Ein gutes Jahr für Pflaumen
Roman. Dtsch. v. Sibylle Hunzinger
Deutsch von Sibylle Hunzinger
In der kleinen Stadt im ländlichen Georgia leben die Menschen in enger Gemeinschaft. Da ist Roger, der Pflanzendoktor, der Kamelien züchtet. Da ist Eula, Rogers Ex-Schwiegermutter, die alle Hände voll zu tun hat mit ihrer...
In der kleinen Stadt im ländlichen Georgia leben die Menschen in enger Gemeinschaft. Da ist Roger, der Pflanzendoktor, der Kamelien züchtet. Da ist Eula, Rogers Ex-Schwiegermutter, die alle Hände voll zu tun hat mit ihrer...
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Produktinformationen zu „Ein gutes Jahr für Pflaumen “
Klappentext zu „Ein gutes Jahr für Pflaumen “
Deutsch von Sibylle HunzingerIn der kleinen Stadt im ländlichen Georgia leben die Menschen in enger Gemeinschaft. Da ist Roger, der Pflanzendoktor, der Kamelien züchtet. Da ist Eula, Rogers Ex-Schwiegermutter, die alle Hände voll zu tun hat mit ihrer Schwester Louise, denn Louise sieht in ihrem Garten grüne Männchen. Die zwei ehemaligen Lehrerinnen von nebenan beschließen im Frühling, die immer gleichen Kaffeekränzchen etwas aufzulockern, und ziehen mit ihren Klappstühlen in den Wald, wo der Vogelkundler Lewis einen seltenen Specht entdeckt hat.Und dann kommt im Sommer die Hühnermalerin Della in die Stadt und bringt einiges durcheinander. Von der Aussaat bis zur Erntezeit beschreibt Bailey White einfühlsam, doch ohne Sentimentalität die exzentrischen Eigenarten der Bewohner dieser ländlichen Idylle.
Lese-Probe zu „Ein gutes Jahr für Pflaumen “
Vier Hühner"Und das Flugzeug ging auf dem Rollfeld in Flammen auf", murmelte Della vor sich hin. Sie sagte sich das immer beim Start und bei der Landung vor, den gefährlichsten Phasen bei einem Flug, wie sie gelesen hatte. Sie zitierte manchmal auch nur Teile des Satzes: "...in Flammen..." oder sogar nur "Und das Flugzeug..." Aber diesmal war ihr nach dem ganzen Satz zumute, und sie wiederholte ihn sogar noch ein zweites Mal laut und sah dabei ihrem Sitznachbarn direkt in die Augen."Und das Flugzeug ging auf der Rollbahn in Flammen auf. "Aber er wendete sich von ihr ab und stopfte seine Zeitung in die Tasche am Vordersitz. Dann gab es einen leichten Rums, eine freundliche Stimme machte sie darauf aufmerksam, daß das Handgepäck während des Flugs verrutscht sein könnte, und plötzlich waren alle auf den Beinen, sammelten ihre Sachen zusammen und wirbelten die Geruchswolke eines Haufens nervöser Menschen auf.
Della hatte den ganzen Tag auf Flughäfen und in Flugzeugen verbracht, auf dem Weg nach Norden zu der renommierten Ausstellung "Vögel in der bildenden Kunst" in Wausau, Wisconsin, wo man ein Bild von ihr angenommen hatte. Ja, an diesem frühen Herbsttag schwirrte es in der Luft von Vogelmalern: Aus Schweden flog Meister Tiermaler Lars Jonsson mit einer geheimnisvollen und phantastischen Eislandschaft ein, auf der im Vordergrund sechs Königseiderenten zu sehen waren; aus Belgien flog Carl Brenders ein mit einem überrealistischen Gouache und Wasserfarbenbild von einem seitlich rotbraun gefärbten Erdfinken, der sich im Rückspiegel einer Harley Davidson spiegelte, und aus Connecticut Roger Tory Peterson mit einer Bildtafel, die als Illustration für ein Bestimmungsbuch gedacht war und auf der eine ganze Anzahl Tyrannen in Seitenansicht Pflicht bewußt ihre Unterscheidungsmerkmale sehen ließen. Da waren die akademischen Naturalisten alter Schule mit ihren Vogelporträts a la Audubon und die hitzigen Protestkünstler mit ihren Bildern von toten Vögeln und menschlichen
... mehr
Exkrementen. Da waren Maler mit winzigen, akribisch genauen Aquarellen von Singvögeln und Bildhauer mit lebensgroßen Plastiken von herabstoßenden Fischadlern und flügelspreizenden Raubvögeln.Aber selbst bei all dieser Vielfalt fühlte Della sich unbehaglich, sie hatte auf ihrem Weg durch den Flughafen das Gefühl, daß sie von einem ständigen Gezischel verfolgt wurde, und aus jedem Satz schoß ein bestimmtes Wort hervor.Am Gate B-22: "Hühner!"Auf dem Laufband: "Sie hat Hühner gemalt."An der Gepäckausgabe: "Man stelle sich das vor! Hühner!"
"Was, Sie haben ein Bild von Hühnern für die Ausstellung"Vögel in der bildenden Kunst" eingereicht? " hatte Lou, der Galeriebesitzer zu Hause gefragt, war einen Schritt zurückgetreten und hatte sich das Bild angesehen."Das sind Dominiques", sagte Della. "Eine alte Nutzrasse.""Sie haben für die weltweit bedeutendste Ausstellung von Tierdarstellungen ein Hühnerbild eingereicht? ""Sie gelten beim amerikanischen Artenschutzbund als eine vom Aussterben bedrohte Rasse.""Vom Aussterben bedrohte Hühner! " sagte Lou, blätterte in dem Ausstellungskatalog von "Vögel in der bildenden Kunst" und hielt gezielt inne bei John Felsings ölgemälde mit rosenfarbigen Löffelreihern vor einem Sonnenuntergang im Süden Floridas und bei Guy Coheleachs Afrikanischem Fischadler im Flug vor den Viktoriafällen, die abschwingenden Flügel in dramatischer Position."Hühner!" Lou trat zurück und machte eine verächtliche Geste, Handflächen nach oben, den beiden Dominiques entgegen, die im Dreck scharrten. "Della! Landsdowne kommt dahin! Robert Bateman kommt dahin! Hartsfield! Sogar Hartsfield könnte das zu Gesicht bekommen! "Aber es war zu spät; eine Woche darauf war ein Brief in der Post:Liebe Miss Robinson, wir freuen uns, Ihnen mitteilen zu können . . .
"Ich denke an Ihren Ruf als ernstzunehmende Tiermalerin, Della", sagte Lou. Sie aßen zusammen rennen zu Mittag, "zur Feier des Tages", hatte Della gesagt."Hühner" Lou begann sein Brötchen in mundgerechte Bissen zu zerreißen und mit heftigen Bewegungen Butter darauf zu streichen. Sie nennen Ihr Bild "Hühner" aber was wollen Sie dem Betrachter mit diesem Bild eigentlich sagen, Della? Geht es um Eingesperrt sein? Die Herrschaft des Menschen über das Vogelreich? Oder ist es einfach nur eine Studie des Lichts, was schön wäre." Er legte das Messer und das letzte Stückchen von dem Brötchen hin, kreuzte die Arme auf dem Rand der Tischplatte und beugte sich mit ernster Miene über den Teller hinweg zu ihr. "Aber in der sich wandelnden Welt der Tiermalerei muß man den Mut haben, zu seinen überzeugungen zu stehen. Man muß überzeugungen haben, Della . . . Haben Sie die? "Er biß in sein Brötchen, als ob er es guillotinierte. Es war fast ein Zuschnappen."Es ist doch nur ein Bild von Hühnern, Lou", sagte Della tapfer.Und als "Hühner" war das Bild in eine Kiste verpackt und nach Wisconsin verschifft worden, wo es sorgsam an eine weiße Wand in eine ausgewogene Beleuchtung gehängt wurde. "Hühner" stand in deutlichen Druckbuchstaben auf einer cremefarbenen Karte in einer Plastikhülle unter dem Bild.
"Hühner"!" schnaubte eine Frau in einem Zobelmantel verächtlich, als sie den Titel las, und beugte sich vor, um das Bild genauer in Augenschein zu nehmen. "Ich weiß wirklich nicht, wo es mit der Tiermalerei noch hingeht", sagte sie zu ihrem Begleiter, einem großen, faden Mann mit Halstuch und randloser Brille, und gemeinsam schoben sie sich weiter.Nach der Eröffnung vor geladenen Gästen am Freitagabend hatte man Della bei einem Fest, das die Sponsoren des Museums anläßlich der Ausstellung veranstalteten, neben Bruce Coulton gesetzt, einen Maler, der sich vorwiegend Eroberungskriege und Beispiele sexueller Freizügigkeit in äquatorialafrika als Bildthemen wählte. Er hatte gerade das Rauchen aufgegeben, und der Jetlag wie das Verlangen nach Nikotin machten ihn zu einer anstrengenden Gesellschaft."Mr. Coulton hat sich von seinem Regenwald losgerissen, um uns hier mit seinen herrlichen Flamingos zu beehren", verkündete die Gastgeberin, die dem Museum gerade eine Sammlung viktorianischer Kristallvogelnester zum Geschenk gemacht hatte. "Wir wissen es wirklich zu schätzen, Mr. Coulton, daß Sie Ihr aufregendes Leben und vor allem Ihre Arbeit für uns unterbrochen haben, die Sie so sehr in Anspruch nehmen muß. Und Sie" - sie lugte umdie Lilien herum, um Dellas Namensschild sehen zu können -, "und von Ihnen haben wir . . ."Hühner", sagte Della."O ja, die Hühner", rief die Gastgeberin und warf die Hände hoch. "Ich liebe Ihre wundervollen Hühner! " Sie legte eine Hand auf Bruce Coultons Arm und flüsterte: "Wir müssen wahrscheinlich das malen, was wir kennen, und das Beste daraus machen, nicht wahr, Mr. Coulton?"
Bruce Coulton fuhr auf seinem Stuhl zusammen und atmete durch die geschlossenen Zähne ein. Aber in diesem restaurierten georgianischen Herrenhaus war Rauchen nicht erlaubt, und als Della nach Dessert und Kaffee hinausging, um frische Luft zu schöpfen, entdeckte sie ihn, wie er mitten in einem kleinen Skulpturengarten stand und sich mit zitternden Fingern eine Zigarette ansteckte. Er atmete den Rauch mit geschlossenen Augen tief ein und hielt die Zigarette in der hohlen Hand verborgen, als rechne er damit, daß man sie ihm jeden Moment entreißen würde. Die Kälte, die Dunkelheit, die glimmende Zigarette und die spukhaften modernen Skulpturen wie gefoltert aussehender Tiere auf ihren weißen Kiesbetten verliehen der Situation etwas beinah sinister Theatralisches, und als Bruce Coulton barsch hervorstieß: "Ist Hartsfield da? ", fuhr Della zusammen."Er kommt immer am zweiten Tag, zur offiziellen Eröffnung", sagte sie."Der große Auftritt", sagte er, kniff die Augen zusammen und zog an der Zigarette. "Er schießt auf uns alle herunter in seinem grauen Umhang.""Es wäre sicher ein großer Auftritt, wenn er käme", sagte Della.Hartsfield hatte seit dem Wintertag vor zehn Jahren nicht mehr gemalt, als er beim Beobachten eines Papageientauchers vor der Küste von Maine aus dem kleinen Boot insWasser gefallen war. Er ließ sich aber jedes Jahr auf der Ausstellung "Vögel in der bildenden Kunst" blicken und bewegte sich am Arm seines Begleiters schweigend durch den Besucherstrom, wobei ihm der Kaschmirumhang immer wieder von den mageren Schultern rutschte. Die Menschenmenge teilte sich, wenn er näherkam, um dem großen Mann Platz zu machen, und der Museumsdirektor brachte ihn mit einem sanften Ruck vor den einzelnen Bildern zum Stehen und flüsterte ihm den Namen des Künstlers und den Titel des Werks zu. Hartsfield gab keinen Kommentar zu den Bildern ab, aber manchmal beugte er sich vor, um irgendein Detail eines Bildes genauer in Augenschein zu nehmen, und sagte "Hmmm", bevor er weiterging.
"Ich weiß nicht, warum er sich die Mühe macht, überhaupt noch zu kommen", sagte Bruce Coulton und drückte ingrimmig die Zigarette in dem Kies aus. "Er ist völlig gaga, seine Werke sind passe, der Sabber läuft ihm aus dem Mund, und er ist blind wie 'ne Fledermaus. " Er schwieg und starrte die Skulptur zu seinen Füßen an, ein glattes, fast konturenloses Pantherpärchen, das träge auf seinem Kiesbett ruhte und dessen stummelige, unausgeformte Vorderpfoten nicht mal ganz bis zum Boden reichten. "Du lieber Oott, die sehen ja aus wie Contergan-geschädigt! " Er stieß mit der Fußspitze gegen eine der Katzen. "Wo mag es in diesem Genre noch hingehen? " knurrte er, und dann stelzte er davon in Richtung Helligkeit und ließ Della, die ein leichtes Unbehagen verspürte, bei den weißen Panthern und den letzten Rauchwölkchen zurück. Es war das zweite Mal an diesem Tag, daß diese Frage in mehr oder minder rhetorischer Form an sie gerichtet wurde. Sie dachte an Hartsfields großartiges Oeuvre, das in der ständigen Ausstellung des Museums zu sehen war: Raubvögel im Segelflug, der Körper wie aufgehängt zwischen den gespreizten Schwingen, Königseiderenten in arktischem Nebel, ein Kaiseradler mit seiner Beute. Dann dachte sie ar ihr eigenes Bild von den beiden Dominiques, und wie sie bei der Arbeit daran einen ganzen Sommer lang gekämpft und gelitten hatte. Am Ende war das dabei herausgekommen - nichts weiter als Hühner.
Der nächste Tag präsentierte sich kalt und grau, mit tief herabhängendem Himmel und Schnee in der Luft. Im eisigen Skulpturengarten bildete die Menge der Wartender eine lange Schlange, und die Ausstellungsräume füllten sich zusehends. Bei der hervorragenden Beleuchtung im Museum sah es fast so aus, als ob die Besucher selbst die Exponate wären - das Haar schimmerte, die Gesichter waren wie von innen erleuchtet, und der Schmuck glänzte und funkelte. Sie strömten durch die Räume wie eine zähe Flüssigkeit und sammelten sich vor den Werken der berühmtesten Künstler zu Pfützen, unter ehrfürchtigem und bewunderndem Geschnatter.Um Punkt zehn Uhr traf Hartsfield ein, blieb einer Augenblick in der offenen Tür stehen, um nach dem gefährlichen Akt, den das überschreiten einer Schwelle für ihn bedeutete, das Gleichgewicht wiederzufinden, und ein kalter Wind drang in das Museum ein.Hartsfields Kleider hingen über die Ecken und Kanten seiner knochigen Greisengestalt herab, als ob sie ein Gefieder wären - der graue Umhang bildete einander überlappende lange Falten, die wie Schwungfedern aussahen, au dem braun-beige Wollschal, den er um den Hals geschlungen hatte, lugte ein rotes Halstuch hervor. Seine Freunde scharten sich um ihn, und die Kunst war vergessen, als nm alle gebannt zusahen, wie Roger Tory Peterson, Robert Bateman und J. Fenwick Landsdowne den großen Mann begrüßten. Keiner von ihnen berührte ihn, aus Angst, er könne aus dem Gleichgewicht geraten und stürzen, aber einer nach dem anderen nickte ihm zu, verbeugte sich und murmelte eine Begrüßung.
Dann begann die Führung. "Fischadler und atlantischer Lachs" von Larrv Barth. "Schwarzbrauner Sturmtaucher" von Charles Greenough Chase. "Blaukamm-Loerie" Dino Paravano", murmelte der Museumsdirektor, seiner Sache gewiß, und: ""Schwarzbrauner Sturmtaucher" ...das ist CHASE, CHARLES CHASE", erklärte Hartsfields Begleiter mit erhobener Stimme."Mmmm", sagte Hartsfield, verstummte und beugte sich vor. "Hmmm."""Hühner", Della Robinson", sagte der Museumsdirektor.Hartsfield beugte sich vor und nahm das Bild in Augenschein. Seine unteren Augenlider hatten ihre Spannkraft verloren, hingen herab und erweckten dadurch den Eindruck, daß beide Augäpfel jeden Moment aus ihren Höhlen herausfallen könnten. Della unterdrückte das Bedürfnis, ihm hilfsbereit die Hände mit leicht geöffneten Handflächen an die Wangen zu legen. Langsam streckte Hartsfield eine Hand aus und machte eine zittrige Geste: Er formte mit Daumen und Zeigefinger einen Kreis vor den drei anderen, abgespreizten Fingern. "Dominickers! " sagte er in einem Ton, der wie ein fröhliches Quaken klang, und sein Begleiter brüllte: "Hühner!"
"Was, Sie haben ein Bild von Hühnern für die Ausstellung"Vögel in der bildenden Kunst" eingereicht? " hatte Lou, der Galeriebesitzer zu Hause gefragt, war einen Schritt zurückgetreten und hatte sich das Bild angesehen."Das sind Dominiques", sagte Della. "Eine alte Nutzrasse.""Sie haben für die weltweit bedeutendste Ausstellung von Tierdarstellungen ein Hühnerbild eingereicht? ""Sie gelten beim amerikanischen Artenschutzbund als eine vom Aussterben bedrohte Rasse.""Vom Aussterben bedrohte Hühner! " sagte Lou, blätterte in dem Ausstellungskatalog von "Vögel in der bildenden Kunst" und hielt gezielt inne bei John Felsings ölgemälde mit rosenfarbigen Löffelreihern vor einem Sonnenuntergang im Süden Floridas und bei Guy Coheleachs Afrikanischem Fischadler im Flug vor den Viktoriafällen, die abschwingenden Flügel in dramatischer Position."Hühner!" Lou trat zurück und machte eine verächtliche Geste, Handflächen nach oben, den beiden Dominiques entgegen, die im Dreck scharrten. "Della! Landsdowne kommt dahin! Robert Bateman kommt dahin! Hartsfield! Sogar Hartsfield könnte das zu Gesicht bekommen! "Aber es war zu spät; eine Woche darauf war ein Brief in der Post:Liebe Miss Robinson, wir freuen uns, Ihnen mitteilen zu können . . .
"Ich denke an Ihren Ruf als ernstzunehmende Tiermalerin, Della", sagte Lou. Sie aßen zusammen rennen zu Mittag, "zur Feier des Tages", hatte Della gesagt."Hühner" Lou begann sein Brötchen in mundgerechte Bissen zu zerreißen und mit heftigen Bewegungen Butter darauf zu streichen. Sie nennen Ihr Bild "Hühner" aber was wollen Sie dem Betrachter mit diesem Bild eigentlich sagen, Della? Geht es um Eingesperrt sein? Die Herrschaft des Menschen über das Vogelreich? Oder ist es einfach nur eine Studie des Lichts, was schön wäre." Er legte das Messer und das letzte Stückchen von dem Brötchen hin, kreuzte die Arme auf dem Rand der Tischplatte und beugte sich mit ernster Miene über den Teller hinweg zu ihr. "Aber in der sich wandelnden Welt der Tiermalerei muß man den Mut haben, zu seinen überzeugungen zu stehen. Man muß überzeugungen haben, Della . . . Haben Sie die? "Er biß in sein Brötchen, als ob er es guillotinierte. Es war fast ein Zuschnappen."Es ist doch nur ein Bild von Hühnern, Lou", sagte Della tapfer.Und als "Hühner" war das Bild in eine Kiste verpackt und nach Wisconsin verschifft worden, wo es sorgsam an eine weiße Wand in eine ausgewogene Beleuchtung gehängt wurde. "Hühner" stand in deutlichen Druckbuchstaben auf einer cremefarbenen Karte in einer Plastikhülle unter dem Bild.
"Hühner"!" schnaubte eine Frau in einem Zobelmantel verächtlich, als sie den Titel las, und beugte sich vor, um das Bild genauer in Augenschein zu nehmen. "Ich weiß wirklich nicht, wo es mit der Tiermalerei noch hingeht", sagte sie zu ihrem Begleiter, einem großen, faden Mann mit Halstuch und randloser Brille, und gemeinsam schoben sie sich weiter.Nach der Eröffnung vor geladenen Gästen am Freitagabend hatte man Della bei einem Fest, das die Sponsoren des Museums anläßlich der Ausstellung veranstalteten, neben Bruce Coulton gesetzt, einen Maler, der sich vorwiegend Eroberungskriege und Beispiele sexueller Freizügigkeit in äquatorialafrika als Bildthemen wählte. Er hatte gerade das Rauchen aufgegeben, und der Jetlag wie das Verlangen nach Nikotin machten ihn zu einer anstrengenden Gesellschaft."Mr. Coulton hat sich von seinem Regenwald losgerissen, um uns hier mit seinen herrlichen Flamingos zu beehren", verkündete die Gastgeberin, die dem Museum gerade eine Sammlung viktorianischer Kristallvogelnester zum Geschenk gemacht hatte. "Wir wissen es wirklich zu schätzen, Mr. Coulton, daß Sie Ihr aufregendes Leben und vor allem Ihre Arbeit für uns unterbrochen haben, die Sie so sehr in Anspruch nehmen muß. Und Sie" - sie lugte umdie Lilien herum, um Dellas Namensschild sehen zu können -, "und von Ihnen haben wir . . ."Hühner", sagte Della."O ja, die Hühner", rief die Gastgeberin und warf die Hände hoch. "Ich liebe Ihre wundervollen Hühner! " Sie legte eine Hand auf Bruce Coultons Arm und flüsterte: "Wir müssen wahrscheinlich das malen, was wir kennen, und das Beste daraus machen, nicht wahr, Mr. Coulton?"
Bruce Coulton fuhr auf seinem Stuhl zusammen und atmete durch die geschlossenen Zähne ein. Aber in diesem restaurierten georgianischen Herrenhaus war Rauchen nicht erlaubt, und als Della nach Dessert und Kaffee hinausging, um frische Luft zu schöpfen, entdeckte sie ihn, wie er mitten in einem kleinen Skulpturengarten stand und sich mit zitternden Fingern eine Zigarette ansteckte. Er atmete den Rauch mit geschlossenen Augen tief ein und hielt die Zigarette in der hohlen Hand verborgen, als rechne er damit, daß man sie ihm jeden Moment entreißen würde. Die Kälte, die Dunkelheit, die glimmende Zigarette und die spukhaften modernen Skulpturen wie gefoltert aussehender Tiere auf ihren weißen Kiesbetten verliehen der Situation etwas beinah sinister Theatralisches, und als Bruce Coulton barsch hervorstieß: "Ist Hartsfield da? ", fuhr Della zusammen."Er kommt immer am zweiten Tag, zur offiziellen Eröffnung", sagte sie."Der große Auftritt", sagte er, kniff die Augen zusammen und zog an der Zigarette. "Er schießt auf uns alle herunter in seinem grauen Umhang.""Es wäre sicher ein großer Auftritt, wenn er käme", sagte Della.Hartsfield hatte seit dem Wintertag vor zehn Jahren nicht mehr gemalt, als er beim Beobachten eines Papageientauchers vor der Küste von Maine aus dem kleinen Boot insWasser gefallen war. Er ließ sich aber jedes Jahr auf der Ausstellung "Vögel in der bildenden Kunst" blicken und bewegte sich am Arm seines Begleiters schweigend durch den Besucherstrom, wobei ihm der Kaschmirumhang immer wieder von den mageren Schultern rutschte. Die Menschenmenge teilte sich, wenn er näherkam, um dem großen Mann Platz zu machen, und der Museumsdirektor brachte ihn mit einem sanften Ruck vor den einzelnen Bildern zum Stehen und flüsterte ihm den Namen des Künstlers und den Titel des Werks zu. Hartsfield gab keinen Kommentar zu den Bildern ab, aber manchmal beugte er sich vor, um irgendein Detail eines Bildes genauer in Augenschein zu nehmen, und sagte "Hmmm", bevor er weiterging.
"Ich weiß nicht, warum er sich die Mühe macht, überhaupt noch zu kommen", sagte Bruce Coulton und drückte ingrimmig die Zigarette in dem Kies aus. "Er ist völlig gaga, seine Werke sind passe, der Sabber läuft ihm aus dem Mund, und er ist blind wie 'ne Fledermaus. " Er schwieg und starrte die Skulptur zu seinen Füßen an, ein glattes, fast konturenloses Pantherpärchen, das träge auf seinem Kiesbett ruhte und dessen stummelige, unausgeformte Vorderpfoten nicht mal ganz bis zum Boden reichten. "Du lieber Oott, die sehen ja aus wie Contergan-geschädigt! " Er stieß mit der Fußspitze gegen eine der Katzen. "Wo mag es in diesem Genre noch hingehen? " knurrte er, und dann stelzte er davon in Richtung Helligkeit und ließ Della, die ein leichtes Unbehagen verspürte, bei den weißen Panthern und den letzten Rauchwölkchen zurück. Es war das zweite Mal an diesem Tag, daß diese Frage in mehr oder minder rhetorischer Form an sie gerichtet wurde. Sie dachte an Hartsfields großartiges Oeuvre, das in der ständigen Ausstellung des Museums zu sehen war: Raubvögel im Segelflug, der Körper wie aufgehängt zwischen den gespreizten Schwingen, Königseiderenten in arktischem Nebel, ein Kaiseradler mit seiner Beute. Dann dachte sie ar ihr eigenes Bild von den beiden Dominiques, und wie sie bei der Arbeit daran einen ganzen Sommer lang gekämpft und gelitten hatte. Am Ende war das dabei herausgekommen - nichts weiter als Hühner.
Der nächste Tag präsentierte sich kalt und grau, mit tief herabhängendem Himmel und Schnee in der Luft. Im eisigen Skulpturengarten bildete die Menge der Wartender eine lange Schlange, und die Ausstellungsräume füllten sich zusehends. Bei der hervorragenden Beleuchtung im Museum sah es fast so aus, als ob die Besucher selbst die Exponate wären - das Haar schimmerte, die Gesichter waren wie von innen erleuchtet, und der Schmuck glänzte und funkelte. Sie strömten durch die Räume wie eine zähe Flüssigkeit und sammelten sich vor den Werken der berühmtesten Künstler zu Pfützen, unter ehrfürchtigem und bewunderndem Geschnatter.Um Punkt zehn Uhr traf Hartsfield ein, blieb einer Augenblick in der offenen Tür stehen, um nach dem gefährlichen Akt, den das überschreiten einer Schwelle für ihn bedeutete, das Gleichgewicht wiederzufinden, und ein kalter Wind drang in das Museum ein.Hartsfields Kleider hingen über die Ecken und Kanten seiner knochigen Greisengestalt herab, als ob sie ein Gefieder wären - der graue Umhang bildete einander überlappende lange Falten, die wie Schwungfedern aussahen, au dem braun-beige Wollschal, den er um den Hals geschlungen hatte, lugte ein rotes Halstuch hervor. Seine Freunde scharten sich um ihn, und die Kunst war vergessen, als nm alle gebannt zusahen, wie Roger Tory Peterson, Robert Bateman und J. Fenwick Landsdowne den großen Mann begrüßten. Keiner von ihnen berührte ihn, aus Angst, er könne aus dem Gleichgewicht geraten und stürzen, aber einer nach dem anderen nickte ihm zu, verbeugte sich und murmelte eine Begrüßung.
Dann begann die Führung. "Fischadler und atlantischer Lachs" von Larrv Barth. "Schwarzbrauner Sturmtaucher" von Charles Greenough Chase. "Blaukamm-Loerie" Dino Paravano", murmelte der Museumsdirektor, seiner Sache gewiß, und: ""Schwarzbrauner Sturmtaucher" ...das ist CHASE, CHARLES CHASE", erklärte Hartsfields Begleiter mit erhobener Stimme."Mmmm", sagte Hartsfield, verstummte und beugte sich vor. "Hmmm."""Hühner", Della Robinson", sagte der Museumsdirektor.Hartsfield beugte sich vor und nahm das Bild in Augenschein. Seine unteren Augenlider hatten ihre Spannkraft verloren, hingen herab und erweckten dadurch den Eindruck, daß beide Augäpfel jeden Moment aus ihren Höhlen herausfallen könnten. Della unterdrückte das Bedürfnis, ihm hilfsbereit die Hände mit leicht geöffneten Handflächen an die Wangen zu legen. Langsam streckte Hartsfield eine Hand aus und machte eine zittrige Geste: Er formte mit Daumen und Zeigefinger einen Kreis vor den drei anderen, abgespreizten Fingern. "Dominickers! " sagte er in einem Ton, der wie ein fröhliches Quaken klang, und sein Begleiter brüllte: "Hühner!"
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Autoren-Porträt von Bailey White
Bailey White wurde 1950 als Tochter eines Schriftstellers auf einer Farm im ländlichen Georgia geboren. Sie war Grundschullehrerin, bis sie 1993 mit dem Roman 'Mama Makes Up Her Mind' in den USA einen Bestseller landete.Heute lebt sie als freie Autorin und Radio-Kommentatorin noch immer in dem Haus ihrer Kindheit. Von Baily White ist in den USA außerdem der Roman 'Sleeping at the Starlight Motel' (1996) erschienen.
Bibliographische Angaben
- Autor: Bailey White
- 2001, 217 Seiten, Maße: 21 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: DTV
- ISBN-10: 3423242647
- ISBN-13: 9783423242646
Rezension zu „Ein gutes Jahr für Pflaumen “
"Ein bezaubender Roman, so zart gezeichnet wie ein Spinnennetz." Martha Woodhall im Philadelphia Inquirer"Bailey White knüpft an die Erzähltradition der amerikanischen Südstaaten an, wo der Humor trocken ist, Glück und Traurigkeit nah beieinander liegen und Exzentrik so gewöhnlich ist wie Stubenfliegen." Georgia Jones-Davis im San Francisco Chronicle
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