Feuer bitte
eigentlich der Jagd nach einem Heiratsschwindler widmen. Doch dann liegt ihr aktueller Liebhaber tot in ihrer Berliner Wohnung. Als sie dessen Ableben untersucht, stößt sie auf Spuren, die zur EU nach Brüssel führen....
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eigentlich der Jagd nach einem Heiratsschwindler widmen. Doch dann liegt ihr aktueller Liebhaber tot in ihrer Berliner Wohnung. Als sie dessen Ableben untersucht, stößt sie auf Spuren, die zur EU nach Brüssel führen. Der Tote mischte als Lobbyist im Brüsseler Sumpf der Eurokraten mit wo sich
alles um Geld, Macht und Verbrechen dreht. Als Anna tiefer in dieses Dickicht vordringt, findet sie
eine zweite Leiche... »Christine Grän schreibt mit rasierklingenscharfem Witz, listiger Grazie, Lust an der spitzen Formulierung und Musikalität des Stils.« (Der Spiegel)
Anna Marx, die Berliner Detektivin mit dem großen Herzen, fährt ihren alten Jaguar zu Schrott. Ein Crash mit Folgen: Ihr Unfallkontrahent ist Martin Liebling, der so aussieht, wie er heißt, und viel Geld in Brüssel verdient, im Dunstkreis der Eurokraten. Der Lobbyist weiß um die kleinen, schmutzigen Geheimnisse von Politikern, aus denen er Kapital zu schlagen versteht. Liebling verführt Anna mit roten Rosen, teurem Essen und noch teureren Schuhen. Er hofft auf ein leichtes Spiel, denn Annas Geldnöte sind so chronisch wie ihre Schwächen, und ihre Auftragslage ist flau. Sie soll das Motiv für einen Selbstmord aufklären, kommt aber nur quälend langsam voran. Liebling macht ihr ein verlockendes Angebot: die ganze Misere hinter sich zu lassen und mit ihm ein sorgloses Leben auf einer exotischen Insel zu beginnen. Aber Anna traut Liebling nicht über den Weg, und sie hängt an ihrem Berliner Milieu, der Altbauwohnung im Scheunenviertel, der Stammkneipe mit den liebenswürdig-skurrilen Typen. Doch sie muss sich gar nicht entscheiden: Am nächsten Morgen liegt Liebling tot in ihrer Wohnung, erschlagen mit Annas Baseballschläger. Kein schöner Anblick und der Auftakt eines Alptraums, der sie in die Abgründe des Brüsseler Politdschungels führt. Im Kreis der Verdächtigen findet Anna viele, die ein Motiv hätten, doch am Ende kommt es anders, als sie denkt - ganz anders.
Anna Marx ist nicht klein zu kriegen. Wie immer, wenn es schwierig wird, läuft sie zu großer Form auf. Nie verlegen um einen bösen Spruch ist sie mit ihren Lastern und ihrer Moral, mit ihrem Witz und ihrer Begabung, im falschen Moment das Richtige zu sagen, längst eine feste Größe unter den Krimiheldinnen.
"Eine wunderbar spleenige Hauptfigur!" - Bücher
"Endlich ein neuer Fall für die beliebte Detektivin Anna Marx. Auf wunderbar unterhaltsame Weise lässt Christine Grän uns am Leben ihrer selbstkritischen und ironischen Antiheldin teilhaben. Ein spannender und mitreißender Krimi über die Liebe, das Leben und die Dunstkreise der Macht. "
Cosmopolitan
"Ein spannender Krimi um Brüsseler Machenschaften einerseits, eine sensible Auslotung um Frauenfreundschaft, Altern und Begehren andererseits. Anna Marx in Höchstform.' - buchkultur
Feuerbitte von Christine Grän
LESEPROBE
Eswaren die teuersten zehn Sekunden ihres Lebens.
AnnaMarx sah nach rechts auf den Beifahrersitz statt geradeaus
aufdie Straße. Suchte in ihrer Handtasche die Zigaretten,
diesich dem tastenden Griff ihrer Hand entzogen hatten.
ZehnSekunden, in denen ein Wagen in die ampellose Kreuzung
einfährt,die Anna in diesem Augenblick passiert. Als sie
hochsiehtund reagiert, ist es zu spät. Sie weiß es, während sie
mitquietschenden Bremsen auf das Auto zuschlittert. Der
Himmelist so nah, und der andere Wagen groß und blau. Metall
aufMetall kreischt gemein bei Feindberührung. Kann sie
dasWeiß in den Augen des anderen sehen, oder ist es nur der
Reflexihrer Angst? Der Gurt schneidet in ihr Fleisch beim Zusammenprall.
Esgibt Geräusche, die Ohren nie berühren dürften.
Augenblicke,die so bodenlos sind, dass man in ihnen versinken
möchte.Sekunden der absoluten Stille. Anna schließt
ihreAugen und wünscht sich an einen anderen Ort. Nicht die
Hölle,vielleicht die Fidschi-Inseln oder die namibische Wüste.
Dennsie lebt noch, sie kann sich fühlen, und alles scheint an
seinemPlatz zu sein. Nur der Ort ist falsch, die Zeit, die Umstände.
Undwenn sie die Augen nicht öffnet, wird dann alles
nurein Traum sein?
Aufder kaum befahrenen Seitenstraße in Zehlendorf stehen
zweiineinander verkeilte Autos, ein neuer BMW und ein alter
Jaguar.Der Mann steigt aus, er hält die Hand am Nacken, als
wolleer seinen Kopf festhalten. Er betrachtet kurz die traurige
Gestaltseines Wagens und öffnet dann vorsichtig Annas Tür.
Erberührt ihre Schulter. »Sie sind doch nicht tot, oder?«
Annaöffnet die Augen und sieht durch die gesprungene
Scheibein den blauen Himmel. »Nein. Sie?«
»Wirleben noch«, sagt er, »und ich hatte Vorfahrt.«
Esist Zeit, der Katastrophe ins Gesicht zu sehen. Es ist
blass,irgendwo angesiedelt zwischen alt und jung, nicht gänzlich
unsympathisch,obwohl sie ihn zum Teufel wünscht. »Ich
weißdas. Sie hätten trotzdem bremsen können.«
»Hab ich, aber zu spät, wie Sie auch. Man darf sich nicht auf
Vorfahrtsschilderverlassen. Und Sie sollten jetzt aussteigen.
Vielleichtläuft ja Benzin aus, es war eine ziemliche Karambolage.«
AnnasHände zittern, und er hilft ihr, den Gurt zu öffnen.
Sienimmt ihre Tasche, die an allem schuld ist, und hebt vorsichtig
dieBeine aus dem Wagen, fühlt Asphalt unter den Füßen
undblinzelt in die unbeteiligte Sonne. Er stützt sie leicht
amArm, als sie steht, und führt sie auf die andere Seite. »Sieht
ziemlichschlimm aus. Schade um den schönen, alten Wagen.«
Annabringt es kaum fertig hinzusehen. Der Jaguar, der so
vieleJahre ihr Lieblingstier war. Sie kaufte ihn, obwohl sie
wusste,dass er ihre finanziellen Verhältnisse in eine einzige
Mesallianceverwandeln würde. Diese hier ist abgründig: Der
Wagenist abgemeldet. Keine Versicherung. Der MK II stand
dieganze Zeit über in der Garage, sie wollte ihn an diesem
schönenTag ja nur ein wenig ausführen, das Brummen des alten
Motorshören, das Leder riechen
und nun hat sie ihn zu Schrott gefahren und obendrein
einenUnfall verursacht, mit Folgen, die sie nicht bezahlen
kann.Anna wischt sich mit dem Handrücken eine Träne von
derWange. Eine Blutspur bleibt daran, sie hat sich ihren
Handknöchelaufgeschlagen. Nur eine kleine Wunde, doch alles
andereschmerzt schrecklich.
Ersieht sie besorgt an, nein, sie ist nicht der Typ, der anmutig
inOhnmacht sinkt. »Schöne Scheiße«, sagt sie und folgt
ihman den Straßenrand. Anna setzt sich auf einen Stein, der
großgenug erscheint, und sucht in ihrer Handtasche nach den
Zigaretten.Das Tatmotiv, ein Zeichen des Himmels, dass sie
endlichaufhören sollte. Anna nimmt eine Zigarette und hält
ihmdie Packung hin. »Wollen Sie auch eine? Ich finde es nett,
dassSie nicht Ihr Wrack bejammern oder die Frau hinterm
Steuerverdammen.« Das meint sie ernst. Es hätte schlimmer
kommenkönnen. Es kann immer noch schlimmer kommen
Ernimmt eine Zigarette und gibt ihr Feuer. Anna zieht den
Rauchtief ein und sieht ihm in die Augen. Sie sind braun und
vonFältchen umkränzt. Wird er lachen, wenn sie ihm sagt,
dasssie nicht versichert ist?
IhrOpfer bläst Rauch in Annas Richtung. Sein Lächeln erscheint
sorglos.»Ich habe nichts gegen Frauen, auch nicht am
Steuer.Autos sind nur Dinge, und die sind austauschbar. Dafür
gibtes Versicherungen sollten wir nicht die Polizei rufen?«
»Nein.«Anna hält sich die Hand vor den Mund, denn es
warein Schrei, und er sieht sie zum ersten Mal misstrauisch an.
SeinGesicht ist hart geworden, es liegt mehr darin als nur Liebenswürdigkeit
unddie leichte Sicht der Dinge. »Haben Sie
getrunken?Wie heißen Sie überhaupt?«
»AnnaMarx. Und Sie?«
»MartinLiebling. Sehr angenehm wäre jetzt nicht die richtige
Formel,oder? Was haben Sie gegen die Polizei?«
Ichhabe vor einem Jahr einem Bullen in den Unterleib geschossen,
denktAnna, und dass es vielleicht klug wäre, dies
nichtzu erwähnen. Die Wahrheit schmeckt nach Zyankali,
undsie muss ihm das Gift in kleinen Dosen beibringen. Sie
weißnur nicht, wie. Schnell und schnörkellos: »Der Wagen ist
nichtversichert. Er war abgemeldet.«
Annasieht ihn an, während sie das sagt. Mit einem Blick, der
umGnade fleht, vielleicht sogar winselt. Sie hat schöne, grüne
Augen,das weiß sie. Doch der Rest ist nicht unbedingt ge-
schaffen,Männerherzen zu erweichen. Zu alt, sie ist fast einundfünfzig.
Etwasein Jahrgang, aber was heißt das schon im
Geschlechterkampf?Dass sie ihn nicht gewinnen kann.
Lieblingschweigt, als ob er ihre Worte verdauen müsste.
Annaverordnet sich Demut und Buße. »Ich weiß, dass es
dummvon mir war. Es tut mir so Leid. Aber konnte ich ahnen,
dassich einen Unfall baue, wenn ich einmal in zwei Jahren
meinAuto in Bewegung setze? Ich zahle den Schaden, das verspreche
ich.Polizei würde die Sache nur komplizieren zumindest
fürmich. Ich unterschreibe alles, was Sie wollen.«
Sieschafft eine Träne, die, mit Mascara verbunden, über
ihreWange läuft. Er steht mit verschränkten Armen vor ihr,
einFremder, der sie ruinieren wird, so oder so. Eigentlich ist es
ihregal, soll er doch die Polizei rufen, Anna hat keine Lust
mehrauf bedingungslose Unterwerfung. Sie steht auf und zertritt
dieZigarette mit der Schuhspitze. Rote Schuhe von Baldini,
siewaren auch zu teuer. Für alles zahlt man, für jeden
gottverdammtenFehler, und Anna könnte davon ein Lied mit
vielenStrophen singen.
»DieZigarette kann nichts dafür«, sagt Liebling, er ahnt ja
nichts.»Also gut, lassen wir die Polizei. Aber es wird Sie eine
StangeGeld kosten.«
»Spieltkeine Rolle«, erwidert Anna, die vollkommen pleite
ist.Seit Tagen, Monaten und Jahren. Seit sie ihren Job bei der
Zeitungverloren hat und sich als Privatdetektivin durchs Leben
schlägt.Marlowe lässt grüßen, aber der hatte zumindest
aufregendeFälle, während sie sich überwiegend mit entlaufenen
Katzenund Ehebrechern befasst. Nun, Marlowe ist eine
Kunstfigur,und manchmal denkt Anna, dass sie auch eine ist.
Erschaffenvon einem Meister, der mit Verlierern Pingpong
spielt.Sie ist einer seiner Lieblingsbälle, und dieser Aufschlag
warzu hart. Sie würde gerne weinen, aus Selbstmitleid, und
weilsie sich hier und jetzt vom Leben überfordert fühlt.
MartinLiebling hingegen sieht aus, als ob ihn wenig erschüttern
könnte.Gut gefülltes Konto, gut gefüllter Bauch im
gutenAnzug, die richtigen Schuhe und ein nettes Auto, das
schonmal besser ausgesehen hat. Warum musste er in dem Augenblick
einbiegen,als sie für Sekunden unaufmerksam war?
Shithappens, würde Sibylle sagen. Die beste Freundin, die ihr
vielleichtGeld borgen kann. Bis Anna ihren Heiratsschwindler
zurStrecke bringt und die Prämie kassieren kann.
»Eineschicksalhafte Begegnung«, sagt Liebling, während er
seinHandy aus der Brusttasche holt. »Wir hätten beide tot
seinkönnen. Gott sei Dank bin ich einmal nicht zu schnell gefahren.
Ichrufe jetzt den Abschleppdienst, wenn s recht ist. Ich
wagenicht, mir vorzustellen, was die Reparatur Ihres Wagens
kostet.Meinen schätze ich so auf die zehntausend.«
Markoder Euro? Anna bremst die Frage, bevor sie ihre Lippen
erreicht.Sie winkt ein Auto weiter, das stehen blieb. Nein,
siebrauchten keine Hilfe, keine Gaffer, kein Handy. Jederhat
heuteeines, und Liebling weiß sogar die Nummer des Abschleppdienstes.
EinMann, der alles im Leben unter Kontrolle
hat,genauso sieht er aus. Eine schicksalhafte Begegnung? Sie
wäreihr zu gerne ausgewichen. Doch es ereilt dich immer, das
Schicksal,weil du Fehler machst. Letztendlich ist es nur die
Summealler Dummheiten und Zufälle, und diese Summe ergibt
null:den Tod. Ihm noch einmal entkommen zu sein, ist
tröstlich,aber nicht glückbringend.
IhrCrashpartner steht an seinem demolierten Wagen und
telefoniert,während Anna ihr Auto ausräumt: Turnschuhe,
eineWasserflasche, leere Zigarettenschachteln, Zeitschriften.
Siestopft alles in ihre große Tasche, das Füllhorn ihres ungeordneten
Lebens,und setzt sich dann wieder auf den Stein am
Straßenrand.Rauchend. Anna Marx ist ihren Lastern treu ergeben
undpfeift auf Himmelszeichen. Sie nimmt Abschied von
ihremgeliebten MK II, und hierzu braucht sie eine Krücke.
EinGlas Whisky wäre auch gut, aber mitten in der Pampa
kaumzu kriegen. Und sollte er es sich überlegen und doch die
Polizeirufen, wäre es auch nicht klug.
Ersteht in der Sonne und sieht erbarmungswürdig aus.
FünfzehnJahre ist es her, dass sie den Wagen kaufte, mit ihren
erstenund letzten Ersparnissen, denn fortan war der alte Jaguar
ihrSparschwein, ein Gefährt von solcher Fragilität, dass
einplötzlicher Wetterumschwung ihn zum Erliegen brachte.
Beiheftigen Regenfällen blieb er grundsätzlich stehen, und
denWinter mochte er so wenig wie seine Fahrerin, sodass sie
ihnmeistens in der Garage ließ. Er war einfach nur schön, und
vielleichtliebte sie ihn, weil er nicht perfekt funktionierte und
keinaustauschbares Ding war wie Lieblings Fahrzeug. Sie wird
dennachtblauen Gefährten vermissen, obwohl sie ihn in Berlin
sogut wie nie gefahren hat. Deshalb hat sie ihn ja auch abgemeldet,
undwelcher Teufel hat sie geritten, ihn an einem
Samstagnachmittagaus der Garage zu holen?
Fjodorhat bei geöffnetem Fenster gesungen, das war ein
Grund.Fjodor haust über Annas Wohnung und Büro, und er
hältsich für Caruso mit russischem Akzent. Eva Mauz rief an
undfragte, ob der Heiratsschwindler, der Mörder ihrer
Schwester,schon gefasst sei. Der Wasserhahn tropfte, und auf
demSchreibtisch lagen unbezahlte Rechnungen. Draußen
schiendie Sonne. Straßenlärm kroch durch schmutzige Scheiben.
DerGummibaum grinste sie an, ach, es gab tausend
Gründe,warum sie auf diese wahnwitzige Idee verfiel. (...)
©C. Bertelsmann Verlag
- Autor: Christine Grän
- 2006, 253 Seiten, Maße: 14,2 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: C. Bertelsmann
- ISBN-10: 357000841X
- ISBN-13: 9783570008416
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