Für dich immer noch Sie Arschloch!
Von der Autorin des Nr. 1-Bestsellers "Eats, Shoots and Leaves", dem englischen Pendant zu Bastian Sicks "Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod".
Für dich immer noch Sie Arschloch von Lynne Truss
LESEPROBE
Einleitung
Wenn s hart auf hart kommt
Falls Sie heutzutage eineKurzeinführung in eine uns vollkommen fremde Kultur wollen, gibt es keinen schnellerenWeg, als einen Blick in ein Lehrbuch der französischen Sprache zu werfen. Nichtweil es sich bei Französisch um eine Fremdsprache handelt, sondern weil Siefeststellen werden, dass die erste Lektion normalerweise in einem Laden spielt.
»Guten Morgen, Madame.«
»Guten Morgen, Monsieur.«
»Womit kann ich Ihnen dienen?«
»Ich möchte bitte einigeTomaten/Eier/Briefmarken.«
»Selbstverständlich. An wie vieleTomaten/Eier/Briefmarken hatten Sie gedacht?«
»Sieben/fünf/zwölf, vielen Dank.«
»Das macht sechs/vier/zwei Euro.Haben Sie es klein?«
»Ja, ich habe es passend.«
»Vielen Dank, Madame.«
»Vielen Dank, Monsieur. AufWiedersehen!«
»Auf Wiedersehen!«
Das Erstaunliche ist nun, dassdieser förmliche, sehr höfliche Wortwechsel tatsächlich das wiedergibt, was sichin einem französischen Geschäft abspielt. Französische Ladenbesitzer sagentatsächlich »Guten Tag« und »Auf Wiedersehen«, sie beantworten Fragen, sie packenWaren hübsch ordentlich ein, und wenn der Einkauf getätigt ist, winken sieeinem zum Abschied zu wie einem nahen Verwandten. Kein stummes, genervtes Achselzucken,an das wir englischen Kunden uns so gewöhnt haben. Stellen Sie sich einEnglischlehrbuch für französische Besucher vor, das ebenso realistisch ist -nennen wir es »Dans le magasin«.
»Verzeihen Sie bitte, arbeiten Siehier?«
»Was?«
»Ich sagte, verzeihen Sie bitte,arbeiten Sie hier?«
»Nur, wenn ich es nicht vermeidenkann, ha, ha, ha.«
»Haben Sie Tomaten/Eier/Briefmarken?«
»Also, Sie müssen sich schonentscheiden. Oh, mein Handy klingelt.«
Dieses Buch verfolgt zweibescheidene Ziele: Erstens, den augenfälligen Verfall der Höflichkeit in allen Lebensbereichen,wo wir es mit Fremden zu tun haben, zu betrauern, allerdings nicht von einemerhabenen Standpunkt aus oder mit akademischer Strenge, und zweitens, in denTrümmern eine winzige Flamme der Hoffnung auszumachen und sie wie wild miteinem großen Hut anzufachen. Ob dieses Vorhaben irgendeinen Nutzen hat? Nun, invieler Hinsicht nicht. Es hat überhaupt keinen. Zum einen ist es wenigoriginell und eigentlich ein Selbstgänger, sich gegen schlechtes Benehmenauszusprechen. (Man fühlt sich an den berühmt gewordenen Einspruch gegen die»Frauen gegen Vergewaltigung«-Kampagne erinnert: »Gibt es denn Frauen, die fürVergewaltigung sind?«) Zudem sieht es so aus, alssei bereits sehr viel Gutes über dieses Thema geschrieben worden, das Feld istalso weitgehend beackert. Drittens, und das ist wahrlich entmutigend, hat dergroße Soziologe Erving Goffmanschon 1971 geschrieben: »Die Beunruhigung über die Erscheinungen desöffentlichen Lebens hat unsere Fähigkeit, Licht in diese Dinge zu bringen,längst weit überholt.« Kurz und gut: Es lohnt sichnicht, es zu sagen; es ist bereits gesagt worden; und es ist sowieso unmöglich,etwas Adäquates darüber zu sagen. Das ist das Problem, wenn man zurecherchieren anfängt.
Sei s drum. In meinem Buch über dieZeichensetzung ging es im Grunde darum festzustellen, dass ich wegen etwas, dasim Vergleich zu Kriegen, Hungersnöten und dem drohenden Untergang derwestlichen Zivilisation doch ziemlich unbedeutend schien, sonderbarerweise kurzvor dem Ausrasten war. Genauso ist es mit Talk to theHand. Ich möchte lediglich beschreiben und analysieren, dass man zuweilenvor Empörung und Frust schier ausrasten möchte, was einem im günstigsten Falleinen ansonsten schönen Tag verderben und im schlimmsten Fall dazu führen kann,dass man beschließt, sich von der nächsten Brücke zu stürzen.
Sie liegen zum Beispiel beimZahnarzt auf dem Behandlungsstuhl, warten ruhig darauf, dass die Betäubungsspritzewirkt, und die Zahnarzthelferin sagt Ihnen ins linke Ohr: »Egal, ich habe denFlug gebucht, und da war er vierzig Pfund teurer.«Worauf der Zahnarzt Ihnen ins rechte Ohr spricht: »Nein! Innerhalb von nur zweiStunden?« Und Sie sagen, ziemlich erbost: »Hören Sie, ich bin nichtbewusstlos«, und dann sagen die beiden gar nichts mehr, aber Sie wissen genau,wie sie die Augen verdrehen und sich einig sind, dass Sie entweder totaldurchgeknallt sind oder in der Menopause oder womöglich gleich beides.
Es geht nicht darum, ob es eineFrage des zunehmenden Alters ist, in dem man einfach intoleranter wird. Ich fürmeinen Teil muss mich kaum gegen irgendwelche reflexartigen Anschuldigungen àla »Ach, die grantige Alte schon wieder« verteidigen, jung und frisch undliberal und überhaupt, wie ich selbstverständlich bin. Allerdings muss icheinräumen, dass die empörte Reaktion (»WIE UNVERSCHÄMT!«)bei den meisten Menschen etwa um die Zeit herum auftritt, wenn die Ellenbogenhautanfängt zu erschlaffen. Am besten, Sie überprüfen es gleich mal an Ihrem eigenenEllenbogen. Wenn die Haut wieder zurückschnellt, nachdem Sie den Arm gebeugthaben, dann sollten Sie diese Buch wahrscheinlichnicht lesen. Wenn sie dagegen runzelig absteht, ein bisschen rau und streitlustig,dann können Sie wahrscheinlich hier und jetzt aus dem hohlen Bauch heraus rundzwanzig Dinge aufzählen, die Sie in den Wahnsinn treiben: Leute, die im Kinoquatschen; junge Leute, die zu viert nebeneinander über den Bürgersteigschlendern; Kellner, die »Bitteschööön« sagen, wennsie einem den Suppenteller auf den Tisch stellen; Leute, die nicht malversuchen, die Stimme zu senken, wenn sie »Verpiss dich« oder »Scheiße« sagen.Leute mit junger, dehnbarer Ellenbogenhaut definieren sich einfach nicht sohäufig über Dinge, die ihnen auf den Wecker gehen. Warnen Sie einen jungenMenschen, dass »jeder Mensch genau das wird, was er verabscheut«, er wirdwahrscheinlich ziemlich fröhlich erwidern, das sei schon in Ordnung, denn dasEinzige, was er wirklich hasse, sei Brokkoli.
Ich dagegen kann heute viele, vieleDinge nicht ausstehen, und ich halte ständig Ausschau nach weiteren, die ichabsolut inakzeptabel finde. Sobald ich höre, dass jemand eine»Gluten-Intoleranz« oder eine »Laktose- Intoleranz« hat, fühle ich michübergangen. Ich will auch so eine Gluten-Intoleranz. Ich meine, wie langemüssen wir uns diesen ganzen Glutenscheiß noch bieten lassen? Laktose hat langegenug ihren Willen gehabt. Und doch bestreite ich verblüffenderweise,dass mein Denken nach rechts driftet. Ich frage mich doch nur: Ist es nichtseltsam, dass viele nette, ziemlich junge, liberale Menschen insgeheimanfangen, sich für die drastischen Kaugummi-Strafen in Singapur zu erwärmen?
Ist es nicht seltsam, dass nette,ziemlich junge, liberale Menschen angesichts eines Teenagers, der auf einemSkateboard durch Marks & Spencer s fährt, denrechtschaffenen Drang verspüren, den Fuß auszustrecken und dafür zu sorgen,dass er Purzelbäume schlägt und in einem Regal mit Gesundheitsschuhen landet?Und ich gebe zu, dass allein der Gedanke, so direkt und elegant Rache zu nehmen- »Da geht er hin, bitteschön!« -, mich mit tiefempfundener Freude erfüllt. ( )
© Goldmann Verlag
Übersetzung: Elvira Willems
- Autor: Lynne Truss
- 2007, 2, 220 Seiten, Maße: 13 x 20,5 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Goldmann
- ISBN-10: 3442311322
- ISBN-13: 9783442311323
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