Ein Grabmal für Boris Dawidowitsch
Sieben Kapitel ein und derselben Geschichte. Mit e. Vorw. v. Joseph Brodsky u. e. Nachw. v. Ilma Rakusa
Danilo Kis's berühmter Roman erregte bei seinem Erscheinen 1976 in Jugoslawien einen Skandal. In "sieben Kapiteln ein und derselben Geschichte" werden sieben tragische Lebensläufe erzählt. Ihre Protagonisten fallen alle dem politischen Terror zum Opfer. In...
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Produktinformationen zu „Ein Grabmal für Boris Dawidowitsch “
Danilo Kis's berühmter Roman erregte bei seinem Erscheinen 1976 in Jugoslawien einen Skandal. In "sieben Kapiteln ein und derselben Geschichte" werden sieben tragische Lebensläufe erzählt. Ihre Protagonisten fallen alle dem politischen Terror zum Opfer. In einer einzigartigen Mischung von Politischem und Poetischem, Fakten und Fiktion setzt Kis ihnen in diesem Buch ein Denkmal.
Lese-Probe zu „Ein Grabmal für Boris Dawidowitsch “
Aus dem Serbokroatischen von Ilma Rakusa. Mit einem Vorwort von Joseph Brodsky und einem Nachwort von Ilma Rakusa.Als dieses Buch nach vielen Schwierigkeiten 1976 in Zagreb erstmals zur Veröffentlichung gelangte, wurde es in der Presse sofort von den konservativen »Stalinisten« aus den obersten Rängen der jugoslawischen Literaturhierarchie angegriffen. Die Kriegshetze von oben setzte sich unten, bei den traditionell prorussischen und traditionell antisemitischen serbokroatischen Nationalisten fort, denn die Mehrheit der Figuren bei Kis sind Juden, wie der Autor selbst. Jugoslawien ist ein kleines Land, und in einem kleinen Land ist die Politik immer groß, vor allem die Literaturpolitik. Dementsprechend wirkt der Angriff auf einen Autor extrem gezielt. Er war so scharf gezielt, daß er Danilo Kis in einen »nervösen Schockzustand« versetzte.
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Von außen betrachtet ist die Entrüstung, die über das Grabmal für Boris Dawidowitsch losbrach, um so seltsamer, als das Buch absolut nichts mit Jugoslawien und dessen innerer Situation zu tun hat. Keine der Figuren stammt aus Jugoslawien: Es handelt sich um Polen, Russen, Rumänen, Iren, Ungarn, meist jüdischer Herkunft. Keine von ihnen hat ihren Fuß je auf jugoslawischen Boden gesetzt. Ein Grabmal für Boris Dawidowitsch ist im Grunde ein fiktionalisierter Kurzbericht über die Selbstzerstörung des rasenden Trojanischen Pferdes namens Komintern.
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Auf den ersten Blick mag Ein Grabmal für Boris Dawidowitsch wie ein Nebenprodukt von Solschenizyns Der erste Kreis der Hölle und Der Archipel Gulag, von Nadeschda Mandelstams Erinnerungsbuch Das Jahrhundert der Wölfe und verschiedenen Schriften der Brüder Medwedjew erscheinen. In der Tat handelt der überwiegende Teil des Romans von Personen, die während des Großen Terrors der späten dreißiger Jahre umkamen. Die diesbezüglichen Quellen sind leider mehrheitlich russisch. Mit sechzig Millionen Toten infolge von Bürgerkrieg, Kollektivierung,
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Großem Terror und allem, was seither geschehen ist, hat Rußland in diesem Jahrhundert genug Geschichte produziert, um Schriftsteller auf der ganzen Welt für Generationen mit Stoff zu versorgen. Die oben erwähnten Autoren gehören bereits zur zweiten Generation. Zur ersten gehörte Arthur Koestler, und mehrere »Kapitel« des Romans von Kis haben eine gewisse Ähnlichkeit mit Sonnenfinsternis, obwohl sie diesem in bezug auf schreckliche Details und erzählerisches Talent überlegen sind.
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Kis schreibt äußerst verdichtet und daher höchst anspielungsreich. Da er die Form der Biographie wählt – diese letzte Bastion des Realismus –, wirkt jede seiner Vignetten wie ein Bildungsroman en miniature, mit filmähnlichen Montagen klug ausgesuchter Details, die sowohl auf die realen wie auf die literarischen Erfahrungen seiner Leser Bezug nehmen. Hier eine typische Passage, welche die frühen Jahre eines seiner Helden, des Ungarndeutschen und späteren Komintern-Mitglieds Karl Taube, beschreibt:
»Mögen die Angaben über seine früheste Kindheit noch so nichtssagend sein – sie beschwören deutlich genug die provinzielle Grisaille mitteleuropäischer Kleinstädte zu Beginn dieses Jahrhunderts: die ebenerdigen grauen Häuser mit ihren Höfen, welche von der langsam vorbeiziehenden Sonne durch eine klare Demarkationslinie in Quadrate von tödlicher Helligkeit und von modrigem, finsterem Schatten zerteilt werden; die Akazienalleen, die im Frühling widerlich duften, wie die nach Kinderkrankheiten riechenden Hustensirupe und Hustenbonbons; den kühlen Barockglanz der Apotheke mit ihren strahlendweißen gotischen Porzellangefäßen; das düstere gimnázium mit dem gepflasterten Schulhof (Bänke von abgeblättertem Grün, galgenähnliche verlassene Schaukeln, weißgetünchte Holzklosette); das Rathaus in Mariatheresiagelb, der Farbe welker Blätter und herbstlicher Rosen, wie’s in den Romanzen heißt, welche die Zigeunerkapelle allabendlich im Garten des Grandhotels zum besten gibt.
Karl Taube, der Sohn des Apothekers, träumte – wie viele Kinder der Provinz – von jenem glücklichen Tag, da er durch seine dicken Brillengläser zum letzten Mal, aus der Vogelperspektive des Abschieds, auf seine Stadt blicken würde – mit der gleichen Trauer und Abscheu, die man empfindet, wenn man im Album der Gymnasiumszeit mit der Lupe die abgeschmackten gelben Schmetterlingsleichen betrachtet. Im Herbst 1920 bestieg er im Budapester Ostbahnhof den Erste-KlasseWagen des Schnellzugs Budapest-Wien; als der Zug sich in Bewegung setzte, winkte der junge Karl noch einmal seinem Vater zu (der mit wehendem Seidentaschentuch wie ein kleiner dunkler Fleck in der Ferne verschwand), dann trug er seine Ledertasche eilig in den Dritte-Klasse- Wagen und setzte sich zwischen die Arbeiter.«
Die Verbindung von Nostalgie und Verhängnis in dieser – ironisch »Bilder aus dem Album« überschriebenen – Passage gibt einen guten Einblick in die Schreibtechnik von Danilo Kis. Wenn das symbolische Hinüberwechseln in den Dritte-Klasse-Wagen ein rein prosaisches Verfahren ist, um das Dilemma des künftigen Revolutionärs aufzuzeigen, so ist die Wahrnehmung des Vaters, »der wie ein kleiner dunkler Fleck in der Ferne verschwand«, ganz Poesie. Durch die Betonung von Bildlichkeit und Detail, kombiniert mit ironischer Distanz, rückt Kis’ unverkennbar poetische Prosa den entsetzlichen Stoff in eine höchst adäquate Perspektive, indem sie den Leser auf ihre eigene Intelligenz hinweist. Also beschränkt sich dieser bei seiner ethischen Beurteilung der beschriebenen Phänomene nicht nur auf seine Erschütterung, sein Urteil rührt vielmehr von seinen besten menschlichen Kräften, die tief verletzt worden sind. Der Gedanke wird weniger gefühlt, als daß das Gefühl gedacht wird.
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Kis schreibt äußerst verdichtet und daher höchst anspielungsreich. Da er die Form der Biographie wählt – diese letzte Bastion des Realismus –, wirkt jede seiner Vignetten wie ein Bildungsroman en miniature, mit filmähnlichen Montagen klug ausgesuchter Details, die sowohl auf die realen wie auf die literarischen Erfahrungen seiner Leser Bezug nehmen. Hier eine typische Passage, welche die frühen Jahre eines seiner Helden, des Ungarndeutschen und späteren Komintern-Mitglieds Karl Taube, beschreibt:
»Mögen die Angaben über seine früheste Kindheit noch so nichtssagend sein – sie beschwören deutlich genug die provinzielle Grisaille mitteleuropäischer Kleinstädte zu Beginn dieses Jahrhunderts: die ebenerdigen grauen Häuser mit ihren Höfen, welche von der langsam vorbeiziehenden Sonne durch eine klare Demarkationslinie in Quadrate von tödlicher Helligkeit und von modrigem, finsterem Schatten zerteilt werden; die Akazienalleen, die im Frühling widerlich duften, wie die nach Kinderkrankheiten riechenden Hustensirupe und Hustenbonbons; den kühlen Barockglanz der Apotheke mit ihren strahlendweißen gotischen Porzellangefäßen; das düstere gimnázium mit dem gepflasterten Schulhof (Bänke von abgeblättertem Grün, galgenähnliche verlassene Schaukeln, weißgetünchte Holzklosette); das Rathaus in Mariatheresiagelb, der Farbe welker Blätter und herbstlicher Rosen, wie’s in den Romanzen heißt, welche die Zigeunerkapelle allabendlich im Garten des Grandhotels zum besten gibt.
Karl Taube, der Sohn des Apothekers, träumte – wie viele Kinder der Provinz – von jenem glücklichen Tag, da er durch seine dicken Brillengläser zum letzten Mal, aus der Vogelperspektive des Abschieds, auf seine Stadt blicken würde – mit der gleichen Trauer und Abscheu, die man empfindet, wenn man im Album der Gymnasiumszeit mit der Lupe die abgeschmackten gelben Schmetterlingsleichen betrachtet. Im Herbst 1920 bestieg er im Budapester Ostbahnhof den Erste-KlasseWagen des Schnellzugs Budapest-Wien; als der Zug sich in Bewegung setzte, winkte der junge Karl noch einmal seinem Vater zu (der mit wehendem Seidentaschentuch wie ein kleiner dunkler Fleck in der Ferne verschwand), dann trug er seine Ledertasche eilig in den Dritte-Klasse- Wagen und setzte sich zwischen die Arbeiter.«
Die Verbindung von Nostalgie und Verhängnis in dieser – ironisch »Bilder aus dem Album« überschriebenen – Passage gibt einen guten Einblick in die Schreibtechnik von Danilo Kis. Wenn das symbolische Hinüberwechseln in den Dritte-Klasse-Wagen ein rein prosaisches Verfahren ist, um das Dilemma des künftigen Revolutionärs aufzuzeigen, so ist die Wahrnehmung des Vaters, »der wie ein kleiner dunkler Fleck in der Ferne verschwand«, ganz Poesie. Durch die Betonung von Bildlichkeit und Detail, kombiniert mit ironischer Distanz, rückt Kis’ unverkennbar poetische Prosa den entsetzlichen Stoff in eine höchst adäquate Perspektive, indem sie den Leser auf ihre eigene Intelligenz hinweist. Also beschränkt sich dieser bei seiner ethischen Beurteilung der beschriebenen Phänomene nicht nur auf seine Erschütterung, sein Urteil rührt vielmehr von seinen besten menschlichen Kräften, die tief verletzt worden sind. Der Gedanke wird weniger gefühlt, als daß das Gefühl gedacht wird.
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Autoren-Porträt von Danilo Kis
Danilo Kis, geb. 1935 in Subotica, studierte Vergleichende Literaturwissenschaft in Belgrad und veröffentlichte 1962 seinen ersten Roman. Er arbeitete als Lektor für Serbokroatisch und für Jugoslawische Literatur in Straßburg, Bordeaux und Lille und übersetzte u.a. Mandelstam, Baudelaire, Lautreamont und Verlaine ins Serbokroatische. 1980 erhielt er für sein Gesamtwerk den Grand Aigle d'Or. Kis gehört, mit Konrad und Kundera, zu den drei Ks, die die Frage nach einem geistigen Mitteleuropa wieder zur Diskussion gestellt haben. Kis starb 1989 in Paris.Ilma Rakusa, geboren 1946 in der Slowakei, ist Schriftstellerin, Publizistin, promovierte Literaturwissenschaftlerin und Übersetzerin zahlreicher Werke aus dem Russischen, Französischen, Ungarischen und Serbokroatischen. Auszeichnungen: u.a. 1991 mit dem Petrarca-Übersetzerpreis, 1998 mit dem Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung und 2003 mit dem Adelbert-von-Chamisso-Preis. Die Autorin lebt in Zürich, seit 1977 Lehrbeauftragte an der dortigen Universität.
Bibliographische Angaben
- Autor: Danilo Kis
- 2004, 188 Seiten, Maße: 13,4 x 21,1 cm, Gebunden, Deutsch
- Aus d. Serbokroat. v. Ilma Rakusa
- Verlag: HANSER
- ISBN-10: 3446205330
- ISBN-13: 9783446205338
Rezension zu „Ein Grabmal für Boris Dawidowitsch “
"Diese Kunst der Fiktion beherrscht Danilo Kis in virtuoser Weise ... hohe Sprach- und Kompositionskunst".Neue Zürcher Zeitung, 09.09.1983
"...noch zu Lebzeiten ein Klassiker ... einer der größten europäischen Erzähler unseres Jahrhunderts."
Werner Paul, Süddeutsche Zeitung, 17.10.1989
"Mit bewundernswerter Sicherheit bewegt sich Kis zwischen provozierendem Schrecken, schwarzer Romantik und Parabel, montiert zudem seine Geschichten locker ineinander, spinnt ein Netz aus sich scheinbar ausschließenden Gegensätzen ... Aus dieser literarisch höchst anspruchsvollen Auseinandersetzung mit "Grenzbereichen", aus der einfachen Sprache, subtiler Lyrik in kühler Prosa, ergibt sich eine Spannung, die bei der Tragweite des Themas - die Revolution frißt ihre Kinder - schon fast ungehörig ist."
Gudrun Ziegler, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.03.1983
"Seine Sprache packt den Leser, weil in ihr "Zweifel und Rastlosigkeit" pulsieren und die "babylonische Sprachverwirrung" als Wurzel der tödlichen Mißverständnisse erkennbar wird."
Birgitta Mogge, Rheinischer Merkur, 22.04.1983
"... die brillante Anatomiestunde war ein "Kult-Buch" ... ein literarisches Fest"
Frankfurter Rundschau, 06.06.1998
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