Feuersünde
Deutsche Erstveröffentlichung
In der Unterwelt herrscht Sutekh, Gott über Chaos und Verderben. Die Welt der Menschen wird von den Isistöchtern behütet. Aber die ewige Ordnung gerät in Gefahr
Seelenjäger Lokan Krayl war immer der Lieblingssohn seines Vaters Sutekh. Bis ihm ein...
Seelenjäger Lokan Krayl war immer der Lieblingssohn seines Vaters Sutekh. Bis ihm ein...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Feuersünde “
Klappentext zu „Feuersünde “
In der Unterwelt herrscht Sutekh, Gott über Chaos und Verderben. Die Welt der Menschen wird von den Isistöchtern behütet. Aber die ewige Ordnung gerät in Gefahr Seelenjäger Lokan Krayl war immer der Lieblingssohn seines Vaters Sutekh. Bis ihm ein grausames Komplott zum Verhängnis wird: Er, der Halbgott, wird ermordet. Jetzt haben ihm seine drei Brüder einen Funken Leben zurückgegeben. Doch Lokan bleibt im Fegefeuer gefangen. Nur wenn es ihm gelingt, durch die zwölf Pforten seines Erzfeindes Osiris zu treten, kann er zurück ins Diesseits und sich an dem Verräter rächen. Diesen schweren Gang kann er jedoch nicht aus eigener Kraft antreten. Er braucht die Hilfe von Bryn Carr, der Frau, mit der er eine unvergessliche Nacht verbracht und die seine Tochter zur Welt gebracht hat. Aber kann Lokan ihr trauen? Und vor allem: Kann er sich selbst trauen, um ihr nicht zu verfallen?
Lese-Probe zu „Feuersünde “
Feuersünde von Eve Silver1. KAPITEL
... mehr
„Und ... was für ein Sternzeichen sind Sie?" Kaum hatte Bryn die Frage ausgesprochen, wäre sie am liebsten im Erdboden versunken. So etwas Peinliches. Etwas Idiotischeres hätte ihr kaum einfallen können. Aber wie sollte ihr auch etwas Geistreiches einfallen, wenn sie doch keine Ahnung hatte, wie das, was sie gerade ausprobierte, funktionierte? Ihr fehlte es einfach an Erfahrung in solchen Dingen.
Ihre letzten drei Versuche waren alle grandios gescheitert. Jetzt war Nummer vier an der Reihe. Vielleicht war das ja die magische Zahl ... Entweder es klappte, oder auch diese letzte Gelegenheit war vertan. Eine weitere Chance würde es nicht geben.
Der Mann, der ihr gegenüber an dieser schicken in Schwarz gehaltenen Bar lehnte, war groß und blond. Seine Kleidung hatte Stil - nicht zu leger, aber auch nicht zu geschniegelt. Er sah muskulös und durchtrainiert aus, allerdings nicht auf die bullige Art, wie sie Bodybuilder an sich haben. Bisher hatte sie ihn nur im Profil betrachten können, und das gefiel ihr recht gut. Gerade Nase, energisches Kinn, kräftiger Unterkiefer. Dass er ein gut aussehender Mann war, schadete nicht, wenn es auch nicht entscheidend war. Entscheidend war allein, was er war.
So viel stand fest: Er war ein Supernatural. Sie merkte es an der Spannung, die in der Luft lag. Möglicherweise war er einer von den kleineren Dämonen. Oder ein Sterblicher mit außergewöhnlich starken übernatürlichen Kräften.
Ein Walker, also ein Seelengänger, war er nicht. Die waren ausschließlich weiblich und besaßen auch nicht die übernatürliche Aura, die hier unverkennbar war. Bryn konnte sich keinen Reim auf diesen Fremden machen, zumal ein bezeichnendes Detail noch hinzukam, nämlich die Tatsache, dass er hier vor ihr stand. Die Mächtigeren der Unterwelt konnten die Grenze zur Oberwelt nicht überschreiten. Soweit wusste sie immerhin Bescheid. Sie hätte sich gewünscht, dass ihre Kenntnisse weiter reichten. Aber ihre Brüder hatten sie von allem abgeschirmt und sie über gewisse Dinge im Unklaren gelassen. Je weniger sie wusste, so lautete die Theorie, desto leichter war sie unter Kontrolle zu halten. Eine ganze Zeit lang hatte das ja auch geklappt.
„Mein Sternzeichen?" Der Fremde drehte ihr den Kopf zu und blickte sie befremdet und leicht amüsiert an. Blaue Augen. Ein interessantes Hellblau, bei dem sie an die Farbe ihrer ausgewaschenen Lieblingsjeans denken musste. Warm, soft, bequem waren die Begriffe, die ihr dazu einfielen.
Was für ein Quatsch.
Der Kerl war alles andere als soft. Sein Blick hatte etwas Unergründliches, Dunkles, woran auch die schöne Augenfarbe nichts änderte.
Aber er war nun einmal ihre letzte Hoffnung, und das hielt sie davon ab, aufzustehen und zu gehen.
„Als Nächstes fragen Sie mich dann wohl, ob ich häufiger hierherkomme?" Er trank, ohne den Blick von ihr zu wenden, einen Schluck von seinem Bier.
Nervös fuhr sie sich mit der Zungenspitze über die Lippen. Er hatte die kleine Bewegung aufmerksam verfolgt. Ein Hoffnungsschimmer, dass sie doch noch erreichte, was sie wollte.
Nach kurzem Zögern nahm sie den Ball auf, den er ihr zugespielt hatte. „Gut, warum nicht. Kommen Sie öfter hierher?"
Er stutzte, dann fing er an zu lachen. Es war ein angenehmes, dunkles Lachen. „Sollte das nicht eigentlich mein Text sein?"
„Ihr Text? Wieso? Sagen Sie das sonst immer?"
Wieder lachte er. „Sie wollen mich auf den Arm nehmen, oder?" Er sah sie unverwandt an, sodass sie sich vorkam wie ein seltenes Insekt unter einem Mikroskop. Doch im nächsten Moment schienen ihm Zweifel zu kommen. „Oder meinen Sie das doch ernst? Na schön, ich lasse mich darauf ein. Kommen Sie öfter hierher?"
„Na klar, dauernd. Ich ..." Dann stieß sie kurz die Luft durch die Nase. Was hatte es für einen Zweck zu lügen? „Nein." Sie war zum ersten Mal hier. Genau wie in den anderen Clubs, die sie die vergangenen sechs Abende ausprobiert hatte. Und sie kannte den Namen dieser Lokalität nur, weil ihr Bruder ihn ein paar Mal erwähnt hatte. Er kam gern hierher, wenn er in Miami war. Und da er am liebsten dort verkehrte, wo man andere Supernaturals traf, hatte sie angenommen, hier auch welche zu finden.
Für gewöhnlich gehörte sie nicht zu den Mädchen, die darauf aus waren, die ganze Nacht Party zu machen. Die drei Ausflüge im letzten Jahr, als es ihr gelungen war, ihren Brüdern zu entwischen, waren die absolute Ausnahme gewesen. Jedes Mal war sie für eine Woche weg gewesen, und jedes Mal war sie nach dem gleichen Muster auf der Pirsch gewesen, um zu vollenden, was getan werden musste.
Diese Nacht hatte sie ihre unwiederbringlich letzte Chance. Wenn sie die nutzte, konnte sie die vorangegangenen Fehlschläge getrost vergessen. Sie musste es schaffen.
Er schaute sie an, als warte er auf eine Erklärung.
„Ich bin zum ersten Mal hier", räumte sie schließlich ein.
Kritisch beäugte er sie von Kopf bis Fuß, sodass sie schon unsicher wurde und sich fragte, was mit ihr verkehrt war. Flecken auf dem T-Shirt vielleicht? Unvermittelt streckte er die Hand nach ihr aus. Instinktiv zuckte sie zurück. Er zögerte eine Sekunde, dann zog er ihr vorsichtig das Haarband heraus, mit dem sie sich einen Pferdeschwanz gebunden hatte. Das glatte braune Haar fiel ihr auf die Schultern.
„Sieht doch so viel hübscher aus", meinte er. „Ich würde es so lassen, wenn ich jemanden aufgabeln wollte." Er drehte sich wieder zur Bar und trank den letzten Schluck Bier aus seiner Flasche.
„Kann ich Sie zu einem Drink einladen?", platzte sie heraus.
Sein Blick sprach Bände. „Ich warte hier auf jemanden." Eine Abfuhr erster Klasse. Immerhin stand er nicht gleich auf und ging. Stattdessen sah er sie wieder prüfend an, als versuchte er, irgendwie aus ihr schlau zu werden.
„Na ja, ich könnte Ihnen ja trotzdem etwas ausgeben. Dann hätten Sie einen Drink, solange Sie warten." Die pure Verzweiflung sprach aus ihren Worten. Einfach nur plump. Das klang alles wie in einer drittklassigen Telenovela. Wenigstens lenkte sie so seine Aufmerksamkeit weiter auf sich, und das war es, worauf es ihr ankam. Es gab niemanden sonst in diesem Club, der für sie infrage kam, niemanden in der ganzen Stadt. Dabei hatte sie gehört, dass die Supernaturals gern nach Miami kamen. Und nach Vegas. Aber Vegas ging gar nicht.
So hatte sie sich für Miami entschieden. Es war ihre siebte und damit allerletzte Nacht auf ihrer Suche. Der Typ neben ihr war der Erste, mit dem es klappen konnte. Entweder sie wurde heute schwanger oder überhaupt nicht mehr.
„Möglicherweise bin ich ja diejenige, auf die Sie warten." Frontalangriff. Gar nicht so schlecht, dachte sie, legte den Kopf ein wenig zur Seite und stellte herausfordernd die Hüfte heraus.
Er schaute sich wie suchend um und schüttelte dann den Kopf. „Die ganze Zeit kommt es mir so vor, als müsste hier irgendwo eine Kamera sein."
„Eine Kamera?"
„Ja." Er musterte kurz ihre merkwürdige Pose. „Wie hieß diese Fernsehsendung noch? Candid Camera oder so ähnlich." Dann wanderte sein Blick zu den anderen Gästen im Club. Die Lichter, die von der Tanzfläche herüberstrahlten, zuckten über sein Gesicht. Sie geriet in Panik. Er begann, das Interesse an ihrer Unterhaltung zu verlieren. Jeden Augenblick konnte er sie an dieser Bar stehen lassen und gehen.
So rückte sie ein Stück näher an ihn heran, aber er wich sofort zurück. „Hat Mal Sie auf mich angesetzt?", fragte er plötzlich.
„Mal?" War das der Name einer Frau? Vielleicht einer, die viel besser wusste als sie, wie man einen Mann umgarnt? Mist. Ihr sank der Mut. „Wer soll das sein?"
„Mein Bruder."
Ein Stein fiel ihr vom Herzen. „Ihr Bruder? Ich habe auch einen Bruder", erklärte sie. „Das heißt, genau genommen habe ich drei Brüder. Alle ein ganzes Stück älter als ich."
„Ach ja?" Ihre Auskunft schien ihn nicht sonderlich zu freuen. „Sind sie auch hier?"
Das fehlte gerade noch. Allein daran zu denken versetzte sie in Panik. „Nein, Gott sei Dank nicht. Ich meine ...", sie machte eine unsichere Handbewegung, „... weiß der Himmel, ob es Gott überhaupt gibt. Oder den Himmel. Was ich damit sagen wollte ... das ist ja nur so eine Redensart. Also ..."
Sein Interesse war plötzlich wieder da. Das Lächeln, mit dem er sie jetzt ansah, sah richtig nett aus. „Soso, drei Brüder. Dann haben wir ja sogar etwas gemeinsam."
„Auch drei Brüder? Ach ja, einen erwähnten Sie ja schon. Mal, wenn ich richtig verstanden habe, nicht wahr? Sind Ihre Brüder auch älter als Sie?"
„Oh Mann, Sie reden wie ein Wasserfall", bemerkte er, ohne seine freundliche Gelassenheit zu verlieren. „Und Sie stellen einen Haufen neugieriger Fragen. Ist das immer so bei Ihnen?"
Sie hatte schon Luft geholt, verstummte dann aber lieber, um sich ihre Antwort dieses Mal besser zu überlegen. „Ja", antwortete sie dann. So war es wirklich immer mit ihr. Ein Freund - genauer gesagt war es ein bezahlter Aufpasser, den ihre Brüder für sie engagiert hatten - hatte ihr einmal gesagt, sie habe keinen Filter. Und dass sie redete, weil sie Pausen und Schweigen nicht ertragen könne.
„Immerhin ehrlich." Leicht hob er eine Augenbraue. „Aber schon ein bisschen merkwürdig." Er lächelte ein wenig schief. „Normalerweise ist das eine Mischung, die ich nicht so anziehend finde." So, wie er das betonte, rechnete sie sich aus, fand er es bei ihr eventuell doch ganz anziehend.
Er gab dem Barkeeper einen Wink mit seiner Bierflasche und bestellte eine zweite Runde: „Ich hätte gern noch eines. Und meine zauberhafte neue Freundin hier nimmt ...?" Fragend sah er sie an.
Was sollte sie bestellen? Alkoholisches trank sie nur sehr selten. Sie mochte den Geschmack nicht. Außerdem wusste sie natürlich, dass Frauen in der Schwangerschaft die Finger davon lassen sollten. Ob das auch für Frauen galt, die guter Hoffnung waren, schwanger zu werden, vermochte sie nicht zu entscheiden.
Der Barkeeper und der blonde Supernatural sahen sie immer noch erwartungsvoll an. Dann legte sie dem Fremden die Hand auf den Arm und zuckte regelrecht zusammen, als sie ihn berührte, so stark wirkte seine Ausstrahlung auf sie. Trotzdem war das Gefühl gut, seine festen Muskeln zu spüren.
„Ich nehme ... dich", entschied sie kurz entschlossen.
Er blickte sie verwundert an, aber sie wich seinem Blick nicht aus. Dann blickte er sich um, konnte offenbar nicht entdecken, wonach er Ausschau hielt, und meinte schließlich mit einem Achselzucken: „Warum zum Teufel eigentlich nicht."
Lokan konnte sich nicht erklären, warum dieses Mädchen so heiß darauf war, ihm an die Wäsche zu gehen. Sicherlich, ihm war nicht neu, dass er auf Frauen anziehend wirkte. Aber das hier war übertrieben. Die Frau war ein wenig zu zielstrebig. Sie wirkte beinahe schon verzweifelt.
Hübsch war sie ja. Braune Augen, dunkles, braunes Haar, das ihr glatt und seidig auf die Schultern fiel, nachdem er ihr das Haarband herausgenommen hatte. Er konnte sich vorstellen, dass sie Asiaten unter ihren Vorfahren hatte, Japaner vielleicht. Schwer zu sagen. Aber das würde zu ihrem wunderbaren Teint, dem Schnitt ihrer Augen und feingliedrigen Körperbau passen. Sie hatte einen schönen Mund mit vollen Lippen, zum Küssen schön. Merkwürdig, dass ihm das erst jetzt auffiel.
Als sie sich an ihn herangemacht hatte, war er zunächst amüsiert gewesen, dann skeptisch, weil er den Verdacht hatte, dass Malthus mit einem seiner ausgefallenen Scherze dahintersteckte. Inzwischen ließ er das Ganze entspannt auf sich zukommen.
Es gab Unangenehmeres, als sich ein paar schöne Stunden beim Sex mit einer schönen Frau zu machen, auch wenn sie ein bisschen sonderbar war. Und da Malthus und Dagan ihn offenbar versetzt hatten, hatte er auch nichts Besseres vor.
Er schickte eine SMS an die beiden, in der er ihnen mitteilte, dass er nicht länger auf sie wartete. Dann machte er eine Handbewegung in Richtung Ausgang und meinte: „Nach dir, meine Süße."
Sie folgte seiner Aufforderung, und er ging hinter ihr her, wobei er es sich nicht nehmen ließ, ausgiebig ihren Hüftschwung zu bewundern. Wirklich hübsche Figur, dachte er. Auch die fiel ihm erst jetzt ins Auge. Anscheinend wurde dieses Mädchen von Minute zu Minute attraktiver.
Zudem hatte sie auf eine gewisse Weise sein Interesse geweckt. Irgendwie war sie ... anders. Obwohl sie nicht gerade ein stilles Wasser zu sein schien und ihr Herz scheinbar auf der Zunge trug, konnte er sich vorstellen, dass sich hinter dieser zur Schau gestellten Offenherzigkeit in tieferen Schichten manch bemerkenswerte, möglicherweise sogar faszinierende Überraschung verbarg.
Sie drehte sich nach ihm um, als wollte sie sich vergewissern, ob er auch wirklich hinterherkam. In diesem Moment schaute er ihr tief in die Augen, so tief, dass er bis in ihr Ka, ihre Seele, blicken konnte, eine der speziellen Fähigkeiten, die Seelensammler besitzen. Ihre Seele war leuchtend und rein und ...
Zack! Aus! Es war, als hätte sie ihm die Tür vor der Nase zugeknallt. Er sah ihre schönen, dunklen Augen, ihre langen, geschwungenen Wimpern, aber mehr auch nicht. Ihr Ka blieb ihm verschlossen. Es gab einige wenige Sterbliche, die es schafften, ihr Ka vor einem Seelensammler zu verbergen. Er hatte schon von ihnen gehört, aber in den ganzen Jahrhunderten, die er jetzt schon als Reaper in Sutekhs Diensten stand, war ihm noch kein einziger von ihnen begegnet. Das mit den tieferen Schichten schien sich zu bestätigen.
Als sie draußen waren, blieb sie am Bordstein stehen und schaute unschlüssig die Straße hinauf und hinunter.
„Zu dir oder zu mir?", fragte Lokan. Er dachte immer noch, dass diese Szene nicht real war, dass gleich aus irgendeiner Seitenstraße ein Haufen gleichaltriger Freunde von ihr hervorstürzen würde, um ihr albern kichernd zu einer gewonnenen Wette zu gratulieren. Diese Frau war einfach nicht der Typ dafür, aus einer Bar einen One-Night-Stand abzuschleppen.
Aber sie sah ihn nur stumm an und maß ihn eingehend von Kopf bis Fuß mit einem Blick, als wollte sie seine Anzuggröße taxieren. Ihr Benehmen hatte definitiv etwas Irritierendes an sich. Aber trotzdem machte ihr Verhalten ihn neugierig. Welche Knöpfe musste man bei ihr drücken, damit sie ansprang? Solche Herausforderungen hatten ihn schon immer gereizt.
„Du siehst gut aus", meinte sie in einem Ton, der so nüchtern und sachlich klang, dass es unmöglich als Kompliment gemeint sein konnte. „Auch wenn das in diesem Fall keine Rolle spielt."
Lokan lachte. „Hast du jemals überlegt, was du so redest?"
Sie schlug die Hand vor den Mund und machte ein betroffenes Gesicht. „Oh, tut mir leid", sagte sie leise. „So hatte ich das nicht gemeint."
„Aber klar. Dich reizt natürlich nicht das Aussehen, sondern eher der funkelnde, vor Witz sprühende Intellekt, den du an mir in unserem tiefsinnigen Gespräch eben in der Bar selbstverständlich wahrgenommen hast."
„Nein. Ja ... Quatsch." Sie schüttelte unwillig den Kopf. „Alles, was ich will, ist Sex."
Er lachte wieder. Er konnte nicht anders. Sie zog die Brauen zusammen und sah dabei gleichzeitig reichlich verwirrt und bezaubernd aus. Er war versucht, ihr sacht über die Stirn zu streichen, um diese beiden steilen Falten zwischen ihren Brauen zu glätten, ließ es aber besser sein. Wenn er sie jetzt anfasste, könnte sie zurückschrecken, und das wollte er nun auch nicht mehr.
„Wie wär's, wenn ich mich erst einmal vorstelle? Ich heiße Lokan. Lokan Krayl." Er streckte ihr artig die Hand hin.
Sie blickte nur wie geistesabwesend auf diese Hand. Er wollte sie gerade wieder wegnehmen, da schlug sie doch ein und sagte: „Ich bin Bryn ... äh ... Carr. Ich meine Carrie."
„Was denn nun? Bryn oder Carrie?" Sie wirkte so nervös, dass er erwartet hätte, dass ihre Hand kalt und feucht sein würde. Aber sie fühlte sich warm und weich an, und unwillkürlich drückte er ein wenig zu und hielt sie fest, als sie ihre Hand zurückziehen wollte. Er strich ihr mit dem Daumen über den Handrücken und spürte ihre zarten Knöchel.
„Belassen wir es für heute bei Carrie", meinte sie und starrte unverwandt auf ihre Hand, die von seiner nicht losgelassen wurde. Sie machte keinen Versuch mehr, sie wegzuziehen, schnappte aber nach Luft, als er ihr noch einmal mit dem Daumen darüberstrich. „Du kannst auch gerne Bryn zu mir sagen."
„Okay. Und das wäre dann dein richtiger Name?"
„Spielt das eine Rolle?" Sie lächelte tapfer, obwohl sie wusste, dass sie schon wieder etwas falsch gemacht hatte.
„Hattest du tatsächlich vor, einen falschen Namen zu benutzen?"
„Ja, hatte ich. Aber ich bin nicht besonders gut in solchen Räuber-und-Gendarm- Geschichten. Und ...", sie machte mit der freien Hand eine vage Geste, „... in anderen auch nicht."
„In was für anderen?"
„Na ja, dies hier." Sie zeigte zwischen ihnen beiden hin und her. „Das mit uns."
„Ach so, du meinst, jemanden an der Bar anzusprechen und dann abzuschleppen?" Er fand die ganze Unterhaltung höchst amüsant.
Sie hob den Kopf und sah ihn an. Ihre Augen glänzten im Licht der Straßenlaterne. Schöne, sehr schöne Augen, dachte er. Er konnte ihre Haut und ihr Haar riechen und beugte sich etwas vor, um dem Duft näher zu kommen. Herrlich, zum Anbeißen. Am liebsten hätte er ihr am Hals entlanggeleckt.
„Du riechst gut, wie frisch gebackene Weihnachtsplätzchen", sagte er leise. „Und ich habe eine Schwäche für Süßes."
„Ich hatte kein Parfüm. Normalerweise trage ich keines. Aber da ich heute in diese Bar kommen wollte, habe ich mir gedacht, dass es vielleicht doch besser wäre. Ich habe mal gelesen, dass man auch Vanillearoma nehmen kann." Die Sätze sprudelten nur so aus ihr hervor. „Übrigens backe ich tatsächlich sehr gern. Plätzchen, Kekse ... Nur essen mag ich sie nicht. Ich habe nicht viel für Gebäck und Süßigkeiten übrig."
Auch wenn Lokan kaum darauf achtete, was sie alles erzählte, hörte er auf ihre Stimme. Sie gefiel ihm. Sie klang so angenehm. Sie war sanft, warm und einschmeichelnd, so wie sich ihre Haut anfühlen musste.
„Ich schon." Darin war er seinen Brüdern gleich. Für sie alle war der Konsum von Zucker in jeder erdenklichen Form kein eigentliches Naschen, sondern eine Notwendigkeit, um sich bei Kräften zu halten. Der besondere Stoffwechsel ihrer halb menschlichen, halb göttlichen Natur verlangte von Zeit zu Zeit nach einem Schub.
Er trat dicht an sie heran. Sie legte den Kopf in den Nacken und sah ihn mit großen Augen an. Ihre Pupillen kamen ihm geweitet vor. War es Furcht? Verlangen? Er hoffte auf Letzteres, aber ganz sicher war er sich nicht. Ihre Reaktion auf einen Kuss würde es zeigen, und dazu kam, dass ihn gerade wieder ein Heißhunger auf Süßes befiel. Nur war die Süßigkeit, nach der es ihn jetzt verlangte, sie.
Langsam, ganz langsam beugte er sich zu ihr, sodass ihr genügend Zeit blieb, es sich anders zu überlegen und ihn abzuweisen. Begierig sog er den Duft ein, den sie verströmte. Tatsächlich Vanille - aber noch etwas anderes, ähnlich Köstliches.
„Erdbeer-Shampoo?", fragte er. Seine Lippen berührten fast schon ihre.
„Ja. Es heißt Strawberry Blast. Ich wollte eigentlich Kokosnuss, aber das war ausverkauft. Und diese Sorte gab es im Angebot. Da habe ich gleich zwei Flaschen gekauft. Ich ..."
Lokan küsste sie und brachte so ihren Redefluss zum Versiegen. Schien sie erst noch überrascht, war sie es im nächsten Augenblick, die ihn überraschte. Es war, als hätte er den Schalter gefunden und etwas bei ihr angeknipst. Sie erwiderte seinen Kuss nicht nur, sondern ergriff selbst die Initiative. Indem sie sich auf die Zehenspitzen stellte, drängte sie sich an ihn. Sie leckte ihm erst quer über den Mund und stieß dann mit der Zunge über seine Lippen, bevor sie sich wieder zurückzog.
Was für ein Vorgeschmack. Was für eine Anmache.
Mit ungeahnter Heftigkeit war Lokans Verlangen entbrannt. Er wollte mehr. Ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, dass sie hier in aller Öffentlichkeit mitten auf der Straße standen, griff er ihr ins lange, seidige Haar, packte es und bog ihr den Kopf nach hinten, sodass er sie voller Hingabe küssen konnte.
Bryn wiegte sich in den Hüften, rieb sich mit den Brüsten an ihm, fuhr ihm mit den Handflächen über Schulter und Rücken und dann mit den Fingern durchs Haar. Sie war nicht gerade zimperlich und ließ ihrer Lust freien Lauf, von der er geradezu überrollt wurde. Dieses Mädchen ging eindeutig aufs Ganze.
Er legte den Kopf ein wenig auf die Seite, um ihr noch näher zu kommen, um sie noch einmal noch leidenschaftlicher und härter zu küssen. Dabei hörte er, wie sie einen hinreißend schönen Laut von sich gab, etwas zwischen Seufzen und Stöhnen. Sie war schon ein Ausbund von Widersprüchlichkeiten, die kleine Miss Bryn. Und sie war heiß wie ein Vulkan.
Seine Hand glitt langsam über ihre Taille und die Hüften, aber dann besann er sich und ihm fiel wieder ein, dass sie hier nicht allein waren. Also legte er einen Arm um sie und fragte erneut: „Wohin nun? Zu dir oder zu mir?"
Ein paar Sekunden vergingen. Dann machte sie sich von ihm los und sah ihn mit großen Augen an. Ihr Mund war noch feucht von seinen Küssen. Es schien, als müsse sie ihre Gedanken erst sammeln. Schließlich sagte sie: „Zu dir."
Mehr wollte er nicht hören. Noch einmal küsste er sie, allein um ihr leises Stöhnen noch einmal zu hören, das ihm einheizte. Ihre Finger krallten sich in sein Hemd. Im nächsten Moment hatte sie es ihm aus dem Hosenbund gezogen und bohrte ihm die Fingernägel in die nackte Haut des Rückens. Als er ihr den Rücken entlangstrich und ihren Po mit den Händen umfasste, tat sie es ihm gleich und presste sich mit dem Becken an ihn. Er konnte sich ihren zügellosen Übereifer nur mit einem Mangel an Erfahrung erklären. Aber das sollte ihm recht sein. Er stellte sich gern zur Verfügung, wenn sie etwas dazulernen wollte. Sie war eine erstaunliche Mischung aus scharf und süß, und er war verblüfft, wie leicht es ihr gelang, ihn auf Touren zu bringen.
Lokan löste die Lippen von ihr, und Bryn stieß einen tiefen Seufzer aus, als er sie losließ. Ihre feuchten Lippen schienen nach den Küssen noch voller zu sein. Ihre Augen glänzten, und ihr Haar war zersaust. All das fand er höllisch sexy.
Und dennoch schrillten in seinem Hinterkopf die Alarmglocken. Irgendwie passte es nicht zusammen. Als sie im Club auftauchte, hatte sie ihr Haar zu einem artigen Pferdeschwanz zusammengebunden. Ihr Outfit bestand in einer gewöhnlichen Jeans, einem T-Shirt und einer Jeansjacke. Das war nicht gerade die Aufmachung, die eine Frau auswählen würde, wenn sie ausging, um jemanden aufzureißen. Dazu ihre offenkundige Unerfahrenheit, die sie auch nicht dahinter verbergen konnte, dass sie sich so forsch und zielstrebig gab. Alles zusammen Grund genug, gewaltig auf der Hut zu sein.
Lokan zog sie an sich und küsste sie noch einmal. No risk, no fun. Das galt für ihn wenigstens, solange es nicht um die politischen Geschäfte ging, die er für seinen Vater erledigte.
Malthus betrachtete den Text auf seinem Handy. Die SMS von Lokan ergab keinen Sinn. Er hatte sich mit seinem Bruder nicht in Miami verabredet. Wie auch immer. Vermutlich war die Nachricht für Alastor oder Dagan gedacht.
Achselzuckend steckte er das Mobiltelefon wieder ein. Gleich darauf stützte er sich mit der Hand ab. Es war nicht einfach, das Gleichgewicht in einem Cockpit zu halten, wenn die Maschine gerade dabei war, abzuschmieren. Die führerlose Cessna taumelte ihrem Absturz entgegen.
Malthus sah dem Piloten vor ihm ins Gesicht. Der hing, so konnte man es ausdrücken, hilflos in den Seilen.
„Wo waren wir stehen geblieben?", fragte Malthus.
Er zog die Hand aus dem Brustkasten des Mannes, und mit ihr riss er das Herz heraus. Der Körper des Piloten fiel mit einem Plumps zu Boden und schlitterte dann der Schwerkraft folgend in Richtung des Bugs der Maschine.
Malthus steckte das Herz in eine Ledertasche, die er um die Schulter trug. Dann ging er noch einmal auf den leblosen Körper zu und steckte erneut die Hand in die riesige, klaffende Wunde. Draußen kamen die Baumkronen allmählich bedrohlich näher. Malthus wartete. Viel Zeit blieb ihm nicht mehr. Fünf, vielleicht noch zehn Sekunden.
„Hab dich", rief er, als sich die Schwarze Seele seines Opfers um sein Handgelenk wand und sich dann den Unterarm hinaufschlängelte.
Das Timing war dieses Mal wirklich ein wenig zu extrem gewesen. Als Malthus sich aufrichtete, nachdem er ein Feuerband um die erbeutete Seele gelegt hatte, schrammte der Rumpf des Flugzeugs bereits über die ersten Wipfel. Rasch öffnete Malthus ein Portal und trat in das schwarz gähnende, frostig kalte Loch zwischen den Dimensionen. Im nächsten Augenblick zerschellte die zweimotorige Maschine und ging in einem gewaltigen Feuerball auf.
Malthus spürte den Kick, den ihm das Adrenalin in seinem Blut verschaffte. So schlecht war das Timing doch nicht, dachte er. Man müsste das nächste Mal vielleicht noch einen Tick länger abwarten.
Er liebte es, wenn er mit seinem Schicksal spielen konnte, erst recht wenn es auf Messers Schneide stand.
© 2011 by Eve Silver
Übersetzer: Thomas Hase
„Und ... was für ein Sternzeichen sind Sie?" Kaum hatte Bryn die Frage ausgesprochen, wäre sie am liebsten im Erdboden versunken. So etwas Peinliches. Etwas Idiotischeres hätte ihr kaum einfallen können. Aber wie sollte ihr auch etwas Geistreiches einfallen, wenn sie doch keine Ahnung hatte, wie das, was sie gerade ausprobierte, funktionierte? Ihr fehlte es einfach an Erfahrung in solchen Dingen.
Ihre letzten drei Versuche waren alle grandios gescheitert. Jetzt war Nummer vier an der Reihe. Vielleicht war das ja die magische Zahl ... Entweder es klappte, oder auch diese letzte Gelegenheit war vertan. Eine weitere Chance würde es nicht geben.
Der Mann, der ihr gegenüber an dieser schicken in Schwarz gehaltenen Bar lehnte, war groß und blond. Seine Kleidung hatte Stil - nicht zu leger, aber auch nicht zu geschniegelt. Er sah muskulös und durchtrainiert aus, allerdings nicht auf die bullige Art, wie sie Bodybuilder an sich haben. Bisher hatte sie ihn nur im Profil betrachten können, und das gefiel ihr recht gut. Gerade Nase, energisches Kinn, kräftiger Unterkiefer. Dass er ein gut aussehender Mann war, schadete nicht, wenn es auch nicht entscheidend war. Entscheidend war allein, was er war.
So viel stand fest: Er war ein Supernatural. Sie merkte es an der Spannung, die in der Luft lag. Möglicherweise war er einer von den kleineren Dämonen. Oder ein Sterblicher mit außergewöhnlich starken übernatürlichen Kräften.
Ein Walker, also ein Seelengänger, war er nicht. Die waren ausschließlich weiblich und besaßen auch nicht die übernatürliche Aura, die hier unverkennbar war. Bryn konnte sich keinen Reim auf diesen Fremden machen, zumal ein bezeichnendes Detail noch hinzukam, nämlich die Tatsache, dass er hier vor ihr stand. Die Mächtigeren der Unterwelt konnten die Grenze zur Oberwelt nicht überschreiten. Soweit wusste sie immerhin Bescheid. Sie hätte sich gewünscht, dass ihre Kenntnisse weiter reichten. Aber ihre Brüder hatten sie von allem abgeschirmt und sie über gewisse Dinge im Unklaren gelassen. Je weniger sie wusste, so lautete die Theorie, desto leichter war sie unter Kontrolle zu halten. Eine ganze Zeit lang hatte das ja auch geklappt.
„Mein Sternzeichen?" Der Fremde drehte ihr den Kopf zu und blickte sie befremdet und leicht amüsiert an. Blaue Augen. Ein interessantes Hellblau, bei dem sie an die Farbe ihrer ausgewaschenen Lieblingsjeans denken musste. Warm, soft, bequem waren die Begriffe, die ihr dazu einfielen.
Was für ein Quatsch.
Der Kerl war alles andere als soft. Sein Blick hatte etwas Unergründliches, Dunkles, woran auch die schöne Augenfarbe nichts änderte.
Aber er war nun einmal ihre letzte Hoffnung, und das hielt sie davon ab, aufzustehen und zu gehen.
„Als Nächstes fragen Sie mich dann wohl, ob ich häufiger hierherkomme?" Er trank, ohne den Blick von ihr zu wenden, einen Schluck von seinem Bier.
Nervös fuhr sie sich mit der Zungenspitze über die Lippen. Er hatte die kleine Bewegung aufmerksam verfolgt. Ein Hoffnungsschimmer, dass sie doch noch erreichte, was sie wollte.
Nach kurzem Zögern nahm sie den Ball auf, den er ihr zugespielt hatte. „Gut, warum nicht. Kommen Sie öfter hierher?"
Er stutzte, dann fing er an zu lachen. Es war ein angenehmes, dunkles Lachen. „Sollte das nicht eigentlich mein Text sein?"
„Ihr Text? Wieso? Sagen Sie das sonst immer?"
Wieder lachte er. „Sie wollen mich auf den Arm nehmen, oder?" Er sah sie unverwandt an, sodass sie sich vorkam wie ein seltenes Insekt unter einem Mikroskop. Doch im nächsten Moment schienen ihm Zweifel zu kommen. „Oder meinen Sie das doch ernst? Na schön, ich lasse mich darauf ein. Kommen Sie öfter hierher?"
„Na klar, dauernd. Ich ..." Dann stieß sie kurz die Luft durch die Nase. Was hatte es für einen Zweck zu lügen? „Nein." Sie war zum ersten Mal hier. Genau wie in den anderen Clubs, die sie die vergangenen sechs Abende ausprobiert hatte. Und sie kannte den Namen dieser Lokalität nur, weil ihr Bruder ihn ein paar Mal erwähnt hatte. Er kam gern hierher, wenn er in Miami war. Und da er am liebsten dort verkehrte, wo man andere Supernaturals traf, hatte sie angenommen, hier auch welche zu finden.
Für gewöhnlich gehörte sie nicht zu den Mädchen, die darauf aus waren, die ganze Nacht Party zu machen. Die drei Ausflüge im letzten Jahr, als es ihr gelungen war, ihren Brüdern zu entwischen, waren die absolute Ausnahme gewesen. Jedes Mal war sie für eine Woche weg gewesen, und jedes Mal war sie nach dem gleichen Muster auf der Pirsch gewesen, um zu vollenden, was getan werden musste.
Diese Nacht hatte sie ihre unwiederbringlich letzte Chance. Wenn sie die nutzte, konnte sie die vorangegangenen Fehlschläge getrost vergessen. Sie musste es schaffen.
Er schaute sie an, als warte er auf eine Erklärung.
„Ich bin zum ersten Mal hier", räumte sie schließlich ein.
Kritisch beäugte er sie von Kopf bis Fuß, sodass sie schon unsicher wurde und sich fragte, was mit ihr verkehrt war. Flecken auf dem T-Shirt vielleicht? Unvermittelt streckte er die Hand nach ihr aus. Instinktiv zuckte sie zurück. Er zögerte eine Sekunde, dann zog er ihr vorsichtig das Haarband heraus, mit dem sie sich einen Pferdeschwanz gebunden hatte. Das glatte braune Haar fiel ihr auf die Schultern.
„Sieht doch so viel hübscher aus", meinte er. „Ich würde es so lassen, wenn ich jemanden aufgabeln wollte." Er drehte sich wieder zur Bar und trank den letzten Schluck Bier aus seiner Flasche.
„Kann ich Sie zu einem Drink einladen?", platzte sie heraus.
Sein Blick sprach Bände. „Ich warte hier auf jemanden." Eine Abfuhr erster Klasse. Immerhin stand er nicht gleich auf und ging. Stattdessen sah er sie wieder prüfend an, als versuchte er, irgendwie aus ihr schlau zu werden.
„Na ja, ich könnte Ihnen ja trotzdem etwas ausgeben. Dann hätten Sie einen Drink, solange Sie warten." Die pure Verzweiflung sprach aus ihren Worten. Einfach nur plump. Das klang alles wie in einer drittklassigen Telenovela. Wenigstens lenkte sie so seine Aufmerksamkeit weiter auf sich, und das war es, worauf es ihr ankam. Es gab niemanden sonst in diesem Club, der für sie infrage kam, niemanden in der ganzen Stadt. Dabei hatte sie gehört, dass die Supernaturals gern nach Miami kamen. Und nach Vegas. Aber Vegas ging gar nicht.
So hatte sie sich für Miami entschieden. Es war ihre siebte und damit allerletzte Nacht auf ihrer Suche. Der Typ neben ihr war der Erste, mit dem es klappen konnte. Entweder sie wurde heute schwanger oder überhaupt nicht mehr.
„Möglicherweise bin ich ja diejenige, auf die Sie warten." Frontalangriff. Gar nicht so schlecht, dachte sie, legte den Kopf ein wenig zur Seite und stellte herausfordernd die Hüfte heraus.
Er schaute sich wie suchend um und schüttelte dann den Kopf. „Die ganze Zeit kommt es mir so vor, als müsste hier irgendwo eine Kamera sein."
„Eine Kamera?"
„Ja." Er musterte kurz ihre merkwürdige Pose. „Wie hieß diese Fernsehsendung noch? Candid Camera oder so ähnlich." Dann wanderte sein Blick zu den anderen Gästen im Club. Die Lichter, die von der Tanzfläche herüberstrahlten, zuckten über sein Gesicht. Sie geriet in Panik. Er begann, das Interesse an ihrer Unterhaltung zu verlieren. Jeden Augenblick konnte er sie an dieser Bar stehen lassen und gehen.
So rückte sie ein Stück näher an ihn heran, aber er wich sofort zurück. „Hat Mal Sie auf mich angesetzt?", fragte er plötzlich.
„Mal?" War das der Name einer Frau? Vielleicht einer, die viel besser wusste als sie, wie man einen Mann umgarnt? Mist. Ihr sank der Mut. „Wer soll das sein?"
„Mein Bruder."
Ein Stein fiel ihr vom Herzen. „Ihr Bruder? Ich habe auch einen Bruder", erklärte sie. „Das heißt, genau genommen habe ich drei Brüder. Alle ein ganzes Stück älter als ich."
„Ach ja?" Ihre Auskunft schien ihn nicht sonderlich zu freuen. „Sind sie auch hier?"
Das fehlte gerade noch. Allein daran zu denken versetzte sie in Panik. „Nein, Gott sei Dank nicht. Ich meine ...", sie machte eine unsichere Handbewegung, „... weiß der Himmel, ob es Gott überhaupt gibt. Oder den Himmel. Was ich damit sagen wollte ... das ist ja nur so eine Redensart. Also ..."
Sein Interesse war plötzlich wieder da. Das Lächeln, mit dem er sie jetzt ansah, sah richtig nett aus. „Soso, drei Brüder. Dann haben wir ja sogar etwas gemeinsam."
„Auch drei Brüder? Ach ja, einen erwähnten Sie ja schon. Mal, wenn ich richtig verstanden habe, nicht wahr? Sind Ihre Brüder auch älter als Sie?"
„Oh Mann, Sie reden wie ein Wasserfall", bemerkte er, ohne seine freundliche Gelassenheit zu verlieren. „Und Sie stellen einen Haufen neugieriger Fragen. Ist das immer so bei Ihnen?"
Sie hatte schon Luft geholt, verstummte dann aber lieber, um sich ihre Antwort dieses Mal besser zu überlegen. „Ja", antwortete sie dann. So war es wirklich immer mit ihr. Ein Freund - genauer gesagt war es ein bezahlter Aufpasser, den ihre Brüder für sie engagiert hatten - hatte ihr einmal gesagt, sie habe keinen Filter. Und dass sie redete, weil sie Pausen und Schweigen nicht ertragen könne.
„Immerhin ehrlich." Leicht hob er eine Augenbraue. „Aber schon ein bisschen merkwürdig." Er lächelte ein wenig schief. „Normalerweise ist das eine Mischung, die ich nicht so anziehend finde." So, wie er das betonte, rechnete sie sich aus, fand er es bei ihr eventuell doch ganz anziehend.
Er gab dem Barkeeper einen Wink mit seiner Bierflasche und bestellte eine zweite Runde: „Ich hätte gern noch eines. Und meine zauberhafte neue Freundin hier nimmt ...?" Fragend sah er sie an.
Was sollte sie bestellen? Alkoholisches trank sie nur sehr selten. Sie mochte den Geschmack nicht. Außerdem wusste sie natürlich, dass Frauen in der Schwangerschaft die Finger davon lassen sollten. Ob das auch für Frauen galt, die guter Hoffnung waren, schwanger zu werden, vermochte sie nicht zu entscheiden.
Der Barkeeper und der blonde Supernatural sahen sie immer noch erwartungsvoll an. Dann legte sie dem Fremden die Hand auf den Arm und zuckte regelrecht zusammen, als sie ihn berührte, so stark wirkte seine Ausstrahlung auf sie. Trotzdem war das Gefühl gut, seine festen Muskeln zu spüren.
„Ich nehme ... dich", entschied sie kurz entschlossen.
Er blickte sie verwundert an, aber sie wich seinem Blick nicht aus. Dann blickte er sich um, konnte offenbar nicht entdecken, wonach er Ausschau hielt, und meinte schließlich mit einem Achselzucken: „Warum zum Teufel eigentlich nicht."
Lokan konnte sich nicht erklären, warum dieses Mädchen so heiß darauf war, ihm an die Wäsche zu gehen. Sicherlich, ihm war nicht neu, dass er auf Frauen anziehend wirkte. Aber das hier war übertrieben. Die Frau war ein wenig zu zielstrebig. Sie wirkte beinahe schon verzweifelt.
Hübsch war sie ja. Braune Augen, dunkles, braunes Haar, das ihr glatt und seidig auf die Schultern fiel, nachdem er ihr das Haarband herausgenommen hatte. Er konnte sich vorstellen, dass sie Asiaten unter ihren Vorfahren hatte, Japaner vielleicht. Schwer zu sagen. Aber das würde zu ihrem wunderbaren Teint, dem Schnitt ihrer Augen und feingliedrigen Körperbau passen. Sie hatte einen schönen Mund mit vollen Lippen, zum Küssen schön. Merkwürdig, dass ihm das erst jetzt auffiel.
Als sie sich an ihn herangemacht hatte, war er zunächst amüsiert gewesen, dann skeptisch, weil er den Verdacht hatte, dass Malthus mit einem seiner ausgefallenen Scherze dahintersteckte. Inzwischen ließ er das Ganze entspannt auf sich zukommen.
Es gab Unangenehmeres, als sich ein paar schöne Stunden beim Sex mit einer schönen Frau zu machen, auch wenn sie ein bisschen sonderbar war. Und da Malthus und Dagan ihn offenbar versetzt hatten, hatte er auch nichts Besseres vor.
Er schickte eine SMS an die beiden, in der er ihnen mitteilte, dass er nicht länger auf sie wartete. Dann machte er eine Handbewegung in Richtung Ausgang und meinte: „Nach dir, meine Süße."
Sie folgte seiner Aufforderung, und er ging hinter ihr her, wobei er es sich nicht nehmen ließ, ausgiebig ihren Hüftschwung zu bewundern. Wirklich hübsche Figur, dachte er. Auch die fiel ihm erst jetzt ins Auge. Anscheinend wurde dieses Mädchen von Minute zu Minute attraktiver.
Zudem hatte sie auf eine gewisse Weise sein Interesse geweckt. Irgendwie war sie ... anders. Obwohl sie nicht gerade ein stilles Wasser zu sein schien und ihr Herz scheinbar auf der Zunge trug, konnte er sich vorstellen, dass sich hinter dieser zur Schau gestellten Offenherzigkeit in tieferen Schichten manch bemerkenswerte, möglicherweise sogar faszinierende Überraschung verbarg.
Sie drehte sich nach ihm um, als wollte sie sich vergewissern, ob er auch wirklich hinterherkam. In diesem Moment schaute er ihr tief in die Augen, so tief, dass er bis in ihr Ka, ihre Seele, blicken konnte, eine der speziellen Fähigkeiten, die Seelensammler besitzen. Ihre Seele war leuchtend und rein und ...
Zack! Aus! Es war, als hätte sie ihm die Tür vor der Nase zugeknallt. Er sah ihre schönen, dunklen Augen, ihre langen, geschwungenen Wimpern, aber mehr auch nicht. Ihr Ka blieb ihm verschlossen. Es gab einige wenige Sterbliche, die es schafften, ihr Ka vor einem Seelensammler zu verbergen. Er hatte schon von ihnen gehört, aber in den ganzen Jahrhunderten, die er jetzt schon als Reaper in Sutekhs Diensten stand, war ihm noch kein einziger von ihnen begegnet. Das mit den tieferen Schichten schien sich zu bestätigen.
Als sie draußen waren, blieb sie am Bordstein stehen und schaute unschlüssig die Straße hinauf und hinunter.
„Zu dir oder zu mir?", fragte Lokan. Er dachte immer noch, dass diese Szene nicht real war, dass gleich aus irgendeiner Seitenstraße ein Haufen gleichaltriger Freunde von ihr hervorstürzen würde, um ihr albern kichernd zu einer gewonnenen Wette zu gratulieren. Diese Frau war einfach nicht der Typ dafür, aus einer Bar einen One-Night-Stand abzuschleppen.
Aber sie sah ihn nur stumm an und maß ihn eingehend von Kopf bis Fuß mit einem Blick, als wollte sie seine Anzuggröße taxieren. Ihr Benehmen hatte definitiv etwas Irritierendes an sich. Aber trotzdem machte ihr Verhalten ihn neugierig. Welche Knöpfe musste man bei ihr drücken, damit sie ansprang? Solche Herausforderungen hatten ihn schon immer gereizt.
„Du siehst gut aus", meinte sie in einem Ton, der so nüchtern und sachlich klang, dass es unmöglich als Kompliment gemeint sein konnte. „Auch wenn das in diesem Fall keine Rolle spielt."
Lokan lachte. „Hast du jemals überlegt, was du so redest?"
Sie schlug die Hand vor den Mund und machte ein betroffenes Gesicht. „Oh, tut mir leid", sagte sie leise. „So hatte ich das nicht gemeint."
„Aber klar. Dich reizt natürlich nicht das Aussehen, sondern eher der funkelnde, vor Witz sprühende Intellekt, den du an mir in unserem tiefsinnigen Gespräch eben in der Bar selbstverständlich wahrgenommen hast."
„Nein. Ja ... Quatsch." Sie schüttelte unwillig den Kopf. „Alles, was ich will, ist Sex."
Er lachte wieder. Er konnte nicht anders. Sie zog die Brauen zusammen und sah dabei gleichzeitig reichlich verwirrt und bezaubernd aus. Er war versucht, ihr sacht über die Stirn zu streichen, um diese beiden steilen Falten zwischen ihren Brauen zu glätten, ließ es aber besser sein. Wenn er sie jetzt anfasste, könnte sie zurückschrecken, und das wollte er nun auch nicht mehr.
„Wie wär's, wenn ich mich erst einmal vorstelle? Ich heiße Lokan. Lokan Krayl." Er streckte ihr artig die Hand hin.
Sie blickte nur wie geistesabwesend auf diese Hand. Er wollte sie gerade wieder wegnehmen, da schlug sie doch ein und sagte: „Ich bin Bryn ... äh ... Carr. Ich meine Carrie."
„Was denn nun? Bryn oder Carrie?" Sie wirkte so nervös, dass er erwartet hätte, dass ihre Hand kalt und feucht sein würde. Aber sie fühlte sich warm und weich an, und unwillkürlich drückte er ein wenig zu und hielt sie fest, als sie ihre Hand zurückziehen wollte. Er strich ihr mit dem Daumen über den Handrücken und spürte ihre zarten Knöchel.
„Belassen wir es für heute bei Carrie", meinte sie und starrte unverwandt auf ihre Hand, die von seiner nicht losgelassen wurde. Sie machte keinen Versuch mehr, sie wegzuziehen, schnappte aber nach Luft, als er ihr noch einmal mit dem Daumen darüberstrich. „Du kannst auch gerne Bryn zu mir sagen."
„Okay. Und das wäre dann dein richtiger Name?"
„Spielt das eine Rolle?" Sie lächelte tapfer, obwohl sie wusste, dass sie schon wieder etwas falsch gemacht hatte.
„Hattest du tatsächlich vor, einen falschen Namen zu benutzen?"
„Ja, hatte ich. Aber ich bin nicht besonders gut in solchen Räuber-und-Gendarm- Geschichten. Und ...", sie machte mit der freien Hand eine vage Geste, „... in anderen auch nicht."
„In was für anderen?"
„Na ja, dies hier." Sie zeigte zwischen ihnen beiden hin und her. „Das mit uns."
„Ach so, du meinst, jemanden an der Bar anzusprechen und dann abzuschleppen?" Er fand die ganze Unterhaltung höchst amüsant.
Sie hob den Kopf und sah ihn an. Ihre Augen glänzten im Licht der Straßenlaterne. Schöne, sehr schöne Augen, dachte er. Er konnte ihre Haut und ihr Haar riechen und beugte sich etwas vor, um dem Duft näher zu kommen. Herrlich, zum Anbeißen. Am liebsten hätte er ihr am Hals entlanggeleckt.
„Du riechst gut, wie frisch gebackene Weihnachtsplätzchen", sagte er leise. „Und ich habe eine Schwäche für Süßes."
„Ich hatte kein Parfüm. Normalerweise trage ich keines. Aber da ich heute in diese Bar kommen wollte, habe ich mir gedacht, dass es vielleicht doch besser wäre. Ich habe mal gelesen, dass man auch Vanillearoma nehmen kann." Die Sätze sprudelten nur so aus ihr hervor. „Übrigens backe ich tatsächlich sehr gern. Plätzchen, Kekse ... Nur essen mag ich sie nicht. Ich habe nicht viel für Gebäck und Süßigkeiten übrig."
Auch wenn Lokan kaum darauf achtete, was sie alles erzählte, hörte er auf ihre Stimme. Sie gefiel ihm. Sie klang so angenehm. Sie war sanft, warm und einschmeichelnd, so wie sich ihre Haut anfühlen musste.
„Ich schon." Darin war er seinen Brüdern gleich. Für sie alle war der Konsum von Zucker in jeder erdenklichen Form kein eigentliches Naschen, sondern eine Notwendigkeit, um sich bei Kräften zu halten. Der besondere Stoffwechsel ihrer halb menschlichen, halb göttlichen Natur verlangte von Zeit zu Zeit nach einem Schub.
Er trat dicht an sie heran. Sie legte den Kopf in den Nacken und sah ihn mit großen Augen an. Ihre Pupillen kamen ihm geweitet vor. War es Furcht? Verlangen? Er hoffte auf Letzteres, aber ganz sicher war er sich nicht. Ihre Reaktion auf einen Kuss würde es zeigen, und dazu kam, dass ihn gerade wieder ein Heißhunger auf Süßes befiel. Nur war die Süßigkeit, nach der es ihn jetzt verlangte, sie.
Langsam, ganz langsam beugte er sich zu ihr, sodass ihr genügend Zeit blieb, es sich anders zu überlegen und ihn abzuweisen. Begierig sog er den Duft ein, den sie verströmte. Tatsächlich Vanille - aber noch etwas anderes, ähnlich Köstliches.
„Erdbeer-Shampoo?", fragte er. Seine Lippen berührten fast schon ihre.
„Ja. Es heißt Strawberry Blast. Ich wollte eigentlich Kokosnuss, aber das war ausverkauft. Und diese Sorte gab es im Angebot. Da habe ich gleich zwei Flaschen gekauft. Ich ..."
Lokan küsste sie und brachte so ihren Redefluss zum Versiegen. Schien sie erst noch überrascht, war sie es im nächsten Augenblick, die ihn überraschte. Es war, als hätte er den Schalter gefunden und etwas bei ihr angeknipst. Sie erwiderte seinen Kuss nicht nur, sondern ergriff selbst die Initiative. Indem sie sich auf die Zehenspitzen stellte, drängte sie sich an ihn. Sie leckte ihm erst quer über den Mund und stieß dann mit der Zunge über seine Lippen, bevor sie sich wieder zurückzog.
Was für ein Vorgeschmack. Was für eine Anmache.
Mit ungeahnter Heftigkeit war Lokans Verlangen entbrannt. Er wollte mehr. Ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, dass sie hier in aller Öffentlichkeit mitten auf der Straße standen, griff er ihr ins lange, seidige Haar, packte es und bog ihr den Kopf nach hinten, sodass er sie voller Hingabe küssen konnte.
Bryn wiegte sich in den Hüften, rieb sich mit den Brüsten an ihm, fuhr ihm mit den Handflächen über Schulter und Rücken und dann mit den Fingern durchs Haar. Sie war nicht gerade zimperlich und ließ ihrer Lust freien Lauf, von der er geradezu überrollt wurde. Dieses Mädchen ging eindeutig aufs Ganze.
Er legte den Kopf ein wenig auf die Seite, um ihr noch näher zu kommen, um sie noch einmal noch leidenschaftlicher und härter zu küssen. Dabei hörte er, wie sie einen hinreißend schönen Laut von sich gab, etwas zwischen Seufzen und Stöhnen. Sie war schon ein Ausbund von Widersprüchlichkeiten, die kleine Miss Bryn. Und sie war heiß wie ein Vulkan.
Seine Hand glitt langsam über ihre Taille und die Hüften, aber dann besann er sich und ihm fiel wieder ein, dass sie hier nicht allein waren. Also legte er einen Arm um sie und fragte erneut: „Wohin nun? Zu dir oder zu mir?"
Ein paar Sekunden vergingen. Dann machte sie sich von ihm los und sah ihn mit großen Augen an. Ihr Mund war noch feucht von seinen Küssen. Es schien, als müsse sie ihre Gedanken erst sammeln. Schließlich sagte sie: „Zu dir."
Mehr wollte er nicht hören. Noch einmal küsste er sie, allein um ihr leises Stöhnen noch einmal zu hören, das ihm einheizte. Ihre Finger krallten sich in sein Hemd. Im nächsten Moment hatte sie es ihm aus dem Hosenbund gezogen und bohrte ihm die Fingernägel in die nackte Haut des Rückens. Als er ihr den Rücken entlangstrich und ihren Po mit den Händen umfasste, tat sie es ihm gleich und presste sich mit dem Becken an ihn. Er konnte sich ihren zügellosen Übereifer nur mit einem Mangel an Erfahrung erklären. Aber das sollte ihm recht sein. Er stellte sich gern zur Verfügung, wenn sie etwas dazulernen wollte. Sie war eine erstaunliche Mischung aus scharf und süß, und er war verblüfft, wie leicht es ihr gelang, ihn auf Touren zu bringen.
Lokan löste die Lippen von ihr, und Bryn stieß einen tiefen Seufzer aus, als er sie losließ. Ihre feuchten Lippen schienen nach den Küssen noch voller zu sein. Ihre Augen glänzten, und ihr Haar war zersaust. All das fand er höllisch sexy.
Und dennoch schrillten in seinem Hinterkopf die Alarmglocken. Irgendwie passte es nicht zusammen. Als sie im Club auftauchte, hatte sie ihr Haar zu einem artigen Pferdeschwanz zusammengebunden. Ihr Outfit bestand in einer gewöhnlichen Jeans, einem T-Shirt und einer Jeansjacke. Das war nicht gerade die Aufmachung, die eine Frau auswählen würde, wenn sie ausging, um jemanden aufzureißen. Dazu ihre offenkundige Unerfahrenheit, die sie auch nicht dahinter verbergen konnte, dass sie sich so forsch und zielstrebig gab. Alles zusammen Grund genug, gewaltig auf der Hut zu sein.
Lokan zog sie an sich und küsste sie noch einmal. No risk, no fun. Das galt für ihn wenigstens, solange es nicht um die politischen Geschäfte ging, die er für seinen Vater erledigte.
Malthus betrachtete den Text auf seinem Handy. Die SMS von Lokan ergab keinen Sinn. Er hatte sich mit seinem Bruder nicht in Miami verabredet. Wie auch immer. Vermutlich war die Nachricht für Alastor oder Dagan gedacht.
Achselzuckend steckte er das Mobiltelefon wieder ein. Gleich darauf stützte er sich mit der Hand ab. Es war nicht einfach, das Gleichgewicht in einem Cockpit zu halten, wenn die Maschine gerade dabei war, abzuschmieren. Die führerlose Cessna taumelte ihrem Absturz entgegen.
Malthus sah dem Piloten vor ihm ins Gesicht. Der hing, so konnte man es ausdrücken, hilflos in den Seilen.
„Wo waren wir stehen geblieben?", fragte Malthus.
Er zog die Hand aus dem Brustkasten des Mannes, und mit ihr riss er das Herz heraus. Der Körper des Piloten fiel mit einem Plumps zu Boden und schlitterte dann der Schwerkraft folgend in Richtung des Bugs der Maschine.
Malthus steckte das Herz in eine Ledertasche, die er um die Schulter trug. Dann ging er noch einmal auf den leblosen Körper zu und steckte erneut die Hand in die riesige, klaffende Wunde. Draußen kamen die Baumkronen allmählich bedrohlich näher. Malthus wartete. Viel Zeit blieb ihm nicht mehr. Fünf, vielleicht noch zehn Sekunden.
„Hab dich", rief er, als sich die Schwarze Seele seines Opfers um sein Handgelenk wand und sich dann den Unterarm hinaufschlängelte.
Das Timing war dieses Mal wirklich ein wenig zu extrem gewesen. Als Malthus sich aufrichtete, nachdem er ein Feuerband um die erbeutete Seele gelegt hatte, schrammte der Rumpf des Flugzeugs bereits über die ersten Wipfel. Rasch öffnete Malthus ein Portal und trat in das schwarz gähnende, frostig kalte Loch zwischen den Dimensionen. Im nächsten Augenblick zerschellte die zweimotorige Maschine und ging in einem gewaltigen Feuerball auf.
Malthus spürte den Kick, den ihm das Adrenalin in seinem Blut verschaffte. So schlecht war das Timing doch nicht, dachte er. Man müsste das nächste Mal vielleicht noch einen Tick länger abwarten.
Er liebte es, wenn er mit seinem Schicksal spielen konnte, erst recht wenn es auf Messers Schneide stand.
© 2011 by Eve Silver
Übersetzer: Thomas Hase
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Autoren-Porträt von Eve Silver
Eve Silver wird für ihre ausgefallenen und actionreichen Dark-Urban Fantasy-Romane gefeiert. Ihr Werk ist u.a. für den Kritikerpreis der Romantic Times nominiert worden und vom Library Journal in der Kategorie beste Genreliteratur ausgezeichnet worden. Die Autorin ist verheiratet und hat zwei Söhne.
Bibliographische Angaben
- Autor: Eve Silver
- 2013, 316 Seiten, Maße: 12,8 x 18,5 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Übersetzung: Hase, Thomas
- Übersetzer: Thomas Hase
- Verlag: MIRA Taschenbuch
- ISBN-10: 3862787559
- ISBN-13: 9783862787555
Rezension zu „Feuersünde “
"Düster, atmosphärisch dicht, leidenschaftlich und mit einem spektakulären Ende eine neue schimmernden Perle in Eve Silvers literarischen Kette." (Library Journal)"Ein zerrissener Held, eine verzweifelte Mission, gefährlich gut!" (Romantic Times Book Reviews)
"Eve Silver hat ein paranormales Abenteuer voll dunkler Leidenschaft geschaffen. Ein aufregendes Lesevergnügen!" (Book Page)
Kommentar zu "Feuersünde"
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