Eisprung
Eine Geschichte über die Liebe und den Wunsch nach einem Kind. Aus d. Niederländ. v. Eva Schweikart
Alles begann mit zwei Fahrrädern, deren Lenker sich ineinander verhakt hatten. Wenig später schon träumen Judith und Paul vom Glück zu dritt. Judith wird schwanger. Drei wunderbare Monate genießt sie ihre Schwangerschaft vor den Augen der Welt. Dann...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Eisprung “
Alles begann mit zwei Fahrrädern, deren Lenker sich ineinander verhakt hatten. Wenig später schon träumen Judith und Paul vom Glück zu dritt. Judith wird schwanger. Drei wunderbare Monate genießt sie ihre Schwangerschaft vor den Augen der Welt. Dann plötzliche Blutungen, Fehlgeburt, Ausschabung: Sie verliert Zwillinge. Es folgen Trauer und erneute Hoffnung, Fehlgeburten, Eileiterschwangerschaften, Operationen, schließlich wiederholte Versuche künstlicher Befruchtung. Alles ohne Erfolg. Die Sehnsucht nach einem Kind gebiert nur Tränen, Schmerz und Verzweiflung. Tabulos gewährt Judith Uyterlinde Einblick ins Intimste. Die Behandlung wird zur Dauerübung in Geduld und Leidensfähigkeit. Doch diese persönliche Geschichte vom beharrlichen Ausschöpfen aller Möglichkeiten, ein Kind zu bekommen, ist nicht nur tragisch. Die selbstironische Scharfzüngigkeit und der trockene Humor der Autorin erlauben ebenso befreiendes Schmunzeln über den geschilderten Ausnahmezustand der Möchtegern-Eltern. Eine Erfahrung, die Millionen Paare teilen.
Klappentext zu „Eisprung “
Alles begann mit zwei Fahrrädern, deren Lenker sich ineinander verhakt hatten. Wenig später schon träumen Judith und Paul vom Glück zu dritt. Judith wird schwanger. Drei wunderbare Monate genießt sie ihre Schwangerschaft vor den Augen der Welt. Dann plötzliche Blutungen, Fehlgeburt, Ausschabung: Sie verliert Zwillinge. Es folgen Trauer und erneute Hoffnung, Fehlgeburten, Eileiterschwangerschaften, Operationen, schließlich wiederholte Versuche künstlicher Befruchtung. Alles ohne Erfolg.Die Sehnsucht nach einem Kind gebiert nur Tränen, Schmerz und Verzweiflung. Tabulos gewährt Judith Uyterlinde Einblick ins Intimste. Die Behandlung wird zur Dauerübung in Geduld und Leidensfähigkeit. Doch diese persönliche Geschichte vom beharrlichen Ausschöpfen aller Möglichkeiten, ein Kind zu bekommen, ist nicht nur tragisch. Die selbstironische Scharfzüngigkeit und der trockene Humor der Autorin erlauben ebenso befreiendes Schmunzeln über den geschilderten Ausnahmezustand der Möchtegern-Elter n.Eine Erfahrung, die Millionen Paare teilen.
Lese-Probe zu „Eisprung “
Unsere Fahrradlenker waren bereits ineinander verhakt, da hatten wir uns noch nicht einmal geküsst. Als die Kneipe schloss, hatte man uns sanft hinausbefördern müssen. Nun zogen wir im Freien ein wenig unbeholfen unsere Räder auseinander. "Darf ich dir einen unsittlichen Vorschlag machen?", fragte er. "Kommst du noch auf ein Bier mit zu mir?"Ich hatte Paul eben erst kennen gelernt und fand ihn witzig, attraktiv, originell und eigenwillig. Jede Ideologie schien ihm fremd, seine Gedanken sprangen in alle Richtungen. Auf die gleiche unkontrollierte Art tanzte er auch, mit abrupten, ausladenden Bewegungen, die etwas Kindliches hatten. Ich sah ihn tanzen und verliebte mich in ihn.
Wie sich herausstellte, wohnte er in einem ehemaligen Lagerhaus, in einem riesigen Raum. Es war verdammt kalt. Am liebsten wäre ich sofort mit ihm in das große Bett geschlüpft, aber dann war es mit meiner Entschlossenheit auf einmal nicht mehr weit her. Ich zog lediglich die Schuhe aus, um zumindest ein Signal zu geben.
Paul zündete den Holzofen mitten im Zimmer an. Ich hatte so etwas noch nie gemacht und wusste nicht, wohin mit meinen Händen. Vielleicht hätte ich doch nicht mitgehen sollen. Die selbstverständliche Vertrautheit von vorhin hatten wir in der warmen Kneipe zurückgelassen. Paul unternahm nichts in Richtung der versprochenen Unsittlichkeit. Er gab mir aber ein Bier, das letzte, sagte er, das er im Haus habe. Seine Stimme klang irgendwie, als täte es ihm Leid, aber genauso gut konnte es ein Wink sein, dass ich besser gehen sollte. Als mein Glas leer war, zog ich brüsk die Schuhe wieder an. "Dann geh ich also wieder."
Im nächsten Moment küssten wir uns. Das restliche Wochenende verbrachten wir in seinem großen Bett. Wir standen nur auf, um Essen und Trinken zu besorgen und um neue Holzscheite ins Feuer zu legen. Die Vorhänge blieben zu, und das Telefon wurde ausgesteckt. Der Geruch, nachdem wir uns geliebt hatten, sagte mir, dass wir zusammenpassten: Wir rochen wunderbar
... mehr
zusammen. Nicht dass ich an die wahre Liebe geglaubt hätte, aber ab da schien mir jede Nacht ohne ihn als eine verlorene Nacht.
Arm in Arm gehen wir durch New Orleans und bleiben bei jedem Straßenmusikanten stehen, um ein Weilchen zuzuhören. "Darf ich dir einen unsittlichen Vorschlag machen?", frage ich. "Wollen wir ein Kind machen?" Ich will hören, wie diese Frage aus meinem Mund klingt. Nicht völlig daneben, finde ich. Vielleicht ist es sogar eine gute Idee. Kinderkriegen gehört meiner Ansicht nach zum Leben. Oft hört man jemanden sagen, er liebe Kinder oder auch Tiere. Mir ist solch generelle Liebeserklärung fremd. Ich habe den Hund meines Ex geliebt, der uns zum Spazierengehen in den Wald oder an den Strand mitgenommen hat, und ich liebe die Kinder meines Bruders, die uns gern auf ein paar Tage besuchen. Zweifellos werde ich auch unser Kind lieben. Wenn ich überhaupt von jemandem ein Kind möchte, dann von Paul. Vor meinem inneren Auge steigen idyllische Szenen auf, vermischt mit erotischen Fantasien: Ich gebe unserem Baby die Brust, während Paul zärtlich mit mir schläft.
Diese schwüle Stadt, die sich in den Hüften zu wiegen scheint, verursacht bei mir offenbar einen romantischen Rausch der geistigen Verwirrung. Denn was soll jemand wie ich mit Kindern? Ich will weite Reisen machen, Leute treffen, nächtelang feiern, tanzen und flirten, gut Geige spielen lernen und am liebsten auch Saxophon. Alle Bücher der Welt lesen, Verlegerin werden oder Schriftstellerin oder Journalistin oder Sängerin in einer fetzigen Band. Haustiere habe ich mir nie zugelegt, und Pflanzen überleben meine mangelnde Zuwendung nur selten. Die Rolle der Tante passt besser zu mir. Die der Lieblingstante, die aus fernen Ländern exotische Geschenke mitbringt, die einen in die Kneipe mitschleppt, obwohl man dafür eigentlich noch zu jung ist.
Ich hatte selbst so eine Lieblingstante, die viel rauchte und Wein trank und aus freien Stücken ledig und kinderlos war. Sie erzählte mir von ihren Beziehungen mit verheirateten Männern, die zwar oft problematisch waren, mir aber unendlich viel spannender und aufregender vorkamen als das Eheleben meiner Eltern. So wollte ich später auch werden.
Wenn man Kinder bekommt, wird man automatisch Mutter und Ehefrau. Dieses Schreckbild hat mich bisher von dem abgehalten, was ich jetzt nachdrücklich probiere. Paul und ich sind mittlerweile seit Jahren ein Paar. Wir wohnen sogar zusammen, aber der Alltagstrott hat noch nicht zugeschlagen. Früher hatte ich einen Schulfreund, dessen Eltern sich nach zwanzig Jahren Ehe noch immer wie Frischverliebte benahmen. Sie machten einen Sport daraus, sich ständig neue Kosenamen füreinander auszudenken. Meine Eltern und die meisten Paare aus ihrem Freundeskreis lebten in Scheidung oder waren bereits geschieden. Dass man nach einiger Zeit genug voneinander hat, schien mir ganz normal, und es kam mir reichlich übertrieben vor, wie die Eltern meines Freundes aneinander hingen. Mir braucht man nichts vorzumachen, dachte ich, bis mir klar wurde, dass ihre Gefühle echt waren. Es geht also doch, ist aber sehr selten.
Manche Männer sind romantischer, mit anderen kann ich besser reden. Ich kann mir zwar alles Mögliche zwischen mir und anderen Männern vorstellen, jedoch nicht, dass ich mit einem anderen mein Leben lieber verbringen würde als mit Paul. Nach einem herrlichen langen Urlaub in Indonesien, wo Pauls Vater geboren ist, sind wir zusammengezogen. Wir haben dort eine wunderschöne Skulptur aus schwarzem Holz gekauft, ineinander verschlungene Figuren, die eine Familie darstellen. Bald darauf waren wir in unserem gemieteten Haus im Amsterdamer Viertel Pijp beim Streichen.
Mit Paul empfand ich das Zusammenleben nicht mehr als eine Form von Freiheitsberaubung. Er hat etwas an sich, das mich an ihn bindet. Er ist nicht berechenbar, immer wieder überrascht er mich mit originellen Einfällen und mit seinem Witz. Er nimmt mich nicht in Beschlag und zwingt mir keine bestimmte Rolle auf. Vielleicht schaffe ich es mit ihm tatsächlich: Ehefrau und Geliebte zugleich sein. Und Mutter - warum nicht.
Paul wird ein prima Vater, dessen bin ich mir sicher. Manche Leute haben Kinder, andere können mit Kindern gut umgehen. Zur letzteren Kategorie gehört Paul. Für ihn stand von jeher fest, dass er Kinder wollte. Für mich war das etwas für später. Jetzt ist später. Wir gehen in unser Zimmer und lieben uns, als wäre es unsere erste gemeinsame Nacht, zärtlich und leidenschaftlich. Ich bin abergläubisch: Ein Kind zeugt man mit Liebe. Ganz bestimmt hat es auf Anhieb geklappt.
Wir bekommen einen Anruf aus Frankreich: Pauls Vater hat während des Urlaubs eine Gehirnblutung erlitten. Jetzt liegt Dick halbseitig gelähmt in einem französischen Krankenhaus. Er kann nicht mehr sprechen und reagiert auf nichts. Zum ersten Mal, seit ich Paul kenne, hat er Tränen in den Augen. Sofort machen wir uns auf den Weg. Wir haben Angst, dass Dick stirbt oder, was noch schlimmer wäre, dass er nie mehr gesund wird. Die gesamte Familie trifft sich in dem kleinen Ferienhaus, wo Angst, Besorgnis und extreme Fröhlichkeit einander abwechseln. Etwas wie ein Kulturschock trifft diese Familie. Eine Familie, in der Vertrautheit keine ausgeprägte Tradition hat. Pauls Mutter starb früh, und Dick stand als gebrochener Mann mit drei kleinen Kindern da, mit deren Kummer er nicht umgehen konnte. Er kümmerte sich um sie, aber über die Mutter wurde nie mehr gesprochen. Als die Kinder schon aus dem Haus waren, lernte er seine zweite Frau kennen.
Geertje hatte im Leben auch so manches mitgemacht, aber sie redete darüber und scheute sich nicht, an alte Wunden zu rühren. Vor allem ihr ist es zu verdanken, dass wieder so etwas wie Familienbande entstanden, und nun organisiert Dick mit seiner Gehirnblutung das erste richtige Familientreffen. Zwischen den Besuchen im Krankenhaus reden, weinen und lachen wir, als hinge unser Leben davon ab. Für mich ist es das erste Mal, dass in der unmittelbaren Umgebung ein so großer Verlust droht. Paul und ich vergessen völlig, dass wir uns seit geraumer Zeit fortzupflanzen versuchen. Jetzt lieben wir uns, um den herumgeisternden Tod zu verscheuchen. Es hilft.
Dick beginnt wieder zu sprechen. In eigenartig gespreizten Sätzen: "Von welcher offiziellen Instanz dieses Instituts habe ich diese Information bekommen?" Und: "Die Luftzufuhr in diesem Raum ist höchst angenehm." Auch viele malaiische Wörter tauchen in seinen Sätzen auf. Die ersten zwanzig Jahre seines Lebens hat er in Indonesien gewohnt; seine Mutter war Indonesierin, sein Vater Niederländer.
Paul ähnelt ihm. Er hat den gleichen schlanken Körperbau, den gleichen kreativen, unabhängigen Geist und die gleiche unbegrenzte Neugier. Obwohl Dick nach wie vor mit schiefem Popeye-Mund im Krankenhaus liegt, freut er sich mit dem Walkman auf dem Kopf an seiner neuesten Entdeckung, der Musik von Tom Waits, die Pauls Bruder ihm mitgebracht hat. Die Gehirnblutung war so schwer wiegend, dass Dick, wie sich allmählich herausstellt, vieles nie mehr können wird. Er hat viel Tennis gespielt und wollte bis zu seinem Tod berufstätig sein. Das kann er sich jetzt aus dem geplagten Kopf schlagen.
Es juckt mich in den Händen, als ich sehe, wie er sich beim Umlegen seiner Armbanduhr abmüht. Soll ich dir nicht rasch helfen? Aber nach endlosem Gefummel schafft er es selbst. Seine Geduld und seine Ausdauer hinterlassen tiefen Eindruck bei mir. Wo nimmt er die nur her? Langsam lernt er wieder sprechen, gehen und beide Hände gebrauchen, wenn auch mit den unvermeidlichen Einschränkungen. Er hat chronische Schmerzen im Fuß, wird schnell müde, und es macht ihm Mühe, sich längere Zeit zu konzentrieren. Dennoch bleibt er der Genießer, der er war. Ich hoffe, Paul wird auch auf diese Weise alt. Aber ohne Gehirnblutung.
Über ein Jahr hat es gedauert, aber jetzt ist es so weit. Ich fühle mich ausgesprochen sexy. Wie eine frisch gebackene Mutter, die allen Fotos von ihrem Nachwuchs aufdrängt, trage ich stolz meine Brüste zu Schau. Innerhalb weniger Monate sind sie sensationell groß und straff geworden und so wunderbar empfindlich. Mir ist, als hätte ich weitere sechs Sinne entwickelt. Ich komme zum Höhepunkt wie die Königin von Feuerland.
Ich bin so erfüllt von meiner Schwangerschaft, dass ich jedem, der es hören will, davon erzähle. So gewinnt sie auch für mich immer mehr an Bedeutung. Meine Freundinnen Isabel, Lisa und Natascha schenken mir das Buch Niederkommen und aufstehen, mit wohlwollenden Widmungen, dass sie gern als Babysitter zur Verfügung stehen, dass Aufwachsen mit Aupairs aber auch ganz nett sein kann. Sie erklären mich für verrückt, weil ich mich freiwillig für die Unfreiheit mit einem Kind entscheide, und das, obwohl ich noch nicht einmal die magische Dreißigergrenze überschritten habe. Aber sie finden es auch interessant, schließlich bin ich die Erste in unserem Freundeskreis. Zum Dank für das Buch zeige ich ihnen meine entblößten Brüste, was mit angemessener Bewunderung kommentiert wird.
Nur eine Freundin, Anna, hat bereits ein Kind. Weil sie keinen Mann dazu hatte, durfte ich bei der Entbindung dabei sein. Sie brachte ihr Kind auf einem Barhocker vor dem Bett zur Welt. Ich saß hinter ihr, um sie zu stützen. Zwischen den Wehen ließ sie sich rückwärts in meine Arme fallen, und ich strich ihr das Haar aus dem verschwitzten Gesicht. Wenn sie presste, schob ich mich wie ein lebender Sessel um sie, und sie kniff mir blaue Flecken in die Beine. Ihre Schmerzen fing ich mit dem Körper auf, und ich spürte auch, wie die große befreiende Welle von innen heraus entstand. Vor Annas Füßen hatte ich einen Spiegel aufgestellt, damit sie die Geburt sehen konnte. Sie war vor Anstrengung halb bewusstlos, aber ich sah, wie das Köpfchen zum Vorschein kam und wie der kleine Körper herausglitt. Alles strömte, Blut, Fruchtwasser, Tränen. Ich durfte die Nabelschnur durchschneiden. Anna hat ihre Tochter nach mir benannt. Judith ist jetzt vier und will später auch meinen Paul heiraten.
Meine Mutter und meine "Schwiegermutter" finden es großartig, dass ich schwanger bin. Meine Mutter hat bereits drei Enkelkinder von meinem älteren Bruder, hofft aber auf viele weitere. Jedes neue Leben in der Familie ist für sie wie ein im Nachhinein errungener Sieg über die Nazis, die ihre Mutter, ihre Tanten, Cousins und Cousinen umgebracht haben. Die Enkelkinder stellen ihre persönliche Kompensation und auch ihren Triumph dar: So leicht werdet ihr uns nicht los!
Geertje hat zwei Töchter aus einer früheren Ehe, aber noch keine Enkel. Ihre Tochter Loes hätte gern Kinder, aber sie lebt mit einem Mann zusammen, der sich schon mit Mitte zwanzig hat sterilisieren lassen, weil er nie Kinder wollte. Simon war sich seiner Sache so sicher, dass er den Arzt überreden konnte. Manche Leute überzeugen andere leichter als sich selbst. Jetzt hat er sich operieren lassen, um den Eingriff rückgängig zu machen, aber das Sperma wird durch jahrelanges Abklemmen offenbar nicht besser. Geertjes zweite Tochter Irene hat das Down-Syndrom und ist ebenfalls sterilisiert. Dazu hatte es keiner Überredungskunst bedurft.
Paul hat noch einen Bruder und eine Schwester, aber bei beiden stehen die Chancen auf Fortpflanzung schlecht. Seine Schwester ist lesbisch, und die Beziehungen seines Bruders halten nie lange. Paul freut sich, dass der Familienname seines Vaters nun weitergegeben wird. Ich dagegen vermute, dass das Dick ziemlich gleichgültig ist, wenn wir beide nur glücklich sind. Simon und Loes reagieren spröde auf unsere Neuigkeit, wahrscheinlich sind sie neidisch. Mein jüngerer Bruder ist erstaunt - du?, jetzt schon? - und neckt mich, indem er mir eine Zukunft mit vollen Windeln und Geschrei ausmalt. In zwei Jahren, sagt er, wolle er wieder bei mir vorbeischauen, wenn das Kind aus den Windeln heraus sei und zu sprechen anfange. Mein Vater muss sich erst von dem Schrecken erholen, bevor er mich gerührt in die Arme schließt. Für ihn bin ich noch immer sein süßes kleines Prinzesschen. Mein älterer Bruder, der aus Erfahrung spricht, sagt feierlich, Kinderkriegen bedeute eine Bereicherung des Lebens. Er und seine Frau freuen sich sehr auf eine Nichte oder einen Neffen, genau wie meine jüngere Schwester.
Nur bei der Arbeit sage ich nichts. Ich habe einen Zeitvertrag als Verlagsredakteurin, und man will mich eventuell fest anstellen. Wenn sie erfahren, dass ich ein Kind erwarte, überlegen sie es sich womöglich anders.
Jetzt bin ich in der zwölften Woche schwanger. Ich lese alles über Schwangerschaft und schaue mir zum ersten Mal im Leben Babykleidung an. Ich kaufe ein Baumwolljäckchen mit niedlichem Spitzenkragen und verwahre es sorgfältig im Schrank. Für mich selbst kaufe ich eine weitere Hose, denn ich werde schnell dicker. Paul legt oft schützend die Hände auf meinen sich wölbenden Bauch. Ab und zu vergesse ich, dass ich schwanger bin, aber dann erinnert mich sein Blick immer wieder daran. Er sieht mich anders an, intensiver, neugierig und staunend.
Arm in Arm gehen wir durch New Orleans und bleiben bei jedem Straßenmusikanten stehen, um ein Weilchen zuzuhören. "Darf ich dir einen unsittlichen Vorschlag machen?", frage ich. "Wollen wir ein Kind machen?" Ich will hören, wie diese Frage aus meinem Mund klingt. Nicht völlig daneben, finde ich. Vielleicht ist es sogar eine gute Idee. Kinderkriegen gehört meiner Ansicht nach zum Leben. Oft hört man jemanden sagen, er liebe Kinder oder auch Tiere. Mir ist solch generelle Liebeserklärung fremd. Ich habe den Hund meines Ex geliebt, der uns zum Spazierengehen in den Wald oder an den Strand mitgenommen hat, und ich liebe die Kinder meines Bruders, die uns gern auf ein paar Tage besuchen. Zweifellos werde ich auch unser Kind lieben. Wenn ich überhaupt von jemandem ein Kind möchte, dann von Paul. Vor meinem inneren Auge steigen idyllische Szenen auf, vermischt mit erotischen Fantasien: Ich gebe unserem Baby die Brust, während Paul zärtlich mit mir schläft.
Diese schwüle Stadt, die sich in den Hüften zu wiegen scheint, verursacht bei mir offenbar einen romantischen Rausch der geistigen Verwirrung. Denn was soll jemand wie ich mit Kindern? Ich will weite Reisen machen, Leute treffen, nächtelang feiern, tanzen und flirten, gut Geige spielen lernen und am liebsten auch Saxophon. Alle Bücher der Welt lesen, Verlegerin werden oder Schriftstellerin oder Journalistin oder Sängerin in einer fetzigen Band. Haustiere habe ich mir nie zugelegt, und Pflanzen überleben meine mangelnde Zuwendung nur selten. Die Rolle der Tante passt besser zu mir. Die der Lieblingstante, die aus fernen Ländern exotische Geschenke mitbringt, die einen in die Kneipe mitschleppt, obwohl man dafür eigentlich noch zu jung ist.
Ich hatte selbst so eine Lieblingstante, die viel rauchte und Wein trank und aus freien Stücken ledig und kinderlos war. Sie erzählte mir von ihren Beziehungen mit verheirateten Männern, die zwar oft problematisch waren, mir aber unendlich viel spannender und aufregender vorkamen als das Eheleben meiner Eltern. So wollte ich später auch werden.
Wenn man Kinder bekommt, wird man automatisch Mutter und Ehefrau. Dieses Schreckbild hat mich bisher von dem abgehalten, was ich jetzt nachdrücklich probiere. Paul und ich sind mittlerweile seit Jahren ein Paar. Wir wohnen sogar zusammen, aber der Alltagstrott hat noch nicht zugeschlagen. Früher hatte ich einen Schulfreund, dessen Eltern sich nach zwanzig Jahren Ehe noch immer wie Frischverliebte benahmen. Sie machten einen Sport daraus, sich ständig neue Kosenamen füreinander auszudenken. Meine Eltern und die meisten Paare aus ihrem Freundeskreis lebten in Scheidung oder waren bereits geschieden. Dass man nach einiger Zeit genug voneinander hat, schien mir ganz normal, und es kam mir reichlich übertrieben vor, wie die Eltern meines Freundes aneinander hingen. Mir braucht man nichts vorzumachen, dachte ich, bis mir klar wurde, dass ihre Gefühle echt waren. Es geht also doch, ist aber sehr selten.
Manche Männer sind romantischer, mit anderen kann ich besser reden. Ich kann mir zwar alles Mögliche zwischen mir und anderen Männern vorstellen, jedoch nicht, dass ich mit einem anderen mein Leben lieber verbringen würde als mit Paul. Nach einem herrlichen langen Urlaub in Indonesien, wo Pauls Vater geboren ist, sind wir zusammengezogen. Wir haben dort eine wunderschöne Skulptur aus schwarzem Holz gekauft, ineinander verschlungene Figuren, die eine Familie darstellen. Bald darauf waren wir in unserem gemieteten Haus im Amsterdamer Viertel Pijp beim Streichen.
Mit Paul empfand ich das Zusammenleben nicht mehr als eine Form von Freiheitsberaubung. Er hat etwas an sich, das mich an ihn bindet. Er ist nicht berechenbar, immer wieder überrascht er mich mit originellen Einfällen und mit seinem Witz. Er nimmt mich nicht in Beschlag und zwingt mir keine bestimmte Rolle auf. Vielleicht schaffe ich es mit ihm tatsächlich: Ehefrau und Geliebte zugleich sein. Und Mutter - warum nicht.
Paul wird ein prima Vater, dessen bin ich mir sicher. Manche Leute haben Kinder, andere können mit Kindern gut umgehen. Zur letzteren Kategorie gehört Paul. Für ihn stand von jeher fest, dass er Kinder wollte. Für mich war das etwas für später. Jetzt ist später. Wir gehen in unser Zimmer und lieben uns, als wäre es unsere erste gemeinsame Nacht, zärtlich und leidenschaftlich. Ich bin abergläubisch: Ein Kind zeugt man mit Liebe. Ganz bestimmt hat es auf Anhieb geklappt.
Wir bekommen einen Anruf aus Frankreich: Pauls Vater hat während des Urlaubs eine Gehirnblutung erlitten. Jetzt liegt Dick halbseitig gelähmt in einem französischen Krankenhaus. Er kann nicht mehr sprechen und reagiert auf nichts. Zum ersten Mal, seit ich Paul kenne, hat er Tränen in den Augen. Sofort machen wir uns auf den Weg. Wir haben Angst, dass Dick stirbt oder, was noch schlimmer wäre, dass er nie mehr gesund wird. Die gesamte Familie trifft sich in dem kleinen Ferienhaus, wo Angst, Besorgnis und extreme Fröhlichkeit einander abwechseln. Etwas wie ein Kulturschock trifft diese Familie. Eine Familie, in der Vertrautheit keine ausgeprägte Tradition hat. Pauls Mutter starb früh, und Dick stand als gebrochener Mann mit drei kleinen Kindern da, mit deren Kummer er nicht umgehen konnte. Er kümmerte sich um sie, aber über die Mutter wurde nie mehr gesprochen. Als die Kinder schon aus dem Haus waren, lernte er seine zweite Frau kennen.
Geertje hatte im Leben auch so manches mitgemacht, aber sie redete darüber und scheute sich nicht, an alte Wunden zu rühren. Vor allem ihr ist es zu verdanken, dass wieder so etwas wie Familienbande entstanden, und nun organisiert Dick mit seiner Gehirnblutung das erste richtige Familientreffen. Zwischen den Besuchen im Krankenhaus reden, weinen und lachen wir, als hinge unser Leben davon ab. Für mich ist es das erste Mal, dass in der unmittelbaren Umgebung ein so großer Verlust droht. Paul und ich vergessen völlig, dass wir uns seit geraumer Zeit fortzupflanzen versuchen. Jetzt lieben wir uns, um den herumgeisternden Tod zu verscheuchen. Es hilft.
Dick beginnt wieder zu sprechen. In eigenartig gespreizten Sätzen: "Von welcher offiziellen Instanz dieses Instituts habe ich diese Information bekommen?" Und: "Die Luftzufuhr in diesem Raum ist höchst angenehm." Auch viele malaiische Wörter tauchen in seinen Sätzen auf. Die ersten zwanzig Jahre seines Lebens hat er in Indonesien gewohnt; seine Mutter war Indonesierin, sein Vater Niederländer.
Paul ähnelt ihm. Er hat den gleichen schlanken Körperbau, den gleichen kreativen, unabhängigen Geist und die gleiche unbegrenzte Neugier. Obwohl Dick nach wie vor mit schiefem Popeye-Mund im Krankenhaus liegt, freut er sich mit dem Walkman auf dem Kopf an seiner neuesten Entdeckung, der Musik von Tom Waits, die Pauls Bruder ihm mitgebracht hat. Die Gehirnblutung war so schwer wiegend, dass Dick, wie sich allmählich herausstellt, vieles nie mehr können wird. Er hat viel Tennis gespielt und wollte bis zu seinem Tod berufstätig sein. Das kann er sich jetzt aus dem geplagten Kopf schlagen.
Es juckt mich in den Händen, als ich sehe, wie er sich beim Umlegen seiner Armbanduhr abmüht. Soll ich dir nicht rasch helfen? Aber nach endlosem Gefummel schafft er es selbst. Seine Geduld und seine Ausdauer hinterlassen tiefen Eindruck bei mir. Wo nimmt er die nur her? Langsam lernt er wieder sprechen, gehen und beide Hände gebrauchen, wenn auch mit den unvermeidlichen Einschränkungen. Er hat chronische Schmerzen im Fuß, wird schnell müde, und es macht ihm Mühe, sich längere Zeit zu konzentrieren. Dennoch bleibt er der Genießer, der er war. Ich hoffe, Paul wird auch auf diese Weise alt. Aber ohne Gehirnblutung.
Über ein Jahr hat es gedauert, aber jetzt ist es so weit. Ich fühle mich ausgesprochen sexy. Wie eine frisch gebackene Mutter, die allen Fotos von ihrem Nachwuchs aufdrängt, trage ich stolz meine Brüste zu Schau. Innerhalb weniger Monate sind sie sensationell groß und straff geworden und so wunderbar empfindlich. Mir ist, als hätte ich weitere sechs Sinne entwickelt. Ich komme zum Höhepunkt wie die Königin von Feuerland.
Ich bin so erfüllt von meiner Schwangerschaft, dass ich jedem, der es hören will, davon erzähle. So gewinnt sie auch für mich immer mehr an Bedeutung. Meine Freundinnen Isabel, Lisa und Natascha schenken mir das Buch Niederkommen und aufstehen, mit wohlwollenden Widmungen, dass sie gern als Babysitter zur Verfügung stehen, dass Aufwachsen mit Aupairs aber auch ganz nett sein kann. Sie erklären mich für verrückt, weil ich mich freiwillig für die Unfreiheit mit einem Kind entscheide, und das, obwohl ich noch nicht einmal die magische Dreißigergrenze überschritten habe. Aber sie finden es auch interessant, schließlich bin ich die Erste in unserem Freundeskreis. Zum Dank für das Buch zeige ich ihnen meine entblößten Brüste, was mit angemessener Bewunderung kommentiert wird.
Nur eine Freundin, Anna, hat bereits ein Kind. Weil sie keinen Mann dazu hatte, durfte ich bei der Entbindung dabei sein. Sie brachte ihr Kind auf einem Barhocker vor dem Bett zur Welt. Ich saß hinter ihr, um sie zu stützen. Zwischen den Wehen ließ sie sich rückwärts in meine Arme fallen, und ich strich ihr das Haar aus dem verschwitzten Gesicht. Wenn sie presste, schob ich mich wie ein lebender Sessel um sie, und sie kniff mir blaue Flecken in die Beine. Ihre Schmerzen fing ich mit dem Körper auf, und ich spürte auch, wie die große befreiende Welle von innen heraus entstand. Vor Annas Füßen hatte ich einen Spiegel aufgestellt, damit sie die Geburt sehen konnte. Sie war vor Anstrengung halb bewusstlos, aber ich sah, wie das Köpfchen zum Vorschein kam und wie der kleine Körper herausglitt. Alles strömte, Blut, Fruchtwasser, Tränen. Ich durfte die Nabelschnur durchschneiden. Anna hat ihre Tochter nach mir benannt. Judith ist jetzt vier und will später auch meinen Paul heiraten.
Meine Mutter und meine "Schwiegermutter" finden es großartig, dass ich schwanger bin. Meine Mutter hat bereits drei Enkelkinder von meinem älteren Bruder, hofft aber auf viele weitere. Jedes neue Leben in der Familie ist für sie wie ein im Nachhinein errungener Sieg über die Nazis, die ihre Mutter, ihre Tanten, Cousins und Cousinen umgebracht haben. Die Enkelkinder stellen ihre persönliche Kompensation und auch ihren Triumph dar: So leicht werdet ihr uns nicht los!
Geertje hat zwei Töchter aus einer früheren Ehe, aber noch keine Enkel. Ihre Tochter Loes hätte gern Kinder, aber sie lebt mit einem Mann zusammen, der sich schon mit Mitte zwanzig hat sterilisieren lassen, weil er nie Kinder wollte. Simon war sich seiner Sache so sicher, dass er den Arzt überreden konnte. Manche Leute überzeugen andere leichter als sich selbst. Jetzt hat er sich operieren lassen, um den Eingriff rückgängig zu machen, aber das Sperma wird durch jahrelanges Abklemmen offenbar nicht besser. Geertjes zweite Tochter Irene hat das Down-Syndrom und ist ebenfalls sterilisiert. Dazu hatte es keiner Überredungskunst bedurft.
Paul hat noch einen Bruder und eine Schwester, aber bei beiden stehen die Chancen auf Fortpflanzung schlecht. Seine Schwester ist lesbisch, und die Beziehungen seines Bruders halten nie lange. Paul freut sich, dass der Familienname seines Vaters nun weitergegeben wird. Ich dagegen vermute, dass das Dick ziemlich gleichgültig ist, wenn wir beide nur glücklich sind. Simon und Loes reagieren spröde auf unsere Neuigkeit, wahrscheinlich sind sie neidisch. Mein jüngerer Bruder ist erstaunt - du?, jetzt schon? - und neckt mich, indem er mir eine Zukunft mit vollen Windeln und Geschrei ausmalt. In zwei Jahren, sagt er, wolle er wieder bei mir vorbeischauen, wenn das Kind aus den Windeln heraus sei und zu sprechen anfange. Mein Vater muss sich erst von dem Schrecken erholen, bevor er mich gerührt in die Arme schließt. Für ihn bin ich noch immer sein süßes kleines Prinzesschen. Mein älterer Bruder, der aus Erfahrung spricht, sagt feierlich, Kinderkriegen bedeute eine Bereicherung des Lebens. Er und seine Frau freuen sich sehr auf eine Nichte oder einen Neffen, genau wie meine jüngere Schwester.
Nur bei der Arbeit sage ich nichts. Ich habe einen Zeitvertrag als Verlagsredakteurin, und man will mich eventuell fest anstellen. Wenn sie erfahren, dass ich ein Kind erwarte, überlegen sie es sich womöglich anders.
Jetzt bin ich in der zwölften Woche schwanger. Ich lese alles über Schwangerschaft und schaue mir zum ersten Mal im Leben Babykleidung an. Ich kaufe ein Baumwolljäckchen mit niedlichem Spitzenkragen und verwahre es sorgfältig im Schrank. Für mich selbst kaufe ich eine weitere Hose, denn ich werde schnell dicker. Paul legt oft schützend die Hände auf meinen sich wölbenden Bauch. Ab und zu vergesse ich, dass ich schwanger bin, aber dann erinnert mich sein Blick immer wieder daran. Er sieht mich anders an, intensiver, neugierig und staunend.
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Autoren-Porträt von Judith Uyterlinde
Judith Uyterlinde, geboren 1962, war als Übersetzerin und freie Journalistin unter anderem für die Europäische Union und die renommierte Tageszeitung NRC Handelsblatt tätig. Derzeit arbeitet sie in ihrem Traumberuf als Verlagslektorin für das bekannte niederländische Verlagshaus De Bezige Bij. Sie lebt mit ihrem Mann Paul und zwei gemeinsam adoptierten Kindern in Haarlem.Bibliographische Angaben
- Autor: Judith Uyterlinde
- 2002, 157 Seiten, Maße: 14,2 x 22 cm, Deutsch
- Verlag: Arkana
- ISBN-10: 344230976X
- ISBN-13: 9783442309764
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