Eine Frage der Zeit
Als Mängelexemplar
Zur gleichen Zeit beauftragt Winston Churchill den exzentrischen, aber liebenswerten Oberleutnant Spicer Simson, zwei Kanonenboote über Land durch halb Afrika an den Tanganikasee zu schleppen. Als der Erste Weltkrieg ausbricht, liegen sich Deutsche und Briten an seinen Ufern gegenüber. Keiner will, aber jeder muss Krieg führen vor der pittoresken Kulisse des tropischen Sees. Alle sind sie Gefangene der Zeit, in der sie leben, und jeder hat seine eigene Art, damit fertig zu werden.
Alex Capus besitzt eine wunderbare Doppelbegabung", hieß es in einer Sendung des Hessischen Rundfunks treffend, "er recherchiert nicht nur gut und genau, er kann auch verdammt gut erzählen." In seinem neuen Roman stellt Alex Capus seine Doppelbegabung erneut unter Beweis. Kraftvoll und unprätentiös erzählt er eine ganz unglaubliche, doch wahre Geschichte, in der es um die alte Frage geht, wie man unter der Macht der Umstände ein Leben in Anstand und Würde führen kann.
Drei norddeutsche Werftarbeiter werden 1913 von Kaiser Wilhelm II. beauftragt, ein Dampfschiff in seine Einzelteile zu zerlegen und am Tanganikasee südlich des Kilimandscharo wieder zusammenzusetzen. Der Monarch will damit seine imperialen Ansprüche unterstreichen. Die drei Männer fahren nach Deutsch-Ostafrika mit der Aussicht auf guten Verdienst, lassen sich bezaubern von der exotischen Kulisse und der schönen Gouverneurin, geraten aber rasch in das gewalttätige Räderwerk des Kolonialismus, aus dem es kein Entrinnen gibt.
Zur gleichen Zeit beauftragt Winston Churchill den exzentrischen, aber liebenswerten Oberleutnant Spicer Simson, zwei Kanonenboote über Land durch halb Afrika an den Tanganikasee zu schleppen. Als der Erste Weltkrieg ausbricht, liegen sich Deutsche und Briten an seinen Ufern gegenüber. Keiner will, aber jeder muss Krieg führen vor der pittoresken Kulisse des tropischen Sees. Alle sind sie Gefangene der Zeit, in der sie leben, und jeder hat seine eigene Art, damit fertig zu werden.
"Über die Jahre habe ich festgestellt, dass meine Helden allesamt gewöhnliche Menschen sind, die ungewöhnliche Dinge tun. Was mich beschäftigt ist immer der Mensch, der sein Leben in Würde zu leben versucht." Alex Capus
"Das glänzend erzählte Buch regt die Phantasie an. Und was ließe sich von guter Literatur Besseres sagen?" -- Kultur Spiegel (über
"Reisen im Licht der Sterne") "Alex Capus ist ein wunderbarer Erzähler, für den die Welt lesbar ist." -- Süddeutsche Zeitung
Eine Frage der Zeit von Alex Capus
LESEPROBE
1 Nachts kamen die Flusspferde
Es ist janicht so, dass der Mensch sich in jedem Augenblick seines Lebens darüberRechenschaft gibt, wie wichtig oder belanglos die Dinge sind, die er so treibt,während die Zeit vergeht. Jeder rührt seinen Teig, schleppt seinen Stein,striegelt sein Pferd. Man hat Zahnschmerzen und macht Pläne, isst Suppe undgeht sonntags spazieren; und ehe man es sich versieht, ist eine Pyramidegebaut, eine Millionenstadt mit Brot versorgt, ein Zarenreich gestürzt. GroßeTaten, unsterbliche Werke - die vollbringt man nicht im Vollgefühl ihrerBedeutsamkeit; man mag sich nicht unablässig selbst befragen. Sonntagsvielleicht, und an Silvester. Aber doch nicht bei der Arbeit.
SchiffbaumeisterAnton Rüter zerbrach sich gewiss nicht den Kopf über die historischeBedeutsamkeit des Augenblicks, als ihn die Fabriksirene der PapenburgerMeyer Werft am 20. November 1913 kurz nach halb elf Uhr zur Schiffstaufe rief.Eine Pause war eine Pause. Es würde Ansprachen und Branntwein für alle geben,und dann Tabak in jenen langen, holländischen Tonpfeifen, die die Werft fürsolche Anlässe kistenweise auf Lager hielt. Er durchmaß mit sparsamen Schrittenden Maschinenraum des nagelneuen Schiffes, schob vorsichtig am Dampfregler und lauschtedem Gleiten der Kolben, dem Summen der Räder und dem Zischen der Ventile.Während draußen die Kapelle des PapenburgerTurnvereins «Heil dir im Siegerkranz» spielte, kontrollierte er die Spannungdes Stromgenerators, warf einen Blick in die Feuerluken und vergewisserte sich,dass der Frischwasserhahn offen war. Er war stolz auf das Schiff. Die Götzen war sein Schiff - das größte undschönste Schiff, das je in Papenburg gebaut worden war. Rüter hatte sich dasSchiff ausgedacht, er hatte die ersten Pläne gezeichnet und zehn Monate langden Bau geleitet, und die wichtigsten und heikelsten Arbeiten hatte ereigenhändig ausgeführt.
Seit derKiellegung hatte er seine Tage im Gerippe des Schiffsrumpfs verbracht, und oftauch die Nächte; wenn er wach war, hatten seine Gedanken um das Schiffgekreist, und wenn er schlief, hatte er von ihm geträumt. Und jetzt war esfertig. Die Maschinen liefen rund, der Dampfdruck war stabil. Darüber, dass erdas Schiff gleich nach der Taufe wieder in seine kleinsten Einzelteile zerlegenwürde, grübelte Anton Rüter nicht nach. Das war nun mal seine Aufgabe, undtechnisch würde es keine Schwierigkeiten geben. Er wischte sich mit einemLappen die Hände ab und stieg hinauf aufs Hauptdeck.
Die Götzenlag schwarzweißrot über die Toppen geflaggt, mitzischenden Dampfmaschinen, rauchendem Schornstein und frei in der Luftdrehenden Schiffsschrauben auf der Helling und schien klar zum Stapellauf. Manhätte nur die Haltetrossen durchschlagen müssen, dann wäre sie über dieBackbordseite von den Pallen heruntergerutscht, auf den ölgetränkten Holzbohlender Ablauframpe in den Turmkanal geglitten und hätte - wie bei seitlichenStapelläufen üblich - auf der ganzen Länge ihres Rumpfes eine mannshohe Flutwelleausgelöst, die am gegenüberliegenden Ufer auf die Wiese geschwappt wäre unterMitnahme des gesamten Fischbestandes, weshalb die Kinder des Städtchens mitgroßen Weidenkörben bereitgestanden wären, um die im Gras zappelnden Fischeeinzusammeln. Dann wäre das Schiff durch den Sielkanal in die nordwärtsfließende Ems geglitten, über den Dollart an den ostfriesischen Inseln vorbeiund hinaus auf die Nordsee, seiner Bestimmung entgegen.
Aberdiesmal standen die Kinder nicht auf der Wiese, denn sie wussten seit Monaten,dass man die Götzen nicht zu Wasser lassen würde. Im ganzen Städtchenwar bekannt, dass das Reichskolonialamt ein Schiffbestellt hatte, das sich auseinandernehmen undandernorts wieder zusammensetzen ließ, sozusagen im Baukastensystem; jedermann wusste,dass Anton Rüter die Götzen in fünftausend Holzkisten verpacken und tiefim Innern Afrikas, südlich des Kilimandscharo und nahe bei den Nilquellen imsagenumwobenen Mondgebirge, wieder zusammenbauen würde.
Während derganzen Bauzeit war den Werftarbeitern klar gewesen, dass sie sich gleich nachder Taufe wieder über das Schiff hermachen würden wie die Termiten, und dasssie jede Schraube, die sie anzogen, bald wieder lösen, und jede Planke, die sieverlegten, wieder entfernen würden. Trotzdem hatte Rüter unzählige Male dazwischengehen müssen, weil einer aus handwerklichemPflichtgefühl Fugen kalfaterte oder aus Gewohnheit die Platten dauerhaftnietete, statt sie provisorisch zu verschrauben.
Rüter warfeinen letzten prüfenden Blick über die hölzernen Planken des Hauptdecks undhinauf zum rauchenden Schornstein, an dem fahl das messingneSteamrohr und die Dampfpfeife glänzten. Gleich würdeder alte Meyer in Begleitung von drei Berliner Herren im Automobil vorfah ren; das Kolonialamt hatte verlangt, das Schiff unter Dampf stehendinspizieren zu können, bevor es in seine Einzelteile zerlegt wurde. Unter demDröhnen der Fabriksirene strömten die Angestellten aus den rußgeschwärztenBacksteinbauten heraus zur Helling, aus der Gießerei, der Maschinenfabrik, derKesselschmiede, der Kupferschmiede und der Tischlerei. Sogar die Buchhalter unddie Sekretärinnen vom Bürogebäude eilten herbei und die Fuhrleute und die Pferdeknechteaus den Stallungen. Manche suchten zu viert oder fünft hinter einemBretterstapel Schutz vor der eisigen Nordseebrise, andere lehnten anverwitterten Scheunenwänden oder machten es sich auf behelfsmäßigen Sitzbänken oderauf Holzkisten bequem. Sie schlugen die Kragen hoch und steckten sichZigaretten an, bohrten die Fäuste in die Hosentaschen und beobachteten dieMöwen, die unter niedrig grauem Himmel im Wind spielten.
Rüter stiegübers Fallreep hinunter auf das Kopfsteinpflaster. Er vergewisserte sich, dassalle Pallen sauber verkeilt und die Trossen gespannt waren, und in letzterSekunde versteckte er noch rasch einen Besen, der am Rumpf der Götzen lehnte,hinter einem Bretterstapel. Pünktlich um halb elf Uhr beschrieb Meyers schwarzeBenzLimousine einen weiten Bogen über den Platz,bahnte sich einen Weg durch die versammelte Belegschaft und kam neben dem Fallreepzum Stillstand. Rüter erwog einen Augenblick, hinzuzueilen und die Beifahrertüraufzureißen, hinter der er seinen Dienstherrn ausgemacht hatte, beschloss dann aber,das Türenaufreißen dem Chauffeur zu überlassen und die Berliner Beamten, die inZylinder, Frack und mit Gehstock aus dem Fonds des Wagens stiegen, inrespektvollem, aber selbstbewusstem Abstand zu erwarten. Er beobachtete, wiedie Herren die Götzen einer ersten Musterung unterzogen, und schloss ausihren haltlos schweifenden Blicken, dass sie von Schiffbau keine Ahnung hatten.Er straffte die Schultern in der Erwartung, ihnen gleich vorgestellt zu werden;aber dann schritten sie an ihm vorbei, als wäre er ein Sägebock oder eineZimmerpalme, und der Chef nickte ihm nur zu und tätschelte ihm im Vorbeigehenleichthin die Schulter. Rüter atmete aus, trat einen Schritt beiseite und beobachtete,wie die Männer das Fallreep hinaufstiegen. Kaum waren sie hinter der Relingverschwunden, gab die Götzen Laut. Erst dröhnte das Signalhorn zumBeweis, dass es funktionierte. Dann rasselten die Ankerketten, erhöhten dieDampfmaschinen fauchend und zischend den Dampfdruck, dass Rüter besorgt dieBrauen hob. Die Lichter gingen an und aus, dann drehten sich die zweiDampfladewinden und gehorchte das Ruderblatt am Heck den Befehlen derDampfrudermaschine. Die Herren tauchten am Bug auf und warfen prüfende Blickenach links und rechts, dann erschienen sie am Brückendeck, betätigten hiereinen Hebel, kippten da einen Schalter und fuhren dort mit dem Finger über messingblitzende Armaturen, und dann beugten sie sich übersHeck, um einen Blick auf die sachte rotierenden, golden glänzendenSchiffsschrauben zu werfen.
© VerlagKnaus
- Autor: Alex Capus
- 2007, 6, 301 Seiten, Maße: 13,3 x 20,5 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Knaus
- ISBN-10: 3813502724
- ISBN-13: 9783813502725
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