Freiheit
Als Prinzessin wuchs Malika am Hof Hassans II. auf. Später wurde sie 20 Jahre gefangen gehalten. Sie hat die Hölle überlebt. Malika Oufkir schreibt über den schweren Neuanfang in einer veränderten Welt, über die Schatten der Vergangenheit und die neue Freiheit.
Als Prinzessin wuchs Malika am Hof Hassans II. auf. Später wurde sie 20 Jahre gefangen gehalten. Sie hat die Hölle überlebt. Malika Oufkir schreibt über den schweren Neuanfang in einer veränderten Welt, über die Schatten der Vergangenheit und die neue Freiheit.
Freiheit von MalikaOufkir
LESEPROBE
Der erste Mann in meinem Leben
Adam. Mein kleiner Adam, meinLiebling, mein Leben. All die Jahre, all die Beweise waren nötig, damitich neu geboren werden konnte und endlich lernte, mich selbst zu akzeptieren.Ich fange ein vollkommen neues Leben als Frau an, wo man in meinem Alterdoch oft bereits aufhört, eine zu sein. Eine normale Frau, die zwar keinLeben schenken, wohl aber Leben retten kann. Denn Adam hätte sterbenkönnen. Niemand hätte je davon erfahren. Wie durch ein Wunder hat er überlebt.Im ersten Stock der Kinderhilfsorganisation »Liguede la Protection de l Enfance«schnürt es mir die Kehle zu, als mir der süßliche Geruch nach Milch,Zucker, Windeln und Medikamenten in die Nase steigt. Wir sind alle gleichhier. Eine junge, verschleierte Frau spielt lächelnd neben einer Spanierin, dieseit Wochen auf das Kind wartet, das man ihr versprochen hat. Ich binhier, um ein Kind zu adoptieren, ein Mädchen. Und ich habe Glück: Es gibteines. Ein süßes Baby, dessen Haare sich bereits zu locken beginnen, daseinzige Mädchen inmitten von etwa dreißig Jungen, die weinen, quengeln oder auchfriedlich schlafen. Sie ist ruhig. Bestimmt hat sie auf mich gewartet. Ich nehmesie auf den Arm. Doch wie kann das sein: Ich empfinde nichts. Woher rührt diese Kälte? Ist es nichtschrecklich ungerecht? Ich habe das Gefühl, dass dieses kleine Mädchen mitden schwarzen Augen nicht mein Kind werden wird. Ich mustere die Säuglingein den Wiegen hinter der Glaswand. Ich bin äußerst angespannt, gleichkommt der wichtigste Augenblick in meinem Leben. Meine Mutter, Fatima Oufkir, ist bei mir und hält mir nun ein kleinesBündel mit braunen Haaren und faltiger Haut hin. Sie sagt einfach nur:»Hier, das ist dein Sohn.« Wie kann sie das so vollerÜberzeugung behaupten? »Ich weiß nicht recht, Mama, das ist doch ein Junge.« - »Ja, genau, das ist dein Sohn«, beharrt sie. Ich nehme dasvielleicht zwei Wochen alte und knapp drei Kilo schwere Etwas auf den Arm undspüre sofort tief in meinem Inneren große Freude, in die sich Schmerz undAngst mischen. In ein und demselben Moment empfinde ich, wie weh es tut,nie Mutter sein zu können, und welche Erfüllung Mutterschaft bedeutet.Adam ist ein Geschenk des Himmels, denn der Himmel selbst hat ihn verschont.Wie die meisten Kinder in diesem Waisenhaus wurde er vermutlich imKrankenhaus von Marrakesch von seiner Mutter zurückgelassen, die zu armwar, um ihn zu ernähren. Später erfahre ich, dass ihn im Juni 2005 einealte Bettlerin wie ein Paket schmutziger Wäsche unter dem Arm trug, obwohl ernoch in den Brutkasten gehört hätte. Er war kurz davor zu ersticken. DiePolizei, die es leider oft mit derartigen Fällen zu tun hat, folgte derUnglückseligen, rettete das Kind, dessen Foto daraufhin in allen Ämternvon Marrakesch ausgehängt wurde, damit seine Mutter ihre Entscheidung nocheinmal überdenken konnte. Sie tat es nicht. Im Juli 2005 beschließen Ericund ich, den kleinen Adam, wie ich ihn nennen werde, zu adoptieren. Nachzahlreichen bürokratischen Hürden - eine Adoption wird vom islamischenRecht offiziell nicht gebilligt - erhält er meinen Namen, den Nachnamen meines Vaters,Oufkir. Das ist meine Art, mich an meine Herkunft zuerinnern. Dieser »Baby-Laser«, wie ich ihn scherzhaft nenne, war nötig,damit ich meinen Schmerz hinter mir lassen konnte, damit ich die Mördervergesse, die mir zwanzig Jahre meines Lebens gestohlen haben und mich fürimmer als Opfer zeichneten, die mir das Recht nahmen, das jeder Frauzusteht: das Recht, Kinder zu bekommen. Ich fühlte mich minderwertig.Eines Teils meiner selbst beraubt. Ich litt so sehr darunter, Eric keinKind schenken zu können, dass wir uns deswegen mehrmals fast getrennt hätten.Ich will kein Opfer mehr sein und der Welt auch keine Botschaftüberbringen müssen. Ich will leben, nicht überleben. Der Weg dahin warnicht leicht. Ich hatte bereits die Vormundschaft für meine Nichte Nawal übernommen, die ich wie eine eigene Tochter liebe unddie bei uns in Miami lebt. Doch Nawal hatEltern. Auf einmal machte es völlig unerwartet klick! Ich hatte Soundous bei einem humanitären Einsatz derfranzösischen Hilfsorganisation Apotheker ohne Grenzen kennengelernt, als wir die Wüste im marokkanischenSüden durchquerten; damals setzte sie sich für die Bekämpfung der AugenkrankheitTrachom ein. Seltsamerweise musste es erst so weitkommen, dass meine treue Freundin Soundous imFebruar 2005 in einem Pariser Krankenhaus operiert wurde. Leben und Tod liegenoft so nah beieinander. Jede Nacht schlief ich neben ihrem Bett, und sie fingan, über eine mögliche Adoption zu sprechen. Sie war es, die michallmählich überzeugte, dass der Gedanke daran nicht so abwegig war. EricsLiebe, seine Großzügigkeit und Geduld führten mich ebenfalls zu diesem Kind,das ich noch gar nicht kannte. Zehn Jahre brauchte ich, um mich zu entscheiden,Mutter zu werden. Um zu akzeptieren, dass es auch eine Freiheit gibt, diemir offen steht. Ein Schicksal, das mir allein gehört. Ein unbekanntesWort kommt mir da über die Lippen: Freiheit. Freilich hinterlässt es einenbitteren Geschmack. Ob im Palast Mohammeds V., wo ich eine unberührbarePrinzessin war, oder im Gefängnis, wo ich wie Scheherazadeunter den meinen lebte - war ich nicht immer eine Gefangene? Mauern gibtes überall, die tatsächlichen und die unsichtbaren, vor allem in unseren Köpfen.Als Gefangene zu leben hat jedoch sogar etwas Gutes. Man denkt intensiver nach.Man lernt von der Zeit, die vergeht.
- Autor: Malika Oufkir
- 2007, 203 Seiten, Maße: 14,2 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzung: Roth, Olaf Matthias
- Verlag: MARION VON SCHRÖDER
- ISBN-10: 3547711169
- ISBN-13: 9783547711165
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