Ein Riss durch die Welt
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Flüsse fließen rückwärts, Kühe verschwinden in Erdspalten, Häuser tanzen und Straßen bäumen sich auf - Erdbeben sind apokalyptische Ereignisse, die sich jeder menschlichen Einwirkung entziehen. San Francisco ist nicht erst seit dem großen Beben 1906, das fast die gesamte Stadt zerstörte, einer der aufregendsten, fragilsten und gefährlichsten Orte der Erde. Rund um die Golden Gate Bridge ist die Erdkruste ständig in Bewegung. Der San-Andreas-Graben, der unmittelbar an der Stadt entlangläuft, ist der Liebling der modernen Geologie. Hier, wo die Pazifische Platte und die Nord-Amerika-Platte aneinander reiben, rechnet die Wissenschaft in nächster Zukunft mit einer gewaltigen Erschütterung. Doch Simon Winchester stößt auf seiner Reise auf der Nord-Amerika-Platte, die von Alaska bis in den Golf von Mexiko reicht, überall auf Spuren jener gewaltigen Energie, die unter unseren Füßen pulsiert. Die dramatischen Ereignisse an jenem Aprilmorgen des Jahres 1906, die er mit allen langfristigen menschlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Konsequenzen lebendig werden lässt, sind lediglich das Muskelspiel eines niemals schlafenden Giganten.
Simon Winchester findet anschauliche Bilder für das, was in der Erde vor sich geht. Hautnah versetzt er den Leser ins Herz des Bebens und ins brennende San Francisco. Mit feiner Ironie bedenkt er menschlichen Größenwahn und Selbstgefälligkeit.
Ein Riss durch die Welt von Simon Winchester
LESEPROBE
Prolog
Dieerschaffene Welt ist bloß eine Beiläufigkeit im Ewigen.
Sir ThomasBrown, 1716
O gäbe unseine Macht die Fähigkeit,
Uns so zusehen, wie andere uns sehen!
RobertBurns, ca. 1785
Die Erde ineinem neuen Licht
Als ich voreiniger Zeit gleichsam ziellos im Internet surfte, stieß ich auf die Homepageeiner unbekannten Kleinstadt im westlichen Ohio mit dem fesselnden Namen Wapakoneta. Der Name weckte eine dunkle Erinnerung. Vorlanger Zeit war ich dort durchgekommen, als ich einmal mit dem Wagen vonDetroit nach Nashville fuhr. So weit ich mich entsinne, hielt ich nicht in Wapakoneta an, nicht einmal für einen Kaffee. Ich weiß nur,dass mir der Name damals ziemlich reizvoll erschien. Später las ich, dass der Ortsnamevon einem Wort aus der Sprache der dort ansässigen Shawnee-Indianerherrührt.
Auch heutewirkt die Stadt nicht sonderlich aufregend, so wie man es von einem Ort abseitsdes Eisenhower Interstate Highway, auch I-75 genannt,nicht anders erwarten würde. Wapakoneta liegt nichtweit von der etwas bekannteren Stadt Lima entfernt, die wohl typisch für denMittleren Westen ist, wurde vor etwa hundert Jahren gegründet, zählt ungefährzehntausend Einwohner und gleicht vom Stadtbild her zahllosen anderen Ortenzwischen den Appalachen und den Rocky Mountains, die den Kontinent wieBuchstützen einfassen.
Wapakonetaist also ein klassisches Beispiel der modernen amerikanischen Provinzgemeinde,wie Sinclair Lewis sie geschätzt hätte. Der Ort bietet rein gar nichtsAußergewöhnliches. In der Region ist er bekannt für die Fertigung vonAutoteilen und Gummiartikeln sowie Werkzeug- und Maschinenbau. Umgeben ist ervon großen Farmen, meist in Familienbesitz, auf denen Sojabohnen und Mais angebautund Schweine gezüchtet werden. Unterschwellig spürt man vielleicht einenleichten Anflug von Sorge um die Zukunft - eine Sorge, die solch neumodischenEntwicklungen wie dem Outsourcing nach Mexiko undAsien und dem bedrohlichen Wachstum Chinas entspringt. Um neue Unternehmenanzulocken, weist die Handelskammer darauf hin, dass es sich bei Wapakoneta dank seiner strategisch günstigen Lage mit allden Straßen- und Eisenbahnverbindungen in der Nähe um so etwas wie einen «Verkehrsknotenpunkt»handelt.
Es ist eineStadt mit einer Vergangenheit, die auf dem soliden Grundgestein des früherenErfolgs der Vereinigten Staaten ruht, mit einer Gegenwart, die sich krampfhaftan der eigenen Vorstellung von Stabilität festkrallt, und einer Zukunft, in derdas alte Fundament Ohios nicht ganz so solide erscheint, wie ursprünglichangenommen, und über die viele Menschen folglich lieber nicht zu gründlichnachdenken.
Wer jedochglaubt, es handle sich um eine öde, langweilige und alles andere alsabenteuerliche Stadt, der wird in der Vergangenheit Wapakonetaseine Überraschung entdecken. Im Jahr 1930 wurde dort nämlich der Astronaut NeilArmstrong geboren. Das wird immer wieder betont, und zu Recht. (Nur zweiweitere prominente Söhne der Stadt gelten als erwähnenswert, doch beide sindvergleichsweise unbedeutend; das eine war ein Held des Bürgerkriegs, ein Mannmit einem gewaltigen Schnurrbart, das andere der Drehbuchautor von The Bells of St. Mary s, derzufälligerweise auch ein Gerät erfand, mit dem Schiffe gefahrlos Minen vomMeeresboden bergen können.)
Dies alleswird auf der Website der Stadt höchst phantasievoll enthüllt. Besucht man sie,hört man zunächst die verkratzt klingende Aufzeichnung einer unbekanntenBaritonstimme mit dem Countdown zu einem Raketenstart. Nach dem «Liftoff» erfährt man, dass es sich um den Start desRaumschiffs Apollo 11 handelt, das im Juli 1969 zum Mond aufbrach. Und währendman die feierliche Stimme dieses Originalmitschnitts der NASA hört, taucht aufdem Bildschirm das Bild des Mondes auf, der allmählich größer wird und sichdreht - bis es schließlich, begleitet von einer Fanfare, vom Bild einerquirligen Gemeinde und dem fetten Namenszug der Stadt überdeckt wird: Wapakoneta.
Es istdurchaus angemessen, dass diese Kleinstadt die Erforschung des Alls so eifrigwürdigt. Die weltweite Aufregung über die Gesteinsproben, die zur Erdemitgebracht wurden, ist nur ein kleiner Hinweis darauf, welcherwissenschaftliche Wert der Tatsache beizumessen ist, dass die Amerikaner eineMission zum Mond starteten. Darüber hinaus ergab sich eine wenigeraugenscheinliche und recht unerwartete Folge aus jener Expedition, die viel weitreichendere und langfristigere Auswirkungen habensollte.
Heute zeigtsich nämlich, dass durch die Reisen in den Weltraum, die Neil Armstrong und dievielen anderen Astronauten in den folgenden Jahren unternahmen, einwissenschaftlicher Forschungsbereich für immer verändert wurde. DieserParadigmenwechsel vollzog sich speziell in der Geologie, und zwar aufgrundeiner ganz simplen Tatsache. Als der würdige Sohn Wapakonetasauf dem Mond herumstapfte, konnte er etwas tun, was noch nie jemand getan hatteund was eine völlig neue Realität schuf, die das wissenschaftliche Denken ganzneu gestalten sollte: Er konnte von einem anderen Gestirn auf die Erde blicken.
Gewisshatten auch andere Astronauten, die bereits zuvor die Erde umkreisten, ihrenHeimatplaneten in Gänze sehen können, doch es war weitaus bemerkenswerter,aufrecht auf einem Himmelskörper zu stehen und zu einem anderen zu blicken, dermehr als dreihunderttausend Kilometer weit entfernt war. Der großeamerikanische Biologe und Philosoph Lewis Thomas schrieb 1974 über diesymbolische Bedeutung dieser neuen Perspektive für die Menschheit: Sieht mandie Erde aus der Distanz des Mondes, erkennt man erstaunt, dass sie lebt. Aufden Fotos sieht man im Vordergrund die ausgedörrte, raue Oberfläche des Mondes,trocken wie ein alter Knochen. In der Höhe schwebt frei unter der feuchten,leuchtenden Hülle des hellblauen Himmels die aufgehende Erde, das einzigFruchtbare in diesem Teil des Weltalls. Wenn man lange genug hinschauen könnte,würde man das Wirbeln der großen weißen Wolkenmassen erkennen, die die halbverdeckten Landmassen abwechselnd verhüllen und durchscheinen lassen. Hätte manüber sehr lange, geologische Zeiträume hingeblickt, so hätte man die Kontinenteselbst in Bewegung sehen können, die auf ihren Krustenplatten auseinanderdriften und von dem Feuer in der Tiefe in Bewegung gehalten werden. Die Erdehat das geordnete, geschlossene Aussehen eines lebenden Wesens, voller Wissenund wunderbar geschickt im Umgang mit der Sonne. ( )
© KnausVerlag
Übersetzung:Harald Stadler
- Autor: Simon Winchester
- 2005, 1, 444 Seiten, Maße: 15,5 x 23 cm, Geb. mit Su., Deutsch
- Verlag: Knaus
- ISBN-10: 3813502406
- ISBN-13: 9783813502404
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