Ein Käfig voller Pechvögel
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Glenn ist ein autistischer Flaschensammler, Paul angehender Arzt, dem ständig Patienten abhanden kommen, Armand lebt in dauernder Furcht vor Bazillen, und Melanie ist ein pummeliges Mädchen, das sich im Ballettunterricht quälen muss. Zusammen mit ein paar weiteren Pechvögeln sorgen die vier in dem englischen Örtchen Shadley Oak für einigen Wirbel. Sie stolpern von einem Missgeschick zum nächsten, bis sie schließlich ihren Platz im Kleinstadtleben finden ...
"Ein unglaublich lustiger und zugleich warmherziger Roman voller liebenswerter Gestalten in den witzigsten Situationen." - Bookseller
"Unglaublich komisch! Lissa Evans ist der Tom Sharpe für eine neue Generation!" - Lisa Jewell
EinKäfig voller Pechvögel vonLissa Evans
LESEPROBE
Die Wohnung hatte nur zweiSchlafzimmer. Sie waren fast
identisch, aber in dem einen hingein Bild von einer Schafherde
an der Wand, also nahm Paul dasandere. Er warf einen kurzen
Blick aus dem Fenster (Himmel,Baumwipfel, Rückseite vom
Supermarkt), bewunderte das Posteran der Tür (ein Löwe, der
eine Gazelle ausweidete, darunterhandschriftlich die Worte
»Zu Gast bei Mr. Gorman«), hüpfteauf dem Bett herum, legte
sich hin, schloss ein paar Sekundenlang die Augen, dann setzte
er sich wieder auf, zu aufgeregt, umruhig zu bleiben. Wie
Kohlensäure sprudelte freudigeErregung in ihm auf, und er
fühlte sich wie ein Astronaut beimMondspaziergang. Er hatte
es geschafft, er war hier. Zumersten Mal im Leben war er zur
rechten Zeit am rechten Ort, vollqualifiziert, voll eingekleidet,
beglaubigt, autorisiert und bereitloszulegen. Der Augenblick
war real und doch absolutunglaublich. Am liebsten hätte er ihn
in einer Akte vermerkt undregelmäßig untersucht. Am liebsten
hätte er ihn auf seiner Hautgespürt, wie ein Unterhemd.
Er fing an auszupacken, fieberhaft,stapelte seine Lehrbücher
neben dem Bett, drapierte seineGlückskrawatte um den Spiegel
der Frisierkommode und warf dieSchuhe unten in den Schrank.
Die weißen Kittel hatte er zuersteingepackt, weil sie von größter
Bedeutung waren, und deshalb lagensie ganz unten in der Tasche,
zerknautscht - unter denTurnschuhen. Er schüttelte sie
aus, versuchte, von einem der Kitteletwas abzukratzen, das wie
Teer aussah, und hängte sie dannvoller Ehrfurcht auf Bügel.
Schließlich rollte er seinStethoskop auf dem Nachtschrank zu-
sammen, legte die »VielGlück«-Karten von den Eltern und der
Großmutter daneben und holte diesenUmschlag aus seiner Jackentasche,
der vor zwei Tagen morgens mit derPost gekommen
und mittlerweile schon ganz weichwar. Er enthielt seinen
Vertrag, einen Brief mitInformationen zur Unterbringung und
ein rechteckiges weißesPlastikschild, auf dem sein Name stand.
Er nahm das Schild und betrachtetees: »Dr. Paul Gooding«.
Dr. Gooding.
Paul.
So - und nur so - würde man ihn vonnun an nennen. Vielleicht
noch »Dr. Paul«. Es hatte so einenfreundlichen, würdevollen
Klang. »Dieser Dr. Paul istgrandios. War er eigentlich
ein Streber?« - »Nein, im erstenExamen ist er durchgefallen,
dann musste er das ganze dritte Jahrwiederholen, und am
Ende « Er revidierte das Gespräch.»Nein, akademisch war er
eher Durchschnitt.« - »Da sieht manes mal wieder! Man kann
es nie wissen, oder? Heute ist er grandios.«- »Das stimmt, aber
man erlebt es oft, dassEinserkandidaten nicht mithalten können,
wenn es an die tägliche Arbeit aufder Station geht.« - »Es
mangelt ihnen am nötigen Mitgefühl.«- »Ja. Dr. Gooding dagegen
« - »Dr. Paul, wie wir ihn hiernennen «
Er legte sein Namensschild neben dasStethoskop und trat
wieder an den Schrank. Nachdem erden am wenigsten zerknitterten
weißen Kittel ausgesucht hatte, zoger ihn über und trat
einen Schritt zurück, um sich imgroßen Spiegel zu betrachten
- genau wie gestern, als er ihnseiner Mutter vorführen
musste. Vor lauter Rührung hatte sienur wortlos seine Hand
genommen und an ihren Augenherumgetupft - eine etwas verhaltenere
Reaktion schien ihm angeraten. Diekürzeren Kittel -
wie sie von Medizinstudentengetragen wurden - passten ihm
nicht. Das Rückenteil lag am Hinternauf, was aussah (wie eine
Exfreundin anmerkte), als trüge ereine Turnüre. Er hatte ge-
hofft, etwas mehr Länge könne ihmeine gewisse Würde verleihen
und vielleicht sogar das eine oderandere Pfund kaschieren.
(»Sie würden Dr. Paul doch nicht alsübergewichtig bezeichnen,
oder?« - »Nein, er ist eherkräftig.« - »Allenfalls stämmig.« -
»Ja. Wie dem auch sei: Er strahltdamit so eine Ruhe aus.«)
Als er sich nun aber einerkritischen Selbsteinschätzung unterzog,
fiel das Resultat doch eherunbefriedigend aus. Die Turnüre
war weg, stattdessen sah er nun wieeine Birne aus. Er
knöpfte den Kittel auf, locker undlässig. Besser. Er widmete
sich seiner Seitenansicht. Sieerinnerte ihn an eine Milchflasche.
Er wandte dem Spiegel seinen Rückenzu, beäugte sich
über die Schulter hinweg undbeschloss, diesen Anblick gänzlich
aus seiner Erinnerung zu löschen. Vielleichtgab es in Shadley
Oak ja ein Fitnessstudio. Leichtenttäuscht hängte er den
Kittel wieder auf den Bügel undschob den Koffer unters Bett.
Er brauchte etwa zwei Minuten, umden Rest der Wohnung zu
erkunden. Sie schien erst kürzlichgeputzt worden zu sein, war
gepflegt, billig möbliert und so gutwie frei von jeglicher Dekoration
oder überflüssigem Zierrat. Es gabeinen Videorekorder,
aber keine Videos, einenZeitschriftenständer, aber keine Zeitschriften,
einen Kessel, aber weder Tee nochKaffee, Saft oder
Milch und überhaupt keineLebensmittel, abgesehen von einem
einzelnen Hamburger undefinierbarenAlters, der im Eisfach
festgefroren war und sich nichtbewegen ließ. Paul kochte sich
einen Becher heißes Wasser, rührteeine Tüte Tomatensoße hinein,
die er in einer Schublade gefundenhatte, und schlenderte
zum Küchenfenster. Es wargrößtenteils mit einer verblassten
orangefarbenen Jalousie verhängt. Erzupfte an der Kordel,
doch statt scharf aufwärts zuschnellen, rollte die Jalousie bis
auf die Fensterbank herunter. Er zogdaran, fester diesmal, und
immer mehr Stoff türmte sich überder Spüle. Er versuchte erst,
langsam zu ziehen, dann schnell,dann ruckte er ein paar Mal
vorsichtig daran und standschließlich in der Küche, zwei Meter
Leinwand zwischen sich und demFensterrahmen.
Am Ende war es das Einfachste, aufdie Spüle zu klettern und
die Jalousie komplett aus derVerankerung zu hebeln. Der Anblick,
der sich ihm urplötzlich bot, warSchwindel erregend,
und Paul zögerte - mit einem Fuß imWaschbecken. Dann
beugte er sich vorsichtig vor, umgenauer hinzusehen.
Bemerkenswert war vor allem derSchornstein der Klinik-
Müllverbrennung direkt vor seinerNase, sodass die Wartungsleiter
zum Greifen nah schien. Zu seinerLinken bot sich ihm
eine Vogelperspektive auf daskunterbunte Chaos der Krankenhausgebäude,
und zu seiner Rechten - jenseits desZaunes - auf
eine Straße mit malerischen Häusern,größtenteils zu Läden
umgebaut. Auf dem Weg zumKrankenhaus war er dort entlanggekommen,
am Marktplatz vorbei, an Woolworthund Ryman s
und - er hielt die Luft an, dannreckte er den Hals so weit
nach links, wie es der Küchenschrankerlaubte. Ganz am Rand
des Fensters sah man gerade noch einhohes Reihenhaus, zwischen
dessen oberen Fenstern die großeweiße Darstellung einer
springenden Figur mit geflügeltemHut zu erkennen war.
Er kletterte von der Spüle und liefins Wohnzimmer. Von dort
aus war der Blick weit undunverstellt, und die Front des Shadley
Oak Mercury war deutlich zu erkennen.
Er war daran vorbeigekommen. Erhatte gebremst und hinübergestarrt
und sich vorgestellt, Marianne würdeaus der Tür
treten, mit einem Fotoapparat um denHals, die feinen, blassen
Strähnen wehten in der milden Brise,die grauen Augen blickten
auf und in die seinen, ihre weichenLippen formten ein
und dann hatte jemand gehupt, und ermusste sich wieder aufs
Fahren konzentrieren. Jetzt aberfreute er sich, dass man ihm
diesen fantastischen und gänzlichunerwarteten Bonus seines
ganz eigenen, privaten Panoramasgewährte. Er konnte sehen,
wie Marianne zur Arbeit ging! Seliggrinsend klopfte er mit den
flachen Händen gegen seine Brust undüberlegte, was er mit
dem Rest des Nachmittags anfangensollte. Die Stadt erkunden?
Zum Supermarkt fahren und einkaufen?Sich im Krankenhaus
umschauen? Seine Eltern anrufen? Den»Leitfaden für den Assistenzarzt
« lesen? Prüfen, ob die Redaktiondes Mercury vom
anderen Schlafzimmer aus zu sehenwar?
Er ging nach nebenan. Von derRedaktion war nichts zu sehen.
Sie blieb hinter einer Reihe vonNadelbäumen verborgen.
Direkt davor lag derPersonalparkplatz, über den ein sonderbar
gekleideter Mann einen Einkaufswagenvoller Flaschen schob.
Irgendwo schlug viermal eineKirchenglocke, und als der letzte
Glockenschlag verklang, klopftejemand laut und vernehmlich
an die Wohnungstür. (...)
© Goldmann Verlag
Übersetzung: Jörn Ingwersen
- Autor: Lissa Evans
- 2006, 379 Seiten, Maße: 18,5 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Aus d. Engl. v. Jörn Ingwersen
- Verlag: Arkana
- ISBN-10: 3442461707
- ISBN-13: 9783442461707
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