Etwas von den Wurzelkindern

Nur ein kurzes Leben war der Künstlerin vergönnt, und es wäre unendlich traurig, hätte sie nicht dieses Buch hinterlassen. Dieses Bilderbuch ist die schlichteste und gleichzeitig eindeutigste Zurückweisung des Gedankens, der Tod wäre das Ende eines Lebens. Woher wohl die Autorin diese ruhige Gewissheit nahm, dass es kein Ende gibt, sondern ein Nach-Hause-Zurückkehren, in die Arme der Mutter, die sich ihren Kindern zuwendet und sie wieder aufnimmt in die schützende Geborgenheit der Erde. Viele Menschen gruseln sich bei dem Gedanken, dass wir eines Tages "unter die Erde" müssen. Wer aber mit diesem Buch aufgewachsen ist, wird sich nicht mehr fürchten, denn er weiß im tiefsten Innern, dass es in Ordnung ist, wenn wir dorthin zurückgehen, wo wir schon einmal sicher aufgehoben waren. Kinder wissen das übrigens auch. Wenn man sie fragt, woher sie kommen, dann erzählen sie ungefähr so, wie Sibylle von Olfers das in diesem Buch aufgezeichnet hat. Das Leben findet unter der Erde statt. Die "Wurzelkinder", und das sind auch wir Menschen, bevor wir geboren wurden, bereiten sich auf die Geburt und das Leben auf der Erde vor. Alles ist eingeteilt in Phasen, zusammen ergeben sie den Kreislauf des Lebens, der sich öffnet und schließt. In ihm erleben wir den Frühling, den Sommer, den Herbst. Im Winter dann, wenn die Stürme über das Land toben, ist es unter der Erde warm und geschützt. Diese Geschichte ist Balsam für die Seele gegen die Angst vor dem Tod. Und die Verse, voller Anmut und Feinsinnigkeit, zeugen von meisterlichem Sprachgefühl. Die Illustrationen entsprechen der Naturromantik der biedermeierlichen Tradition und verbinden die Kunst des "Jugendstil" mit populären Mitteln, um so dem Harmoniebedürfnis der kindlichen Leser zu entsprechen. Die Künstlerin hat so in einmaliger Weise die Gefühlswelt vieler Generationen angesprochen und tut es