Eine Oma zum Fest
Ein Weihnachtsroman
Ein himmlisches Geschenk auf vier Pfoten.
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Eine Oma zum Fest “
Ein himmlisches Geschenk auf vier Pfoten.
Klappentext zu „Eine Oma zum Fest “
Gisela ist überglücklich, als sie in ihrem Garten ein Kätzchen findet. Doch kaum hat sie sich an den kleinen Tiger gewöhnt, entdeckt sie eine Suchmeldung. Das Foto lässt keinen Zweifel. Schweren Herzens bringt Gisela der jungen Familie die Katze zurück. Und wird im Gegenzug als Oma adoptiert.
Lese-Probe zu „Eine Oma zum Fest “
Eine Oma zum Fest von Mia RichterRegen prasselte auf das Dachflächenfenster, als Gisela Herzog an diesem Morgen erwachte. Am liebsten hätte sie die Decke über beide Ohren gezogen und weitergeschlafen, sie spürte jedoch das bereits bekannte Ziehen in ihrem Rücken, das erst besser werden würde, wenn sie aufstand und sich bewegte. Gisela seufzte. Bisher hatte der Dezember wenig Winterliches gebracht, Dauerregen und milde Temperaturen bestimmten das Wetter. Die Autofahrer freuten sich zwar darüber, keine vereisten Scheiben kratzen zu müssen und freie Straßen zu haben, doch die fortwährende Feuchtigkeit tat Giselas Gelenken nicht gut. Die Wehwehchen zeigten deutlich, dass sie eben nicht mehr die Jüngste war.
Während der Wasserkocher summte, schaltete Gisela den Laptop ein. Früher hatte sie sich gegen dieses neumodische Zeugs gewehrt, mit der Zeit aber festgestellt, welche Vorteile die moderne Technik hatte. So konnte sie inzwischen mit ihren Kindern nicht nur mailen, sondern sie sogar sehen, obwohl diese Tausende von Kilometern entfernt waren. Gisela bereitete sich eine Tasse schwarzen Tees zu, ohne Zucker, dafür aber mit einem kräftigen Schuss Sahne, und startete das Programm. Es war jetzt Punkt acht Uhr, und es war Samstag - der Tag, an dem Gisela sich jede Woche mit ihren Kindern austauschte. Nach nur wenigen Sekunden wurde der Bildschirm hell, und Gisela blickte in das Gesicht ihrer Tochter Sabine, die in die Kamera winkte und lachte.
»Guten Morgen, Mama. Wie geht es dir?«
Gisela war stolz, problemlos skypen zu können, was man nur von wenigen ihrer Altersgenossinnen sagen konnte.
»Guten Morgen, mein Schatz.« Gisela positionierte sich vor der Kamera ihres Laptops. »Hast du gut geschlafen? Du siehst müde aus.«
... mehr
»Ach, Mama, ich bin seit über vier Stunden auf den Beinen. In Uganda ist es zehn Uhr, und die Sonne brennt. Schon jetzt zeigt das Thermometer vierzig Grad im Schatten.«
»Hier regnet es immer noch.« Gisela seufzte. »Also, früher hatten wir richtige Winter mit viel Schnee und klirrender Kälte, aber ...«
»Das ist die Klimaerwärmung«, unterbrach Sabine. »Wenn du Sehnsucht nach Eis und Schnee hast ... Warum fliegst du nicht zu Thomas? Als ich vor ein paar Tagen mit ihm skypte, meinte er, dass du seine Einladung nach Winnipeg abgelehnt hast.« Ein leiser Vorwurf klang in Sabines Stimme. »Mama, du solltest dir das noch mal überlegen, sonst bist du Weihnachten ganz allein ...«
»Mach dir um mich keine Sorgen, mein Schatz.« Gisela bemühte sich um ein unbekümmertes Lächeln. Auf keinen Fall wollte sie ihre Tochter merken lassen, dass ihr tatsächlich beim Gedanken an die Weihnachtstage fl au im Magen war. »Du weißt doch, dass ich nicht fl iegen mag, und dann noch so weit ... gleich bis nach Kanada.«
»Als Papa noch lebte, seid ihr viel gereist.« Verständnislos schüttelte Sabine den Kopf.
»Aber immer mit dem Wohnwagen nach Italien oder nach Spanien«, wandte Gisela ein. »Ich steige in kein Flugzeug. Niemals!«
»Mama, du weißt schon, dass Flugzeuge die sichersten Verkehrsmittel überhaupt sind?« Wenn Sabine so wie jetzt die Stirn runzelte, sah sie Gisela sehr ähnlich. »Bitte, denk noch mal darüber nach. Der Winter in Kanada muss herrlich sein, Thomas hat mir ein paar Fotos gemailt. Ach, ich würde am liebsten selbst hinfahren, aber ich kann hier nicht weg.«
»Ich habe die Bilder auch gesehen, trotzdem ...« Gisela zögerte. Ob sie ihre Angst nicht doch überwinden und zu ihrem Sohn fliegen sollte? Dann lächelte sie wieder unbekümmert und fuhr fort: »Weihnachten bei vierzig Grad ist auch nicht gerade das Gelbe vom Ei, oder?«
»Nein, gewiss nicht.« Sabine sah auf ihre Armbanduhr. »Es tut mir leid, Mama, ich muss wieder an die Arbeit. Das Hospital ist bis auf das letzte Bett belegt, derzeit erkranken immer mehr Kinder an Malaria.«
»Pass auf dich auf, Binchen«, sagte Gisela, obwohl sie wusste, dass Sabine diesen Kosenamen nicht mochte. Ihre Sabine würde für sie aber immer das kleine Binchen bleiben, das sie vor knapp vierzig Jahren geboren hatte.
»Aber klar doch, Mama.« Sabine lehnte sich vor und hauchte einen Kuss in die Kamera. »Mach dir ein schönes Wochenende und bis nächsten Samstag dann. Skypst du heute auch noch mit Thomas?«
»Ja, gegen Abend, drüben in Kanada ist es ja noch mitten in der Nacht.«
»Dann bestell meinem Lieblingsbruder einen Gruß von mir.« Sabine lachte ein letztes Mal, bevor der Bildschirm dunkel wurde.
Das kurze Gespräch mit ihrer Tochter hatte Gisela belebt. Sie freute sich auf den Abend, an dem sie mit ihrem Sohn sprechen würde. Thomas arbeitete seit vier Jahren als Bauingenieur in Kanada, hatte dort eine Freundin und kam nur noch selten zu einem Besuch in die alte Heimat. Ebenso wie Sabine, die seit sechs Monaten mit der Organisation Ärzte ohne Grenzen in Uganda war.
»Ach, Albert, du wärst stolz auf deine kleine Tochter «, sagte Gisela laut und sah zu der Fotografie auf der Kommode. Sie strich über den Rahmen und rückte ihn einen Zentimeter nach links, damit das Bild exakt in der Mitte der Kommode stand, denn Gisela mochte es, wenn alles seine Ordnung hatte. Eine leichte Wehmut, die sie stets beim Betrachten von Alberts Foto empfand, überkam Gisela, sie versank aber nicht in tiefe Traurigkeit. Im Sommer vor einem Jahr, als ihr Mann durch einen plötzlichen Herzinfarkt aus dem Leben gerissen worden war, hatte Gisela viel geweint. Irgendwann hatte sie keine Tränen mehr gehabt, die Trauer jedoch blieb in ihrem Herzen. Nach fast fünfzig gemeinsamen Jahren fehlte er ihr, und es war, als wäre ein Stück von ihr selbst mit ihm gegangen. Natürlich hatten Albert und sie auch ihre kleinen Differenzen miteinander gehabt, wie sie wohl in jeder Ehe vorkommen, das unsichtbare Band zwischen ihnen war aber so stark gewesen, dass sie ihre Ehe immer als sehr glücklich erlebt hatte. Albert war erst drei Jahre pensioniert gewesen, als es Gott gefallen hatte, ihn zu sich zu holen. Gisela war eine gläubige Christin, obwohl sie selten in die Kirche ging.
»Mit Gott habe ich keine Probleme«, sagte sie stets. »Mit seinem Bodenpersonal allerdings schon.«
Zum ersten Weihnachtsfest nach Alberts Tod waren die Kinder bei ihr gewesen, selbst Thomas war aus Kanada gekommen. Einmal hatte Gisela die beiden unbeabsichtigt belauscht.
»Wir können Mama in diesen Tagen nicht allein lassen «, hatte Thomas gesagt. »Marcy war aber alles andere als begeistert, dass ich Weihnachten nicht zu Hause bin.«
»Das ist sehr lieb von dir.« Gisela hatte Sabine seufzen gehört. »Mir wäre es nicht recht, Mama ausgerechnet jetzt allein zu lassen, auch wenn ich dafür nächste Woche Doppelschichten arbeiten muss. Ich konnte mich nur mit Mühe und Not für heute Abend frei machen. «
Damals hatte Sabine noch als Notärztin in einer großen Stuttgarter Klinik gearbeitet. Der anstrengende Dienst hatte ihr nur wenig Zeit für ihre Familie und Freunde gelassen.
Obwohl Gisela über die Anteilnahme ihrer Kinder gerührt gewesen war, hatte sie ein schlechtes Gewissen beschlichen. Die beiden waren erwachsen und hatten ihr eigenes Leben. Ihretwegen sollten Thomas und Sabine ihre Pläne nicht zurückstellen.
Die Klingel riss Gisela aus ihren Gedanken. So schnell ihre steifen Gelenke es zuließen, eilte sie zur Haustür.
»Guten Morgen, Frau Möck«, begrüßte sie die Nachbarin, die gleich nebenan wohnte.
»Ebenfalls einen schönen Morgen, Frau Herzog.« Frau Möck schlug die Kapuze ihrer Regenjacke zurück und schüttelte sich. »Was für ein Wetter! Manchmal glaube ich, der Regen hört niemals wieder auf.«
»Kommen Sie doch herein, Sie werden ja ganz nass!«
Gisela lächelte freundlich und bat die Nachbarin in den Windfang, in dem Frau Möck sich auch gleich interessiert umsah.
»Sie haben noch nicht dekoriert?«, fragte sie und versuchte, an Gisela vorbei in die Küche zu spähen, wobei ihre engstehenden grauen Augen emsig hin und her huschten.
»Ich hatte noch keine Zeit«, entgegnete Gisela kühl, denn Frau Möck war in der ganzen Straße dafür bekannt, ihre Nase in die Angelegenheiten anderer Leute zu stecken. Auch wenn Gisela nichts zu verbergen hatte und der Nachbarin stets freundlich begegnete, verband die beiden Frauen keine nähere Bekanntschaft. Umso mehr wunderte Gisela sich, als Frau Möck sie nun bittend ansah.
»Es ist mir unheimlich peinlich, aber können Sie mir bitte mit vier Eiern behilflich sein? Ich backe einen Kuchen, alles ist schon abgewogen, nur habe ich keine Eier mehr. Ich habe aber einen Schweinebraten im Ofen, den ich nicht unbeaufsichtigt lassen kann, um in den Supermarkt zu gehen.«
»Gerne, ich sollte genügend Eier im Kühlschrank haben. «
Nun, so etwas kommt vor, dachte Gisela und konnte nicht verhindern, dass Frau Möck ihr in die Küche folgte. Dabei hinterließen ihre Schuhe feuchte Abdrücke auf den hellen Fliesen, und Gisela runzelte die Stirn. Erst gestern Abend hatte sie die Böden gewischt, nun würde sie heute wieder putzen müssen. Bei diesem Wetter könnte Frau Möck auch selbst darauf kommen, die Schuhe auszuziehen, dachte Gisela, blieb aber höfl ich. Sie wollte keinen Streit mit der Nachbarin.
»Sie erwarten wohl Besuch?«, fragte Gisela dann doch interessiert, denn Frau Möck war die einzige Person, mit der sie seit Tagen von Angesicht zu Angesicht sprach.
Frau Möck nickte.
»Mein Ältester kommt mit Familie übers Wochenende. Sie wissen doch, Frau Herzog, dass Michael in Hamburg lebt, ich habe meinen kleinen Enkel erst einmal gesehen. Das wird ein schöner zweiter Advent, ich freue mich ja so.« Erneut huschten ihre Augen durch Giselas penibel aufgeräumte Küche. »Sie sind wohl an Weihnachten allein?«
Diese unerwartete Frage brachte Gisela für einen Moment aus der Fassung, rührte die Nachbarin doch gerade an den wunden Punkt, der Gisela seit Tagen beschäftigte.
»Ach, Sie wissen doch, wie das ist«, antwortete sie lapidar und winkte ab. »Meine Tochter ist in ihrem Job unabkömmlich, und Thomas, mein Sohn ...«
»Ihre Sabine ist doch irgendwo im Urwald, nicht wahr?«, fiel Frau Möck ihr ins Wort. »Ist das nicht schrecklich gefährlich? Diese vielen wilden Tiere und die furchtbaren Krankheiten, und in den Nachrichten hört man doch immer wieder von Kämpfen und Entführungen. «
Als wäre sie selbst betroffen, schauderte Frau Möck, obwohl die Küche gut geheizt war.
»Meine Tochter ist in Uganda«, erwiderte Gisela kühl, denn erneut war es der Nachbarin gelungen, Giselas eigene Sorgen auszusprechen. Uganda war kein sicheres Land, immer wieder kam es zu Unruhen. Gisela würde erst beruhigt sein, wenn Sabine in vier Monaten wieder zurück in Deutschland war.
Sie öffnete den Kühlschrank, nahm die Eier heraus, legte sie in eine flache Plastikschale und reichte sie der Nachbarin.
»Dann wünsche ich Ihnen einen schönen Tag«, sagte Gisela freundlich und hoffte, Frau Möck würde keine weiteren Fragen mehr stellen.
»Herzlichen Dank, wenn Sie mal etwas brauchen, kommen Sie einfach rüber.« Frau Möck wandte sich zum Gehen, blieb an der Tür jedoch stehen und sah über die Schulter zurück. »Da fällt mir gerade ein ... Haben Sie mitbekommen, dass die Frau des Ehepaares, das erst im Frühjahr in das Eckhaus vorne an der Straße eingezogen ist, ein Kind erwartet? Also, ich muss schon sagen ...« Die Entrüstung stand Frau Möck ins Gesicht geschrieben. »Die Frau ist doch schon über vierzig! In unserer Jugend wäre das unmöglich gewesen ... In dem Alter!«
Copyright © Ullstein Verlag.
»Ach, Mama, ich bin seit über vier Stunden auf den Beinen. In Uganda ist es zehn Uhr, und die Sonne brennt. Schon jetzt zeigt das Thermometer vierzig Grad im Schatten.«
»Hier regnet es immer noch.« Gisela seufzte. »Also, früher hatten wir richtige Winter mit viel Schnee und klirrender Kälte, aber ...«
»Das ist die Klimaerwärmung«, unterbrach Sabine. »Wenn du Sehnsucht nach Eis und Schnee hast ... Warum fliegst du nicht zu Thomas? Als ich vor ein paar Tagen mit ihm skypte, meinte er, dass du seine Einladung nach Winnipeg abgelehnt hast.« Ein leiser Vorwurf klang in Sabines Stimme. »Mama, du solltest dir das noch mal überlegen, sonst bist du Weihnachten ganz allein ...«
»Mach dir um mich keine Sorgen, mein Schatz.« Gisela bemühte sich um ein unbekümmertes Lächeln. Auf keinen Fall wollte sie ihre Tochter merken lassen, dass ihr tatsächlich beim Gedanken an die Weihnachtstage fl au im Magen war. »Du weißt doch, dass ich nicht fl iegen mag, und dann noch so weit ... gleich bis nach Kanada.«
»Als Papa noch lebte, seid ihr viel gereist.« Verständnislos schüttelte Sabine den Kopf.
»Aber immer mit dem Wohnwagen nach Italien oder nach Spanien«, wandte Gisela ein. »Ich steige in kein Flugzeug. Niemals!«
»Mama, du weißt schon, dass Flugzeuge die sichersten Verkehrsmittel überhaupt sind?« Wenn Sabine so wie jetzt die Stirn runzelte, sah sie Gisela sehr ähnlich. »Bitte, denk noch mal darüber nach. Der Winter in Kanada muss herrlich sein, Thomas hat mir ein paar Fotos gemailt. Ach, ich würde am liebsten selbst hinfahren, aber ich kann hier nicht weg.«
»Ich habe die Bilder auch gesehen, trotzdem ...« Gisela zögerte. Ob sie ihre Angst nicht doch überwinden und zu ihrem Sohn fliegen sollte? Dann lächelte sie wieder unbekümmert und fuhr fort: »Weihnachten bei vierzig Grad ist auch nicht gerade das Gelbe vom Ei, oder?«
»Nein, gewiss nicht.« Sabine sah auf ihre Armbanduhr. »Es tut mir leid, Mama, ich muss wieder an die Arbeit. Das Hospital ist bis auf das letzte Bett belegt, derzeit erkranken immer mehr Kinder an Malaria.«
»Pass auf dich auf, Binchen«, sagte Gisela, obwohl sie wusste, dass Sabine diesen Kosenamen nicht mochte. Ihre Sabine würde für sie aber immer das kleine Binchen bleiben, das sie vor knapp vierzig Jahren geboren hatte.
»Aber klar doch, Mama.« Sabine lehnte sich vor und hauchte einen Kuss in die Kamera. »Mach dir ein schönes Wochenende und bis nächsten Samstag dann. Skypst du heute auch noch mit Thomas?«
»Ja, gegen Abend, drüben in Kanada ist es ja noch mitten in der Nacht.«
»Dann bestell meinem Lieblingsbruder einen Gruß von mir.« Sabine lachte ein letztes Mal, bevor der Bildschirm dunkel wurde.
Das kurze Gespräch mit ihrer Tochter hatte Gisela belebt. Sie freute sich auf den Abend, an dem sie mit ihrem Sohn sprechen würde. Thomas arbeitete seit vier Jahren als Bauingenieur in Kanada, hatte dort eine Freundin und kam nur noch selten zu einem Besuch in die alte Heimat. Ebenso wie Sabine, die seit sechs Monaten mit der Organisation Ärzte ohne Grenzen in Uganda war.
»Ach, Albert, du wärst stolz auf deine kleine Tochter «, sagte Gisela laut und sah zu der Fotografie auf der Kommode. Sie strich über den Rahmen und rückte ihn einen Zentimeter nach links, damit das Bild exakt in der Mitte der Kommode stand, denn Gisela mochte es, wenn alles seine Ordnung hatte. Eine leichte Wehmut, die sie stets beim Betrachten von Alberts Foto empfand, überkam Gisela, sie versank aber nicht in tiefe Traurigkeit. Im Sommer vor einem Jahr, als ihr Mann durch einen plötzlichen Herzinfarkt aus dem Leben gerissen worden war, hatte Gisela viel geweint. Irgendwann hatte sie keine Tränen mehr gehabt, die Trauer jedoch blieb in ihrem Herzen. Nach fast fünfzig gemeinsamen Jahren fehlte er ihr, und es war, als wäre ein Stück von ihr selbst mit ihm gegangen. Natürlich hatten Albert und sie auch ihre kleinen Differenzen miteinander gehabt, wie sie wohl in jeder Ehe vorkommen, das unsichtbare Band zwischen ihnen war aber so stark gewesen, dass sie ihre Ehe immer als sehr glücklich erlebt hatte. Albert war erst drei Jahre pensioniert gewesen, als es Gott gefallen hatte, ihn zu sich zu holen. Gisela war eine gläubige Christin, obwohl sie selten in die Kirche ging.
»Mit Gott habe ich keine Probleme«, sagte sie stets. »Mit seinem Bodenpersonal allerdings schon.«
Zum ersten Weihnachtsfest nach Alberts Tod waren die Kinder bei ihr gewesen, selbst Thomas war aus Kanada gekommen. Einmal hatte Gisela die beiden unbeabsichtigt belauscht.
»Wir können Mama in diesen Tagen nicht allein lassen «, hatte Thomas gesagt. »Marcy war aber alles andere als begeistert, dass ich Weihnachten nicht zu Hause bin.«
»Das ist sehr lieb von dir.« Gisela hatte Sabine seufzen gehört. »Mir wäre es nicht recht, Mama ausgerechnet jetzt allein zu lassen, auch wenn ich dafür nächste Woche Doppelschichten arbeiten muss. Ich konnte mich nur mit Mühe und Not für heute Abend frei machen. «
Damals hatte Sabine noch als Notärztin in einer großen Stuttgarter Klinik gearbeitet. Der anstrengende Dienst hatte ihr nur wenig Zeit für ihre Familie und Freunde gelassen.
Obwohl Gisela über die Anteilnahme ihrer Kinder gerührt gewesen war, hatte sie ein schlechtes Gewissen beschlichen. Die beiden waren erwachsen und hatten ihr eigenes Leben. Ihretwegen sollten Thomas und Sabine ihre Pläne nicht zurückstellen.
Die Klingel riss Gisela aus ihren Gedanken. So schnell ihre steifen Gelenke es zuließen, eilte sie zur Haustür.
»Guten Morgen, Frau Möck«, begrüßte sie die Nachbarin, die gleich nebenan wohnte.
»Ebenfalls einen schönen Morgen, Frau Herzog.« Frau Möck schlug die Kapuze ihrer Regenjacke zurück und schüttelte sich. »Was für ein Wetter! Manchmal glaube ich, der Regen hört niemals wieder auf.«
»Kommen Sie doch herein, Sie werden ja ganz nass!«
Gisela lächelte freundlich und bat die Nachbarin in den Windfang, in dem Frau Möck sich auch gleich interessiert umsah.
»Sie haben noch nicht dekoriert?«, fragte sie und versuchte, an Gisela vorbei in die Küche zu spähen, wobei ihre engstehenden grauen Augen emsig hin und her huschten.
»Ich hatte noch keine Zeit«, entgegnete Gisela kühl, denn Frau Möck war in der ganzen Straße dafür bekannt, ihre Nase in die Angelegenheiten anderer Leute zu stecken. Auch wenn Gisela nichts zu verbergen hatte und der Nachbarin stets freundlich begegnete, verband die beiden Frauen keine nähere Bekanntschaft. Umso mehr wunderte Gisela sich, als Frau Möck sie nun bittend ansah.
»Es ist mir unheimlich peinlich, aber können Sie mir bitte mit vier Eiern behilflich sein? Ich backe einen Kuchen, alles ist schon abgewogen, nur habe ich keine Eier mehr. Ich habe aber einen Schweinebraten im Ofen, den ich nicht unbeaufsichtigt lassen kann, um in den Supermarkt zu gehen.«
»Gerne, ich sollte genügend Eier im Kühlschrank haben. «
Nun, so etwas kommt vor, dachte Gisela und konnte nicht verhindern, dass Frau Möck ihr in die Küche folgte. Dabei hinterließen ihre Schuhe feuchte Abdrücke auf den hellen Fliesen, und Gisela runzelte die Stirn. Erst gestern Abend hatte sie die Böden gewischt, nun würde sie heute wieder putzen müssen. Bei diesem Wetter könnte Frau Möck auch selbst darauf kommen, die Schuhe auszuziehen, dachte Gisela, blieb aber höfl ich. Sie wollte keinen Streit mit der Nachbarin.
»Sie erwarten wohl Besuch?«, fragte Gisela dann doch interessiert, denn Frau Möck war die einzige Person, mit der sie seit Tagen von Angesicht zu Angesicht sprach.
Frau Möck nickte.
»Mein Ältester kommt mit Familie übers Wochenende. Sie wissen doch, Frau Herzog, dass Michael in Hamburg lebt, ich habe meinen kleinen Enkel erst einmal gesehen. Das wird ein schöner zweiter Advent, ich freue mich ja so.« Erneut huschten ihre Augen durch Giselas penibel aufgeräumte Küche. »Sie sind wohl an Weihnachten allein?«
Diese unerwartete Frage brachte Gisela für einen Moment aus der Fassung, rührte die Nachbarin doch gerade an den wunden Punkt, der Gisela seit Tagen beschäftigte.
»Ach, Sie wissen doch, wie das ist«, antwortete sie lapidar und winkte ab. »Meine Tochter ist in ihrem Job unabkömmlich, und Thomas, mein Sohn ...«
»Ihre Sabine ist doch irgendwo im Urwald, nicht wahr?«, fiel Frau Möck ihr ins Wort. »Ist das nicht schrecklich gefährlich? Diese vielen wilden Tiere und die furchtbaren Krankheiten, und in den Nachrichten hört man doch immer wieder von Kämpfen und Entführungen. «
Als wäre sie selbst betroffen, schauderte Frau Möck, obwohl die Küche gut geheizt war.
»Meine Tochter ist in Uganda«, erwiderte Gisela kühl, denn erneut war es der Nachbarin gelungen, Giselas eigene Sorgen auszusprechen. Uganda war kein sicheres Land, immer wieder kam es zu Unruhen. Gisela würde erst beruhigt sein, wenn Sabine in vier Monaten wieder zurück in Deutschland war.
Sie öffnete den Kühlschrank, nahm die Eier heraus, legte sie in eine flache Plastikschale und reichte sie der Nachbarin.
»Dann wünsche ich Ihnen einen schönen Tag«, sagte Gisela freundlich und hoffte, Frau Möck würde keine weiteren Fragen mehr stellen.
»Herzlichen Dank, wenn Sie mal etwas brauchen, kommen Sie einfach rüber.« Frau Möck wandte sich zum Gehen, blieb an der Tür jedoch stehen und sah über die Schulter zurück. »Da fällt mir gerade ein ... Haben Sie mitbekommen, dass die Frau des Ehepaares, das erst im Frühjahr in das Eckhaus vorne an der Straße eingezogen ist, ein Kind erwartet? Also, ich muss schon sagen ...« Die Entrüstung stand Frau Möck ins Gesicht geschrieben. »Die Frau ist doch schon über vierzig! In unserer Jugend wäre das unmöglich gewesen ... In dem Alter!«
Copyright © Ullstein Verlag.
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Autoren-Porträt von Mia Richter
Mia Richter lebt mit ihrer Familie bei Stuttgart und schreibt unterhaltsame Geschichten.
Bibliographische Angaben
- Autor: Mia Richter
- 2013, 192 Seiten, mit Abbildungen, Maße: 11,9 x 18,8 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Ullstein TB
- ISBN-10: 3548285945
- ISBN-13: 9783548285948
- Erscheinungsdatum: 11.10.2013
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