Dinge, die wir heute sagten
Roman. Ausgezeichnet mit dem 3sat-Preis der Tage der deutschsprachigen Literatur 2010. Originalausgabe
Judith Zander erzählt von einem verschwiegenen Ort in Vorpommern, von Heimat und Hölle.
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Produktinformationen zu „Dinge, die wir heute sagten “
Judith Zander erzählt von einem verschwiegenen Ort in Vorpommern, von Heimat und Hölle.
Klappentext zu „Dinge, die wir heute sagten “
Ein Kaff, verschüttet in der Landschaft. Bresekow erzähltBresekow, ein Dorf in Vorpommern. Als die alte Frau Hanske stirbt, kommt ihre Tochter Ingrid mit ihrer Familie aus Irland zur Beerdigung. Ingrid hatte Bresekow vor vielen Jahren fluchtartig verlassen. Der Besuch verändert vieles im Dorf, wirft gerade für die Familien Ploetz und Wachlowski alte und neue Fragen auf. Die Dorfbewohner beginnen zu sprechen, über ihr derzeitiges Leben und ihre Verstrickungen von damals. Bresekow war immer eine kleine Welt, eng, abgelegen und heute zudem vom Verfall bedroht.
Judith Zander lässt drei Generationen zu Wort kommen. Sie erzählt mit ungeheurer Sprachkraft von einem verschwiegenen Ort im Nordosten Deutschlands, von Provinz und Alltag, von Freundschaft und Verrat, vom Leben selbst.
Die Autorin wurde bei den 34. Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt für ihren Auszug aus 'Dinge, die wir heute sagten' mit dem 3sat-Preis 2010 geehrt. Sie erhielt für diesen Roman den Preis der Sinecure Landsdorf 2010 und war nominiert für den Klaus-Michael Kühne-Preis 2010. Zudem wurde der Roman auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises 2010 aufgenommen.
Bresekow, ein Dorf in Vorpommern. Als die alte Frau Hanske stirbt, kommt ihre Tochter Ingrid mit ihrer Familie aus Irland zur Beerdigung. Ingrid hatte Bresekow vor vielen Jahren fluchtartig verlassen. Der Besuch verändert vieles im Dorf, wirft gerade für die Familien Ploetz und Wachlowski alte und neue Fragen auf. Die Dorfbewohner beginnen zu sprechen, über ihr derzeitiges Leben und ihre Verstrickungen von damals. Bresekow war immer eine kleine Welt, eng, abgelegen und heute zudem vom Verfall bedroht.
Judith Zander lässt drei Generationen zu Wort kommen. Sie erzählt mit ungeheurer Sprachkraft von einem verschwiegenen Ort im Nordosten Deutschlands, von Provinz und Alltag, von Freundschaft und Verrat, vom Leben selbst.
Die Autorin wurde bei den 34. Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt für ihren Auszug aus 'Dinge, die wir heute sagten' mit dem 3sat-Preis 2010 geehrt. Sie erhielt für diesen Roman den Preis der Sinecure Landsdorf 2010 und war nominiert für den Klaus-Michael Kühne-Preis 2010. Zudem wurde der Roman auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises 2010 aufgenommen.
Bresekow, ein Dorf in Vorpommern. Als die alte Frau Hanske stirbt, kommt ihre Tochter Ingrid mit ihrer Familie aus Irland zur Beerdigung. Ingrid hatte Bresekow vor vielen Jahren fluchtartig verlassen. Der Besuch verändert vieles im Dorf, wirft gerade für die Familien Ploetz und Wachlowski alte und neue Fragen auf. Die Dorfbewohner beginnen zu sprechen, über ihr derzeitiges Leben und ihre Verstrickungen von damals. Bresekow war immer eine kleine Welt, eng, abgelegen und heute zudem vom Verfall bedroht.
Judith Zander lässt drei Generationen zu Wort kommen. Sie erzählt mit ungeheurer Sprachkraft von einem verschwiegenen Ort im Nordosten Deutschlands, von Provinz und Alltag, von Freundschaft und Verrat, vom Leben selbst.
Judith Zander lässt drei Generationen zu Wort kommen. Sie erzählt mit ungeheurer Sprachkraft von einem verschwiegenen Ort im Nordosten Deutschlands, von Provinz und Alltag, von Freundschaft und Verrat, vom Leben selbst.
Die Autorin wurde bei den 34. Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt für ihren Auszug aus 'Dinge, die wir heute sagten' mit dem 3sat-Preis 2010 geehrt. Sie erhielt für diesen Roman den Preis der Sinecure Landsdorf 2010 und war nominiert für den Klaus-Michael Kühne-Preis 2010. Zudem wurde der Roman auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises 2010 aufgenommen.
Bresekow, ein Dorf in Vorpommern. Als die alte Frau Hanske stirbt, kommt ihre Tochter Ingrid mit ihrer Familie aus Irland zur Beerdigung. Ingrid hatte Bresekow vor vielen Jahren fluchtartig verlassen. Der Besuch verändert vieles im Dorf, wirft gerade für die Familien Ploetz und Wachlowski alte und neue Fragen auf. Die Dorfbewohner beginnen zu sprechen, über ihr derzeitiges Leben und ihre Verstrickungen von damals. Bresekow war immer eine kleine Welt, eng, abgelegen und heute zudem vom Verfall bedroht.
Judith Zander lässt drei Generationen zu Wort kommen. Sie erzählt mit ungeheurer Sprachkraft von einem verschwiegenen Ort im Nordosten Deutschlands, von Provinz und Alltag, von Freundschaft und Verrat, vom Leben selbst.
Lese-Probe zu „Dinge, die wir heute sagten “
Dinge, die wir heute sagten von Judith Zander JOHN & PAUL
irgendwann wenn ich einsam bin
wünschend du wärst nicht so weit weg
werde ich mich erinnern an
Dinge die wir heute sagten
ROMY
So glotzen sie vom Regal: die bröckligen Leiber im spitzen Winkel,
die Scheren die Schenkel, leichte Schlagseite beide. Zwielicht.
John und Paul. Mehr gibts nicht zu sagen? Achso, Paul fehlt ein
Auge. Nicht so schlimm, Paul is dead. Das ist kein Rätsel, das
ist offensichtlich. Wie auch immer. However. Was für ein Wort.
Es ist großzügig, niemand hier kennt es, aber es klingt wie die
Wellen, wenn sie gemächlich sich dem Strand überlassen, die
ganze Ostsee singt beständig however, however. Es klingt beinah
wie ein Name.
Was weiß das Dorf schon davon, das kleine Kaff im Hinterland.
Mamas dusslige Heimat, »Sammelstelle für Bekloppte«,
wie Papa zu sagen pflegte, bevor wir herkamen vor einem Jahr,
aus der Stadt, na ja Stadt. Und sechs Kilometer machen noch
keinen Unterschied. Nur döst jetzt vor der Haustür der Acker,
das geschorene Feld mit den blonden, harten Stoppeln, moddrig
und mürrisch, vom gleichen Schlag. Hinterm Rücken, auf der
Lauer, die sogenannte Gemeinde, dort klatscht und tratscht und
meckert und schuftet und lungert es wie ehedem. Und es guckt
Fernsehen, hauptsächlich. Darüber der brösige Himmel, die käsige
Käseglocke. Es stinkt im Dorf. »Alles Inzest«, sagt Papa.
... mehr
Mittendrin der Eingang zur Hölle. Es ist nicht die Kneipe, wo
bekanntlich »der Teufel Alkohol« haust. Es gibt keine Kneipe
in Bresekow. Es gibt überhaupt nichts. Es ist das Zentrum des
Nichts, das sich kurz hinter Berlin auftut und bis Rostock nicht
aufhört. Hier liegen die verschwiegenen Orte, nachlässig verschüttet
in einer Landschaft zum Übersehen, flach. Ein hässliches
Endlein der Welt, über das man besser den Mund hält. Das
Dorf kennt keine Aufregung, es regt sich nur gern auf. Über ein
Geheimnis, das nicht verheimlicht wird. Das wird nicht gehütet,
das wird sorgsam sich selbst überlassen, das wird genannt: die
Elpe. Es ist kein Fluss oder so, keine tüdlige alte Verwandte der
Elbe. Man muss es sehen. Man will aber nicht.
Auf der Elpe treffen sie sich, allabendlich. Auf der Elpe bauen
sie Scheiße, auf der Elpe machen sie sonstwas. Auf der Elpe
saufen sie. Auf der Elpe kiffen sie. Auf der Elpe drücken sie sich
in muffigen Ecken rum und zeigen sich ihre Solariumsbäuche
und hängen unerschütterlich dem Glauben an, ihre Zungen
seien dazu da, sie sich gegenseitig in den Rachen zu stopfen. Es
kreischen die Mädchen auf der Elpe, die Jungs teilen gerne aus.
Auf der Elpe gibts Sauren Appel und Kloppe. Auf die Elpe geh ich
nicht. Nein, meine Suppe ess ich nicht. Das ist nicht mein Bier,
was da passiert, was da verschüttet wird. Die Bomberjacken, die
Woche für Woche speckiger werden. Die dröhnenden Witze, die
immer noch dreckiger werden können anscheinend. Die Auswüchse,
spillrigen Ranken, Mädchengesichter überwuchert von
Schminke, was gehn sie mich an. Die Wurzeln der Hölle.
INGRID
Die Heimat, na wenn schon.
»Da fahren wir also in deine Heimat«, sagt Michael, auf
Deutsch, und grinst.
Du sagst: »Das ist nicht meine Heimat«, und da lacht er dich
aus. »It's not my heimat, you know, und sei froh, dass du so ein
Wort in deiner einfachen Sprache nicht hast!«
Dann versucht er, dich in den Arm zu nehmen, du glaubst,
ihretwegen, aber du willst nicht, du rennst raus in den Garten.
Manchmal kann man dort das Meer hören, wie diesen Abend.
Dass es hier noch ›Kanal‹ heißt, stört dich nicht, und ein Georg
ist dir doch nicht bekannt, von früher, zumindest kein heiliger.
Die Luft schmeckt kalt und salzig, und du denkst, das ist der
Herbst, früh dieses Jahr, und du wirst seinen Einzug verpassen.
Dann fällt dir ein, dass drüben ja auch Herbst ist. Nur anders.
Zwar auch, aber anders, da bestehst du drauf, stures Kind, weißt
aber nicht, was du meinst damit. Verseucht, in- und auswendig,
heillos. So was. Du hast die neuen Strumpfhosen zum Schulbeginn
im Kopf und den Zuckerrübengeruch in der Nase, im
Nacken ein Brennen wie von Hagebutten, die lästigen Bengels.
Trotzdem, der Herbst tat stets gut. Die Langeweile hörte auf.
Man kam sich wieder brauchbar vor. Überhaupt anwesend. Im
Sommer warst du nirgendwo, nicht im Bikini am See, nicht
in der Eisdiele in der Stadt. Nicht im Heu mit irgendwem. Im
Sommer hatte ständig einer Geburtstag. Im Herbst hast du kaum
an irgendetwas denken müssen, außer träge an den Republiksgeburtstag,
deinen eigenen hast du versucht zu vergessen. Alle
anderen konnten das ja auch. Aber nun ist sie gestorben, die
deine Mutter war, wer hätte das gedacht, hat einen Todestag und
du eine Pflicht.
Frisch weht der Wind/der Heimat zu/mein irisch
Kind/wo weilest du? Jetzt tu nicht so, das ist nicht neu. Das
ging dir alle paar Wochen im Kopf rum, seit Michael es dir
damals vorgelesen hatte. »Das steht doch nicht so da«, hattest
du gesagt und gemeint: so auf Deutsch. Er hat dir das Buch hin
gehalten. Es war bloß ein Zitat.
Als du ins Haus zurückgehst, sagst du zu dir: nein. Was dich
daran denn jetzt noch anbindet: nichts. Nein. Du fängst an zu
weinen. Michael versteht das natürlich falsch. Er weiß nichts,
nein. Es wird gut sein für seine Arbeit, sagt er.
Oed und leer das Meer.
DIE GEMEINDE
Na wat seggst dootau nu isse doot
Joo nu isse doot ick heww dat
De Olsch
Ick hab dat erst gestern inne Zeitung
Wer hat denn
Na Peter
Nee ick mein wer hatse denn
Na Wietmann
De Paster? Wieso
Gehste hin wir gehn hin wolln doch ma hörn
Wulln'w doch eis hüürn wat hei
Montach um dreie
Öwwer ick heww joo goor nix taun Antrecken
Wier sei denn krank
Nee
Ach weißt wat ick zieh die dunkelblaue
Dei Popelinjack
Ick hab sie ja noch na letzte Woche
Weckern kümmt denn doo vun ehr ick mein
Na Peter
Wat wird denn nu mit dat Haus dat hat doch gar nich
Peter mit seine Familie
Ach der is is der verheirat ick dacht
Dat hemm'w em joo goor nich
Un de Dochter?
PASTOR WIETMANN
Am liebsten hätten Sie sie ja wohl selbst unter die Erde gebracht,
mein werter Herr Seelsorger, nicht? Aber dazu muss ich Ihnen
leider mitteilen, dass dies denn doch Ihre schmalen Befugnisse
überschritten hätte, halte mich aber in der Annahme, dass
diese Tatsache Sie nicht weiter inkommodiert haben würde, wo
es Ihnen doch schon seit vielen Jahren gelingt, sie tapfer zu
ignorieren. Chapeau! Was ich aber meine, ist: Sie konnten die
alte Hanske nicht verknusen. Um ihre Seele fiel Ihnen nicht
ein sich zu sorgen, Sie wussten ja bereits, welchen locus inamoenus
sie nach dem Entfleuchen aus dem welken Körper sich
schleunigst aufzusuchen genötigt sehen würde, ja? Nun, wenn
der großmächtige Fürst Rosshuf, den Sie oft so plastisch an die
protestantisch nackte Wand modellieren, dass man wahrlich
glauben möchte, Sie seien bereits in den Genuss einer näheren
Bekanntschaft mit ihm gekommen wie weiland unser Sprachverbesserer,
wenn er sich also als existent erweisen sollte und
der rauhen Verschwendung von Tinte würdig, dann können Sie
sicherlich, nachdem Sie das Pfarrhaus dereinst schließlich doch
werden geräumt haben, sich artig vor ihm verbeugen und schöne
Grüße von Frau Hanske verehren, sie war leider nicht abkömmlich.
Ach Gott. Danke für diese Pfarrstelle in der Ödnis und für
den festen Glauben der Leute. Daran, dass ein Pastor zwar mehr
als hinreichend, aber nicht unbedingt notwendig sei. So kann
ich ihnen stets mehr geben, als sie erwarten. Ihre Erwartungen
aber sind geringe. Sie haben nicht einmal erwartet, dass ich ihrer
Sprache kundig sei.
Sprach der Bauer Bölschow zu seinem Weibe, als der Pastor
vorüberschritt an ihrem rostigen Zaune und beide Eheleute ihm
einen guten Tag entboten hatten, es heißet in ihrer Sprache
aber: ›Tach‹ und wird für Personen gehobenen Standes ehrerheischend
in die Länge gezogen zu: ›Ta-ach‹, sprach also Bölschow
laut und vernehmlich: »Dän Lackoopen warn'w all stutzen, de
sull sick man bloot nich upspääln, dän warn'w noch grugen
mooken, Arndt ward em all denn Marsch bloosen!«
Der Pastor verfügte sich darauf seines Weges und kommenden
Sonntages in seine Kirche, allwo er von der Kanzel herab
gewahrte das Ehepaar Bölschow, einträchtig beieinander sitzend
in der zweiten Reihe rechter Hand, denn es war die Einsegnung
ihrer Enkelin. Ein gar liebliches Mädchen und so klug, dass es
allezeit Nutzen aus seinem Liebreiz zu ziehen weiß, allein doch
wieder nicht gar so klug, als den Nutzen nicht teils mit dem
Schaden zu verwechseln. Und nur der Güte unseres Herrn ist es
zu verdanken, dass diesem Schaden noch kein sichtbares Zeugnis
ward.
Und als nun die Reihe an dem Lied mit der Nummer 341 des
Evangelischen Kirchengesangbuches war, siehe, da ward zur Feier
des Tages dem Hirten des Herrn gegeben zu reden in Zungen,
und er sprach: »Nu wulln'w ma eis dieset Leid singen un dän
Lackoopen vun Düüwel dän Marsch bloosen, dei sull sick man
bloot nich upspääln. Ji mööten juch nich grugen mooken looten
vun dääm, wi künn'n em tiedig nauch stutzen!«
Und die Gemeinde hob an zu singen, denn es war ein leidlich
bekanntes Lied, jedoch des Pastors Blick fiel auch auf jene, die
untereinander aufgebrachte Worte flüsterten, er aber betrachtete
sie wohlgefällig. Gar heimlich führt er sein Gewalt,/
er ging in meiner armen G'stalt,/den Teufel wollt er
fangen.
An die Tür der kleinen Kirche begab nach dem Gottesdienste
der Pastor sich, um zu verabschieden seine Schäfchen. Unter all
ihnen aber konnte er nicht mehr finden die Eheleute Bölschow,
und auch die nachfolgenden Sonntage musste er ihrer vergeblich
harren. Bei sich aber dachte er: das Wort des Herrn, durch
ihn verkündet, habe sie so sehr erbauet, dass sie fürderhin keiner
weiteren Stärkung bedürften. Und er dankte Gott für alles, was
Er an ihm getan hatte.
In der Wirklichkeit war es anders. Ich bin nicht spazierengegangen,
und die Gemeinde hat nicht gesungen. Gesungen habe
ich, und ich bin gelaufen, gejoggt, wozu sie hier nicht anders als
›geschockt‹ sagen mögen, was mich ihren kreativen Umgang mit
der Sprache nur neuerlich bewundern lässt, schaffen sie es doch
damit, Ursache und Wirkung in einem Worte zu vereinigen.
Vergib mir, mein Gott, ich kann nicht anders. Meine Nächstenliebe
ist mein Urteil, und umgekehrt. Und auch den sachten
Ärger über Anna Hanskes Ableben sieh mir nach, der aus dem
eigennützigen Trachten nach meinem Vorteil erwuchs, denn sehr
zu meinem Vorteil wäre es gewesen, hätte ich noch ein wenig länger
am Beispiel ihres Lebens lernen dürfen. und hüt dich vor
der Menschen Satz,/davon verdirbt der edle Schatz:/
das laß ich dir zur Letze.
Doch dann gab sie keine Antwort, an dem Morgen, sie lag
noch in ihrem hohen, kurzen, schon lang wohl nur noch einseitig
beschlafenen Bett, und ihr Tod war die letzte Lektion für mich.
Sie hatte wie immer die Tür nicht verschlossen, der Tisch in der
Küche war für das Frühstück gedeckt, als wollte sie sagen, halb
so wild, komm rein und iss erst mal einen Haps. Niemand hat
ihr wohl den Tod zugetraut, aber ich glaube, sie hat gewusst, mit
wem sie es da zu tun hat, und dass es nicht lohnt, seinetwegen
einen Aufwand zu betreiben. Mitnehmen wollen hatte ich sie
zum Arzt in die Stadt, sie hatte über diesen Termin gelacht und
mit dem Kopf geschüttelt und endlich recht behalten. Nun nahm
sie mich mit. Die Sonne schien auf ihre Schulter, so dass man,
als man sie anfasste und nicht weckte, nicht einmal erschrecken
musste ob der Kälte des letzten Schlafes. Hoffährtig mag es sein,
aber glauben muss ich es doch, dass ich der Einzige wohl war, der
ein wenig um sie weinte. Ach, verzeih, Peter Hanske, wovon aber
war dein Gesicht so rot und bildete einen so hehren Kontrast
zum fernen Weiß deiner Schwester?
HARTMUT
Die war da. Die war wirklich da. Hat Britta erzählt, die mit Mutter
hingegangen ist, komisch eigentlich, weil ja beide anscheinend
gar nicht hinwollten, Britta hat immerzu rumgestöhnt,
dass sie nichts zum Anziehen hat, und denn die ganzen Leute,
sieht ja aus, als ob man auch nur gaffen will, und außerdem, ne,
was denn die alte Hanske sie angeht, und Mutter hat nur gesagt:
»Na, doo mööten wi woohl.«
Als ich gesagt hab: »Na, sie war ja wohl deine Freundin, oder
nich, ihr wart doch früher und so«, hat sie mich bloß so von oben
herab angeguckt und gesagt: »Jou-o, Hartmut, du weitst dat nu
wedder allet bääder, nä.« Gnatzig war sie, hab ich genau gemerkt,
weil sie da nu hinmuss, und dann trau ich mich auch noch, ich,
der verlorene Sohn, sie da an was zu erinnern.
Sie spricht immer Platt mit mir, wenn sie schlechte Laune hat,
also so gut wie nur. Hab ich schon rausgekriegt, dass das so eine
Art Trotz bei ihr ist, ne, sone Macke. Die denkt nämlich, wenn
sie mit nem Lehrer Plattdeutsch redet, fühlt der sich irgendwie
dadurch beleidigt, weil Platt ja nur für kleine Leute ist. Weshalb
sie das auch sprechen darf, weil sie ja zu den kleinen Leuten gehört,
»klein, aber nich doof«, und deshalb kann sie auch »sääh
gut«, wie sie sagt, Hochdeutsch, aber das hebt sie sich für die
etwas Besseren auf, und für sich selber. Echt wahr, die spricht
Hochdeutsch mit sich selber; ich hab sie mal belauscht, da hat
sie so komische Sachen gesagt wie: »Warum hast du das bloß ge-
macht?«, und ich war erst nicht sicher, ob sie da mit irgendwem
quatscht oder was, aber dann hab ich gemerkt, dass sie da hinten
alleine ist in ihrer Bude und da irgendwie mit sich selber zu
Gange. Na ja, was heißt Bude, war vielleicht früher mal bloß die
Veranda, aber wir haben das alles umgebaut, die Haustür ist ja
jetzt auf der andern Seite, und kein Mensch braucht heute noch
ne Veranda, und da haben wir schön Wärmedämmung und neue
Fenster und Tapeten und alles gemacht, nicht dass du denkst. Die
hats schon gut jetzt, die Mutter Wachlowski.
Montag Mittag ging das Theater dann los. Ich war grad aus
der Schule da und den Kopf noch voll von diesen Itschies, ich
könnt die alle. Alle zusammen in nen Sack stecken und ma ordentlich
draufhaun. Manchmal bin ich ja dafür, dass die Prügelstrafe
wieder eingeführt wird, du kriegst denen ja nix mehr rein
in ihren Kopp. Achte Klasse, Mann, und vom kleinen Einmaleins
noch nie was gehört! Und denn sollen die auch noch ne
Gleichung lösen, das is aber nu zu viel verlangt, Herr Lehrer. Und
kaum hab ich einen Fuß in mein trautes Heim gesetzt, und mit
ordentlich Knast inne Röhren, sagt doch Britta, sagt die doch zu
mir: »Hartmut, du musst noch ma los, Blumen besorgen, wir
brauchen doch noch Blumen für die Beerdigung.«
»Was denn für Blumen«, sag ich, »is doch keine Hochzeit«.
Aber weißt ja, wie die ist, die lässt einem keine Ruhe, die kann
einem vielleicht aufn Nerven rumtrampeln. Ein ganz tückisches
Stück Weib ist das, weil, man sieht ihr das ja nicht an, ich hab ihr
das ja auch nicht angesehen, damals, du siehst die ja nur so von
außen, und denn denkste, Mannomann, was Bessres kann dir
gar nicht passieren. Denken doch alle, oder, dass der Hartmut
da aber nen Sechser im Lotto gemacht hat, wa? Na ja, stimmt
schon, sieht immer noch zehn Jahre jünger aus, als sie ist, Britta,
ne, sagen doch immer alle. Aber manchmal, echt.
War aber zum Schießen, weil ich genau gemerkt hab, dass
Mutter nu nicht weiß, ob sie mit ihrer vermaledeiten Schwiegertochter
in eine Kerbe hauen soll oder nicht, aber da war wohl mal
wieder ich dran, und Mutter fängt auch noch an: »Du hoolst jetz
sofort paar weiße Chrisantem ausse Stadt!«
Hatse nu nämlich auch vor Schreck nicht gewusst, ob sie Hoch
oder Platt sprechen soll, wahrscheinlich wegen Britta, die meckert
sie zwar auch immer auf Platt an, und Britta immer: »Zum
Glück versteh ich dich ja nicht«, aber gleichzeitig will Mutter nu
vor ihr ja auch nicht als »un-ge-bil-det« dastehn. Und nu hat
Britta Oberwasser und sagt: »Los, nu mach schon, wir haben
nich ewig Zeit«, und ich also los, was willst denn machen.
Aber dann denk ich auf einmal, wieso ist die denn schon so
früh zu Hause, ist doch Montag, und ich frag sie, warum, und
sie sagt: »Ich hab die in der letzten Stunde ne Klassenarbeit
schreiben lassen, die junge Tetzke, die Referendarin, die hat das
beaufsichtigt, da konnt ich schon nach Hause, wir müssen doch
nachher gleich los.«
»Und wie bist du ohne Auto nach Hause gekommen?«, frag
ich, weil der Opel ja in der Werkstatt ist, und da sagt sie doch
glatt: »Rolf hat mich mitgenommen.«
»Ach, der hatte wohl auch schon Feierabend oder was«, sag ich,
und sie: »Ja, die Fünfte hatte Wandertag, da musst er heut ›keinen
auf sportlich machen‹, wie er sagt, und konnte schon los.«
»Und dich gleich mitnehmen, oder wie?« ›Sportlich‹!
»Ja, war doch praktisch.«
»Na so was von praktisch, wa!« Ich glaub, ich spinn. »Na, is ja
nix Neues!«
»Jetzt hör aber ma auf, Hartmut«, sagt sie, »ich glaub, du
spinnst, und das is nu wirklich nix Neues! Jetzt mach ma hinter!«
Ich also los in die Stadt und diese beschissenen Blumen gekauft
von meinem beschissenen Geld, und wie ich zurückkomm,
seh ich Ella, die grad vom Bus kommt, und ich hupe, aber die
geht einfach weiter, also fahr ich auch weiter. Als sie reinkommt,
sag ich: »Na, wie war die Schule, nich so doll, wa?«, aber glaubste,
du kriegst ne Antwort?
Mutter und Britta sitzen da immer noch rum und schlürfen
Kaffee, zur Stärkung, sagt Britta, als ob irgendeine von denen
wegsacken könnte, glauben die doch selber nicht, am allerwenigsten
Mutter. Klucken da in ihren unbequemen schwarzen
Klamotten, wie zwei fette schwarze Krähen, und Ella sagt doch
glatt: »Wie seht ihr denn aus?«
Ich hätt ja fast gelacht. Aber das sagt nu grade die Richtige.
»Und wie siehst du aus?«, sag ich, »guck dich doch ma an,
in dei'm ewigen schwarzen Pullover, der stinkt doch bestimmt
schon!«
»Hartmut!«, sagt Britta.
»Brauchst mir ja nich zu nahe zu kommen!«, sagt Ella, und
mir wär wieder fast die Hand ausgerutscht.
»Elisabeth!«, sagt Britta.
»Fällt dir nix andres ein?«, sag ich. »Die weiß ja wohl, wie se
heißt, und ich auch.«
»Wir gehn jetz zur Beerdigung von Frau Hanske, willst du mitkommen?
«
»Nee!«, sagt Ella.
Und dann kommen sie nachher zurück, und Britta sagt: »Gab
guten Kuchen«, und dann sagt sie: »Weißt du, wer da war?«
Ich sag: »Nee, will ich auch gar nich wissen«, und sie: »Na, die
Tochter! Ingrid, so heißt die doch, oder? Mitsamt Familie!«
ELLA
Was ist das nun wieder für einer? Guckt mich an und dann weg
und dann wieder an. Stand schon da, als ich angekommen bin,
hat mir zugenickt. Mach mich bloß nicht an, hab ich gedacht,
aber ich glaub, der ist harmlos. Ziemlich blass, ziemliche Schlafzimmeraugen,
keiner von der Elpe. Zu fein dafür, sagen wir mal:
gepflegt. Das ist ja echt ne Ausnahme hier, ne Seltenheit, na ja,
ungefähr so, als würd einer wie Ecki sich bei einem entschuldi-
gen, was der überhaupt nie machen würde. Einmal hat er lieber
Pferdeäppel runtergewürgt. Hat ihm nicht grade geschadet. Hat
ihm sofort den grenzenlosen Respekt aller Elpe-Typen eingebracht,
sogar ein paar von den Älteren haben ihm wie blöd auf
die Schulter gekloppt, als es rum war im Dorf. Nur die Weiber
wollten nicht mehr mit ihm knutschen, hat anscheinend keine
lange durchgehalten. Jetzt ist er der Boss. Arschloch.
»Sorry?« Das kommt aus dem Mund von dem geschniegelten
Typen, er sagt auch: »Ich mein, wie bitte?«
Wie bitte? Ach Scheiße, hab ich wohl wieder laut gedacht.
Doofe Angewohnheit, passiert mir auch in der Schule ständig,
ich merk das gar nicht so, immer erst, wenn die andern schon
komisch gucken oder kichern. Ich glaub, ich hab das von Oma,
aber die redet inzwischen richtig mit sich selber, was die alle natürlich
unmöglich finden, »jetzt verkalkt se«, sagt Mutti immer,
aber Vati sagt, »nee, vergiss es, die is zäh wie n oller Truthahn, die
überlebt uns noch alle.« Und dann lacht er ganz kurz, vielleicht
weil es nicht so aussehen soll, als wenn er das ernst meint, oder
weil er sich seine eigene Mutter als Truthahn vorstellt, oder was
weiß ich. Manchmal muss ich da mitlachen, weil Omas Hals
ja wirklich so truthahnmäßig runterhängt, und ich hasse das,
echt, weil Vati einen immer zum Lachen bringt, wenn man grad
nicht lachen will, sonst nie. Und deshalb denk ich manchmal,
dass es wahrscheinlich gar nicht so verkehrt wär, wenn der olle
Truthahn ihn überlebt. Außerdem, wenn seine Mutter so was ist,
was ist er denn dann eigentlich?
»Schon gut«, sag ich zu dem Sorry-Typen, dass die neuerdings
alle immer ›sorry‹ sagen, wenn denn doch mal ne Entschuldigung
fällig ist, oder nur so, aber wie meint der das jetzt eigentlich,
ich hör das jedenfalls ständig, sogar von Mutti. Kommt mir
zwar ganz schön bescheuert vor, aber ist ja anscheinend cool.
Das ist auch so ein Wort. Vati kriegt Ausschlag, sagt er, wenn er
das hört. Ich auch, braucht er aber nicht zu wissen. Mutti sagt
das trotzdem, sie sagt, es rutscht ihr so raus, weil ihre Schüler das
sagen. Glaub ich aber nicht, ich mein, dass es ihr rausrutscht. Die
kommt sich nämlich selber ganz schön cool dabei vor.
»Oh«, sagt er, er streckt mir die Hand hin, das soll wohl jetzt
sone offizielle Vorstellung werden oder was, kaum macht man
den Mund auf, rücken sie einem gleich auf die Pelle. Seine Hand
ist ganz warm und weich, fühlt sich unglaublich gut an. Als würde
man die eigene noch mal schnell unter die Bettdecke stecken,
kurz nach dem Aufstehen.
»Ich heiße Paul, Paul Ishley.«
Krass! Und das morgens um halb sieben an der Bushaltestelle.
Eindeutig englischer Akzent, na logisch, der Name, Mann! Ein
echter Engländer oder Ami oder was. Ich merk, wie ich ihn anstarr,
und wie immer auch noch schön den Mund offen, beweist
ja wieder mal herrlich meine Dorftrotteligkeit. Ich guck schnell
runter, da sagt er: »Ich komme aus Irland.«
Irland? Wie jetzt? Achso. Er guckt mich an, und wie, der hat
ein Talent dafür. »Und du?«
Ich? Oh Gott. »Ich heiße Ella, also Elisabeth - Wachlowski,
und ich komme - äh, na aus dem Dorf hier.« Na toll. Ist ja wie
im Film. Der Bus, na endlich.
SONJA
»Ja, Renate, ja, mach ich, ne, tschü-üß!«
Mach ich, mach ich, ja, na klar, Sonja macht ja immer, Sonja
bäckt einen Kuchen, Sonja bastelt mit den Kindern. »Du kannst
doch so gut mit Kindern.« Ja, ja. Ach die Kinder, was können die
dafür, und wenn ich es nicht mach ... Die denkt sich, ich hab ja
Zeit, ich bin ja zu Hause, ich komm ja sonst um vor Langeweile,
wenn sie mich nicht anruft und mir Aufgaben zuteilt. Und als
braver Christenmensch sagt man ja nicht nein. Nein, Renate,
mach ich nicht, du kannst mich mal am Tüffel tuten. Such dir
einen andern, die müssen sich nämlich auch nicht alle den lieben
langen Tag ihre Ärsche vorm Fernseher plattsitzen.
Jaa, ich guck auch mal ne Talkshow. Aber nicht die blöden,
wo es nur um große Busen, kleine Busen geht. Die tun ja alle, als
müssten sie gleich sterben, bloß weil die entsprechende Oberweite
fehlt, na. Ich hab nun immerhin auch schon vierzig Jahre
damit überlebt, oder na ja, also, jetzt nicht vierzig, aber. Manchmal
kommt aber auch was Interessantes, zum Beispiel, wenn
sich Leute nach soundsoviel Jahren wiedertreffen, und manche
keifen sich dann immer noch an. Meistens hab ich das beim Mittagmachen
an, und dann kommt Romy von der Schule und sieht
mich da auf der Lehne vom Sessel sitzen, wenns grad spannend
ist, aber ich setz mich nie richtig hin, muss ja immer mal nach
dem Essen gucken. Dann kommt sie rein und trampelt mir den
Flur voll und rollt mit den Augen, Mama, was guckst du denn
schon wieder für einen Scheiß. Ich glaub, sie hat Angst, dass ihre
Mutter dabei langsam, aber sicher verblödet. Sie hat mich mal
gefragt, wie ich das aushalte, ob mir da gar nicht komisch wird,
wenn diese - Friedhelm würd sagen: »Knallkörper«, wenn die
ihr doofes Zeug von sich geben. Nö, hab ich gesagt, ich hab gar
nicht genau gewusst, was sie meint. Na, ob mir das nicht irgendwie
peinlich wär.
»Peinlich, wieso«, hab ich gesagt, »nu übertreib ma nich. Andre
Leute gucken sich noch ganz andre Sachen an.«
»Ach, Mama, du verstehst nich, was ich mein«, sagt sie da, sagt
sie neuerdings ständig, und ich weiß nicht, ob aus Prinzip oder
weil sie mich wirklich für schwer von Kapee hält oder bloß zu
faul ist, mir was zu erklären. Ich hab manchmal Angst, dass sie
ein bisschen überheblich wird, die Leute denken wahrscheinlich
sowieso, was ich da bloß fürne arrogante Tochter hab, weil sie
den Mund ja nicht aufkriegt, die grüßt auch nicht. Ich weiß ja,
dass ich sie nerve, wenn ich immer sag, grüß die Leute im Dorf,
und sie macht das dann erst recht nicht. Sie sagt: »Warum soll
ich die grüßen, ich kenn die doch gar nicht.«
2010
Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München
www.dtv.de
© 2010 der deutschsprachigen Ausgabe:
Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München
Songtexte der Beatles: mit freundlicher Genehmigung der
Sony/ATV Music Publishing (Germany) GmbH
Lektorat: Christian Döring
Umschlagkonzept: Balk & Brumshagen
Umschlaggestaltung: Lisa Rost
Satz: Greiner & Reichel, Köln
Gesetzt aus der Minion 10,25/13,25.
Druck und Bindung: Kösel, Krugzell
Gedruckt auf säurefreiem, chlorfrei gebleichtem Papier
Printed in Germany • isbn 978-3-423-24794-8
Mittendrin der Eingang zur Hölle. Es ist nicht die Kneipe, wo
bekanntlich »der Teufel Alkohol« haust. Es gibt keine Kneipe
in Bresekow. Es gibt überhaupt nichts. Es ist das Zentrum des
Nichts, das sich kurz hinter Berlin auftut und bis Rostock nicht
aufhört. Hier liegen die verschwiegenen Orte, nachlässig verschüttet
in einer Landschaft zum Übersehen, flach. Ein hässliches
Endlein der Welt, über das man besser den Mund hält. Das
Dorf kennt keine Aufregung, es regt sich nur gern auf. Über ein
Geheimnis, das nicht verheimlicht wird. Das wird nicht gehütet,
das wird sorgsam sich selbst überlassen, das wird genannt: die
Elpe. Es ist kein Fluss oder so, keine tüdlige alte Verwandte der
Elbe. Man muss es sehen. Man will aber nicht.
Auf der Elpe treffen sie sich, allabendlich. Auf der Elpe bauen
sie Scheiße, auf der Elpe machen sie sonstwas. Auf der Elpe
saufen sie. Auf der Elpe kiffen sie. Auf der Elpe drücken sie sich
in muffigen Ecken rum und zeigen sich ihre Solariumsbäuche
und hängen unerschütterlich dem Glauben an, ihre Zungen
seien dazu da, sie sich gegenseitig in den Rachen zu stopfen. Es
kreischen die Mädchen auf der Elpe, die Jungs teilen gerne aus.
Auf der Elpe gibts Sauren Appel und Kloppe. Auf die Elpe geh ich
nicht. Nein, meine Suppe ess ich nicht. Das ist nicht mein Bier,
was da passiert, was da verschüttet wird. Die Bomberjacken, die
Woche für Woche speckiger werden. Die dröhnenden Witze, die
immer noch dreckiger werden können anscheinend. Die Auswüchse,
spillrigen Ranken, Mädchengesichter überwuchert von
Schminke, was gehn sie mich an. Die Wurzeln der Hölle.
INGRID
Die Heimat, na wenn schon.
»Da fahren wir also in deine Heimat«, sagt Michael, auf
Deutsch, und grinst.
Du sagst: »Das ist nicht meine Heimat«, und da lacht er dich
aus. »It's not my heimat, you know, und sei froh, dass du so ein
Wort in deiner einfachen Sprache nicht hast!«
Dann versucht er, dich in den Arm zu nehmen, du glaubst,
ihretwegen, aber du willst nicht, du rennst raus in den Garten.
Manchmal kann man dort das Meer hören, wie diesen Abend.
Dass es hier noch ›Kanal‹ heißt, stört dich nicht, und ein Georg
ist dir doch nicht bekannt, von früher, zumindest kein heiliger.
Die Luft schmeckt kalt und salzig, und du denkst, das ist der
Herbst, früh dieses Jahr, und du wirst seinen Einzug verpassen.
Dann fällt dir ein, dass drüben ja auch Herbst ist. Nur anders.
Zwar auch, aber anders, da bestehst du drauf, stures Kind, weißt
aber nicht, was du meinst damit. Verseucht, in- und auswendig,
heillos. So was. Du hast die neuen Strumpfhosen zum Schulbeginn
im Kopf und den Zuckerrübengeruch in der Nase, im
Nacken ein Brennen wie von Hagebutten, die lästigen Bengels.
Trotzdem, der Herbst tat stets gut. Die Langeweile hörte auf.
Man kam sich wieder brauchbar vor. Überhaupt anwesend. Im
Sommer warst du nirgendwo, nicht im Bikini am See, nicht
in der Eisdiele in der Stadt. Nicht im Heu mit irgendwem. Im
Sommer hatte ständig einer Geburtstag. Im Herbst hast du kaum
an irgendetwas denken müssen, außer träge an den Republiksgeburtstag,
deinen eigenen hast du versucht zu vergessen. Alle
anderen konnten das ja auch. Aber nun ist sie gestorben, die
deine Mutter war, wer hätte das gedacht, hat einen Todestag und
du eine Pflicht.
Frisch weht der Wind/der Heimat zu/mein irisch
Kind/wo weilest du? Jetzt tu nicht so, das ist nicht neu. Das
ging dir alle paar Wochen im Kopf rum, seit Michael es dir
damals vorgelesen hatte. »Das steht doch nicht so da«, hattest
du gesagt und gemeint: so auf Deutsch. Er hat dir das Buch hin
gehalten. Es war bloß ein Zitat.
Als du ins Haus zurückgehst, sagst du zu dir: nein. Was dich
daran denn jetzt noch anbindet: nichts. Nein. Du fängst an zu
weinen. Michael versteht das natürlich falsch. Er weiß nichts,
nein. Es wird gut sein für seine Arbeit, sagt er.
Oed und leer das Meer.
DIE GEMEINDE
Na wat seggst dootau nu isse doot
Joo nu isse doot ick heww dat
De Olsch
Ick hab dat erst gestern inne Zeitung
Wer hat denn
Na Peter
Nee ick mein wer hatse denn
Na Wietmann
De Paster? Wieso
Gehste hin wir gehn hin wolln doch ma hörn
Wulln'w doch eis hüürn wat hei
Montach um dreie
Öwwer ick heww joo goor nix taun Antrecken
Wier sei denn krank
Nee
Ach weißt wat ick zieh die dunkelblaue
Dei Popelinjack
Ick hab sie ja noch na letzte Woche
Weckern kümmt denn doo vun ehr ick mein
Na Peter
Wat wird denn nu mit dat Haus dat hat doch gar nich
Peter mit seine Familie
Ach der is is der verheirat ick dacht
Dat hemm'w em joo goor nich
Un de Dochter?
PASTOR WIETMANN
Am liebsten hätten Sie sie ja wohl selbst unter die Erde gebracht,
mein werter Herr Seelsorger, nicht? Aber dazu muss ich Ihnen
leider mitteilen, dass dies denn doch Ihre schmalen Befugnisse
überschritten hätte, halte mich aber in der Annahme, dass
diese Tatsache Sie nicht weiter inkommodiert haben würde, wo
es Ihnen doch schon seit vielen Jahren gelingt, sie tapfer zu
ignorieren. Chapeau! Was ich aber meine, ist: Sie konnten die
alte Hanske nicht verknusen. Um ihre Seele fiel Ihnen nicht
ein sich zu sorgen, Sie wussten ja bereits, welchen locus inamoenus
sie nach dem Entfleuchen aus dem welken Körper sich
schleunigst aufzusuchen genötigt sehen würde, ja? Nun, wenn
der großmächtige Fürst Rosshuf, den Sie oft so plastisch an die
protestantisch nackte Wand modellieren, dass man wahrlich
glauben möchte, Sie seien bereits in den Genuss einer näheren
Bekanntschaft mit ihm gekommen wie weiland unser Sprachverbesserer,
wenn er sich also als existent erweisen sollte und
der rauhen Verschwendung von Tinte würdig, dann können Sie
sicherlich, nachdem Sie das Pfarrhaus dereinst schließlich doch
werden geräumt haben, sich artig vor ihm verbeugen und schöne
Grüße von Frau Hanske verehren, sie war leider nicht abkömmlich.
Ach Gott. Danke für diese Pfarrstelle in der Ödnis und für
den festen Glauben der Leute. Daran, dass ein Pastor zwar mehr
als hinreichend, aber nicht unbedingt notwendig sei. So kann
ich ihnen stets mehr geben, als sie erwarten. Ihre Erwartungen
aber sind geringe. Sie haben nicht einmal erwartet, dass ich ihrer
Sprache kundig sei.
Sprach der Bauer Bölschow zu seinem Weibe, als der Pastor
vorüberschritt an ihrem rostigen Zaune und beide Eheleute ihm
einen guten Tag entboten hatten, es heißet in ihrer Sprache
aber: ›Tach‹ und wird für Personen gehobenen Standes ehrerheischend
in die Länge gezogen zu: ›Ta-ach‹, sprach also Bölschow
laut und vernehmlich: »Dän Lackoopen warn'w all stutzen, de
sull sick man bloot nich upspääln, dän warn'w noch grugen
mooken, Arndt ward em all denn Marsch bloosen!«
Der Pastor verfügte sich darauf seines Weges und kommenden
Sonntages in seine Kirche, allwo er von der Kanzel herab
gewahrte das Ehepaar Bölschow, einträchtig beieinander sitzend
in der zweiten Reihe rechter Hand, denn es war die Einsegnung
ihrer Enkelin. Ein gar liebliches Mädchen und so klug, dass es
allezeit Nutzen aus seinem Liebreiz zu ziehen weiß, allein doch
wieder nicht gar so klug, als den Nutzen nicht teils mit dem
Schaden zu verwechseln. Und nur der Güte unseres Herrn ist es
zu verdanken, dass diesem Schaden noch kein sichtbares Zeugnis
ward.
Und als nun die Reihe an dem Lied mit der Nummer 341 des
Evangelischen Kirchengesangbuches war, siehe, da ward zur Feier
des Tages dem Hirten des Herrn gegeben zu reden in Zungen,
und er sprach: »Nu wulln'w ma eis dieset Leid singen un dän
Lackoopen vun Düüwel dän Marsch bloosen, dei sull sick man
bloot nich upspääln. Ji mööten juch nich grugen mooken looten
vun dääm, wi künn'n em tiedig nauch stutzen!«
Und die Gemeinde hob an zu singen, denn es war ein leidlich
bekanntes Lied, jedoch des Pastors Blick fiel auch auf jene, die
untereinander aufgebrachte Worte flüsterten, er aber betrachtete
sie wohlgefällig. Gar heimlich führt er sein Gewalt,/
er ging in meiner armen G'stalt,/den Teufel wollt er
fangen.
An die Tür der kleinen Kirche begab nach dem Gottesdienste
der Pastor sich, um zu verabschieden seine Schäfchen. Unter all
ihnen aber konnte er nicht mehr finden die Eheleute Bölschow,
und auch die nachfolgenden Sonntage musste er ihrer vergeblich
harren. Bei sich aber dachte er: das Wort des Herrn, durch
ihn verkündet, habe sie so sehr erbauet, dass sie fürderhin keiner
weiteren Stärkung bedürften. Und er dankte Gott für alles, was
Er an ihm getan hatte.
In der Wirklichkeit war es anders. Ich bin nicht spazierengegangen,
und die Gemeinde hat nicht gesungen. Gesungen habe
ich, und ich bin gelaufen, gejoggt, wozu sie hier nicht anders als
›geschockt‹ sagen mögen, was mich ihren kreativen Umgang mit
der Sprache nur neuerlich bewundern lässt, schaffen sie es doch
damit, Ursache und Wirkung in einem Worte zu vereinigen.
Vergib mir, mein Gott, ich kann nicht anders. Meine Nächstenliebe
ist mein Urteil, und umgekehrt. Und auch den sachten
Ärger über Anna Hanskes Ableben sieh mir nach, der aus dem
eigennützigen Trachten nach meinem Vorteil erwuchs, denn sehr
zu meinem Vorteil wäre es gewesen, hätte ich noch ein wenig länger
am Beispiel ihres Lebens lernen dürfen. und hüt dich vor
der Menschen Satz,/davon verdirbt der edle Schatz:/
das laß ich dir zur Letze.
Doch dann gab sie keine Antwort, an dem Morgen, sie lag
noch in ihrem hohen, kurzen, schon lang wohl nur noch einseitig
beschlafenen Bett, und ihr Tod war die letzte Lektion für mich.
Sie hatte wie immer die Tür nicht verschlossen, der Tisch in der
Küche war für das Frühstück gedeckt, als wollte sie sagen, halb
so wild, komm rein und iss erst mal einen Haps. Niemand hat
ihr wohl den Tod zugetraut, aber ich glaube, sie hat gewusst, mit
wem sie es da zu tun hat, und dass es nicht lohnt, seinetwegen
einen Aufwand zu betreiben. Mitnehmen wollen hatte ich sie
zum Arzt in die Stadt, sie hatte über diesen Termin gelacht und
mit dem Kopf geschüttelt und endlich recht behalten. Nun nahm
sie mich mit. Die Sonne schien auf ihre Schulter, so dass man,
als man sie anfasste und nicht weckte, nicht einmal erschrecken
musste ob der Kälte des letzten Schlafes. Hoffährtig mag es sein,
aber glauben muss ich es doch, dass ich der Einzige wohl war, der
ein wenig um sie weinte. Ach, verzeih, Peter Hanske, wovon aber
war dein Gesicht so rot und bildete einen so hehren Kontrast
zum fernen Weiß deiner Schwester?
HARTMUT
Die war da. Die war wirklich da. Hat Britta erzählt, die mit Mutter
hingegangen ist, komisch eigentlich, weil ja beide anscheinend
gar nicht hinwollten, Britta hat immerzu rumgestöhnt,
dass sie nichts zum Anziehen hat, und denn die ganzen Leute,
sieht ja aus, als ob man auch nur gaffen will, und außerdem, ne,
was denn die alte Hanske sie angeht, und Mutter hat nur gesagt:
»Na, doo mööten wi woohl.«
Als ich gesagt hab: »Na, sie war ja wohl deine Freundin, oder
nich, ihr wart doch früher und so«, hat sie mich bloß so von oben
herab angeguckt und gesagt: »Jou-o, Hartmut, du weitst dat nu
wedder allet bääder, nä.« Gnatzig war sie, hab ich genau gemerkt,
weil sie da nu hinmuss, und dann trau ich mich auch noch, ich,
der verlorene Sohn, sie da an was zu erinnern.
Sie spricht immer Platt mit mir, wenn sie schlechte Laune hat,
also so gut wie nur. Hab ich schon rausgekriegt, dass das so eine
Art Trotz bei ihr ist, ne, sone Macke. Die denkt nämlich, wenn
sie mit nem Lehrer Plattdeutsch redet, fühlt der sich irgendwie
dadurch beleidigt, weil Platt ja nur für kleine Leute ist. Weshalb
sie das auch sprechen darf, weil sie ja zu den kleinen Leuten gehört,
»klein, aber nich doof«, und deshalb kann sie auch »sääh
gut«, wie sie sagt, Hochdeutsch, aber das hebt sie sich für die
etwas Besseren auf, und für sich selber. Echt wahr, die spricht
Hochdeutsch mit sich selber; ich hab sie mal belauscht, da hat
sie so komische Sachen gesagt wie: »Warum hast du das bloß ge-
macht?«, und ich war erst nicht sicher, ob sie da mit irgendwem
quatscht oder was, aber dann hab ich gemerkt, dass sie da hinten
alleine ist in ihrer Bude und da irgendwie mit sich selber zu
Gange. Na ja, was heißt Bude, war vielleicht früher mal bloß die
Veranda, aber wir haben das alles umgebaut, die Haustür ist ja
jetzt auf der andern Seite, und kein Mensch braucht heute noch
ne Veranda, und da haben wir schön Wärmedämmung und neue
Fenster und Tapeten und alles gemacht, nicht dass du denkst. Die
hats schon gut jetzt, die Mutter Wachlowski.
Montag Mittag ging das Theater dann los. Ich war grad aus
der Schule da und den Kopf noch voll von diesen Itschies, ich
könnt die alle. Alle zusammen in nen Sack stecken und ma ordentlich
draufhaun. Manchmal bin ich ja dafür, dass die Prügelstrafe
wieder eingeführt wird, du kriegst denen ja nix mehr rein
in ihren Kopp. Achte Klasse, Mann, und vom kleinen Einmaleins
noch nie was gehört! Und denn sollen die auch noch ne
Gleichung lösen, das is aber nu zu viel verlangt, Herr Lehrer. Und
kaum hab ich einen Fuß in mein trautes Heim gesetzt, und mit
ordentlich Knast inne Röhren, sagt doch Britta, sagt die doch zu
mir: »Hartmut, du musst noch ma los, Blumen besorgen, wir
brauchen doch noch Blumen für die Beerdigung.«
»Was denn für Blumen«, sag ich, »is doch keine Hochzeit«.
Aber weißt ja, wie die ist, die lässt einem keine Ruhe, die kann
einem vielleicht aufn Nerven rumtrampeln. Ein ganz tückisches
Stück Weib ist das, weil, man sieht ihr das ja nicht an, ich hab ihr
das ja auch nicht angesehen, damals, du siehst die ja nur so von
außen, und denn denkste, Mannomann, was Bessres kann dir
gar nicht passieren. Denken doch alle, oder, dass der Hartmut
da aber nen Sechser im Lotto gemacht hat, wa? Na ja, stimmt
schon, sieht immer noch zehn Jahre jünger aus, als sie ist, Britta,
ne, sagen doch immer alle. Aber manchmal, echt.
War aber zum Schießen, weil ich genau gemerkt hab, dass
Mutter nu nicht weiß, ob sie mit ihrer vermaledeiten Schwiegertochter
in eine Kerbe hauen soll oder nicht, aber da war wohl mal
wieder ich dran, und Mutter fängt auch noch an: »Du hoolst jetz
sofort paar weiße Chrisantem ausse Stadt!«
Hatse nu nämlich auch vor Schreck nicht gewusst, ob sie Hoch
oder Platt sprechen soll, wahrscheinlich wegen Britta, die meckert
sie zwar auch immer auf Platt an, und Britta immer: »Zum
Glück versteh ich dich ja nicht«, aber gleichzeitig will Mutter nu
vor ihr ja auch nicht als »un-ge-bil-det« dastehn. Und nu hat
Britta Oberwasser und sagt: »Los, nu mach schon, wir haben
nich ewig Zeit«, und ich also los, was willst denn machen.
Aber dann denk ich auf einmal, wieso ist die denn schon so
früh zu Hause, ist doch Montag, und ich frag sie, warum, und
sie sagt: »Ich hab die in der letzten Stunde ne Klassenarbeit
schreiben lassen, die junge Tetzke, die Referendarin, die hat das
beaufsichtigt, da konnt ich schon nach Hause, wir müssen doch
nachher gleich los.«
»Und wie bist du ohne Auto nach Hause gekommen?«, frag
ich, weil der Opel ja in der Werkstatt ist, und da sagt sie doch
glatt: »Rolf hat mich mitgenommen.«
»Ach, der hatte wohl auch schon Feierabend oder was«, sag ich,
und sie: »Ja, die Fünfte hatte Wandertag, da musst er heut ›keinen
auf sportlich machen‹, wie er sagt, und konnte schon los.«
»Und dich gleich mitnehmen, oder wie?« ›Sportlich‹!
»Ja, war doch praktisch.«
»Na so was von praktisch, wa!« Ich glaub, ich spinn. »Na, is ja
nix Neues!«
»Jetzt hör aber ma auf, Hartmut«, sagt sie, »ich glaub, du
spinnst, und das is nu wirklich nix Neues! Jetzt mach ma hinter!«
Ich also los in die Stadt und diese beschissenen Blumen gekauft
von meinem beschissenen Geld, und wie ich zurückkomm,
seh ich Ella, die grad vom Bus kommt, und ich hupe, aber die
geht einfach weiter, also fahr ich auch weiter. Als sie reinkommt,
sag ich: »Na, wie war die Schule, nich so doll, wa?«, aber glaubste,
du kriegst ne Antwort?
Mutter und Britta sitzen da immer noch rum und schlürfen
Kaffee, zur Stärkung, sagt Britta, als ob irgendeine von denen
wegsacken könnte, glauben die doch selber nicht, am allerwenigsten
Mutter. Klucken da in ihren unbequemen schwarzen
Klamotten, wie zwei fette schwarze Krähen, und Ella sagt doch
glatt: »Wie seht ihr denn aus?«
Ich hätt ja fast gelacht. Aber das sagt nu grade die Richtige.
»Und wie siehst du aus?«, sag ich, »guck dich doch ma an,
in dei'm ewigen schwarzen Pullover, der stinkt doch bestimmt
schon!«
»Hartmut!«, sagt Britta.
»Brauchst mir ja nich zu nahe zu kommen!«, sagt Ella, und
mir wär wieder fast die Hand ausgerutscht.
»Elisabeth!«, sagt Britta.
»Fällt dir nix andres ein?«, sag ich. »Die weiß ja wohl, wie se
heißt, und ich auch.«
»Wir gehn jetz zur Beerdigung von Frau Hanske, willst du mitkommen?
«
»Nee!«, sagt Ella.
Und dann kommen sie nachher zurück, und Britta sagt: »Gab
guten Kuchen«, und dann sagt sie: »Weißt du, wer da war?«
Ich sag: »Nee, will ich auch gar nich wissen«, und sie: »Na, die
Tochter! Ingrid, so heißt die doch, oder? Mitsamt Familie!«
ELLA
Was ist das nun wieder für einer? Guckt mich an und dann weg
und dann wieder an. Stand schon da, als ich angekommen bin,
hat mir zugenickt. Mach mich bloß nicht an, hab ich gedacht,
aber ich glaub, der ist harmlos. Ziemlich blass, ziemliche Schlafzimmeraugen,
keiner von der Elpe. Zu fein dafür, sagen wir mal:
gepflegt. Das ist ja echt ne Ausnahme hier, ne Seltenheit, na ja,
ungefähr so, als würd einer wie Ecki sich bei einem entschuldi-
gen, was der überhaupt nie machen würde. Einmal hat er lieber
Pferdeäppel runtergewürgt. Hat ihm nicht grade geschadet. Hat
ihm sofort den grenzenlosen Respekt aller Elpe-Typen eingebracht,
sogar ein paar von den Älteren haben ihm wie blöd auf
die Schulter gekloppt, als es rum war im Dorf. Nur die Weiber
wollten nicht mehr mit ihm knutschen, hat anscheinend keine
lange durchgehalten. Jetzt ist er der Boss. Arschloch.
»Sorry?« Das kommt aus dem Mund von dem geschniegelten
Typen, er sagt auch: »Ich mein, wie bitte?«
Wie bitte? Ach Scheiße, hab ich wohl wieder laut gedacht.
Doofe Angewohnheit, passiert mir auch in der Schule ständig,
ich merk das gar nicht so, immer erst, wenn die andern schon
komisch gucken oder kichern. Ich glaub, ich hab das von Oma,
aber die redet inzwischen richtig mit sich selber, was die alle natürlich
unmöglich finden, »jetzt verkalkt se«, sagt Mutti immer,
aber Vati sagt, »nee, vergiss es, die is zäh wie n oller Truthahn, die
überlebt uns noch alle.« Und dann lacht er ganz kurz, vielleicht
weil es nicht so aussehen soll, als wenn er das ernst meint, oder
weil er sich seine eigene Mutter als Truthahn vorstellt, oder was
weiß ich. Manchmal muss ich da mitlachen, weil Omas Hals
ja wirklich so truthahnmäßig runterhängt, und ich hasse das,
echt, weil Vati einen immer zum Lachen bringt, wenn man grad
nicht lachen will, sonst nie. Und deshalb denk ich manchmal,
dass es wahrscheinlich gar nicht so verkehrt wär, wenn der olle
Truthahn ihn überlebt. Außerdem, wenn seine Mutter so was ist,
was ist er denn dann eigentlich?
»Schon gut«, sag ich zu dem Sorry-Typen, dass die neuerdings
alle immer ›sorry‹ sagen, wenn denn doch mal ne Entschuldigung
fällig ist, oder nur so, aber wie meint der das jetzt eigentlich,
ich hör das jedenfalls ständig, sogar von Mutti. Kommt mir
zwar ganz schön bescheuert vor, aber ist ja anscheinend cool.
Das ist auch so ein Wort. Vati kriegt Ausschlag, sagt er, wenn er
das hört. Ich auch, braucht er aber nicht zu wissen. Mutti sagt
das trotzdem, sie sagt, es rutscht ihr so raus, weil ihre Schüler das
sagen. Glaub ich aber nicht, ich mein, dass es ihr rausrutscht. Die
kommt sich nämlich selber ganz schön cool dabei vor.
»Oh«, sagt er, er streckt mir die Hand hin, das soll wohl jetzt
sone offizielle Vorstellung werden oder was, kaum macht man
den Mund auf, rücken sie einem gleich auf die Pelle. Seine Hand
ist ganz warm und weich, fühlt sich unglaublich gut an. Als würde
man die eigene noch mal schnell unter die Bettdecke stecken,
kurz nach dem Aufstehen.
»Ich heiße Paul, Paul Ishley.«
Krass! Und das morgens um halb sieben an der Bushaltestelle.
Eindeutig englischer Akzent, na logisch, der Name, Mann! Ein
echter Engländer oder Ami oder was. Ich merk, wie ich ihn anstarr,
und wie immer auch noch schön den Mund offen, beweist
ja wieder mal herrlich meine Dorftrotteligkeit. Ich guck schnell
runter, da sagt er: »Ich komme aus Irland.«
Irland? Wie jetzt? Achso. Er guckt mich an, und wie, der hat
ein Talent dafür. »Und du?«
Ich? Oh Gott. »Ich heiße Ella, also Elisabeth - Wachlowski,
und ich komme - äh, na aus dem Dorf hier.« Na toll. Ist ja wie
im Film. Der Bus, na endlich.
SONJA
»Ja, Renate, ja, mach ich, ne, tschü-üß!«
Mach ich, mach ich, ja, na klar, Sonja macht ja immer, Sonja
bäckt einen Kuchen, Sonja bastelt mit den Kindern. »Du kannst
doch so gut mit Kindern.« Ja, ja. Ach die Kinder, was können die
dafür, und wenn ich es nicht mach ... Die denkt sich, ich hab ja
Zeit, ich bin ja zu Hause, ich komm ja sonst um vor Langeweile,
wenn sie mich nicht anruft und mir Aufgaben zuteilt. Und als
braver Christenmensch sagt man ja nicht nein. Nein, Renate,
mach ich nicht, du kannst mich mal am Tüffel tuten. Such dir
einen andern, die müssen sich nämlich auch nicht alle den lieben
langen Tag ihre Ärsche vorm Fernseher plattsitzen.
Jaa, ich guck auch mal ne Talkshow. Aber nicht die blöden,
wo es nur um große Busen, kleine Busen geht. Die tun ja alle, als
müssten sie gleich sterben, bloß weil die entsprechende Oberweite
fehlt, na. Ich hab nun immerhin auch schon vierzig Jahre
damit überlebt, oder na ja, also, jetzt nicht vierzig, aber. Manchmal
kommt aber auch was Interessantes, zum Beispiel, wenn
sich Leute nach soundsoviel Jahren wiedertreffen, und manche
keifen sich dann immer noch an. Meistens hab ich das beim Mittagmachen
an, und dann kommt Romy von der Schule und sieht
mich da auf der Lehne vom Sessel sitzen, wenns grad spannend
ist, aber ich setz mich nie richtig hin, muss ja immer mal nach
dem Essen gucken. Dann kommt sie rein und trampelt mir den
Flur voll und rollt mit den Augen, Mama, was guckst du denn
schon wieder für einen Scheiß. Ich glaub, sie hat Angst, dass ihre
Mutter dabei langsam, aber sicher verblödet. Sie hat mich mal
gefragt, wie ich das aushalte, ob mir da gar nicht komisch wird,
wenn diese - Friedhelm würd sagen: »Knallkörper«, wenn die
ihr doofes Zeug von sich geben. Nö, hab ich gesagt, ich hab gar
nicht genau gewusst, was sie meint. Na, ob mir das nicht irgendwie
peinlich wär.
»Peinlich, wieso«, hab ich gesagt, »nu übertreib ma nich. Andre
Leute gucken sich noch ganz andre Sachen an.«
»Ach, Mama, du verstehst nich, was ich mein«, sagt sie da, sagt
sie neuerdings ständig, und ich weiß nicht, ob aus Prinzip oder
weil sie mich wirklich für schwer von Kapee hält oder bloß zu
faul ist, mir was zu erklären. Ich hab manchmal Angst, dass sie
ein bisschen überheblich wird, die Leute denken wahrscheinlich
sowieso, was ich da bloß fürne arrogante Tochter hab, weil sie
den Mund ja nicht aufkriegt, die grüßt auch nicht. Ich weiß ja,
dass ich sie nerve, wenn ich immer sag, grüß die Leute im Dorf,
und sie macht das dann erst recht nicht. Sie sagt: »Warum soll
ich die grüßen, ich kenn die doch gar nicht.«
2010
Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München
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© 2010 der deutschsprachigen Ausgabe:
Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München
Songtexte der Beatles: mit freundlicher Genehmigung der
Sony/ATV Music Publishing (Germany) GmbH
Lektorat: Christian Döring
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Gesetzt aus der Minion 10,25/13,25.
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Autoren-Porträt von Judith Zander
Zander, JudithJudith Zander wurde 1980 in Anklam geboren und lebt heute in Berlin. Sie studierte Germanistik, Anglistik sowie Mittlere und Neuere Geschichte in Greifswald, anschließend am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig. Neben dem Schreiben von Lyrik und Prosa übersetzt sie aus dem Englischen. Für ihre Lyrik erhielt Judith Zander mehrere Auszeichnungen, u.a. den Lyrikpreis beim open mike 2007, den Wolfgang-Weyrauch-Förderpreis 2009, den Poesiepreis des Kulturpreises der deutschen Wirtschaft 2015 und den Anke-Bennholdt-Thomsen Lyrikpreis der Deutschen Schillerstiftung von 1859 (2017). 'Dinge, die wir heute sagten' ist ihr erster Roman, für den sie mit dem Preis der Sinecure Landsdorf 2010 und 2011 mit dem Uwe Johnson-Förderpreis ausgezeichnet wurde. Für einen Auszug aus dem Roman erhielt Judith Zander 2010 den 3sat-Preis. 2010 wurde der Roman auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis nominiert.
Bibliographische Angaben
- Autor: Judith Zander
- 2010, 480 Seiten, Maße: 13,5 x 21 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: DTV
- ISBN-10: 3423247940
- ISBN-13: 9783423247948
- Erscheinungsdatum: 01.09.2010
Rezension zu „Dinge, die wir heute sagten “
»Ihre Wortgewalt, die fein zesilierten Abtönungen der die Figuren charakterisierenden Sprachfärbungen schaffen Authentizität [...].«Bücher Januar - Februar 2011
Kommentar zu "Dinge, die wir heute sagten"
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