Ein kleines Reh allein im Schnee / Liliane Susewind Bd.8
Tier-Dolmetscherin Liliane Susewind vollbringt ein Winterwunder Lilli fährt mit ihrer Familie und Jesahja in den Skiurlaub! Sie beziehen eine urige Berghütte und genießen die Ferien im verschneiten Wald. Doch dann geht eine Lawine ins Tal!...
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Produktinformationen zu „Ein kleines Reh allein im Schnee / Liliane Susewind Bd.8 “
Tier-Dolmetscherin Liliane Susewind vollbringt ein Winterwunder Lilli fährt mit ihrer Familie und Jesahja in den Skiurlaub! Sie beziehen eine urige Berghütte und genießen die Ferien im verschneiten Wald. Doch dann geht eine Lawine ins Tal! Auf der Suche nach verletzten Tieren findet Lilli ein einsames Rehkitz. Es erzählt ihr, dass es seine Mutter im Schnee verloren hat. Wird Lilli es schaffen, dem Reh zu helfen? Im achten Abenteuer der beliebten Tier-Dolmetscherin schafft Erfolgsautorin Tanya Stewner eine zauberhafte Winterstimmung, die an Wunder glauben lässt.
Ab 8 Jahren!
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Liliane Susewind - Ein kleines Reh allein im Schnee von Tanya StewnerRettungsexpedition
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Dick eingepackt in ihren Schneeanzug, ihren Schal und ihre Pudelmütze, stapfte Lilli durch den Schnee. Sie hatte heftig mit ihren Eltern und ihrer Oma diskutieren müssen, die zuerst strikt dagegen gewesen waren, dass Lilli und Jesahja nach der Katastrophe die Hütte verließen. Doch durch Lillis Hartnäckigkeit und Jesahjas kluge Argumente hatten sie sich schließlich breitschlagen lassen.
So marschierte Lilli nun hinter ihrem Vater, Jesahja und Bonsai her. Es hatte wieder zu schneien begonnen, und die Sicht war miserabel. Die Spuren der Verwüstung, die die Lawine hinterlassen hatte, boten zudem ein beklemmendes Bild. Abgeknickte Bäume und tiefe Furchen im Berg, die wie frische Wunden aussahen, beschrieben den grausamen Weg, den die Lawine genommen hatte.
Außerdem war es still. Totenstill.
Lilli fröstelte und versuchte, sich darauf zu konzentrieren, dass sie hier waren, um zu helfen. Ihr Vater suchte nach verunglückten Menschen, doch in Lillis Kopf herrschten Bilder von verschütteten Gämsen, Füchsen oder Murmeltieren vor.
Nach einem anstrengenden Marsch erreichten sie den Ort, an dem die Lawine zum Stillstand gekommen war. Vor ihnen türmten sich nun gigantische Berge aus Schnee, bei denen man kaum den Anfang und das Ende ausmachen konnte. Der Schnee war einfach überall, meterhoch, und hatte unzählige Bäume am Waldrand unter sich begraben. Wo sollten sie anfangen?
Lillis Vater sah sich um. Sein Gesicht verriet tiefe Besorgnis. Hier war niemand, nur Schnee. Und absolute Stille. »Lilli, schick Bonsai los!«, forderte er sie auf.
Lilli zögerte keine Sekunde. »Bonsai!«, rief sie, und der kleine Hund, dessen zotteliges Fell bereits voller Schnee war, kam sofort zu ihr. »Lauf los und schnuppere, ob du irgendwo etwas Lebendes riechen kannst!«, bat sie den aufmerksam zuhörenden Winzling. »Wir suchen nach Tieren oder Menschen, die unter dem Schnee liegen!«
»Gebongt!« Bonsai schoss los. Mit am Boden klebender Nase trippelte er über den Schnee und suchte konzentriert nach einer Spur.
Lillis Vater rief unterdessen immer wieder »Hallo, ist da jemand?« in alle Richtungen. Aber wie sollten ihm Leute, die verschüttet waren, antworten? Lilli wurde klar, wie schwierig ihre Unternehmung war. Allein würden sie es kaum schaffen.
Lilli holte tief Luft und rief so laut sie konnte: »Ihr Vögel! Kommt zu mir! Schnell!« Ihre Stimme klang seltsam schrill in der Stille. Beinahe gespenstisch.
Eine oder zwei Minuten lang geschah nichts, aber dann flatterte ein kleiner brauner Vogel auf sie zu.
»Eine Felsenschwalbe!«, bemerkte Jesahja. Er kannte selbst seltene Tierarten und konnte sie ohne Probleme zuordnen.
Die Schwalbe landete auf Lillis ausgestrecktem Arm. »Hallo!«, piepste sie. »Du hast gerufen?«
»Ja. Bist du ganz allein?« Lilli blickte sich suchend um. Normalerweise kamen immer ganze Schwärme, wenn sie rief. Aber außer der Schwalbe zeigte sich kein einziger Vogel.
»Alle verstecken sich!«, zirpte die Felsenschwalbe. »Ein großes Unglück ist passiert! Alle haben Angst.«
Das konnte Lilli gut verstehen. »Danke, dass du trotzdem gekommen bist.« Der immer stärker fallende Schnee war für die Vögel sicherlich ein zusätzlicher Grund, nicht zu fliegen. »Ich möchte dich etwas fragen.«
»Ja?« Die Schwalbe sah sie neugierig an. »Weißt du, ob irgendjemand unter dem Schnee verschüttet liegt?«
Die Schwalbe legte den Kopf schief. »Wie soll ich sehen, ob jemand unter dem Schnee ist?«
»Natürlich.« Lilli senkte den Kopf. »Das kannst du gar nicht wissen.« Was hatte sie eigentlich erwartet?
»Aber ... «, piepste die Schwalbe.
Lillis Kopf fuhr hoch. »Ja?«
»Hier läuft ein kleines Augenschön herum, das ganz allein zu sein scheint.«
»Ein Augenschön?«
»Ja, ein Augenschön mit Punkterücken. «
Lilli zog die Stirn in Falten. Manchmal war es wirklich nicht leicht, die Namen, die Tiere sich gegenseitig gaben, zu verstehen. Schnell übersetzte sie Jesahja, was der Vogel gesagt hatte.
Jesahja überlegte. »Vielleicht ein anderer Vogel? Manche Vogelarten haben gepunktete Rücken ... und schöne Augen.«
Da zirpte die Schwalbe: »Das Augenschön hat immer wieder laut gerufen. Aber ich konnte es nicht verstehen. Es sprach nicht meine Sprache.« Der Vogel breitete die Flügel aus, um davonzufliegen.
»Wo ist es?«, fragte Lilli hastig. »Wo ist das Augenschön jetzt?« Es klang, als befand sich dieses Tier - was auch immer es war - in Not.
»Drüben am Waldrand«, erwiderte die Schwalbe. »Ich habe es aber schon länger nicht mehr gehört. Vielleicht ist es jetzt woanders.« Damit flog die Schwalbe im dichten Schneetreiben davon.
»Wir müssen am Waldrand suchen«, erklärte Lilli Jesahja und gab ihrem Vater Bescheid, dass sie dorthin gehen würden. Ihr Vater ermahnte sie, vorsichtig zu sein und in Sichtweite zu bleiben, dann rief er wieder »Hallo, ist da jemand?« in alle Richtungen. Offenbar hatte er noch nichts entdeckt, ebenso wenig wie Bonsai, der weiterhin hochkonzentriert herumlief und den Schnee abschnüffelte.
Lilli und Jesahja gingen zum Waldrand. Die Lawine hatte zahllose Bäume unter sich begraben oder einfach umgeknickt. Die Bäume taten Lilli furchtbar leid. Überall lagen abgebrochene Stämme und große Holzsplitter herum, und es herrschte ein gruseliges Bild der Zerstörung. Aber Lilli konnte für die Bäume nichts tun.
»Wonach suchen wir?« Jesahja rieb sich mit den Handschuhen über die Wangen. Es war furchtbar kalt.
»Ich weiß es nicht genau«, gab Lilli zu. »Die Schwalbe sagte, dass dieses Tier noch klein wäre und dass sie seine Rufe nicht verstanden hat, weil es kein Vogelisch sprach. Das Tier, das wir suchen, kann also kein Vogel sein.«
»Richtig«, stimmte Jesahja zu.
Lilli ging ein paar Schritte zwischen den abgebrochenen Bäumen umher. Wie sollten sie in diesem Chaos jemanden finden?
Da hörte Lilli ein leises Fiepen. Ihr Kopf fuhr herum. »Was war das?«
Jesahja schien es auch gehört zu haben. Lauschend drehte er sich um die eigene Achse. »Da! Da ist es wieder!«
Lilli schloss die Augen und konzentrierte sich auf das Geräusch. Kaum, dass sie das getan hatte, hörte sie mehr als nur ein Fiepen. Sie hörte ein leises Wimmern.
»Mama ... «, wimmerte eine kleine Stimme. »Wo bist du?«
Mit vorsichtigen Schritten ging Lilli in die Richtung, aus der die Stimme kam. Jesahja folgte ihr.
»Mir ist kalt«, wimmerte die Stimme. »Ich hab Angst. Mama?«
Lilli ging neben einem halb umgestürzten Baumstamm in die Knie und schaute darunter. Ihr stockte der Atem. Vor ihr lag ein kleines Bündel im Schnee! Es war hellbraun, hatte riesengroße Ohren, einen gepunkteten Rücken und wunderschöne Augen.
Es war ein Rehkitz. Ein kleines Rehmädchen. Das sah Lilli sofort, obwohl sie nicht hätte sagen können, woran sie das erkannte.
Das Kitz blickte Lilli mit seinen großen, braunen Augen erschrocken an. »Muss ich jetzt weglaufen?«, fragte es. »Ich sollte am besten weglaufen, oder?«
»Nein, schon in Ordnung«, sagte Lilli behutsam und kniete sich vor das Kitz.
Jesahja schnappte hinter ihr nach Luft. Offenbar hatte er das Tier auch entdeckt.
»Aber«, sagte das Rehkind mit hoher Pieps-stimme, »ich kenne euch ja gar nicht. Und wenn ich jemanden nicht kenne, soll ich weglaufen. Hat meine Mutter gesagt.«
»Das ist ja auch richtig«, bestätigte Lilli. »Normalerweise solltest du das tun. Aber du hast es nicht getan ... «
Das Kitz stellte ein Ohr zurück. »Nein. Komisch, oder?«
Lilli lächelte. »Das liegt daran, dass du mir vertrauen kannst. Und das merkst du, richtig?«
»Du bist nett«, stellte das Kitz fest. Dann verdüsterte sich seine Miene. »Ob Mama böse mit mir sein wird, dass ich nicht weggelaufen bin?«
Bei der Erwähnung seiner Mutter begann es zu zittern. »Mama ist weg ... «, flüsterte es mit erstickter Stimme.
»Wo hast du sie zum letzten Mal gesehen?«, fragte Lilli vorsichtig.
»Wir haben nach Futter gesucht, als das Monster kam.«
»Die Lawine?«
»Ein riesiges Monster! Es hat gefaucht und gebrüllt und meine Mama verschlungen!« Die schönen Augen des Rehs waren nun weit aufgerissen, und es bebte am ganzen Leibe.
Lilli nickte betroffen. Wenn die Mutter von der Lawine mitgerissen worden war, war es so gut wie aussichtslos, sie in den Schneemassen zu finden.
»Als ich eben nach ihr gerufen hab, hat sie noch geantwortet ... «, fiepte das Kitz.
»Was?« Lilli horchte auf. »Du hast mit ihr gesprochen? Wann? Wo?«
Jesahja legte aufmerksam den Kopf schief.
»Sie ist irgendwo in dem Monster drin!« Das Rehkind wies mit dem Kopf auf die Schneemassen. »Ich hab sie ganz leise gehört. Sie hat nach mir gerufen. Aber ich weiß nicht, wo sie genau ist. Vielleicht hat das Monster sie inzwischen runtergeschluckt.« Ein Zittern lief über den kleinen Körper.
»Nein, das glaube ich nicht«, sagte Lilli, obwohl sie natürlich nicht wusste, wie es der Mutter ging. Aber womöglich hatten sie eine Chance. »Komm mit uns!«, rief sie nun. »Wir suchen zusammen nach ihr!«
Die schönen Augen des Kitzes leuchteten auf und strahlten Lilli und Jesahja an. »Wirklich? Ihr helft mir?«
»Ja, und nicht nur wir beide!«, sagte Lilli. »Dort drüben ist ein Hund. Er ist mein Freund. Vielleicht kann er riechen, wo deine Mutter ist, wenn du ihm ungefähr zeigst, wo du sie gehört hast!«
»Oh ...«, raunte das Kitz beeindruckt. »Das wäre toll.« Es rappelte sich mühsam hoch und kam auf die langen Beine.
Lilli stand ebenfalls auf und wollte losgehen, da zog etwas an ihrem Schal. Überrascht drehte sie sich um. Das Rehkitz hatte nach ihrem Schal geschnappt und hielt ihn fest! »'tschuldigung«, murmelte es und blickte Lilli beschämt an.
»Was ... « Lilli zog irritiert an ihrem Schal und rüttelte ihn sanft hin und her, bis das Kitz schließlich losließ.
Reumütig stand es da. »Ich schnappe nach allem, was baumelt«, erklärte das kleine Reh, und es schien ihm regelrecht peinlich zu sein. »Ich kann nichts dagegen machen. Wenn etwas vor meiner Nase herumbaumelt, muss ich zuschnappen.«
Lilli starrte das Tier verblüfft an.
»Daher habe ich auch meinen Namen«, fügte es verlegen hinzu.
»Wie heißt du denn?«
»Schnapps«, antwortete das Rehkitz.
...
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main zoiz
Dick eingepackt in ihren Schneeanzug, ihren Schal und ihre Pudelmütze, stapfte Lilli durch den Schnee. Sie hatte heftig mit ihren Eltern und ihrer Oma diskutieren müssen, die zuerst strikt dagegen gewesen waren, dass Lilli und Jesahja nach der Katastrophe die Hütte verließen. Doch durch Lillis Hartnäckigkeit und Jesahjas kluge Argumente hatten sie sich schließlich breitschlagen lassen.
So marschierte Lilli nun hinter ihrem Vater, Jesahja und Bonsai her. Es hatte wieder zu schneien begonnen, und die Sicht war miserabel. Die Spuren der Verwüstung, die die Lawine hinterlassen hatte, boten zudem ein beklemmendes Bild. Abgeknickte Bäume und tiefe Furchen im Berg, die wie frische Wunden aussahen, beschrieben den grausamen Weg, den die Lawine genommen hatte.
Außerdem war es still. Totenstill.
Lilli fröstelte und versuchte, sich darauf zu konzentrieren, dass sie hier waren, um zu helfen. Ihr Vater suchte nach verunglückten Menschen, doch in Lillis Kopf herrschten Bilder von verschütteten Gämsen, Füchsen oder Murmeltieren vor.
Nach einem anstrengenden Marsch erreichten sie den Ort, an dem die Lawine zum Stillstand gekommen war. Vor ihnen türmten sich nun gigantische Berge aus Schnee, bei denen man kaum den Anfang und das Ende ausmachen konnte. Der Schnee war einfach überall, meterhoch, und hatte unzählige Bäume am Waldrand unter sich begraben. Wo sollten sie anfangen?
Lillis Vater sah sich um. Sein Gesicht verriet tiefe Besorgnis. Hier war niemand, nur Schnee. Und absolute Stille. »Lilli, schick Bonsai los!«, forderte er sie auf.
Lilli zögerte keine Sekunde. »Bonsai!«, rief sie, und der kleine Hund, dessen zotteliges Fell bereits voller Schnee war, kam sofort zu ihr. »Lauf los und schnuppere, ob du irgendwo etwas Lebendes riechen kannst!«, bat sie den aufmerksam zuhörenden Winzling. »Wir suchen nach Tieren oder Menschen, die unter dem Schnee liegen!«
»Gebongt!« Bonsai schoss los. Mit am Boden klebender Nase trippelte er über den Schnee und suchte konzentriert nach einer Spur.
Lillis Vater rief unterdessen immer wieder »Hallo, ist da jemand?« in alle Richtungen. Aber wie sollten ihm Leute, die verschüttet waren, antworten? Lilli wurde klar, wie schwierig ihre Unternehmung war. Allein würden sie es kaum schaffen.
Lilli holte tief Luft und rief so laut sie konnte: »Ihr Vögel! Kommt zu mir! Schnell!« Ihre Stimme klang seltsam schrill in der Stille. Beinahe gespenstisch.
Eine oder zwei Minuten lang geschah nichts, aber dann flatterte ein kleiner brauner Vogel auf sie zu.
»Eine Felsenschwalbe!«, bemerkte Jesahja. Er kannte selbst seltene Tierarten und konnte sie ohne Probleme zuordnen.
Die Schwalbe landete auf Lillis ausgestrecktem Arm. »Hallo!«, piepste sie. »Du hast gerufen?«
»Ja. Bist du ganz allein?« Lilli blickte sich suchend um. Normalerweise kamen immer ganze Schwärme, wenn sie rief. Aber außer der Schwalbe zeigte sich kein einziger Vogel.
»Alle verstecken sich!«, zirpte die Felsenschwalbe. »Ein großes Unglück ist passiert! Alle haben Angst.«
Das konnte Lilli gut verstehen. »Danke, dass du trotzdem gekommen bist.« Der immer stärker fallende Schnee war für die Vögel sicherlich ein zusätzlicher Grund, nicht zu fliegen. »Ich möchte dich etwas fragen.«
»Ja?« Die Schwalbe sah sie neugierig an. »Weißt du, ob irgendjemand unter dem Schnee verschüttet liegt?«
Die Schwalbe legte den Kopf schief. »Wie soll ich sehen, ob jemand unter dem Schnee ist?«
»Natürlich.« Lilli senkte den Kopf. »Das kannst du gar nicht wissen.« Was hatte sie eigentlich erwartet?
»Aber ... «, piepste die Schwalbe.
Lillis Kopf fuhr hoch. »Ja?«
»Hier läuft ein kleines Augenschön herum, das ganz allein zu sein scheint.«
»Ein Augenschön?«
»Ja, ein Augenschön mit Punkterücken. «
Lilli zog die Stirn in Falten. Manchmal war es wirklich nicht leicht, die Namen, die Tiere sich gegenseitig gaben, zu verstehen. Schnell übersetzte sie Jesahja, was der Vogel gesagt hatte.
Jesahja überlegte. »Vielleicht ein anderer Vogel? Manche Vogelarten haben gepunktete Rücken ... und schöne Augen.«
Da zirpte die Schwalbe: »Das Augenschön hat immer wieder laut gerufen. Aber ich konnte es nicht verstehen. Es sprach nicht meine Sprache.« Der Vogel breitete die Flügel aus, um davonzufliegen.
»Wo ist es?«, fragte Lilli hastig. »Wo ist das Augenschön jetzt?« Es klang, als befand sich dieses Tier - was auch immer es war - in Not.
»Drüben am Waldrand«, erwiderte die Schwalbe. »Ich habe es aber schon länger nicht mehr gehört. Vielleicht ist es jetzt woanders.« Damit flog die Schwalbe im dichten Schneetreiben davon.
»Wir müssen am Waldrand suchen«, erklärte Lilli Jesahja und gab ihrem Vater Bescheid, dass sie dorthin gehen würden. Ihr Vater ermahnte sie, vorsichtig zu sein und in Sichtweite zu bleiben, dann rief er wieder »Hallo, ist da jemand?« in alle Richtungen. Offenbar hatte er noch nichts entdeckt, ebenso wenig wie Bonsai, der weiterhin hochkonzentriert herumlief und den Schnee abschnüffelte.
Lilli und Jesahja gingen zum Waldrand. Die Lawine hatte zahllose Bäume unter sich begraben oder einfach umgeknickt. Die Bäume taten Lilli furchtbar leid. Überall lagen abgebrochene Stämme und große Holzsplitter herum, und es herrschte ein gruseliges Bild der Zerstörung. Aber Lilli konnte für die Bäume nichts tun.
»Wonach suchen wir?« Jesahja rieb sich mit den Handschuhen über die Wangen. Es war furchtbar kalt.
»Ich weiß es nicht genau«, gab Lilli zu. »Die Schwalbe sagte, dass dieses Tier noch klein wäre und dass sie seine Rufe nicht verstanden hat, weil es kein Vogelisch sprach. Das Tier, das wir suchen, kann also kein Vogel sein.«
»Richtig«, stimmte Jesahja zu.
Lilli ging ein paar Schritte zwischen den abgebrochenen Bäumen umher. Wie sollten sie in diesem Chaos jemanden finden?
Da hörte Lilli ein leises Fiepen. Ihr Kopf fuhr herum. »Was war das?«
Jesahja schien es auch gehört zu haben. Lauschend drehte er sich um die eigene Achse. »Da! Da ist es wieder!«
Lilli schloss die Augen und konzentrierte sich auf das Geräusch. Kaum, dass sie das getan hatte, hörte sie mehr als nur ein Fiepen. Sie hörte ein leises Wimmern.
»Mama ... «, wimmerte eine kleine Stimme. »Wo bist du?«
Mit vorsichtigen Schritten ging Lilli in die Richtung, aus der die Stimme kam. Jesahja folgte ihr.
»Mir ist kalt«, wimmerte die Stimme. »Ich hab Angst. Mama?«
Lilli ging neben einem halb umgestürzten Baumstamm in die Knie und schaute darunter. Ihr stockte der Atem. Vor ihr lag ein kleines Bündel im Schnee! Es war hellbraun, hatte riesengroße Ohren, einen gepunkteten Rücken und wunderschöne Augen.
Es war ein Rehkitz. Ein kleines Rehmädchen. Das sah Lilli sofort, obwohl sie nicht hätte sagen können, woran sie das erkannte.
Das Kitz blickte Lilli mit seinen großen, braunen Augen erschrocken an. »Muss ich jetzt weglaufen?«, fragte es. »Ich sollte am besten weglaufen, oder?«
»Nein, schon in Ordnung«, sagte Lilli behutsam und kniete sich vor das Kitz.
Jesahja schnappte hinter ihr nach Luft. Offenbar hatte er das Tier auch entdeckt.
»Aber«, sagte das Rehkind mit hoher Pieps-stimme, »ich kenne euch ja gar nicht. Und wenn ich jemanden nicht kenne, soll ich weglaufen. Hat meine Mutter gesagt.«
»Das ist ja auch richtig«, bestätigte Lilli. »Normalerweise solltest du das tun. Aber du hast es nicht getan ... «
Das Kitz stellte ein Ohr zurück. »Nein. Komisch, oder?«
Lilli lächelte. »Das liegt daran, dass du mir vertrauen kannst. Und das merkst du, richtig?«
»Du bist nett«, stellte das Kitz fest. Dann verdüsterte sich seine Miene. »Ob Mama böse mit mir sein wird, dass ich nicht weggelaufen bin?«
Bei der Erwähnung seiner Mutter begann es zu zittern. »Mama ist weg ... «, flüsterte es mit erstickter Stimme.
»Wo hast du sie zum letzten Mal gesehen?«, fragte Lilli vorsichtig.
»Wir haben nach Futter gesucht, als das Monster kam.«
»Die Lawine?«
»Ein riesiges Monster! Es hat gefaucht und gebrüllt und meine Mama verschlungen!« Die schönen Augen des Rehs waren nun weit aufgerissen, und es bebte am ganzen Leibe.
Lilli nickte betroffen. Wenn die Mutter von der Lawine mitgerissen worden war, war es so gut wie aussichtslos, sie in den Schneemassen zu finden.
»Als ich eben nach ihr gerufen hab, hat sie noch geantwortet ... «, fiepte das Kitz.
»Was?« Lilli horchte auf. »Du hast mit ihr gesprochen? Wann? Wo?«
Jesahja legte aufmerksam den Kopf schief.
»Sie ist irgendwo in dem Monster drin!« Das Rehkind wies mit dem Kopf auf die Schneemassen. »Ich hab sie ganz leise gehört. Sie hat nach mir gerufen. Aber ich weiß nicht, wo sie genau ist. Vielleicht hat das Monster sie inzwischen runtergeschluckt.« Ein Zittern lief über den kleinen Körper.
»Nein, das glaube ich nicht«, sagte Lilli, obwohl sie natürlich nicht wusste, wie es der Mutter ging. Aber womöglich hatten sie eine Chance. »Komm mit uns!«, rief sie nun. »Wir suchen zusammen nach ihr!«
Die schönen Augen des Kitzes leuchteten auf und strahlten Lilli und Jesahja an. »Wirklich? Ihr helft mir?«
»Ja, und nicht nur wir beide!«, sagte Lilli. »Dort drüben ist ein Hund. Er ist mein Freund. Vielleicht kann er riechen, wo deine Mutter ist, wenn du ihm ungefähr zeigst, wo du sie gehört hast!«
»Oh ...«, raunte das Kitz beeindruckt. »Das wäre toll.« Es rappelte sich mühsam hoch und kam auf die langen Beine.
Lilli stand ebenfalls auf und wollte losgehen, da zog etwas an ihrem Schal. Überrascht drehte sie sich um. Das Rehkitz hatte nach ihrem Schal geschnappt und hielt ihn fest! »'tschuldigung«, murmelte es und blickte Lilli beschämt an.
»Was ... « Lilli zog irritiert an ihrem Schal und rüttelte ihn sanft hin und her, bis das Kitz schließlich losließ.
Reumütig stand es da. »Ich schnappe nach allem, was baumelt«, erklärte das kleine Reh, und es schien ihm regelrecht peinlich zu sein. »Ich kann nichts dagegen machen. Wenn etwas vor meiner Nase herumbaumelt, muss ich zuschnappen.«
Lilli starrte das Tier verblüfft an.
»Daher habe ich auch meinen Namen«, fügte es verlegen hinzu.
»Wie heißt du denn?«
»Schnapps«, antwortete das Rehkitz.
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© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main zoiz
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Autoren-Porträt von Tanya Stewner
Tanya Stewner wurde 1974 im Bergischen Land geboren und begann bereits mit zehn Jahren, Geschichten zu schreiben. Sie studierte Literaturübersetzen, Englisch und Literaturwissenschaften in Düsseldorf, Wuppertal und London und widmet sich inzwischen ganz der Schriftstellerei. Ihre Trilogie über die Elfe »Hummelbi« hat unzählige Fans, und ihre Kinderbuchserie »Liliane Susewind« ist ein Welterfolg, der fürs Kino verfilmt wurde. Die Autorin lebt mit ihrer Familie am Rhein. Eva Schöffmann-Davidov, Jahrgang 1973, ist eine der renommiertesten Kinder- und Jugendbuchillustratorinnen Deutschlands. Nach ihrem Studium an der Fachhochschule für Gestaltung in Augsburg machte sie sich in der Kinder- und Jugendliteratur schnell einen Namen und gewann im Lauf ihrer Karriere zahlreiche Preise für ihre Gestaltungen. Als Fachhochschuldozentin gab sie ihr Wissen und ihre Erfahrung auch an junge Künstler*innen weiter. Heute illustriert sie Kinderbuchserien und Jugendbücher unter anderem von Bestsellerautor*innen wie Kerstin Gier oder Tanya Stewner. Die Illustratorin lebt mit ihrer Familie in Augsburg.
Bibliographische Angaben
- Autor: Tanya Stewner
- Altersempfehlung: Ab 8 Jahre
- 2012, 8. Aufl., 224 Seiten, mit Abbildungen, Maße: 14 x 21,5 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: FISCHER Taschenbuch
- ISBN-10: 3596854709
- ISBN-13: 9783596854707
- Erscheinungsdatum: 24.09.2012
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