Ein eigenes Reich
Eineigenes Reich von Neal Gabler
LESEPROBE
DER KILLER
Mit derMacht wollte er auch die Anerkennung. Er hatte ein Riesen- Ego, hielt sich fürden Größten in der ganzen verdammten Filmindustrie - größer als Fox und größerals Mayer und größer als die Warners und größer als die Cohns Eins weiß ichgenau: Er dachte, dass so wie er es getan hatte, und mit der enormen Macht, dieer sich verschafft hatte, die Filmgeschichte geschrieben würde. Er hielt dasfast für ausgemacht: Wenn sie geschrieben würde, dann würde sie mit ihmbeginnen. MaxYoungstein, Film-Boss Es gab zwei Dinge, die Adolph Zukor hasste. Das einewar zu verlieren, gleichgültig, worin der Einsatz bestand. Ein harmloses Bridge-Spielmit seinem Kompagnon Marcus Loew konnte, so ein Augenzeuge, plötzlich in einlautstarkes Wortgefecht umschlagen, an dessen Ende der Tisch zu Bruch ging.»Loew kam heraus, gefolgt von Zukor, der vor Zorn bebte. Nach längeren Debattenklärte der Gastgeber den Streit um ein ausgespieltes Kreuz«2; danachhätten die Streithähne allerdings kein Wort mehr miteinander wechseln wollen.Ein andermal versuchte Jesse Lasky, als Produzent ein Rivale, Zukor einenseiner Stars abspenstig zu machen. Zukor überbot Laskys ursprüngliches Angebot,und die beiden trieben sich gegenseitig weiter hoch, wobei Zukor jedes Mal umein- oder zweitausend Dollar erhöhte, bis Lasky schließlich aufgab. Da machteZukor augen- blicklich eine Kehrtwendung und lieh Lasky den Star für seine nächsteProduktion aus. Es ging allein darum, wer Sieger blieb. Außerdemhasste es Zukor, wenn man ihn anlog. Einmal lud er einen neuen Mitarbeiter derVertriebsabteilung seines Unternehmens zu einer seiner berühmten Bridge-Partienein. Der Mann hatte behauptet, einiges vom Kartenspiel zu verstehen, doch kaumhatten die Spieler zum ersten Mal geboten, begriff Zukor, dass der anderegeblufft hatte, um sich einzuschmeicheln. Nach der dritten Runde, erinnertesich Zukors Sohn Eugene, »warf mein Vater die Karten auf den Boden. Er sagte: Ichkann es gut ertragen, wenn ein Mensch zugibt, dass er von einer Sache nichtsversteht Aber Sie sagten, Sie seien Bridge- Spieler, und Sie verstehen,verdammt noch mal, gar nichts davon. Sie haben uns den ganzen Abend verdorben,und das kann ich überhaupt nicht leiden Von mir aus können Sie gleich gehen. - Da nahm der arme Kerl seine Sachen und ging nach Hause.« Fastjedermann empfand ihn als unnachgiebig, puritanisch und geradezu eisig. »Mr.Zukor blieb stets Mister Zukor«, meinte der Autor William de Mille, derBruder von Cecil B. De Mille, Zukors wichtigstem Regisseur. »Wir anderen warenCecil und Jesse, Sam und Bill, aber nur bei sehr seltenen und wirklich informellenAnlässen habe ich je erlebt, dass jemand diesen kleinen Mann mit der leisenStimme Adolph genannt hätte; dabei war er nicht viel älter als wir.«5 EinigeAngestellte gaben ihm den Spitznamen »Creepy« - »das Spukgespenst« -, denn erhatte die Angewohnheit, sein Gegenüber mit einem eiskalten, »undurchdringlichenBlick, wie ein Indianer-Häuptling« anzustarren. Selbst Jesse Lasky, den eineimmerhin 15-jährigeGeschäftspartnerschaft mit Zukor verband, begegnete ihm mit einer Mischung aus»Förmlichkeit und Ehrerbietung«. Während einer Geschäftsreise war Lasky einmalnach einem langen, vergnügten Abend ins Hotel zurückgekehrt und traf dort aufZukor. Der hatte auf ihn gewartet, und obwohl Lasky eigentlich ins Bett gehenwollte, blieb ihm nichts anderes übrig, als so zu tun, als sei er gerade dabei,sich für den nächsten Tag anzukleiden. Dieses Erlebnis zeigt, wie sehr sichLasky von Zukors moralischer Strenge einschüchtern ließ. SeineKritiker - und deren gab es viele - betrachteten Zukors Siegeswillen und seinenDogmatismus als Zeichen von Größenwahn. Das mochte zutreffen; andererseitshatte Zukor durchaus ernsthafte Gründe dafür, der Welt seinen Willen aufzwingenzu wollen. Seine Geschichte ist die eines Menschen, der seiner Kindheit beraubtwurde, dem Liebe und Sicherheit entzogen worden waren und der als Mannversuchte, diese Leere wieder aufzufüllen - selbst wenn das hieß, alles um sichherum an sich zu reißen. Er stammte aus Risce in Ungarn, einem kleinen Bauerndorfin der Anbaugegend des berühmten Tokajer-Weins. Sein Vater war Bauer undbetrieb nebenbei eine Kurzwarenhandlung. Er starb durch einen merkwürdigenUnfall, als Adolph kaum ein Jahr alt war: Als er eine Kiste anhob, platzte ihmeine Vene. Seine Mutter heiratete erneut, doch zumindest soweit Adolph, derdamals noch sehr klein war, sich erinnern konnte, sollte sie den Tod ihresMannes nie ganz verwinden und starb sieben Jahre später. Adolphs Stiefvaterweigerte sich, die Sorge für ihn und seinen älteren Bruder Arthur zuübernehmen, und so wurden die beiden zu einem Onkel abgeschoben, der in einemnahe gelegenen Dorf lebte. Der Onkel, Kalman Lieberman, war ein strenger undstreitbarer Talmudgelehrter. Er glaubte daran, dass das religiöse Studium diehöchste moralische Pflicht sei, und er nahm die Jungen vor allem deshalb auf,weil seine Schwester auf dem Sterbebett den Wunsch geäußert hatte, ihre Söhnesollten ihr Leben dem Judentum widmen. Der umgängliche und intelligente Arthur kamdem mit Leichtigkeit nach. (Er wurde schließlich Rabbi einer großen Synagoge inBerlin.) Adolph hingegen, introvertierter und zurückhaltender als sein Bruder,hatte keine andere Wahl, als die Lehren des Judentums zu studieren. DieReligion war etwas, »das für die maßgeblichen Mitglieder der Familie ständigpräsent war«. Aber nach seinem eigenen Eingeständnis haben ihm die dunklenTalmudtexte und die jüdischen Gesetzessammlungen stets Schwierigkeitenbereitet, und Rabbi zu werden sei für ihn überhaupt nicht in Frage gekommen.»Was mich interessierte«, sagte er später, »war die Bibel die Geschichte unddie Persönlichkeiten - wie sie gelebt haben, das faszinierte mich.«
© Berlin Verlag
Übersetzung: Klaus Binder und Bernd Leineweber
Interview mit Neal Gabler
Ihr Buch Ein eigenes Reich" erzählt dieEntstehungsgeschichte des Filmimperiums Hollywood. Ihre Berichte über diejüdischen Gründerväter dieses Imperiums lesen sich wie ein spannender Roman.Wie ist es Ihnen gelungen, all diese Fakten und oftmals persönlichen Detailszusammenzutragen?
Für jeden, der über die Geschichte von Hollywood schreibenwill, ist es zunächst einmal entmutigend, dass es nur sehr wenigeAufzeichnungen und Dokumente gibt. Ich besuchte Bibliotheken und Archive, undich habe sehr aufwendige Recherchen in Fachblättern durchgeführt. Doch diewichtigste Informationsquelle für mein Buch waren die zahlreichen Interviews,die ich geführt habe. Ich war auf der Suche nach einem Weg, wie man dieseFilmmogule als Personen greifbar machen kann. Daher war es ein großes Glück fürmich, dass ich zum Beispiel die Gelegenheit hatte, die beiden Töchter von LouisB. Mayer zu interviewen (die, nebenbei bemerkt, kein Wort miteinandersprechen). Außerdem sprach ich mit Jack Warners Sohn, dem Sohn von AdolphZukor, dem Neffen von Harry Cohn und der Nichte von William Fox. Abgesehendavon habe ich Regisseure interviewt, Schriftsteller, Studioleiter und sogarEdgar Magnin, den bekanntesten Rabbi in Los Angeles.Ich hoffe, die Leser meines Buches bekommen eine Ahnung davon, wer die Magnatenvon Hollywood wirklich waren und was sie antrieb.
AusIhren Untersuchungen geht hervor, dass die frühen Hollywood-Magnaten alle einenähnlichen Hintergrund hatten: Sie waren jüdischer Herkunft, stammten oftmalsaus Osteuropa und kamen aus kleinen Verhältnissen. Und sie waren mit einemstarken Willen zum gesellschaftlichen Aufstieg ausgestattet. Glauben Sie, auchheute könnte es in irgendeiner Branche zu einer ähnlichen Erfolgsstory miteiner derart homogenen Gruppe von Menschen kommen?
Wirleben in einer globalisierten Gesellschaft, in der es nur schwer vorstellbarist, dass eine so homogene Gruppe wie die frühen Hollywood-Magnaten einenderart mächtigen und internationalen Industriezweig wie die Filmindustriebeherrschen. Die Filmmogule haben einfach von einem guten Timing profitiert.Sie kamen in einer Zeit nach Amerika, in der das Land in einer Flut vonImmigranten versank und die Industrialisierung eine riesige Arbeiterklassehervorgebracht hatte, die das erste Filmpublikum darstellte. Sie kamen nachAmerika, als das Interesse wuchs, eine amerikanische Kultur zu erschaffen, dienichts mit den europäischen Vorläufern zu tun hatte. Und sie kamen nachAmerika, als gerade diese Kunst - die Filme - bei den reichen, nicht-jüdischenAmerikanern verpönt war. All dies ermutigte sie dazu, die amerikanischeFilmindustrie zum Leben zu erwecken.
NachIhrer Darstellung konnte die amerikanische Filmindustrie nur deshalb so großwerden, weil sie sich schon immer ausschließlich am Massengeschmack orientierthat - im Unterschied etwa zur literarisch ambitionierten europäischenFilmproduktion. Wie beurteilen Sie die heutige Filmindustrie. Hat sich an derGrundausrichtung irgendetwas geändert?
Missachtungder Hochkultur war schon immer eine maßgebliche Komponente der amerikanischenPopulärkultur. Wie bereits in meinem Buch Das Leben, ein Film" (alsTaschenbuch bei Goldmann erschienen, Anm. d. Red.) beschrieben, ist die Wertlosigkeit" vieler amerikanischer Filme, Bücher, TV-Shows oder der Musikkein Beweis für die Dummheit der amerikanischen Bevölkerung. Es beweistvielmehr, dass die amerikanische Öffentlichkeit ihren Anspruch aufUnabhängigkeit gegenüber den kulturellen Sittenwächtern, die den Amerikanernsagen, was sie mögen sollen und was nicht, geltend macht. Zu einer solchenSituation ist es in Europa, das der Hochkultur mehr Platz gibt, ausverschiedenen Gründen nicht gekommen. Bis zum heutigen Tag ist HollywoodHeimstatt der Actionfilme. In Europa dagegen sind eher die philosophischen oderpsychologischen Produktionen zu Hause. Es ist jedoch ein Beweis für die Machtder anspruchslosen, amerikanischen Unterhaltungsindustrie, dass sie nahezu inallen Ländern der Welt beliebt ist.
Wiebeurteilen Sie solche Phänomene wie den kometenhaften Aufstieg eines MichaelMoore, der unglaublich erfolgreich ist mit seinen Dokumentarfilmen? GlaubenSie, der Film ist ein Medium, das auch zur politischen Aufklärung beitragenkann? Oder wird es sich bei Filmen mit politischer Botschaft immer umPropaganda handeln?
Michael Moore würde sich selbst als Propagandist bezeichnen.Er ist nur zufällig ein sehr guter. Filme sind nicht unbedingt das Medium, das sicham besten zur Aufklärung eignet. Printmedien eignen sich dafür besser, da siemehrere Betrachtungsweisen zulassen. Der Film ist ein sehr wirkungsvollesMedium, weil er emotionsgeladene Bilder zeigt und emotional darauf reagiert.Rational gesprochen, gibt es in Fahrenheit 9/11 einige unsinnige Stellen,obwohl die Fakten stimmen. Emotional gesprochen, ist es eine unanfechtbareAnklage gegen die Bush-Regierung.
WelcheResonanz haben Sie auf die englische Originalausgabe von Ein eigenes Reich"erfahren? Und mit welchen Themen beschäftigen Sie sich heute? Schreiben Siegerade an einem neuen Buch?
Wie Sie sich vielleicht vorstellen können, stieß ich mitmeinem Buch anfangs auf hartnäckigen Widerstand. Einige Interviewpartnerweigerten sich, mit mir zu sprechen, weil sie glaubten, ich würdeantisemitische Ziele verfolgen. Mein Verleger entschied, den ursprünglichenTitel: How the JewsInvented Hollywood" in How Louis B. Mayer, Adolph Zukor, theWarner Brothers, William Fox and Harry Cohn InventedHollywood" umzubenennen, da das Wort Jude" nicht auf dem Cover stehensollte. Ich habe mich dann aber doch durchsetzen können. Als das Buchveröffentlicht wurde, bekam ich durchweg positive Kritiken - fast so, als seiman erleichtert, dass dieses Thema endlich einmal diskutiert und analysiertwird. Das heißt allerdings leider nicht, dass es nicht immer noch einigeboshafte Menschen gäbe, die mein Buch als Beweis dafür anführen, dass die Judendie amerikanischen Medien kontrollieren.
Momentanschreibe ich weiter an meiner Biografie von Walt Disney, an der ich bereitsseit sieben Jahren arbeite. Das Disney-Imperium hat mir freien Zutritt zuseinen Archiven gewährt, und ich erfreue mich an dem Gedanken, dass mein Buchdas umfassendste und detaillierteste Porträt von Walt Disney wird, das es biszum heutigen Tag gibt. Ich hoffe, dass es (in Amerika) im Herbst 2005veröffentlicht werden wird.Die Fragen stellte Ulrike Künnecke,literaturtest.de.
- Autor: Neal Gabler
- 2004, 670 Seiten, 42 Schwarz-Weiß-Abbildungen, mit zahlreichen Abbildungen, Maße: 14,5 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzer: Klaus Binder, Bernd Leineweber
- Verlag: BERLIN VERLAG
- ISBN-10: 3827003539
- ISBN-13: 9783827003539
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