Drachenelfen Bd.1
Roman
Menschen, Zwerge und Elfen kämpfen gegen die Vorherrschaft der Drachen über die magische Welt Nangog. In dieser dunklen Zeit muss Nandalee, eine elfische Jägerin, sich in ein Geschöpf verwandeln, dass das Schicksal der Elfen für immer verändert: eine Drachenelfe.
Leider schon ausverkauft
versandkostenfrei
Buch
17.99 €
Produktdetails
Produktinformationen zu „Drachenelfen Bd.1 “
Menschen, Zwerge und Elfen kämpfen gegen die Vorherrschaft der Drachen über die magische Welt Nangog. In dieser dunklen Zeit muss Nandalee, eine elfische Jägerin, sich in ein Geschöpf verwandeln, dass das Schicksal der Elfen für immer verändert: eine Drachenelfe.
Klappentext zu „Drachenelfen Bd.1 “
Die verbotene Welt Nangog birgt den Schlüssel zur Herrschaft über die Albenmark. Als die dämonischen Devanthar versuchen, diesen Schlüssel in ihren Besitz zu bringen, entbrennt ein grausamer Kampf um das magische Reich. In dieser Epoche voller Intrigen und Verrat wird sich das Schicksal der Elfen für immer verändern.In einer dunklen Zeit, in der Menschen, Zwerge und Elfen gegen die Vorherrschaft der Drachen über die magische Welt Nangog kämpfen, folgen drei Auserwählte ihrer Bestimmung: Artax, ein einfacher Bauer, erhält Aussehen und Gedächtnis eines unsterblichen Heerführers und führt so sein Volk für die Devanthar, dämonische und grausame Gestaltwandler, gegen die Himmelsschlangen, die mächtigen Fürsten des Drachenvolkes, in die Schlacht. Der Zwerg Galar schmiedet an einer Waffe, die die Vorherrschaft der Drachen über den Himmel für immer beenden könnte. Und Nandalee, eine elfische Jägerin, wird zur Sippenlosen, als die Himmelsschlangen sie in ihre Gewalt bringen und sie zu einer Auftragsmörderin machen. Um die Befehle ihrer geschuppten Herren ausführen zu können, muss sich Nandalee jedoch in ein Geschöpf verwandeln, das das Schicksal der Elfen für immer verändern wird - eine Drachenelfe . . .
Lese-Probe zu „Drachenelfen Bd.1 “
Drachenelfen von Bernhard HennenPROLOG
... mehr
Schillernde grüngelbe Lichtbögen zogen über den wolkenlosen Nachthimmel und woben um die alten Eichen des Waldes geheimnisvolle, unstet wandernde Schatten. Die Menschen nannten es das Anderslicht und fürchteten Nächte wie diese. In ihrem Aberglauben waren es Nächte des Unheils, in denen die Albenkinder mit ihrem geisterhaften Gefolge über den Himmel ritten.
Leise knirschte der Schnee unter Lyviannes Stiefeln. Sie mochte die Winternächte des Nordens. Sie duldeten keine Schwäche, genau wie sie. In ihrem weißen Kleid und mit dem langen schwarzen Haar, das offen über ihre Schultern fiel, verschmolz die Elfe fast mit Schnee und Schatten. Ihr Verborgenes Auge war weit geöffnet. Sie sah das magische Netz, das ihre Welt durchdrang, und spürte deutlich den nahen Albenstern, die magische Pforte, durch die sie mit wenigen Schritten in die Welt der Menschenkinder gelangen könnte.
Ihr Meister, der Goldene, eine der sieben Himmelsschlangen, hatte sie in dieser Nacht gerufen. Sie hatte sich ihm verschrieben, bis tief unter die Haut. Sie war eine Drachenelfe, eine Ausgestoßene, die selbst in der eigenen Sippe bestenfalls mit Misstrauen betrachtet wurde. Aber ihr Meister hatte sie überreich beschenkt. Er vertraute ihr und hatte ihr so viele Geheimnisse Albenmarks offenbart.
Lyvianne hielt inne und lauschte. Etwas war hier. Eine fremde Macht. Etwas, das nicht in ihre Welt gehörte. Es war vor ihr, am Ende des Weges. Es verzerrte das magische Netz. Zehrte davon.
Die Zauberweberin ging weiter. Ihr Meister wünschte, dass sie hierherkam, und jedes Zögern grenzte an Verrat. Der Waldweg öffnete sich vor ihr zu einer weiten Lichtung. Ein einzelner Felsblock erhob sich dort, gekrönt von pulsierendem magischen Licht - so hell, dass die Elfe ihr Verborgenes Auge schließen musste.
Das magische Leuchten erlosch. Was blieb, und was sie mit ihren wirklichen Augen sah, war ein flacher silberner Gegenstand auf dem Fels.
Der Schnee auf der weiten Lichtung war unberührt. Kein Waldtier wagte sich hierher. Sie spürten die fremde Macht ebenso, wie Lyvianne es tat. Vom Felsblock her wehte ihr nun eisige Kälte entgegen. Ihr Atem stand ihr in dichten weißen Dunstschwaden vor dem Mund. Unbeirrt ging sie weiter und erkannte in dem Gegenstand eine schmucklose flache Schale aus gehämmertem Silber. Sie war mit kristallklarem Wasser gefüllt, das trotz der Eiseskälte nicht gefroren war. Lyvianne schreckte davor zurück, die Schale zu berühren. Sie spürte die dunkle Macht, von der das Silber durchdrungen war, und ahnte, dass es ein Fehler gewesen war, die Schale auch nur anzuschauen. War es nur ihre Neugier oder aber ein verborgener Zauber, der sie näher herantreten ließ, Schritt um Schritt, und sie verlockte, in das klare Wasser zu blicken?
Der nahe gelegene Albenstern öffnete sich. Etwas schritt hindurch und bewegte sich auf die Lichtung zu. Lyvianne konnte es spüren, doch sie hob nicht einmal den Kopf.
Dunkle Schlieren, die an zerlaufende Tinte erinnerten, erschienen in der Schale. Ganz deutlich spürte Lyvianne, wie ein dunkler Zauber sie umfing. Die Schale wollte betrachtet werden, wollte ihr etwas zeigen, das Angst und Zweifel in ihr Herz säen würde. Sie sollte den Blick abwenden, aufblicken und sehen, wer gekommen war. Doch sie vermochte es nicht mehr.
Das grüngelbe Himmelslicht spiegelte sich auf dem Wasser. Es floss mit den dunklen Schlieren zusammen und formte Bilder. Verschwommen zunächst, doch dann, langsam, ließen sich Einzelheiten erraten. Ein bärtiger Mann mit dunklen Augen sah sie herausfordernd an. In Tunneln tief unter der Erde, in die der Tod Einzug gehalten hatte, starb ein ganzes Volk und der Himmel stand in Flammen. Riesige schwarze Schwingen füllten das Bild. Ein Drache brach aus einer Staubwolke hervor. Er war schwarz wie eine Neumondnacht und obwohl Lyvianne ihn noch nie zuvor gesehen hatte, wusste sie doch sofort, wen sie da erblickte - Nachtatem, den Erstgeschlüpften, den Ältesten unter den sieben Himmelsschlangen.
Der Drache flog um sein Leben.
Und mit jedem machtvollen Schlag seiner Schwingen zog er sie weiter in das Bild hinein. Bis sie selbst durch den flammengepeitschten Himmel floh. Bis sie verstand, dass das, was sie sah, weder Traum war noch Vision, sondern Wirklichkeit.
Mit verzweifelten Schlägen seiner mächtigen Schwingen stemmte Nachtatem sich gegen den Sog aus der Tiefe. Die Welt starb, und sie wollte ihn mit sich reißen, hinab in ihr lichtloses Grab. Felsbrocken, groß wie Türme, wirbelten durch den Himmel. Leicht wie Ascheflocken erschienen sie ihm und doch würden sie ihn zermalmen. Er winkelte die Flügel an, wollte höher steigen, um nicht an der himmelhohen Steilwand vor ihm zu zerschellen, doch noch ehe er sie erreichte, sackte sie selbst in den Abgrund. Das Getöse von berstendem Gestein und das unheimliche Heulen weit unter ihm verschlangen ihn, gemeinsam mit der Staubwolke aus zermahlenem Fels, die immer schneller in den Himmel stieg. Steinsplitter prasselten wie Hagelschlag auf seine Schuppen. Geblendet, öffnete der Drache sein Verborgenes Auge und sah, wie die Magie der Welt in einem gleißenden Feuerwerk verging. Das Goldene Netz, in das sie eingebunden war, zerriss.
Der Sog wurde stärker und er fauchte ein Wort der Macht. Sein Sturz verlangsamte sich. Weit breitete er die Flügel aus. Steinsplitter durchschlugen das zähe Leder seiner Schwingen. Er verschloss sich gegen den Schmerz, schlug kraftvoller, zorniger und kämpfte sich durch die Staubwolke dem Himmel entgegen. Glühend rot leuchtete die Sonne durch den Staub. Bald hatte er es geschafft. Ein paar Flügelschläge noch und er würde in den Himmel entkommen.
Tentakelarme peitschten die Luft, streiften ihn, griffen nach ihm, als schrien sie, er möge sie halten, retten, mit sich nehmen, hinauf in die endlose Weite. Er wich ihnen aus. Die Sonne kam näher. Sie stürzte ihm entgegen! Das Entsetzen kam wie ein Donnerschlag und lähmte ihn. Nur einen Wimpernschlag lang - zu lang. Hitze wogte durch den Staub, Tentakel schlangen sich um seine Flügel, seine Fesseln, seinen Hals. Die Sonne kam näher.
Er wollte leben!
Nachtatem schnappte nach den Fangarmen, zerriss zähes Fleisch, sammelte seine Glut und beherrschte sich doch. Ein Feuerstoß inmitten der Staubwolke mochte den Himmel rings um ihn herum in Brand setzen.
Wie ein Ertrinkender durch die Wasseroberfläche stieß er durch die Staubwolke. Keine hundert Schritt entfernt stürzte ein brennendes Schiff aus dem Himmel. Langsam sank es dem Abgrund entgegen. Der Wolkensammler, der es getragen hatte, konnte sich nicht aus der Umklammerung des Schiffes befreien. Hunderte mit Draht verstärkte Seile hielten die riesige, aufgedunsene Kreatur an das Schiff gefesselt. Seine Tentakelarme peitschten die Luft und suchten Halt, wo es keine Rettung geben konnte. Die Kreatur selbst - groß wie ein Wolkenberg und von einer Gestalt zwischen Qualle und Oktopus - fing Feuer. Ein ganzer Schwarm kleinerer Wolkensammler quoll aus einem der Flugdecks hervor. Hunderte. Und an jedem von ihnen hing zappelnd ein Menschenkind. Auch sie entgingen dem Mahlstrom des Untergangs nicht. Während der Drache langsam in den freien Himmel emporstieg, sah er, wie die kleineren Wolkensammler in den Strudel aus Staub und Fels hinabgerissen wurden - schneller noch als das große Schiff, dem sie entflohen waren.
Ein baumlanger Speer durchschlug seinen rechten Flügel. Die Wunde schmerzte nicht, doch ein großes Loch klaffte inmitten des Flügels. Er würde nun noch langsamer höher steigen. Das Wolkenschiff unter ihm war auf die Seite gekippt und das Feuer breitete sich über immer mehr Decks aus. Stichflammen aus entzündeten Gasen entwichen der sterbenden Kreatur, die das riesige Schiff so lange durch den Himmel getragen hatte. Einige der Drehtürme, in denen die Geschütze standen, hatten auf ihn eingeschwenkt. Die Menschenkinder an Bord hatten begriffen, dass sie ihrem Tod nicht mehr entfliehen konnten. Und er erkannte, dass sie ihren letzten Atemzug geben würden, um ihn mit sich in den Abgrund zu ziehen.
Ein Geschoss verfehlte ihn knapp, zwei weitere folgten. Dann war er außer Reichweite und das prächtige Schiff wurde vollends von der Staubwolke verschlungen.
Nachtatem stieg in weiten Kreisen höher. Er musste nun kaum noch mit den Flügeln schlagen. Der Aufwind trug ihn in den Himmel. Geschafft!
Kurz ließ er sich treiben, holte Atem, sammelte sich und verschloss die Ohren vor dem ungeheuerlichen Tosen, in dem die Welt versank. Tief unter ihm, inmitten des Mahlstroms aus Felsgestein, Staub und Tod, verglomm das brennende Wolkenschiff in glutrotem Licht wie eine sterbende Sonne. Erst hoch vom Himmel herab sah Nachtatem das ganze Ausmaß der Zerstörung. Der Strudel aus Fels und Staub weitete sich aus, fraß unerbittlich, was eben noch sicherer Boden gewesen war. Spalten, weit wie Täler, griffen ins Land hinaus. Am Horizont stürzte das Meer in meilenweiten silbernen Kaskaden in den Abgrund.
Die Welt verschlang sich selbst.
Der Drache wandte sich ab. Stieg weiter in den Himmel hinauf. Er wusste, dass dieses Unheil unumkehrbar war und welchen Anteil er daran hatte. Er hatte seine Macht zu zögerlich gebraucht, es anderen überlassen, seinen Kampf zu führen. Zum ersten Mal empfand er sein langes Leben als Last. Nie zuvor hatte er mitansehen müssen, wie sich ein Sieg in eine Niederlage verwandelte.
Nachtatem suchte nach einem der Albensterne, jenen magischen Pforten, die es kundigen Zauberwebern erlaubten, binnen eines Herzschlags Hunderte Meilen weit zu reisen. Ja, wer die verschlungen Pfade gut kannte, den führten sie gar in andere Welten.
Der Drache war müde. Lange flog er durch den blutroten Himmel, bis er einen Albenstern fand - weit entfernt vom Mahlstrom des Verderbens, auf einer Lichtung, bei einem dunklen Teich voller Seerosen. Hier war das Beben nicht zu spüren. Noch nicht. Ein Wort der Macht, ein Gedanke, und zwei Lichtschlangen entsprangen dem Wasser. Sie neigten sich einander zu und formten ein Tor, hinter dem ein Goldener Pfad durch die Finsternis führte. Tausende Male war er auf Pfaden wie diesem gegangen und ohne Mühe fand er den Weg zurück in sein Refugium. Jenen Jadegarten, wo tief unter einer Pyramide, alt wie die Welt, die weite Halle lag, die seine Zuflucht geworden war.
Dort rollte er sich zusammen und überließ sich seinem Schmerz. Er hatte gewusst, dass dieser Tag kommen würde. Hatte Jahrzehnte, Jahrhunderte seines Lebens damit zugebracht, darüber nachzudenken, wie er ihn hätte verhindern können. Konnte man die Zukunft verändern? Er hatte es so sehr versucht ... Jetzt wusste er nicht einmal mehr, ob es letztlich nicht sein verzweifeltes Aufbegehren gegen das Schicksal gewesen war, das den Untergang herbeigeführt hatte.
Er hörte Schritte in dem flachen Wasser, das den Boden der Halle bedeckte. Müde hob der Drache sein staubverkrustetes Haupt. Seine entschlossenste Kriegerin war gekommen. Hell leuchtete das lange weiße Gewand der Drachenelfe in der Dunkelheit. Ihr blondes Haar wallte offen über ihre Schultern. Ein Strahlen schien sie zu umgeben. Sie wirkte unbesiegbar.
Ihr kommt zu spät, dachte er.
Lyvianne spürte ihren Meister mit all ihren Sinnen, und seine Präsenz war so überwältigend, dass es ihr endlich gelang, ihren Blick von den wirbelnden Bildern in der Silberschale zu lösen. Sie roch den Drachenodem, diesen unvergleichlichen Duft, der dem Goldenen zu Eigen war. Schmeichelnd war er und berauschend zugleich, und das Herz wurde ihr weit.
Der schlangenhafte Leib ihres Meisters füllte die halbe Lichtung aus, und das Himmelslicht spiegelte sich in tanzenden grünen Reflexen auf seinen goldenen Schuppen. Wo er war, konnte es kein Dunkel geben. Das Leuchten, das ihn umgab, trank jeglichen Schatten.
Ihr habt ihn also gesehen, Lyvianne - jenen Tag, an dem die Welt vergehen wird.
Wenn er in Drachengestalt sprach, haftete seinen Worten stets ein fremder Klang an, den keine Elfenzunge nachzuahmen vermochte. Eine Melodie schwang in den Sätzen mit und gab ihnen den entwaffnenden Klang eines reinen Gefühls. Mal war es Freude, mal Zuversicht, mal Melancholie. Nun aber waren seine Worte von einer Traurigkeit durchdrungen, die ihre Seele berührte.
»Welche Welt wird untergehen, mein Meister? Ich sah ein Wolkenschiff. War es Nangog?«
Ich habe jede der drei Welten vergehen sehen, meine Dame. Daia, wo die Menschenkinder leben, das unschuldige Nangog und auch unsere Heimat, Albenmark. Die Bilder der Silberschale sind trügerisch und verheißen stets Unglück. Vertraut ihnen nicht.
»Ihr wisst, ich bin die Eure, ganz und gar. Wer muss sterben, damit diese Bilder nur ein dunkler Traum bleiben? Wer ist der Quell des Übels?«
Der Goldene lachte und sein plötzlicher Frohsinn überwältigte sie. Er lachte selten.
Glaubt Ihr wirklich, Ihr könntet verhindern, wozu der Dunkle nicht in der Lage war?
Beschämt senkte Lyvianne ihr Haupt. Wie hatte sie so vorschnell, so vermessen sein können?
Mein Nestbruder ist verblendet vom Glauben an seine Allmacht. Er sieht den Verrat nicht mehr, der ihn umgibt. Wir müssen unsere eigenen Reihen wieder schließen, bevor wir den großen Kampf beginnen können. Dazu brauche ich Euch, meine Holde. Brauche Euren Rat. Euer Urteil, das so fest in Euren Idealen begründet ist, die mir Ehrfurcht einflößen und mich zugleich zutiefst erschrecken. Es ist die Klinge eines anderen, die ein unschuldiges Herz durchbohren muss. Und Ihr, Lyvianne, werdet mir helfen, diese Klinge ins Ziel zu führen. Ihr kennt jenen, der zum Mörder werden muss, so gut wie keine andere. Nur Ihr vermögt Ihn dazu zu bringen, etwas zu tun, von dem er weiß, dass er daran zerbrechen wird. Ich selbst war es, der einen Fehler begangen hat, der zu diesem Verrat führen muss. Vor mehr als dreißig Monden schon hat das Unheil seinen Anfang genommen, als ich meinen besten Meuchler in die weite Halle unter den Basaltklippen rief.
Lyvianne sah ihn lange an, trank seinen Atem, seine Traurigkeit. Dann nannte er die Namen der beiden, über deren Schicksal er entschieden hatte, und es war, als stoße er auch ihr einen Dolch in die Brust.
AM RAND DER KLIPPE
Wenn sie ihn riefen, ging es meist um Mord. Und Gonvalon war genau in der Stimmung, jemanden zu töten. Am besten einen Zwerg. Diese Kleingeister zerstörten alles, was groß und gut war in dieser Welt, weil sie einfach nicht bereit waren, ihren Platz im Gefüge des Seins zu akzeptieren. Und es war an den Himmelsschlangen, diese Plätze zu vergeben. Sie bestimmten über das Schicksal aller, seit die Alben es aufgegeben hatten, sich um Weltliches zu kümmern. Falls die Alben etwas Derartiges jemals getan hatten. Die Himmelsschlangen waren wie Götter. Und er, Gonvalon, gehörte zu ihren Auserwählten, den wenigen, die sie unter ihre schützenden Schwingen geholt hatten. Er wusste, dass es nicht um seinetwillen geschehen war. Sie hatten in ihm etwas gesehen, und ihr Einfluss hatte ihn verändert. So wie sie alle Elfen veränderten, die sie zu sich riefen. Sie hatten sein Verborgenes Auge geöffnet und nun sah er die Welt, wie sie wirklich war. Gonvalon blickte über die weite Bucht. Nebel sickerte aus den dschungelgrünen Felsklüften der unruhigen See entgegen. Wie steinerne Wächter umstanden schroffe Klippen aus schwarzem Basalt die Meeresbucht, und Türme wucherten gleich Pilzen, denen man die Kappen abgeschlagen hatte, aus dem zerklüfteten Fels. Die Proportionen der alten Gemäuer ließen keinen Zweifel daran, dass sie nicht für Elfen geschaffen waren, aber der Ursprung der Türme war ungewiss. Selbst Trolle hätten sich unter den riesigen Torbögen klein gefühlt! Hatte es eine Zeit gegeben, in der Drachen in Türmen hausten?
Gonvalon fragte sich, wen der Goldene noch gerufen hatte. Es waren immer zwei, die er schickte. Die Drachen trieben ein hintergründiges Spiel mit ihren Auserwählten. Sie beriefen ihre Vollstrecker stets einzeln, und oft war es so, dass beide nur in Teile ihrer Mission eingeweiht waren. Das säte Misstrauen. Aber Gonvalon war zuversichtlich. Er stand schon sehr lange in Diensten des Goldenen, jener Himmelsschlange, die ihn erwählte, nachdem er seine letzte Prüfung bestanden hatte. Himmelsschlangen - oder auch Regenbogenschlangen -, so nannten sich die Ältesten unter den Drachen, die von sich behaupteten, die ersten Geschöpfe zu sein, die von den Alben erschaffen worden waren. Es war stets nur einer der alten Drachen, der die Missionen benannte, und man wusste nie, ob er sich mit seinen Brüdern einig war oder allein entschieden hatte. Gonvalon war zuversichtlich, dass ihm der bedeutendere Teil der Mission übertragen würde. Er hatte seinen Meister niemals enttäuscht! Die Regenbogenschlange, die ihn zu ihren Krallen gemacht hatte.
Der Elf blickte über die weite Bucht und fragte sich, wer ihn wohl begleiten würde. Auf irgendeinem der unzähligen Türme, die sich über den schwarzen Basalt erhoben, wartete noch jemand, so wie er es tat. Jemand, den er schon lange kannte. Sie waren nur wenige Auserwählte. Von zehn, die berufen wurden, schafften es am Ende nur ein oder zwei, in die Riege der Vertrauten aufzusteigen.
Gonvalon lächelte zynisch. Nein, Vertraute konnte man sie nicht nennen. Drachen vertrauten keinem Elfen. Sie beriefen sie lediglich zu ihren Mördern.
Es war die größte Ehre für einen Drachenelfen, hierher, auf die Klippen über der Jadebucht, gerufen zu werden. Eine Auszeichnung, auf die viele von ihnen jahrzehntelang warten mussten. Die meisten kannten diesen Ort nur aus Erzählungen.
Eine kühle Bö fegte über das Meer. Dunkle Wolken hatten ihre Schattensegel aufgespannt und trieben der Küste entgegen. Zu dieser Jahreszeit kamen sie immer zur Mittagsstunde. Gonvalon flüsterte ein Wort der Macht. Ein Wort, das nicht für Elfenzungen geschaffen schien und ihm nur schwer über die Lippen ging. Es war ihm immer noch fremd, und er artikulierte es überdeutlich. Ein Prickeln lief über seinen Körper. Er hatte gesehen, dass ein solches Wort töten konnte, wenn man einen Fehler machte. Er war Zeuge gewesen, wie Elfen sich in eine lebende Fackel verwandelt hatten oder von innen heraus zerrissen worden waren.
Das Prickeln verflog binnen eines Augenblicks. War ihm der Zauber geglückt? Manchmal dauerte es ein wenig, bis das Unheil kam. Er schauderte. Nie würde er vergessen, was er in der Höhle des Schwebenden Meisters gesehen hatte.
Gonvalon trat an den Rand der Zinnen. Seine Handflächen waren feucht, als er sich auf das kühle Mauerwerk stützte. Er versuchte an etwas anderes zu denken. Er hatte diesen Zauber wirken müssen! Er würde sich lächerlich machen, wenn er gerufen wurde und triefnass vor den Goldenen trat. Das wäre eine Schande, die er nie mehr würde tilgen können. Die Himmelsschlangen erwarteten von ihren Auserwählten, dass sie das Mysterium der Magie meisterten. Dies war die letzte Stufe der Vollkommenheit. Und nichts weniger sollten sie sein. Vollkommen!
Der Regen erreichte die Klippen und ging mit solcher Wucht nieder, als wolle er die schwarzen Türme mit sich hinab auf den Grund des Meeres reißen. Binnen eines einzigen Herzschlags schrumpfte der sichtbare Teil der Welt auf wenige Schritt.
Gonvalon atmete erleichtert aus, drehte seine Hand dicht vor den Augen und streckte sie dann triumphierend dem finsteren Himmel entgegen. Es war geglückt. Der Zauber umfing ihn wie ein unsichtbarer Kokon. Er wurde nicht nass! Andere Zauber zu weben fiel ihm leichter. War es Eitelkeit, lieber sein Leben zu riskieren, als sein Gesicht zu verlieren? War das seine Schwäche?
Er strich sich über die Stirn. Die Antwort lag auf der Hand. Es war schlicht und ergreifend dumm. Und er würde es wieder tun. Das war sein Makel. Er fühlte sich unsicher, musste sich stets beweisen. Konnte es nicht ertragen zu versagen. Nicht einmal in Kleinigkeiten.
Er sollte sich die Zeit nehmen, um in sich zu gehen, wenn dies alles vorbei war. Er musste sich darüber klar werden, ob dies ein Makel war, dem er mit kühlem Verstand beikommen konnte, oder aber ein unveränderlicher Teil seines Charakters. Allerdings war er trotz dieser Schwäche weit gekommen. War dieser Makel am Ende vielleicht das Fundament, auf dem alles, was er erreicht hatte, ruhte?
Eine Stimme berührte sein Innerstes. Sie rief ihn. Gonvalon trat zu der Treppe, über die sich das Wasser in Sturzbächen ins Innere des Turmes ergoss, und stieg mit sicheren Schritten in die Dunkelheit hinab. Bald darauf verschluckten die dicken Mauern bereits das Rauschen des Regens.
Schon beim ersten Treppenabsatz versickerte das Wasser in Abflusslöchern, die in den Steinboden gebohrt waren. Zurück blieb nur eine schwüle Hitze, die umso beklemmender wurde, je tiefer er hinabstieg.
Gonvalon gelangte in einen weiten Kuppelsaal, der unterhalb des Turms in den Fels der Klippen geschlagen war. Honigfarbenes Licht sickerte aus den Barinsteinen, die in kunstvollen Mustern ins Deckengewölbe eingelassen waren. Er hatte jenen Teil des Bauwerks erreicht, der nicht für Geschöpfe wie ihn errichtet worden war. Alles hier war zu groß, war selbst dann noch einschüchternd, wenn man die Pracht der Paläste Arkadiens kannte und die Wunder des Jadegartens gesehen hatte.
Gonvalon ging auf die Rampe zu, die zum dunklen Herzen der Basaltklippen führte. Er atmete jetzt jenen berauschenden Wohlgeruch, der so schwer in Worte zu fassen war. Der Duft erinnerte ein wenig an Sandelholz, nur dass er noch reiner war. Ohne den Hauch von Verfall und Verwesung, der jedem anderen Geruch beigemengt zu sein schien, wenn man einmal einen Drachen gerochen hatte. Vielleicht, so dachte er, war es der Hauch der Unsterblichkeit.
Gonvalon trat auf die Rampe hinaus. Sie war so breit, dass auf ihr wohl sieben Streitwagen ohne Mühe hätten nebeneinander fahren können. Der Boden war spiegelglatt und schlüpfrig unter seinen nassen Ledersohlen, poliert von den Schuppen, die sich hier hinab in den Abgrund unter den Klippen gewunden hatten.
Die Rampe wand sich in enger werdenden Spiralen abwärts, auf ein goldenes Licht am unteren Ende zu. Sie erinnerte an das Innere eines gespaltenen Schneckenhauses. Der Elf spürte die melodische Stimme seines Herrn, obwohl er sie noch nicht hören konnte. Immer, wenn sein Meister zu ihm sprach, waren all seine Sinne berührt. Die Stimme war zugleich tief in seinem Kopf und in seinem Herzen, durchdringend und ergreifend.
Allerdings konnte er die Worte nicht verstehen, denn diesmal waren sie nicht an ihn gerichtet. Jemand anderes war noch vor ihm zum Goldenen bestellt worden. Seine Gefährtin für die bevorstehende Mission? Sein Herz schlug schneller. Der Stachel der Eifersucht plagte ihn. Sonst war immer er es gewesen, der als Erster berufen worden war. Wann man einbestellt wurde, sagte aus, wie wichtig man war. Die Unbedeutendsten, die Handlanger, wurden zuletzt gerufen. War sein Stern im Begriff zu verblassen?
Mit festem Schritt folgte Gonvalon dem Lauf der Spirale dem Licht entgegen. Als er den größten Teil des Weges hinter sich hatte, verstummte die wortlose Stimme und Trauer umfing ihn. Den Regenbogenschlangen lauschen zu dürfen vermittelte das Gefühl, Teil von allem zu sein. Als sei ganz Albenmark ein gewaltiges, vollkommenes Mosaik, bei dem es auf jeden einzelnen Stein im Gefüge ankäme. Aber er wusste, dass manche Steine wichtiger waren als andere.
Zweifel nagte an ihm. Was war geschehen, dass der Goldene ihn nicht mehr zuerst berief? Waren endgültig zu viele seiner Schülerinnen gestorben? Mit wachsender Sorge eilte er weiter. Nur das Geräusch seiner Schritte auf dem schlüpfrigen Grund störte die bedrückende Stille. Gonvalon wurde schmerzlich bewusst, dass er, seit er sich den Drachen verschrieben hatte, ein Sippenloser war. Ausgestoßen aus der Gemeinschaft, in die er geboren worden war. Wer dem Ruf der Himmelsschlangen folgte, der gehörte ihnen ganz und gar.
Plötzlich hallte das Echo fremder Schritte von den Wänden wider. Beschwingter Schritte, obwohl sie gegen die Steigung ankämpften. Gonvalon rang nur kurz mit seiner Neugier, dann blickte er die Spiralwindungen der Treppe hinab. Doch das durchdringende honigfarbene Licht, das von unten heraufstrahlte, blendete ihn. Er spürte, dass der Goldene wusste, was er getan hatte. Es gab nur Weniges, was den großen Drachen verborgen blieb. Sie konnten Herzen lesen, wenn man ihnen nur nahe genug war.
Beschämt wich Gonvalon zurück. Sich so gehen zu lassen war eines Drachenelfen unwürdig. Er war zwar ein Verstoßener in seinem Volk und doch war er zugleich auch ein Auserwählter. Sein Verständnis von Albenmark übertraf das all jener, die bei ihren Sippen blieben, bei Weitem. Der Schwebende Meister hatte sein Verborgenes Auge geöffnet. Er sah jetzt die geheime Welt. Alles was lebte, ja selbst jeden Stein betrachtete er mit neuem Blick. Er war vertraut geworden mit der wilden Kraft, die allem innewohnte. Eine zerstörerische Kraft, wenn man sie nicht recht einzuschätzen wusste. Und doch zugleich auch eine Kraft, die unermessliche Freuden schenkte. Und Macht!
...
Copyright © 2011 dieser Ausgabe
by Wilhelm Heyne Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Schillernde grüngelbe Lichtbögen zogen über den wolkenlosen Nachthimmel und woben um die alten Eichen des Waldes geheimnisvolle, unstet wandernde Schatten. Die Menschen nannten es das Anderslicht und fürchteten Nächte wie diese. In ihrem Aberglauben waren es Nächte des Unheils, in denen die Albenkinder mit ihrem geisterhaften Gefolge über den Himmel ritten.
Leise knirschte der Schnee unter Lyviannes Stiefeln. Sie mochte die Winternächte des Nordens. Sie duldeten keine Schwäche, genau wie sie. In ihrem weißen Kleid und mit dem langen schwarzen Haar, das offen über ihre Schultern fiel, verschmolz die Elfe fast mit Schnee und Schatten. Ihr Verborgenes Auge war weit geöffnet. Sie sah das magische Netz, das ihre Welt durchdrang, und spürte deutlich den nahen Albenstern, die magische Pforte, durch die sie mit wenigen Schritten in die Welt der Menschenkinder gelangen könnte.
Ihr Meister, der Goldene, eine der sieben Himmelsschlangen, hatte sie in dieser Nacht gerufen. Sie hatte sich ihm verschrieben, bis tief unter die Haut. Sie war eine Drachenelfe, eine Ausgestoßene, die selbst in der eigenen Sippe bestenfalls mit Misstrauen betrachtet wurde. Aber ihr Meister hatte sie überreich beschenkt. Er vertraute ihr und hatte ihr so viele Geheimnisse Albenmarks offenbart.
Lyvianne hielt inne und lauschte. Etwas war hier. Eine fremde Macht. Etwas, das nicht in ihre Welt gehörte. Es war vor ihr, am Ende des Weges. Es verzerrte das magische Netz. Zehrte davon.
Die Zauberweberin ging weiter. Ihr Meister wünschte, dass sie hierherkam, und jedes Zögern grenzte an Verrat. Der Waldweg öffnete sich vor ihr zu einer weiten Lichtung. Ein einzelner Felsblock erhob sich dort, gekrönt von pulsierendem magischen Licht - so hell, dass die Elfe ihr Verborgenes Auge schließen musste.
Das magische Leuchten erlosch. Was blieb, und was sie mit ihren wirklichen Augen sah, war ein flacher silberner Gegenstand auf dem Fels.
Der Schnee auf der weiten Lichtung war unberührt. Kein Waldtier wagte sich hierher. Sie spürten die fremde Macht ebenso, wie Lyvianne es tat. Vom Felsblock her wehte ihr nun eisige Kälte entgegen. Ihr Atem stand ihr in dichten weißen Dunstschwaden vor dem Mund. Unbeirrt ging sie weiter und erkannte in dem Gegenstand eine schmucklose flache Schale aus gehämmertem Silber. Sie war mit kristallklarem Wasser gefüllt, das trotz der Eiseskälte nicht gefroren war. Lyvianne schreckte davor zurück, die Schale zu berühren. Sie spürte die dunkle Macht, von der das Silber durchdrungen war, und ahnte, dass es ein Fehler gewesen war, die Schale auch nur anzuschauen. War es nur ihre Neugier oder aber ein verborgener Zauber, der sie näher herantreten ließ, Schritt um Schritt, und sie verlockte, in das klare Wasser zu blicken?
Der nahe gelegene Albenstern öffnete sich. Etwas schritt hindurch und bewegte sich auf die Lichtung zu. Lyvianne konnte es spüren, doch sie hob nicht einmal den Kopf.
Dunkle Schlieren, die an zerlaufende Tinte erinnerten, erschienen in der Schale. Ganz deutlich spürte Lyvianne, wie ein dunkler Zauber sie umfing. Die Schale wollte betrachtet werden, wollte ihr etwas zeigen, das Angst und Zweifel in ihr Herz säen würde. Sie sollte den Blick abwenden, aufblicken und sehen, wer gekommen war. Doch sie vermochte es nicht mehr.
Das grüngelbe Himmelslicht spiegelte sich auf dem Wasser. Es floss mit den dunklen Schlieren zusammen und formte Bilder. Verschwommen zunächst, doch dann, langsam, ließen sich Einzelheiten erraten. Ein bärtiger Mann mit dunklen Augen sah sie herausfordernd an. In Tunneln tief unter der Erde, in die der Tod Einzug gehalten hatte, starb ein ganzes Volk und der Himmel stand in Flammen. Riesige schwarze Schwingen füllten das Bild. Ein Drache brach aus einer Staubwolke hervor. Er war schwarz wie eine Neumondnacht und obwohl Lyvianne ihn noch nie zuvor gesehen hatte, wusste sie doch sofort, wen sie da erblickte - Nachtatem, den Erstgeschlüpften, den Ältesten unter den sieben Himmelsschlangen.
Der Drache flog um sein Leben.
Und mit jedem machtvollen Schlag seiner Schwingen zog er sie weiter in das Bild hinein. Bis sie selbst durch den flammengepeitschten Himmel floh. Bis sie verstand, dass das, was sie sah, weder Traum war noch Vision, sondern Wirklichkeit.
Mit verzweifelten Schlägen seiner mächtigen Schwingen stemmte Nachtatem sich gegen den Sog aus der Tiefe. Die Welt starb, und sie wollte ihn mit sich reißen, hinab in ihr lichtloses Grab. Felsbrocken, groß wie Türme, wirbelten durch den Himmel. Leicht wie Ascheflocken erschienen sie ihm und doch würden sie ihn zermalmen. Er winkelte die Flügel an, wollte höher steigen, um nicht an der himmelhohen Steilwand vor ihm zu zerschellen, doch noch ehe er sie erreichte, sackte sie selbst in den Abgrund. Das Getöse von berstendem Gestein und das unheimliche Heulen weit unter ihm verschlangen ihn, gemeinsam mit der Staubwolke aus zermahlenem Fels, die immer schneller in den Himmel stieg. Steinsplitter prasselten wie Hagelschlag auf seine Schuppen. Geblendet, öffnete der Drache sein Verborgenes Auge und sah, wie die Magie der Welt in einem gleißenden Feuerwerk verging. Das Goldene Netz, in das sie eingebunden war, zerriss.
Der Sog wurde stärker und er fauchte ein Wort der Macht. Sein Sturz verlangsamte sich. Weit breitete er die Flügel aus. Steinsplitter durchschlugen das zähe Leder seiner Schwingen. Er verschloss sich gegen den Schmerz, schlug kraftvoller, zorniger und kämpfte sich durch die Staubwolke dem Himmel entgegen. Glühend rot leuchtete die Sonne durch den Staub. Bald hatte er es geschafft. Ein paar Flügelschläge noch und er würde in den Himmel entkommen.
Tentakelarme peitschten die Luft, streiften ihn, griffen nach ihm, als schrien sie, er möge sie halten, retten, mit sich nehmen, hinauf in die endlose Weite. Er wich ihnen aus. Die Sonne kam näher. Sie stürzte ihm entgegen! Das Entsetzen kam wie ein Donnerschlag und lähmte ihn. Nur einen Wimpernschlag lang - zu lang. Hitze wogte durch den Staub, Tentakel schlangen sich um seine Flügel, seine Fesseln, seinen Hals. Die Sonne kam näher.
Er wollte leben!
Nachtatem schnappte nach den Fangarmen, zerriss zähes Fleisch, sammelte seine Glut und beherrschte sich doch. Ein Feuerstoß inmitten der Staubwolke mochte den Himmel rings um ihn herum in Brand setzen.
Wie ein Ertrinkender durch die Wasseroberfläche stieß er durch die Staubwolke. Keine hundert Schritt entfernt stürzte ein brennendes Schiff aus dem Himmel. Langsam sank es dem Abgrund entgegen. Der Wolkensammler, der es getragen hatte, konnte sich nicht aus der Umklammerung des Schiffes befreien. Hunderte mit Draht verstärkte Seile hielten die riesige, aufgedunsene Kreatur an das Schiff gefesselt. Seine Tentakelarme peitschten die Luft und suchten Halt, wo es keine Rettung geben konnte. Die Kreatur selbst - groß wie ein Wolkenberg und von einer Gestalt zwischen Qualle und Oktopus - fing Feuer. Ein ganzer Schwarm kleinerer Wolkensammler quoll aus einem der Flugdecks hervor. Hunderte. Und an jedem von ihnen hing zappelnd ein Menschenkind. Auch sie entgingen dem Mahlstrom des Untergangs nicht. Während der Drache langsam in den freien Himmel emporstieg, sah er, wie die kleineren Wolkensammler in den Strudel aus Staub und Fels hinabgerissen wurden - schneller noch als das große Schiff, dem sie entflohen waren.
Ein baumlanger Speer durchschlug seinen rechten Flügel. Die Wunde schmerzte nicht, doch ein großes Loch klaffte inmitten des Flügels. Er würde nun noch langsamer höher steigen. Das Wolkenschiff unter ihm war auf die Seite gekippt und das Feuer breitete sich über immer mehr Decks aus. Stichflammen aus entzündeten Gasen entwichen der sterbenden Kreatur, die das riesige Schiff so lange durch den Himmel getragen hatte. Einige der Drehtürme, in denen die Geschütze standen, hatten auf ihn eingeschwenkt. Die Menschenkinder an Bord hatten begriffen, dass sie ihrem Tod nicht mehr entfliehen konnten. Und er erkannte, dass sie ihren letzten Atemzug geben würden, um ihn mit sich in den Abgrund zu ziehen.
Ein Geschoss verfehlte ihn knapp, zwei weitere folgten. Dann war er außer Reichweite und das prächtige Schiff wurde vollends von der Staubwolke verschlungen.
Nachtatem stieg in weiten Kreisen höher. Er musste nun kaum noch mit den Flügeln schlagen. Der Aufwind trug ihn in den Himmel. Geschafft!
Kurz ließ er sich treiben, holte Atem, sammelte sich und verschloss die Ohren vor dem ungeheuerlichen Tosen, in dem die Welt versank. Tief unter ihm, inmitten des Mahlstroms aus Felsgestein, Staub und Tod, verglomm das brennende Wolkenschiff in glutrotem Licht wie eine sterbende Sonne. Erst hoch vom Himmel herab sah Nachtatem das ganze Ausmaß der Zerstörung. Der Strudel aus Fels und Staub weitete sich aus, fraß unerbittlich, was eben noch sicherer Boden gewesen war. Spalten, weit wie Täler, griffen ins Land hinaus. Am Horizont stürzte das Meer in meilenweiten silbernen Kaskaden in den Abgrund.
Die Welt verschlang sich selbst.
Der Drache wandte sich ab. Stieg weiter in den Himmel hinauf. Er wusste, dass dieses Unheil unumkehrbar war und welchen Anteil er daran hatte. Er hatte seine Macht zu zögerlich gebraucht, es anderen überlassen, seinen Kampf zu führen. Zum ersten Mal empfand er sein langes Leben als Last. Nie zuvor hatte er mitansehen müssen, wie sich ein Sieg in eine Niederlage verwandelte.
Nachtatem suchte nach einem der Albensterne, jenen magischen Pforten, die es kundigen Zauberwebern erlaubten, binnen eines Herzschlags Hunderte Meilen weit zu reisen. Ja, wer die verschlungen Pfade gut kannte, den führten sie gar in andere Welten.
Der Drache war müde. Lange flog er durch den blutroten Himmel, bis er einen Albenstern fand - weit entfernt vom Mahlstrom des Verderbens, auf einer Lichtung, bei einem dunklen Teich voller Seerosen. Hier war das Beben nicht zu spüren. Noch nicht. Ein Wort der Macht, ein Gedanke, und zwei Lichtschlangen entsprangen dem Wasser. Sie neigten sich einander zu und formten ein Tor, hinter dem ein Goldener Pfad durch die Finsternis führte. Tausende Male war er auf Pfaden wie diesem gegangen und ohne Mühe fand er den Weg zurück in sein Refugium. Jenen Jadegarten, wo tief unter einer Pyramide, alt wie die Welt, die weite Halle lag, die seine Zuflucht geworden war.
Dort rollte er sich zusammen und überließ sich seinem Schmerz. Er hatte gewusst, dass dieser Tag kommen würde. Hatte Jahrzehnte, Jahrhunderte seines Lebens damit zugebracht, darüber nachzudenken, wie er ihn hätte verhindern können. Konnte man die Zukunft verändern? Er hatte es so sehr versucht ... Jetzt wusste er nicht einmal mehr, ob es letztlich nicht sein verzweifeltes Aufbegehren gegen das Schicksal gewesen war, das den Untergang herbeigeführt hatte.
Er hörte Schritte in dem flachen Wasser, das den Boden der Halle bedeckte. Müde hob der Drache sein staubverkrustetes Haupt. Seine entschlossenste Kriegerin war gekommen. Hell leuchtete das lange weiße Gewand der Drachenelfe in der Dunkelheit. Ihr blondes Haar wallte offen über ihre Schultern. Ein Strahlen schien sie zu umgeben. Sie wirkte unbesiegbar.
Ihr kommt zu spät, dachte er.
Lyvianne spürte ihren Meister mit all ihren Sinnen, und seine Präsenz war so überwältigend, dass es ihr endlich gelang, ihren Blick von den wirbelnden Bildern in der Silberschale zu lösen. Sie roch den Drachenodem, diesen unvergleichlichen Duft, der dem Goldenen zu Eigen war. Schmeichelnd war er und berauschend zugleich, und das Herz wurde ihr weit.
Der schlangenhafte Leib ihres Meisters füllte die halbe Lichtung aus, und das Himmelslicht spiegelte sich in tanzenden grünen Reflexen auf seinen goldenen Schuppen. Wo er war, konnte es kein Dunkel geben. Das Leuchten, das ihn umgab, trank jeglichen Schatten.
Ihr habt ihn also gesehen, Lyvianne - jenen Tag, an dem die Welt vergehen wird.
Wenn er in Drachengestalt sprach, haftete seinen Worten stets ein fremder Klang an, den keine Elfenzunge nachzuahmen vermochte. Eine Melodie schwang in den Sätzen mit und gab ihnen den entwaffnenden Klang eines reinen Gefühls. Mal war es Freude, mal Zuversicht, mal Melancholie. Nun aber waren seine Worte von einer Traurigkeit durchdrungen, die ihre Seele berührte.
»Welche Welt wird untergehen, mein Meister? Ich sah ein Wolkenschiff. War es Nangog?«
Ich habe jede der drei Welten vergehen sehen, meine Dame. Daia, wo die Menschenkinder leben, das unschuldige Nangog und auch unsere Heimat, Albenmark. Die Bilder der Silberschale sind trügerisch und verheißen stets Unglück. Vertraut ihnen nicht.
»Ihr wisst, ich bin die Eure, ganz und gar. Wer muss sterben, damit diese Bilder nur ein dunkler Traum bleiben? Wer ist der Quell des Übels?«
Der Goldene lachte und sein plötzlicher Frohsinn überwältigte sie. Er lachte selten.
Glaubt Ihr wirklich, Ihr könntet verhindern, wozu der Dunkle nicht in der Lage war?
Beschämt senkte Lyvianne ihr Haupt. Wie hatte sie so vorschnell, so vermessen sein können?
Mein Nestbruder ist verblendet vom Glauben an seine Allmacht. Er sieht den Verrat nicht mehr, der ihn umgibt. Wir müssen unsere eigenen Reihen wieder schließen, bevor wir den großen Kampf beginnen können. Dazu brauche ich Euch, meine Holde. Brauche Euren Rat. Euer Urteil, das so fest in Euren Idealen begründet ist, die mir Ehrfurcht einflößen und mich zugleich zutiefst erschrecken. Es ist die Klinge eines anderen, die ein unschuldiges Herz durchbohren muss. Und Ihr, Lyvianne, werdet mir helfen, diese Klinge ins Ziel zu führen. Ihr kennt jenen, der zum Mörder werden muss, so gut wie keine andere. Nur Ihr vermögt Ihn dazu zu bringen, etwas zu tun, von dem er weiß, dass er daran zerbrechen wird. Ich selbst war es, der einen Fehler begangen hat, der zu diesem Verrat führen muss. Vor mehr als dreißig Monden schon hat das Unheil seinen Anfang genommen, als ich meinen besten Meuchler in die weite Halle unter den Basaltklippen rief.
Lyvianne sah ihn lange an, trank seinen Atem, seine Traurigkeit. Dann nannte er die Namen der beiden, über deren Schicksal er entschieden hatte, und es war, als stoße er auch ihr einen Dolch in die Brust.
AM RAND DER KLIPPE
Wenn sie ihn riefen, ging es meist um Mord. Und Gonvalon war genau in der Stimmung, jemanden zu töten. Am besten einen Zwerg. Diese Kleingeister zerstörten alles, was groß und gut war in dieser Welt, weil sie einfach nicht bereit waren, ihren Platz im Gefüge des Seins zu akzeptieren. Und es war an den Himmelsschlangen, diese Plätze zu vergeben. Sie bestimmten über das Schicksal aller, seit die Alben es aufgegeben hatten, sich um Weltliches zu kümmern. Falls die Alben etwas Derartiges jemals getan hatten. Die Himmelsschlangen waren wie Götter. Und er, Gonvalon, gehörte zu ihren Auserwählten, den wenigen, die sie unter ihre schützenden Schwingen geholt hatten. Er wusste, dass es nicht um seinetwillen geschehen war. Sie hatten in ihm etwas gesehen, und ihr Einfluss hatte ihn verändert. So wie sie alle Elfen veränderten, die sie zu sich riefen. Sie hatten sein Verborgenes Auge geöffnet und nun sah er die Welt, wie sie wirklich war. Gonvalon blickte über die weite Bucht. Nebel sickerte aus den dschungelgrünen Felsklüften der unruhigen See entgegen. Wie steinerne Wächter umstanden schroffe Klippen aus schwarzem Basalt die Meeresbucht, und Türme wucherten gleich Pilzen, denen man die Kappen abgeschlagen hatte, aus dem zerklüfteten Fels. Die Proportionen der alten Gemäuer ließen keinen Zweifel daran, dass sie nicht für Elfen geschaffen waren, aber der Ursprung der Türme war ungewiss. Selbst Trolle hätten sich unter den riesigen Torbögen klein gefühlt! Hatte es eine Zeit gegeben, in der Drachen in Türmen hausten?
Gonvalon fragte sich, wen der Goldene noch gerufen hatte. Es waren immer zwei, die er schickte. Die Drachen trieben ein hintergründiges Spiel mit ihren Auserwählten. Sie beriefen ihre Vollstrecker stets einzeln, und oft war es so, dass beide nur in Teile ihrer Mission eingeweiht waren. Das säte Misstrauen. Aber Gonvalon war zuversichtlich. Er stand schon sehr lange in Diensten des Goldenen, jener Himmelsschlange, die ihn erwählte, nachdem er seine letzte Prüfung bestanden hatte. Himmelsschlangen - oder auch Regenbogenschlangen -, so nannten sich die Ältesten unter den Drachen, die von sich behaupteten, die ersten Geschöpfe zu sein, die von den Alben erschaffen worden waren. Es war stets nur einer der alten Drachen, der die Missionen benannte, und man wusste nie, ob er sich mit seinen Brüdern einig war oder allein entschieden hatte. Gonvalon war zuversichtlich, dass ihm der bedeutendere Teil der Mission übertragen würde. Er hatte seinen Meister niemals enttäuscht! Die Regenbogenschlange, die ihn zu ihren Krallen gemacht hatte.
Der Elf blickte über die weite Bucht und fragte sich, wer ihn wohl begleiten würde. Auf irgendeinem der unzähligen Türme, die sich über den schwarzen Basalt erhoben, wartete noch jemand, so wie er es tat. Jemand, den er schon lange kannte. Sie waren nur wenige Auserwählte. Von zehn, die berufen wurden, schafften es am Ende nur ein oder zwei, in die Riege der Vertrauten aufzusteigen.
Gonvalon lächelte zynisch. Nein, Vertraute konnte man sie nicht nennen. Drachen vertrauten keinem Elfen. Sie beriefen sie lediglich zu ihren Mördern.
Es war die größte Ehre für einen Drachenelfen, hierher, auf die Klippen über der Jadebucht, gerufen zu werden. Eine Auszeichnung, auf die viele von ihnen jahrzehntelang warten mussten. Die meisten kannten diesen Ort nur aus Erzählungen.
Eine kühle Bö fegte über das Meer. Dunkle Wolken hatten ihre Schattensegel aufgespannt und trieben der Küste entgegen. Zu dieser Jahreszeit kamen sie immer zur Mittagsstunde. Gonvalon flüsterte ein Wort der Macht. Ein Wort, das nicht für Elfenzungen geschaffen schien und ihm nur schwer über die Lippen ging. Es war ihm immer noch fremd, und er artikulierte es überdeutlich. Ein Prickeln lief über seinen Körper. Er hatte gesehen, dass ein solches Wort töten konnte, wenn man einen Fehler machte. Er war Zeuge gewesen, wie Elfen sich in eine lebende Fackel verwandelt hatten oder von innen heraus zerrissen worden waren.
Das Prickeln verflog binnen eines Augenblicks. War ihm der Zauber geglückt? Manchmal dauerte es ein wenig, bis das Unheil kam. Er schauderte. Nie würde er vergessen, was er in der Höhle des Schwebenden Meisters gesehen hatte.
Gonvalon trat an den Rand der Zinnen. Seine Handflächen waren feucht, als er sich auf das kühle Mauerwerk stützte. Er versuchte an etwas anderes zu denken. Er hatte diesen Zauber wirken müssen! Er würde sich lächerlich machen, wenn er gerufen wurde und triefnass vor den Goldenen trat. Das wäre eine Schande, die er nie mehr würde tilgen können. Die Himmelsschlangen erwarteten von ihren Auserwählten, dass sie das Mysterium der Magie meisterten. Dies war die letzte Stufe der Vollkommenheit. Und nichts weniger sollten sie sein. Vollkommen!
Der Regen erreichte die Klippen und ging mit solcher Wucht nieder, als wolle er die schwarzen Türme mit sich hinab auf den Grund des Meeres reißen. Binnen eines einzigen Herzschlags schrumpfte der sichtbare Teil der Welt auf wenige Schritt.
Gonvalon atmete erleichtert aus, drehte seine Hand dicht vor den Augen und streckte sie dann triumphierend dem finsteren Himmel entgegen. Es war geglückt. Der Zauber umfing ihn wie ein unsichtbarer Kokon. Er wurde nicht nass! Andere Zauber zu weben fiel ihm leichter. War es Eitelkeit, lieber sein Leben zu riskieren, als sein Gesicht zu verlieren? War das seine Schwäche?
Er strich sich über die Stirn. Die Antwort lag auf der Hand. Es war schlicht und ergreifend dumm. Und er würde es wieder tun. Das war sein Makel. Er fühlte sich unsicher, musste sich stets beweisen. Konnte es nicht ertragen zu versagen. Nicht einmal in Kleinigkeiten.
Er sollte sich die Zeit nehmen, um in sich zu gehen, wenn dies alles vorbei war. Er musste sich darüber klar werden, ob dies ein Makel war, dem er mit kühlem Verstand beikommen konnte, oder aber ein unveränderlicher Teil seines Charakters. Allerdings war er trotz dieser Schwäche weit gekommen. War dieser Makel am Ende vielleicht das Fundament, auf dem alles, was er erreicht hatte, ruhte?
Eine Stimme berührte sein Innerstes. Sie rief ihn. Gonvalon trat zu der Treppe, über die sich das Wasser in Sturzbächen ins Innere des Turmes ergoss, und stieg mit sicheren Schritten in die Dunkelheit hinab. Bald darauf verschluckten die dicken Mauern bereits das Rauschen des Regens.
Schon beim ersten Treppenabsatz versickerte das Wasser in Abflusslöchern, die in den Steinboden gebohrt waren. Zurück blieb nur eine schwüle Hitze, die umso beklemmender wurde, je tiefer er hinabstieg.
Gonvalon gelangte in einen weiten Kuppelsaal, der unterhalb des Turms in den Fels der Klippen geschlagen war. Honigfarbenes Licht sickerte aus den Barinsteinen, die in kunstvollen Mustern ins Deckengewölbe eingelassen waren. Er hatte jenen Teil des Bauwerks erreicht, der nicht für Geschöpfe wie ihn errichtet worden war. Alles hier war zu groß, war selbst dann noch einschüchternd, wenn man die Pracht der Paläste Arkadiens kannte und die Wunder des Jadegartens gesehen hatte.
Gonvalon ging auf die Rampe zu, die zum dunklen Herzen der Basaltklippen führte. Er atmete jetzt jenen berauschenden Wohlgeruch, der so schwer in Worte zu fassen war. Der Duft erinnerte ein wenig an Sandelholz, nur dass er noch reiner war. Ohne den Hauch von Verfall und Verwesung, der jedem anderen Geruch beigemengt zu sein schien, wenn man einmal einen Drachen gerochen hatte. Vielleicht, so dachte er, war es der Hauch der Unsterblichkeit.
Gonvalon trat auf die Rampe hinaus. Sie war so breit, dass auf ihr wohl sieben Streitwagen ohne Mühe hätten nebeneinander fahren können. Der Boden war spiegelglatt und schlüpfrig unter seinen nassen Ledersohlen, poliert von den Schuppen, die sich hier hinab in den Abgrund unter den Klippen gewunden hatten.
Die Rampe wand sich in enger werdenden Spiralen abwärts, auf ein goldenes Licht am unteren Ende zu. Sie erinnerte an das Innere eines gespaltenen Schneckenhauses. Der Elf spürte die melodische Stimme seines Herrn, obwohl er sie noch nicht hören konnte. Immer, wenn sein Meister zu ihm sprach, waren all seine Sinne berührt. Die Stimme war zugleich tief in seinem Kopf und in seinem Herzen, durchdringend und ergreifend.
Allerdings konnte er die Worte nicht verstehen, denn diesmal waren sie nicht an ihn gerichtet. Jemand anderes war noch vor ihm zum Goldenen bestellt worden. Seine Gefährtin für die bevorstehende Mission? Sein Herz schlug schneller. Der Stachel der Eifersucht plagte ihn. Sonst war immer er es gewesen, der als Erster berufen worden war. Wann man einbestellt wurde, sagte aus, wie wichtig man war. Die Unbedeutendsten, die Handlanger, wurden zuletzt gerufen. War sein Stern im Begriff zu verblassen?
Mit festem Schritt folgte Gonvalon dem Lauf der Spirale dem Licht entgegen. Als er den größten Teil des Weges hinter sich hatte, verstummte die wortlose Stimme und Trauer umfing ihn. Den Regenbogenschlangen lauschen zu dürfen vermittelte das Gefühl, Teil von allem zu sein. Als sei ganz Albenmark ein gewaltiges, vollkommenes Mosaik, bei dem es auf jeden einzelnen Stein im Gefüge ankäme. Aber er wusste, dass manche Steine wichtiger waren als andere.
Zweifel nagte an ihm. Was war geschehen, dass der Goldene ihn nicht mehr zuerst berief? Waren endgültig zu viele seiner Schülerinnen gestorben? Mit wachsender Sorge eilte er weiter. Nur das Geräusch seiner Schritte auf dem schlüpfrigen Grund störte die bedrückende Stille. Gonvalon wurde schmerzlich bewusst, dass er, seit er sich den Drachen verschrieben hatte, ein Sippenloser war. Ausgestoßen aus der Gemeinschaft, in die er geboren worden war. Wer dem Ruf der Himmelsschlangen folgte, der gehörte ihnen ganz und gar.
Plötzlich hallte das Echo fremder Schritte von den Wänden wider. Beschwingter Schritte, obwohl sie gegen die Steigung ankämpften. Gonvalon rang nur kurz mit seiner Neugier, dann blickte er die Spiralwindungen der Treppe hinab. Doch das durchdringende honigfarbene Licht, das von unten heraufstrahlte, blendete ihn. Er spürte, dass der Goldene wusste, was er getan hatte. Es gab nur Weniges, was den großen Drachen verborgen blieb. Sie konnten Herzen lesen, wenn man ihnen nur nahe genug war.
Beschämt wich Gonvalon zurück. Sich so gehen zu lassen war eines Drachenelfen unwürdig. Er war zwar ein Verstoßener in seinem Volk und doch war er zugleich auch ein Auserwählter. Sein Verständnis von Albenmark übertraf das all jener, die bei ihren Sippen blieben, bei Weitem. Der Schwebende Meister hatte sein Verborgenes Auge geöffnet. Er sah jetzt die geheime Welt. Alles was lebte, ja selbst jeden Stein betrachtete er mit neuem Blick. Er war vertraut geworden mit der wilden Kraft, die allem innewohnte. Eine zerstörerische Kraft, wenn man sie nicht recht einzuschätzen wusste. Und doch zugleich auch eine Kraft, die unermessliche Freuden schenkte. Und Macht!
...
Copyright © 2011 dieser Ausgabe
by Wilhelm Heyne Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
... weniger
Autoren-Porträt von Bernhard Hennen
Bernhard Hennen, 1966 geboren, studierte Germanistik, Geschichte und Vorderasiatische Altertumskunde. Mit seiner »Elfen«-Saga stürmte er alle Bestsellerlisten und schrieb sich an die Spitze der deutschen Fantasy-Autoren. Bernhard Hennen lebt mit seiner Familie in Krefeld.
Bibliographische Angaben
- Autor: Bernhard Hennen
- 2011, 1068 Seiten, Maße: 13,7 x 20,5 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Verlag: Heyne
- ISBN-10: 3453266587
- ISBN-13: 9783453266582
- Erscheinungsdatum: 03.10.2011
Rezension zu „Drachenelfen Bd.1 “
"Bernhard Hennen fasziniert mit seinen Fantasy-Romanen Millionen."
Kommentare zu "Drachenelfen Bd.1"
0 Gebrauchte Artikel zu „Drachenelfen Bd.1“
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
---|
4 von 5 Sternen
5 Sterne 0Schreiben Sie einen Kommentar zu "Drachenelfen Bd.1".
Kommentar verfassen