Eine Vorhaut klagt an
Erinnerungen
"Ich glaube an Gott. Das ist mein Problem." Shalom Auslanders Jugend ist geprägt von einem schrecklichen Respekt vor Gott. Aufgewachsen 'wie ein Kalb' in einem vollkommen abgeschotteten jüdisch-orthodoxen Umfeld in New York, hatte er...
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Produktinformationen zu „Eine Vorhaut klagt an “
"Ich glaube an Gott. Das ist mein Problem." Shalom Auslanders Jugend ist geprägt von einem schrecklichen Respekt vor Gott. Aufgewachsen 'wie ein Kalb' in einem vollkommen abgeschotteten jüdisch-orthodoxen Umfeld in New York, hatte er sich den göttlichen Gesetzen und Traditionen seines Vaters und der Rabbis unterzuordnen, seit er denken kann. Über allen und allem thronte dieser Gott, der ihn nicht verstand und der sein Leben zur Hölle auf Erden machte. Shalom Auslander erinnert sich, wie er jeden Tag dagegen ankämpfen musste, sich vor Gott zu rechtfertigen, und warum er bis heute Gottes Zorn fürchtet wie den Tod: In der Schule wurde ihm aufoktroyiert, was er essen durfte und was nicht - und in welcher Kombination. Dafür musste er eine siebzigseitige Liste mit Hunderten von verschiedenen Speisen auswendig lernen. Später wurde er beim Klauen von Jeans erwischt und dafür ins Exil nach Israel geschickt, wo er auf einer orthodoxen Schule durch intensives Studieren der Tora und des Talmud richtiges Benehmen erlernen sollte. Zurück im Sündenpfuhl Manhattan, kämpfte Shalom weiter mit Gott, brach immer wieder alle Regeln und geißelte sich selbst. Einmal legte er mit seiner Frau Orli über zwanzig Kilometer zu Fuß zurück, um die New York Rangers im Madison Square Garden spielen zu sehen - es war Schabbat und daher den beiden nicht gestattet, ein Taxi oder einen Bus zu besteigen. Die Rangers verloren. Um Gott zu bestrafen, aßen die beiden nach dem Spiel zwei fette Hot Dogs, mit viel Senf und extra unkoscher.
Klappentext zu „Eine Vorhaut klagt an “
Ich glaube an Gott. Das ist mein Problem." Shalom Auslanders Jugend ist geprägt von einem schrecklichen Respekt vor Gott. Aufgewachsen wie ein Kalb" in einem vollkommen abgeschotteten jüdisch-orthodoxen Umfeld in New York, hatte er sich den göttlichen Gesetzen und Traditionen seines Vaters und der Rabbis unterzuordnen, seit er denken kann. Über allen und allem thronte dieser Gott, der ihn nicht verstand und der sein Leben zur Hölle auf Erden machte. Shalom Auslander erinnert sich, wie er jeden Tag dagegen ankämpfen musste, sich vor Gott zu rechtfertigen, und warum er bis heute Gottes Zorn fürchtet wie den Tod: In der Schule wurde ihm aufoktroyiert, was er essen durfte und was nicht - und in welcher Kombination. Dafür musste er eine siebzigseitige Liste mit Hunderten von verschiedenen Speisen auswendig lernen. Später wurde er beim Klauen von Jeans erwischt und dafür ins Exil nach Israel geschickt, wo er auf einer orthodoxen Schule durch intensives Studieren der Tora und des Talmudrichtiges Benehmen erlernen sollte. Zurück im Sündenpfuhl Manhattan, kämpfte Shalom weiter mit Gott, brach immer wieder alle Regeln und geißelte sich selbst. Einmal legte er mit seiner Frau Orli über zwanzig Kilometer zu Fuß zurück, um die New York Rangers im Madison Square Garden spielen zu sehen - es war Schabbat und daher den beiden nicht gestattet, ein Taxi oder einen Bus zu besteigen. Die Rangers verloren. Um Gott zu bestrafen, aßen die beiden nach dem Spiel zwei fette Hot Dogs, mit viel Senf und extra unkoscher ...
'Ich glaube an Gott. Das ist mein Problem.' Shalom Auslanders Jugend ist geprägt von einem schrecklichen Respekt vor Gott. Aufgewachsen 'wie ein Kalb' in einem vollkommen abgeschotteten jüdisch-orthodoxen Umfeld in New York, hatte er sich den göttlichen Gesetzen und Traditionen seines Vaters und der Rabbis unterzuordnen, seit er denken kann. Über allen und allem thronte dieser Gott, der ihn nicht verstand und der sein Leben zur Hölle auf Erden machte. Shalom Auslander erinnert sich, wie er jeden Tag dagegen ankämpfen musste, sich vor Gott zu rechtfertigen, und warum er bis heute Gottes Zorn fürchtet wie den Tod: In der Schule wurde ihm aufoktroyiert, was er essen durfte und was nicht - und in welcher Kombination. Dafür musste er eine siebzigseitige Liste mit Hunderten von verschiedenen Speisen auswendig lernen. Später wurde er beim Klauen von Jeans erwischt und dafür ins Exil nach Israel geschickt, wo er auf einer orthodoxen Schule durch intensives Studieren der Tora und des Talmud richtiges Benehmen erlernen sollte. Zurück im Sündenpfuhl Manhattan, kämpfte Shalom weiter mit Gott, brach immer wieder alle Regeln und geißelte sich selbst. Einmal legte er mit seiner Frau Orli über zwanzig Kilometer zu Fuß zurück, um die New York Rangers im Madison Square Garden spielen zu sehen - es war Schabbat und daher den beiden nicht gestattet, ein Taxi oder einen Bus zu besteigen. Die Rangers verloren. Um Gott zu bestrafen, aßen die beiden nach dem Spiel zwei fette Hot Dogs, mit viel Senf und extra unkoscher ...
Lese-Probe zu „Eine Vorhaut klagt an “
Eine Vorhaut klagt an von Shalom Auslander
LESEPROBE
1
Als Kind erzählten mir meine Eltern und Lehrer von einem Mann, der sehr stark war. Sie erzählten mir, er könne die ganze Welt vernichten. Sie erzählten mir, er könne Berge anheben. Sie erzählten mir, er könne das Meer teilen. Es sei wichtig, den Mann bei Laune zu halten. Wenn wir befolgten, was der Mann befohlen habe, möge uns der Mann. Er möge uns so sehr, dass er jeden töte, der uns nicht möge. Befolgten wir aber nicht, was er befohlen habe, möge er uns nicht. Dann hasse er uns. An manchen Tagen hasse er uns so sehr, dass er uns töte; an anderen Tagen lasse er andere uns töten. Diese Tage nennen wir »Feiertage«. An Purim erinnerten wir uns, wie die Perser versuchten, uns zu töten. An Pessach erinnerten wir uns, wie die Ägypter versuchten, uns zu töten. An Chanukka erinnerten wir uns, wie die Griechen versuchten, uns zu töten.
- Gesegnet sei Er, beteten wir.
So schlimm diese Strafen auch sein mochten, waren sie doch nichts im Vergleich zu denen, die uns von dem Mann selbst zugemessen wurden. Es gab Hungersnöte. Es gab Sintfluten. Es gab wütende Rache. Hitler mochte die Juden ermordet haben, dieser Mann aber überschwemmte die Welt. Folgendes Lied sangen wir über ihn im Kindergarten:
God is here
God is there
God is truly everywhere!
Danach ein Imbiss und unruhiger Schlaf.
Ich wuchs auf wie ein Kalb in der jüdisch-orthodoxen Stadt Monsey im Staat New York, wo es verboten war, Kalb zusammen mit Milchprodukten zu essen. Hatte man Kalb gegessen, war es sechs Stunden lang verboten, Milchprodukte zu essen; hatte man Milchprodukte gegessen, war es drei Stunden lang verboten, Kalb zu essen. Schwein war auf immer verboten, jedenfalls so lange, bis der Messias da war; dann, so lehrte uns Rabbi Napier in der vierten Klasse, würden die
... mehr
Gottlosen bestraft und die Toten wiederauferstehen, und Schweine würden koscher.
- Yay!, sagte ich und klatschte mich mit Dov, meinem besten Freund, ab.
– So wie jetzt, sagte Rabbi Napier und spähte angewidert über seine dicke Hornbrille, – solltet ihr euch freuen am Tag des Jüngsten Gerichts.
Die Leute von Monsey hatten fürchterliche Angst vor Gott, und sie brachten auch mir bei, fürchterliche Angst vor Ihm zu haben – sie erzählten mir von einer Frau namens Sara, die kicherte, also machte Er sie unfruchtbar; von einem Mann namens Hiob, der war traurig und fragte: – Warum?, also kam Gott auf die Erde, packte Hiob am Kragen und donnerte: – Was glaubst du wohl, wer du bist, du Arschloch?; von einem Mann namens Mose, der aus Ägypten floh und vierzig Jahre lang auf der Suche nach einem Gelobten Land durch die Wüste zog und den Gott tötete, kurz bevor er es erreichte – voll auf die Fresse auf der Ein-Yard-Linie –, weil Mose gesündigt hatte, einmal, vierzig Jahre zuvor. Sein Verbrechen? Einen Stein schlagen. Und so versammelten sich die Leute von Monsey im Frühherbst, wenn das Laub erstickte, die Farbe wechselte und tot herabfiel, in den Synagogen der Stadt und fragten sich laut und unisono, wie Gott sie wohl töten werde:
– Wer leben wird und wer sterben, beteten sie, – wer an sein Ende gelangt und wer nicht an sein Ende gelangt. Wer in Wasserflut, wer in Flammenglut, wer vom Schwert zerrissen, wer vom Tier zerbissen. Wer in Hungersnot, wer vom Durst bedroht, wer in des Bebens Rot, wer im Seuchentod, wer erwürgt und wer zerschmettert.
Dann Mittagessen und unruhiger Schlaf.
Es ist Montagmorgen, sechs Wochen nachdem meine Frau und ich erfuhren, dass sie zum ersten Mal schwanger sei, und ich stehe vor einer Ampel. Das Kind hat keine Chance. Es ist ein Streich. Ich kenne diesen Gott; ich weiß, wie er tickt. Das Baby wird eine Fehlgeburt, oder es wird bei der Geburt sterben, oder meine Frau wird bei der Geburt sterben, oder beide werden nicht sterben, und ich werde denken, wir haben’s geschafft, und dann auf der Heimfahrt vom Krankenhaus stoßen wir frontal mit einem betrunkenen Fahrer zusammen, und beide, meine Frau und das Kind, werden später in der Notaufnahme sterben, nur ein paar Türen weiter von dem Zimmer, in dem wir nur Minuten zuvor so glücklich und lebendig und voller Zuversicht gestanden hatten.
Das wäre ja so typisch Gott.
Die Lehrer meiner Jugend sind gestorben, die Eltern alt und weitgehend fremd geworden. Der Mann aber, von dem sie mir erzählten – den gibt’s noch immer. Ich kann ihn nicht erschüttern. Ich habe Spinoza gelesen. Ich habe Nietzsche gelesen. Ich habe National Lampoon gelesen. Nichts hilft. Ich lebe Tag für Tag mit Ihm, und siehe, Er ist noch immer zornig, noch immer rachsüchtig, noch immer – auf ewig – stinkig.
– Der Mensch plant, sagten meine Eltern, – und Gott lacht.
– Wenn ihr es am wenigsten erwartet, warnten meine Lehrer,
– erwartet es.
Und ich erwarte es. Den ganzen Tag läuft in meinem Kopf ein nie enden wollendes Horrorfilmfestival, mein eigenes Grand Guignol. Es vergeht keine Stunde am Tag ohne irgendwelche grausigen, entsetzlichen Bilder von Tod, Qualen und Folter. Ich gehe auf der Straße, kaufe Lebensmittel ein, tanke den Pick-up voll; Freunde sterben, Verwandte werden ermordet, Haustiere von Lieferwagen totgefahren.
Vor mir, hinter der Kreuzung, wo die Straße eine scharfe Rechtskurve macht, werden die Autos langsamer, Bremslichter flammen auf, als sie um die Kurve verschwinden. Ein Unfall, stelle ich mir vor, und ich stelle mir vor, wie ich daran vorbeifahre – Du Arschloch, werde ich den Fahrer kritisieren, – hättest doch wissen müssen, dass man hier nicht schnell fährt …, als ich den Wagen erkenne. Es ist ein schwarzer Nissan. – Das könnte der von Orli sein … Und dann sehe ich meine Frau am Steuer, zermatscht, blutend, Kopf nach hinten, Zunge raus. Sie ist tot. So kann ich mich zum Weinen bringen; wenn ich mich gerade besonders in Selbsthass ergehe, kann ich ihr, wie ein Fotograf von Reuters, auch ein Kinderspielzeug in den blutgetränkten Schoß oder eine Schachtel in buntem Geschenkpapier aufs Armaturenbrett legen, genau über der Stelle, wo ihr Kopf draufgeknallt war.
Außen – Tag – später. Ich sitze auf dem Geländer, ich bin untröstlich.
– Sie sind ja noch jung, sagt ein Polizist. – Das ganze Leben noch vor sich.
– Sie war schwanger, flüstere ich.
Großaufnahme vom Gesicht des abgebrühten Polizisten. Er hat schon alles gesehen. Aber das…
Eine Träne rollt ihm übers Gesicht. Fin.
Unser ungeborenes Baby ist der jüngste Star in meinen Horrorshows. Die Empfängnis ist gerade sechs Wochen her, und schon ist es deformiert, gestört, erkrankt, fehlgeboren, fehldiagnostiziert, mit einem Tumor verwechselt und bestrahlt, man hat darauf gesessen, es angestoßen, bei einem unbesonnenen späten Geschlechtsverkehr aufgespießt und überhitzt, als Orli in der dampfenden Badewanne einschlief.
– Ist das auch gut so?, hatte ich sie gefragt, als sie seufzend in die Wanne glitt. – Kommt mir ein wenig heiß vor.
– Raus, hatte sie gesagt. Ich fuhr mit dem Finger durch den Wasserdampf, der sich auf der Duschscheibe abgesetzt hatte.
– Du brauchst es Ihm nicht unbedingt leicht zu machen, sagte ich.
– RAUS.
Als ich klein war, sagten sie mir, wenn ich stürbe und in den Himmel käme, würden die Engel mich in ein riesiges Museum voller Gemälde bringen, die ich noch nie gesehen hätte, Gemälde, die von sämtlichen Künstlerspermien geschaffen worden seien, die ich in meinem Leben vergeudet hätte. Danach würden mich die Engel in eine riesige Bibliothek voller Bücher bringen, die ich nie gelesen hätte, Bücher, die von den vielen produktiven Spermien geschrieben worden seien, die ich in meinem Leben vergeudet hätte. Danach würden mich die Engel in ein riesiges Gotteshaus mit Hunderttausenden von Juden darin bringen, die alle beteten und studierten. Juden, die geboren worden wären, wenn ich sie nicht in meinem abscheulichen, gescheiterten, verachtenswerten Leben getötet, vergeudet, mit einer schmutzigen Socke weggewischt hätte (in jedem Ejakulat sind ungefähr 50 Millionen Spermien, das macht für jedes Mal wichsen rund neun Holocausts; ich kam gerade in die Pubertät, vielmehr: die Pubertät kam über mich, und ich beging durchschnittlich drei bis vier Mal täglich einen Genozid). Sie sagten mir, wenn ich stürbe und ich in den Himmel käme, würde ich bei lebendigem Leib in gewaltigen Fässern gekocht, die voll mit dem Sperma wären, das ich in meinem Leben vergeudet hätte. Sie sagten mir, wenn ich stürbe und ich in den Himmel käme, würden mich alle Seelen eines jeden Spermiums, das ich im Laufe meines Lebens vergeudet hätte, in alle Ewigkeit durchs Firmament jagen. Um diesen Mist zu erzählen, muss man nicht geweiht sein – nur zu, versuchen Sie’s! –, man braucht dazu nur Terror, Blutdurst und einen Sinn für makabre, brutale Ironie. Meine ist folgende: Ich befürchte, dass Gott alle gesunden, perfekten, talentierten Spermien in die frühen Ejakulate eines Mannes steckt – die dereinstige Belohnung für den Mann, weil er seinen revoltierenden Animus so gut beherrscht hat – und dass im Lauf der Jahre, in denen er wieder und wieder ejakuliert (und wieder und wieder und wieder), die Qualität der Spermien absackt: Wenn er dann ich ist, ist nur noch Ausschuss übrig – die Schieler, die mit den vorstehenden Zähnen, die mit Überbiss, die mit Unterbiss, die mit Flossen als Füßen, die mit Schwimmhäuten zwischen den Fingern, die Idioten, die Faulen, die Kriminellen, die Blöden, die Blindgänger, die Knalltüten, die Schmocks. Das wäre ja so typisch Gott.
Ich war im Arbeitszimmer und schrieb an einigen Non-Fiction- Geschichten, als Orli vorbeikam und es mir sagte.
– Ich bin schwanger!, schrie sie.
Wir küssten uns, wir weinten, wir hielten einander umschlungen; sie stellte sich vermutlich rosa Schleifchen, Schlaflieder und Babyschühchen vor; ich dagegen stellte mir vor, wie ich an einem Bett im Kreißsaal kniete, schluchzend, Mutter und Kind tot.
– Das kommt praktisch nie vor, würde die Krankenschwester dann sagen und sich die blutigen Handschuhe abziehen und in die Tonne werfen. Sie tätschelt mir die Schulter, ich schaue auf. Unsere Blicke begegnen sich. Sie zieht die Nase kraus.
– Wir brauchen das Zimmer gleich wieder, Sie Ärmster, sagt sie. Die Geschichten, an denen ich gearbeitet hatte, drehten sich um mein Leben unter der Fuchtel eines ausfälligen, streitsüchtigen Gottes, eines Gottes, der Millennien von Jahren zuvor auf der falschen Seite des Firmaments erwacht war und bis heute nicht wieder gute Laune hat. Arbeitstitel: Gott geht neben mir und hält mir eine .45er zwischen die Rippen.
Ich hatte schon über 350 Seiten.
– Heute Abend gehen wir mal aus, sagte Orli, – feiern.
Wir küssten uns, wir umarmten uns, wir weinten weiter, und sobald Orli gegangen war, setzte ich mich wieder an den Computer, seufzte und zog sämtliche 350 Seiten meiner Geschichten in den Papierkorb des Geräts.
Möchten Sie, fragte mich der Computer, die Objekte im Papierkorb wirklich dauerhaft entfernen? Diese Aktion kann nicht widerrufen werden.
Ich mochte wirklich.
Es war nicht nötig, Ihn zu reizen. Ich stehe lange genug auf Gottes Schachbrett, um zu wissen, dass jeder Zug vorwärts, jede gute Nachricht – Erfolg! Heirat! Kind! – auch nur ein Göttlicher Schachzug ist, eine Finte, ein Fake, eine Falle; es sieht aus, als käme ich auf dem Brett voran, doch schon bald ruft Gott Schach, worauf die Firma, die mich eingestellt hat, eingeht, die Frau stirbt, das Baby erstickt. Gottes Pick-and-roll. Das Rope-a-dope des Herrn. God was here, God was there, God was everywhere.
– Ich sage dir, sagt Maus A, – dieser blöde Käse ist verdrahtet.
– Hörst du wohl auf damit?, greint Maus B. – Du bist so ein Pessi – Patsch.
Ich frage mich, ob ich, indem ich ein Kind bekomme, nur in ihre Falle tappe – Gottes, meiner Familie, Abrahams, Isaaks, Josefs –, den Kreislauf fortsetze, ein weiteres Kind zum Altar bringe. Seid fruchtbar und mehret euch, spricht der Herr, und danach sehen wir weiter.
Die Ampel ist noch immer rot, und meine Gedanken schweifen. Sie schweifen auf den Friedhof, sie schlendern ins Leichenschauhaus, sie mäandern nach Bergen-Belsen:
Mit dem Kind stimmt was nicht.
Jetzt, genau in diesem Moment, als ich hier vor dieser Ampel sitze, ein abstehendes Augenbrauenhaar zwirble und an der Gummihülle des Lenkrads zupfe, genau jetzt entwickelt sich etwas in meinem ungeborenen Kind nicht so, wie es sollte – dieses Etwas bekommt nicht genügend Was-auch-immer, das Was-auch-immer bekommt nicht genügend Etwas, eine Zelle will sich nicht teilen, eine andere teilt sich zu oft.
Vor ein paar Tagen habe ich die Arbeit an meinen Gott-Geschichten wieder aufgenommen. Ich weiß, ich lege es drauf an, aber wenn dieses Kind irgendwie am Leben bleibt, möchte ich, dass es erfährt, wo ich herkomme, warum ich ihm nicht beigebracht habe, was sie mir beigebracht haben, warum ich, wie meine Mutter es in einer ihrer letzten E-Mails an mich formuliert hatte, mein Volk verlassen habe. Ich weiß, dass Gott weiß, was ich bislang geschrieben habe, und ich weiß, dass Er weiß, dass Er darin als Arschloch wegkommt – Er weiß auch, dass es nur noch schlimmer sein wird, wenn ich damit fertig bin, und Er tut alles, was Er kann, um mich daran zu hindern, fertig zu werden. Mich töten? Zu plump. Das Kind umbringen, für das ich das schreibe? Das wäre ja so typisch Gott. Ich stelle mir ein hohes schwarzes Gebäude im Himmelszentrum vor – jede Menge Stahl und Beton, ganz das Großunternehmen, davor eine Raucherecke und im zweiten Stock eine Cafeteria –, das Gebäude mit dem Hauptsitz von Gottes Abteilung für Ironische Bestrafisierung darin, dem Ort, wo genau solche rasend komischen Launen erarbeitet werden. Dorthin kommen die Schriftsteller nach dem Tod – die Romanciers, die Dichter, die Sitcom-Autoren, die Stand-up-Komiker –, zu einem stählernen Schreibtisch und einem harten Stuhl in einem winzigen Kabäuschen in der AIB, wo die Geschichte jedes Menschen ihr eigenes originelles Ende erhält, aber jedes gleich befriedigend ist: schrecklich.
Die Fahrerin hinter mir drückt auf die Hupe. Es ist grün geworden. Ich fahre umdie Kurve, in der die Autos langsamer wurden, um einen Jogger zu passieren, der am Straßenrand dahintrabt. Kein Unfall, keine tote Ehefrau. Noch nicht jedenfalls, nicht heute. Ich fahre vorbei, vorübergehend erleichtert, aber nur vorübergehend, bis ich mir vorstelle, dass der Jogger mein Freund Roy ist und dass Roy, sobald ich von dieser Straße in die nächste abbiege, irgendwo hinter mir von einem Wagen überrollt und getötet wird. Von einem Lieferwagen. Einem Lieferwagen, der zu Roys Haus unterwegs ist. Und ihm – Moment – seine Pornos liefert. Haha, werden sie in der AIB lachen, das wird ihm eine Lehre sein. Jemand wird eine Gehaltserhöhung bekommen. In der Cafeteria wird es Kuchen geben. Wenn ich Ihnen schon mal begegnet bin und Sie auch nur ansatzweise mochte, habe ich Sie mir tot, enthauptet, zerstückelt vorgestellt.
– Sie bestrafen sich selbst, sagt Ike. Ike ist mein Psychiater.
– Ich weiß, antworte ich.
– Sie haben nichts Unrechtes getan, sagt er.
– Ich weiß, antworte ich.
Ike sagt noch etwas, aber ich höre ihm nicht zu. Ich stelle mir den Anruf seiner schluchzenden Frau vor.
– Ike ist tot, sagt sie.
Ich weiß, antworte ich. Und ich weiß auch, wie: Schrecklich.
© BV Berlin Verlag GmbH
- Yay!, sagte ich und klatschte mich mit Dov, meinem besten Freund, ab.
– So wie jetzt, sagte Rabbi Napier und spähte angewidert über seine dicke Hornbrille, – solltet ihr euch freuen am Tag des Jüngsten Gerichts.
Die Leute von Monsey hatten fürchterliche Angst vor Gott, und sie brachten auch mir bei, fürchterliche Angst vor Ihm zu haben – sie erzählten mir von einer Frau namens Sara, die kicherte, also machte Er sie unfruchtbar; von einem Mann namens Hiob, der war traurig und fragte: – Warum?, also kam Gott auf die Erde, packte Hiob am Kragen und donnerte: – Was glaubst du wohl, wer du bist, du Arschloch?; von einem Mann namens Mose, der aus Ägypten floh und vierzig Jahre lang auf der Suche nach einem Gelobten Land durch die Wüste zog und den Gott tötete, kurz bevor er es erreichte – voll auf die Fresse auf der Ein-Yard-Linie –, weil Mose gesündigt hatte, einmal, vierzig Jahre zuvor. Sein Verbrechen? Einen Stein schlagen. Und so versammelten sich die Leute von Monsey im Frühherbst, wenn das Laub erstickte, die Farbe wechselte und tot herabfiel, in den Synagogen der Stadt und fragten sich laut und unisono, wie Gott sie wohl töten werde:
– Wer leben wird und wer sterben, beteten sie, – wer an sein Ende gelangt und wer nicht an sein Ende gelangt. Wer in Wasserflut, wer in Flammenglut, wer vom Schwert zerrissen, wer vom Tier zerbissen. Wer in Hungersnot, wer vom Durst bedroht, wer in des Bebens Rot, wer im Seuchentod, wer erwürgt und wer zerschmettert.
Dann Mittagessen und unruhiger Schlaf.
Es ist Montagmorgen, sechs Wochen nachdem meine Frau und ich erfuhren, dass sie zum ersten Mal schwanger sei, und ich stehe vor einer Ampel. Das Kind hat keine Chance. Es ist ein Streich. Ich kenne diesen Gott; ich weiß, wie er tickt. Das Baby wird eine Fehlgeburt, oder es wird bei der Geburt sterben, oder meine Frau wird bei der Geburt sterben, oder beide werden nicht sterben, und ich werde denken, wir haben’s geschafft, und dann auf der Heimfahrt vom Krankenhaus stoßen wir frontal mit einem betrunkenen Fahrer zusammen, und beide, meine Frau und das Kind, werden später in der Notaufnahme sterben, nur ein paar Türen weiter von dem Zimmer, in dem wir nur Minuten zuvor so glücklich und lebendig und voller Zuversicht gestanden hatten.
Das wäre ja so typisch Gott.
Die Lehrer meiner Jugend sind gestorben, die Eltern alt und weitgehend fremd geworden. Der Mann aber, von dem sie mir erzählten – den gibt’s noch immer. Ich kann ihn nicht erschüttern. Ich habe Spinoza gelesen. Ich habe Nietzsche gelesen. Ich habe National Lampoon gelesen. Nichts hilft. Ich lebe Tag für Tag mit Ihm, und siehe, Er ist noch immer zornig, noch immer rachsüchtig, noch immer – auf ewig – stinkig.
– Der Mensch plant, sagten meine Eltern, – und Gott lacht.
– Wenn ihr es am wenigsten erwartet, warnten meine Lehrer,
– erwartet es.
Und ich erwarte es. Den ganzen Tag läuft in meinem Kopf ein nie enden wollendes Horrorfilmfestival, mein eigenes Grand Guignol. Es vergeht keine Stunde am Tag ohne irgendwelche grausigen, entsetzlichen Bilder von Tod, Qualen und Folter. Ich gehe auf der Straße, kaufe Lebensmittel ein, tanke den Pick-up voll; Freunde sterben, Verwandte werden ermordet, Haustiere von Lieferwagen totgefahren.
Vor mir, hinter der Kreuzung, wo die Straße eine scharfe Rechtskurve macht, werden die Autos langsamer, Bremslichter flammen auf, als sie um die Kurve verschwinden. Ein Unfall, stelle ich mir vor, und ich stelle mir vor, wie ich daran vorbeifahre – Du Arschloch, werde ich den Fahrer kritisieren, – hättest doch wissen müssen, dass man hier nicht schnell fährt …, als ich den Wagen erkenne. Es ist ein schwarzer Nissan. – Das könnte der von Orli sein … Und dann sehe ich meine Frau am Steuer, zermatscht, blutend, Kopf nach hinten, Zunge raus. Sie ist tot. So kann ich mich zum Weinen bringen; wenn ich mich gerade besonders in Selbsthass ergehe, kann ich ihr, wie ein Fotograf von Reuters, auch ein Kinderspielzeug in den blutgetränkten Schoß oder eine Schachtel in buntem Geschenkpapier aufs Armaturenbrett legen, genau über der Stelle, wo ihr Kopf draufgeknallt war.
Außen – Tag – später. Ich sitze auf dem Geländer, ich bin untröstlich.
– Sie sind ja noch jung, sagt ein Polizist. – Das ganze Leben noch vor sich.
– Sie war schwanger, flüstere ich.
Großaufnahme vom Gesicht des abgebrühten Polizisten. Er hat schon alles gesehen. Aber das…
Eine Träne rollt ihm übers Gesicht. Fin.
Unser ungeborenes Baby ist der jüngste Star in meinen Horrorshows. Die Empfängnis ist gerade sechs Wochen her, und schon ist es deformiert, gestört, erkrankt, fehlgeboren, fehldiagnostiziert, mit einem Tumor verwechselt und bestrahlt, man hat darauf gesessen, es angestoßen, bei einem unbesonnenen späten Geschlechtsverkehr aufgespießt und überhitzt, als Orli in der dampfenden Badewanne einschlief.
– Ist das auch gut so?, hatte ich sie gefragt, als sie seufzend in die Wanne glitt. – Kommt mir ein wenig heiß vor.
– Raus, hatte sie gesagt. Ich fuhr mit dem Finger durch den Wasserdampf, der sich auf der Duschscheibe abgesetzt hatte.
– Du brauchst es Ihm nicht unbedingt leicht zu machen, sagte ich.
– RAUS.
Als ich klein war, sagten sie mir, wenn ich stürbe und in den Himmel käme, würden die Engel mich in ein riesiges Museum voller Gemälde bringen, die ich noch nie gesehen hätte, Gemälde, die von sämtlichen Künstlerspermien geschaffen worden seien, die ich in meinem Leben vergeudet hätte. Danach würden mich die Engel in eine riesige Bibliothek voller Bücher bringen, die ich nie gelesen hätte, Bücher, die von den vielen produktiven Spermien geschrieben worden seien, die ich in meinem Leben vergeudet hätte. Danach würden mich die Engel in ein riesiges Gotteshaus mit Hunderttausenden von Juden darin bringen, die alle beteten und studierten. Juden, die geboren worden wären, wenn ich sie nicht in meinem abscheulichen, gescheiterten, verachtenswerten Leben getötet, vergeudet, mit einer schmutzigen Socke weggewischt hätte (in jedem Ejakulat sind ungefähr 50 Millionen Spermien, das macht für jedes Mal wichsen rund neun Holocausts; ich kam gerade in die Pubertät, vielmehr: die Pubertät kam über mich, und ich beging durchschnittlich drei bis vier Mal täglich einen Genozid). Sie sagten mir, wenn ich stürbe und ich in den Himmel käme, würde ich bei lebendigem Leib in gewaltigen Fässern gekocht, die voll mit dem Sperma wären, das ich in meinem Leben vergeudet hätte. Sie sagten mir, wenn ich stürbe und ich in den Himmel käme, würden mich alle Seelen eines jeden Spermiums, das ich im Laufe meines Lebens vergeudet hätte, in alle Ewigkeit durchs Firmament jagen. Um diesen Mist zu erzählen, muss man nicht geweiht sein – nur zu, versuchen Sie’s! –, man braucht dazu nur Terror, Blutdurst und einen Sinn für makabre, brutale Ironie. Meine ist folgende: Ich befürchte, dass Gott alle gesunden, perfekten, talentierten Spermien in die frühen Ejakulate eines Mannes steckt – die dereinstige Belohnung für den Mann, weil er seinen revoltierenden Animus so gut beherrscht hat – und dass im Lauf der Jahre, in denen er wieder und wieder ejakuliert (und wieder und wieder und wieder), die Qualität der Spermien absackt: Wenn er dann ich ist, ist nur noch Ausschuss übrig – die Schieler, die mit den vorstehenden Zähnen, die mit Überbiss, die mit Unterbiss, die mit Flossen als Füßen, die mit Schwimmhäuten zwischen den Fingern, die Idioten, die Faulen, die Kriminellen, die Blöden, die Blindgänger, die Knalltüten, die Schmocks. Das wäre ja so typisch Gott.
Ich war im Arbeitszimmer und schrieb an einigen Non-Fiction- Geschichten, als Orli vorbeikam und es mir sagte.
– Ich bin schwanger!, schrie sie.
Wir küssten uns, wir weinten, wir hielten einander umschlungen; sie stellte sich vermutlich rosa Schleifchen, Schlaflieder und Babyschühchen vor; ich dagegen stellte mir vor, wie ich an einem Bett im Kreißsaal kniete, schluchzend, Mutter und Kind tot.
– Das kommt praktisch nie vor, würde die Krankenschwester dann sagen und sich die blutigen Handschuhe abziehen und in die Tonne werfen. Sie tätschelt mir die Schulter, ich schaue auf. Unsere Blicke begegnen sich. Sie zieht die Nase kraus.
– Wir brauchen das Zimmer gleich wieder, Sie Ärmster, sagt sie. Die Geschichten, an denen ich gearbeitet hatte, drehten sich um mein Leben unter der Fuchtel eines ausfälligen, streitsüchtigen Gottes, eines Gottes, der Millennien von Jahren zuvor auf der falschen Seite des Firmaments erwacht war und bis heute nicht wieder gute Laune hat. Arbeitstitel: Gott geht neben mir und hält mir eine .45er zwischen die Rippen.
Ich hatte schon über 350 Seiten.
– Heute Abend gehen wir mal aus, sagte Orli, – feiern.
Wir küssten uns, wir umarmten uns, wir weinten weiter, und sobald Orli gegangen war, setzte ich mich wieder an den Computer, seufzte und zog sämtliche 350 Seiten meiner Geschichten in den Papierkorb des Geräts.
Möchten Sie, fragte mich der Computer, die Objekte im Papierkorb wirklich dauerhaft entfernen? Diese Aktion kann nicht widerrufen werden.
Ich mochte wirklich.
Es war nicht nötig, Ihn zu reizen. Ich stehe lange genug auf Gottes Schachbrett, um zu wissen, dass jeder Zug vorwärts, jede gute Nachricht – Erfolg! Heirat! Kind! – auch nur ein Göttlicher Schachzug ist, eine Finte, ein Fake, eine Falle; es sieht aus, als käme ich auf dem Brett voran, doch schon bald ruft Gott Schach, worauf die Firma, die mich eingestellt hat, eingeht, die Frau stirbt, das Baby erstickt. Gottes Pick-and-roll. Das Rope-a-dope des Herrn. God was here, God was there, God was everywhere.
– Ich sage dir, sagt Maus A, – dieser blöde Käse ist verdrahtet.
– Hörst du wohl auf damit?, greint Maus B. – Du bist so ein Pessi – Patsch.
Ich frage mich, ob ich, indem ich ein Kind bekomme, nur in ihre Falle tappe – Gottes, meiner Familie, Abrahams, Isaaks, Josefs –, den Kreislauf fortsetze, ein weiteres Kind zum Altar bringe. Seid fruchtbar und mehret euch, spricht der Herr, und danach sehen wir weiter.
Die Ampel ist noch immer rot, und meine Gedanken schweifen. Sie schweifen auf den Friedhof, sie schlendern ins Leichenschauhaus, sie mäandern nach Bergen-Belsen:
Mit dem Kind stimmt was nicht.
Jetzt, genau in diesem Moment, als ich hier vor dieser Ampel sitze, ein abstehendes Augenbrauenhaar zwirble und an der Gummihülle des Lenkrads zupfe, genau jetzt entwickelt sich etwas in meinem ungeborenen Kind nicht so, wie es sollte – dieses Etwas bekommt nicht genügend Was-auch-immer, das Was-auch-immer bekommt nicht genügend Etwas, eine Zelle will sich nicht teilen, eine andere teilt sich zu oft.
Vor ein paar Tagen habe ich die Arbeit an meinen Gott-Geschichten wieder aufgenommen. Ich weiß, ich lege es drauf an, aber wenn dieses Kind irgendwie am Leben bleibt, möchte ich, dass es erfährt, wo ich herkomme, warum ich ihm nicht beigebracht habe, was sie mir beigebracht haben, warum ich, wie meine Mutter es in einer ihrer letzten E-Mails an mich formuliert hatte, mein Volk verlassen habe. Ich weiß, dass Gott weiß, was ich bislang geschrieben habe, und ich weiß, dass Er weiß, dass Er darin als Arschloch wegkommt – Er weiß auch, dass es nur noch schlimmer sein wird, wenn ich damit fertig bin, und Er tut alles, was Er kann, um mich daran zu hindern, fertig zu werden. Mich töten? Zu plump. Das Kind umbringen, für das ich das schreibe? Das wäre ja so typisch Gott. Ich stelle mir ein hohes schwarzes Gebäude im Himmelszentrum vor – jede Menge Stahl und Beton, ganz das Großunternehmen, davor eine Raucherecke und im zweiten Stock eine Cafeteria –, das Gebäude mit dem Hauptsitz von Gottes Abteilung für Ironische Bestrafisierung darin, dem Ort, wo genau solche rasend komischen Launen erarbeitet werden. Dorthin kommen die Schriftsteller nach dem Tod – die Romanciers, die Dichter, die Sitcom-Autoren, die Stand-up-Komiker –, zu einem stählernen Schreibtisch und einem harten Stuhl in einem winzigen Kabäuschen in der AIB, wo die Geschichte jedes Menschen ihr eigenes originelles Ende erhält, aber jedes gleich befriedigend ist: schrecklich.
Die Fahrerin hinter mir drückt auf die Hupe. Es ist grün geworden. Ich fahre umdie Kurve, in der die Autos langsamer wurden, um einen Jogger zu passieren, der am Straßenrand dahintrabt. Kein Unfall, keine tote Ehefrau. Noch nicht jedenfalls, nicht heute. Ich fahre vorbei, vorübergehend erleichtert, aber nur vorübergehend, bis ich mir vorstelle, dass der Jogger mein Freund Roy ist und dass Roy, sobald ich von dieser Straße in die nächste abbiege, irgendwo hinter mir von einem Wagen überrollt und getötet wird. Von einem Lieferwagen. Einem Lieferwagen, der zu Roys Haus unterwegs ist. Und ihm – Moment – seine Pornos liefert. Haha, werden sie in der AIB lachen, das wird ihm eine Lehre sein. Jemand wird eine Gehaltserhöhung bekommen. In der Cafeteria wird es Kuchen geben. Wenn ich Ihnen schon mal begegnet bin und Sie auch nur ansatzweise mochte, habe ich Sie mir tot, enthauptet, zerstückelt vorgestellt.
– Sie bestrafen sich selbst, sagt Ike. Ike ist mein Psychiater.
– Ich weiß, antworte ich.
– Sie haben nichts Unrechtes getan, sagt er.
– Ich weiß, antworte ich.
Ike sagt noch etwas, aber ich höre ihm nicht zu. Ich stelle mir den Anruf seiner schluchzenden Frau vor.
– Ike ist tot, sagt sie.
Ich weiß, antworte ich. Und ich weiß auch, wie: Schrecklich.
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Autoren-Porträt von Shalom Auslander
Shalom Auslander wuchs in einer jüdisch-orthodoxen Familie in Monsey, New York, auf. Seine aufsehenerregende Sammlung von Short Storys, Vorsicht, bissiger Gott, erschien 2007 im Berliner Taschenbuch Verlag. Er schreibt regelmäßig Kolumnen und Kurzgeschichten für The New Yorker, Esquire und The New York Times Magazine. "Eine Vorhaut klagt an" wurde von der New York Times zu einem der 100 besten Bücher des Jahres 2007 gewählt.
Bibliographische Angaben
- Autor: Shalom Auslander
- 2008, 301 Seiten, Maße: 14,6 x 22,1 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzung: Schönfeld, Eike
- Übersetzer: Eike Schönfeld
- Verlag: BERLIN VERLAG
- ISBN-10: 3827007720
- ISBN-13: 9783827007728
Rezension zu „Eine Vorhaut klagt an “
„Shalom Auslanders Hasstirade Eine Vorhaut klagt an klingt vielleicht ähnlich wie kvetsh,aber im Grunde genommen haben Jeremia und Jesaja auch ein bisschen gekvetsht.Propheten kvetshnnun mal."
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