Fliegen wie ein Vogel
Deutschland, 1790: Nach dem Tod ihres Vaters erfährt Luise, dass sie einen Halbbruder hat. Um ihn zu finden, reist sie nach London. Doch dort sagt man ihr, dass ihr Bruder nach Australien deportiert wurde. Kurzerhand heiratet Luise einen ihr unbekannten...
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Deutschland, 1790: Nach dem Tod ihres Vaters erfährt Luise, dass sie einen Halbbruder hat. Um ihn zu finden, reist sie nach London. Doch dort sagt man ihr, dass ihr Bruder nach Australien deportiert wurde. Kurzerhand heiratet Luise einen ihr unbekannten Mann, der sie nach Australien begleiten soll. Doch dann trifft sie ihre wahre Liebe.
Zum Weiterlesen: Teil 2 der großen Australien-Saga "Der Duft der Erinnerung".
Fliegenwie ein Vogel von Deana Zinßmeister
LESEPROBE
Worms, 18. Dezember 1790
»Asche zu Asche, Staub zu Staub ... «
Luise hörte diese Worte wie aus weiter Ferne. Sie konnte esimmer noch nicht glauben. Aber es war wahr und nicht wieder rückgängig zu machen.Wie in Trance nahm sie Abschied von dem liebsten Menschen, den sie gehabthatte, Johann Robert von Wittenstein, ihrem Vater. Langsam senkte sich der Sargin das tiefe, dunkle Loch. Wie sehr hatte ihr Vater die Sonne und die damitverbundene Wärme geliebt. Er hatte stundenlang auf der Terrasse sitzen und denPflanzen und Tieren zusehen können. Nun lag er in einem kalten, nassen Loch.Ihr wurde übel. Sie wollte heim. Heim aufs Gut, sich wie früher in ihr Bettverkriechen und hoffen, dass sie alles nur geträumt hatte. Aber sie war keinkleines Kind mehr, sondern eine junge Frau, deren nüchterner Menschenverstandihr immer wieder brutal sagte, dass dies alles stattfand. Nichts würde wiederso sein wie früher. Es war knapp eine Woche vor dem Heiligen Abend. Der Himmelwar grau. Ein leichter Schneefall durchnässte langsam die Kleider der Menschen,die sich auf dem Ahnenfriedhof der Familie von Wittenstein versammelt hatten.Luise zitterte vor Kälte und musste ihre Lippen aufeinander pressen, damit mandas Zähneklappern nicht hörte. Die Lobeshymnen auf ihren Vater wollten keinEnde nehmen. Jeder der Trauergäste wusste Gutes über ihn zu berichten. Ja, erwar beliebt, und alle schätzten seinen Gerechtigkeitssinn, seine Ehrlichkeit.Er war ein guter Arbeitgeber gewesen und hatte auch für die Probleme dereinfachen Leute stets ein offenes Ohr gehabt. Deshalb war der kleinePrivatfriedhof mit der Familiengruft, der etwas abgelegen am Waldesrand hinterdem Weingut lag, mit trauernden Menschen überfüllt. Alle waren gekommen.Sämtliche Angestellte, vom Keltermeister bis hin zum Pflücker, dieDienstmädchen Martha und Klara, die Köchin Anni, ihr Patenonkel undgleichzeitig Anwalt ihrer Familie, Fritz von Sydow,mit seiner Frau Margret, der Hausarzt und langjährige Freund Dr. August Freund.Sogar ihr Onkel Maximilian von Wittenstein mit Frau Elfriede und Sohn Detlefwaren aus Köln nach Worms gekommen. Er war der ältere Bruder ihres Vaters.Wegen Streitigkeiten hatten die beiden Brüder kaum Kontakt miteinander gehabt.Nun stand Maximilian am Grab seines Bruders - zu spät für eine Aussprache, zuspät, um zu verzeihen.
Und natürlich war ihre beste Freundin da, um ihr Trost zuspenden - Colette. Sie wusste genau, wie Luise sich fühlte, denn auch sie hatteihren Vater vor nicht allzu langer Zeit verloren und war nun auf sich selbstgestellt. Luise konnte sich noch genau an den Tag erinnern, als Colette an derHand ihres Vaters Pierre Lambert im Hof stand und dieser nach Arbeit fragte.Fünf Jahre war diese damals alt gewesen und aus der Großstadt Paris gekommen.Seit ihrem zweiten Lebensjahr waren sie auf Wanderschaft gewesen, da sich ihrVater als Tagelöhner bei Weinernten den Lebensunterhalt verdient hatte. AuchColette war ein zartes und kränkliches Geschöpf. Neben derzwei Jahre älteren Luise wirkte sie zerbrechlich, denn diese überragte sie umeineinhalb Haupteslängen und hatte eine stämmige Figur. Colettes große brauneKulleraugen blickten scheu und ängstlich aus dem von dunklem Haar umrahmtenGesichtchen. Sie litt an einer chronischen Lungenkrankheit, und bei jedemHustenanfall schien ihr zarter Körper auseinander brechen zu wollen. DieseKrankheit war auch der Grund, warum sie aus der Großstadt fortgegangenwaren. Die schlechte Luft in Paris war Gift für ihre kleinen Lungen gewesen,und so waren sie von einem Weingut zum anderen gewandert, immer von derHoffnung begleitet, irgendwo bleiben zu können und ein neues Zuhause zu finden.Die schlechte Arbeitslage hatte sie weiter nach Osten bis zum Landsitz vonJohann von Wittenstein geführt. Luises Vater hatte erkannt, dass Pierre einegoldene Hand für alle Pflanzen im und ums Haus hatte, und ihn als Gärtnereingestellt. Es war nur allzu deutlich gewesen, dass auf Gut Wittenstein eineHerrin fehlte, die sich um den Garten und die Blumenarrangements kümmerte. Frauvon Wittenstein war bereits zwei Jahre zuvor gestorben, und seitdem hatte sichAnni um das Bepflanzen der Grünanlagen gekümmert. Aber sie hatte sich nichtgleichzeitig mit Küche und Blumenbeeten beschäftigen können. Deshalb hatteLuises Vater auch nicht lange gezögert, sondern Pierre und Colette ein neuesZuhause gegeben. Innerhalb kürzester Zeit wurde das Gut von prächtigen Blumengeziert, und auch im Haus selbst grünte und blühte es an allen Ecken. DieMädchen waren überglücklich gewesen, als Colette und ihr Vater ins Gärtnerhauseinzogen und somit am Ende ihrer Wanderschaft angekommen waren. Luise undColette verband bald eine innige Freundschaft, obwohl sie grundverschiedenwaren. Colette, für ihr Alter schon sehr vernünftig und besonnen, war eher derruhende Pol in diesem Zweiergespann. Luise war, wie man sich ein Mädchen vomLand vorstellt - pausbäckig und kerngesund. Sie hatte blonde Locken, stets roteWangen und lachende, blaue Augen, die nur so vor Energie sprühten. Sie war einrichtiger Wildfang, der seine Nase in alles steckte, besonders in solcheSachen, die ihn nichts angingen. Ihr größtes Interesse galt den Tieren, egal,ob groß oder klein. Mit jedem hatte sie Mitleid und deshalb schleppte sie allemit nach Hause. Jedes Mal gab es ein großes Geschrei und Gezeter, wenn dieKöchin Anni mit hochrotem Gesicht, der Ohnmacht nahe, mitten auf demKüchentisch stand, weil eine der Mäuse sich in die Küche verirrt hatte. IhrVater wollte stets mit ihr schimpfen, aber wenn er in ihre unschuldigen, blauenKinderaugen blickte, huschte ein Lächeln über sein Gesicht, und er sagtezärtlich: »Was soll ich nur mit dir machen, mein kleiner Rebell?« Luise legte dann die Arme um den Vater, gab ihm einenKuss und wusste, dass sie wieder gewonnen hatte.
Ein Lächeln umspielte Luises Lippen, als sie daran dachte.Ihre Gedanken schwebten zu dem Tag, als ihr Vater sie in die Bibliothekbestellte. Er bat sie, in dem großen Sessel neben seinem Schreibtisch Platz zunehmen. Ihr Körper versank fast in dem braunen Leder. Die Sitzfläche war sobreit, dass Colette bequem neben Luise hätte sitzen können. Während sich ihrVater einen selbst gebrannten Kirschlikör ins Glas eingoss, schaute sich Luisein dem Raum um. Sie wippte mit ihren Fersen auf dem glänzenden Holzboden undbetrachtete voller Interesse die vielen Bücher in den Regalen, die bis zurDecke reichten. Einige Dinge fielen ihr zum ersten Mal auf, so zum Beispiel dieaufwändigen Stuckarbeiten an der Decke. In jeder Deckenecke waren die Kanten abgerundetund mit Blütenmotiven ausgeschmückt, die zu einer großen Blume angeordnetwaren. Ihr Vater räusperte sich und lenkte damit Luises Aufmerksamkeit wiederauf ihn. Erwartungsvoll sah sie zu ihm, ahnungslos, was nun kommen mochte. Siehatte nichts angestellt, also konnte es auch keine Standpauke sein. Sie blicktein seine Augen. Stolz konnte sie erkennen, aber auch einen Hauch vonMelancholie. »Was ist, Vater? Warum willst du mit mir sprechen?«
Er schaute in die dunkelrote Flüssigkeit in dem geschliffenenKristallglas, das er zwischen Daumen und Zeigefinger leicht hinundherdrehte. Dann atmete er tief ein und ließ die Luft wieder schnaufendentweichen. »Luise, du bist fast vierzehn Jahre alt, und im kommenden Sommerwirst du die Dorfschule abgeschlossen haben. Es wird nun Zeit, dass wir unsüber dein späteres Leben Gedanken machen ... »Och, darüber musst du nichtgrübeln. Colette und ich haben schon nachgedacht. Wir wollen Pferde züchten.Liesel bekommt doch ihr erstes Fohlen. Das werden wir behalten, natürlich nur,wenn es ein Stutfohien ist. Ein Hengstfohlen wirdverkauft. Von dem Geld kaufen wir uns eine weitere Stute dazu. Liesel und dieStute lassen wir decken, und dann haben wir schon vier Pferde ...«
Lächelnd wurde sie von ihrem Vater unterbrochen: »Mein Kind,das ist ein hervorragender Einfall, aber für die zukünftige Besitzerin von GutWittenstein reicht das leider nicht. Es gibt eine Menge, was du noch nichtweißt. Zum Beispiel musst du dein Wissen in Mathematik vertiefen. Außerdem istes wichtig, eine weitere Sprache zu lernen. Chemie wäre ebenfallsunentbehrlich, wenn du im Weinanbau tätig bist ...« Er hielt kurz inne, um anseinem Likör zu nippen. Luise wusste nicht so richtig, worauf er hinauswollte.Solch eine Schule gab es in der näheren Umgebung nicht. Wollte er einenPrivatlehrer engagieren? Gab es jemanden, der von allem Ahnung hatte und es ihrbeibringen konnte? Fragend blickten ihre blauen Augen. Wieder holte ihr Vaterlaut Luft. »Luise, ich habe mit einem der besten Internate in der SchweizKontakt aufgenommen und dich dort angemeldet. Nach den Sommerferien wirst dudort erwartet.«
Langsam erhob sich Luise aus dem mächtigen Sessel und gingauf ihren Vater zu. Er sah sie nicht an, sondern blickte in das nun leere Glas,das er noch immer zwischen den Fingern drehte. Deshalb ging sie in die Hocke,um ihm in die Augen sehen zu können. »Du schickst mich fort? Habe ich etwasgetan, das dich verärgert hat? Bist du böse auf mich, dass ich nicht mehrbleiben darf?«
»Herrgott, Luise, ich schicke dich doch nicht fort, weil ichböse auf dich bin. Ich will nur das Beste für dich.«
Tränen rannen ihr lautlos über das Gesicht, denn sie begrifflangsam, was er meinte. »Vater, das Beste für mich ist mein Zuhause.«
»Das wird es auch bleiben, egal, wo du bist und von wo duzurückkehrst. Aber dein zweites Zuhause wird das Internat >Sacre Seeur( in Bern sein.«
»Was wird aus meinen Tieren? Aus Struppiund Liesel und den Hasen?«
»Du hast genügend Zeit, Peter, den Sohn von KeltermeisterSchuster, und Colette in alles einzuweisen.«
»Bitte, bitte, Vater, schicke mich nicht fort. Ich werdeartig sein und alles lernen, was du von mit verlangst, aber bitte schicke michnicht fort von hier.« Eine unsichtbare Hand hatte sichum Luises Kehle gelegt und ihre Stimme heiser klingen lassen. Nun wurden dieWorte lauter, einem Schreien gleich. »Luise, beherrsche dich. Mein Entschlusssteht fest. Nach den Ferien wirst du dort erwartet. Es ist alles Nötigeveranlasst.« Er stellte das Glas auf den Schreibtischhinter sich und verließ ohne ein weiteres Wort das Zimmer.
Luise warf sich auf den Boden und schlug immer wieder mitder Faust auf die glänzenden Holzdielen. Sie wollte Trost, aber niemand war da,der ihn ihr geben konnte. Ihre Mutter war tot, und ihr Vater war derjenige, derihr das antat. Sie fühlte sich allein und verloren, als plötzlich jemand ihrenRücken streichelte. »Egal, wo du bist und wie lange wir uns nicht sehen, dubist immer meine beste Freundin, mon amie«,schluchzte Colette. Luise sah sie erstaunt an.
»Ich habe an der Tür gelauscht«, flüsterte Colette. DieMädchen fielen sich weinend in die Arme und schworen ewige Freundschaft.
Jetzt, Jahre später, stand Colette wieder neben ihrerFreundin, ergriff deren Hand und drückte sie tröstend.
© Moments in der area verlag gmbh
- Autor: Deana Zinßmeister
- 352 Seiten, Maße: 14 x 21,8 cm, Geb. mit Su.
- Verlag: AREA VERLAG GMBH
- ISBN-10: 3937670394
- ISBN-13: 9783937670393
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