertseins durch das Schreiben einen Platz für mich selbst in der Welt wieder zu erschaffen – eine Heimat. Das ist etwas, das nicht nur den einzelnen betrifft, sondern auch Kollektive: Wenn viele Leute dasselbe Buch lesen, dann gibt es ihnen das Gefühl von Heimat – durch die Sprache, die es verwendet, und durch die Geschichte, die es erzählt.
Ein weiterer wichtiger Aspekt in Ihrem Schreiben ist die Erinnerung, die persönliche wie die kollektive. Dabei spielt auch die Shoah und die Literatur der Shoah-Periode – man denke nur an Bruno Schulz’ “Die Zimtläden” – eine große Rolle. Liegt darin auch ein Schlüssel zum Verständnis der israelischen Gesellschaft?
Grossman: Ja, ganz richtig. In der jüdischen Kultur hat die Erinnerung, das Erzählen einen hohen Stellenwert. Aber nationale Erzählungen können auch wie eine Falle, wie ein Gefängnis sein. Sie artikulieren gewisse Teile der Wirklichkeit, und man sieht dann nur diese als die Wirklichkeit. Jede Nation hat ihre Schlüsselgeschichten, aber man muss sie immer wieder einer kritischen Prüfung unterziehen.
Ebenso wichtig wie Leid und Erinnerung sind Liebe und Sympathie in Ihren Romanen. Glauben Sie, dass die guten Kräfte eines Tages die destruktiven Eigenschaften – auch in der Beziehung des israelischen zum palästinensischen Volk – überwinden werden?
Grossman: Das ist eine hübsche Frage. Das Wort Liebe ist in einem Presseinterview ziemlich selten. Ich glaube, dass betrifft primär einzelne Menschen. Im Verhältnis zu den Palästinensern würde ich nicht davon sprechen. Es geht darum, das verzweifelte Bedürfnis nach Leben anzuerkennen. Zu verstehen, dass wir und die Palästinenser seit mehr als 100 Jahren das Leben verfehlt haben, das wir gemeinsam hätten leben können. Und wenn wir einmal Jahrzehnte eines normalen Lebens genießen sollten, dann könnte auch mehr Sympathie füreinander und mehr Empathie für das Leiden der anderen Seite entstehen. Mehr verspreche ich mir nicht davon. Liebe brauche ich für die Männer und Frauen in meinen Büchern – und in meinem Leben.
Interview: Michael Roesler-Graichen,
www.boersenblatt.net, 10. Juni 2010
Sind Sie nicht manchmal verzweifelt und sogar sprachlos angesichts der militärischen Logik, die alle Bemühungen um eine friedliche Koexistenz zwischen Israelis und Palästinensern untergräbt?
Grossman: Ja, durchaus. Ich sehe so viele Menschen um mich herum, die gelähmt sind, die verzweifelt oder sogar apathisch geworden sind. Israel ist mir aber zu wertvoll, um es der Apathie und der Verzweiflung zu überlassen. Wir könnten so viel mehr in unserem Leben hier erreichen. Von einem menschlichen Standpunkt aus betrachtet, ist es fast erniedrigend, sich dieser Verzweiflung zu ergeben.
Haben Sie jemals befürchtet, dass der Staat Israel und damit der Traum Theodor Herzls eines Tages scheitern könnte?
Grossman: Diese Angst hat man in Israel jeden Augenblick. Dies ist einer der Gründe, weshalb Israel immer in einer so übertriebenen Weise handelt. Der tiefe Mangel an Zuversicht ist typisch – etwas, was schwer zu verstehen ist, weil man Israel in Europa wie eine starke militärische Faust wahrnimmt. In Israel zu leben, heißt die Zerbrechlichkeit, die Angst kennenlernen, dass Israel nicht existieren könnte. Führen Sie sich nur die schiere Tatsache des demographischen Ungleichgewichts vor Augen: Hier leben sechs Millionen Juden, umgeben von rund 300 Millionen Moslems, die uns hier nicht haben wollen. Alles in allem ist die Situation sehr schwierig hier, aber ich weigere mich, deshalb aufzugeben. Wir sollten zumindest von unserer Seite alles tun, um diese Situation zu verbessern.
Ist Schreiben für Sie ein Ausweg aus der verfahrenen Situation im Nahen Osten?
Grossman: Nein, gar nicht. Es geht mir nicht darum davonzulaufen, das ist nicht meine Art. Ich will verstehen, was das Leben in einer solchen Situation mit dem Verstand, mit der Seele, mit den menschlichen Beziehungen macht.
Die Jury des Friedenspreises hebt hervor, dass Sie in Ihren Romanen und Essays versuchen, die Haltung Andersdenkender zu verstehen. Sie halten es auch für Ihre Pflicht, über den Feind nachzudenken und seine Denkweise zu begreifen. Könnten Sie sich fiktiv auch in die Person eines Hamas-Führers versetzen?
Grossman: Wenn ich über eine solche Person schreiben müsste: ja. Aber es ist schwer, andere Menschen von innen her, von ihren Erfahrungen her zu verstehen. Das gilt auch für die Figuren meines Romans. In “Eine Frau flieht vor einer Nachricht” versuche ich zu erklären, wie die Heldin Ora die Welt erlebt – und dies in dem besonderen Fall einer Frau im Krieg und in Angst. Wenn ich Literatur oder Artikel über die politische Situation schreibe, dann versuche ich immer, die ganze Situation aus beiden Blickwinkeln zu erfassen. Ich kann die Welt nicht durch eine enge Brille betrachten. Der beste Weg, sie zu verstehen, ist, sie durch ein Glas mit vielen Brennpunkten hindurch zu sehen. Das ist nicht immer einfach, weil man manchmal auch sich selbst durch die Augen des Feindes sieht. Und man sieht dann, wie verkommen man ist, weil man dem Feind üblicherweise seine dunkelste, gewalttätige und brutale Seite zeigt. Es macht uns die Entstellungen unseres Charakters, unserer Gesellschaft, unserer Nation bewusst.
Glauben Sie an die positive Kraft des dichterischen Worts?
Grossman: Täte ich es nicht, hätte ich wohl kaum all diese Bücher geschrieben. Aber ich bleibe realistisch. Natürlich glaube ich nicht, dass, wenn ich einen Artikel über den Frieden schreibe, am nächsten Morgen Benjamin Netanjahu loszieht und Frieden schließt. Aber ich bin davon überzeugt, dass ich die Dinge in einer Weise formuliere, wie sie die meisten Menschen so nicht formulieren würden. Und ich hoffe, dass Menschen in ihrer Überraschung davon ergriffen werden und sich nicht auf ihr übliches Klischee zurückziehen können.
Deswegen spielt auch in Ihrem jüngsten Roman die Lichtmetapher eine große Rolle – wie in der gesamten Aufklärung. Die erste Szene, die zunächst im Dunkeln spielt, wird plötzlich erhellt – buchstäblich durch ein Streichholz, das Ora (der Name bedeutet übersetzt “Licht”) anzündet, um ihr (männliches) Gegenüber zu erkennen, aber auch durch die Sprache selbst. Kann Literatur erhellend, aufklärerisch sein?
Grossman: Ja, unbedingt. Aber es geht mir auch darum, im Grundgefühl des Exiliertseins durch das Schreiben einen Platz für mich selbst in der Welt wieder zu erschaffen – eine Heimat. Das ist etwas, das nicht nur den einzelnen betrifft, sondern auch Kollektive: Wenn viele Leute dasselbe Buch lesen, dann gibt es ihnen das Gefühl von Heimat – durch die Sprache, die es verwendet, und durch die Geschichte, die es erzählt.
Ein weiterer wichtiger Aspekt in Ihrem Schreiben ist die Erinnerung, die persönliche wie die kollektive. Dabei spielt auch die Shoah und die Literatur der Shoah-Periode – man denke nur an Bruno Schulz’ “Die Zimtläden” – eine große Rolle. Liegt darin auch ein Schlüssel zum Verständnis der israelischen Gesellschaft?
Grossman: Ja, ganz richtig. In der jüdischen Kultur hat die Erinnerung, das Erzählen einen hohen Stellenwert. Aber nationale Erzählungen können auch wie eine Falle, wie ein Gefängnis sein. Sie artikulieren gewisse Teile der Wirklichkeit, und man sieht dann nur diese als die Wirklichkeit. Jede Nation hat ihre Schlüsselgeschichten, aber man muss sie immer wieder einer kritischen Prüfung unterziehen.
Ebenso wichtig wie Leid und Erinnerung sind Liebe und Sympathie in Ihren Romanen. Glauben Sie, dass die guten Kräfte eines Tages die destruktiven Eigenschaften – auch in der Beziehung des israelischen zum palästinensischen Volk – überwinden werden?
Grossman: Das ist eine hübsche Frage. Das Wort Liebe ist in einem Presseinterview ziemlich selten. Ich glaube, dass betrifft primär einzelne Menschen. Im Verhältnis zu den Palästinensern würde ich nicht davon sprechen. Es geht darum, das verzweifelte Bedürfnis nach Leben anzuerkennen. Zu verstehen, dass wir und die Palästinenser seit mehr als 100 Jahren das Leben verfehlt haben, das wir gemeinsam hätten leben können. Und wenn wir einmal Jahrzehnte eines normalen Lebens genießen sollten, dann könnte auch mehr Sympathie füreinander und mehr Empathie für das Leiden der anderen Seite entstehen. Mehr verspreche ich mir nicht davon. Liebe brauche ich für die Männer und Frauen in meinen Büchern – und in meinem Leben.
Interview: Michael Roesler-Graichen,
www.boersenblatt.net, 10. Juni 2010
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Bibliographische Angaben
- Autor: David Grossman
- 2003, 199 Seiten, Maße: 14,9 x 22,1 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzer: Vera Loos, Naomi Nir-Bleimling
- Verlag: HANSER
- ISBN-10: 3446203745
- ISBN-13: 9783446203747
- Erscheinungsdatum: 25.08.2003
Rezension zu „Diesen Krieg kann keiner gewinnen “
"In diesem einfühlsamen Buch kann der Leser viel erfahren - ergreifend." Markus Berger, Die Tagespost, 17.01.04"Verstreute lichtblicke, erhellende Kommentare... scharf formuliert, emotional, doch unsentimental." Carsten Hueck, Frankfurter Rundschau, 17.02.04
"Ein ungewöhnlich emotionales Buch." Hubert Leber, Literaturen
Pressezitat
"In diesem einfühlsamen Buch kann der Leser viel erfahren - ergreifend." Markus Berger, Die Tagespost, 17.01.04"Verstreute lichtblicke, erhellende Kommentare... scharf formuliert, emotional, doch unsentimental." Carsten Hueck, Frankfurter Rundschau, 17.02.04
"Ein ungewöhnlich emotionales Buch." Hubert Leber, Literaturen
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