Eine Frau für alle Fälle
Roman. Deutsche Erstausgabe
Noch nie war der alltägliche Wahnsinn im Büro so komisch Sheila hatte immer davon geträumt, an einem renommierten Gericht zu arbeiten. Doch schon am ersten Arbeitstag entpuppt sich dieser Traum als Alptraum. Die machtbesessene Richterin Friedman provoziert...
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Produktinformationen zu „Eine Frau für alle Fälle “
Noch nie war der alltägliche Wahnsinn im Büro so komisch Sheila hatte immer davon geträumt, an einem renommierten Gericht zu arbeiten. Doch schon am ersten Arbeitstag entpuppt sich dieser Traum als Alptraum. Die machtbesessene Richterin Friedman provoziert sie, wo sie nur kann, ihr Sekretär hat die bizarre Vorliebe, nebenbei als mittelalterlicher Barde zu arbeiten, und Friedmans Assistentin bringt den halben Tag damit zu, ihre zahlreichen Plüschhunde zu tätscheln. Doch als Sheila einen spektakulären Straffall zugeteilt bekommt, wird ihr bewusst, dass es um mehr geht, als das pure Überleben unter lauter Verrückten ...
Noch nie war der alltägliche Wahnsinn im Büro so komisch
Sheila hatte immer davon geträumt, an einem renommierten Gericht zu arbeiten. Doch schon am ersten Arbeitstag entpuppt sich dieser Traum als Alptraum. Die machtbesessene Richterin Friedman provoziert sie, wo sie nur kann, ihr Sekretär hat die bizarre Vorliebe, nebenbei als mittelalterlicher Barde zu arbeiten, und Friedmans Assistentin bringt den halben Tag damit zu, ihre zahlreichen Plüschhunde zu tätscheln. Doch als Sheila einen spektakulären Straffall zugeteilt bekommt, wird ihr bewusst, dass es um mehr geht, als das pure Überleben unter lauter Verrückten ...
"Ein urkomisches Leseerlebnis für jeden, der einmal einen verrückten Chef hatte oder mit verklemmten Hochschulabsolventen arbeiten musste. Ich musste während des ganzen Buches laut lachen!" Holly Dunlap, Hollywould
"Raos Witz macht ihr Debüt zu einem unverwechselbaren Leseerlebnis." Publishers Weekly
"Unheimlich unterhaltsam ... und sehr aufschlussreich!" Philadelphia Inquirer
Sheila hatte immer davon geträumt, an einem renommierten Gericht zu arbeiten. Doch schon am ersten Arbeitstag entpuppt sich dieser Traum als Alptraum. Die machtbesessene Richterin Friedman provoziert sie, wo sie nur kann, ihr Sekretär hat die bizarre Vorliebe, nebenbei als mittelalterlicher Barde zu arbeiten, und Friedmans Assistentin bringt den halben Tag damit zu, ihre zahlreichen Plüschhunde zu tätscheln. Doch als Sheila einen spektakulären Straffall zugeteilt bekommt, wird ihr bewusst, dass es um mehr geht, als das pure Überleben unter lauter Verrückten ...
"Ein urkomisches Leseerlebnis für jeden, der einmal einen verrückten Chef hatte oder mit verklemmten Hochschulabsolventen arbeiten musste. Ich musste während des ganzen Buches laut lachen!" Holly Dunlap, Hollywould
"Raos Witz macht ihr Debüt zu einem unverwechselbaren Leseerlebnis." Publishers Weekly
"Unheimlich unterhaltsam ... und sehr aufschlussreich!" Philadelphia Inquirer
Lese-Probe zu „Eine Frau für alle Fälle “
1. KAPITELEinatmen. Jetzt ausatmen.
Ich war achtundzwanzig Jahre alt, keine Vorstrafen, einen Juris Doctor. Ich zahlte meine Rechnungen pünktlich, vergaß keine Geburtstage und spülte manchmal sogar die Joghurtbecher aus, bevor ich sie zum Recycling brachte. Wohlwollend ausgedrückt, hätte man behaupten können, dass ich die Logistik des täglichen Lebens beherrschte. Weniger wohlwollend hätte man einwenden können, dass ich vielleicht ein bisschen langweilig war. Sie werden verstehen, warum es mich unter diesen Umständen leicht beunruhigte, dass einfach nur zu atmen für mich zum Problem geworden war.
Und dann gab es da noch die Hitzewallungen. Konnte das schon die Menopause sein? Meine Hände schwebten über der Tastatur. Nur eine rasche Google-Suche nach "Menopause". Meine Hände begannen zu zucken. Wer wollte ihnen das verdenken? Ich stand im Begriff, eine Todsünde zu begehen. Zuck, zuck, zuck. Atme ein. Jetzt aus. Jumping Jack Flash. Wem wollte ich hier was vormachen? Ich brauchte mit Sicherheit Hormone, bevor die erste Gesichtsbehaarung auftrat. Niemand mochte Frauen mit Schnurrbart.
"Wo ist die Akte McMillan? Sie wissen doch, dass sie darauf wartet!", fuhr mich Janet mit einem erstickten, wütenden Flüstern an. Ich zuckte die Achseln, nicht willens, zwei Regelverstöße auf einmal zu begehen - sprechen und das Internet nutzen. Janet krümmte sich wie ein Pudel mit Verstopfung. Trotz ihrer täglichen Schmähungen tat Janet mir auch ein klein wenig leid. Die Dame ist in ihrem Leben schon öfter zurechtgestutzt worden als ein Bonsaibäumchen.
Zwanzig Jahre in dieser Institution hatten eine, wie ich annahm, gutmütige Vorstädterin (Janet, damals) in eine tollwütige Hündin verwandelt. Ich war immerhin erst einen Monat hier, und schon fing das mit den Haaren und den Hitzewallungen an. Aus dem Präzedenzfall, der mir hier leibhaftig vor Augen stand, konnte ich schließen, dass meine Zukunft düster aussah.
Großartig! Meine Suche nach "früher Menopause" hatte 26 715
... mehr
Treffer ergeben. Es bestand kein Zweifel, ich war mittendrin. Atmen, Hitzewallung, Zuckungen. Nicht zu fassen, dass ich eben noch die wütende Janet bemitleidet hatte, während ich mich hier in ein ausgewachsenes Monster verwandelte. Ich schielte nach hinten zu Matthew, um herauszufinden, ob er noch atmete. Allmählich machte ich mir Sorgen, dass Matthew eines Tages einfach so sterben würde, vornübergebeugt, auf seinen Monitor starrend, und wir es nicht mal merken würden, bevor sie nach ihm brüllte. Erst dann, wenn er es nicht mehr in unter zwei Sekunden in die Folterkammer schaffte, erst dann würden wir sein verfrühtes Ableben bemerken. Vielleicht sollte ich "tot dasitzen" googeln. Das war mit Sicherheit schlimmer als die Menopause.
Gerade als meine Muskeln wieder nach der Tastatur zuckten, kam Evan, der juristische Wanderprediger, an meinen Tisch geschlendert und blieb so kurz stehen, dass ich beinahe nicht zu ihm hätte aufsehen müssen. Beinahe.
"Na, bist du schon mit Robinson fertig?", wandte er sich an mich, mehr vorwurfsvoll als fragend. Ein Vorwurf, der dadurch unterstrichen wurde, dass er, noch während er sprach, auf dem Absatz kehrtmachte. Den kerzengeraden Rücken mir zugewandt, flüsterte Evan: "Na ja, ich gebe jetzt Welbert ab, und mit etwas Glück bekomme ich dann endlich mal was Anspruchsvolles."
Ich wusste wirklich nicht, wie die Harvard Law School das geschafft hatte, aber irgendwie war es dieser Schule gelungen, die ödesten, langweiligsten Nervensägen der Welt auszusuchen, um ihre geheiligten Hallen zu füllen. Noten, Aufnahmetests, egal. Der wahre Zulassungstest bestand darin, seine Großmutter dermaßen zur Weißglut bringen zu können, dass sie postwendend einen Mord beging.
Ach! Ich hörte, wie sich hinter mir etwas regte. Konnte das Matthew sein? Ich drehte mich um, und in der Tat, er hatte es geschafft, sich aufzusetzen, und reckte sich mit Blick zu mir. Ich runzelte die Stirn. Er verdrehte die Augen. Übersetzung. Ich: "Was ist?" Matthew: "Evan ist ein Volltrottel." Kommunikation beendet. In den letzten paar Wochen hatten wir gelernt, die universelle Sprache der Verurteilung zu beherrschen, ohne auch nur einen Laut von uns zu geben.
DING! "Dreizehnter Stock, auf dem Weg nach unten!" Das war der Aufzug der Richterin, das Einzige, was uns vor ihrer unmittelbar bevorstehenden Ankunft warnte.
"SHEEEEERA!!! SHAYYYLLLLA!!"
Nicht das schon wieder. An die Dezibel hatte ich mich ja inzwischen gewöhnt. Aber mein Name lautete SHEILA. Nicht Sheera. Nicht Shayla. Nicht Sheba (auch wenn es mir insgeheim gefiel, wenn sie mich Sheba nannte).
"KOMMEN SIE AUF DER STELLE ZU MIR! SIND SIE TAUB?"
Schön wär's.
Ich schoss in die Folterkammer, kam schlitternd vor der Ehrenwerten Helga Friedman zum Stehen. Sie war eindeutig sauer. Senkrechte Augenbrauen. Tief gefurchte Stirn.
Zusammengekniffene Augen. Heruntergezogene Mundwinkel. Wippender auftoupierter Dutt. Sie war auf dem Sprung. Ebenso wie ihr hellroter Lippenstift, der merkwürdigerweise überall seine Spuren hinterließ, nur nicht auf ihren Lippen.
"Ja, Richterin."
"Ich habe Ihr Memo zu W.A. vs. Trenton gelesen. Bringen die euch in Pakistan eigentlich kein Englisch bei?"
Nicht schon wieder Pakistan. Ich war Inderin. Nicht dass ich zu den Indern gehörte, die Pakistani hassten. Ich stammte einfach nur nicht aus Pakistan. Genauso wenig wie aus Kroatien.
"Euer Eh..., Euer Eh ..."
"Ich vermute mal nicht. Ich kann nur sagen, dass man kein Richter am Supreme Court zu sein braucht, um ganz grundlegende Staatsgesetze zu interpretieren - und Sie sind sogar schon daran gescheitert!"
"Ich, ähm, Euer Eh."
"NEIN! NEIN! NEIN!"
Der gefürchtete Nein!-Hattrick. Das war kein gutes Zeichen.
"ICH BIN BUNDESRICHTERIN!" In der Tat, unter anderem auch das. "Begreifen Sie überhaupt, was ich hier sage? Können Sie das?"
Augen wurden noch schmaler. Dutt fing einen Breakdance an. Kleine Hand griff nach dem dicken Supreme-Court-Kommentar. Zeitlupe. Hand hob Buch.
"Ich, ähm, dachte nur ."
RUMMS!
Sie hatte mich erwischt, schon wieder. Dieses Mal frontal ins Gesicht.
"RAUS HIER! RAUS! RAUS!" Sie hämmerte mit ihrer kleinen Faust auf den Tisch.
Ich stolperte in mein Abteil zurück, ein kleines Rinnsal Blut tröpfelte von meiner Wange. Konnte man die Bluterkrankheit bekommen? Verbluten hörte sich plötzlich irgendwie nett an, tröstlich gar.
Ich hockte mich auf meinen ramponierten Drehstuhl und starrte sehnsüchtig über den Delaware nach Camden, New Jersey. Noch vor sechs Monaten war ich eine allseits beliebte Redakteurin beim Columbia Law Review gewesen. Ich hatte wahnsinnig schicke Klamotten, ein schnuckeliges Apartment im West Village (Miete zum Festpreis) und einen tollen Freundeskreis.
Jetzt saß ich hier, mit getrocknetem Blut im Gesicht, und plante meine Flucht nach New Jersey.
Ich war Referendarin am Bundesberufungsgericht. Beinahe dreißig. Aufrecht. Stolz. Betete um die Bluterkrankheit. Dies war mit Sicherheit die wichtigste Erfahrung in meinem Leben. Ganz wie es mir alle an der Columbia Law versprochen hatten.
15.09., 04.09 Uhr
Basic Member
© Hilfe!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
Ich weiß, ich hör mich allmählich verrückt an, aber es ist Mittwoch, und ich hab bis jetzt nur Briefe bekommen, in denen steht, dass sie meine Bewerbungsmappe erhalten haben. Ich dreh hier noch durch. Ich weiß, dass eine aus meiner Parallelklasse in der 2. Runde ein Bewerbungsgespräch bekommen hat. Warum ruft bei mir keiner an?!!
24.12., 13.23 Uhr Basic Member
Warum rufen diese Richter einfach nicht an???
Hi, ihr alle. Ich warte auf Antworten von 3 Richtern, die offensichtlich nicht wissen, dass sie mich noch umbringen! Haben die denn keine Ahnung, dass sie hier über mein LEBEN reden????? Warum können sie mir nicht zumindest Bescheid sagen, dass ich es NICHT geschafft hab??? Es ist Weihnachten, um Himmels willen! Haben die denn kein Herz?!!! Frohe Weihnachten. ©
Obige Mails dienen als illustrierendes Beispiel dafür, was für ein Ambiente diese Law Schools produzieren. Ein Klima, in dem der Jurastudent - der paranoideste, risikoscheuste Überflieger, den dieses Universum zu bieten hat - vom ersten Schultag an einer Gehirnwäsche unterzogen wird, so dass er glaubt, sein Leben sei so gut wie vorbei, wenn er oder sie kein Referendariat bei Gericht bekommt.
Sicher, wir alle haben vom Glanz und Glamour eines juristischen Abschlusses gehört. Drei kurze Jahre, nur hundertzwanzigtausend Dollar und voilà! "Sie können jetzt alles werden!"
American Civil Liberties Union. Außenministerium. Staatsanwalt. Präsident der Vereinigten Staaten.
Es gab da nur einen kleinen Haken. Man brauchte ein gerichtliches Referendariat. Wenn möglich bei einem Bundesrichter.
Sheila Raj: "Wie bekommt man einen Job bei der Bundesanwaltschaft?"
Professor für Zivilrecht: "Tja, das ist unmöglich, sofern Sie kein Referendariat gemacht haben."
Sheila Raj: "Ich würde gern später mal hier unterrichten."
Professor für Verfassungsrecht: Tiefer Seufzer, gefolgt von "Dafür brauchen Sie auf jeden Fall ein Referendariat am Berufungsgericht, besser noch am Supreme Court." Berufungsgerichte stehen eine Stufe unter dem Supreme Court. Typischerweise muss man zuerst ein Referendariat an einem Berufungsgericht abgeleistet haben, um überhaupt für eines am Supreme Court infrage zu kommen, und deshalb ist ein Referendariat am Berufungsgericht der prestigeträchtigste Gig, den man direkt nach der Law School überhaupt nur kriegen kann.
Lektion: Sheila Raj, zusammen mit ihren nervösen Mitschülern, wird ohne Referendariat keine Aussichten auf einen Job haben. Das war ein kleines Problem, wenn man bedachte, dass es fast leichter schien, beim Zulassungstest die höchste Punktzahl zu erreichen. Eine Top-Ten-Law-School. Alles nur Einser. Zwei Juraprofessoren, die einem juristisches Genie bescheinigten. In einem Umfeld, in dem Einsen weniger verbreitet waren als All-Night-Raves, schien es eine unüberwindbare Hürde, ein Referendariat zu ergattern.
Zu meinem Glück stellte sich heraus, dass es sich mit den Prüfungen an der Law School genauso verhielt wie mit dem Fahrradfahren. Nach ein paar Stürzen bei den Prüfungen in Zivilrecht im ersten Semester stieg ich wieder auf und hätte wahrscheinlich sogar Lance Armstrong einen ordentlichen Kampf liefern können.
So kam es, dass die gesamte Columbia Law School darauf bestand, ich müsse mich bei jedem Bundesrichter in den Vereinigten Staaten von Amerika und den umliegenden Ländern bewerben. Warum auch nicht? Allen Professoren und ehemaligen Referendaren zufolge war für einen Richter zu arbeiten "der beste Job, den man je kriegen konnte".
Auf einer Seite des Columbia-Law-Referendariatszentrums stand: "Richter Sanders ist ein brillanter und wundervoller Mentor." "Mit Richter Nederholm Rechtsgutachten zu verfassen ist die aufregendste Erfahrung, die ich je gemacht habe - sowohl beruflich wie auch allgemein." "Ihr werdet von Richter Franklin mehr lernen als in eurem ganzen restlichen Leben."
Nach dem, was alle sagten und schrieben, war ein Referendariat besser als Sex, Drogen und Rock 'n' Roll zusammen. Kaum zu glauben, dass all die Hippies aus den Sechzigern nicht lieber auf Jura zurückgegriffen haben statt auf Acid und Janis Joplin. Ich musste das einfach machen. Nicht nur für meine eigene persönliche Entwicklung, sondern auch, um meinen Traumjob zu bekommen.
Nach einem Praktikum in der Abteilung für Einwanderungsrecht der American Civil Liberties Union im Sommer nach meinem ersten Law-School-Jahr stand fest: Ich würde den Kampf der Gerechten kämpfen. Die Entrechteten vor der allmächtigen Regierung schützen. Amerika zu dem machen, was sich seine Gründerväter erträumt hatten. Es war klar, dass ich ein Referendariat brauchte, um so einen Job zu bekommen, ohne mich vorher in der Rechtsabteilung eines großen New Yorker Ausbeuterbetriebs kaputtzuschuften.
Und sogar ein bissiger Prozessanwalt aus besagtem Betrieb dürfte es ziemlich schwer haben, die Sache mit dem Referendariat zu umgehen.
Bundesrichter der Vereinigten Staaten vs. Sheila Raj, Jurastudentin im dritten Jahr
Ausgangslage: Wochenlang sitzen Hunderttausende Jurastudenten stundenlang dicht gedrängt in der Bibliothek der Columbia Law und schneiden aus, kopieren, drucken, stecken zusammen und kleben Hunderte von Briefumschlägen mit dem guten alten Arschkuss zu. New York, Miami, Chicago, Washington, D.C., Philadelphia, St. Louis, Cincinnati, Dallas.
Sogar die Dame bei der Post hielt Raj für verrückt ("Mädchen, wenn du dafür keinen Job kriegst, weiß ich's auch nicht" - deutete dabei auf einen überladenen Handwagen voller Bewerbungsmappen, bevor sie nur noch den Kopf schüttelte). Von einer Postangestellten bemitleidet zu werden flößte einem nicht unbedingt Zuversicht ein.
Die entscheidende Fragestellung: Wird Raj ein Referendariat bekommen und danach für immer in Glückseligkeit weiterleben oder nicht und dann sterben?
Warteschleife: An die zweihundert Bewerbungen in über einem Dutzend Städten warfen ganze drei Bewerbungsgespräche ab. Das erste - bei einem Bezirksrichter in Manhattan. Sicher, Richter Coutland war nicht an einem Berufungsgericht, aber er war in New York. Ein dicker Pluspunkt. Auf die paradigmatische Frage "Möchten Sie noch etwas hinzufügen?" antwortete Raj: "Ja, ich bin Hypochonder." Nicht die richtige Antwort. Der zweite Versuch beinhaltete Chicago und zu viel nervöses Gerede über den Wind. Keine Chance.
Aller guten Dinge sind drei! Sheila Raj zog ein Angebot der Ehrenwerten Richterin Helga Friedman an Land, Berufungsgerichtshof Philadelphia, ernannt von Präsident Gerald Ford, erste Frau, die überhaupt jemals an einem Bundesberufungsgerichtshof urteilte, und ehemalige Professorin an der Penn Law. Alles in allem: eine juristische Göttin.
Ich sagte auf der Stelle zu.
Ich wusste, ich würde mein Leben in New York vermissen, aber ein kurzes Jahr in Philadelphia konnte mir meine gesamte Karriere sichern. Zum Kuckuck, es würde vielleicht mein ganzes Leben verändern.
Die Stadt der brüderlichen Liebe lockte!
"Sheels, das ist wunderbar! Das ist riesig! Guck doch nur die tollen Etagen und - o mein Gott! - du kriegst ja natürliches Licht tonnenweise!", quietschte meine Schwester Puja, als wir meine neue Wohnung an der Twelfth Street zwischen Spruce und Pine betraten, mitten im Zentrum der "Gayborhood". Wie South Beach und Chelsea hatte die Schwulenmafia diese Gegend innerhalb von zwei Jahren von furchtbar in fabelhaft verwandelt. Und ich saß genau mittendrin. Darling Café zur Linken, unabhängiger Buchladen direkt gegenüber, französisches Bistro zur Rechten. Und was mein Apartment anging, so kam es mir im Vergleich zu meiner Wohnung in New York wie ein Palast vor. "Achtzig Quadratmeter unverfälschter Vorkriegscharme!", hatte es in der Anzeige im Philadelphia Inquirer geheißen, und es stimmte. Was am charmantesten daran war? Achthundertfünfzig Dollar im Monat! Dafür bekam man in Brooklyn mit viel Glück Bettwanzen und ein Gemeinschaftsbad.
"Ja, Sheila, das ist sogar noch besser, als du's beschrieben hast. Dieses Mal hast du ausnahmsweise nicht übertrieben", sagte Sanjay und drückte scherzhaft meine Schulter. Sanjay und ich waren etwa zwei Jahre zusammen. Er war Assistenzarzt der Radiologie in einem Krankenhaus in Reston, Virginia, meiner Heimatstadt. Ich kannte ihn, seit ich etwa drei Minuten alt war, da unsere Eltern während ihres Medizinstudiums in Indien beste Freunde waren. Dank der Tatsache, dass Sanjay vier Jahre älter war als ich und meine Existenz bis vor ein paar Jahren nicht einmal zur Kenntnis genommen hatte, war jeglicher Anschein von Inzest ausgeschlossen, als wir uns an Thanksgiving kennengelernt hatten. Man konnte sich keinen zuverlässigeren und anständigeren Mann vorstellen. Unsere Mütter hätten kaum glücklicher sein können, hätten sie die Hauptrolle in einem Bollywood-Film ergattert.
"Wisst ihr was, Kinder, ich glaube, ich zieh nie wieder aus Philly weg", sagte ich, während ich meinen Palast in Besitz nahm. "Hier kann man wirklich wie ein normaler Mensch leben statt wie eine verhungernde Obdachlose."
"Ja, vor allem, wo du ja in New York eine total verhungerte Obdachlose warst. Meine Güte, du warst wahrscheinlich die einzige Law-School-Absolventin, die überhaupt um die Ecke vom Pastis wohnte", entgegnete Puja. Sanjay schien leicht gelangweilt zu sein und zog sich ins Badezimmer zurück.
"Ist ja auch egal, was ich sagen wollte, war, dass ich fest dran glaube, dass ich das Potential habe, hier richtig abzusahnen. Du weißt schon - dicker Fisch in kleinem Aquarium. Schadet nicht, dass ich schon in der mit Abstand angesagtesten Gegend wohne und ..."
BUMM! BUMM! BUMM!
"Hey, hallo?", flüsterte ein Mann (lautstark) vor meiner Tür aus der Vorkriegszeit.
"Meine Fans sind schon da, um mich zu begrüßen!" Lächelnd schlenderte ich zur Tür.
Ich erwartete ja nicht unbedingt Elton John mit einem Obstkorb, aber vielleicht Mister Rogers? Vor mir stand ein grauhaariger Mann mit dünnen Augenbrauen und künstlicher Bräune.
"Äh, hm, hi, wo ist er denn?" Mister Rogers lugte herein, sein Blick schoss von einer Seite zur andern. Puja deutete ein zaghaftes Winken an.
"Das ist kein Mann!", rief er aus. Puja hatte langes, glattes Haar (von dem sie unablässig redete), war gut eins fünfundsechzig groß, wog fünfundfünfzig Kilo. Sie trug einen kurzen Rock und pinkfarbene Flipflops. Man brauchte kein Detektiv zu sein, um darauf zu kommen, dass meine Schwester kein Mann war.
"Wen suchen Sie denn?" Ich schob die Tür ein bisschen zu, damit er aufhörte, mein Achtzig-Quadratmeter-Juwel mit den Augen abzusuchen. Er fing an, mich zu nerven.
"Hey, hey, hier oben! Hier oben!", lockte eine ängstliche Stimme von oben. Ich sah an der geschwungenen Treppe meines Hauses entlang hinauf. Zwei Stockwerke höher stand ein Typ Mitte zwanzig in Designerjeans und einem hautengen schwarzen T-Shirt, auf dem das Wort "Bitch" stand. Wäre er nicht so dürr gewesen und hätte ein T-Shirt getragen, das seit mindestens drei Saisons out war, wäre er richtig hübsch gewesen - genau die Art von Schwuler, mit dem ich mich nur allzu gern eingelassen hätte.
Mister Rogers murmelte ein "'tschuldigung", bevor er die Treppe hinaufsprang.
"Hey" - hust -, "hey du" - hust, hust -, "willkommen im Haus!", rief der dünne Typ mir zu.
"Danke."Und damit schlossen wir unsere Türen. Seltsame Dinge gingen vor sich in Mister Rogers' Nachbarschaft.
Gerade als meine Muskeln wieder nach der Tastatur zuckten, kam Evan, der juristische Wanderprediger, an meinen Tisch geschlendert und blieb so kurz stehen, dass ich beinahe nicht zu ihm hätte aufsehen müssen. Beinahe.
"Na, bist du schon mit Robinson fertig?", wandte er sich an mich, mehr vorwurfsvoll als fragend. Ein Vorwurf, der dadurch unterstrichen wurde, dass er, noch während er sprach, auf dem Absatz kehrtmachte. Den kerzengeraden Rücken mir zugewandt, flüsterte Evan: "Na ja, ich gebe jetzt Welbert ab, und mit etwas Glück bekomme ich dann endlich mal was Anspruchsvolles."
Ich wusste wirklich nicht, wie die Harvard Law School das geschafft hatte, aber irgendwie war es dieser Schule gelungen, die ödesten, langweiligsten Nervensägen der Welt auszusuchen, um ihre geheiligten Hallen zu füllen. Noten, Aufnahmetests, egal. Der wahre Zulassungstest bestand darin, seine Großmutter dermaßen zur Weißglut bringen zu können, dass sie postwendend einen Mord beging.
Ach! Ich hörte, wie sich hinter mir etwas regte. Konnte das Matthew sein? Ich drehte mich um, und in der Tat, er hatte es geschafft, sich aufzusetzen, und reckte sich mit Blick zu mir. Ich runzelte die Stirn. Er verdrehte die Augen. Übersetzung. Ich: "Was ist?" Matthew: "Evan ist ein Volltrottel." Kommunikation beendet. In den letzten paar Wochen hatten wir gelernt, die universelle Sprache der Verurteilung zu beherrschen, ohne auch nur einen Laut von uns zu geben.
DING! "Dreizehnter Stock, auf dem Weg nach unten!" Das war der Aufzug der Richterin, das Einzige, was uns vor ihrer unmittelbar bevorstehenden Ankunft warnte.
"SHEEEEERA!!! SHAYYYLLLLA!!"
Nicht das schon wieder. An die Dezibel hatte ich mich ja inzwischen gewöhnt. Aber mein Name lautete SHEILA. Nicht Sheera. Nicht Shayla. Nicht Sheba (auch wenn es mir insgeheim gefiel, wenn sie mich Sheba nannte).
"KOMMEN SIE AUF DER STELLE ZU MIR! SIND SIE TAUB?"
Schön wär's.
Ich schoss in die Folterkammer, kam schlitternd vor der Ehrenwerten Helga Friedman zum Stehen. Sie war eindeutig sauer. Senkrechte Augenbrauen. Tief gefurchte Stirn.
Zusammengekniffene Augen. Heruntergezogene Mundwinkel. Wippender auftoupierter Dutt. Sie war auf dem Sprung. Ebenso wie ihr hellroter Lippenstift, der merkwürdigerweise überall seine Spuren hinterließ, nur nicht auf ihren Lippen.
"Ja, Richterin."
"Ich habe Ihr Memo zu W.A. vs. Trenton gelesen. Bringen die euch in Pakistan eigentlich kein Englisch bei?"
Nicht schon wieder Pakistan. Ich war Inderin. Nicht dass ich zu den Indern gehörte, die Pakistani hassten. Ich stammte einfach nur nicht aus Pakistan. Genauso wenig wie aus Kroatien.
"Euer Eh..., Euer Eh ..."
"Ich vermute mal nicht. Ich kann nur sagen, dass man kein Richter am Supreme Court zu sein braucht, um ganz grundlegende Staatsgesetze zu interpretieren - und Sie sind sogar schon daran gescheitert!"
"Ich, ähm, Euer Eh."
"NEIN! NEIN! NEIN!"
Der gefürchtete Nein!-Hattrick. Das war kein gutes Zeichen.
"ICH BIN BUNDESRICHTERIN!" In der Tat, unter anderem auch das. "Begreifen Sie überhaupt, was ich hier sage? Können Sie das?"
Augen wurden noch schmaler. Dutt fing einen Breakdance an. Kleine Hand griff nach dem dicken Supreme-Court-Kommentar. Zeitlupe. Hand hob Buch.
"Ich, ähm, dachte nur ."
RUMMS!
Sie hatte mich erwischt, schon wieder. Dieses Mal frontal ins Gesicht.
"RAUS HIER! RAUS! RAUS!" Sie hämmerte mit ihrer kleinen Faust auf den Tisch.
Ich stolperte in mein Abteil zurück, ein kleines Rinnsal Blut tröpfelte von meiner Wange. Konnte man die Bluterkrankheit bekommen? Verbluten hörte sich plötzlich irgendwie nett an, tröstlich gar.
Ich hockte mich auf meinen ramponierten Drehstuhl und starrte sehnsüchtig über den Delaware nach Camden, New Jersey. Noch vor sechs Monaten war ich eine allseits beliebte Redakteurin beim Columbia Law Review gewesen. Ich hatte wahnsinnig schicke Klamotten, ein schnuckeliges Apartment im West Village (Miete zum Festpreis) und einen tollen Freundeskreis.
Jetzt saß ich hier, mit getrocknetem Blut im Gesicht, und plante meine Flucht nach New Jersey.
Ich war Referendarin am Bundesberufungsgericht. Beinahe dreißig. Aufrecht. Stolz. Betete um die Bluterkrankheit. Dies war mit Sicherheit die wichtigste Erfahrung in meinem Leben. Ganz wie es mir alle an der Columbia Law versprochen hatten.
15.09., 04.09 Uhr
Basic Member
© Hilfe!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
Ich weiß, ich hör mich allmählich verrückt an, aber es ist Mittwoch, und ich hab bis jetzt nur Briefe bekommen, in denen steht, dass sie meine Bewerbungsmappe erhalten haben. Ich dreh hier noch durch. Ich weiß, dass eine aus meiner Parallelklasse in der 2. Runde ein Bewerbungsgespräch bekommen hat. Warum ruft bei mir keiner an?!!
24.12., 13.23 Uhr Basic Member
Warum rufen diese Richter einfach nicht an???
Hi, ihr alle. Ich warte auf Antworten von 3 Richtern, die offensichtlich nicht wissen, dass sie mich noch umbringen! Haben die denn keine Ahnung, dass sie hier über mein LEBEN reden????? Warum können sie mir nicht zumindest Bescheid sagen, dass ich es NICHT geschafft hab??? Es ist Weihnachten, um Himmels willen! Haben die denn kein Herz?!!! Frohe Weihnachten. ©
Obige Mails dienen als illustrierendes Beispiel dafür, was für ein Ambiente diese Law Schools produzieren. Ein Klima, in dem der Jurastudent - der paranoideste, risikoscheuste Überflieger, den dieses Universum zu bieten hat - vom ersten Schultag an einer Gehirnwäsche unterzogen wird, so dass er glaubt, sein Leben sei so gut wie vorbei, wenn er oder sie kein Referendariat bei Gericht bekommt.
Sicher, wir alle haben vom Glanz und Glamour eines juristischen Abschlusses gehört. Drei kurze Jahre, nur hundertzwanzigtausend Dollar und voilà! "Sie können jetzt alles werden!"
American Civil Liberties Union. Außenministerium. Staatsanwalt. Präsident der Vereinigten Staaten.
Es gab da nur einen kleinen Haken. Man brauchte ein gerichtliches Referendariat. Wenn möglich bei einem Bundesrichter.
Sheila Raj: "Wie bekommt man einen Job bei der Bundesanwaltschaft?"
Professor für Zivilrecht: "Tja, das ist unmöglich, sofern Sie kein Referendariat gemacht haben."
Sheila Raj: "Ich würde gern später mal hier unterrichten."
Professor für Verfassungsrecht: Tiefer Seufzer, gefolgt von "Dafür brauchen Sie auf jeden Fall ein Referendariat am Berufungsgericht, besser noch am Supreme Court." Berufungsgerichte stehen eine Stufe unter dem Supreme Court. Typischerweise muss man zuerst ein Referendariat an einem Berufungsgericht abgeleistet haben, um überhaupt für eines am Supreme Court infrage zu kommen, und deshalb ist ein Referendariat am Berufungsgericht der prestigeträchtigste Gig, den man direkt nach der Law School überhaupt nur kriegen kann.
Lektion: Sheila Raj, zusammen mit ihren nervösen Mitschülern, wird ohne Referendariat keine Aussichten auf einen Job haben. Das war ein kleines Problem, wenn man bedachte, dass es fast leichter schien, beim Zulassungstest die höchste Punktzahl zu erreichen. Eine Top-Ten-Law-School. Alles nur Einser. Zwei Juraprofessoren, die einem juristisches Genie bescheinigten. In einem Umfeld, in dem Einsen weniger verbreitet waren als All-Night-Raves, schien es eine unüberwindbare Hürde, ein Referendariat zu ergattern.
Zu meinem Glück stellte sich heraus, dass es sich mit den Prüfungen an der Law School genauso verhielt wie mit dem Fahrradfahren. Nach ein paar Stürzen bei den Prüfungen in Zivilrecht im ersten Semester stieg ich wieder auf und hätte wahrscheinlich sogar Lance Armstrong einen ordentlichen Kampf liefern können.
So kam es, dass die gesamte Columbia Law School darauf bestand, ich müsse mich bei jedem Bundesrichter in den Vereinigten Staaten von Amerika und den umliegenden Ländern bewerben. Warum auch nicht? Allen Professoren und ehemaligen Referendaren zufolge war für einen Richter zu arbeiten "der beste Job, den man je kriegen konnte".
Auf einer Seite des Columbia-Law-Referendariatszentrums stand: "Richter Sanders ist ein brillanter und wundervoller Mentor." "Mit Richter Nederholm Rechtsgutachten zu verfassen ist die aufregendste Erfahrung, die ich je gemacht habe - sowohl beruflich wie auch allgemein." "Ihr werdet von Richter Franklin mehr lernen als in eurem ganzen restlichen Leben."
Nach dem, was alle sagten und schrieben, war ein Referendariat besser als Sex, Drogen und Rock 'n' Roll zusammen. Kaum zu glauben, dass all die Hippies aus den Sechzigern nicht lieber auf Jura zurückgegriffen haben statt auf Acid und Janis Joplin. Ich musste das einfach machen. Nicht nur für meine eigene persönliche Entwicklung, sondern auch, um meinen Traumjob zu bekommen.
Nach einem Praktikum in der Abteilung für Einwanderungsrecht der American Civil Liberties Union im Sommer nach meinem ersten Law-School-Jahr stand fest: Ich würde den Kampf der Gerechten kämpfen. Die Entrechteten vor der allmächtigen Regierung schützen. Amerika zu dem machen, was sich seine Gründerväter erträumt hatten. Es war klar, dass ich ein Referendariat brauchte, um so einen Job zu bekommen, ohne mich vorher in der Rechtsabteilung eines großen New Yorker Ausbeuterbetriebs kaputtzuschuften.
Und sogar ein bissiger Prozessanwalt aus besagtem Betrieb dürfte es ziemlich schwer haben, die Sache mit dem Referendariat zu umgehen.
Bundesrichter der Vereinigten Staaten vs. Sheila Raj, Jurastudentin im dritten Jahr
Ausgangslage: Wochenlang sitzen Hunderttausende Jurastudenten stundenlang dicht gedrängt in der Bibliothek der Columbia Law und schneiden aus, kopieren, drucken, stecken zusammen und kleben Hunderte von Briefumschlägen mit dem guten alten Arschkuss zu. New York, Miami, Chicago, Washington, D.C., Philadelphia, St. Louis, Cincinnati, Dallas.
Sogar die Dame bei der Post hielt Raj für verrückt ("Mädchen, wenn du dafür keinen Job kriegst, weiß ich's auch nicht" - deutete dabei auf einen überladenen Handwagen voller Bewerbungsmappen, bevor sie nur noch den Kopf schüttelte). Von einer Postangestellten bemitleidet zu werden flößte einem nicht unbedingt Zuversicht ein.
Die entscheidende Fragestellung: Wird Raj ein Referendariat bekommen und danach für immer in Glückseligkeit weiterleben oder nicht und dann sterben?
Warteschleife: An die zweihundert Bewerbungen in über einem Dutzend Städten warfen ganze drei Bewerbungsgespräche ab. Das erste - bei einem Bezirksrichter in Manhattan. Sicher, Richter Coutland war nicht an einem Berufungsgericht, aber er war in New York. Ein dicker Pluspunkt. Auf die paradigmatische Frage "Möchten Sie noch etwas hinzufügen?" antwortete Raj: "Ja, ich bin Hypochonder." Nicht die richtige Antwort. Der zweite Versuch beinhaltete Chicago und zu viel nervöses Gerede über den Wind. Keine Chance.
Aller guten Dinge sind drei! Sheila Raj zog ein Angebot der Ehrenwerten Richterin Helga Friedman an Land, Berufungsgerichtshof Philadelphia, ernannt von Präsident Gerald Ford, erste Frau, die überhaupt jemals an einem Bundesberufungsgerichtshof urteilte, und ehemalige Professorin an der Penn Law. Alles in allem: eine juristische Göttin.
Ich sagte auf der Stelle zu.
Ich wusste, ich würde mein Leben in New York vermissen, aber ein kurzes Jahr in Philadelphia konnte mir meine gesamte Karriere sichern. Zum Kuckuck, es würde vielleicht mein ganzes Leben verändern.
Die Stadt der brüderlichen Liebe lockte!
"Sheels, das ist wunderbar! Das ist riesig! Guck doch nur die tollen Etagen und - o mein Gott! - du kriegst ja natürliches Licht tonnenweise!", quietschte meine Schwester Puja, als wir meine neue Wohnung an der Twelfth Street zwischen Spruce und Pine betraten, mitten im Zentrum der "Gayborhood". Wie South Beach und Chelsea hatte die Schwulenmafia diese Gegend innerhalb von zwei Jahren von furchtbar in fabelhaft verwandelt. Und ich saß genau mittendrin. Darling Café zur Linken, unabhängiger Buchladen direkt gegenüber, französisches Bistro zur Rechten. Und was mein Apartment anging, so kam es mir im Vergleich zu meiner Wohnung in New York wie ein Palast vor. "Achtzig Quadratmeter unverfälschter Vorkriegscharme!", hatte es in der Anzeige im Philadelphia Inquirer geheißen, und es stimmte. Was am charmantesten daran war? Achthundertfünfzig Dollar im Monat! Dafür bekam man in Brooklyn mit viel Glück Bettwanzen und ein Gemeinschaftsbad.
"Ja, Sheila, das ist sogar noch besser, als du's beschrieben hast. Dieses Mal hast du ausnahmsweise nicht übertrieben", sagte Sanjay und drückte scherzhaft meine Schulter. Sanjay und ich waren etwa zwei Jahre zusammen. Er war Assistenzarzt der Radiologie in einem Krankenhaus in Reston, Virginia, meiner Heimatstadt. Ich kannte ihn, seit ich etwa drei Minuten alt war, da unsere Eltern während ihres Medizinstudiums in Indien beste Freunde waren. Dank der Tatsache, dass Sanjay vier Jahre älter war als ich und meine Existenz bis vor ein paar Jahren nicht einmal zur Kenntnis genommen hatte, war jeglicher Anschein von Inzest ausgeschlossen, als wir uns an Thanksgiving kennengelernt hatten. Man konnte sich keinen zuverlässigeren und anständigeren Mann vorstellen. Unsere Mütter hätten kaum glücklicher sein können, hätten sie die Hauptrolle in einem Bollywood-Film ergattert.
"Wisst ihr was, Kinder, ich glaube, ich zieh nie wieder aus Philly weg", sagte ich, während ich meinen Palast in Besitz nahm. "Hier kann man wirklich wie ein normaler Mensch leben statt wie eine verhungernde Obdachlose."
"Ja, vor allem, wo du ja in New York eine total verhungerte Obdachlose warst. Meine Güte, du warst wahrscheinlich die einzige Law-School-Absolventin, die überhaupt um die Ecke vom Pastis wohnte", entgegnete Puja. Sanjay schien leicht gelangweilt zu sein und zog sich ins Badezimmer zurück.
"Ist ja auch egal, was ich sagen wollte, war, dass ich fest dran glaube, dass ich das Potential habe, hier richtig abzusahnen. Du weißt schon - dicker Fisch in kleinem Aquarium. Schadet nicht, dass ich schon in der mit Abstand angesagtesten Gegend wohne und ..."
BUMM! BUMM! BUMM!
"Hey, hallo?", flüsterte ein Mann (lautstark) vor meiner Tür aus der Vorkriegszeit.
"Meine Fans sind schon da, um mich zu begrüßen!" Lächelnd schlenderte ich zur Tür.
Ich erwartete ja nicht unbedingt Elton John mit einem Obstkorb, aber vielleicht Mister Rogers? Vor mir stand ein grauhaariger Mann mit dünnen Augenbrauen und künstlicher Bräune.
"Äh, hm, hi, wo ist er denn?" Mister Rogers lugte herein, sein Blick schoss von einer Seite zur andern. Puja deutete ein zaghaftes Winken an.
"Das ist kein Mann!", rief er aus. Puja hatte langes, glattes Haar (von dem sie unablässig redete), war gut eins fünfundsechzig groß, wog fünfundfünfzig Kilo. Sie trug einen kurzen Rock und pinkfarbene Flipflops. Man brauchte kein Detektiv zu sein, um darauf zu kommen, dass meine Schwester kein Mann war.
"Wen suchen Sie denn?" Ich schob die Tür ein bisschen zu, damit er aufhörte, mein Achtzig-Quadratmeter-Juwel mit den Augen abzusuchen. Er fing an, mich zu nerven.
"Hey, hey, hier oben! Hier oben!", lockte eine ängstliche Stimme von oben. Ich sah an der geschwungenen Treppe meines Hauses entlang hinauf. Zwei Stockwerke höher stand ein Typ Mitte zwanzig in Designerjeans und einem hautengen schwarzen T-Shirt, auf dem das Wort "Bitch" stand. Wäre er nicht so dürr gewesen und hätte ein T-Shirt getragen, das seit mindestens drei Saisons out war, wäre er richtig hübsch gewesen - genau die Art von Schwuler, mit dem ich mich nur allzu gern eingelassen hätte.
Mister Rogers murmelte ein "'tschuldigung", bevor er die Treppe hinaufsprang.
"Hey" - hust -, "hey du" - hust, hust -, "willkommen im Haus!", rief der dünne Typ mir zu.
"Danke."Und damit schlossen wir unsere Türen. Seltsame Dinge gingen vor sich in Mister Rogers' Nachbarschaft.
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Autoren-Porträt von Saira Rao
Saira Rao ist in Richmond, Virginia, geboren und aufgewachsen. Nach ihrem Abschluss an der Universität von Virginia arbeitete sie für verschiedene Nachrichtenagenturen, bevor sie die New York University School of Law besuchte, die sie 2002 erfolgreich als Juris Doctor verließ. Ihr Referendariat absolvierte sie am Berufungsgericht Philadelphia.Saira Rao lebt mit ihrem Mann in New York City.
Bibliographische Angaben
- Autor: Saira Rao
- 2008, 383 Seiten, Maße: 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Aus d. Amerikan. v. Sigrun Zühlke
- Verlag: Goldmann
- ISBN-10: 3442466458
- ISBN-13: 9783442466450
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