Spiel des Lebens / Emily & Ryan Bd.1
Thriller
Willkommen im Spiel des Lebens, Emily. Du hast die Wahl. Sieg oder Tod, liest Emily völlig fassungslos auf dem zerknüllten Zettel in ihrer Hand, und damit geht der Horror los. Ein Psychopath jagt sie durch ganz London und stellt sie vor...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Spiel des Lebens / Emily & Ryan Bd.1 “
Willkommen im Spiel des Lebens, Emily. Du hast die Wahl. Sieg oder Tod, liest Emily völlig fassungslos auf dem zerknüllten Zettel in ihrer Hand, und damit geht der Horror los. Ein Psychopath jagt sie durch ganz London und stellt sie vor unbegreifliche Rätsel. Falls sie diese nicht in der vorgegebenen Zeit löst, gibt es einen Toten. Der Killer treibt Emily an den Rand des Wahnsinns. Wer ist dieser Irre? Und warum hat er ausgerechnet sie für sein mörderisches Spiel ausgewählt?
Klappentext zu „Spiel des Lebens / Emily & Ryan Bd.1 “
Willkommen im Spiel des Lebens, Emily. Du hast die Wahl. Sieg oder Tod, liest Emily völlig fassungslos auf dem zerknüllten Zettel in ihrer Hand, und damit geht der Horror los. Ein Psychopath jagt sie durch ganz London und stellt sie vor unbegreifliche Rätsel. Falls sie diese nicht in der vorgegebenen Zeit löst, gibt es einen Toten. Der Killer treibt Emily an den Rand des Wahnsinns. Wer ist dieser Irre? Und warum hat er ausgerechnet sie für sein mörderisches Spiel ausgewählt?
Lese-Probe zu „Spiel des Lebens / Emily & Ryan Bd.1 “
Spiel des Lebens von Veit Etzold Prolog
10. September 1998
Das schwarze Auto bewegte sich in etwa fünfzig Meter Entfernung hinter dem Jungen her. Langsam kroch es näher, während die gespiegelten Scheiben der Limousine die vom Herbst gefärbten Bäume reflektierten. Hätte man das Auto direkt von vorne gesehen, so hätte man nicht geglaubt, dass es sich überhaupt bewegte. Es sah eher aus, als würde es auf seinen vier riesigen Reifen schlafen wie ein großer, schwarzer Käfer.
Doch es schlief nicht. Es kroch langsam näher, näher und näher, nicht schneller, aber auch nicht langsamer als der Junge, der in fünfzig Meter Entfernung vor dem kauernden schwarzen Monstrum lief.
Für den Jungen war es heute ein besonderer Tag, denn es war sein Geburtstag. Die anderen Kinder in der Schule, die ihn ärgern wollten, sagten ihm immer, dass er doch eigentlich an einem ganz anderen Tag Geburtstag hätte. Doch er beachtete sie nicht. Was wussten sie denn schon?
Er dachte an Geschenke, er dachte an Luftballons, und er dachte an eine Geburtstagstorte.
... mehr
Seine Schritte wurden schneller, als er in die Straße einbog, in der sein Elternhaus stand. Der frische Wind des Spätsommers, der schon eine Spur des kühlen Herbstwindes mit sich trug, wehte ihm die Haare ins Gesicht. Sein Blick folgte den Blättern, von denen ein paar bereits zu Boden fielen, schweifte über die klassizistischen Fassaden des noblen Londoner Viertels, die Stein- und Marmorfassaden im Stile des 18. Jahrhunderts, die gepflegten Gärten und hohen gusseisernen Zäune. Wie oft war er diesen Weg zurückgegangen, hatte die Schönheit der Häuser bewundert, die knorrige Wildheit der Bäume und die hügelige Straße, die das Viertel von Ost nach West durchmaß. In etwa zweihundert Meter Entfernung sah er bereits die hohe Kuppel seines Elternhauses, die sich im frühherbstlichen Nachmittagshimmel wie ein Leuchtturm in blauer See abzeichnete.
Langsam, ganz langsam, hatte der Wagen die Geschwindigkeit erhöht. Der Motor, kaum zu hören, summte gleichzeitig lauernd und geduldig wie ein Insekt, das in der Luft schwebte, doch innerhalb von einer Sekunde herabstoßen konnte, um sein Opfer zu fangen, tot oder lebendig.
Der Junge reckte den Hals, um die Kuppel besser im Blick behalten zu können. Er hatte dieses Spiel oft gespielt, die Kuppel betrachtet, während er sich dem Haus genähert und nur aus den Augenwinkeln wahrgenommen hatte, wie die Nachbarhäuser und Gärten langsam an ihm vorbeizogen. Es war der Anblick der Kuppel, die seinen Blick gebannt hielt und ihn nach Hause führte.
Der Wagen kroch näher. Dreißig Meter. Zwanzig Meter. Zehn Meter.
Ein Vogel flog über die Kuppel, der Blick des Jungen heftete sich an ihn, eine Schwalbe, die von links nach rechts durch das spätsommerliche Panorama flog. Seine Augen folgten ihr, bis sie verschwunden war.
Dann ging plötzlich alles ganz schnell.
Zwei der Türen öffneten sich, die Beifahrertür und die Tür rechts hinten schnappten auf wie zwei hungrige Mäuler. Ein Mann wurde von dem Wagen ausgespuckt, sprang hinaus, die Augen hinter einer dunklen Brille. An den Füßen leichte Schuhe aus Segeltuch, deren Schritte man kaum hören konnte.
Er klemmte den Jungen unter den Arm und warf ihn in den hinteren Teil des Wagens, wo zwei Hände sich schon nach ihm ausstreckten und nach der Tür griffen. Im selben Moment wurde auch der Mann von dem schwarzen Auto wieder verschluckt. Beide Türen fielen mit einem leisen, fauchenden Knall zu, während der Wagen, der eben noch mit bedrohlicher Langsamkeit durch das Viertel geglitten war, beschleunigte und zügig aus dem Viertel herausfuhr. Vorbei an den gusseisernen Zäunen, den rosenbekränzten Hecken, den alten Herrenhäusern und der Kuppel der elterlichen Villa.
Der Junge schrie, er schrie so laut er konnte, doch die, die ihn hören konnten, lachten nur. Sie wussten, dass dort drüben in der Kuppelvilla jede Spur seines Lebens bereits ausgelöscht worden war. Ein Leben, das ihm niemals gehört hatte.
13 Jahre Später
1
Tag 1: 1. September 2011
Es sollte eine besondere Nacht für Emily Waters sein. Die erste Nacht im Studentenwohnheim. Morgen früh würde das Semester am King's College London und damit ein neuer Lebensabschnitt beginnen. Englische Sprache und Literatur. Ihr Vater hatte ein paar Bemerkungen in puncto brotlose Kunst gemacht, wusste aber auch genau, dass man als King's-College-Absolvent eigentlich überall einen Job bekam. Zur Not würde Emily zusätzlich noch einen Abschluss in Finanzmanagement machen, wobei sie den Knochenjob ihres Vaters, der in der City of London arbeitete, nicht unbedingt nachahmenswert fand.
»Man sagt, dass die Studentenjahre die besten des Lebens sind«, hatte Pete, der Leiter der Studentenvereinigung vom King's College letzte Woche auf einer Vorab-Info-Veranstaltung verkündet, ein hagerer Rotschopf, der ein blaues T-Shirt mit Aufschrift der Elite-Universität trug. Auf der Veranstaltung hatte er den neuen Studenten die Dienste der Studentenvereinigung erläutert. Einer dieser Dienste war eine eigene Disco, die auf dem Campus betrieben wurde, nämlich der Tutu's Nightclub, benannt nach Desmond Tutu, dem früheren Erzbischof von Südafrika und ebenfalls ein Absolvent des King's College. Dieser Club genoss sowohl bei Studenten als auch bei Externen Kultstatus, schon allein aufgrund der niedrigen Getränkepreise und der häufigen, exzessiven Partys. »Man sagt, dass die Studentenjahre die besten des Lebens sind«, hatte Pete also verkündet und an seinem T-Shirt herumgezupft. »Seht zu, dass es auch so sein wird.«
Vielleicht war es wirklich das Neue und das Ungewisse, das Emily nicht schlafen ließ. Noch gestern hatte ihre Mutter die letzten Sachen aus ihrem Zimmer vorbeigebracht: den alten Sessel, die kleine Palme und den Schreibtischstuhl. Als sie sich am Abend von ihr verabschiedet hatte, war ihre Mutter den Tränen nahe gewesen. Ein wenig tat sie so, als würde ihre Tochter nach Schanghai ziehen, anstatt nur in einen anderen Stadtteil von London.
»Mum, ich bin doch nicht auf dem Mond«, hatte Emily gesagt, »sondern nur eine halbe Stunde von euch entfernt.« Ihre Mutter hatte genickt und gelächelt, aber am liebsten, das wusste Emily, hätte sie sich vor der Tür des Wohnheims zusammengerollt, um auf ihr Baby aufzupassen.
Das hatte sie ihr Leben lang getan. Auf Emily aufgepasst. »Pat, lass ihr die Luft zum Atmen«, hatte ihr Dad oft zu ihrer Mum gesagt. Aber geholfen hatte es nicht wirklich.
Der einzige Trost für ihre Mutter war Julia, eine gute Freundin von Emily, die mit ihr zusammen zur Schule gegangen war und auch am King's College studierte. Sie wohnte im selben Wohnheim - und sie hatte letztendlich den Ausschlag gegeben, dass ihre Mutter Emily überhaupt hatte gehen lassen.
Emily drehte sich auf die andere Seite. Das Laken ihres Betts fühlte sich ungewohnt rau an, und ihr kam der Gedanke, dass sie sich jetzt, in der Stille des alten Wohnheims nahe der Westminster Bridge, wo sich, auf der anderen Seite der Themse, die neugotische Fassade des Britischen Parlaments im Mondlicht erhob, doch ein wenig so fühlte wie auf einem anderen Planeten.
Sie vermisste Drake, ihren vier Jahre alten Yorkshire Terrier, der normalerweise zusammengerollt auf dem Sessel in ihrem Zimmer schlief und für den sie künftig sehr viel weniger Zeit haben würde.
Julia war tatsächlich die einzige Konstante aus ihrem alten Leben. Ihre Freundin würde genauso wie sie Englisch studieren. Julia war ein großer Fan von dem Fußballklub Manchester United und benahm sich, wenn es um ihre Lieblingsmannschaft ging, fast wie ein Kerl. Mit einem Kerl verwechseln konnte man die zierliche Julia mit den halblangen braunen Haaren und den großen, ebenso braunen Augen allerdings nicht.
Sie hatte, wie es ihrer Art war, binnen Stunden mit Gott und der Welt in diesem Wohnheim Freundschaft geschlossen und Emily, die da weitaus schüchterner war, tausend Leuten vorgestellt. Einer von ihnen war Ryan, er studierte Psychologie und Englisch im Nebenfach und kam aus Dublin, was bei einigen Mitbewohnern amüsierte Verwunderung ausgelöst hatte.
»Ein Ire wagt sich ins Herz der Finsternis?«, hatte Julia gesagt, an den Kordeln ihres Kapuzenpullis gezogen, den natürlich ein Manchester-United-Logo schmückte, und Ryan zugezwinkert. Dass Engländer und Iren nicht immer die besten Freunde gewesen waren, war kein Geheimnis, und das King's College, gegründet von King George IV höchstpersönlich, könnte für einen patriotischen Iren durchaus als Kaderschmiede des Britischen Empires und damit als Herz der Finsternis gelten.
»Ich bin hier wegen der James-Joyce-Seminare«, hatte Ryan geantwortet. »Und Joyce war genau wie ich Dubliner.« Dann hatte er Emily angeblickt, und sie hatte in seine dunklen Augen geschaut, die von kurzen schwarzen Haaren umrahmt waren, und irgendwie hatte sie ihn gleich gemocht.
»Und weswegen bist du hier?«, hatte er sie gefragt.
»Ich?«, hatte Emily erwidert. »Mich interessiert eigentlich alles.« Was irgendwie lahm klang. Aber es stimmte. Und war auf jeden Fall die bessere Antwort, als wenn sie die Wahrheit gesagt hätte. Dass sie alles studiert hätte, einfach nur, um endlich von zu Hause wegzukommen.
Scheinwerfer der Autos, die draußen auf der Straße fuhren, ließen Schatten an der Wand ihres Zimmers tanzen.
»Denk dran«, hatte ihre Mum gestern Abend gesagt, »das, wovon du in der ersten Nacht träumst, geht in Erfüllung.«
Doch von Träumen konnte bisher nicht die Rede sein. Denn anstatt zu schlafen und Kraft zu sammeln für den morgigen Tag, der lang werden würde, wälzte sie sich von einer Seite auf die andere.
Es war keine Seltenheit, dass Emily nicht einschlafen konnte. Denn im Schlaf suchten sie nur zu oft diese Bilder heim, und sie waren nicht immer erfreulich, obwohl sie sich meistens gar nicht daran erinnern konnte, was sie genau gesehen hatte. Sie hatte sich eine Zeit lang angewöhnt, das, wovon sie geträumt hatte, aufzuschreiben, doch irgendwann hatte sie wieder damit aufgehört. Vielleicht war es besser, wach zu bleiben, dann würden die Bilder auch nicht kommen.
Ihr Blick glitt über den Schreibtisch in ihrem Studentenzimmer, die Fotos auf dem Regal, den Laptop nebst Tasche auf dem Sessel am Fenster. Auf dem Schreibtisch die Stundenpläne, die Bücher und Mappen für die nächsten Monate. Plötzlich flackerten andere Bilder vor ihrem inneren Auge auf.
Sterne erschienen, ein Himmel aus Sternen, die unnatürlich groß und leuchtend auf sie herabblickten. Kamen diese Sterne näher? Sie wusste es nicht, sie hatte nur den Eindruck, dass die Sterne ihr drohten und sich zu ihr nach unten beugten. Mit einem Mal verschmolzen all die Sterne zu zwei großen Sternen, die plötzlich direkt vor ihr waren, sie anblickten. Dann war da ein Mund, der Worte formte. »Wie groß du geworden bist«, sagte der Mund.
Emily fuhr hoch, merkte, wie ihr das rotblonde Haar an der schweißnassen Stirn klebte. Sie atmete rasselnd und schaltete das Licht an.
Das Zimmer war leer.
Natürlich war es leer. Sie hatte geträumt. Das waren nur die Bilder - und sie hatte sie einmal mehr nicht aufhalten können.
Ihr Blick wanderte durch den Raum und blieb am Fenster hängen. Es stand offen, die Gardinen wehten im Nachtwind ins Zimmer hinein. Sie musste unweigerlich ans Schultheater denken, wo sie damals eine Gespenstergeschichte aufgeführt hatten. Doch damals hatte sie gelacht. Jetzt nicht. Hatte sie das Fenster vorhin aufgemacht? Sie hatte es doch nur gekippt, oder nicht?
Ach, Unsinn! Sie schüttelte den Kopf, um sich selbst zu beruhigen. Das wurde ja immer besser. Kaum war sie von zu Hause weg, schon sah sie Gespenster. Fehlte nur noch, dass sie mit fliegenden Fahnen heim zu Mummy lief!
Entschlossen stand sie auf und schloss das Fenster.
Dann ging sie hinüber zum Spiegel, der über dem Waschbecken in dem kleinen Studentenzimmer hing. Sah ihre blaugrünen Augen, die schon damals, als sie ein Kind war, die Leute in ihren Bann ziehen konnten, sah die rotblonden Haare, die ihr Gesicht umrahmten, sah die vollen Lippen, die sie manchmal zusammenkniff, wie jetzt in diesem Moment, was ihr einen Ausdruck unnachgiebiger Bestimmtheit gab. Sie sah den hellen, leicht keltischen Teint, der ihr jetzt, wo der Schrecken die Farbe aus ihrem Gesicht gezogen hatte und das bläuliche Licht des Mondes und der Straßenbeleuchtung dem Zimmer einen kalten Farbstich gab, viel heller und gespenstischer als sonst erschien.
So stand sie lange da.
Irgendwann erwachte sie aus ihrer Erstarrung, schaltete das Licht aus, legte sich zurück ins Bett und fiel schließlich in einen unruhigen Schlaf.
2
Das Fenster war im zweiten Stock gewesen, also nicht allzu hoch. Er konnte sich ganz einfach vom Dach des Fitnessstudios, das zum Wohnheim dazugehörte, an der Fensterbank nach oben ziehen. Er hatte sie wieder gesehen, so wie damals. Wie groß sie geworden war! Und wie schön! Er hatte ihr Haar gestreichelt und ihren Namen gesagt. Es tat nicht mehr so weh wie früher, wenn er ihren Namen aussprach, und er konnte sie jetzt auch anblicken, ohne dass die Erinnerungen von damals wie Glassplitter in seine Seele stachen.
Er schaute nach oben zum Fenster, drückte sich an die Wand, damit er von oben nicht gesehen werden konnte. Einzig der Stein in seinem Siegelring blitzte kurz im Mondlicht auf.
Dann sah er sie, sah, wie sie aus dem Fenster guckte, ihren Blick nach rechts und links und irgendwo in die Ferne schweifen ließ, dann den Vorhang zuzog und das Fenster schloss.
Sie war verschwunden. Wie ein Geist. Oder wie ein Engel. Er blieb einen Moment dort unten stehen, an der Mauer, während vereinzelt Autos und Lastwagen mit gelblichen Scheinwerfern die nächtliche Straße entlangfuhren, und ein kühler Wind von der Themse her über sein Haar strich.
Er würde sie wiedersehen.
Sehr bald. Er würde sie immer wiederfinden. Und irgendwann würde er sie töten.
© 2012 INK verlegt durch EGMONT Verlagsgesellschaften mbH
Seine Schritte wurden schneller, als er in die Straße einbog, in der sein Elternhaus stand. Der frische Wind des Spätsommers, der schon eine Spur des kühlen Herbstwindes mit sich trug, wehte ihm die Haare ins Gesicht. Sein Blick folgte den Blättern, von denen ein paar bereits zu Boden fielen, schweifte über die klassizistischen Fassaden des noblen Londoner Viertels, die Stein- und Marmorfassaden im Stile des 18. Jahrhunderts, die gepflegten Gärten und hohen gusseisernen Zäune. Wie oft war er diesen Weg zurückgegangen, hatte die Schönheit der Häuser bewundert, die knorrige Wildheit der Bäume und die hügelige Straße, die das Viertel von Ost nach West durchmaß. In etwa zweihundert Meter Entfernung sah er bereits die hohe Kuppel seines Elternhauses, die sich im frühherbstlichen Nachmittagshimmel wie ein Leuchtturm in blauer See abzeichnete.
Langsam, ganz langsam, hatte der Wagen die Geschwindigkeit erhöht. Der Motor, kaum zu hören, summte gleichzeitig lauernd und geduldig wie ein Insekt, das in der Luft schwebte, doch innerhalb von einer Sekunde herabstoßen konnte, um sein Opfer zu fangen, tot oder lebendig.
Der Junge reckte den Hals, um die Kuppel besser im Blick behalten zu können. Er hatte dieses Spiel oft gespielt, die Kuppel betrachtet, während er sich dem Haus genähert und nur aus den Augenwinkeln wahrgenommen hatte, wie die Nachbarhäuser und Gärten langsam an ihm vorbeizogen. Es war der Anblick der Kuppel, die seinen Blick gebannt hielt und ihn nach Hause führte.
Der Wagen kroch näher. Dreißig Meter. Zwanzig Meter. Zehn Meter.
Ein Vogel flog über die Kuppel, der Blick des Jungen heftete sich an ihn, eine Schwalbe, die von links nach rechts durch das spätsommerliche Panorama flog. Seine Augen folgten ihr, bis sie verschwunden war.
Dann ging plötzlich alles ganz schnell.
Zwei der Türen öffneten sich, die Beifahrertür und die Tür rechts hinten schnappten auf wie zwei hungrige Mäuler. Ein Mann wurde von dem Wagen ausgespuckt, sprang hinaus, die Augen hinter einer dunklen Brille. An den Füßen leichte Schuhe aus Segeltuch, deren Schritte man kaum hören konnte.
Er klemmte den Jungen unter den Arm und warf ihn in den hinteren Teil des Wagens, wo zwei Hände sich schon nach ihm ausstreckten und nach der Tür griffen. Im selben Moment wurde auch der Mann von dem schwarzen Auto wieder verschluckt. Beide Türen fielen mit einem leisen, fauchenden Knall zu, während der Wagen, der eben noch mit bedrohlicher Langsamkeit durch das Viertel geglitten war, beschleunigte und zügig aus dem Viertel herausfuhr. Vorbei an den gusseisernen Zäunen, den rosenbekränzten Hecken, den alten Herrenhäusern und der Kuppel der elterlichen Villa.
Der Junge schrie, er schrie so laut er konnte, doch die, die ihn hören konnten, lachten nur. Sie wussten, dass dort drüben in der Kuppelvilla jede Spur seines Lebens bereits ausgelöscht worden war. Ein Leben, das ihm niemals gehört hatte.
13 Jahre Später
1
Tag 1: 1. September 2011
Es sollte eine besondere Nacht für Emily Waters sein. Die erste Nacht im Studentenwohnheim. Morgen früh würde das Semester am King's College London und damit ein neuer Lebensabschnitt beginnen. Englische Sprache und Literatur. Ihr Vater hatte ein paar Bemerkungen in puncto brotlose Kunst gemacht, wusste aber auch genau, dass man als King's-College-Absolvent eigentlich überall einen Job bekam. Zur Not würde Emily zusätzlich noch einen Abschluss in Finanzmanagement machen, wobei sie den Knochenjob ihres Vaters, der in der City of London arbeitete, nicht unbedingt nachahmenswert fand.
»Man sagt, dass die Studentenjahre die besten des Lebens sind«, hatte Pete, der Leiter der Studentenvereinigung vom King's College letzte Woche auf einer Vorab-Info-Veranstaltung verkündet, ein hagerer Rotschopf, der ein blaues T-Shirt mit Aufschrift der Elite-Universität trug. Auf der Veranstaltung hatte er den neuen Studenten die Dienste der Studentenvereinigung erläutert. Einer dieser Dienste war eine eigene Disco, die auf dem Campus betrieben wurde, nämlich der Tutu's Nightclub, benannt nach Desmond Tutu, dem früheren Erzbischof von Südafrika und ebenfalls ein Absolvent des King's College. Dieser Club genoss sowohl bei Studenten als auch bei Externen Kultstatus, schon allein aufgrund der niedrigen Getränkepreise und der häufigen, exzessiven Partys. »Man sagt, dass die Studentenjahre die besten des Lebens sind«, hatte Pete also verkündet und an seinem T-Shirt herumgezupft. »Seht zu, dass es auch so sein wird.«
Vielleicht war es wirklich das Neue und das Ungewisse, das Emily nicht schlafen ließ. Noch gestern hatte ihre Mutter die letzten Sachen aus ihrem Zimmer vorbeigebracht: den alten Sessel, die kleine Palme und den Schreibtischstuhl. Als sie sich am Abend von ihr verabschiedet hatte, war ihre Mutter den Tränen nahe gewesen. Ein wenig tat sie so, als würde ihre Tochter nach Schanghai ziehen, anstatt nur in einen anderen Stadtteil von London.
»Mum, ich bin doch nicht auf dem Mond«, hatte Emily gesagt, »sondern nur eine halbe Stunde von euch entfernt.« Ihre Mutter hatte genickt und gelächelt, aber am liebsten, das wusste Emily, hätte sie sich vor der Tür des Wohnheims zusammengerollt, um auf ihr Baby aufzupassen.
Das hatte sie ihr Leben lang getan. Auf Emily aufgepasst. »Pat, lass ihr die Luft zum Atmen«, hatte ihr Dad oft zu ihrer Mum gesagt. Aber geholfen hatte es nicht wirklich.
Der einzige Trost für ihre Mutter war Julia, eine gute Freundin von Emily, die mit ihr zusammen zur Schule gegangen war und auch am King's College studierte. Sie wohnte im selben Wohnheim - und sie hatte letztendlich den Ausschlag gegeben, dass ihre Mutter Emily überhaupt hatte gehen lassen.
Emily drehte sich auf die andere Seite. Das Laken ihres Betts fühlte sich ungewohnt rau an, und ihr kam der Gedanke, dass sie sich jetzt, in der Stille des alten Wohnheims nahe der Westminster Bridge, wo sich, auf der anderen Seite der Themse, die neugotische Fassade des Britischen Parlaments im Mondlicht erhob, doch ein wenig so fühlte wie auf einem anderen Planeten.
Sie vermisste Drake, ihren vier Jahre alten Yorkshire Terrier, der normalerweise zusammengerollt auf dem Sessel in ihrem Zimmer schlief und für den sie künftig sehr viel weniger Zeit haben würde.
Julia war tatsächlich die einzige Konstante aus ihrem alten Leben. Ihre Freundin würde genauso wie sie Englisch studieren. Julia war ein großer Fan von dem Fußballklub Manchester United und benahm sich, wenn es um ihre Lieblingsmannschaft ging, fast wie ein Kerl. Mit einem Kerl verwechseln konnte man die zierliche Julia mit den halblangen braunen Haaren und den großen, ebenso braunen Augen allerdings nicht.
Sie hatte, wie es ihrer Art war, binnen Stunden mit Gott und der Welt in diesem Wohnheim Freundschaft geschlossen und Emily, die da weitaus schüchterner war, tausend Leuten vorgestellt. Einer von ihnen war Ryan, er studierte Psychologie und Englisch im Nebenfach und kam aus Dublin, was bei einigen Mitbewohnern amüsierte Verwunderung ausgelöst hatte.
»Ein Ire wagt sich ins Herz der Finsternis?«, hatte Julia gesagt, an den Kordeln ihres Kapuzenpullis gezogen, den natürlich ein Manchester-United-Logo schmückte, und Ryan zugezwinkert. Dass Engländer und Iren nicht immer die besten Freunde gewesen waren, war kein Geheimnis, und das King's College, gegründet von King George IV höchstpersönlich, könnte für einen patriotischen Iren durchaus als Kaderschmiede des Britischen Empires und damit als Herz der Finsternis gelten.
»Ich bin hier wegen der James-Joyce-Seminare«, hatte Ryan geantwortet. »Und Joyce war genau wie ich Dubliner.« Dann hatte er Emily angeblickt, und sie hatte in seine dunklen Augen geschaut, die von kurzen schwarzen Haaren umrahmt waren, und irgendwie hatte sie ihn gleich gemocht.
»Und weswegen bist du hier?«, hatte er sie gefragt.
»Ich?«, hatte Emily erwidert. »Mich interessiert eigentlich alles.« Was irgendwie lahm klang. Aber es stimmte. Und war auf jeden Fall die bessere Antwort, als wenn sie die Wahrheit gesagt hätte. Dass sie alles studiert hätte, einfach nur, um endlich von zu Hause wegzukommen.
Scheinwerfer der Autos, die draußen auf der Straße fuhren, ließen Schatten an der Wand ihres Zimmers tanzen.
»Denk dran«, hatte ihre Mum gestern Abend gesagt, »das, wovon du in der ersten Nacht träumst, geht in Erfüllung.«
Doch von Träumen konnte bisher nicht die Rede sein. Denn anstatt zu schlafen und Kraft zu sammeln für den morgigen Tag, der lang werden würde, wälzte sie sich von einer Seite auf die andere.
Es war keine Seltenheit, dass Emily nicht einschlafen konnte. Denn im Schlaf suchten sie nur zu oft diese Bilder heim, und sie waren nicht immer erfreulich, obwohl sie sich meistens gar nicht daran erinnern konnte, was sie genau gesehen hatte. Sie hatte sich eine Zeit lang angewöhnt, das, wovon sie geträumt hatte, aufzuschreiben, doch irgendwann hatte sie wieder damit aufgehört. Vielleicht war es besser, wach zu bleiben, dann würden die Bilder auch nicht kommen.
Ihr Blick glitt über den Schreibtisch in ihrem Studentenzimmer, die Fotos auf dem Regal, den Laptop nebst Tasche auf dem Sessel am Fenster. Auf dem Schreibtisch die Stundenpläne, die Bücher und Mappen für die nächsten Monate. Plötzlich flackerten andere Bilder vor ihrem inneren Auge auf.
Sterne erschienen, ein Himmel aus Sternen, die unnatürlich groß und leuchtend auf sie herabblickten. Kamen diese Sterne näher? Sie wusste es nicht, sie hatte nur den Eindruck, dass die Sterne ihr drohten und sich zu ihr nach unten beugten. Mit einem Mal verschmolzen all die Sterne zu zwei großen Sternen, die plötzlich direkt vor ihr waren, sie anblickten. Dann war da ein Mund, der Worte formte. »Wie groß du geworden bist«, sagte der Mund.
Emily fuhr hoch, merkte, wie ihr das rotblonde Haar an der schweißnassen Stirn klebte. Sie atmete rasselnd und schaltete das Licht an.
Das Zimmer war leer.
Natürlich war es leer. Sie hatte geträumt. Das waren nur die Bilder - und sie hatte sie einmal mehr nicht aufhalten können.
Ihr Blick wanderte durch den Raum und blieb am Fenster hängen. Es stand offen, die Gardinen wehten im Nachtwind ins Zimmer hinein. Sie musste unweigerlich ans Schultheater denken, wo sie damals eine Gespenstergeschichte aufgeführt hatten. Doch damals hatte sie gelacht. Jetzt nicht. Hatte sie das Fenster vorhin aufgemacht? Sie hatte es doch nur gekippt, oder nicht?
Ach, Unsinn! Sie schüttelte den Kopf, um sich selbst zu beruhigen. Das wurde ja immer besser. Kaum war sie von zu Hause weg, schon sah sie Gespenster. Fehlte nur noch, dass sie mit fliegenden Fahnen heim zu Mummy lief!
Entschlossen stand sie auf und schloss das Fenster.
Dann ging sie hinüber zum Spiegel, der über dem Waschbecken in dem kleinen Studentenzimmer hing. Sah ihre blaugrünen Augen, die schon damals, als sie ein Kind war, die Leute in ihren Bann ziehen konnten, sah die rotblonden Haare, die ihr Gesicht umrahmten, sah die vollen Lippen, die sie manchmal zusammenkniff, wie jetzt in diesem Moment, was ihr einen Ausdruck unnachgiebiger Bestimmtheit gab. Sie sah den hellen, leicht keltischen Teint, der ihr jetzt, wo der Schrecken die Farbe aus ihrem Gesicht gezogen hatte und das bläuliche Licht des Mondes und der Straßenbeleuchtung dem Zimmer einen kalten Farbstich gab, viel heller und gespenstischer als sonst erschien.
So stand sie lange da.
Irgendwann erwachte sie aus ihrer Erstarrung, schaltete das Licht aus, legte sich zurück ins Bett und fiel schließlich in einen unruhigen Schlaf.
2
Das Fenster war im zweiten Stock gewesen, also nicht allzu hoch. Er konnte sich ganz einfach vom Dach des Fitnessstudios, das zum Wohnheim dazugehörte, an der Fensterbank nach oben ziehen. Er hatte sie wieder gesehen, so wie damals. Wie groß sie geworden war! Und wie schön! Er hatte ihr Haar gestreichelt und ihren Namen gesagt. Es tat nicht mehr so weh wie früher, wenn er ihren Namen aussprach, und er konnte sie jetzt auch anblicken, ohne dass die Erinnerungen von damals wie Glassplitter in seine Seele stachen.
Er schaute nach oben zum Fenster, drückte sich an die Wand, damit er von oben nicht gesehen werden konnte. Einzig der Stein in seinem Siegelring blitzte kurz im Mondlicht auf.
Dann sah er sie, sah, wie sie aus dem Fenster guckte, ihren Blick nach rechts und links und irgendwo in die Ferne schweifen ließ, dann den Vorhang zuzog und das Fenster schloss.
Sie war verschwunden. Wie ein Geist. Oder wie ein Engel. Er blieb einen Moment dort unten stehen, an der Mauer, während vereinzelt Autos und Lastwagen mit gelblichen Scheinwerfern die nächtliche Straße entlangfuhren, und ein kühler Wind von der Themse her über sein Haar strich.
Er würde sie wiedersehen.
Sehr bald. Er würde sie immer wiederfinden. Und irgendwann würde er sie töten.
© 2012 INK verlegt durch EGMONT Verlagsgesellschaften mbH
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Autoren-Porträt von Veit Etzold
Der studierte Literatur- und Medienwissenschaftler Dr. Veit Etzold ist ein bekannter Bestseller-Autor. Nach einer Tätigkeit als Manager bei Allianz und Dresdner Bank war er Berater bei der Boston Consulting Group im Bereich Financial Services und Mitglied des globalen Strategieinstituts. Ebenso arbeitete er als Dozent für Führungskräfteentwicklung an der IESE Business School und der ESMT in Berlin. Heute berät er Unternehmen in Fragen der strategischen Positionierung. Er ist Verfasser zahlreicher Essays zu strategischen Themen und zur Zukunft des Banking. Veit Etzold promovierte in Medienwissenschaft und hält einen MBA der IESE Business School.
Bibliographische Angaben
- Autor: Veit Etzold
- Altersempfehlung: 14 - 17 Jahre
- 2012, 2. Aufl., 352 Seiten, Maße: 13,5 x 21,5 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Verlag: Ink
- ISBN-10: 3863960483
- ISBN-13: 9783863960483
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