Eine unbeugsame Frau
eine sehr engagierte Kämpferin für Emanzipation und Freiheit. Im Gespräch mit den »Brigitte«-Autorinnen Kathrin Tsainis und Monika Held erzählt sie von Liebe, Trauerarbeit,...
eine sehr engagierte Kämpferin für Emanzipation und Freiheit. Im Gespräch mit den »Brigitte«-Autorinnen Kathrin Tsainis und Monika Held erzählt sie von Liebe, Trauerarbeit, Karriere und Familie. Sie spricht über ihre Jugend im Dritten Reich. Wie sie nach dem Krieg als alleinerziehende Mutter Psychoanalytikerin wurde und Karriere machte. Und über den Kampf um Gleichberechtigung und das Älterwerden...
Die vielfach ausgezeichnete Wissenschaftlerin Margarete Mitscherlich ist eine Querdenkerin, eine unbeugsame Frau, die Konflikte nie gescheut hat. Sie will nicht gefallen, sondern den Dingen auf den Grund gehen. Ein Leitmotiv, das ihr Leben durchzieht, über das sie in diesem offenen und sehr persönlichen Buch Auskunft gibt. Sie spricht über ihre Jugend im Dritten Reich, wie sie nach dem Krieg als alleinerziehende Mutter Psychoanalytikerin wurde und Karriere machte, über den Kampf um Gleichberechtigung und über das Älterwerden. Ihre Erfahrungen und Einsichten geben Antworten auf Fragen, die uns alle bewegen. Gibt es den idealen Partner, und was ist das Geheimnis guter Beziehungen? Wie schafft man es, Familie und Beruf zu vereinbaren und Kinder zu aufrechten Menschen zu erziehen? Und welche Bedeutung haben Werte heute? Ein Buch voller Menschlichkeit, nachdenklich, geistreich und vor allem ehrlich.
LESEPROBE
Margarete Mitscherlich trägt viele Ehrentitel: Sie gilt als die»First Lady der deutschen Psychoanalyse«, als »Legende« und »Symbolfigur desFeminismus«. Zahlreiche Auszeichnungen hat man ihr verliehen, nicht zuletzt dasBundesverdienstkreuz, aber wenn man sie fragt, ob sie stolz auf diese Karrieresei, winkt sie nur ab und sagt: »Ich hatte eigentlich keinen besonderenberuflichen Erfolg!«
Nein, aufeinen Sockel lässt sie sich ungern heben. Vergöttert zu werden liegt ihr sowenig wie andere anzuhimmeln - schon allein, weil sich das so schlecht mitihrem Hang zur ironischen Selbstbetrachtung und dem ausgeprägten Widerwillen gegenüberIdealisierungen vertragen würde. Lieber bleibt sie auf Augenhöhe, und ohnehinwar es nie der Wunsch nach Ruhm oder einflussreichen Positionen, der sieangetrieben hat. Margarete Mitscherlich weiß, dassall das viel zu oft mit Selbstverleugnung, Anpassung und Opportunismus bezahlt werdenmuss. Und dafür hat sie sich schon immer viel zu gern »mit Schwung zwischen dieStühle gesetzt«, wie Alice Schwarzer einmal über ihre langjährige Freundinsagte.
Margarete Mitscherlich ist ein Freigeist, eine Querdenkerin, dieKonflikte nie gescheut hat. Sie will nicht gefallen, sondern den Dingen auf denGrund gehen. Zu verstehen, die Wahrheit zu erkennen, weder zu glorifizierennoch zu verdammen: Das ist Leitmotiv und großer Ansporn dieser Frau, die ohne Zweifelzu den bedeutendsten Persönlichkeiten der deutschen Nachkriegsgeschichtegehört.
Gemeinsammit ihrem Mann, dem Arzt, Psychoanalytiker und Publizisten Alexander Mitscherlich, gelang es ihr, die unter denNationalsozialisten verfemte und verfolgte Psychoanalyse wieder in Deutschlandzu etablieren und die ursprünglich therapeutisch ausgerichtete Wissenschaft -durchaus auch gegen Widerstände aus der eigenen Zunft - für
Geprägt vonden Schrecken des Dritten Reichs, beschäftigt die Mitscherlichsdabei vor allem die Aufarbeitung der Nazivergangenheit. Dem Verdrängen, Leugnenund Herausreden, mit dem man sich in Deutschland nach 1945 so gut eingerichtet hat,setzen sie die Freud sche Regel »Erinnern, Wiederholen, Durcharbeiten« entgegenund veröffentlichen 1967 ihr weltberühmtes Buch Die Unfähigkeit zu trauern,für das sie gehasst und bewundert werden. Ohne wirkliche Trauer auf Basis einesSchuldeingeständnisses sei weder eine Veränderung noch ein wirklicher Neuanfangmöglich, lautet die zentrale These, mit der das Ehepaar auch zu den Vordenkernder Achtundsechziger-Bewegung wird, die gegen das Vergessenwollen und Schweigender Elterngeneration aufbegehrt.
AberMargarete Mitscherlich ist nicht »nur« die Hälfte eineserfolgreichen Gespanns: Über viele Jahre hinweg leitet sie diepsychoanalytische Ausbildung in der Bundesrepublik und profiliert sich durchdiese Arbeit auch international. Sie forscht, lehrt und praktiziert imrenommierten Frankfurter Sigmund-Freud-Institut, an dessen Gründung 1960 siemaßgeblich beteiligt war, und obwohl sie sich bis heute als Freudianerin bezeichnet,setzt sie sich kritisch mit dessen Lehren auseinander und entwickelt ihreeigenen Theorien.
DieBeschäftigung mit weiblicher Psyche und Sexualität führt sie in denSiebzigerjahren schließlich in die Frauenbewegung. Margarete Mitscherlich wird zur engagierten Kämpferin für dieGleichberechtigung, setzt sich gegen den Abtreibungsparagrafen 218 ein undverklagt zusammen mit Alice Schwarzer und anderen prominenten Frauen dieZeitschrift Stern wegen eines sexistischen Titelbilds.
Wiederschwimmt sie gegen den Strom: Während unter Feministinnen die Psychoanalyse als»phalluszentriert« gilt und nicht wenige Psychoanalytiker den Feminismus füreine »Irrlehre « halten, vertritt Margarete Mitscherlichdie Ansicht, dass beide Theorien sehr gut zusammenpassen. Sie sieht Freud gar alsWegbereiter der Frauenbewegung: »Seine Arbeit erst hat uns gelehrt, das Unbewusstebewusst zu machen, unsere Vor- und Fehlurteile in Bezug auf dasRollenverständnis zwischen Mann und Frau überhaupt wahrzunehmen.«
Diepopuläre Meinung, dass Männer die Alleinschuld an Benachteilung undHerabwürdigung trügen und Frauen per se die besseren Menschen seien, lehnt sieallerdings vehement ab: »Wir Frauen sollten uns davor hüten, uns Illusionenüber uns selbst hinzugeben«, schreibt sie 1977 in der ersten Ausgabe derZeitschrift Emma. »Denn es geht für uns zwar auch, aber nicht nur um dieBefreiung von gesellschaftlichen Zwängen.« Immerwieder spricht sie von den »masochistischen weiblichen Gelüsten, ohne die esdie jahrhundertelange Unterdrückung nicht gegebenhätte«, und sie betont, dass sich Frauen nicht zuletzt gegen sich selbstdurchsetzen müssten: gegen ihre verinnerlichten Vorstellungen davon, wie sie zusein und sich zu verhalten haben, ihre Ängste und Schuldgefühle. DieÜberzeugung, dass ohne Selbsterkenntnis, Selbstkritik und Selbstverantwortungkeine Veränderung zum Besseren hin möglich sei, untermauert Margarete Mitscherlich in so bekannten und viel diskutierten Büchernwie Die friedfertige Frau (1985) oder Über die Mühsal derEmanzipation (1990), deren Beobachtungen und Analysen bis heute nichts anAktualität eingebüßt haben.
Margarete Mitscherlichs Standpunkt ist unter Feministinnen durchausumstritten, und auch im Kollegenkreis begegnet man ihrem Engagement mit Argwohnund zuweilen sogar offener Ablehnung. Davon schrecken lässt sie sich nicht:»Wer seiner Angst vor der Position des Außenseiters erliegt, gerät in Gefahr,zum Mitläufer zu werden«, schreibt sie 1987 in ihrem Buch Erinnerungsarbeit.Zur Psychoanalyse der Unfähigkeit zu trauern, und ein Mitläufer wollte sieniemals sein.
So siehtsie denn auch die Beschäftigung mit Emanzipation rückblickend als ihrLebenswerk an, und sie versteht unter dem Begriff mehr als dieGleichberechtigung von Mann und Frau. Emanzipation, das bedeutet für sie dieBefreiung von Zwängen, Ideologien und Vorurteilen jedweder Couleur, und ausMargarete Mitscherlichs Sicht ist das die Grundlagefür ein menschliches Miteinander jenseits rassistisch, sexistisch, kulturelloder religiös motivierter Diskriminierung. ( )
© DianaVerlag
- Autoren: Margarete Mitscherlich , Kathrin Tsainis , Monika Held
- 2007, 4, 252 Seiten, mit Abbildungen, Maße: 14,3 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Diana
- ISBN-10: 345313110X
- ISBN-13: 9783453131101
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