Geheime Gärten
Die neue arabische Welt
Von außen erscheint die arabische Welt einerseits bedrohlich, andererseits eigentümlich statisch. Doch die Staaten des Nahen und Mittleren Ostens wie Nordafrikas befinden sich in einer historischen Umbruchphase, auch wenn der arabisch-israelische...
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Produktinformationen zu „Geheime Gärten “
Klappentext zu „Geheime Gärten “
Von außen erscheint die arabische Welt einerseits bedrohlich, andererseits eigentümlich statisch. Doch die Staaten des Nahen und Mittleren Ostens wie Nordafrikas befinden sich in einer historischen Umbruchphase, auch wenn der arabisch-israelische Friedensprozess zu stagnieren scheint. Der Krieg um Kuwait, der Friedensprozess im Nahen Osten haben die Beziehungen der Länder zueinander in Bewegung gebracht; es gibt neue weltwirtschaftliche Herausforderungen und Integrationsversuche, die die Region vor völlig neue Fragen stellen. Der Tod langjähriger Herrscher wie König Hussein von Jordanien, König Hassan von Marokko und Präsident Asad von Syrien hat in der arabischen Welt einen Generationenwechsel eingeleitet, der innerhalb eines Jahrzehnts zu einem vollständigen Austausch der politischen Führungseliten - nicht nur der Könige und Präsidenten - führen wird. Der Autor untersucht die Faktoren des Wandels in den wichtigsten Staaten dieser Region. Er fragt dabei nach den Chancen der wirtschaftlichen wie der politischen Erneuerung. Der Nahe und Mittlere Osten entwickelt sich mittelfristig sicher nicht zu einer europäischen Demokratie. Er wird aber pluralistischer, und die neuen Führungen sind daran interessiert, ihre Länder wirtschaftlich stärker zu öffnen, besonders Europa gegenüber. Fraglich bleibt, ob diese Generation in der Lage sein wird, innergesellschaftliche und zwischenstaatliche Konflikte erfolgreicher zu bewältigen als vorangegangene Generationen. Die Frage von Krieg und Frieden bleibt nicht nur nach außen hin virulent.
Lese-Probe zu „Geheime Gärten “
Erzwungene Erneuerung?Der Untertitel dieses Buches - "die neue arabische Welt" - ist seit dem Irakkrieg von 2003 viel aktueller geworden, als er es ein Jahr zuvor zu sein schien, als die "Geheimen Gärten" in ihrer ersten Auflage auf den Markt kamen. Mehr denn je wird heute von Erneuerung, Reform oder Neuordnung der arabischen Staaten und Gesellschaften gesprochen, nicht zuletzt von amerikanischer Seite. Zu Beginn des Jahres 2004 war in Washington amtlich geworden, dass die offizielle Begründung des Irakkriegs durch die US-Administration - die angebliche Existenz einsatzfähiger irakischer Massenvernichtungswaffen - unkorrekt gewesen war. Selbst Außenminister Colin Powell gab in einem Interview zu, dass er nicht wisse, ob er zur Invasion in den Irak geraten hätte, wenn die Geheimdienste ihm damals, vor dem Krieg, gesagt hätten, was der oberste amerikanische Waffeninspekteur, David Kay, zum Abschluss seiner Tätigkeit feststellte: dass es die vermuteten Waffenbestände eben nicht gebe. Der Irakkrieg, so Powell und andere führende amerikanische Politiker, sei deshalb aber nicht falsch gewesen, schließlich sei der irakische Diktator gestürzt. Man redet zwar nicht mehr, wie vor dem Krieg, von Dominoeffekten - davon dass, wenn nur das Regime in Bagdad zu Fall gebracht wird, auch alle anderen Steine im Nahen und Mittleren Osten in eine bessere Ordnung fallen. Aber man hat ganz offenbar erkannt, dass es im Kampf gegen Terrorismus und die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen nicht reicht, unfreundliche Regime militärisch zu bedrohen oder zu entfernen, dass vielmehr strukturelle Probleme angegangen werden müssen. US-Präsident George W. Bush hat dazu eine "Greater Middle East Initiative" angekündigt, mit der politische, wirtschaftliche und soziale Veränderungen in der arabischen Welt und anderen Staaten des weiteren Mittleren Ostens unterstützt werden sollen. Gleichzeitig neigen amerikanische Entscheidungsträger dazu, eine Reihe von bemerkenswerten Entwicklungen in der
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Region allein als Ergebnis ihres erfolgreichen Feldzugs zu betrachten -und dabei sowohl die nicht so erfolgreichen Resultate ihrer Besatzungspolitik im Irak, wie auch jene strukturellen, langfristig wirkenden Grundlagen der Erneuerung in der arabischen Welt zu übersehen, von denen dieses Buch in weiten Teilen handelt. Was also hat der Krieg tatsächlich ausgelöst? Und welche weiteren Entwicklungen regionaler Bedeutung sind darüber hinaus in den Staaten der arabischen Welt und des Nahen Ostens zu vermerken?
Eine geopolitische Revolution
Es steht außer Frage, dass der Irakkrieg und der Zusammenbruch des Regimes von Saddam Husein ein geopolitisches, möglicherweise auch ein politisches und sozio-kulturelles Erdbeben in der Region ausgelöst haben. Welthistorisch mag dieses Beben auf der gleichen Ebene einzuordnen sein wie der Fall der Berliner Mauer. Ein wichtiger Unterschied besteht jedoch: Der Sturz der ehemaligen kommunistischen Systeme wurde von den Völkern dieser Länder selbst herbeigeführt; das Regime in Bagdad wurde mit Hilfe amerikanischer Panzer von außen gestürzt. Man kann heute noch nicht beantworten, was dies für die politisch-kulturelle oder politisch-psychologische Entwicklung des Irak und der Region bedeutet. Man kann aber sicher sagen, dass es ein enorm wichtiger Faktor ist: Das Gefühl, sich nicht selbst befreit und nicht selbst grundlegende politische Veränderungen herbeigeführt zu haben, sondern diese Veränderungen von außen oktroyiert bekommen zu haben, wird zweifellos Auswirkungen auf die Haltung breiter Teile dieser Gesellschaften zum Staat, zur Politik, vielleicht auch zur Religion, und sicher auch zu den Beziehungen mit dem westlichen Ausland haben.
Mit Blick auf die geopolitischen Verhältnisse ist schon leichter zu sagen, was der Irakkrieg für die Region bedeutet, sind die unmittelbaren Ergebnisse doch relativ klar: Waren die USA bisher eine Macht, die im Nahen und Mittleren Osten Präsenz zeigte, so sind sie jetzt der stärkste Akteur vor Ort. Viele Gedankenspiele, die Politikwissenschaftler und Strategen vor allem in Form von Kräftevergleichen angestellt haben, in Statistiken etwa, über die Zahl irakischer und iranischer Raketen oder über die Balance von Panzern und Flugzeugen in den Arsenalen Syriens, Israels, Jordaniens und Ägyptens, sind weniger wichtig geworden, weil jetzt eine Militärmacht vorhanden ist, die alle anderen an militärischer und wirtschaftlicher Kraft weit übertrifft. "Unser Verhältnis zum Irak", so wurde ein syrischer Funktionär zitiert, "ist heute nur noch ein Teil unserer bilateralen Beziehungen zu den USA." Und in diesen Beziehungen sind die Kräfteverhältnisse eindeutig. Während die USA zum stärksten regionalen Spieler geworden sind, ist für die einzelnen regionalen Akteure die Situation eine grundsätzlich andere als vor dem Irakkrieg. Iran und auch Syrien fühlen sich von amerikanischen Basen oder amerikanischen Verbündeten eingekreist. Dies hat innenpolitische Auswirkungen, zumindest aber führt es zu neuen Debatten -etwa die auch von iranischen Konservativen mitgeführte Diskussion über die bilateralen Beziehungen zu den USA - und Unsicherheiten. Saudi-Arabien steht vor der Perspektive, seine regional-strategische Rolle einzubüßen. Schließlich haben die Amerikaner den größten Teil ihrer Truppen aus Saudi-Arabien abgezogen und einige Berater der Bush-Regierung haben zudem deutlich gemacht, dass sie in Saudi- Arabien weniger einen Partner als ein Problem, wenn nicht gar einen Feind sehen. Auch wenn das saudische Öl seine Bedeutung noch lange behalten wird, wird Riad an strategischer Bedeutung für die USA verlieren, wenn der Irak im amerikanischen Orbit verbleibt, sich stabilisiert und seine Ölproduktion mittelfristig und mit Hilfe amerikanischer Investitionen auf das zwei- bis dreifache der Vorkriegskapazitäten erhöht. Saudi-Arabien wäre dann nicht mehr der einzige wichtige prowestliche und verlässliche Ölproduzent, der im Zweifelsfall Produktionsausfälle anderer Staaten ausgleichen kann.
Auch Ägypten sieht, dass seine Führungsrolle in der Region ernsthaft beeinträchtigt ist. Bis vor kurzem reichte sein Einfluss noch bis an den Golf. Heute nimmt das Land eine nützliche Rolle ein, die sich auf die engere regionale Umgebung konzentriert, vor allem auf den Friedensprozess zwischen Israelis und Palästinensern. Am Golf oder im Irak hat der Einfluss hingegen nachgelassen. Auch die Arabische Liga, die ja im Wesentlichen ein ägyptisches Politikinstrument ist, hat weiter an Bedeutung verloren. Neue Konstellationen sind entstanden, und es wird deutlich, dass plötzlich so genannte "arabische Gipfel" zusammen mit dem amerikanischen Präsidenten nur noch selektiv die Führer bestimmter arabischer Länder zusammenbringen, oder Außenministerkonferenzen nach anderen Kriterien als dem der Zugehörigkeit der Arabischen Liga einberufen werden - etwa Außenministerkonferenzen zwischen den Nachbarstaaten des Irak, zu denen dann auch die Türkei und Iran gehören, aber weder Ägypten noch die Maghrebstaaten. Ein von Kairo angestoßenes gemeinsames Arbeitspapier über die "Wiederbelebung der arabischen Zusammenarbeit und der Arabischen Liga", das die Außenminister Ägyptens, Saudi-Arabiens und Syriens nach einem Treffen im August vorlegten, zeigt die Sorge dieser drei Staaten, die die Politik der Arabischen Liga in den neunziger Jahren dominierten, um die Zukunft der gesamtarabischen Institutionen.
Tatsächlich ist der Veränderungsdruck, unter dem die arabische Welt spätestens seit Beginn der 90er Jahre steht, mit dem Fall des Regimes in Bagdad spürbar gewachsen. In fast allen arabischen Ländern wurde plötzlich diskutiert, ob man nicht innenpolitisch nachziehen müsse, nachdem man den schnellen Zusammenbruch dieses Regimes erlebt hat, von dem die arabischen Führer und zum Teil auch die arabische Öffentlichkeit dachten, dass es Widerstand leisten und nicht wie ein Kartenhaus zusammenbrechen würde. Dies hat in manchen Ländern Fragen nach der eigenen innenpolitischen Konstitution aufgeworfen, die bisher noch unbeantwortet geblieben sind, aber alle auf die Notwendigkeit von politisch-institutionellen Reformen verweisen.
Was aber kann dazu beitragen diesen Veränderungsdruck tatsächlich in politisch-strukturelle Veränderungen umzusetzen? Der wissenschaftlich-analytische Blick muss sich auf zwei Ebenen richten.
Zum einen gilt es, die sozio-politischen und sozio-ökonomischen Entwicklungen in den einzelnen Ländern zu beachten. Dazu gehört das Heranwachsen einer neuen Generation in allen Ländern, die, wenn sich an den wirtschaftlichen und politischen Verhältnissen nicht rasch Wesentliches ändert, relativ chancenlos aus den Schulen und Universitäten hervorgeht. Dies wird im ersten Teil dieses Buchs ausführlich analysiert. Über viele der Phänomene, die dort behandelt werden - den ineffektiven Umgang mit dem Ölreichtum, die Probleme des Bildungssystems oder die autoritären Herrschaftsverhältnisse - sprechen mittlerweile auch zwei viel diskutierte Reports zur "menschlichen Entwicklung" in der arabischen Welt, die von kritischen arabischen Autoren unter der Ägide des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen verfasst wurden. Die zweite Ebene ist die der regionalen Politik. Hier wird die Frage, ob der gegenwärtige Reformdruck zu echten Reformen führt, vor allem davon beeinflusst werden, ob die amerikanische Besatzungsmacht, vielleicht auch die internationale Gemeinschaft, das "Experiment Irak" erfolgreich zu Ende bringen. Mindestens genauso wichtig bleibt jedoch, und dies übersieht amerikanische Politik allzu häufig, der Konflikt und der Friedensprozess zwischen Arabern und Israelis. Wenn es hier keine Fortschritte gibt, ist mit einer regionalen Erneuerung, die sich auf Demokratie und Reform gründet, auf kurze Zeit nicht zu rechnen.
Der Irak nach Saddam Husein
Der rasche Zusammenbruch des irakischen Regimes hätte eigentlich niemanden erstaunen sollen. Das Irak-Kapitel dieses Buches ist ein historisches geworden, das die politischen Verhältnisse unter Saddam Husein beschreibt. Es zeigt dabei, wie sehr das gestürzte Regime sich auf zwei Elemente stützte: auf enorme Repression oder Angst, wie Kanaan Makiya es genannt hat, und auf Patronage, also auf Parallelstrukturen, die sich durch Staat und Gesellschaft zogen und wichtige Elemente der Gesellschaft direkt mit der Schaltzentrale im Präsidentenpalast verbanden. Die eigentlichen Institutionen - auch in Huseins Irak gab es ein Parlament, eine Regierung und Ministerien - haben ohne ihre Parallelisierung durch Patronage und die Repressionsdrohung gegen diejenigen, die sich dem Willen der Macht widersetzten, nicht wirklich selbstständig funktioniert. Insofern sind diese Strukturen sehr schnell zusammengebrochen, als das Zentrum - Saddam Husein und seine Entourage - und die Befehlsstränge vom Zentrum in die Gesellschaft beschädigt waren. Das erleichterte den Sieg der amerikanisch-britischen Koalitionstruppen, stellte sie aber gleichzeitig vor ein Problem, mit dem die Kriegsplaner nicht gerechnet hatten. Anstatt nämlich eine geordnetes System zu übernehmen, erlebten sie den Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung und begünstigten dies auch noch durch eigene grobe Fehler.
Die amerikanisch geführte Zivilverwaltung des Irak (CPA) unter Paul Bremer hat viele der Fehler, die sie in den Monaten der Besatzung gemacht hat, als solche erkannt -darunter ganz vorn die Auflösung der gesamten Armee, die einige hunderttausend kampferprobte Soldaten in die Arbeitslosigkeit und sicherlich einige hundert in den bewaffneten Widerstand getrieben hat. Intern begann man ab Herbst 2003 in Kreisen des US-Militärs mittlerweile von "descending consent", von abnehmender Zustimmung zur Besatzungsherrschaft, zu sprechen. Nicht, dass die meisten Iraker und Irakerinnen einen raschen Abzug der amerikanischen und alliierten Truppen wollten. Nur eine Minderheit war bereit, mit Guerillaaktionen gegen die amerikanischen, britischen oder andere alliierte Truppen zu kämpfen oder das Land zu terrorisieren, um die amerikanisch geführte Besatzungsmacht zu zermürben. Viele Iraker befürchteten auch, vermutlich zu Recht, dass ein Abzug der Amerikaner zu bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen führen würde. Die Verbitterung so vieler Iraker bezog sich eher auf die Praktiken der Besatzungsmacht als auf ihre Anwesenheit. Man verstand nicht, dass eine Industriemacht wie die USA über Monate nicht in der Lage war, die Elektrizitätsversorgung zu sichern und sah darin nicht selten eine bewusste Missachtung irakischer Bedürfnisse. "Ist dir aufgefallen," fragte mich Anfang 2004 der ehemalige irakische UN-Botschafter, Muhammad al-Duri, "dass es in den Vierteln Bagdads, in denen die Stromversorgung funktioniert, auch fast keinen Widerstand gegen die Amerikaner gibt?"
Vor allem aber nahmen selbstbewusste Iraker den USA die "Zerschlagung staatlicher Strukturen und Symbole" übel, nicht zuletzt der Armee, die von der Mehrheit als Repräsentant nationaler Einheit, nicht als Agentur des alten Regimes gesehen wurde. Man kritisierte zudem, dass die amerikanische Armee zwar für ihre eigene Sicherheit Sorge trug, aber nicht ausreichend für die der irakischen Bevölkerung: Die Mordrate in Bagdad, um eine gruselige Statistik zu zitieren, lag im Jahr nach dem amerikanischen Einmarsch um das zwei-bis dreifache höher als in Washington.
Zwar wuchs allem Anschein nach das Vertrauen der Bürger in die neue, von der Besatzungsmacht geschaffene und trainierte irakische Polizei. Was lokale Beobachter dem US-Militär jedoch vorwarfen, war, dass die neuen Polizisten als Kanonenfutter in die Auseinandersetzung mit terroristischen Gruppen geschickt würden. Das Fehlen von öffentlicher Sicherheit, schrieb Abd al-Latif Ali al-Miyah, ein Geschichtsprofessor an der Mustansariyya-Universität in Bagdad in einer Einschätzung der Lage im besetzten Irak, stelle die größte Sorge der irakischen Bevölkerung dar; es gebe zu viele Waffen, zu viele Milizen, zu viele Liquidationen, und die Besatzungsbehörden kümmerten sich nicht genug um die Wiederherstellung staatlicher Institutionen. Nicht wenige seiner Landsleute betrachteten deshalb Bemühungen zur Demokratisierung des Landes als "Luxus". Miyah, ein Menschenrechtsaktivist, der die Husein-Diktatur überlebt hatte, sah das anders. Er warb auf zahlreichen Veranstaltungen und mit einer neu gegründeten Menschenrechtsorganisation für einen neuen, demokratischen Irak und legte sich dabei sowohl mit der Besatzungsmacht wie mit Anhängern des alten Regimes an. An einem Morgen im Januar 2004, auf dem Weg zur Arbeit, stoppten ihn acht vermummte Männer, zogen ihn aus dem Auto und exekutierten ihn.
Unabhängig von aller Kritik am Krieg und an den fadenscheinigen Begründungen, mit denen die Invasion gerechtfertigt wurde, stellt der Sturz des Husein-Regimes eine Befreiung dar. Am deutlichsten zeigte sich das im raschen Entstehen einer lebhaften Zivilgesellschaft - hunderter kleinerer und größerer Bürgergruppen, Zeitungen und Initiativen, die Gruppen eine Stimme gaben, die unter Saddam Husein keine hatten. Menschenrechte, die Aufarbeitung der Vergangenheit, und die gleichberechtigte Beteiligung von Frauen am "neuen" Irak standen dabei im Vordergrund. Die für Sommer 2004 in Aussicht gestellte Übergabe der Souveränität an eine wie auch immer bestimmte irakische Regierung löste eine Art Rückkehr der Politik aus: Nicht alles, was in diesem Zusammenhang stattfand, war erfreulich. Man konnte aber erleben, wie diverse politische und soziale Akteure im Irak begannen, sich im Schatten von Gewalt und Terror für das politische Spiel in einem in die Unabhängigkeit zurückentlassenen Irak zu positionieren - und im Streit miteinander wie mit der Besatzungsmacht das Gesicht eines neuen Irak zu prägen.
Dazu gehört, dass das Fehlen glaubwürdiger politischer Führungsgestalten religiöse Autoritäten zu einer Art Ersatzführern gemacht hatte. Dies gilt für alle Teile der Gesellschaft mit Ausnahme des kurdischen, wo die beiden großen Parteien, die KDP Masoud Barzanis und die PUK Jalal Talabanis, sich seit langem etabliert haben - erst im Kampf gegen das Husein-Regime, dann als Regierungsparteien der unter internationalem Schutz faktisch autonomen kurdischen Region. Im Rest des Landes wurde unter der Diktatur Saddam Huseins jegliche unabhängige politische Regung unterdrückt; Opposition organisierte sich entweder in kleinen klandestinen und immer wieder blutig dezimierten Gruppen oder im Exil. Nach dem Sturz des Regimes kamen deshalb neben tribalen Führern, deren Legitimation oft sehr zweifelhaft ist, vor allem schiitische und sunnitische Geistliche in die Rolle autoritativer Vertreter gesellschaftlicher Gruppeninteressen. In der schiitischen Bevölkerungsgruppe wurde Ayatollah Ali Sistani zur mit Abstand glaubwürdigsten und einflussreichsten Referenzperson. Bei den Sunniten ordneten sich die Dinge nicht so schnell; einzelne Imame bekannter Moscheen in Bagdad versuchten aber, sich als Sprecher für sunnitische Belange zu etablieren.Diese Entwicklung begünstigte einen Trend zur Konfessionalisierung der Politik. Sistani galt dabei eben als Vertreter "der Schiiten", obwohl schiitische Iraker und Irakerinnen sich ja keinesfalls sämtlich und in erster Linie über ihre konfessionielle Zugehörigkeit definieren. Die meisten Iraker verstehen sich, so man Umfragen trauen darf, tatsächlich als Iraker und zusätzlich auch als Araber oder Kurde, Sunnit, Schiit oder Christ. Unter sunnitischen Politikern begannen einige öffentlich in Frage zu stellen, dass die Schiiten tatsächlich eine Mehrheit in der Bevölkerung bildeten. Manche verwiesen sogar darauf, dass die Sunniten schon immer regiert hätten, der Irak also eigentlich ein sunnitisches Land sei.
Eine geopolitische Revolution
Es steht außer Frage, dass der Irakkrieg und der Zusammenbruch des Regimes von Saddam Husein ein geopolitisches, möglicherweise auch ein politisches und sozio-kulturelles Erdbeben in der Region ausgelöst haben. Welthistorisch mag dieses Beben auf der gleichen Ebene einzuordnen sein wie der Fall der Berliner Mauer. Ein wichtiger Unterschied besteht jedoch: Der Sturz der ehemaligen kommunistischen Systeme wurde von den Völkern dieser Länder selbst herbeigeführt; das Regime in Bagdad wurde mit Hilfe amerikanischer Panzer von außen gestürzt. Man kann heute noch nicht beantworten, was dies für die politisch-kulturelle oder politisch-psychologische Entwicklung des Irak und der Region bedeutet. Man kann aber sicher sagen, dass es ein enorm wichtiger Faktor ist: Das Gefühl, sich nicht selbst befreit und nicht selbst grundlegende politische Veränderungen herbeigeführt zu haben, sondern diese Veränderungen von außen oktroyiert bekommen zu haben, wird zweifellos Auswirkungen auf die Haltung breiter Teile dieser Gesellschaften zum Staat, zur Politik, vielleicht auch zur Religion, und sicher auch zu den Beziehungen mit dem westlichen Ausland haben.
Mit Blick auf die geopolitischen Verhältnisse ist schon leichter zu sagen, was der Irakkrieg für die Region bedeutet, sind die unmittelbaren Ergebnisse doch relativ klar: Waren die USA bisher eine Macht, die im Nahen und Mittleren Osten Präsenz zeigte, so sind sie jetzt der stärkste Akteur vor Ort. Viele Gedankenspiele, die Politikwissenschaftler und Strategen vor allem in Form von Kräftevergleichen angestellt haben, in Statistiken etwa, über die Zahl irakischer und iranischer Raketen oder über die Balance von Panzern und Flugzeugen in den Arsenalen Syriens, Israels, Jordaniens und Ägyptens, sind weniger wichtig geworden, weil jetzt eine Militärmacht vorhanden ist, die alle anderen an militärischer und wirtschaftlicher Kraft weit übertrifft. "Unser Verhältnis zum Irak", so wurde ein syrischer Funktionär zitiert, "ist heute nur noch ein Teil unserer bilateralen Beziehungen zu den USA." Und in diesen Beziehungen sind die Kräfteverhältnisse eindeutig. Während die USA zum stärksten regionalen Spieler geworden sind, ist für die einzelnen regionalen Akteure die Situation eine grundsätzlich andere als vor dem Irakkrieg. Iran und auch Syrien fühlen sich von amerikanischen Basen oder amerikanischen Verbündeten eingekreist. Dies hat innenpolitische Auswirkungen, zumindest aber führt es zu neuen Debatten -etwa die auch von iranischen Konservativen mitgeführte Diskussion über die bilateralen Beziehungen zu den USA - und Unsicherheiten. Saudi-Arabien steht vor der Perspektive, seine regional-strategische Rolle einzubüßen. Schließlich haben die Amerikaner den größten Teil ihrer Truppen aus Saudi-Arabien abgezogen und einige Berater der Bush-Regierung haben zudem deutlich gemacht, dass sie in Saudi- Arabien weniger einen Partner als ein Problem, wenn nicht gar einen Feind sehen. Auch wenn das saudische Öl seine Bedeutung noch lange behalten wird, wird Riad an strategischer Bedeutung für die USA verlieren, wenn der Irak im amerikanischen Orbit verbleibt, sich stabilisiert und seine Ölproduktion mittelfristig und mit Hilfe amerikanischer Investitionen auf das zwei- bis dreifache der Vorkriegskapazitäten erhöht. Saudi-Arabien wäre dann nicht mehr der einzige wichtige prowestliche und verlässliche Ölproduzent, der im Zweifelsfall Produktionsausfälle anderer Staaten ausgleichen kann.
Auch Ägypten sieht, dass seine Führungsrolle in der Region ernsthaft beeinträchtigt ist. Bis vor kurzem reichte sein Einfluss noch bis an den Golf. Heute nimmt das Land eine nützliche Rolle ein, die sich auf die engere regionale Umgebung konzentriert, vor allem auf den Friedensprozess zwischen Israelis und Palästinensern. Am Golf oder im Irak hat der Einfluss hingegen nachgelassen. Auch die Arabische Liga, die ja im Wesentlichen ein ägyptisches Politikinstrument ist, hat weiter an Bedeutung verloren. Neue Konstellationen sind entstanden, und es wird deutlich, dass plötzlich so genannte "arabische Gipfel" zusammen mit dem amerikanischen Präsidenten nur noch selektiv die Führer bestimmter arabischer Länder zusammenbringen, oder Außenministerkonferenzen nach anderen Kriterien als dem der Zugehörigkeit der Arabischen Liga einberufen werden - etwa Außenministerkonferenzen zwischen den Nachbarstaaten des Irak, zu denen dann auch die Türkei und Iran gehören, aber weder Ägypten noch die Maghrebstaaten. Ein von Kairo angestoßenes gemeinsames Arbeitspapier über die "Wiederbelebung der arabischen Zusammenarbeit und der Arabischen Liga", das die Außenminister Ägyptens, Saudi-Arabiens und Syriens nach einem Treffen im August vorlegten, zeigt die Sorge dieser drei Staaten, die die Politik der Arabischen Liga in den neunziger Jahren dominierten, um die Zukunft der gesamtarabischen Institutionen.
Tatsächlich ist der Veränderungsdruck, unter dem die arabische Welt spätestens seit Beginn der 90er Jahre steht, mit dem Fall des Regimes in Bagdad spürbar gewachsen. In fast allen arabischen Ländern wurde plötzlich diskutiert, ob man nicht innenpolitisch nachziehen müsse, nachdem man den schnellen Zusammenbruch dieses Regimes erlebt hat, von dem die arabischen Führer und zum Teil auch die arabische Öffentlichkeit dachten, dass es Widerstand leisten und nicht wie ein Kartenhaus zusammenbrechen würde. Dies hat in manchen Ländern Fragen nach der eigenen innenpolitischen Konstitution aufgeworfen, die bisher noch unbeantwortet geblieben sind, aber alle auf die Notwendigkeit von politisch-institutionellen Reformen verweisen.
Was aber kann dazu beitragen diesen Veränderungsdruck tatsächlich in politisch-strukturelle Veränderungen umzusetzen? Der wissenschaftlich-analytische Blick muss sich auf zwei Ebenen richten.
Zum einen gilt es, die sozio-politischen und sozio-ökonomischen Entwicklungen in den einzelnen Ländern zu beachten. Dazu gehört das Heranwachsen einer neuen Generation in allen Ländern, die, wenn sich an den wirtschaftlichen und politischen Verhältnissen nicht rasch Wesentliches ändert, relativ chancenlos aus den Schulen und Universitäten hervorgeht. Dies wird im ersten Teil dieses Buchs ausführlich analysiert. Über viele der Phänomene, die dort behandelt werden - den ineffektiven Umgang mit dem Ölreichtum, die Probleme des Bildungssystems oder die autoritären Herrschaftsverhältnisse - sprechen mittlerweile auch zwei viel diskutierte Reports zur "menschlichen Entwicklung" in der arabischen Welt, die von kritischen arabischen Autoren unter der Ägide des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen verfasst wurden. Die zweite Ebene ist die der regionalen Politik. Hier wird die Frage, ob der gegenwärtige Reformdruck zu echten Reformen führt, vor allem davon beeinflusst werden, ob die amerikanische Besatzungsmacht, vielleicht auch die internationale Gemeinschaft, das "Experiment Irak" erfolgreich zu Ende bringen. Mindestens genauso wichtig bleibt jedoch, und dies übersieht amerikanische Politik allzu häufig, der Konflikt und der Friedensprozess zwischen Arabern und Israelis. Wenn es hier keine Fortschritte gibt, ist mit einer regionalen Erneuerung, die sich auf Demokratie und Reform gründet, auf kurze Zeit nicht zu rechnen.
Der Irak nach Saddam Husein
Der rasche Zusammenbruch des irakischen Regimes hätte eigentlich niemanden erstaunen sollen. Das Irak-Kapitel dieses Buches ist ein historisches geworden, das die politischen Verhältnisse unter Saddam Husein beschreibt. Es zeigt dabei, wie sehr das gestürzte Regime sich auf zwei Elemente stützte: auf enorme Repression oder Angst, wie Kanaan Makiya es genannt hat, und auf Patronage, also auf Parallelstrukturen, die sich durch Staat und Gesellschaft zogen und wichtige Elemente der Gesellschaft direkt mit der Schaltzentrale im Präsidentenpalast verbanden. Die eigentlichen Institutionen - auch in Huseins Irak gab es ein Parlament, eine Regierung und Ministerien - haben ohne ihre Parallelisierung durch Patronage und die Repressionsdrohung gegen diejenigen, die sich dem Willen der Macht widersetzten, nicht wirklich selbstständig funktioniert. Insofern sind diese Strukturen sehr schnell zusammengebrochen, als das Zentrum - Saddam Husein und seine Entourage - und die Befehlsstränge vom Zentrum in die Gesellschaft beschädigt waren. Das erleichterte den Sieg der amerikanisch-britischen Koalitionstruppen, stellte sie aber gleichzeitig vor ein Problem, mit dem die Kriegsplaner nicht gerechnet hatten. Anstatt nämlich eine geordnetes System zu übernehmen, erlebten sie den Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung und begünstigten dies auch noch durch eigene grobe Fehler.
Die amerikanisch geführte Zivilverwaltung des Irak (CPA) unter Paul Bremer hat viele der Fehler, die sie in den Monaten der Besatzung gemacht hat, als solche erkannt -darunter ganz vorn die Auflösung der gesamten Armee, die einige hunderttausend kampferprobte Soldaten in die Arbeitslosigkeit und sicherlich einige hundert in den bewaffneten Widerstand getrieben hat. Intern begann man ab Herbst 2003 in Kreisen des US-Militärs mittlerweile von "descending consent", von abnehmender Zustimmung zur Besatzungsherrschaft, zu sprechen. Nicht, dass die meisten Iraker und Irakerinnen einen raschen Abzug der amerikanischen und alliierten Truppen wollten. Nur eine Minderheit war bereit, mit Guerillaaktionen gegen die amerikanischen, britischen oder andere alliierte Truppen zu kämpfen oder das Land zu terrorisieren, um die amerikanisch geführte Besatzungsmacht zu zermürben. Viele Iraker befürchteten auch, vermutlich zu Recht, dass ein Abzug der Amerikaner zu bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen führen würde. Die Verbitterung so vieler Iraker bezog sich eher auf die Praktiken der Besatzungsmacht als auf ihre Anwesenheit. Man verstand nicht, dass eine Industriemacht wie die USA über Monate nicht in der Lage war, die Elektrizitätsversorgung zu sichern und sah darin nicht selten eine bewusste Missachtung irakischer Bedürfnisse. "Ist dir aufgefallen," fragte mich Anfang 2004 der ehemalige irakische UN-Botschafter, Muhammad al-Duri, "dass es in den Vierteln Bagdads, in denen die Stromversorgung funktioniert, auch fast keinen Widerstand gegen die Amerikaner gibt?"
Vor allem aber nahmen selbstbewusste Iraker den USA die "Zerschlagung staatlicher Strukturen und Symbole" übel, nicht zuletzt der Armee, die von der Mehrheit als Repräsentant nationaler Einheit, nicht als Agentur des alten Regimes gesehen wurde. Man kritisierte zudem, dass die amerikanische Armee zwar für ihre eigene Sicherheit Sorge trug, aber nicht ausreichend für die der irakischen Bevölkerung: Die Mordrate in Bagdad, um eine gruselige Statistik zu zitieren, lag im Jahr nach dem amerikanischen Einmarsch um das zwei-bis dreifache höher als in Washington.
Zwar wuchs allem Anschein nach das Vertrauen der Bürger in die neue, von der Besatzungsmacht geschaffene und trainierte irakische Polizei. Was lokale Beobachter dem US-Militär jedoch vorwarfen, war, dass die neuen Polizisten als Kanonenfutter in die Auseinandersetzung mit terroristischen Gruppen geschickt würden. Das Fehlen von öffentlicher Sicherheit, schrieb Abd al-Latif Ali al-Miyah, ein Geschichtsprofessor an der Mustansariyya-Universität in Bagdad in einer Einschätzung der Lage im besetzten Irak, stelle die größte Sorge der irakischen Bevölkerung dar; es gebe zu viele Waffen, zu viele Milizen, zu viele Liquidationen, und die Besatzungsbehörden kümmerten sich nicht genug um die Wiederherstellung staatlicher Institutionen. Nicht wenige seiner Landsleute betrachteten deshalb Bemühungen zur Demokratisierung des Landes als "Luxus". Miyah, ein Menschenrechtsaktivist, der die Husein-Diktatur überlebt hatte, sah das anders. Er warb auf zahlreichen Veranstaltungen und mit einer neu gegründeten Menschenrechtsorganisation für einen neuen, demokratischen Irak und legte sich dabei sowohl mit der Besatzungsmacht wie mit Anhängern des alten Regimes an. An einem Morgen im Januar 2004, auf dem Weg zur Arbeit, stoppten ihn acht vermummte Männer, zogen ihn aus dem Auto und exekutierten ihn.
Unabhängig von aller Kritik am Krieg und an den fadenscheinigen Begründungen, mit denen die Invasion gerechtfertigt wurde, stellt der Sturz des Husein-Regimes eine Befreiung dar. Am deutlichsten zeigte sich das im raschen Entstehen einer lebhaften Zivilgesellschaft - hunderter kleinerer und größerer Bürgergruppen, Zeitungen und Initiativen, die Gruppen eine Stimme gaben, die unter Saddam Husein keine hatten. Menschenrechte, die Aufarbeitung der Vergangenheit, und die gleichberechtigte Beteiligung von Frauen am "neuen" Irak standen dabei im Vordergrund. Die für Sommer 2004 in Aussicht gestellte Übergabe der Souveränität an eine wie auch immer bestimmte irakische Regierung löste eine Art Rückkehr der Politik aus: Nicht alles, was in diesem Zusammenhang stattfand, war erfreulich. Man konnte aber erleben, wie diverse politische und soziale Akteure im Irak begannen, sich im Schatten von Gewalt und Terror für das politische Spiel in einem in die Unabhängigkeit zurückentlassenen Irak zu positionieren - und im Streit miteinander wie mit der Besatzungsmacht das Gesicht eines neuen Irak zu prägen.
Dazu gehört, dass das Fehlen glaubwürdiger politischer Führungsgestalten religiöse Autoritäten zu einer Art Ersatzführern gemacht hatte. Dies gilt für alle Teile der Gesellschaft mit Ausnahme des kurdischen, wo die beiden großen Parteien, die KDP Masoud Barzanis und die PUK Jalal Talabanis, sich seit langem etabliert haben - erst im Kampf gegen das Husein-Regime, dann als Regierungsparteien der unter internationalem Schutz faktisch autonomen kurdischen Region. Im Rest des Landes wurde unter der Diktatur Saddam Huseins jegliche unabhängige politische Regung unterdrückt; Opposition organisierte sich entweder in kleinen klandestinen und immer wieder blutig dezimierten Gruppen oder im Exil. Nach dem Sturz des Regimes kamen deshalb neben tribalen Führern, deren Legitimation oft sehr zweifelhaft ist, vor allem schiitische und sunnitische Geistliche in die Rolle autoritativer Vertreter gesellschaftlicher Gruppeninteressen. In der schiitischen Bevölkerungsgruppe wurde Ayatollah Ali Sistani zur mit Abstand glaubwürdigsten und einflussreichsten Referenzperson. Bei den Sunniten ordneten sich die Dinge nicht so schnell; einzelne Imame bekannter Moscheen in Bagdad versuchten aber, sich als Sprecher für sunnitische Belange zu etablieren.Diese Entwicklung begünstigte einen Trend zur Konfessionalisierung der Politik. Sistani galt dabei eben als Vertreter "der Schiiten", obwohl schiitische Iraker und Irakerinnen sich ja keinesfalls sämtlich und in erster Linie über ihre konfessionielle Zugehörigkeit definieren. Die meisten Iraker verstehen sich, so man Umfragen trauen darf, tatsächlich als Iraker und zusätzlich auch als Araber oder Kurde, Sunnit, Schiit oder Christ. Unter sunnitischen Politikern begannen einige öffentlich in Frage zu stellen, dass die Schiiten tatsächlich eine Mehrheit in der Bevölkerung bildeten. Manche verwiesen sogar darauf, dass die Sunniten schon immer regiert hätten, der Irak also eigentlich ein sunnitisches Land sei.
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Autoren-Porträt von Volker Perthes
Volker Perthes, geboren 1958 in Homberg, Niederrhein, ist Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin und durch zahlreiche Veröffentlichungen zum Nahen und Mittleren Osten bekannt geworden. Der promovierte und habilitierte Politologe lehrte in Duisburg, Beirut, München und Berlin und ist ein viel gefragter Kommentator der Entwicklungen im Nahen Osten und in der arabischen Welt.
Bibliographische Angaben
- Autor: Volker Perthes
- 2004, Erw. Ausg., 506 Seiten, mit Abbildungen, Maße: 18,5 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Goldmann
- ISBN-10: 3442152747
- ISBN-13: 9783442152742
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