Friesensommer
Roman
Eine wunderbare Flower-Power-Insel-Liebesgeschichte von Erfolgsautor Janne Mommsen
1968. Der junge Kalifornier Harry Peterson flieht vor seiner Einberufung nach Vietnam ans andere Ende der Welt: in die Heimat seines Vaters, eine Insel namens...
1968. Der junge Kalifornier Harry Peterson flieht vor seiner Einberufung nach Vietnam ans andere Ende der Welt: in die Heimat seines Vaters, eine Insel namens...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Friesensommer “
Klappentext zu „Friesensommer “
Eine wunderbare Flower-Power-Insel-Liebesgeschichte von Erfolgsautor Janne Mommsen 1968. Der junge Kalifornier Harry Peterson flieht vor seiner Einberufung nach Vietnam ans andere Ende der Welt: in die Heimat seines Vaters, eine Insel namens Föhr. Niemand wartet auf den Mann im Hippiebus. Es regnet in Strömen, nirgends ein Mensch. Doch als nach Tagen der Himmel über der Insel aufreißt und die Farben explodieren, ist Harry im Paradies. Seine Eva heißt Maike, die Tochter vom Nachbarhof ...
40 Jahre später: Die Ärztin Maike kommt von einem sehr romantischen Wochenende auf Sylt. Auf dem Weg nach Föhr sieht sie plötzlich einen Mann auf der Fähre, den sie vor langer Zeit aus ihrem Leben gestrichen hat. Warum taucht Harry immer dann auf, wenn man ihn am wenigsten gebrauchen kann?
Gefühl, Drama, Humor und viel Nordseeromantik: Ein herrliches Buch für Nordsee-Urlauber, aber nicht nur für die.
Eine wunderbare Flower-Power-Insel-Liebesgeschichte von Erfolgsautor Janne Mommsen
1968. Der junge Kalifornier Harry Peterson flieht vor seiner Einberufung nach Vietnam ans andere Ende der Welt: in die Heimat seines Vaters, eine Insel namens Föhr. Niemand wartet auf den Mann im Hippiebus. Es regnet in Strömen, nirgends ein Mensch. Doch als nach Tagen der Himmel über der Insel aufreißt und die Farben explodieren, ist Harry im Paradies. Seine Eva heißt Maike, die Tochter vom Nachbarhof ...
40 Jahre später: Die Ärztin Maike kommt von einem sehr romantischen Wochenende auf Sylt. Auf dem Weg nach Föhr sieht sie plötzlich einen Mann auf der Fähre, den sie vor langer Zeit aus ihrem Leben gestrichen hat. Warum taucht Harry immer dann auf, wenn man ihn am wenigsten gebrauchen kann?
Gefühl, Drama, Humor und viel Nordseeromantik: Ein herrliches Buch für Nordsee-Urlauber, aber nicht nur für die.
1968. Der junge Kalifornier Harry Peterson flieht vor seiner Einberufung nach Vietnam ans andere Ende der Welt: in die Heimat seines Vaters, eine Insel namens Föhr. Niemand wartet auf den Mann im Hippiebus. Es regnet in Strömen, nirgends ein Mensch. Doch als nach Tagen der Himmel über der Insel aufreißt und die Farben explodieren, ist Harry im Paradies. Seine Eva heißt Maike, die Tochter vom Nachbarhof ...
40 Jahre später: Die Ärztin Maike kommt von einem sehr romantischen Wochenende auf Sylt. Auf dem Weg nach Föhr sieht sie plötzlich einen Mann auf der Fähre, den sie vor langer Zeit aus ihrem Leben gestrichen hat. Warum taucht Harry immer dann auf, wenn man ihn am wenigsten gebrauchen kann?
Gefühl, Drama, Humor und viel Nordseeromantik: Ein herrliches Buch für Nordsee-Urlauber, aber nicht nur für die.
Lese-Probe zu „Friesensommer “
Friesensommer von Janne Mommsen Maike Olufs lehnt sich an die Reling des Vorderdecks und streckt ihre Läuferinnenbeine aus. Die Morgensonne leuchtet hell durch den dünnen Seenebel, der sich wie ein weißer Schleier über das Meer legt. Es riecht nach frischem Tang mit einer Prise Meersalz, zwei Möwen begrüßen kreischend den Sommertag. Plötzlich löst sich der Nebel um sie herum auf, und eine kleine Sonneninsel entsteht. Maike schließt genießerisch die Augen, die Lider werden sofort warm, ihr Lächeln folgt automatisch. In der Seeluft liegt noch ein letzter Nachthauch, der für einen Moment ihre Stirn streift und sich dann wie eine kühle Kompresse in ihren Nacken legt. Obwohl sie nur wenige Stunden geschlafen hat, fühlt sie sich so erholt wie nach einem Vier-Wochen-Urlaub.
Die schwanenweiße Fähre verlässt den Hafen von Dagebüll, es ist die erste dieses Tages. Als sie die Augen wieder öffnet, staunt sie: Der Nebel ist nun vollständig verflogen, ein riesiges Gemälde aus blauen und grünen Pastelltönen ist entstanden. Das Meer liegt als stiller, grünsilberner Teller da, in dem sich einige Schönwetterwolken spiegeln. Langsam, aber beharrlich schneidet die Autofähre die glänzende Meeresfläche in zwei riesige Teile. Der Übergang zwischen Wasser und Himmel ist fließend, es gibt keinen Anfang und kein Ende.
Die aufsteigende Sonne färbt den Himmel blau, im Meer leuchten unzählige helle Sandbänke auf. Maikes Kleidung passt ideal in dieses Bild: beigefarbener Hosenanzug aus Wildleder, weiße Bluse und helle Mokassins. Neben ihr steht ihr eleganter kleiner Trolley, ebenfalls aus hellem Material, sie besaß schon immer ein Faible für schöne Gepäckstücke.
... mehr
Plötzlich piepst ihr Handy in die Morgenstille hinein: eine SMS von ihrer besten Freundin Carla. Na, schon wach? Es ist sechs Uhr, vermutlich ist Carla gerade aufgewacht und platzt vor Neugier. Immerhin ist sie der Grund, warum Maike jetzt hier steht. Sie erhält die einzig passende Antwort auf ihre Frage: «Nein, ich schlafe noch!» Carla hatte ihr zum Geburtstag ein Schnupper-Abo für eine Partnervermittlung geschenkt, drei Monate durfte Maike auf schmetterlinge.de paarungswillige Männer sichten und bei Bedarf auch kennenlernen. Erst war Maike schwer beleidigt gewesen: Hatte sie so etwas nötig? Nach ihrer Scheidung - wie viel Jahre war das jetzt her, fünfzehn? - hatte sie nichts vermisst, vor allem keinen Mann. Nicht, weil sie verbittert gewesen wäre, es hatte sich einfach nicht ergeben. Aber nachdem Carla vor einem Jahr ihren Thor übers Internet kennengelernt hatte, war sie so glücklich, dass sie ihrer besten Freundin ebenfalls etwas Gutes tun wollte. Für schmetterlinge.de musste Maike ein Foto von sich ins Netz stellen und einen Fragebogen mit Angaben zu ihrer Person ausfüllen, was ihr beides gehörig gegen den Strich ging.
Sie hatte sich dennoch für folgende Version entschieden: «Maike, Hausärztin, geboren in Oldsum auf Föhr, geschieden in Hamburg, Lieblingsmusik: unberechenbar von Mozart bis Pop. Hobby: Siebenkampf, am liebsten mag ich Weitsprung, was ich wegen meiner langen Beine am besten kann. Anmerkung: Ich habe das Abo für diese Seite von meiner besten Freundin geschenkt bekommen, sonst wäre ich nie auf die Idee gekommen, mich hier anzumelden.» Letzteres klang nicht besonders motivierend, hatte Carla kritisiert. Umso erstaunlicher, wer sich alles darauf meldete: großkotzige Geldsäcke, Muttersöhnchen und Landwirte, psychisch Gestörte, ein Marineoffizier aus Paraguay, ein Lehrer aus der Schweiz. Einer schrieb, dass auch er das Abo zum Geburtstag geschenkt bekommen habe und ebenfalls nicht so recht wisse, was er davon halten solle. Das fand sie sympathisch. Das Foto zeigte einen freundlichen, dunkelhaarigen Mann mit neugierigen braunen Augen.
Er hieß Rainer Martens und betrieb ein kleines Familienhotel im Osten von Sylt, fernab vom großen Rummel. Er hatte den Bauernhof seiner Eltern zum Hotel umgebaut, kam also wie sie aus der Landwirtschaft. Zuerst waren es diese Gemeinsamkeiten, die sie neugierig machten, aber wirklich entscheidend war dann seine warme wohltuende Bassstimme bei ihrem ersten Telefonat. «Vergiss nicht, dass das erste Treffen auf keinen Fall bei dir stattfinden darf!», warnte sie Carla. Die Arme hatte mindestens ein Dutzend frustrierender Dates hinter sich gebracht, bevor sie Thor kennengelernt hatte.
«Weiß ich selbst», beschwichtigte Maike ihre Freundin. Falls sich Rainer wider Erwarten als Pleite herausstellen sollte, wollte sie jederzeit abhauen können. Es gab da allerdings etwas anderes, was ihr viel mehr Sorgen bereitete: «Er ist genauso alt wie ich.» «Und?» «Männer sehnen sich doch eher nach was Jüngerem.» «Du hast das Sportabzeichen in Gold», erinnerte Carla. «Gut, dann stecke ich mir das ans Revers», antwortete Maike trocken. Ihre Zweifel wurden immer größer, je näher das Treffen rückte. «Er will dich treffen, also was soll's? Außerdem hast du kaum Falten ...» «Eben: kaum ...» «Schwarze Haare ...» «Weil ich die grauen übertönt habe ...» «Und deine blauen Augen leuchten wie eh und je aus deinem hübschen Gesicht. Ganz im Ernst, Maike, so etwas Apartes wie dich muss man erst mal finden.» Wieso ihr Herz dann so klopfte, als sie gestern in Westerland aus dem Zug stieg, war ihr unerklärlich. Es war völlig albern, weil sie ja gar nichts erwartete. Schließlich war sie keine achtzehn mehr, sondern fröhliche zweiundsechzig. Rainer stand am Ende des Bahnsteigs. Er hatte braunes Haar, wie auf dem Foto, und war gerade noch schlank zu nennen.
Einer, der etwas für sich tat, sich aber nicht kasteite. Obwohl er groß war und wie ein richtiger Kerl aussah, verriet sein Blick leichte bis mittelschwere Nervosität. Das beruhigte sie. Treffen dieser Art waren offensichtlich auch nicht sein tägliches Brot. Nachdem er sie mit einem festen Händedruck und einem warmen Lächeln begrüßt hatte, führte er sie zu seinem alten Kombi, der voll beladen mit frischer Bettwäsche vor dem Bahnhof stand. «Eigentlich wollte ich mir ein Cabrio leihen», entschuldigte er sich, «aber zwei meiner Angestellten sind krank geworden, also musste ich die Hotelwäsche vom Zug abholen. » «Für mich geht es auch ohne Cabrio», hatte sie lachend geantwortet. «Na ja, ich dachte, falls mein Charakter nicht überzeugt, beeindrucke ich dich wenigstens mit einem schicken Wagen.» Sein lockerer Ton nahm ihr einen großen Teil der Anspannung. Er fuhr sie zu ihrem Hotel in Wenningstedt, wo sie kurz ihren Trolley im Zimmer abstellte, dann ging es weiter zu einem wunderbar einsamen Strand in der Nähe von Hörnum. Dort spazierten sie erst mal ein paar Stunden am Meer entlang, das auf der Westseite von Sylt viel wilder war als auf Föhr. Hohe Wellen schossen unaufhörlich vom Horizont heran, bäumten sich vor dem Strand auf und brachen dann mit Getöse in sich zusammen. Dazu lieferte die Sonne vom wolkenlosen, blauen Himmel alles an Wärme, was sie zu bieten hatte. Allein der knatternde Wind kühlte die Temperatur auf ein angenehmes Maß ab. Rainer und sie ließen sich ordentlich durchpusten und quatschten über alles, was ihnen gerade einfiel.
Das ging kreuz und quer von herrlich missglückten Essenseinladungen bis zu Hotelgast- und Patientenanekdoten. Dass sie so viel zusammen lachen konnten, war für sie ein gutes Zeichen. Rainer besuchte gern Kunstausstellungen und vertraute dabei seinem persönlichen Geschmack mehr als irgendwelchen Fachleuten - auch in diesem Punkt waren sie ähnlich gestrickt. Nach dem Strandspaziergang führte er sie in ein kleines Restaurant, das stilvoll, aber nicht überkandidelt war. Ihr fiel auf, dass er ständig mit den Händen Kontakt zu seiner Umgebung suchte. Zum Beispiel strich er mehrmals über die Speisekarte aus rauer Pappe, bevor er sie aufschlug, und während er redete, befühlte er mit Zeige und Mittelfinger die weiße Stoffserviette. Bis zwei Uhr nachts hatten sie sich eine Menge zu sagen gehabt, ohne dass auch nur eine peinliche Pause entstand. Alles lief wie von selbst, als säßen sie in einem Boot, das nur von der Strömung getragen wurde. Trotzdem hatte sie es vorgezogen, in Westerland zu übernachten statt in seinem Archsumer Hotel, was er selbstverständlich akzeptierte. Wie gern wäre sie noch länger auf Sylt geblieben, aber ihr stand ein langer Tag in der Praxis bevor, und ihre Patienten konnte sie auf keinen Fall hängenlassen. Föhr rückt immer näher, es wird nun richtig warm in der Sonne.
Die weiße MS Schleswig-Holstein sucht sich in niedrigem Gang ihren Weg durchs Wattenmeer. Es ist Ebbe, die gesamte Meeresmasse flieht geschlossen zum Horizont. An einigen Prielen entstehen kleine Wirbel, immer mehr Sandbänke tauchen im Wasser auf. Die schmale Fahrrinne ist mit Reisigbündeln abgesteckt, die wie übergroße Besen aussehen. Um diese Uhrzeit sind nicht mehr als zwei Dutzend Passagiere an Bord, die sich über das gesamte große Schiff verstreuen, darunter auch ein paar Insulaner. Auf dem Autodeck unter ihr hat Maike Dieter Trulsen entdeckt. Er steht in Gummistiefeln und weißem Kittel neben seinem Meiereilaster und stopft sich gerade ein großes Stück Käsekuchen in den Mund. Er ist ihr Patient und sollte wegen seines starken Bluthochdrucks eigentlich dringend abnehmen. Ein Infarkt ist keine Kleinigkeit, und wenn man ihn vermeiden kann ... Andererseits ist Trulsen volljährig und sie nicht im Dienst.
Gerade wandern ihre Gedanken wieder zu Rainer, da klingelt ihr Handy erneut. Diesmal hängt Carla direkt am Hörer und kommt ohne Begrüßung zur Sache: «Ich muss es wissen: Wie war Rainer?» Maike lacht laut auf. «Geht dich das was an?» «Hör mal! Ich bin deine beste Freundin.» Dabei weiß Carla genau, dass sie immer sehr schweigsam wird, wenn es ans Eingemachte geht. «Ich sehe es positiv», erklärt Maike ausweichend. Es klingt so spröde wie eine Regierungserklärung. Klar, dass sich Carla damit nicht zufrieden gibt. Prompt stellt sie die schwierigste aller Fragen: «Und er?» «Keine Ahnung.» Maike fand es wunderbar mit Rainer, aber das muss er nicht genauso empfunden haben. Andererseits, wäre er nicht früher gegangen, wenn es ihm nicht gefallen hätte? «Lüge, das spürt man doch!» Wenn sie ihm wichtig ist, denkt Maike, wird er sich melden. Und zwar heute noch. Alles andere würde sie nur bei Herzstillstand akzeptieren. «Stimmt.» «Hummeln im Bauch?» Ein bisschen vielleicht, aber in ihrem Alter wirft man nicht einfach die Vernunft über Bord, da darf man sich ruhig ein bisschen Zeit lassen. Plötzlich zuckt Maike zusammen. Neben Dieter ist ein Mann aufgetaucht, der sie an irgendjemanden erinnert.
Sie sieht ihn nur von der Seite: markantes Kinn, volle, graumelierte Haare, schmale Adlernase. Jetzt fällt es ihr ein. Er hat vor über vierzig Jahren einen Sommer lang in Oldsum gewohnt. Also nicht der Mann, der dort steht, sondern der, an den er sie erinnert, Harald Peterson aus San Francisco. Ihr Bauch krampft sich zusammen. «Du glaubst es nicht, Carla, hier steht ein Typ, der genauso aussieht wie Harald!» «Nicht ablenken», ermahnt Carla sie lachend. Seit einer Ewigkeit hat Maike nicht an Harald gedacht, und ausgerechnet an diesem wundervollen Morgen taucht sein Doppelgänger auf. Zu blöde, aber sie darf sich auf keinen Fall die Laune verderben lassen. «Er sieht wirklich aus wie Harald!» «Hallo?» Maike dreht sich zur Seite und holt tief Luft. «Ich hätte nie damit gerechnet, dass es mit Rainer so schön werden würde», rutscht es ihr raus. Es ist das erste Mal, dass sie es ausspricht. Für sie ist es immer noch gewöhnungsbedürftig, dass Rainer und sie sich über den Computer kennengelernt haben statt in einer Disko oder auf irgendeiner Party. Andererseits, in welche Disko sollte sie mit zweiundsechzig wohl gehen, um jemanden kennenzulernen? Vorsichtig lugt sie in Richtung des Doppelgängers.
Der dreht sich jetzt um und schaut zu ihr hoch. Hat er gespürt, dass sie ihn beobachtet? Für eine Sekunde sieht sie direkt in sein Gesicht, es gibt nun keinen Zweifel mehr. Der Boden unter ihren Füßen schwimmt förmlich weg, als würde die Fähre gerade untergehen. «Du, Carla, das ist tatsächlich Harald Peterson.» Sie zieht den Griff ihres Trolleys ruckartig hoch und stürmt in den Salon. Dort hockt als einziger Gast ihr Patient Dieter und schiebt sich gerade das zweite Stück Käsekuchen in den Mund. Carla lacht aus dem Hörer. «Es muss phantastisch gewesen sein mit Rainer.» «Wieso?», fragt Maike matt. «Wenn du so durcheinander bist, dass du schon in irgendwelchen Typen Harry siehst ...» «Aber ...» Harald betritt nun ebenfalls den Salon. Sie versteckt sich schnell hinter dem Bällebecken für die Kinder. Von seiner Position aus kann er sie unmöglich sehen. Sie atmet auf und nutzt die Situation, um ihn ein bisschen zu beobachten.
Natürlich ist er nicht mehr der junge Mann von damals, aber sie muss zugeben, dass er sich gut gehalten hat. Mit den schwarzen Ringen unter den hellgrünen Augen wirkt er müde, das ist auch alles. Er trägt eine elegante schwarze Hose, ein schwarzes T-Shirt und eine Designerbrille mit dunklem Rahmen. Seine leicht gewellten Haare sind mittlerweile graumeliert, aber immer noch üppig. Er ginge glatt als Modeschöpfer oder bildender Künstler durch - wer weiß, vielleicht ist er das auch. Mit etwas Phantasie erinnert er immer noch an den Sonnyboy aus San Francisco, der seine blonde Mähne mit einem roten Stirnband bändigte und in bunten T-Shirts und indischen Pumphosen über die Föhrer Marschwiesen lief. «Du bist verwirrt», freut sich Carla. «Mehr muss ich gar nicht wissen. Bis bald.» Maike drückt das Handy aus. Harald steht an der Theke im Salon und lässt sich einen Becher Milchkaffee geben. Was will der auf Föhr? Natürlich könnte sie jetzt auf ihn zugehen und sagen: «Hey, wie geht's denn so? Schön, dich zu sehen. Mensch, wie die Zeit vergeht ...» Aber das ist das Letzte, was sie will. Also schnappt sie sich ihren Trolley und verzieht sich aufs fast leere Autodeck, was sich als Fehler erweist. Sie hört nämlich Schritte hinter sich. Verdammt, er hat sie erkannt und folgt ihr nun! War sie im Salon doch zu unvorsichtig gewesen? Jetzt gibt es kein Entkommen mehr, der Weg nach hinten ist abgeschnitten, nach links und rechts kann sie auch nicht fliehen. Sie blickt sich hilfesuchend um. Ein paar Meter entfernt steht der riesige Meiereilaster von Dieter Trulsen. Sie eilt hin, stellt sich kurz entschlossen auf die erste Stufe und nimmt den Türgriff in die Hand. Sie hat Glück, der Lkw ist nicht abgeschlossen. Mit einem Ruck reißt sie die Tür auf, zieht ihren Trolley hoch und wirft ihn auf den Sitz. Dann zieht sie die Tür zu und versteckt sich im Fußraum unter dem Lenkrad. Es riecht nach Staub und alter Gummimatte. Ihr Herz pocht so schnell wie seit Jahrzehnten nicht, sie japst nach Luft. Ruums, wird die Tür aufgerissen.
Mist, er hat sie gesehen. «Harald?», ruft sie erschrocken. Doch stattdessen steht Dieter vor ihr und macht große Augen: «Frau Dokter?» Was denkt wohl ein Patient, wenn er seine Hausärztin zusammengekrümmt im Fußraum seines Wagens entdeckt? So etwas machen höchstens Irre oder Paranoiker auf Droge. Sie pult sich aus dem Fußraum und hangelt sich auf den Beifahrersitz neben ihren Trolley. Ihr fällt nicht im Geringsten ein, was sie sagen könnte. Und je länger sie schweigt, desto peinlicher wird die Situation. «Du hast da was», murmelt Maike und deutet auf ein paar Käsekuchenkrümel in Dieters Mundwinkel. Wie lächerlich. Erst jetzt wird ihr bewusst, wie rot sie geworden sein muss, ihr Gesicht glüht. Dieter setzt sich auf den Fahrersitz und schaut schweigend durch die Windschutzscheibe, sie folgt seinem Blick. Zum Glück ist er ein wortkarger Friese, der im Zweifel gar nichts sagt. Harald ist nirgendwo zu sehen, stattdessen erscheint hinter der Bugkante der Hafen von Wyk, gleich sind sie da. «Kann ich mit dir von Bord fahren?», fragt sie. Er verbirgt sein Staunen fast perfekt und nickt. «Jo.» Bis die Fähre anlegt, warten sie stumm nebeneinander, dann rollen sie von Bord. Wahrscheinlich wird sich ihre sonderbare Aktion auf der Insel in Windeseile herumsprechen, aber das ist immer noch besser, als auf Harry zu treffen. Der Gedanke lässt sie ein bisschen ruhiger werden. Als sie den Hafenparkplatz erreichen, setzt Dieter sie neben ihrem kleinen Toyota ab. Die beiden verabschieden sich knapp wie immer, und Maike steigt aus. In ihrem eigenen Auto atmet sie erst einmal tief durch, bevor sie den Motor startet.
Dann tuckert sie über die vertrauten Dörfer, Wrixum und Alkersum, dahinter beginnt die weite Fläche der Marsch. Langsam fängt sie an, sich zu entspannen. Ist doch alles halb so dramatisch, sagt sie sich. Du hattest eine phantastische Nacht, und auf dem Rückweg nach Hause ist dir eben der Mann über den Weg gelaufen, der dir früher einmal ... Sie verbietet sich jeden weiteren Gedanken an Harald und beschließt, stattdessen lieber die Landschaft zu genießen. Sattgrüne Gräser wiegen sich in einer leichten Brise, Bäume und Büsche verharren in ihrer gewohnten Westwindschräge, die von ganz anderen Wettern erzählt. Der letzte Winter war kalt, es gab ein paar schwere Orkane und ungewöhnlich viel Schnee, der vom Wind zu hohen Bergen verweht wurde und die Inselstraßen unpassierbar machte. Zudem konnte die Fähre wegen des Eisgangs ein paar Tage lang nicht fahren. Kaum vorstellbar an einem prallen Sommertag wie diesem. Schon von weitem sind die Flügel der großen Windmühle zu erkennen, das Wahrzeichen von Oldsum. Ein Fünfhundert-Seelen-Dorf, in dem fast jedes Haus rot geklinkert ist, weiße Sprossenfenster hat und mit Reet gedeckt ist. Noch immer erkennt man, dass hier einmal überwiegend Bauern gewohnt haben, neben fast jedem Haus gibt es ein Stallgebäude mit einem großen Scheunentor. Wo früher das Vieh stand, verbringen nun wohlhabende Zweitwohnungsbesitzer vom Festland ihre Wochenenden.
In Oldsum gibt es einen Supermarkt, der gleichzeitig mit dem einzigen Café des Ortes um sechs Uhr schließt, und ein Gasthaus mit bürgerlicher Küche, das um neun dichtmacht. Im Sommer versuchen einige kleine Kunstgaleristen ihr Glück mit dem Bilderverkauf an Touristen. Das ist alles. Die Inselhauptstadt Wyk mit ihren fünftausend Einwohnern wirkt dagegen wie eine hektische Metropole. Statt hupender Touristenautos hört man in Oldsum meist nur den stetigen Wind durch die Straßen wehen. Maike ist hier geboren und aufgewachsen. Nach dem Abitur verließ sie die Insel und ging zum Medizinstudium nach Hamburg, anschließend arbeitete sie viele Jahre als Internistin in der Uniklinik Eppendorf und heiratete irgendwann ihren Chef. Die Ehe hielt zwölf Jahre, ihr Mann war mehr mit der Klinik und seiner Forschung verheiratet als mit ihr. Als sie es bemerkten, war es zu spät, jeder lebte bereits sein eigenes Leben und wollte nicht zurück.
Ein paar Jahre nach der Scheidung beschloss sie, nach Föhr zurückzukehren. Seit fünfzehn Jahren wohnt sie nun wieder hier und arbeitet als Allgemeinmedizinerin. Mit der eigenen Praxis in ihrem Heimatort hat sie sich einen Lebenstraum erfüllt. Ihr Toyota passt genau zwischen die beiden Ulmen vor dem Eingang ihres kleinen Reetdachhauses. Einen Moment lang schaut sie hoch zu den Blättern, die mit ihrem sanften Rascheln ein heiteres Geräusch zu diesem wunderbaren Sommertag beisteuern. Kaum hat sie die Praxis betreten, empfängt ihre Sprechstundenhilfe Sandra Michaelis sie mit neugierigem Blick. Es ist sieben Uhr, die ersten Patienten sitzen bereits vor dem kleinen Labor und warten aufs Blutabnehmen.
«Na? Auf großer Fahrt gewesen?», erkundigt sich Sandra. Sie ist gerade zweiundzwanzig geworden, hat ihre langen blonden Haare neuerdings pechschwarz gefärbt. «Moin, Sandra. Na, so weit war es auch wieder nicht.» Das muss genügen, Kontaktanzeigen im Internet gehen ihre Sprechstundenhilfe wirklich nichts an. «Bei dir sitzt schon der erste Notfall.» «Was?» Maike hastet ins Sprechzimmer. «Überraaaaschung!» Carla sitzt strahlend hinter ihrem Schreibtisch und hat vor sich ein üppiges Frühstück mit Croissants, frisch gepresstem Orangensaft, Obst und Tee aufgebaut. Von hinten scheint die Sonne auf all die Köstlichkeiten. «Moin, Moin», murmelt Maike. So gern sie sonst mit ihrer Freundin tratscht und klatscht, im Moment möchte sie am liebsten für sich sein und einfach mit der Arbeit beginnen. «Du bist heute früh aufgestanden und hast bestimmt noch nicht gefrühstückt», vermutet Carla. «Stimmt.» Aber ich habe im Moment gar keine Lust, dir brühwarm jede Einzelheit von Rainer zu erzählen, fügt Maike in Gedanken hinzu. Plötzlich hat sie Rainer wieder klar vor Augen. Sie stellt sich vor, wie er seinen Hotelgästen gerade das Frühstück auf der Terrasse mit Blick aufs Wattenmeer serviert. An einem Tag wie diesem muss das ein Traum sein. Und dann fällt ihr ein, wie er sie beim Abschied gestern Nacht fest umarmt und vorsichtig auf die Wangen geküsst hat. Ob er auch gerade an sie denkt?
Erst jetzt sieht sie, dass auf dem Tisch nur ein Gedeck steht. Carla will also gar nicht quatschen, sondern ihr nur etwas Gutes tun. Plötzlich schämt Maike sich für ihre schlechten Gedanken und umarmt ihre beste Freundin überschwänglich. «War Harald hier?», flüstert sie. Carla kneift ihr lachend in die Wange. «Glaubst du an Geister?» Maike antwortet darauf lieber nicht. Harald ist kein Geist, leider, und er wird mit Sicherheit bald bei ihr auftauchen. Das hat sie im Gefühl.
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Plötzlich piepst ihr Handy in die Morgenstille hinein: eine SMS von ihrer besten Freundin Carla. Na, schon wach? Es ist sechs Uhr, vermutlich ist Carla gerade aufgewacht und platzt vor Neugier. Immerhin ist sie der Grund, warum Maike jetzt hier steht. Sie erhält die einzig passende Antwort auf ihre Frage: «Nein, ich schlafe noch!» Carla hatte ihr zum Geburtstag ein Schnupper-Abo für eine Partnervermittlung geschenkt, drei Monate durfte Maike auf schmetterlinge.de paarungswillige Männer sichten und bei Bedarf auch kennenlernen. Erst war Maike schwer beleidigt gewesen: Hatte sie so etwas nötig? Nach ihrer Scheidung - wie viel Jahre war das jetzt her, fünfzehn? - hatte sie nichts vermisst, vor allem keinen Mann. Nicht, weil sie verbittert gewesen wäre, es hatte sich einfach nicht ergeben. Aber nachdem Carla vor einem Jahr ihren Thor übers Internet kennengelernt hatte, war sie so glücklich, dass sie ihrer besten Freundin ebenfalls etwas Gutes tun wollte. Für schmetterlinge.de musste Maike ein Foto von sich ins Netz stellen und einen Fragebogen mit Angaben zu ihrer Person ausfüllen, was ihr beides gehörig gegen den Strich ging.
Sie hatte sich dennoch für folgende Version entschieden: «Maike, Hausärztin, geboren in Oldsum auf Föhr, geschieden in Hamburg, Lieblingsmusik: unberechenbar von Mozart bis Pop. Hobby: Siebenkampf, am liebsten mag ich Weitsprung, was ich wegen meiner langen Beine am besten kann. Anmerkung: Ich habe das Abo für diese Seite von meiner besten Freundin geschenkt bekommen, sonst wäre ich nie auf die Idee gekommen, mich hier anzumelden.» Letzteres klang nicht besonders motivierend, hatte Carla kritisiert. Umso erstaunlicher, wer sich alles darauf meldete: großkotzige Geldsäcke, Muttersöhnchen und Landwirte, psychisch Gestörte, ein Marineoffizier aus Paraguay, ein Lehrer aus der Schweiz. Einer schrieb, dass auch er das Abo zum Geburtstag geschenkt bekommen habe und ebenfalls nicht so recht wisse, was er davon halten solle. Das fand sie sympathisch. Das Foto zeigte einen freundlichen, dunkelhaarigen Mann mit neugierigen braunen Augen.
Er hieß Rainer Martens und betrieb ein kleines Familienhotel im Osten von Sylt, fernab vom großen Rummel. Er hatte den Bauernhof seiner Eltern zum Hotel umgebaut, kam also wie sie aus der Landwirtschaft. Zuerst waren es diese Gemeinsamkeiten, die sie neugierig machten, aber wirklich entscheidend war dann seine warme wohltuende Bassstimme bei ihrem ersten Telefonat. «Vergiss nicht, dass das erste Treffen auf keinen Fall bei dir stattfinden darf!», warnte sie Carla. Die Arme hatte mindestens ein Dutzend frustrierender Dates hinter sich gebracht, bevor sie Thor kennengelernt hatte.
«Weiß ich selbst», beschwichtigte Maike ihre Freundin. Falls sich Rainer wider Erwarten als Pleite herausstellen sollte, wollte sie jederzeit abhauen können. Es gab da allerdings etwas anderes, was ihr viel mehr Sorgen bereitete: «Er ist genauso alt wie ich.» «Und?» «Männer sehnen sich doch eher nach was Jüngerem.» «Du hast das Sportabzeichen in Gold», erinnerte Carla. «Gut, dann stecke ich mir das ans Revers», antwortete Maike trocken. Ihre Zweifel wurden immer größer, je näher das Treffen rückte. «Er will dich treffen, also was soll's? Außerdem hast du kaum Falten ...» «Eben: kaum ...» «Schwarze Haare ...» «Weil ich die grauen übertönt habe ...» «Und deine blauen Augen leuchten wie eh und je aus deinem hübschen Gesicht. Ganz im Ernst, Maike, so etwas Apartes wie dich muss man erst mal finden.» Wieso ihr Herz dann so klopfte, als sie gestern in Westerland aus dem Zug stieg, war ihr unerklärlich. Es war völlig albern, weil sie ja gar nichts erwartete. Schließlich war sie keine achtzehn mehr, sondern fröhliche zweiundsechzig. Rainer stand am Ende des Bahnsteigs. Er hatte braunes Haar, wie auf dem Foto, und war gerade noch schlank zu nennen.
Einer, der etwas für sich tat, sich aber nicht kasteite. Obwohl er groß war und wie ein richtiger Kerl aussah, verriet sein Blick leichte bis mittelschwere Nervosität. Das beruhigte sie. Treffen dieser Art waren offensichtlich auch nicht sein tägliches Brot. Nachdem er sie mit einem festen Händedruck und einem warmen Lächeln begrüßt hatte, führte er sie zu seinem alten Kombi, der voll beladen mit frischer Bettwäsche vor dem Bahnhof stand. «Eigentlich wollte ich mir ein Cabrio leihen», entschuldigte er sich, «aber zwei meiner Angestellten sind krank geworden, also musste ich die Hotelwäsche vom Zug abholen. » «Für mich geht es auch ohne Cabrio», hatte sie lachend geantwortet. «Na ja, ich dachte, falls mein Charakter nicht überzeugt, beeindrucke ich dich wenigstens mit einem schicken Wagen.» Sein lockerer Ton nahm ihr einen großen Teil der Anspannung. Er fuhr sie zu ihrem Hotel in Wenningstedt, wo sie kurz ihren Trolley im Zimmer abstellte, dann ging es weiter zu einem wunderbar einsamen Strand in der Nähe von Hörnum. Dort spazierten sie erst mal ein paar Stunden am Meer entlang, das auf der Westseite von Sylt viel wilder war als auf Föhr. Hohe Wellen schossen unaufhörlich vom Horizont heran, bäumten sich vor dem Strand auf und brachen dann mit Getöse in sich zusammen. Dazu lieferte die Sonne vom wolkenlosen, blauen Himmel alles an Wärme, was sie zu bieten hatte. Allein der knatternde Wind kühlte die Temperatur auf ein angenehmes Maß ab. Rainer und sie ließen sich ordentlich durchpusten und quatschten über alles, was ihnen gerade einfiel.
Das ging kreuz und quer von herrlich missglückten Essenseinladungen bis zu Hotelgast- und Patientenanekdoten. Dass sie so viel zusammen lachen konnten, war für sie ein gutes Zeichen. Rainer besuchte gern Kunstausstellungen und vertraute dabei seinem persönlichen Geschmack mehr als irgendwelchen Fachleuten - auch in diesem Punkt waren sie ähnlich gestrickt. Nach dem Strandspaziergang führte er sie in ein kleines Restaurant, das stilvoll, aber nicht überkandidelt war. Ihr fiel auf, dass er ständig mit den Händen Kontakt zu seiner Umgebung suchte. Zum Beispiel strich er mehrmals über die Speisekarte aus rauer Pappe, bevor er sie aufschlug, und während er redete, befühlte er mit Zeige und Mittelfinger die weiße Stoffserviette. Bis zwei Uhr nachts hatten sie sich eine Menge zu sagen gehabt, ohne dass auch nur eine peinliche Pause entstand. Alles lief wie von selbst, als säßen sie in einem Boot, das nur von der Strömung getragen wurde. Trotzdem hatte sie es vorgezogen, in Westerland zu übernachten statt in seinem Archsumer Hotel, was er selbstverständlich akzeptierte. Wie gern wäre sie noch länger auf Sylt geblieben, aber ihr stand ein langer Tag in der Praxis bevor, und ihre Patienten konnte sie auf keinen Fall hängenlassen. Föhr rückt immer näher, es wird nun richtig warm in der Sonne.
Die weiße MS Schleswig-Holstein sucht sich in niedrigem Gang ihren Weg durchs Wattenmeer. Es ist Ebbe, die gesamte Meeresmasse flieht geschlossen zum Horizont. An einigen Prielen entstehen kleine Wirbel, immer mehr Sandbänke tauchen im Wasser auf. Die schmale Fahrrinne ist mit Reisigbündeln abgesteckt, die wie übergroße Besen aussehen. Um diese Uhrzeit sind nicht mehr als zwei Dutzend Passagiere an Bord, die sich über das gesamte große Schiff verstreuen, darunter auch ein paar Insulaner. Auf dem Autodeck unter ihr hat Maike Dieter Trulsen entdeckt. Er steht in Gummistiefeln und weißem Kittel neben seinem Meiereilaster und stopft sich gerade ein großes Stück Käsekuchen in den Mund. Er ist ihr Patient und sollte wegen seines starken Bluthochdrucks eigentlich dringend abnehmen. Ein Infarkt ist keine Kleinigkeit, und wenn man ihn vermeiden kann ... Andererseits ist Trulsen volljährig und sie nicht im Dienst.
Gerade wandern ihre Gedanken wieder zu Rainer, da klingelt ihr Handy erneut. Diesmal hängt Carla direkt am Hörer und kommt ohne Begrüßung zur Sache: «Ich muss es wissen: Wie war Rainer?» Maike lacht laut auf. «Geht dich das was an?» «Hör mal! Ich bin deine beste Freundin.» Dabei weiß Carla genau, dass sie immer sehr schweigsam wird, wenn es ans Eingemachte geht. «Ich sehe es positiv», erklärt Maike ausweichend. Es klingt so spröde wie eine Regierungserklärung. Klar, dass sich Carla damit nicht zufrieden gibt. Prompt stellt sie die schwierigste aller Fragen: «Und er?» «Keine Ahnung.» Maike fand es wunderbar mit Rainer, aber das muss er nicht genauso empfunden haben. Andererseits, wäre er nicht früher gegangen, wenn es ihm nicht gefallen hätte? «Lüge, das spürt man doch!» Wenn sie ihm wichtig ist, denkt Maike, wird er sich melden. Und zwar heute noch. Alles andere würde sie nur bei Herzstillstand akzeptieren. «Stimmt.» «Hummeln im Bauch?» Ein bisschen vielleicht, aber in ihrem Alter wirft man nicht einfach die Vernunft über Bord, da darf man sich ruhig ein bisschen Zeit lassen. Plötzlich zuckt Maike zusammen. Neben Dieter ist ein Mann aufgetaucht, der sie an irgendjemanden erinnert.
Sie sieht ihn nur von der Seite: markantes Kinn, volle, graumelierte Haare, schmale Adlernase. Jetzt fällt es ihr ein. Er hat vor über vierzig Jahren einen Sommer lang in Oldsum gewohnt. Also nicht der Mann, der dort steht, sondern der, an den er sie erinnert, Harald Peterson aus San Francisco. Ihr Bauch krampft sich zusammen. «Du glaubst es nicht, Carla, hier steht ein Typ, der genauso aussieht wie Harald!» «Nicht ablenken», ermahnt Carla sie lachend. Seit einer Ewigkeit hat Maike nicht an Harald gedacht, und ausgerechnet an diesem wundervollen Morgen taucht sein Doppelgänger auf. Zu blöde, aber sie darf sich auf keinen Fall die Laune verderben lassen. «Er sieht wirklich aus wie Harald!» «Hallo?» Maike dreht sich zur Seite und holt tief Luft. «Ich hätte nie damit gerechnet, dass es mit Rainer so schön werden würde», rutscht es ihr raus. Es ist das erste Mal, dass sie es ausspricht. Für sie ist es immer noch gewöhnungsbedürftig, dass Rainer und sie sich über den Computer kennengelernt haben statt in einer Disko oder auf irgendeiner Party. Andererseits, in welche Disko sollte sie mit zweiundsechzig wohl gehen, um jemanden kennenzulernen? Vorsichtig lugt sie in Richtung des Doppelgängers.
Der dreht sich jetzt um und schaut zu ihr hoch. Hat er gespürt, dass sie ihn beobachtet? Für eine Sekunde sieht sie direkt in sein Gesicht, es gibt nun keinen Zweifel mehr. Der Boden unter ihren Füßen schwimmt förmlich weg, als würde die Fähre gerade untergehen. «Du, Carla, das ist tatsächlich Harald Peterson.» Sie zieht den Griff ihres Trolleys ruckartig hoch und stürmt in den Salon. Dort hockt als einziger Gast ihr Patient Dieter und schiebt sich gerade das zweite Stück Käsekuchen in den Mund. Carla lacht aus dem Hörer. «Es muss phantastisch gewesen sein mit Rainer.» «Wieso?», fragt Maike matt. «Wenn du so durcheinander bist, dass du schon in irgendwelchen Typen Harry siehst ...» «Aber ...» Harald betritt nun ebenfalls den Salon. Sie versteckt sich schnell hinter dem Bällebecken für die Kinder. Von seiner Position aus kann er sie unmöglich sehen. Sie atmet auf und nutzt die Situation, um ihn ein bisschen zu beobachten.
Natürlich ist er nicht mehr der junge Mann von damals, aber sie muss zugeben, dass er sich gut gehalten hat. Mit den schwarzen Ringen unter den hellgrünen Augen wirkt er müde, das ist auch alles. Er trägt eine elegante schwarze Hose, ein schwarzes T-Shirt und eine Designerbrille mit dunklem Rahmen. Seine leicht gewellten Haare sind mittlerweile graumeliert, aber immer noch üppig. Er ginge glatt als Modeschöpfer oder bildender Künstler durch - wer weiß, vielleicht ist er das auch. Mit etwas Phantasie erinnert er immer noch an den Sonnyboy aus San Francisco, der seine blonde Mähne mit einem roten Stirnband bändigte und in bunten T-Shirts und indischen Pumphosen über die Föhrer Marschwiesen lief. «Du bist verwirrt», freut sich Carla. «Mehr muss ich gar nicht wissen. Bis bald.» Maike drückt das Handy aus. Harald steht an der Theke im Salon und lässt sich einen Becher Milchkaffee geben. Was will der auf Föhr? Natürlich könnte sie jetzt auf ihn zugehen und sagen: «Hey, wie geht's denn so? Schön, dich zu sehen. Mensch, wie die Zeit vergeht ...» Aber das ist das Letzte, was sie will. Also schnappt sie sich ihren Trolley und verzieht sich aufs fast leere Autodeck, was sich als Fehler erweist. Sie hört nämlich Schritte hinter sich. Verdammt, er hat sie erkannt und folgt ihr nun! War sie im Salon doch zu unvorsichtig gewesen? Jetzt gibt es kein Entkommen mehr, der Weg nach hinten ist abgeschnitten, nach links und rechts kann sie auch nicht fliehen. Sie blickt sich hilfesuchend um. Ein paar Meter entfernt steht der riesige Meiereilaster von Dieter Trulsen. Sie eilt hin, stellt sich kurz entschlossen auf die erste Stufe und nimmt den Türgriff in die Hand. Sie hat Glück, der Lkw ist nicht abgeschlossen. Mit einem Ruck reißt sie die Tür auf, zieht ihren Trolley hoch und wirft ihn auf den Sitz. Dann zieht sie die Tür zu und versteckt sich im Fußraum unter dem Lenkrad. Es riecht nach Staub und alter Gummimatte. Ihr Herz pocht so schnell wie seit Jahrzehnten nicht, sie japst nach Luft. Ruums, wird die Tür aufgerissen.
Mist, er hat sie gesehen. «Harald?», ruft sie erschrocken. Doch stattdessen steht Dieter vor ihr und macht große Augen: «Frau Dokter?» Was denkt wohl ein Patient, wenn er seine Hausärztin zusammengekrümmt im Fußraum seines Wagens entdeckt? So etwas machen höchstens Irre oder Paranoiker auf Droge. Sie pult sich aus dem Fußraum und hangelt sich auf den Beifahrersitz neben ihren Trolley. Ihr fällt nicht im Geringsten ein, was sie sagen könnte. Und je länger sie schweigt, desto peinlicher wird die Situation. «Du hast da was», murmelt Maike und deutet auf ein paar Käsekuchenkrümel in Dieters Mundwinkel. Wie lächerlich. Erst jetzt wird ihr bewusst, wie rot sie geworden sein muss, ihr Gesicht glüht. Dieter setzt sich auf den Fahrersitz und schaut schweigend durch die Windschutzscheibe, sie folgt seinem Blick. Zum Glück ist er ein wortkarger Friese, der im Zweifel gar nichts sagt. Harald ist nirgendwo zu sehen, stattdessen erscheint hinter der Bugkante der Hafen von Wyk, gleich sind sie da. «Kann ich mit dir von Bord fahren?», fragt sie. Er verbirgt sein Staunen fast perfekt und nickt. «Jo.» Bis die Fähre anlegt, warten sie stumm nebeneinander, dann rollen sie von Bord. Wahrscheinlich wird sich ihre sonderbare Aktion auf der Insel in Windeseile herumsprechen, aber das ist immer noch besser, als auf Harry zu treffen. Der Gedanke lässt sie ein bisschen ruhiger werden. Als sie den Hafenparkplatz erreichen, setzt Dieter sie neben ihrem kleinen Toyota ab. Die beiden verabschieden sich knapp wie immer, und Maike steigt aus. In ihrem eigenen Auto atmet sie erst einmal tief durch, bevor sie den Motor startet.
Dann tuckert sie über die vertrauten Dörfer, Wrixum und Alkersum, dahinter beginnt die weite Fläche der Marsch. Langsam fängt sie an, sich zu entspannen. Ist doch alles halb so dramatisch, sagt sie sich. Du hattest eine phantastische Nacht, und auf dem Rückweg nach Hause ist dir eben der Mann über den Weg gelaufen, der dir früher einmal ... Sie verbietet sich jeden weiteren Gedanken an Harald und beschließt, stattdessen lieber die Landschaft zu genießen. Sattgrüne Gräser wiegen sich in einer leichten Brise, Bäume und Büsche verharren in ihrer gewohnten Westwindschräge, die von ganz anderen Wettern erzählt. Der letzte Winter war kalt, es gab ein paar schwere Orkane und ungewöhnlich viel Schnee, der vom Wind zu hohen Bergen verweht wurde und die Inselstraßen unpassierbar machte. Zudem konnte die Fähre wegen des Eisgangs ein paar Tage lang nicht fahren. Kaum vorstellbar an einem prallen Sommertag wie diesem. Schon von weitem sind die Flügel der großen Windmühle zu erkennen, das Wahrzeichen von Oldsum. Ein Fünfhundert-Seelen-Dorf, in dem fast jedes Haus rot geklinkert ist, weiße Sprossenfenster hat und mit Reet gedeckt ist. Noch immer erkennt man, dass hier einmal überwiegend Bauern gewohnt haben, neben fast jedem Haus gibt es ein Stallgebäude mit einem großen Scheunentor. Wo früher das Vieh stand, verbringen nun wohlhabende Zweitwohnungsbesitzer vom Festland ihre Wochenenden.
In Oldsum gibt es einen Supermarkt, der gleichzeitig mit dem einzigen Café des Ortes um sechs Uhr schließt, und ein Gasthaus mit bürgerlicher Küche, das um neun dichtmacht. Im Sommer versuchen einige kleine Kunstgaleristen ihr Glück mit dem Bilderverkauf an Touristen. Das ist alles. Die Inselhauptstadt Wyk mit ihren fünftausend Einwohnern wirkt dagegen wie eine hektische Metropole. Statt hupender Touristenautos hört man in Oldsum meist nur den stetigen Wind durch die Straßen wehen. Maike ist hier geboren und aufgewachsen. Nach dem Abitur verließ sie die Insel und ging zum Medizinstudium nach Hamburg, anschließend arbeitete sie viele Jahre als Internistin in der Uniklinik Eppendorf und heiratete irgendwann ihren Chef. Die Ehe hielt zwölf Jahre, ihr Mann war mehr mit der Klinik und seiner Forschung verheiratet als mit ihr. Als sie es bemerkten, war es zu spät, jeder lebte bereits sein eigenes Leben und wollte nicht zurück.
Ein paar Jahre nach der Scheidung beschloss sie, nach Föhr zurückzukehren. Seit fünfzehn Jahren wohnt sie nun wieder hier und arbeitet als Allgemeinmedizinerin. Mit der eigenen Praxis in ihrem Heimatort hat sie sich einen Lebenstraum erfüllt. Ihr Toyota passt genau zwischen die beiden Ulmen vor dem Eingang ihres kleinen Reetdachhauses. Einen Moment lang schaut sie hoch zu den Blättern, die mit ihrem sanften Rascheln ein heiteres Geräusch zu diesem wunderbaren Sommertag beisteuern. Kaum hat sie die Praxis betreten, empfängt ihre Sprechstundenhilfe Sandra Michaelis sie mit neugierigem Blick. Es ist sieben Uhr, die ersten Patienten sitzen bereits vor dem kleinen Labor und warten aufs Blutabnehmen.
«Na? Auf großer Fahrt gewesen?», erkundigt sich Sandra. Sie ist gerade zweiundzwanzig geworden, hat ihre langen blonden Haare neuerdings pechschwarz gefärbt. «Moin, Sandra. Na, so weit war es auch wieder nicht.» Das muss genügen, Kontaktanzeigen im Internet gehen ihre Sprechstundenhilfe wirklich nichts an. «Bei dir sitzt schon der erste Notfall.» «Was?» Maike hastet ins Sprechzimmer. «Überraaaaschung!» Carla sitzt strahlend hinter ihrem Schreibtisch und hat vor sich ein üppiges Frühstück mit Croissants, frisch gepresstem Orangensaft, Obst und Tee aufgebaut. Von hinten scheint die Sonne auf all die Köstlichkeiten. «Moin, Moin», murmelt Maike. So gern sie sonst mit ihrer Freundin tratscht und klatscht, im Moment möchte sie am liebsten für sich sein und einfach mit der Arbeit beginnen. «Du bist heute früh aufgestanden und hast bestimmt noch nicht gefrühstückt», vermutet Carla. «Stimmt.» Aber ich habe im Moment gar keine Lust, dir brühwarm jede Einzelheit von Rainer zu erzählen, fügt Maike in Gedanken hinzu. Plötzlich hat sie Rainer wieder klar vor Augen. Sie stellt sich vor, wie er seinen Hotelgästen gerade das Frühstück auf der Terrasse mit Blick aufs Wattenmeer serviert. An einem Tag wie diesem muss das ein Traum sein. Und dann fällt ihr ein, wie er sie beim Abschied gestern Nacht fest umarmt und vorsichtig auf die Wangen geküsst hat. Ob er auch gerade an sie denkt?
Erst jetzt sieht sie, dass auf dem Tisch nur ein Gedeck steht. Carla will also gar nicht quatschen, sondern ihr nur etwas Gutes tun. Plötzlich schämt Maike sich für ihre schlechten Gedanken und umarmt ihre beste Freundin überschwänglich. «War Harald hier?», flüstert sie. Carla kneift ihr lachend in die Wange. «Glaubst du an Geister?» Maike antwortet darauf lieber nicht. Harald ist kein Geist, leider, und er wird mit Sicherheit bald bei ihr auftauchen. Das hat sie im Gefühl.
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Autoren-Porträt von Janne Mommsen
Janne Mommsen hat in seinem früheren Leben als Krankenpfleger, Werftarbeiter und Traumschiffpianist gearbeitet. Inzwischen schreibt er überwiegend Romane und Theaterstücke. Mommsen hat in Nordfriesland gewohnt und kehrt immer wieder dorthin zurück, um sich der Urkraft der Gezeiten auszusetzen.
Bibliographische Angaben
- Autor: Janne Mommsen
- 2014, 2. Aufl., 320 Seiten, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Rowohlt TB.
- ISBN-10: 3499267381
- ISBN-13: 9783499267383
- Erscheinungsdatum: 20.05.2014
Rezension zu „Friesensommer “
Große Gefühle, tolle Charaktere, ein sicheres Gespür für das Drama, natürlich Humor und vor allen Dingen unsere schöne Insel sind die Zutaten für den «Friesensommer». Wir Insulaner
Pressezitat
Große Gefühle, tolle Charaktere, ein sicheres Gespür für das Drama, natürlich Humor und vor allen Dingen unsere schöne Insel sind die Zutaten für den «Friesensommer». Wir Insulaner
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