Draußen nur Kännchen
Meine deutschen Fundstücke
Asfa-Wossen Asserate zeichnet ein Porträt seiner deutschen Wahlheimat, ihrer Bewohner und ihrer Eigenheiten - ganz persönlich und aus vielen überraschenden Blickwinkeln, in unterhaltsamen Anekdoten und Ausflügen in die Geschichte. Seine Sichtweise ist...
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Produktinformationen zu „Draußen nur Kännchen “
Klappentext zu „Draußen nur Kännchen “
Asfa-Wossen Asserate zeichnet ein Porträt seiner deutschen Wahlheimat, ihrer Bewohner und ihrer Eigenheiten - ganz persönlich und aus vielen überraschenden Blickwinkeln, in unterhaltsamen Anekdoten und Ausflügen in die Geschichte. Seine Sichtweise ist keineswegs unkritisch, aber immer wohlwollend. Mit Nachsicht blickt er auf unsere Schwächen, stolz unterstreicht er Stärken, und aus jeder Zeile spricht seine Zuneigung zu diesem Land, das er in der Zeit seines Exils kennen und schätzen gelernt hat. »Draußen nur Kännchen« ist eine Hommage an Deutschland aus der Sicht eines »Zugereisten«, der hier Wurzeln geschlagen hat.
Lese-Probe zu „Draußen nur Kännchen “
Draußen nur Kännchen von Asfa-Wossen Asserate My Favourite Kraut
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Seitdem die Menschheit in Nationen zerfallen ist, existieren in den verschiedenen Ländern mehr oder weniger ernstgemeinte Spottnamen für die Angehörigen der jeweils anderen Völker, für die weit entfernten und die in der Nachbarschaft. Die Deutschen sind mit einem reichhaltigen Schatz derartiger Bezeichnungen bedacht worden - die wechselvolle Geschichte Deutschlands und der nicht immer friedvolle Umgang mit den Nachbarn mögen dazu das ihre beigetragen haben. In vielen Fällen liegen Bedeutung und Herkunft dieser Spott- und Schimpfnamen auf der Hand, bisweilen sind deren Ursprünge aber auch schillernd und recht geheimnisvoll. Ein ganzer Forschungszweig der Ethnologie beschäftigt sich heute mit solchen Ethnophaulismen, wie sie im Jargon der Experten genannt werden.
In Frankreich ist seit der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts für die Deutschen der Begriff Boche gebräuchlich, der sich von la boche, die Holzkugel, ableitet - und mithin dem Nachbarn im Osten eine gewisse Holzköpfigkeit attestiert. Im Niederländischen war bereits im siebzehnten Jahrhundert die Bezeichnung Mof bekannt, zunächst nur auf die Ostfriesen und Emsländer gemünzt, später auf die Deutschen allgemein übertragen. Das Wort wurde seinerseits aus dem Deutschen importiert, es leitet sich von muffi g ab, womit man auch damals schon einen Nörgler und Griesgram bezeichnete. Als im goldenen holländischen Zeitalter in großer Zahl deutsche Handwerker als Gastarbeiter nach Holland kamen, hatte man für sie den Namen Hans Mof parat. Ein ganzes Füllhorn von despektierlichen Bezeichnungen für die Deutschen hält die polnische Sprache bereit, von denen Szwab, polnisch für Schwabe, und Szkop, wahlweise abgeleitet vom polnischen Wort für Schafsbock oder Holzfaß, die populärsten sind. In Österreich war es ein preußischer Kapellmeister und Komponist, der dem bis heute populärsten Spottnamen für die Deutschen, wenn auch nicht freiwillig, seinen Namen lieh. Noch auf dem Schlachtfeld von Königgrätz soll Johann Gottfried Piefke unter dem frischen Eindruck der fl üchtenden Truppen der k.u.k.-Armee seinen Königgrätzer Marsch zu Papier gebracht haben. Beim Einzug der siegreichen preußischen Armee in Wien marschierte der preußisch-königliche Musikdirektor dann mit seinem Bruder an der Spitze, was die Wiener zu dem Ausruf »Die Piefkes kommen!« veranlaßt haben soll.
Von Churchill ist der berühmte Satz überliefert, daß man nie wisse, woran man mit »den Hunnen« sei: »Wenn sie einem nicht an die Kehle wollen, dann liegen sie einem zu Füßen.« Für den Begriff huns, der in Großbritannien während des Ersten Weltkriegs zur Bezeichnung der Deutschen populär wurde, stand Wilhelm II. höchstpersönlich Pate: Im Sommer 1900 hatte der Kaiser in Bremerhaven das Ostasiatische Expeditionskorps zur Niederschlagung des chinesischen Boxeraufstands mit den Worten verabschiedet: »Wie vor tausend Jahren die Hunnen unter ihrem König Etzel sich einen Namen gemacht, der sie noch jetzt in der Überlieferung gewaltig erscheinen läßt, so möge der Name Deutschland in China in einer solchen Weise bestätigt werden, daß niemals wieder ein Chinese es wagt, einen Deutschen auch nur scheel anzusehen.« Etwas später gesellte sich zu den huns ein weiterer englischer Spottname, diesmal aus dem Bereich des Kulinarischen. Die Bezeichnung krauts ist bis heute auf den Britischen Inseln recht populär - auch wenn das Sauerkraut, wie wir heute wissen, in Wahrheit eine mongolische Erfindung ist und überdies seit geraumer Zeit in Frankreich weitaus beliebter als in Deutschland. Wie schnell man in England bisweilen mit dem Wort kraut bei der Hand war, erfuhr ich Anfang der siebziger Jahre am eigenen Leib. Als ich nach zwei prägenden Jahren in Tübingen nach Cambridge kam, um dort mein Studium fortzusetzen, geriet ich schnell in den Verdacht, allzu germanophil zu sein. Es war Reresby Sitwell, ein elterlicher Freund aus der berühmten Sitwell-Familie, der mich mit dem Spitznamen My Favourite Kraut bedachte, mit durchschlagendem Erfolg übrigens: Noch heute höre ich diese scherzhafte Bezeichnung gelegentlich aus dem Mund einiger englischer Freunde. Immerhin, so tröste ich mich, werde ich nicht My Favourite Hun genannt!
Stets war man sich in Großbritannien seiner besonderen Insellage bewußt, und bis heute veranlaßt die Splendid Isolation nicht wenige, mit einer gewissen Herablassung auf Kontinentaleuropa zu sehen. Nicht ohne Grund: Welche andere Nation kann schon von sich behaupten, seit mehr als tausend Jahren kein fremdes Heer als Eroberer auf eigenem Boden gesehen zu haben! Fest und unangefochten stand Albion auch in der Brandung, als in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts die Stürme des Totalitarismus über ganz Europa hinwegfegten und überall ein Bild der Verwüstung hinterließen. Zu den meisten Nationen, die im Zweiten Weltkrieg auf der gegnerischen Seite standen, hat Deutschland in den letzten Jahrzehnten ein alles in allem recht entspanntes Verhältnis entwickelt, aber die Beziehung zwischen Engländern und Deutschen scheint nach wie vor ein besonderer Fall zu sein.
Die tektonischen Ausschläge dieser spannungsvollen Beziehung habe ich, der ich mich in England fast genauso zu Hause fühle wie in Deutschland, bei manchen Gelegenheiten zu spüren bekommen. In den britischen Buchhandlungen erfreuen sich bis heute Überlebensratgeber großer Beliebtheit, in denen britische Autoren von ihren Deutschlandaufenthalten berichten. Nicht alle tragen so schillernde Titel wie das Buch von Roger Boyes, seines Zeichens Deutschland-Korrespondent der Times: A Year in the Scheiße (vom deutschen Verlag wurde es mit dem Titel My Dear Krauts annonciert); aber der Inhalt, mal mehr, mal weniger humoristisch vorgetragen, ist doch stets der gleiche: Wer als Brite das Wagnis auf sich nehme, deutschen Boden zu betreten, müsse sich darauf gefaßt machen, es mit einer Horde humorloser biertrinkender tumber Teutonen zu tun zu bekommen, die nur auf die nächstbeste Gelegenheit warteten, sich den Stahlhelm aufzusetzen und wieder loszumarschieren.
Wenn man die englischen Boulevardzeitungen aufschlägt, beschleicht einen gar das Gefühl, der Zweite Weltkrieg sei noch in vollem Gange - mögen sich auch die Fronten ein wenig verschoben haben. Die entscheidenden Schlachten werden heute auf dem Felde des Sports und des Tourismus geschlagen. Jahr für Jahr meldet die britische yellow press pünktlich zur Urlaubssaison Neuigkeiten vom »Handtuchkrieg«, der zwischen deutschen und britischen Touristen vor allem auf den Kanarischen Inseln, in der Türkei und in Ägypten toben soll - von der gegnerischen Seite mit, wie sollte es anders sein, äußerst unfairen Methoden geführt. Im letzten Jahr wußte der Daily Telegraph von einem englischen Reiseveranstalter zu berichten, der seinen deutschen Kunden das exklusive Angebot offerierte, sich schon bei Buchung der Reise einen bevorzugten Platz am Hotelpool zu sichern. Für ein paar Euro am Tag könnten sie ihren Liegestuhl für den gesamten Urlaub reservieren - und müßten also nicht mehr in der Morgendämmerung ins Freie eilen, um sich durch Ausbreiten des Handtuches ihren Platz an der Sonne zu sichern. Großen Zuspruchs erfreuten sich im Sommer 1997 bedruckte Strandlaken, welche die Zeitung The Sun ihren Lesern offerierte. In großen roten Lettern war auf ihnen zu lesen: »I got to the pool before the Germans - and I've had my breakfast.« Ob dieses immer wieder aufs neue bediente Stereotyp des deutschen Liegestuhl-Okkupierens einen statistisch relevanten Hintergrund hat, vermag ich nicht zu sagen. In der Saure-Gurken-Zeit jedenfalls sorgt es in Großbritannien verläßlich für Schlagzeilen - und an den Kiosken für verläßlich guten Absatz.
Gelegentlich ist zu beobachten, daß die Frontberichterstattung auch auf die seriöse Presse übergreift. So wurde vor kurzem in der ehrwürdigen Times vom unmittelbar bevorstehenden Einfall von Hunderttausenden »Nazi-Racoons«, Nazi-Waschbären, gewarnt. Im Kleingedruckten war von einer Waschbärplage im Raum Kassel zu lesen, die ihren Ursprung in einer verhängnisvollen Order von Reichsmarschall Hermann Göring aus dem Jahre 1934 habe. Der passionierte Jäger habe damit die Fauna des Tausendjährigen Reiches bereichern wollen - mit langfristigem Erfolg: In den letzten Jahren hätten sich die Tiere mit der Panzerknackermaske im Großraum Kassel explosionsartig vermehrt und sich vielerorts in Kellern und Dachböden eingenistet, wo sie beträchtliches Unheil anrichteten. Mit großem Aufwand müßten die Häuser nun »waschbärsicher« gemacht werden. Wie freilich der Armee der Nazi-Waschbären die Invasion auf die Britischen Inseln gelingen sollte - die Antwort auf diese Frage blieb die Times ihren Lesern schuldig.
Man kann die Liste dieser Beispiele beliebig erweitern, aber man tut gut daran, ihnen nicht allzuviel Gewicht beizumessen - handelt es sich doch um schablonenhafte Karikaturen, die, meist mit einer Prise Ironie gewürzt und zum Zwecke der Unterhaltung eingesetzt, mit realen Gegebenheiten nur wenig zu tun haben. Wie eben auch in den James-Bond-Filmen der Gegenspieler des Agenten im Dienst Ihrer Majestät vorzugsweise ein finsterer deutschsprechender Bösewicht sein muß, von Gert Fröbe vielleicht am treffendsten verkörpert. Und auch wenn in jedem Stereotyp ein Körnchen Wahrheit steckt, sagen sie vielleicht doch mehr aus über die, die sich ihrer bedienen, als über die auf solche Weise Verspotteten. So verhält es sich auch mit dem berühmten Satz »Don't mention the War« aus der britischen Fernsehserie Fawlty Towers (Das verrückte Hotel), der für das anglo-deutsche Verhältnis sprichwörtlich geworden ist. »Nicht den Krieg erwähnen!« schärft der cholerische Hotelbesitzer Basil Fawlty, gespielt von dem unnachahmlichen John Cleese, seinem Personal im Umgang mit den deutschen Hotelgästen ein, um dann freilich selbst über diese ein Füllhorn von Anspielungen auf Hitler, Göring, Goebbels und Co. auszugießen. Die Szene endet bekanntlich damit, daß Cleese sich von seinen konsternierten Gästen im demonstrativen Stechschritt verabschiedet.
Daß hier weniger die Deutschen als die britische Kriegsbesessenheit auf den Arm genommen wird, liegt auf der Hand. »Oh! What a lovely War!« - Diesen Satz hört man noch heute gelegentlich, wenn in englischen Clubs das Gespräch auf den Ersten Weltkrieg kommt. Wer einen zuverlässigen Eindruck von der nach wie vor ungebrochenen britischen Faszination für das Militärische bekommen will, dem sei ein Besuch im Londoner Imperial War Museum empfohlen. Viele Hunderte von Besuchern strömen Tag für Tag in die Ausstellungshallen in der Lambeth Road, wo sich riesige Modelle von Kanonen, U-Booten und Jagdflugzeugen aneinanderreihen - sogar eine V 2-Rakete ist dabei - und in mehreren Sälen die Insignien britischer Kriegsherrlichkeit ausgebreitet werden: Gewehre, Uniformen, Fahnen, Rekrutierungsaufrufe, Tapferkeitsmedaillen, Kapitulationsurkunden und allerlei mehr. Gleichwohl ist das Museum weit davon entfernt, eine Versammlungsstätte für Veteranen zu sein. Ich war überrascht, hier eine große Zahl von jungen Leuten vorzufinden, die sich mit großer Ernsthaftigkeit in Aufmarschprotokolle und Schlachtpläne vertieften. Ein wenig Wehmut über den Verlust des einstmals so mächtigen Empire mag mit im Spiel sein, aber es offenbart sich hier eben auch eine große Neugier für die eigene Geschichte. Die Rolle der Deutschen in den beiden großen Kriegen des zwanzigsten Jahrhunderts wird im Imperial War Museum übrigens mit einer bewundernswerten Sachlichkeit und Differenziertheit dargestellt.
Die Ursprünge der anglo-deutschen Verwerfung liegen, wie gemeinhin vermutet, übrigens nicht im Zweiten Weltkrieg, sie lassen sich bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs zurückverfolgen. Lange gab man sich in London, Wien, Moskau und Berlin der Illu sion hin, die engen verwandtschaftlichen Verflechtungen zwischen den europäischen Königshäusern - bekanntlich war Wilhelm II. das Enkelkind von Queen Victoria und der Sohn einer Britin, die wiederum eine Halbdeutsche war - würden den Ausbruch eines großen Krieges verhindern können, mochten die Säbel allüberall auch noch so laut rasseln. Jahrzehntelang waren die Völker Europas von Politikern und Journalisten gegeneinander in Stellung gebracht worden, und wie oft lag der große Krieg nicht schon in der Luft! Als es dann im August 1914 tatsächlich soweit war, zog man in London mit ebensolchem Jubel in den Krieg wie in Berlin. »Es war kein Wunder, daß der Krieg kam«, schreibt Golo Mann in seiner Deutschen Geschichte. »Es war eines, daß er so lange nicht gekommen war.« In der Propaganda der Alliierten, die sich auf den einen großen Gegner in Berlin konzentrieren konnte, geriet der Krieg zur Entscheidungsschlacht zwischen den friedliebenden Demokratien und teutonischer Barbarei. In Deutschland wiederum, das sich doch einer so großen Vielzahl von Gegnern gegenübersah, wurde nicht Rußland oder Frankreich, sondern England zum Hauptfeind erkoren: Großbritannien war die große Kolonialmacht, die auf ihre Dominions zurückgreifen konnte, sie kontrollierte den Kanal durch ihre mächtige Flotte, mit der man im Reich so gerne konkurriert hätte. Die Rede vom »perfiden Albion« machte die Runde. Hier die Nation der »Händler«, dort die wahren »Helden«, lautete die ausgegebene Schlachtordnung: Während die englischen Händler nur auf ihren Vorteil schielten, kämpften die deutschen Helden um ihrer selbst willen, aus tiefer Überzeugung. Der Kampf zwischen England und Deutschland wurde zum Kampf auf Leben und Tod stilisiert.
Der Zeitpunkt, an dem die Stimmung umschlug, läßt sich übrigens recht genau beziffern: Am 7. Mai 1915 versenkte ein deutscher Torpedo vor der Südküste Irlands den der britischen Admiralität unterstellten amerikanischen Atlantikdampfer »Lusitania«. An Bord befanden sich neben Tausenden Kisten mit Granaten und Munition für die britische Armee auch 1258 Passagiere und 701 Besatzungsmitglieder - fast 1200 Menschen fielen dem Angriff zum Opfer. Hoch schlugen die Wellen der Empörung: Vom Londoner Fleischmarkt wurden die deutschen Metzger verjagt und von der Börse die deutschen Händler. Auf offener Straße wurden mit Verweis auf ihren deutschen Stammbaum sogar die Dackel malträtiert. Das britische Königshaus Sachsen-Coburg-Gotha mit seinen deutschen Wurzeln rettete sich vor dem Untergang bekanntlich nur dadurch, daß es sich in Windsor umbenannte.
Der Dampfer »Lusitania« ist heute nur noch ferne Erinnerung, den allerwenigsten Briten und Deutschen wird er noch ein Begriff sein. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Bande zwischen Deutschland und Großbritannien neu geknüpft. Ich selbst wurde von den zahlreichen englischen Freunden meines Vaters mit offenen Armen aufgenommen - und als sie erfuhren, daß ich die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen hatte, hat mir dies keiner von ihnen übelgenommen, allenfalls wurde die Nachricht mit einem süffisanten Lächeln quittiert.
Auch die politische Führung kannte inzwischen offenkundig keine Ressentiments mehr. Keinem Politiker - ob Tory, ob Labour oder Liberaler - wäre es auch nur im Traum eingefallen, Churchills berüchtigtes Wort von den an der Kehle sitzenden Hunnen zu zitieren. Da zog im Mai 1979 die resolute Margaret Thatcher in Downing Street No. 10 ein. Es dauerte nicht lange, bis unter Journalisten und Parlamentariern gemunkelt wurde, daß die Premierministerin kein Freund der Deutschen sei. Nach einem Staatsbesuch in Deutschland, bei dem Bundeskanzler Helmut Kohl seinen britischen Gast in seiner pfälzischen Heimat mit Kartoffelsuppe und Saumagen bewirtete, soll Margaret Thatcher auf dem Heimflug geseufzt haben: »My God, that man is so German!« Mit öffentlichen Äußerungen hielt sich die Premierministerin geflissentlich zurück, im privaten Kreis aber nahm sie kein Blatt vor den Mund. Wie groß ihre Vorbehalte gegen die Deutschen tatsächlich waren, davon konnte ich mich Mitte der achtziger Jahre persönlich überzeugen.
Seit vielen Jahren schon hatte ich mich um eine Audienz bei der britischen Premierministerin bemüht, um die britische Regierung um Unterstützung für die Freilassung meiner inhaftierten Familie und den Tausenden politischen Gefangenen in meinem Land zu bitten. Ein englischer Freund meines Vaters, Lord Julian Amery, der viele Jahre Mitglied des britischen Unterhauses war und darüber hinaus Vorsitzender des Horn of Africa Council, war mir dabei behilflich, den Kontakt zu knüpfen. Zu einer offi ziellen Audienz in Downing Street ist es nicht gekommen, aber ich erhielt die Einladung zu einem privaten Diner, das Lord Amery zu Ehren von Margaret Thatcher in seinem Haus am Eaton Square gab. Zu dem illustren kleinen Kreis, den er um sich versammelt hatte, gehörten Hugh Astor aus der bekannten Verlegerdynastie und seine Frau, Sir Hugh Fraser, langjähriges Mitglied des Unterhauses und Freund meines Vaters, sowie Colonel Billy McLean, der den britischen Truppen angehörte, die im Jahre 1941 Äthiopien von der italienischen Besatzung befreiten. Mrs Thatcher war mit ihrem Ehemann Denis gekommen, den sie wie stets in aller Öffentlichkeit mit demonstrativer Herablassung behandelte. Als er dabei war, sich den dritten Gin Tonic einzuschenken, quittierte sie dies mit den Worten: »Don't you think that is enough, Denis?« Und Denis folgte aufs Wort, den ganzen Abend über rührte er keinen Tropfen Alkohol mehr an.
Auch sonst behielt die Eiserne Lady bei dieser Zusammenkunft das Heft in der Hand. Fast fühlte man sich so, als sei man in Buckingham Palace zu Gast. Niemand wagte, von sich aus ein Thema anzuschneiden, man wartete artig, bis man angesprochen wurde. Über dem Essen lag eine wohlig herabgedimmte royale Atmosphäre, die die Premierministerin mit resoluter Freundlichkeit ausfüllte. Beim Kaffee erhielt ich Gelegenheit, mein Anliegen vorzutragen. Nachdem sich das Gespräch eine Weile um Äthiopien gedreht hatte, wechselte die Premierministerin plötzlich das Thema.
»I hear you've been living in Germany for many years. How do you get along with these Germans?« Kaum merklich hob sich ihre rechte Augenbraue.
Ich entgegnete ihr, daß ich ein großer Verehrer der Deutschen und der deutschen Kultur sei.
»Oh really?« Sie schätze Mendelssohn-Bartholdy sehr.
Es trat eine Pause ein, offenkundig gab es zur deutschen Kultur nichts weiter zu sagen. Dann fragte sie mich: »Have you ever met a very nice German called Sir Ralf Dahrendorf?«
Ich nickte. Wer wußte nicht um Sir Ralf und seine Verdienste in bezug auf das deutsch-britische Verhältnis? Ein paar Jahre zuvor hatte Queen Elizabeth ihn in den Adelsstand erhoben.
»A very cultured man. Very unlike most Germans.«
Ich wollte noch erwähnen, daß ich eine ganze Reihe von äußerst kultivierten Menschen in Deutschland kennengelernt hätte, aber sie gab mir sehr diplomatisch zu verstehen, daß das Thema für sie erschöpft sei.
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2012
Seitdem die Menschheit in Nationen zerfallen ist, existieren in den verschiedenen Ländern mehr oder weniger ernstgemeinte Spottnamen für die Angehörigen der jeweils anderen Völker, für die weit entfernten und die in der Nachbarschaft. Die Deutschen sind mit einem reichhaltigen Schatz derartiger Bezeichnungen bedacht worden - die wechselvolle Geschichte Deutschlands und der nicht immer friedvolle Umgang mit den Nachbarn mögen dazu das ihre beigetragen haben. In vielen Fällen liegen Bedeutung und Herkunft dieser Spott- und Schimpfnamen auf der Hand, bisweilen sind deren Ursprünge aber auch schillernd und recht geheimnisvoll. Ein ganzer Forschungszweig der Ethnologie beschäftigt sich heute mit solchen Ethnophaulismen, wie sie im Jargon der Experten genannt werden.
In Frankreich ist seit der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts für die Deutschen der Begriff Boche gebräuchlich, der sich von la boche, die Holzkugel, ableitet - und mithin dem Nachbarn im Osten eine gewisse Holzköpfigkeit attestiert. Im Niederländischen war bereits im siebzehnten Jahrhundert die Bezeichnung Mof bekannt, zunächst nur auf die Ostfriesen und Emsländer gemünzt, später auf die Deutschen allgemein übertragen. Das Wort wurde seinerseits aus dem Deutschen importiert, es leitet sich von muffi g ab, womit man auch damals schon einen Nörgler und Griesgram bezeichnete. Als im goldenen holländischen Zeitalter in großer Zahl deutsche Handwerker als Gastarbeiter nach Holland kamen, hatte man für sie den Namen Hans Mof parat. Ein ganzes Füllhorn von despektierlichen Bezeichnungen für die Deutschen hält die polnische Sprache bereit, von denen Szwab, polnisch für Schwabe, und Szkop, wahlweise abgeleitet vom polnischen Wort für Schafsbock oder Holzfaß, die populärsten sind. In Österreich war es ein preußischer Kapellmeister und Komponist, der dem bis heute populärsten Spottnamen für die Deutschen, wenn auch nicht freiwillig, seinen Namen lieh. Noch auf dem Schlachtfeld von Königgrätz soll Johann Gottfried Piefke unter dem frischen Eindruck der fl üchtenden Truppen der k.u.k.-Armee seinen Königgrätzer Marsch zu Papier gebracht haben. Beim Einzug der siegreichen preußischen Armee in Wien marschierte der preußisch-königliche Musikdirektor dann mit seinem Bruder an der Spitze, was die Wiener zu dem Ausruf »Die Piefkes kommen!« veranlaßt haben soll.
Von Churchill ist der berühmte Satz überliefert, daß man nie wisse, woran man mit »den Hunnen« sei: »Wenn sie einem nicht an die Kehle wollen, dann liegen sie einem zu Füßen.« Für den Begriff huns, der in Großbritannien während des Ersten Weltkriegs zur Bezeichnung der Deutschen populär wurde, stand Wilhelm II. höchstpersönlich Pate: Im Sommer 1900 hatte der Kaiser in Bremerhaven das Ostasiatische Expeditionskorps zur Niederschlagung des chinesischen Boxeraufstands mit den Worten verabschiedet: »Wie vor tausend Jahren die Hunnen unter ihrem König Etzel sich einen Namen gemacht, der sie noch jetzt in der Überlieferung gewaltig erscheinen läßt, so möge der Name Deutschland in China in einer solchen Weise bestätigt werden, daß niemals wieder ein Chinese es wagt, einen Deutschen auch nur scheel anzusehen.« Etwas später gesellte sich zu den huns ein weiterer englischer Spottname, diesmal aus dem Bereich des Kulinarischen. Die Bezeichnung krauts ist bis heute auf den Britischen Inseln recht populär - auch wenn das Sauerkraut, wie wir heute wissen, in Wahrheit eine mongolische Erfindung ist und überdies seit geraumer Zeit in Frankreich weitaus beliebter als in Deutschland. Wie schnell man in England bisweilen mit dem Wort kraut bei der Hand war, erfuhr ich Anfang der siebziger Jahre am eigenen Leib. Als ich nach zwei prägenden Jahren in Tübingen nach Cambridge kam, um dort mein Studium fortzusetzen, geriet ich schnell in den Verdacht, allzu germanophil zu sein. Es war Reresby Sitwell, ein elterlicher Freund aus der berühmten Sitwell-Familie, der mich mit dem Spitznamen My Favourite Kraut bedachte, mit durchschlagendem Erfolg übrigens: Noch heute höre ich diese scherzhafte Bezeichnung gelegentlich aus dem Mund einiger englischer Freunde. Immerhin, so tröste ich mich, werde ich nicht My Favourite Hun genannt!
Stets war man sich in Großbritannien seiner besonderen Insellage bewußt, und bis heute veranlaßt die Splendid Isolation nicht wenige, mit einer gewissen Herablassung auf Kontinentaleuropa zu sehen. Nicht ohne Grund: Welche andere Nation kann schon von sich behaupten, seit mehr als tausend Jahren kein fremdes Heer als Eroberer auf eigenem Boden gesehen zu haben! Fest und unangefochten stand Albion auch in der Brandung, als in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts die Stürme des Totalitarismus über ganz Europa hinwegfegten und überall ein Bild der Verwüstung hinterließen. Zu den meisten Nationen, die im Zweiten Weltkrieg auf der gegnerischen Seite standen, hat Deutschland in den letzten Jahrzehnten ein alles in allem recht entspanntes Verhältnis entwickelt, aber die Beziehung zwischen Engländern und Deutschen scheint nach wie vor ein besonderer Fall zu sein.
Die tektonischen Ausschläge dieser spannungsvollen Beziehung habe ich, der ich mich in England fast genauso zu Hause fühle wie in Deutschland, bei manchen Gelegenheiten zu spüren bekommen. In den britischen Buchhandlungen erfreuen sich bis heute Überlebensratgeber großer Beliebtheit, in denen britische Autoren von ihren Deutschlandaufenthalten berichten. Nicht alle tragen so schillernde Titel wie das Buch von Roger Boyes, seines Zeichens Deutschland-Korrespondent der Times: A Year in the Scheiße (vom deutschen Verlag wurde es mit dem Titel My Dear Krauts annonciert); aber der Inhalt, mal mehr, mal weniger humoristisch vorgetragen, ist doch stets der gleiche: Wer als Brite das Wagnis auf sich nehme, deutschen Boden zu betreten, müsse sich darauf gefaßt machen, es mit einer Horde humorloser biertrinkender tumber Teutonen zu tun zu bekommen, die nur auf die nächstbeste Gelegenheit warteten, sich den Stahlhelm aufzusetzen und wieder loszumarschieren.
Wenn man die englischen Boulevardzeitungen aufschlägt, beschleicht einen gar das Gefühl, der Zweite Weltkrieg sei noch in vollem Gange - mögen sich auch die Fronten ein wenig verschoben haben. Die entscheidenden Schlachten werden heute auf dem Felde des Sports und des Tourismus geschlagen. Jahr für Jahr meldet die britische yellow press pünktlich zur Urlaubssaison Neuigkeiten vom »Handtuchkrieg«, der zwischen deutschen und britischen Touristen vor allem auf den Kanarischen Inseln, in der Türkei und in Ägypten toben soll - von der gegnerischen Seite mit, wie sollte es anders sein, äußerst unfairen Methoden geführt. Im letzten Jahr wußte der Daily Telegraph von einem englischen Reiseveranstalter zu berichten, der seinen deutschen Kunden das exklusive Angebot offerierte, sich schon bei Buchung der Reise einen bevorzugten Platz am Hotelpool zu sichern. Für ein paar Euro am Tag könnten sie ihren Liegestuhl für den gesamten Urlaub reservieren - und müßten also nicht mehr in der Morgendämmerung ins Freie eilen, um sich durch Ausbreiten des Handtuches ihren Platz an der Sonne zu sichern. Großen Zuspruchs erfreuten sich im Sommer 1997 bedruckte Strandlaken, welche die Zeitung The Sun ihren Lesern offerierte. In großen roten Lettern war auf ihnen zu lesen: »I got to the pool before the Germans - and I've had my breakfast.« Ob dieses immer wieder aufs neue bediente Stereotyp des deutschen Liegestuhl-Okkupierens einen statistisch relevanten Hintergrund hat, vermag ich nicht zu sagen. In der Saure-Gurken-Zeit jedenfalls sorgt es in Großbritannien verläßlich für Schlagzeilen - und an den Kiosken für verläßlich guten Absatz.
Gelegentlich ist zu beobachten, daß die Frontberichterstattung auch auf die seriöse Presse übergreift. So wurde vor kurzem in der ehrwürdigen Times vom unmittelbar bevorstehenden Einfall von Hunderttausenden »Nazi-Racoons«, Nazi-Waschbären, gewarnt. Im Kleingedruckten war von einer Waschbärplage im Raum Kassel zu lesen, die ihren Ursprung in einer verhängnisvollen Order von Reichsmarschall Hermann Göring aus dem Jahre 1934 habe. Der passionierte Jäger habe damit die Fauna des Tausendjährigen Reiches bereichern wollen - mit langfristigem Erfolg: In den letzten Jahren hätten sich die Tiere mit der Panzerknackermaske im Großraum Kassel explosionsartig vermehrt und sich vielerorts in Kellern und Dachböden eingenistet, wo sie beträchtliches Unheil anrichteten. Mit großem Aufwand müßten die Häuser nun »waschbärsicher« gemacht werden. Wie freilich der Armee der Nazi-Waschbären die Invasion auf die Britischen Inseln gelingen sollte - die Antwort auf diese Frage blieb die Times ihren Lesern schuldig.
Man kann die Liste dieser Beispiele beliebig erweitern, aber man tut gut daran, ihnen nicht allzuviel Gewicht beizumessen - handelt es sich doch um schablonenhafte Karikaturen, die, meist mit einer Prise Ironie gewürzt und zum Zwecke der Unterhaltung eingesetzt, mit realen Gegebenheiten nur wenig zu tun haben. Wie eben auch in den James-Bond-Filmen der Gegenspieler des Agenten im Dienst Ihrer Majestät vorzugsweise ein finsterer deutschsprechender Bösewicht sein muß, von Gert Fröbe vielleicht am treffendsten verkörpert. Und auch wenn in jedem Stereotyp ein Körnchen Wahrheit steckt, sagen sie vielleicht doch mehr aus über die, die sich ihrer bedienen, als über die auf solche Weise Verspotteten. So verhält es sich auch mit dem berühmten Satz »Don't mention the War« aus der britischen Fernsehserie Fawlty Towers (Das verrückte Hotel), der für das anglo-deutsche Verhältnis sprichwörtlich geworden ist. »Nicht den Krieg erwähnen!« schärft der cholerische Hotelbesitzer Basil Fawlty, gespielt von dem unnachahmlichen John Cleese, seinem Personal im Umgang mit den deutschen Hotelgästen ein, um dann freilich selbst über diese ein Füllhorn von Anspielungen auf Hitler, Göring, Goebbels und Co. auszugießen. Die Szene endet bekanntlich damit, daß Cleese sich von seinen konsternierten Gästen im demonstrativen Stechschritt verabschiedet.
Daß hier weniger die Deutschen als die britische Kriegsbesessenheit auf den Arm genommen wird, liegt auf der Hand. »Oh! What a lovely War!« - Diesen Satz hört man noch heute gelegentlich, wenn in englischen Clubs das Gespräch auf den Ersten Weltkrieg kommt. Wer einen zuverlässigen Eindruck von der nach wie vor ungebrochenen britischen Faszination für das Militärische bekommen will, dem sei ein Besuch im Londoner Imperial War Museum empfohlen. Viele Hunderte von Besuchern strömen Tag für Tag in die Ausstellungshallen in der Lambeth Road, wo sich riesige Modelle von Kanonen, U-Booten und Jagdflugzeugen aneinanderreihen - sogar eine V 2-Rakete ist dabei - und in mehreren Sälen die Insignien britischer Kriegsherrlichkeit ausgebreitet werden: Gewehre, Uniformen, Fahnen, Rekrutierungsaufrufe, Tapferkeitsmedaillen, Kapitulationsurkunden und allerlei mehr. Gleichwohl ist das Museum weit davon entfernt, eine Versammlungsstätte für Veteranen zu sein. Ich war überrascht, hier eine große Zahl von jungen Leuten vorzufinden, die sich mit großer Ernsthaftigkeit in Aufmarschprotokolle und Schlachtpläne vertieften. Ein wenig Wehmut über den Verlust des einstmals so mächtigen Empire mag mit im Spiel sein, aber es offenbart sich hier eben auch eine große Neugier für die eigene Geschichte. Die Rolle der Deutschen in den beiden großen Kriegen des zwanzigsten Jahrhunderts wird im Imperial War Museum übrigens mit einer bewundernswerten Sachlichkeit und Differenziertheit dargestellt.
Die Ursprünge der anglo-deutschen Verwerfung liegen, wie gemeinhin vermutet, übrigens nicht im Zweiten Weltkrieg, sie lassen sich bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs zurückverfolgen. Lange gab man sich in London, Wien, Moskau und Berlin der Illu sion hin, die engen verwandtschaftlichen Verflechtungen zwischen den europäischen Königshäusern - bekanntlich war Wilhelm II. das Enkelkind von Queen Victoria und der Sohn einer Britin, die wiederum eine Halbdeutsche war - würden den Ausbruch eines großen Krieges verhindern können, mochten die Säbel allüberall auch noch so laut rasseln. Jahrzehntelang waren die Völker Europas von Politikern und Journalisten gegeneinander in Stellung gebracht worden, und wie oft lag der große Krieg nicht schon in der Luft! Als es dann im August 1914 tatsächlich soweit war, zog man in London mit ebensolchem Jubel in den Krieg wie in Berlin. »Es war kein Wunder, daß der Krieg kam«, schreibt Golo Mann in seiner Deutschen Geschichte. »Es war eines, daß er so lange nicht gekommen war.« In der Propaganda der Alliierten, die sich auf den einen großen Gegner in Berlin konzentrieren konnte, geriet der Krieg zur Entscheidungsschlacht zwischen den friedliebenden Demokratien und teutonischer Barbarei. In Deutschland wiederum, das sich doch einer so großen Vielzahl von Gegnern gegenübersah, wurde nicht Rußland oder Frankreich, sondern England zum Hauptfeind erkoren: Großbritannien war die große Kolonialmacht, die auf ihre Dominions zurückgreifen konnte, sie kontrollierte den Kanal durch ihre mächtige Flotte, mit der man im Reich so gerne konkurriert hätte. Die Rede vom »perfiden Albion« machte die Runde. Hier die Nation der »Händler«, dort die wahren »Helden«, lautete die ausgegebene Schlachtordnung: Während die englischen Händler nur auf ihren Vorteil schielten, kämpften die deutschen Helden um ihrer selbst willen, aus tiefer Überzeugung. Der Kampf zwischen England und Deutschland wurde zum Kampf auf Leben und Tod stilisiert.
Der Zeitpunkt, an dem die Stimmung umschlug, läßt sich übrigens recht genau beziffern: Am 7. Mai 1915 versenkte ein deutscher Torpedo vor der Südküste Irlands den der britischen Admiralität unterstellten amerikanischen Atlantikdampfer »Lusitania«. An Bord befanden sich neben Tausenden Kisten mit Granaten und Munition für die britische Armee auch 1258 Passagiere und 701 Besatzungsmitglieder - fast 1200 Menschen fielen dem Angriff zum Opfer. Hoch schlugen die Wellen der Empörung: Vom Londoner Fleischmarkt wurden die deutschen Metzger verjagt und von der Börse die deutschen Händler. Auf offener Straße wurden mit Verweis auf ihren deutschen Stammbaum sogar die Dackel malträtiert. Das britische Königshaus Sachsen-Coburg-Gotha mit seinen deutschen Wurzeln rettete sich vor dem Untergang bekanntlich nur dadurch, daß es sich in Windsor umbenannte.
Der Dampfer »Lusitania« ist heute nur noch ferne Erinnerung, den allerwenigsten Briten und Deutschen wird er noch ein Begriff sein. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Bande zwischen Deutschland und Großbritannien neu geknüpft. Ich selbst wurde von den zahlreichen englischen Freunden meines Vaters mit offenen Armen aufgenommen - und als sie erfuhren, daß ich die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen hatte, hat mir dies keiner von ihnen übelgenommen, allenfalls wurde die Nachricht mit einem süffisanten Lächeln quittiert.
Auch die politische Führung kannte inzwischen offenkundig keine Ressentiments mehr. Keinem Politiker - ob Tory, ob Labour oder Liberaler - wäre es auch nur im Traum eingefallen, Churchills berüchtigtes Wort von den an der Kehle sitzenden Hunnen zu zitieren. Da zog im Mai 1979 die resolute Margaret Thatcher in Downing Street No. 10 ein. Es dauerte nicht lange, bis unter Journalisten und Parlamentariern gemunkelt wurde, daß die Premierministerin kein Freund der Deutschen sei. Nach einem Staatsbesuch in Deutschland, bei dem Bundeskanzler Helmut Kohl seinen britischen Gast in seiner pfälzischen Heimat mit Kartoffelsuppe und Saumagen bewirtete, soll Margaret Thatcher auf dem Heimflug geseufzt haben: »My God, that man is so German!« Mit öffentlichen Äußerungen hielt sich die Premierministerin geflissentlich zurück, im privaten Kreis aber nahm sie kein Blatt vor den Mund. Wie groß ihre Vorbehalte gegen die Deutschen tatsächlich waren, davon konnte ich mich Mitte der achtziger Jahre persönlich überzeugen.
Seit vielen Jahren schon hatte ich mich um eine Audienz bei der britischen Premierministerin bemüht, um die britische Regierung um Unterstützung für die Freilassung meiner inhaftierten Familie und den Tausenden politischen Gefangenen in meinem Land zu bitten. Ein englischer Freund meines Vaters, Lord Julian Amery, der viele Jahre Mitglied des britischen Unterhauses war und darüber hinaus Vorsitzender des Horn of Africa Council, war mir dabei behilflich, den Kontakt zu knüpfen. Zu einer offi ziellen Audienz in Downing Street ist es nicht gekommen, aber ich erhielt die Einladung zu einem privaten Diner, das Lord Amery zu Ehren von Margaret Thatcher in seinem Haus am Eaton Square gab. Zu dem illustren kleinen Kreis, den er um sich versammelt hatte, gehörten Hugh Astor aus der bekannten Verlegerdynastie und seine Frau, Sir Hugh Fraser, langjähriges Mitglied des Unterhauses und Freund meines Vaters, sowie Colonel Billy McLean, der den britischen Truppen angehörte, die im Jahre 1941 Äthiopien von der italienischen Besatzung befreiten. Mrs Thatcher war mit ihrem Ehemann Denis gekommen, den sie wie stets in aller Öffentlichkeit mit demonstrativer Herablassung behandelte. Als er dabei war, sich den dritten Gin Tonic einzuschenken, quittierte sie dies mit den Worten: »Don't you think that is enough, Denis?« Und Denis folgte aufs Wort, den ganzen Abend über rührte er keinen Tropfen Alkohol mehr an.
Auch sonst behielt die Eiserne Lady bei dieser Zusammenkunft das Heft in der Hand. Fast fühlte man sich so, als sei man in Buckingham Palace zu Gast. Niemand wagte, von sich aus ein Thema anzuschneiden, man wartete artig, bis man angesprochen wurde. Über dem Essen lag eine wohlig herabgedimmte royale Atmosphäre, die die Premierministerin mit resoluter Freundlichkeit ausfüllte. Beim Kaffee erhielt ich Gelegenheit, mein Anliegen vorzutragen. Nachdem sich das Gespräch eine Weile um Äthiopien gedreht hatte, wechselte die Premierministerin plötzlich das Thema.
»I hear you've been living in Germany for many years. How do you get along with these Germans?« Kaum merklich hob sich ihre rechte Augenbraue.
Ich entgegnete ihr, daß ich ein großer Verehrer der Deutschen und der deutschen Kultur sei.
»Oh really?« Sie schätze Mendelssohn-Bartholdy sehr.
Es trat eine Pause ein, offenkundig gab es zur deutschen Kultur nichts weiter zu sagen. Dann fragte sie mich: »Have you ever met a very nice German called Sir Ralf Dahrendorf?«
Ich nickte. Wer wußte nicht um Sir Ralf und seine Verdienste in bezug auf das deutsch-britische Verhältnis? Ein paar Jahre zuvor hatte Queen Elizabeth ihn in den Adelsstand erhoben.
»A very cultured man. Very unlike most Germans.«
Ich wollte noch erwähnen, daß ich eine ganze Reihe von äußerst kultivierten Menschen in Deutschland kennengelernt hätte, aber sie gab mir sehr diplomatisch zu verstehen, daß das Thema für sie erschöpft sei.
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2012
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Autoren-Porträt von Prinz Asfa-Wossen Asserate
Asfa-Wossen Asserate, Prinz aus dem äthiopischen Kaiserhaus, wurde 1948 in Addis Abeba geboren. An der Deutschen Schule bestand er als einer der ersten Äthiopier das Abitur. Er studierte Geschichte und Jura in Tübingen und Cambridge und promovierte in Frankfurt am Main. Die Revolution in Äthiopien verhinderte die Rückkehr in seine Heimat. Er blieb in Deutschland und ist heute als Unternehmensberater für Afrika und den Mittleren Osten und als politischer Analyst tätig. Sein Buch »Manieren« wurde von der Kritik gefeiert.
Bibliographische Angaben
- Autor: Prinz Asfa-Wossen Asserate
- 2012, 4. Aufl., 192 Seiten, Maße: 12,3 x 18,8 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: FISCHER Taschenbuch
- ISBN-10: 3596181577
- ISBN-13: 9783596181575
- Erscheinungsdatum: 23.07.2012
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