Geheimes Spiel der Liebe
Roman
Skandalös, übermütig und mit dem gewissen Prickeln...
Eliza Fieldings Tage als Reporterin der "London Weekly" sind gezählt, wenn sie ihrem Arbeitgeber nicht bald eine heiße Story vorlegt. Und was könnte...
Eliza Fieldings Tage als Reporterin der "London Weekly" sind gezählt, wenn sie ihrem Arbeitgeber nicht bald eine heiße Story vorlegt. Und was könnte...
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Produktinformationen zu „Geheimes Spiel der Liebe “
Skandalös, übermütig und mit dem gewissen Prickeln...
Eliza Fieldings Tage als Reporterin der "London Weekly" sind gezählt, wenn sie ihrem Arbeitgeber nicht bald eine heiße Story vorlegt. Und was könnte heißer sein als ein Artikel über Sebastian Digby, den mysteriösen Duke of Wycliff? Als Hausmädchen verkleidet verschafft Eliza sich Zugang zu Sebastians Residenz. Der hingegen hat ganz andere Probleme als den pikanten Klatsch, der über ihn kursiert: Er muss eine wohlhabende Braut finden, doch stattdessen zieht es ihn wie magisch zu seinem neuen Hausmädchen hin...
Eliza Fieldings Tage als Reporterin der "London Weekly" sind gezählt, wenn sie ihrem Arbeitgeber nicht bald eine heiße Story vorlegt. Und was könnte heißer sein als ein Artikel über Sebastian Digby, den mysteriösen Duke of Wycliff? Als Hausmädchen verkleidet verschafft Eliza sich Zugang zu Sebastians Residenz. Der hingegen hat ganz andere Probleme als den pikanten Klatsch, der über ihn kursiert: Er muss eine wohlhabende Braut finden, doch stattdessen zieht es ihn wie magisch zu seinem neuen Hausmädchen hin...
Klappentext zu „Geheimes Spiel der Liebe “
Skandalös, übermütig und mit dem gewissen Prickeln ...Eliza Fieldings Tage als Reporterin der "London Weekly" sind gezählt, wenn sie ihrem Arbeitgeber nicht bald eine heiße Story vorlegt. Und was könnte heißer sein als ein Artikel über Sebastian Digby, den mysteriösen Duke of Wycliff? Als Hausmädchen verkleidet verschafft Eliza sich Zugang zu Sebastians Residenz. Der hingegen hat ganz andere Probleme als den pikanten Klatsch, der über ihn kursiert: Er muss eine wohlhabende Braut finden, doch stattdessen zieht es ihn wie magisch zu seinem neuen Hausmädchen hin ...
Lese-Probe zu „Geheimes Spiel der Liebe “
Geheimes Spiel der Liebe von Maya Rodale Kapitel 1
Der Duke kehrt zurück
London, 1825 Am Dock
Sie behaupteten, er sei Pirat gewesen. Das schien ihr auch absolut glaubwürdig, nach alledem, was sie über ihn gehört hatte. Die anderen Gerüchte über Sebastian Digby, den Duke of Wycliff, waren mindestens genauso fesselnd. Man erzählte sich, dass er sich quer durch die Länder und Kontinente einen Weg aus Verführung und Verzauberung gebahnt habe. Und man munkelte, dass es kein Gesetz gebe und keine Frau existiere, die er nicht dazu bewegen könne, sich seinen Launen zu beugen. Er soll unter den Eingeborenen in Tahiti gelebt und vollkommen nackt in dem klaren türkisfarbenen Wasser geschwommen sein. Am anderen Ende der Welt soll er den nassen und kältesten Gefängnissen entkommen sein und sich anschließend ausgiebig im Harem eines Sultans amüsiert haben.
Ein Gentleman war er jedenfalls eindeutig nicht.
Und jetzt war dieser charmante, abenteuerlustige, skandalöse Duke nach Hause zurückgekehrt. Nach London.
Miss Eliza Fieldings hatte sich der Menschenmenge angeschlossen, die sich am Dock drängte, um Augenzeuge der lange erwarteten Rückkehr dieses Dukes zu werden. Die Anweisung dazu war von ihrem Arbeitgeber Mr. Derek Knightly gekommen. Sie schrieb für die ungeheuer beliebte Zeitung London Weekly, die ihm gehörte und für die er sich als Herausgeber verantwortlich zeigte. Tatsächlich war sie eines der vier berühmten Schreibfräulein, die für die Zeitung schrieben. Im Augenblick jedenfalls noch.
Wenn sie diese Story allerdings nicht bekam ...
... mehr
Eliza zog sich die Haube tiefer in die Stirn, um sich vor dem leichten Nieselregen zu schützen, der unverdrossen fiel. Die Hände vergrub sie tief in den Taschen ihres Mantels.
»Wenn Sie diese Story nicht bekommen«, hatte Mr. Knightly ihr rundheraus mitgeteilt, als sie gestern vor ihm gestanden hatte, in seinem Büro in der Fleet Street, »wenn Sie diese Story nicht bekommen, dann kann ich Sie nicht länger als Autorin für die London Weekly beschäftigen. Ich kann ihr Gehalt einfach nicht mehr rechtfertigen, wenn Sie keine veröffentlichungswürdige Arbeit abliefern.«
Das war nur absolut logisch - hier ging es schließlich ums Geschäft. Trotzdem fühlte es sich für Eliza an, als wäre sie von einem Liebhaber betrogen worden.
Knightly brauchte sie nicht extra darauf hinzuweisen, dass sie in letzter Zeit keine anständigen Storys mehr geliefert hatte. Aus Wochen der Flaute waren Monate geworden, und seither war kein einziger Artikel aus ihrer Feder in der Zeitung erschienen.
Oh, dabei schrieb sie die wunderbarsten Storys - wenn sie nur die Gelegenheit dazu bekam und ihr niemand dazwischenfunkte! Eine Woche lang hatte sie sich zum Beispiel verdeckt im Arbeitshaus eingeschlichen, um die erbärmlichen Lebensbedingungen dort zu dokumentieren. Oder ihre Exklusivinterviews mit den zum Tode verurteilten Gefangenen in Newgate! Einmal hatte sie sogar detailliert beschrieben, wie es in einem Bordell zugeht - um zu zeigen, wie das Leben als Prostituierte wirklich war. Wenn es eine Wahrheit gab, die ans Licht gebracht werden musste, dann war Eliza die Richtige dafür! Wenn Abenteuer, Gefahren und die dunkle Seite Londons damit zu tun hatten, umso besser.
In letzter Zeit war sie nur leider nicht besonders inspiriert gewesen. Die Worte wollten einfach nicht kommen, wenn sie mit der Feder in der Hand an ihrem Schreibtisch saß. Stundenlang starrte Eliza das leere Papier an und hatte am Ende doch nur sinnlose Tintenkleckse darauf verteilt.
Aber diese Story ...
Knightlys Auftrag war denkbar einfach: Sie sollte jedes noch so kleine Geheimnis des Dukes of Wycliff enthüllen. Ganz London gierte nach den intimen Details seiner zehn Jahre währenden Reise. Es war nicht nur der Umstand, dass er ein Duke war - und der Letzte in der langen Ahnenreihe der »wüsten Wycliffs«, wie man die Familie auch gerne bezeichnete. Ach, allein das würde bereits eine ganze Spalte füllen. Aber all die Gerüchte, die hinzukamen ...
War er wirklich ein Pirat gewesen? Stimmte das mit dem Harem? Hatte man ihn tatsächlich zum Häuptling eines kleinen Eingeborenenstammes auf einer abgelegenen Insel in Polynesien erhoben? Welche Berge hat er bestiegen, welche Flüsse durchschwommen, welche Länder entdeckt? Viel wichtiger für die Londoner Gesellschaft war jedoch die brennendste aller Fragen: War er auf der Suche nach einer Frau?
Es gab viele Rätsel zu ergründen. Und sie sollte die Antworten finden. Nur wie?
»Aber wie?«, hatte sie Knightly gefragt, als er sie mit ihrem neuen Auftrag vertraut gemacht hatte. »Er ist ein Duke, und ich bin weit davon entfernt, in seinen Kreisen zu verkehren.«
Julianna, die Countess Roxbury, ihre Redaktionskollegin und Inhaberin einer Klatschkolumne, war für diese Aufgabe ja wohl viel besser geeignet.
»Wollen Sie diese Geschichte etwa nicht?«, hatte Knightly ungeduldig gefragt und auf den Stapel Papier auf seinem Schreibtisch gestarrt, der nach seiner Aufmerksamkeit verlangte.
»Oh, natürlich will ich sie machen«, hatte Eliza leidenschaftlich gesagt - und dabei war es ihr keine Sekunde um das Geld gegangen. Knightlys Bezahlung war angemessen, aber nicht allzu üppig. Es ging ihr beim Schreiben um mehr: Es war etwas Besonderes, zu den Schreibenden Fräulein zu gehören. Eine von ihnen zu sein, dazuzugehören, bedeutete wahre Freundschaft, das erregende Gefühl, die Fesseln abzustreifen und etwas zu tun, was einer Frau in dieser Zeit eigentlich unmöglich war, das Vergnügen, einer großen Story hinterherzujagen, und der Spaß am Schreiben, auch wenn der Prozess selbst manchmal noch so quälend sein konnte.
Vor allem aber verdiente Eliza sich dank ihres eigenen Verstands den Lebensunterhalt, bewahrte ihre Würde und musste sich von niemandem aushalten lassen. Dieses Privileg würde sie nicht leichtfertig aufgeben.
»Denken Sie sich was aus«, hatte Knightly gesagt. »Werden Sie seine Mätresse, bestechen Sie das Personal! Oder noch besser: Verkleiden Sie sich als eines der Hausmädchen. Es ist mir egal, wie Sie es schaffen, aber besorgen Sie mir diese verfluchte Story!«
Knightly brauchte nicht hinzuzufügen »Sonst ...« oder irgendwelche beiläufigen Drohungen auszusprechen, um seinen Standpunkt zu verdeutlichen. Die Wahrheit war glasklar und eindeutig: Diese Geschichte war ihre allerletzte Chance, etwas Großartiges zu schreiben. Sonst würde es bald nur noch drei Schreibende Fräulein geben.
Darum stand Eliza jetzt hier am Dock inmitten der Volksmenge. Die Londoner verrenkten sich den Hals, um den lange vermissten Piratenduke zu sehen.
Zunächst wurden aber nur alle möglichen Kuriositäten von Bord des Schiffes geschleppt: exotische Tiere, herrliche Blumen und Pflanzen, Dutzende angeschlagene Kisten, in deren Holzbretter GEFÄHRLICH oder ZERBRECHLICH oder ENTZÜNDLICH eingebrannt war.
Auf alle Fälle war bereits das schon sehr interessant, fand Eliza. Aber sicher nichts im Vergleich zu dem Mann selbst, der nun hoffentlich bald auf die Bildfläche treten würde.
Vermutlich würde einfach alles an ihm einen Skandal hervorrufen ...
Und dann sah sie ihn.
Seine dunklen Haare waren unmodisch lang und reichten ihm bis zu den Schultern. Er hatte sie bis auf ein paar vereinzelte Strähnen, die der Wind gelöst hatte und die seine scharfen Wangenknochen umspielten, zu einem Zopf zusammengebunden.
Seine Haut war immer noch sonnengebräunt - ein aufreizendes Stückchen Haut blitzte am Halsausschnitt auf, den ein Gentleman sicher verhüllt hätte. Eliza fragte sich unwillkürlich, wie viel von seiner Haut der glühenden Tropensonne ausgesetzt gewesen war. Hatte er sich bis auf die Hose ausgezogen und die Brust vollständig entblößt? Oder waren all seine Kleider überflüssig gewesen, und er hatte sie vollständig abgelegt?
Der Duke of Wycliff trug keine Krawatte; stattdessen standen die Knöpfe des Leinenhemds offen und gewährten den Neugierigen einen Blick auf seine Brust. Die graue Jacke trug er nachlässig offen, als bemerke er den Nieselregen überhaupt nicht.
Wenn er sich bewegte, konnte man sehen, dass er ein Schwert an die Seite gegürtet hatte, woraus Eliza schloss, dass man davon ausgehen durfte, dass er außerdem ein Messer im Stiefel oder eine Pistole in der Jackentasche trug.
Die Story. Die Story, die Story, die Story!
Selbst an diesem nasskalten Nachmittag hatte Eliza das Gefühl, ihre Nerven würden einfach zerreißen. In Flammen aufgehen, gleichermaßen vor Erregung und vor Angst. Es war dasselbe altvertraute Gefühl, das sie immer zu Beginn einer Mission packte. Aber dieses Mal war da noch etwas anderes.
Irgendwas machte sie atemlos. Irgendwas ließ Eliza am ganzen Körper eine unerklärliche Hitze spüren, obwohl es so feucht und kalt hier draußen war. Irgendwas machte es ihr plötzlich schrecklich schwer durchzuatmen. Irgendwas machte es ihr unmöglich, den Blick von diesem Mann loszureißen. Von dem hinreißenden Duke. Von der Story.
Zwei Männer neben ihr in dunklen, rauen Mänteln begannen ein Gespräch, das Eliza einfach belauschte. Ihr war jedes Mittel recht, um an Informationen über den Duke of Wycliff heranzukommen. Dabei behielt sie ihr Opfer jedoch permanent im Blick. Sie beugte sich leicht vor, um die beiden schroffen Stimmen besser zu verstehen.
»Hab gehört, sein Haushalt stellt wohl grad Leute ein, aber die Mädels stehen nicht grad Schlange für den Job. Ich hab meiner Schwester jedenfalls gesagt, dass sie unter keinen Umständen eine Arbeit bei dem Kerl annehmen darf, ob's nun der Haushalt eines Dukes ist oder nicht.«
»Aye? Wieso das?« Die Haltung und der Tonfall des Anderen deuteten darauf hin, dass er glaubte, es sei dumm, so einen Job abzulehnen. Besonders wenn er von einem Duke angeboten wurde.
»Jeder weiß, dass die wüsten Wycliffs gerne ihre Dienstmädchen bespringen und sie in die Wüste schicken, sobald sie ein Kind von ihnen erwarten«, sagte der Erste bestimmt. Eliza fragte sich, wo er das wohl aufgeschnappt haben mochte. Vermutlich hatte es in der London Weekly gestanden.
»Mehr als andere?«, fragte der Andere. Er schien mit diesem Vorgehen eines Dienstherren durchaus vertraut zu sein.
»Aye, die sind berüchtigt dafür. Heißen ja nicht umsonst die wüsten Wycliffs. Und besonders der hier. Schau ihn dir doch nur an! Würdest du wollen, dass deine Schwester oder dein Weib seine Arbeitszeit unterm selben Dach verbringt wie der?«
Gleichzeitig richteten alle drei den Blick auf den Duke. Er marschierte gerade selbstbewusst über die Deckplanken seines Schiffs. Sein Mantel stand offen und setzte ihn den Elementen aus. Inzwischen klebte das weiße Hemd nass an der breiten flachen Brust und dem Bauch des Neuankömmlings. Hitze stieg in Elizas Wangen - und an eine andere Stelle auch.
Der Duke blieb kurz stehen, um mit einem wild aussehenden Mann zu reden, der einen Arm in der Schlinge trug und über einem Auge eine Klappe. Die personifizierte unehrenhafte Begleitung, schoss es Eliza durch den Kopf, und eine sanfte Röte überzog ihre Wangen.
Jetzt drehte der Duke sich um und gab der Mannschaft einen Befehl, die derweil seine wertvolle Fracht weiter von Bord brachte. Eliza wusste, dass er nicht der Kapitän des Schiffes war, aber verflixt noch eins, er verhielt sich so, als sei er Herr und Meister über alles, was um ihn war. Alles und jeden.
Zu behaupten, der Duke sei attraktiv, wurde ihm nicht gerecht, das erkannte Eliza sogar auf die Entfernung. Er war viel mehr: nämlich unglaublich fesselnd. In der Tat, ein gefährlicher Mann.
»Nein«, sagte jetzt der Mann neben ihr. »Ich würd nicht wollen, dass irgendwer von meinem Weibsvolk nur in die Nähe von so einem kommt.«
Eliza lächelte, denn ihr war ein Plan in den Sinn gekommen: Sie würde es riskieren, sich ihm zu nähern. Sie dachte wieder an Knightlys beiläufige und ungeduldige Bemerkung. Oder noch besser: Verkleiden Sie sich als eines der Hausmädchen.
Ihr Herz hämmerte, als sie diese Idee mit dem Gerücht zusammenbrachte, das ihr soeben zu Ohren gekommen war. Ich hab gehört, sein Haushalt sucht nach Dienstmädchen, aber die Mädels stehen wohl nicht grad Schlange für den Job.
Erregtes Zittern durchflutete ihren Körper. Dieser wohlig- anregende Nervenkitzel der Jagd. Ja, sie würde es wagen. Immerhin ging es hier um ihren Job, der auf dem Spiel stand.
Besorgen Sie die Story, besorgen Sie die Story, besorgen Sie die Story ...
Auf der Stelle traf Eliza eine Entscheidung. Um ihre Stellung als eines der Schreibenden Fräuleins bei der London Weekly zu behalten, würde sie sich als Dienstmädchen verkleidet im Haushalt des skandalösen und verruchten Dukes of Wycliff einschleichen. Ja, bei Gott, das würde sie tun.
Bereits am nächsten Tag stand sie in einem schlichten Kleid und mit gefälschten Empfehlungsschreiben von ihren Freundinnen, den anderen Schreibenden Fräulein, der Duchess of Brandon und der Countess Roxbury, vor der Tür von Wycliff House. Dort stellte man sie sofort ein. Ohne weiter nachzufragen. Es war eine Sache von zehn Minuten.
Schon kurz darauf staubte sie die Bücherregale ab und wusste es so einzurichten, dass Ihro Gnaden just zu diesem Zeitpunkt einen Besucher in der Bibliothek empfing. Hier hatte sie uneingeschränkten Zugang zum Duke, seinem Haushalt und seinen Geheimnissen ... Und garantiert schon bald auch zu der schockierenden Geschichte, die sie so dringend brauchte, um weiterhin als Autorin bei der London Weekly beschäftigt zu sein.
Kapitel 2
In dem es nackt zugeht
Wycliff House
Kaum vierundzwanzig Stunden nach seiner Rückkehr auf englischen Boden hatte Sebastian Digby, der junge Duke of Wycliff, einen ersten Besucher. Sein idiotischer Cousin Basil hatte ihn heimgesucht - angeblich, um ihm den gesellschaftlichen Wiedereinstieg zu erleichtern. Zu Sebastians Entsetzen hatte Basil ein ganzes Jahrzehnt Klatschgeschichten im Gepäck und verfügte leider über die beklagenswerte Fähigkeit, Interessantes nicht von Unwichtigem unterscheiden zu können. Und so zog sich der Besuch mittlerweile über Stunden hin.
Sebastian - der sich immer noch nicht daran gewöhnt hatte, den Namen Wycliff zu tragen, fühlte sich nur allzu deutlich an die Zeit erinnert, als er in einem ägyptischen Gefängnis zusammen mit einem Mann eingesessen hatte, der darauf bestanden hatte, ihm die lange, quälend langweilige Geschichte zu erzählen, wie er Vieh in der Wüste gehütet hatte. Basils Gesellschaft und seine Gesprächsthemen waren mindestens genauso einschläfernd.
Trotzdem nahmen die beiden in guter englischer Tradition vor dem Kamin ihren Tee ein. Es war wieder einer dieser feuchten, grauen Märznachmittage, die Sebastian während der letzten Jahre so ganz und gar nicht vermisst hatte.
Gelangweilt ließ er den Blick schweifen. Ein Dienstmädchen staubte die Bücherregale ab. Sie hatte einen sehr hübschen Rücken, stellte er erfreut fest. Das war aber auch so ziemlich das Einzige, was ihn mit diesem Nachmittag versöhnte.
Basil faselte derweil unverdrossen weiter. Er berichtete von allen großen Skandalen - von Hochzeiten, einer Scheidung, Duellen und Todesfällen - und erwähnte beiläufig gewisse Neuigkeiten bezüglich Lady Althea Shackley. Bei der Erwähnung ihres Namens rutschte Wycliff unangenehm berührt auf seinem Stuhl herum, was sein Cousin geflissentlich ignorierte.
Dann kam Basil auf die Gläubiger zu sprechen, die dem Haushalt zunehmend zusetzten und die inzwischen schon vor dem Anwesen herumlungerten. Die Nachricht, der Duke sei zurückgekehrt, hatte sich wie eine Seuche verbreitet, und auf einmal krochen Horden von Kaufleuten aus dem Gebälk und verlangten Zahlungen, die man ihnen angeblich noch für ihre Dienste am verstorbenen Duke schuldete oder die sich angehäuft hatten, während Wycliff auf der anderen Seite der Welt das Abenteuer suchte.
Wycliff wusste, dass er über kurz oder lang etwas dagegen unternehmen musste. Wahrscheinlich würde er sie ganz einfach bezahlen müssen. Oder rasch mit unbekanntem Ziel verreisen.
Er tendierte zu letzterer Möglichkeit. Timbuktu kam ihm reizvoll vor.
»Wir haben dich ja alle schon für tot gehalten«, fing Basil an. »Obwohl es immer mal wieder Gerüchte gab.«
»Wir?«
»Nun, ich, mein Weib, der Rest der Gesellschaft«, erklärte Basil. »Aber dann hörten wir ja all die Geschichten über deine Abenteuer und deinen Verbleib. Immer mal wieder. Und immer kamen sie von einem anderen Erdteil. Stimmt es wirklich, dass du eine Woche lang in einem Harem gelebt und an die hundert Konkubinen des Sultans vernascht hast?«
Die Gerüchteküche brodelte wohl auch auf die Entfernung munter vor sich hin.
Jetzt verlangsamte das Mädchen mit dem hübschen Hintern sein Tempo beim Staubwischen. Es schien beinahe, als versuche es zu lauschen. Das vermutete Sebastian zumindest, und er konnte es ihr nicht einmal verübeln: Jeder würde das an ihrer Stelle tun. Basil konnte noch so stumpfsinnig sein, aber er war sicher spannender als Staubwischen.
Wycliff grinste bei der Erinnerung an die eine herrliche Nacht hemmungsloser Leidenschaft, die durch die drohende Entdeckung nur noch zusätzlich entfacht worden war. Manche Dinge waren es eindeutig wert, Leib und Leben dafür zu riskieren.
»Es war nur diese eine Nacht«, stellte er klar.
Das Dienstmädchen hüstelte.
Aha, sie lauschte also. Und rechnete vermutlich gerade nach, was hundert Frauen in einer Nacht wohl für einen Schnitt bedeuteten.
»Das sind genau die Gerüchte und Geschichten, bei denen die Mütter der Gesellschaft durchdrehen werden«, bemerkte Basil. Er biss in einen Keks und wischte die Krümel von seiner rotbraunen Weste.
»Diese Wirkung habe ich nun einmal auf sie«, antwortete Sebastian. »Ist ja nichts Neues, oder?«
Das war schon immer so gewesen. Seit Generationen waren die Wycliffs berüchtigt für ihre Freizügigkeit und ihre recht laxen Moralvorstellungen. Es gab wohl kaum eine unverschämtere, ausschweifendere und unbekümmertere Sippe in Englands Geschichte. Die Männer waren bekannt dafür, mit den Dienstmädchen anzubandeln, ein Vermögen für ihre Mätressen auszugeben und ganz allgemein und über einen Kamm geschoren, ein betrunkener, undisziplinierter Haufen zu sein. Merkwürdigerweise neigten sie dazu, ernste, praktisch veranlagte und kühle Frauen zu heiraten. Die Sorte Frauen also, die man für fähig hielt, unter Umständen eine gewisse Ordnung zu schaffen, im Kleinen wie im Großen, und ein zivilisiertes Verhalten von ihren Gatten einzufordern. Gelungen war es bisher allerdings keiner von ihnen.
Seine eigenen Eltern bildeten da keine Ausnahme. Was Sebastian aber bislang niemandem erzählt hatte und was er auch tunlichst für sich behalten würde: Wie durch ein Wunder hatte er die unnachgiebige Selbstkontrolle seiner Mutter geerbt, und diese kämpfte ständig mit seinem wüsten Wycliff-Blut.
»Ich vermute, es braucht nicht viel, um die Gesellschaft zu verärgern«, räumte Basil jetzt ein. Er schlug eindeutig nach der anderen Seite der Familie. Der stumpfsinnigen. »Und was hat es mit den Gerüchten auf sich, du wärst Pirat gewesen?«
»Was soll mit denen sein?«, fragte Wycliff und hob anzüglich die Brauen, um seinen Cousin zu provozieren. Eigentlich sollte ich Harlan einladen, sich zu uns zu gesellen, dachte er. Basil wäre beim Anblick der Augenklappe, der Armverletzung und der Piratenverkleidung des Mannes sicher fassungslos und würde sich fragen, wie der Papagei die Reise von Fidschi nach Wycliff House in London nur überlebt hatte.
»Willst du sie nicht abstreiten?«, wollte Basil wissen. »Ich meine ja nur. Du weißt doch, wie viel getratscht wird.« Seine Stimme war schrill vor Freude. »Und erzähl doch mal von Tahiti. Ich habe gehört, dort habe man dich schließlich aufgefunden.«
»Warmes kristallblaues Wasser, das an weißen Sandstränden glitzert, täglich Sonnenschein, nackte oder kaum bekleidete Frauen. Nach einer Weile kann's schon langweilig werden«, sagte Wycliff und zuckte mit den Schultern.
Monroe Burke, sein Freund und Rivale, hatte ihn nach mehrmonatiger Suche schließlich dort aufgefunden und ihm die Nachricht überbracht, dass der bisherige Duke verstorben sei und Sebastian gut daran täte, nach einem Jahrzehnt außer Landes endlich wieder in die Heimat zurückzukehren.
»Du hast dich in einem Tropenparadies gelangweilt und bist nach England zurückgekehrt, um dein Herzogtum zu beanspruchen«, erklärte Basil. »Hmpf.«
»So ist eben das Leben ...«, meinte Wycliff nur. Er sollte sich wohl wegen seiner Reisen und Abenteuer schuldig fühlen - das war es doch, was Basil ihm zu verstehen geben wollte -, aber darauf hatte er keine Lust. Er wusste, er sollte seinen verfluchten Sternen danken, dass er als Duke geboren war. Aber es fühlte sich für ihn meist eher wie eine Last an und nicht wie ein Segen. Stattdessen ging Sebastian dem nach, was ihn wirklich interessierte, und er ließ das Herzogtum gnadenlos links liegen. War das denn wirklich ein Verbrechen? War das verantwortungslos und frevelhaft? Oder führte er einfach nur ein gutes Leben?
Das Dienstmädchen schaute über die Schulter, und obwohl er ihr Gesicht nur im Profil sehen konnte, bemerkte Sebastian ihren finsteren Blick. Diesen und die zarten, englischen Gesichtszüge zu der sahnig weißen Haut. Sie war entzückend. Diese pinkfarbene, kleine Knospe von einem Mund. Die dunklen Haare, die zu einem straffen Knoten im Nacken aufgesteckt waren. Wycliff wollte mehr von ihr sehen. Er wollte ihre Augen sehen.
»Nun, dann wünsche ich dir viel Glück bei der Rückkehr in die Gesellschaft«, sagte Basil und warf einen kritischen Blick auf Wycliffs Aufzug. »Du wirst dir vorher selbstverständlich die Haare schneiden müssen. Oh, und mit diesem ... mit diesem Ohrring wirst nie in den Almack's eingelassen werden.«
Sebastian musste schmunzeln. Basil hatte wirklich keine Ahnung. Der kleine, goldene Reif - unter Seeleuten die traditionelle Art, Geld für ihr Begräbnis zu sparen - war in dieser Hinsicht noch das geringste Problem. Während seiner Reisen hat er sich so manchen Schmuck zugelegt ...
»Da bin ich nun an all diese Orte gereist; von Afrika bis nach Australien hat mich die Abenteuerlust geführt. Und der einzige Ort, der mir verwehrt bleiben soll, ist Almack's?«, knurrte Wycliff. »Das ist ja nun wirklich allzu schade.«
Das Mädchen konnte sich ein giggelndes Lachen nicht verkneifen. Es war eindeutig, sie lauschte!
»Wenn du eine Frau und irgendwann auch einen Nachfolger willst, wirst du zu Almack's gehen müssen. Bring es hinter dich, oder alles wird eines Tages an mich gehen«, sagte Basil mit einem Hauch Schadenfreude in der Stimme. »Das würde meinem Eheweib wohl gefallen.«
Wycliff blickte zu dem Dienstmädchen herüber, das die Augenbrauen hob, als wolle es sagen nun-kümmere-dich-doch-um-Himmels-Willen-schleunigst-um-eine-Ehefrauehe- du-ein-ganzes-Herzogtum-ausgerechnet-in-BasilsHände- fallen-lässt.
»Nicht, dass es da besonders viel zu erben gäbe, wenn man sich die bemitleidenswerten Gläubiger anschaut, die an deine Tür kratzen«, fügte Basil leicht gehässig hinzu. »Trotzdem würde mein Weib sich freuen, Duchess zu werden. «
Wycliffs Miene verfinsterte sich. Dann fiel ihm aber wieder ein, wie wenig es ihn stören würde, wenn Basil alles erbte, weil er bis dahin ja ohnehin längst tot wäre. Ehrlich gesagt entsprach das auch ganz der Tradition der Wycliffs. Die da lautete: Mach dir keine Sorgen, die Erben können das ganze Chaos doch lösen mit den bis unters Dach belasteten Landgütern, den wild wuchernden Schulden, den aufmüpfigen Pächtern und so weiter und so fort.
Mistkerle.
Das Mädchen staubte unverdrossen und gründlich weiter die Regale ab - war das etwa all die Jahre nicht gemacht worden? - und bewegte sich jetzt auf seinen Schreibtisch zu. Weil er so gelangweilt war und weil er sich nach einer Frau verzehrte, starrte Wycliff ihr völlig ungeniert auf den Hintern und die sanduhrförmigen Hüften. Ihre Augen allerdings konnte er immer noch nicht sehen. Ihre Augen, ihre Augen. Er wollte so gerne ihre Augen sehen. Die Augen verrieten einem Mann so viel über eine Frau ...
»Du musst dir unter allen Umständen eine Frau suchen, und wenn es nur wegen des Geldes ist«, fuhr Basil fort.
Wycliff widersprach ihm nicht.
»Zuerst musst du dir die Haare schneiden, dann musst du in die Saville Row und dir was Anständiges zum Anziehen besorgen ...«
Wycliff sah an sich herab. Was war falsch an seinem Aufzug? Er trug eine schlichte Wildlederhose und ein Hemd. Nun gut, der Kragen stand offen, und die Ärmel waren hochgekrempelt. Seine Stiefel waren vielleicht ein wenig in Mitleidenschaft gezogen. Sie hatten ihn durch ganz Afrika getragen, waren über die Deckplanken Dutzender Schiffe gestampft, durch Sümpfe und Seen gewatet. Wenn er ehrlich war, sahen seine Sachen wirklich aus, als hätten sie so viel durchgemacht. So viel und noch einiges mehr.
»Ich dachte bisher, es würde genügen, dass ich ein Duke bin«, unterbrach Sebastian seinen Cousin jetzt rüde.
»Manchmal genügt das auch«, antwortete Basil. »Aber wenn du verzweifelt bist ...«
»Ich bin nicht verzweifelt.«
Tatsächlich hatte Sebastian nicht vor, sich zu binden. Vielmehr hatte er ganz andere Pläne für seinen Aufenthalt in England. Hier hielt ihn nur die Notwendigkeit, dass er eine neue Expedition planen und das Geld dafür auftreiben musste. Sobald das geschehen wäre, würde er erneut Segel setzen und zu neuen Ufern aufbrechen. Aber das würde Basil nicht hinnehmen, weshalb Sebastian gar nicht erst versuchte, seinen Cousin davon zu überzeugen. Stattdessen ließ er ihn einfach weiterreden.
»Du solltest dir trotzdem eine Frau suchen«, redete Basil auf ihn ein. »Ich würde mich freuen, wenn ich dich dabei unterstützen dürfte. Dich überall vorstellen und so weiter.«
Würde ich allen Ernstes planen, mir eine Frau zu suchen, überlegte Wycliff, wäre es der größte Fehler, meinem idiotischen Cousin davon zu erzählen. Dieser Weg, ahnte er, führte sicher nur zu katastrophalen Kuppelversuchen und anderen Abscheulichkeiten in den besten Kreisen.
»Ich danke dir, Cousin Basil. Das ist zu freundlich von dir.«
Zu diesen abschließenden Worten schlürfte Basil einen letzten Schluck Tee, stellte dann die Tasse ab und stand auf, um endlich zu gehen.
Wycliff seufzte auf. Der Besuch war beendet, und gleich würde er sich wieder der Aufgabe widmen können, sich in seinem Heimatland zu akklimatisieren. Die Bordelle wären ein guter Anfang dafür, beschied er.
Basil schlenderte durch das Arbeitszimmer und verlangsamte seine Schritte, als er zum Schreibtisch kam. Wycliff unterdrückte einen Fluch.
»Sieh nicht hin«, murmelte Wycliff.
Basil schaute hin. Natürlich schaute er hin.
»Hör mal, sind diese Zeichnungen von deinen Reisen?«, rief sein Cousin jetzt begeistert. Er nahm sich sogar die Freiheit heraus, eine hochzunehmen, um sie sich genauer anschauen zu können.
»Verdammt, Cousin! Was zum Teufel ...« Basils Augen fielen ihm fast aus dem Kopf.
Es war das Porträt eines Mädchens namens Miri. Sie hatte ihm die Gnade zuteil werden lassen, sie bis zu den Tätowierungen zeichnen zu dürfen, die ihre Hände bedeckten. Und mit diesen Händen umfasste sie ihre vollen, üppigen Brüste. Sie lachte auf dem Bild, doch Sebastian konnte sich beim besten Willen nicht mehr daran erinnern, was so lustig gewesen war. Und er würde es nie erfahren, wenn er nicht zurücksegelte und sie fragte.
Er ignorierte den stechenden Schmerz der Sehnsucht, die sich fast wie Heimweh anfühlte.
»Tätowierungen«, erklärte Wycliff. »Das ist eine tahitische Sitte, bei der scharfe Knochen Tinte unter die Haut klopfen. Es dauert tagelang und ist eine unglaublich schmerzhafte Prozedur ...« Er verstummte, weil Basils Haut eine grünliche Färbung annahm, die zu seiner Weste recht apart aussah.
Das Dienstmädchen reckte den Hals, um ebenfalls einen Blick auf die Zeichnung zu erhaschen. Sebastian grinste und gestattete ihr diese Neugier. Ihre Augen weiteten sich vor Schreck, als sie das Motiv erkannte, und sie blickte fragend zu ihm auf.
Dieser Blick raubte ihm den Atem und fegte das Lächeln von Wycliffs Gesicht. Blau. Ihre Augen waren graublau wie der Ozean, nach dem er sich so sehr verzehrte.
»Ich vermute, solche Sitten muss man wohl von den Wilden erwarten«, sagte der idiotische Cousin.
Wycliff verdrehte die Augen.
»Sie sind keine Wilden, Basil. Das sind einfach Leute, die zufällig nach einem völlig anderen kulturellen Konzept leben«, erklärte er ungeduldig.
»Natürlich hast du aufgrund deiner Reisen eine völlig verquere Einstellung zu dem Thema. Aber es ist doch wirklich offensichtlich, dass niemand auf der Welt die Briten übertrifft«, antwortete Basil und blätterte durch die anderen Bilder.
Du blätterst gerade in den privaten Bildern eines anderen, du idiotischer Kerl.
Das Dienstmädchen biss sich auf die Lippe. Sie wollte etwas sagen, und Wycliff interessierte sich brennend für ihre Meinung.
»Na, das ist ja mal 'ne Wucht«, sagte Basil und bezog sich damit auf ein Aquarell, das Orama zeigte. Eine wunderschöne Frau mit weichen Lippen und einer wärmenden Umarmung, die ihm erlaubt hatte, ihren nackten Körper zu zeichnen, als sie wie Aphrodite aus dem Ozean stieg und das türkisfarbene Wasser ihre Hüften umspülte. Sie war atemberaubend, und es war ein widerlicher Irrtum, dass sein idiotischer Cousin Basil ungestraft eine so natürliche Schönheit betrachten durfte.
Aus dem Augenwinkel sah Wycliff, wie die Wangen des kleinen Dienstmädchens sich rosig färbten. Er hatte vergessen, wie begehrenswert prüde und anständig englische Frauen sein konnten.
Wycliff nahm Basil das Blatt aus der Hand und raffte die anderen Bilder an sich. »Du redest von Anstand, dem man angeblich nur in England begegnet. Dafür verhältst du dich aber ziemlich unanständig und durchwühlst die persönlichen Sachen eines anderen.«
»Wie wahr, wie wahr«, lenkte Basil ein. »Ich bitte vielmals um Entschuldigung. Aber man ist eben immer so neugierig auf alles Exotische. Du musst mich mal in meinen Club begleiten, Cousin, um dort meinen Freunden von deinen Reisen zu erzählen!«
Wycliff murmelte irgendwas, das als Zustimmung gedeutet werden konnte, obwohl er nicht den Wunsch verspürte, in einem alten, muffigen Club mit alten, muffigen Männern zusammenzusitzen.
Nach viel Gewese verabschiedete Basil sich doch, und Wycliff war mit dem Mädchen allein. Sie knickste verlegen vor ihm, murmelte »Euer Gnaden« und fragte, ob sie ihm irgendwie zu Diensten sein könne. Und das alles mit diesem kleinen, rosigen Mund ... Wüste Gedanken gingen ihm durch den Kopf, doch die würde Sebastian jetzt nicht aussprechen, obwohl es typisch für einen wüsten Wycliff wäre, solche Gedanken zu äußern.
»Wenn ich die Fähigkeit besäße, die Zeit zurückzudrehen, hätte ich gerne diese Stunde meiner Lebenszeit zurück «, sagte er deshalb nur ehrlich.
»Wenn ich die Fähigkeit besäße, die Zeit zurückzudrehen, bräuchte ich Euren Lohn nicht«, erwiderte sie scharf und sammelte das Teegeschirr ein. Eigentlich eine einfache Aufgabe, sollte man meinen, aber die Porzellantassen klapperten derartig auf den Untertassen, und die Silberlöffel rutschten so unbeholfen über das Tablett, dass Sebastian berechtigte Zweifel an ihrer Befähigung als Dienstmädchen hegte. Zu all ihrem Unglück verschüttete sie auch noch die Milch. Außerdem fluchte sie leise, was ihn sehr amüsierte. Entweder war sie Harlan bereits über den Weg gelaufen, oder sie hatte selbst keine Bilderbuch- Vergangenheit.
Bisher war dieses kleine Dienstmädchen mit den meerblauen Augen und der gesalzenen Sprache das Einzige, was in England wirklich interessant war.
»Wie heißt du?«, fragte Simon.
Sie zögerte, ehe sie antwortete: »Eliza.«
Ihre Hände waren mit dem Teetablett beladen, so dass sie nur einen knappen, ungeschickten Knicks zustande brachte, ehe sie verschwand. Auf dem Weg nach draußen gönnte sie ihm jedoch noch einen wunderbaren Blick auf ihre Kehrseite.
Sobald sie verschwunden war, zog Wycliff den Schlüssel von dem Lederband, das er um den Hals trug, und schloss damit die Tür auf, die von der Bibliothek direkt in einen weiteren Raum führte, den man nur auf diesem Weg erreichte. Hier bewahrte er all die Dinge auf, die niemand zu Gesicht bekommen sollte. Noch nicht.
Kapitel 3
In dem Ihro Gnaden nackt ist
Später am Tag, Abenddämmerung
Eliza stand vor der Tür zum Schlafgemach des Dukes of Wycliff und nahm all ihren Mumm zusammen. Gleich würde sie schwungvoll und vor allem unangekündigt den Raum betreten. Das war zumindest der Plan.
Ihro Gnaden saß in der Badewanne. Nackt.
Es war nun nicht so, dass Eliza noch nie einen nackten Mann gesehen hätte. Sie war nicht gerade als behütetes Fräulein aufgewachsen.
Das Protokoll, das so eine Situation erforderte, war ihr trotz alledem jedoch nicht vertraut. Ein nackter Duke in der Badewanne und ohne Handtuch. Vermutlich sollte sie das Zimmer gar nicht betreten. Handtuch hin oder her. Oder womöglich doch? Weil sie nie mit Dienstboten aufgewachsen war und bislang noch nie selbst Dienerin gewesen war, musste Eliza alles, was dieser neue Job ihr abverlangte, auf die harte Tour lernen.
Sie hatte diese verfluchte Badewanne gefüllt, hatte gemeinsam mit einem anderen Hausmädchen namens Jenny die schweren Eimer mit heißem Wasser einzeln die drei Stockwerke hochgeschleppt. Ihre Aufgabe war es, schnell genug zu sein, damit das Wasser noch warm war, wenn Ihro Gnaden die Wanne bestieg (aber zugleich nicht so schnell, dass es überschwappte). Es war wirklich schrecklich. Möge der Duke sein verdammtes Bad gefälligst genießen!, dachte Eliza ärgerlich. Genug Arbeit es herzurichten, war es jedenfalls.
In all der Eile und dank ihrer Unerfahrenheit hatte Eliza zu guter Letzt vergessen, ihm ein Handtuch hinzulegen. Ob er einer der Dienstherren war, die bei einem derartigen Versäumnis laut lospolterten und wütend schimpften oder nicht - das wollte sie, wenn sie ganz ehrlich war, lieber gar nicht herausfinden müssen. Ihr Arbeitgeber war ein imposanter, einschüchternder Riese von einem Mann, und sie war nicht der Typ, der zurückschimpfte und -polterte. In jedem Fall bedeutete das alles aber jede Menge Probleme. Und zwar Probleme auf ganzer Linie. Probleme, die bis zur Kündigung führen konnten. Doch so weit wollte Eliza gar nicht erst denken. Sie durfte diese Stellung einfach nicht verlieren, weil dann auch ihre Story für die London Weekly verloren war.
Besorg die Story. Knightlys Worte klangen ihr noch immer in den Ohren. Besorg die Story!
Darum rang Eliza jetzt auch so sehr mit sich. Sollte sie den Duke ohne Handtuch lassen? Oder ihn stören?
Er war ohne Leibdiener zurückgekommen und hatte auch noch keinen eingestellt. Das hieß, es war sonst niemand da, der ihm zur Hand gehen konnte ...
So sah also das Leben als Autorin aus, die in Bedrängnis geriet und verdeckt recherchieren musste. Eliza seufzte. All das machte sie nur für Mr. Knightly und für die Weekly! Aber - bei Gott: Wenn sie solche Mühen in Kauf nehmen musste, um eine Story zu veröffentlichen - sich als Dienstmädchen im skandalösesten Haushalt der Stadt verdingen und in eine peinliche Situation nach der anderen schlittern -, dann würde sie das verdammt noch mal auch tun. Weil sie ihre Arbeit liebte. Ja, sie würde jetzt dort hineingehen und dieses verwünschte Handtuch abliefern. Nein, sie würde ihre Stellung nicht verlieren, das schwor sie sich! Nicht wegen dieser einen Sache.
Ich sollte jetzt aber auch wirklich reingehen, überlegte Eliza, nachdem sie eine weitere halbe Ewigkeit vor der Tür verharrt hatte. Wenn ich einfach nicht auf ihn achte, wird er bestimmt dasselbe mit mir tun, schließlich bin ich ja nur eine Dienerin und seine Aufmerksamkeit gar nicht wert.
Eliza lächelte in sich hinein. So viel wusste sie schon über das Verhältnis zwischen Dienstherr und Dienerin. Dennoch hatte sie das ungute Gefühl, dass es nicht ganz so einfach würde, wie sie sich das gerade erhoffte.
Eliza erinnerte sich noch deutlich daran, wie Ihro Gnaden sie heute Nachmittag im Arbeitszimmer angestarrt hatte. Sein Blick hatte sich angefühlt wie eine intime Berührung. Der Mann raubte ihr den Atem. Doch darüber dachte sie jetzt besser nicht nach.
»Ach, was soll's«, murmelte sie und betrat seine Gemächer. Doch dann blieb sie wie angewurzelt stehen.
Eliza sah den Duke in der Wanne, wie sie es erwartet hatte. Doch es war kein gewöhnlicher Anblick: Die nassen Haare hatte er sich aus dem Gesicht gestrichen, was seine harten, kräftigen Gesichtszüge besonders betonte. Sein Mund war voll und fest, und wider Erwarten lächelte er nicht. Sogar in dieser entspannten Haltung erinnerte er Eliza an einen Krieger: stets in Alarmbereitschaft und jederzeit bereit zu kämpfen.
Das Wasser leckte an seinen Lenden. Seine Brust war eine breite, nackte Fläche aus fester Haut, die sich über wohlgeformte Muskeln spannte. Als Eliza näher auf ihn zuging und einen deutlicheren Blick auf den Mann werfen konnte, der von der glühenden Asche im offenen Kamin und den flackernden Kerzen beleuchtet wurde, bemerkte sie die tintigen blauschwarzen Linien auf seiner Brust. Tätowierungen. Wie bei der Frau auf dem Bild.
Sie schnappte nach Luft.
Er öffnete die Augen. »Hallo Eliza.«
Die Stimme des Dukes war leise und rauchig und ließ ein Beben über ihren Rücken laufen. Das Fenster stand leicht offen, und die kühle Brise ließ die Kerzenflammen wild tanzen und warf schieferschwarze Schatten. Plötzlich wirkte der ganze Raum auf sie wie eine fremde, magische Parallelwelt.
»Euer Gnaden«, murmelte Eliza und sank in einen tiefen Knicks.
»Bist du etwa gekommen, um dich zu mir zu gesellen?«, fragte Sebastian mit rauer Stimme, und sie konnte im ersten Moment nicht sagen, ob er das ernst meinte oder sie beschwindelte.
»Auch dafür werde ich nicht bezahlt, Euer Gnaden«, antwortete Eliza selbstbewusst und erschrak kurz über ihren Mut. Bisher war es ihr leider noch nicht gelungen, sich unterwürfig zu geben. Aber sie wurde für ihre Dreistigkeit belohnt: Sein Mund verzog sich zu einem Grinsen.
Erleichtert atmete Eliza aus, und prompt glitt ihr Blick wieder hinab zu seiner Nacktheit. Sie konnte einfach nicht anders ...
Die Tätowierung bedeckte einen Großteil seiner muskulösen Brust und führte über die Schultern bis zu den Oberarmen, die sie weitläufig bedeckte. Einzelne Linien reichten sogar bis zu seinen Unterarmen. Eine Million Fragen brannten Eliza auf der Zunge. Doch ihr Mund war plötzlich zu trocken, um auch nur ein Wort über die Lippen zu bringen.
»Tätowierungen«, bestätigte der Duke, als könne er ihre Gedanken lesen. »Eine tahitische Tradition. Als ich in Rom war ...«
»Ihr habt erwähnt, der Prozess sei sehr schmerzhaft«, sagte Eliza und spielte damit auf sein Gespräch mit Basil an. »So sieht es auch aus.«
»Es tat höllisch weh.«
»Warum habt Ihr es dann machen lassen?«
»Weil ich nicht wie ein Feigling dastehen wollte«, erklärte Sebastian mit leiser Stimme.
»Das ist alles? Weil Ihr wünschtet, in den Augen der Männer, die am anderen Ende der Welt leben, nicht als Schwächling zu erscheinen?«
Der Duke lachte und sah ihr direkt in die Augen. »Du hast keine Ahnung von Männern, kann das sein?«
»Offensichtlich nicht«, erwiderte Eliza trocken. Seine Direktheit ärgerte sie. Doch das durfte sie ihm auf keinen Fall zeigen.
»Die Zeichnungen zu sehen, ist das eine. Dies hier ist etwas völlig anderes. Findest du nicht auch?«
Eliza nickte.
»Es ist wie ein Reisebericht und eines von vielen Artefakten, die ich gesammelt und zurück nach England gebracht habe. Es gibt da draußen jenseits der Stadtgrenzen von London eine Welt der Wunder, weißt du?« Der Duke sah sie ernst an. »Die Leute sollen davon erfahren.«
»Darf ich es mir näher ansehen?«, fragte Eliza flüsternd, weil es in ihren Augen verboten war, einen Duke zu bitten, ihn so intim mustern zu dürfen. Aber sie musste sich die Tätowierungen einfach aus der Nähe anschauen. Und wenn sie sie berühren dürfte, würde sie auch das tun. Genau diese Art von Detail liebte man bei der Weekly, sagte Eliza sich begeistert. Und gestand sich nur ungern ein, dass sie damit auch ihre ganz eigene Neugier befriedigen würde.
Eifrig kniete sie sich neben die Wanne, um sich die Tätowierungen aus nächster Nähe anzusehen. Dabei entdeckte sie jedoch noch etwas anderes, das ihr Interesse weckte: eine Narbe auf seiner Oberlippe sowie weitere kleine unter den Stoppeln um sein Kinn. Eliza atmete durch die Nase ein und merkte, dass der saubere, seifige Geruch des Dukes sie irritierte. Er widersprach dem Hauch von Gefahr, den er gleichzeitig verströmte.
Sein Kopf war ihrem jetzt ganz nah, sein Mund nur wenige Zentimeter von ihrem entfernt.
Sie wollte seine Haut berühren, weil sie wissen wollte, ob sie sich unter den Tätowierungen weich oder rau anfühlte. Die harten Muskeln seiner Arme wollte sie spüren und seine breite Brust unter ihren Handflächen. Alles für die Weekly, selbstverständlich. Eliza wurde heiß.
Als hätte der Duke ihre Gedanken gelesen, nahm er jetzt ihre Hand und legte sie auf seinen Bizeps. Genau dorthin, wo die Tätowierung begann.
Mit fragendem Blick bat Eliza ihn um Erlaubnis, ehe sie mit den Fingern behutsam über die Linien fuhr. Manche waren gerade, manche eckig, andere drehten sich spiralförmig nach oben und um seine Schulter, ehe sie hinab zu seinem breiten, muskulösen Oberkörper führten. Sie breitete die Hand über seiner Brust aus und spürte die heiße Haut und darunter den pulsierenden Herzschlag.
Die Hand des Dukes schloss sich um ihre.
Noch immer flackerten die Kerzen im Luftzug und warfen unheimliche Schatten. Dampf stieg vom Wasser auf und machte die Luft zwischen ihnen heiß und feucht. Seine Lippen öffneten sich, und Eliza hielt den Atem an - wollte er sie küssen oder sie für ihre Dreistigkeit rügen?
Sie öffnete ihrerseits den Mund, um ihm zu sagen, dass sie nicht so ein Mädchen sei. Doch dummerweise hatte Eliza schon immer die nicht ganz unproblematische Angewohnheit besessen, ihren gesunden Menschenverstand und die Vernunft über Bord zu werfen, um ihre Neugier zu befriedigen. Besonders gefährdet war sie, wenn sie hinter einer Story her war oder das Abenteuer suchte. Oder wenn sie Männer jagte. Wer sie genauer kannte, wusste, dass Eliza Geheimnisse hatte und eine Vergangenheit, die das zur Genüge bewies.
Dass das andere Dienstmädchen Jenny ausgerechnet diesen Moment wählte, um seinerseits den Raum zu betreten, war ausgemachtes Pech. Denn so konnte sie das erleichterte Seufzen in aller Deutlichkeit hören, das die Stille durchbrach. Jenny traten die Augen aus den Höhlen. Kam das aus Elizas Mund oder gar aus dem vom Duke?
Der lehnte sich zurück und schloss genüsslich die Augen. Bei Jennys Anblick riss Eliza ihre Hand von seinem bloßen Oberkörper, sprang auf und wich eilig von der Wanne zurück. Sie sprach das andere Mädchen an.
»Ich wollte nur sehen, ob Ihro Gnaden schon fertig ist«, flüsterte Jenny. »Wir müssen die Wanne und das Wasser noch heute Abend fortschaffen.« Dann riss sie die Augen noch einmal auf, weil sie nun ihrerseits die Tätowierungen des Dukes bemerkte. »Außerdem musst du noch das Bett für ihn herrichten und das alles. Aber pass bloß auf ... du weißt doch, welchen Ruf er hat.«
Kapitel 4
Die Schreibenden Fräulein
Im Büro der London Weekly Am folgenden Tag, einem Donnerstag
Eliza eilte die Fleet Street entlang. Das Herz hämmerte in ihrer Brust, und jeder Atemzug tat weh.
Es war eine Herausforderung gewesen, sich am Butler Saddler und den zahllosen Lakaien vorbeizuschleichen, die überall herumstanden. Mrs. Penelope Buxby, die Haushälterin, war Gott sei Dank leichter zu narren, sobald sie mit dem Whisky angefangen hatte. Sie begann stets zur Mittagszeit mit dem Schnaps, und als Eliza aufgebrochen war, war es später Nachmittag gewesen. Jenny hatte sich einverstanden erklärt, Elizas Abwesenheit zu decken und zu behaupten, sie fege auf dem Dachboden, falls jemand fragte. Dorthin würde niemand gehen, um nach ihr zu sehen.
Eliza traf in der Fleet Street Nummer 57 ein. Ihre Brüste hoben sich schwer mit jedem Atemzug, und ihr Herz klopfte laut. Sie nickte Mehitable Loud zu, dem großen und beängstigend dreinblickenden, nichtsdestotrotz aber sehr freundlichen Riesen, der die Büroräume und alle beschützte, die sich darin aufhielten - insbesondere Mr. Knightly, den Eigentümer und Herausgeber von Londons beliebtester Zeitung.
Eliza hatte sich noch nicht wieder ganz gefasst, als sie in das wöchentliche Redaktionstreffen der London Weekly platzte. Sie kam zu spät; die anderen Autoren waren bereits alle um den großen Tisch versammelt. Damian Owens und Alistair Grey verstummten mitten im Gespräch, und die Köpfe drehten sich in ihre Richtung. Knightly bemerkte mit einem sanften Heben der Augenbrauen ihren Aufzug.
Sie trug ein schlichtes graues Kleid und hatte noch immer die weiße Schürze umgebunden und eine kleine, ebenso weiße Haube auf dem Scheitel. Es war ihr keine Zeit geblieben, um sich umzuziehen, geschweige denn hatte es einen Ort dafür gegeben. Elizas Hände waren gerötet und rau von der morgendlichen Arbeit. Sie hatte Böden geschrubbt.
Es war Annabelle, die schließlich die Frage stellte, die alle interessierte: »Eliza, wieso hast du dich wie eine Dienerin verkleidet?«
»Ich habe eine Stellung im Haushalt des Dukes of Wycliff angetreten«, antwortete Eliza stolz und musste sich ein Grinsen verkneifen, weil sogleich ein erstauntes Raunen durch den Raum ging. Sie bemerkte das zufriedene Funkeln in Knightlys Augen und das Schmunzeln, das unwillkürlich seinen Mund umspielte.
Die anderen Kollegen wussten, was das hieß: Die London Weekly hatte einen Spion in dem Haus, über das ganz London alles wissen wollte.
Eliza hatte schon immer Storys geschrieben, die verdeckte Recherchen erforderten. Und oft hatte sie sich für diese Recherchen auch verkleidet, um so eine Seite Londons kennenzulernen, die die wenigsten ihrer Leser je zu sehen bekamen (in jedem Fall aber eine Seite Londons, die von den anderen Zeitungen selten erforscht wurde): Sie schrieb über die Billighochzeiten der niederen Klassen, über Quacksalber und ihr Schlachterhandwerk, und sie verbrachte sogar ein paar Tage im Armenhaus, um die Londoner später über die wahren Zustände dort aufklären zu können.
Es war also für Eliza nichts Neues, sich ganz auf eine Geschichte zu stürzen und Leib und Seele für die Story aufs Spiel zu setzen. Aber dieses Mal war es anders, weil ein skandalöser, geheimnisvoller und freigeistiger Duke beteiligt war. Und weil sie sozusagen um ihr Leben als Schreibfräulein schrieb.
Eliza lächelte breit. Alles würde gut gehen - die Kolumne, die sie jetzt in der Hand hielt, war Gold wert.
»›Der tätowierte Duke‹«, fügte sie hinzu, und sofort wurde sie von den Redaktionsmitgliedern der Weekly mit Fragen gelöchert. Ihr Herz schlug immer noch schnell, und ihr war ein bisschen schwindlig. Schuld daran war nicht nur die Eile, mit der Eliza hergerannt war, sondern das vollkommen neue und schwindelerregende Gefühl, im Zentrum der allgemeinen Aufmerksamkeit zu stehen.
Eliza überreichte Knightly das Blatt und verzog das Gesicht. Bei ihrem Lauf in die Redaktion war es zerknittert und feucht geworden. Er begann zu lesen.
Es war der beste Zeitpunkt und zugleich der schlechteste für den erst kürzlich nach London zurückgekehrten jungen Duke of Wycliff, um einen alten, berüchtigten Titel für sich zu beanspruchen.
Übrigens sieht er überhaupt nicht so aus, wie man es von einem Duke erwartet: Das Haar trägt er geradezu skandalös lang und dazu einen kleinen goldenen Ring im Ohrläppchen. Kurz: Er sieht eher aus wie ein einfacher Seemann als ein distinguierter britischer Adliger. Aber all das sind unbedeutende Kleinigkeiten verglichen mit den Tätowierungen des Dukes ...
Knightly überflog die nächsten Zeilen und fand eine Stelle, die er ebenfalls laut zum Besten gab: »›Sein Auftreten ähnelt dem eines wilden heidnischen Kriegers.‹« An dieser Stelle bemerkte Eliza, wie ihr Gesicht feurig rot wurde. Hätte sie gewusst, dass Knightly die Story laut vorlesen würde - die sie gestern Nacht wie im Fieber verfasst hatte -, dann hätte sie nicht unbedingt diese Formulierung gewählt.
Verstohlen schaute Eliza ihre Freundinnen an. Die blauen Augen der lieben Annabelle waren vor Entsetzen weit aufgerissen, und Juliannas Vergnügen an der Geschichte war unverkennbar. Julianna besaß diesen unersättlichen Hunger nach Klatschgeschichten, und diese Story stillte diesen Hunger offenbar. Sophie hingegen lauschte sehr interessiert.
»Das ist so herrlich skandalös«, murmelte Julianna wohlig. Sie war die Autorin von »Geheimnisse der Gesellschaft «, der anerkanntermaßen besten Gesellschaftskolumne der Stadt. Und sie war Lady Julianna Roxbury, geborene Somerset.
»Skandale bringen Verkäufe«, bemerkte Knightly automatisch. Das war die Kernaussage, auf die er sein wachsendes Verlagsimperium aufgebaut hatte.
»Skandal bedeutet Veröffentlichung«, flüsterte Eliza kaum hörbar. Annabelle Swift, die eine Ratgeberkolumne unterhielt und die liebste Frau der Welt war, nickte mitfühlend.
»Skandal heißt: Erzähl mir mehr«, sagte Julianna grinsend, als sie nach dem Ende der Sitzung plaudernd den Konferenzraum verließen.
»Ja, erzähl uns alles«, mischte Sophie sich ein. Seit ihrer Hochzeit mit dem Duke of Hamilton and Brandon schrieb Sophie nur noch gelegentlich über Hochzeiten, weil sie Hochzeiten eigentlich nicht mochte. Ihre Kolumne »Miss Harlows Hochzeiten in besseren Kreisen« war jedoch so beliebt, dass sie es ihren Lesern nicht antun konnte, sie einzustellen. Häufiger schrieb sie in letzter Zeit allerdings über ihre große Leidenschaft, die Mode.
»Vielen Dank euch beiden für eure Empfehlungsschreiben «, begann Eliza. Ihre reichen adeligen Freundinnen lachten. Die Briefe waren notwendig gewesen, damit sie sich im Haushalt des Dukes überhaupt mit Erfolg als Dienstmädchen vorstellen konnte. Eliza fuhr fort: »Die Haushälterin war entsetzt, weil jemand mit meinen tadellosen Qualifikationen allen Ernstes einen Haushalt wie eure verlassen und für Wycliff arbeiten wollte.«
»Wenn sie wüsste ...«, murmelte Sophie.
»Ich bin ein schreckliches Dienstmädchen, aber sonst ist ja keiner da, um meinen Platz einzunehmen«, sagte Eliza und kicherte. »Sieht ganz so aus, als habe der Ruf des Dukes so ziemlich jede Bewerberin verscheucht. Geblieben ist wirklich nur der harte Kern derjenigen, die zutiefst verzweifelt sind. Nun ja, und den Rest haben die Gerüchte über seine Schulden erledigt. Ich habe wirklich Glück gehabt - die Stelle habe ich quasi auf dem Silbertablett präsentiert bekommen.«
»Gute Hilfe ist wirklich schwer zu finden«, meinte Julianna wehmütig.
»Die Mädchen werden aber bestimmt Schlange stehen, sobald deine Story über den tätowierten Duke veröffentlicht ist«, prophezeite Sophie.
»Was für mich die Frage aufwirft, liebe Eliza, woher du von diesen Tätowierungen weißt«, sagte Julianna streng.
»Ich glaube, diese Frage hat so ziemlich jeden unserer Kollegen gequält, aber keiner hat sich getraut, vor den anderen danach zu fragen«, fügte Annabelle hinzu und lächelte.
»Ganz einfach deshalb, weil der Duke gerade ein Bad nahm, als ich in seinen Privatgemächern zu tun hatte«, sagte Eliza. Allerdings wusste sie selbst, dass diese Worte nicht annähernd ausdrückten, wie es wirklich gewesen war. Denn sie verschwieg ihren Freundinnen das Kerzenlicht, den aus der Wanne aufsteigenden Wasserdampf und wie sie sich neben ihn gekniet hatte und mit den Fingern über die tintigen Wirbel seiner Tätowierung gefahren war.
»Oh mein Gott!«, keuchte Annabelle. »Hat er etwa versucht, sich Freiheiten herauszunehmen?«
»Nein«, sagte Eliza zögernd - immerhin waren ihre Lippen einander nahe genug gewesen für einen Kuss. »Ich bin nur kurz in seine Gemächer geschlüpft, um ihm ein Handtuch hinzulegen.«
»Es ist nur eine Frage der Zeit, bis er es tut«, behauptete Julianna. »Die Dukes of Wycliff sind berüchtigte Lebemänner, und ich weiß aus sicherer Quelle, dass sie sich gerne mit ihren Dienstmädchen vergnügen.«
»Ich habe so viel Arbeit zu erledigen, dass mir gar nicht die Zeit für so etwas bliebe«, sagte Eliza mit ausdruckslosem Gesicht. »Und nachts bin ich einfach zu erschöpft.«
»So spricht eigentlich nur eine Ehefrau«, sagte Sophie schmunzelnd.
»Also, nun aber heraus mit der Sprache: Wie ist er wirklich, der Duke?«, fragte Annabelle. »Ist er nett?«
»Nett ist nicht der richtige Ausdruck«, antwortete Eliza. »Außerdem geht das Gerücht um, dass er Pirat gewesen sein soll. Und der Armleuchter von Cousin sagte irgendwas von einem ganzen Harem, den der Duke in einer einzigen Nacht vernascht haben soll.«
»Also ist er doch kein durchschnittlicher Gentleman«, bemerkte Julianna. Das Funkeln ihrer Augen spiegelte die Freude, die auch Eliza über diese exquisite Geschichte empfand.
»Sieht er denn gut aus?«, fragte Sophie jetzt nachdenklich und seufzte wohlig. »Er klingt jedenfalls attraktiv. Es geht doch nichts über einen gutaussehenden Duke.«
Eliza wog ihre Antwort wohl ab. Man konnte ihn jedenfalls nicht als schön bezeichnen. Da war etwas Kantiges an seinen Wangenknochen, etwas zu Raues an seinem unrasierten Kinn und den langen Haaren, die er einfach nur zurückgenommen zu einem Zopf trug. Eliza erinnerte sich an die Narbe an seiner Oberlippe, die von seinen Abenteuern erzählte. Aber sein Blick - so unheimlich wach und offen - der war sehr wohl attraktiv.
»In gewisser Weise ... könnte man sehr wohl sagen, dass ...«, stammelte Eliza. »Nun, irgendwie macht er eine Frau atemlos.«
»Ich wage einmal die Behauptung, die Wycliff-Tradition wird noch ein paar Tage in ihm wach bleiben ...«, murmelte Julianna.
»... oder Nächte«, fügte Sophie hinzu.
© der deutschsprachigen Ausgabe 2014 by Verlagsgruppe Random House, München
Eliza zog sich die Haube tiefer in die Stirn, um sich vor dem leichten Nieselregen zu schützen, der unverdrossen fiel. Die Hände vergrub sie tief in den Taschen ihres Mantels.
»Wenn Sie diese Story nicht bekommen«, hatte Mr. Knightly ihr rundheraus mitgeteilt, als sie gestern vor ihm gestanden hatte, in seinem Büro in der Fleet Street, »wenn Sie diese Story nicht bekommen, dann kann ich Sie nicht länger als Autorin für die London Weekly beschäftigen. Ich kann ihr Gehalt einfach nicht mehr rechtfertigen, wenn Sie keine veröffentlichungswürdige Arbeit abliefern.«
Das war nur absolut logisch - hier ging es schließlich ums Geschäft. Trotzdem fühlte es sich für Eliza an, als wäre sie von einem Liebhaber betrogen worden.
Knightly brauchte sie nicht extra darauf hinzuweisen, dass sie in letzter Zeit keine anständigen Storys mehr geliefert hatte. Aus Wochen der Flaute waren Monate geworden, und seither war kein einziger Artikel aus ihrer Feder in der Zeitung erschienen.
Oh, dabei schrieb sie die wunderbarsten Storys - wenn sie nur die Gelegenheit dazu bekam und ihr niemand dazwischenfunkte! Eine Woche lang hatte sie sich zum Beispiel verdeckt im Arbeitshaus eingeschlichen, um die erbärmlichen Lebensbedingungen dort zu dokumentieren. Oder ihre Exklusivinterviews mit den zum Tode verurteilten Gefangenen in Newgate! Einmal hatte sie sogar detailliert beschrieben, wie es in einem Bordell zugeht - um zu zeigen, wie das Leben als Prostituierte wirklich war. Wenn es eine Wahrheit gab, die ans Licht gebracht werden musste, dann war Eliza die Richtige dafür! Wenn Abenteuer, Gefahren und die dunkle Seite Londons damit zu tun hatten, umso besser.
In letzter Zeit war sie nur leider nicht besonders inspiriert gewesen. Die Worte wollten einfach nicht kommen, wenn sie mit der Feder in der Hand an ihrem Schreibtisch saß. Stundenlang starrte Eliza das leere Papier an und hatte am Ende doch nur sinnlose Tintenkleckse darauf verteilt.
Aber diese Story ...
Knightlys Auftrag war denkbar einfach: Sie sollte jedes noch so kleine Geheimnis des Dukes of Wycliff enthüllen. Ganz London gierte nach den intimen Details seiner zehn Jahre währenden Reise. Es war nicht nur der Umstand, dass er ein Duke war - und der Letzte in der langen Ahnenreihe der »wüsten Wycliffs«, wie man die Familie auch gerne bezeichnete. Ach, allein das würde bereits eine ganze Spalte füllen. Aber all die Gerüchte, die hinzukamen ...
War er wirklich ein Pirat gewesen? Stimmte das mit dem Harem? Hatte man ihn tatsächlich zum Häuptling eines kleinen Eingeborenenstammes auf einer abgelegenen Insel in Polynesien erhoben? Welche Berge hat er bestiegen, welche Flüsse durchschwommen, welche Länder entdeckt? Viel wichtiger für die Londoner Gesellschaft war jedoch die brennendste aller Fragen: War er auf der Suche nach einer Frau?
Es gab viele Rätsel zu ergründen. Und sie sollte die Antworten finden. Nur wie?
»Aber wie?«, hatte sie Knightly gefragt, als er sie mit ihrem neuen Auftrag vertraut gemacht hatte. »Er ist ein Duke, und ich bin weit davon entfernt, in seinen Kreisen zu verkehren.«
Julianna, die Countess Roxbury, ihre Redaktionskollegin und Inhaberin einer Klatschkolumne, war für diese Aufgabe ja wohl viel besser geeignet.
»Wollen Sie diese Geschichte etwa nicht?«, hatte Knightly ungeduldig gefragt und auf den Stapel Papier auf seinem Schreibtisch gestarrt, der nach seiner Aufmerksamkeit verlangte.
»Oh, natürlich will ich sie machen«, hatte Eliza leidenschaftlich gesagt - und dabei war es ihr keine Sekunde um das Geld gegangen. Knightlys Bezahlung war angemessen, aber nicht allzu üppig. Es ging ihr beim Schreiben um mehr: Es war etwas Besonderes, zu den Schreibenden Fräulein zu gehören. Eine von ihnen zu sein, dazuzugehören, bedeutete wahre Freundschaft, das erregende Gefühl, die Fesseln abzustreifen und etwas zu tun, was einer Frau in dieser Zeit eigentlich unmöglich war, das Vergnügen, einer großen Story hinterherzujagen, und der Spaß am Schreiben, auch wenn der Prozess selbst manchmal noch so quälend sein konnte.
Vor allem aber verdiente Eliza sich dank ihres eigenen Verstands den Lebensunterhalt, bewahrte ihre Würde und musste sich von niemandem aushalten lassen. Dieses Privileg würde sie nicht leichtfertig aufgeben.
»Denken Sie sich was aus«, hatte Knightly gesagt. »Werden Sie seine Mätresse, bestechen Sie das Personal! Oder noch besser: Verkleiden Sie sich als eines der Hausmädchen. Es ist mir egal, wie Sie es schaffen, aber besorgen Sie mir diese verfluchte Story!«
Knightly brauchte nicht hinzuzufügen »Sonst ...« oder irgendwelche beiläufigen Drohungen auszusprechen, um seinen Standpunkt zu verdeutlichen. Die Wahrheit war glasklar und eindeutig: Diese Geschichte war ihre allerletzte Chance, etwas Großartiges zu schreiben. Sonst würde es bald nur noch drei Schreibende Fräulein geben.
Darum stand Eliza jetzt hier am Dock inmitten der Volksmenge. Die Londoner verrenkten sich den Hals, um den lange vermissten Piratenduke zu sehen.
Zunächst wurden aber nur alle möglichen Kuriositäten von Bord des Schiffes geschleppt: exotische Tiere, herrliche Blumen und Pflanzen, Dutzende angeschlagene Kisten, in deren Holzbretter GEFÄHRLICH oder ZERBRECHLICH oder ENTZÜNDLICH eingebrannt war.
Auf alle Fälle war bereits das schon sehr interessant, fand Eliza. Aber sicher nichts im Vergleich zu dem Mann selbst, der nun hoffentlich bald auf die Bildfläche treten würde.
Vermutlich würde einfach alles an ihm einen Skandal hervorrufen ...
Und dann sah sie ihn.
Seine dunklen Haare waren unmodisch lang und reichten ihm bis zu den Schultern. Er hatte sie bis auf ein paar vereinzelte Strähnen, die der Wind gelöst hatte und die seine scharfen Wangenknochen umspielten, zu einem Zopf zusammengebunden.
Seine Haut war immer noch sonnengebräunt - ein aufreizendes Stückchen Haut blitzte am Halsausschnitt auf, den ein Gentleman sicher verhüllt hätte. Eliza fragte sich unwillkürlich, wie viel von seiner Haut der glühenden Tropensonne ausgesetzt gewesen war. Hatte er sich bis auf die Hose ausgezogen und die Brust vollständig entblößt? Oder waren all seine Kleider überflüssig gewesen, und er hatte sie vollständig abgelegt?
Der Duke of Wycliff trug keine Krawatte; stattdessen standen die Knöpfe des Leinenhemds offen und gewährten den Neugierigen einen Blick auf seine Brust. Die graue Jacke trug er nachlässig offen, als bemerke er den Nieselregen überhaupt nicht.
Wenn er sich bewegte, konnte man sehen, dass er ein Schwert an die Seite gegürtet hatte, woraus Eliza schloss, dass man davon ausgehen durfte, dass er außerdem ein Messer im Stiefel oder eine Pistole in der Jackentasche trug.
Die Story. Die Story, die Story, die Story!
Selbst an diesem nasskalten Nachmittag hatte Eliza das Gefühl, ihre Nerven würden einfach zerreißen. In Flammen aufgehen, gleichermaßen vor Erregung und vor Angst. Es war dasselbe altvertraute Gefühl, das sie immer zu Beginn einer Mission packte. Aber dieses Mal war da noch etwas anderes.
Irgendwas machte sie atemlos. Irgendwas ließ Eliza am ganzen Körper eine unerklärliche Hitze spüren, obwohl es so feucht und kalt hier draußen war. Irgendwas machte es ihr plötzlich schrecklich schwer durchzuatmen. Irgendwas machte es ihr unmöglich, den Blick von diesem Mann loszureißen. Von dem hinreißenden Duke. Von der Story.
Zwei Männer neben ihr in dunklen, rauen Mänteln begannen ein Gespräch, das Eliza einfach belauschte. Ihr war jedes Mittel recht, um an Informationen über den Duke of Wycliff heranzukommen. Dabei behielt sie ihr Opfer jedoch permanent im Blick. Sie beugte sich leicht vor, um die beiden schroffen Stimmen besser zu verstehen.
»Hab gehört, sein Haushalt stellt wohl grad Leute ein, aber die Mädels stehen nicht grad Schlange für den Job. Ich hab meiner Schwester jedenfalls gesagt, dass sie unter keinen Umständen eine Arbeit bei dem Kerl annehmen darf, ob's nun der Haushalt eines Dukes ist oder nicht.«
»Aye? Wieso das?« Die Haltung und der Tonfall des Anderen deuteten darauf hin, dass er glaubte, es sei dumm, so einen Job abzulehnen. Besonders wenn er von einem Duke angeboten wurde.
»Jeder weiß, dass die wüsten Wycliffs gerne ihre Dienstmädchen bespringen und sie in die Wüste schicken, sobald sie ein Kind von ihnen erwarten«, sagte der Erste bestimmt. Eliza fragte sich, wo er das wohl aufgeschnappt haben mochte. Vermutlich hatte es in der London Weekly gestanden.
»Mehr als andere?«, fragte der Andere. Er schien mit diesem Vorgehen eines Dienstherren durchaus vertraut zu sein.
»Aye, die sind berüchtigt dafür. Heißen ja nicht umsonst die wüsten Wycliffs. Und besonders der hier. Schau ihn dir doch nur an! Würdest du wollen, dass deine Schwester oder dein Weib seine Arbeitszeit unterm selben Dach verbringt wie der?«
Gleichzeitig richteten alle drei den Blick auf den Duke. Er marschierte gerade selbstbewusst über die Deckplanken seines Schiffs. Sein Mantel stand offen und setzte ihn den Elementen aus. Inzwischen klebte das weiße Hemd nass an der breiten flachen Brust und dem Bauch des Neuankömmlings. Hitze stieg in Elizas Wangen - und an eine andere Stelle auch.
Der Duke blieb kurz stehen, um mit einem wild aussehenden Mann zu reden, der einen Arm in der Schlinge trug und über einem Auge eine Klappe. Die personifizierte unehrenhafte Begleitung, schoss es Eliza durch den Kopf, und eine sanfte Röte überzog ihre Wangen.
Jetzt drehte der Duke sich um und gab der Mannschaft einen Befehl, die derweil seine wertvolle Fracht weiter von Bord brachte. Eliza wusste, dass er nicht der Kapitän des Schiffes war, aber verflixt noch eins, er verhielt sich so, als sei er Herr und Meister über alles, was um ihn war. Alles und jeden.
Zu behaupten, der Duke sei attraktiv, wurde ihm nicht gerecht, das erkannte Eliza sogar auf die Entfernung. Er war viel mehr: nämlich unglaublich fesselnd. In der Tat, ein gefährlicher Mann.
»Nein«, sagte jetzt der Mann neben ihr. »Ich würd nicht wollen, dass irgendwer von meinem Weibsvolk nur in die Nähe von so einem kommt.«
Eliza lächelte, denn ihr war ein Plan in den Sinn gekommen: Sie würde es riskieren, sich ihm zu nähern. Sie dachte wieder an Knightlys beiläufige und ungeduldige Bemerkung. Oder noch besser: Verkleiden Sie sich als eines der Hausmädchen.
Ihr Herz hämmerte, als sie diese Idee mit dem Gerücht zusammenbrachte, das ihr soeben zu Ohren gekommen war. Ich hab gehört, sein Haushalt sucht nach Dienstmädchen, aber die Mädels stehen wohl nicht grad Schlange für den Job.
Erregtes Zittern durchflutete ihren Körper. Dieser wohlig- anregende Nervenkitzel der Jagd. Ja, sie würde es wagen. Immerhin ging es hier um ihren Job, der auf dem Spiel stand.
Besorgen Sie die Story, besorgen Sie die Story, besorgen Sie die Story ...
Auf der Stelle traf Eliza eine Entscheidung. Um ihre Stellung als eines der Schreibenden Fräuleins bei der London Weekly zu behalten, würde sie sich als Dienstmädchen verkleidet im Haushalt des skandalösen und verruchten Dukes of Wycliff einschleichen. Ja, bei Gott, das würde sie tun.
Bereits am nächsten Tag stand sie in einem schlichten Kleid und mit gefälschten Empfehlungsschreiben von ihren Freundinnen, den anderen Schreibenden Fräulein, der Duchess of Brandon und der Countess Roxbury, vor der Tür von Wycliff House. Dort stellte man sie sofort ein. Ohne weiter nachzufragen. Es war eine Sache von zehn Minuten.
Schon kurz darauf staubte sie die Bücherregale ab und wusste es so einzurichten, dass Ihro Gnaden just zu diesem Zeitpunkt einen Besucher in der Bibliothek empfing. Hier hatte sie uneingeschränkten Zugang zum Duke, seinem Haushalt und seinen Geheimnissen ... Und garantiert schon bald auch zu der schockierenden Geschichte, die sie so dringend brauchte, um weiterhin als Autorin bei der London Weekly beschäftigt zu sein.
Kapitel 2
In dem es nackt zugeht
Wycliff House
Kaum vierundzwanzig Stunden nach seiner Rückkehr auf englischen Boden hatte Sebastian Digby, der junge Duke of Wycliff, einen ersten Besucher. Sein idiotischer Cousin Basil hatte ihn heimgesucht - angeblich, um ihm den gesellschaftlichen Wiedereinstieg zu erleichtern. Zu Sebastians Entsetzen hatte Basil ein ganzes Jahrzehnt Klatschgeschichten im Gepäck und verfügte leider über die beklagenswerte Fähigkeit, Interessantes nicht von Unwichtigem unterscheiden zu können. Und so zog sich der Besuch mittlerweile über Stunden hin.
Sebastian - der sich immer noch nicht daran gewöhnt hatte, den Namen Wycliff zu tragen, fühlte sich nur allzu deutlich an die Zeit erinnert, als er in einem ägyptischen Gefängnis zusammen mit einem Mann eingesessen hatte, der darauf bestanden hatte, ihm die lange, quälend langweilige Geschichte zu erzählen, wie er Vieh in der Wüste gehütet hatte. Basils Gesellschaft und seine Gesprächsthemen waren mindestens genauso einschläfernd.
Trotzdem nahmen die beiden in guter englischer Tradition vor dem Kamin ihren Tee ein. Es war wieder einer dieser feuchten, grauen Märznachmittage, die Sebastian während der letzten Jahre so ganz und gar nicht vermisst hatte.
Gelangweilt ließ er den Blick schweifen. Ein Dienstmädchen staubte die Bücherregale ab. Sie hatte einen sehr hübschen Rücken, stellte er erfreut fest. Das war aber auch so ziemlich das Einzige, was ihn mit diesem Nachmittag versöhnte.
Basil faselte derweil unverdrossen weiter. Er berichtete von allen großen Skandalen - von Hochzeiten, einer Scheidung, Duellen und Todesfällen - und erwähnte beiläufig gewisse Neuigkeiten bezüglich Lady Althea Shackley. Bei der Erwähnung ihres Namens rutschte Wycliff unangenehm berührt auf seinem Stuhl herum, was sein Cousin geflissentlich ignorierte.
Dann kam Basil auf die Gläubiger zu sprechen, die dem Haushalt zunehmend zusetzten und die inzwischen schon vor dem Anwesen herumlungerten. Die Nachricht, der Duke sei zurückgekehrt, hatte sich wie eine Seuche verbreitet, und auf einmal krochen Horden von Kaufleuten aus dem Gebälk und verlangten Zahlungen, die man ihnen angeblich noch für ihre Dienste am verstorbenen Duke schuldete oder die sich angehäuft hatten, während Wycliff auf der anderen Seite der Welt das Abenteuer suchte.
Wycliff wusste, dass er über kurz oder lang etwas dagegen unternehmen musste. Wahrscheinlich würde er sie ganz einfach bezahlen müssen. Oder rasch mit unbekanntem Ziel verreisen.
Er tendierte zu letzterer Möglichkeit. Timbuktu kam ihm reizvoll vor.
»Wir haben dich ja alle schon für tot gehalten«, fing Basil an. »Obwohl es immer mal wieder Gerüchte gab.«
»Wir?«
»Nun, ich, mein Weib, der Rest der Gesellschaft«, erklärte Basil. »Aber dann hörten wir ja all die Geschichten über deine Abenteuer und deinen Verbleib. Immer mal wieder. Und immer kamen sie von einem anderen Erdteil. Stimmt es wirklich, dass du eine Woche lang in einem Harem gelebt und an die hundert Konkubinen des Sultans vernascht hast?«
Die Gerüchteküche brodelte wohl auch auf die Entfernung munter vor sich hin.
Jetzt verlangsamte das Mädchen mit dem hübschen Hintern sein Tempo beim Staubwischen. Es schien beinahe, als versuche es zu lauschen. Das vermutete Sebastian zumindest, und er konnte es ihr nicht einmal verübeln: Jeder würde das an ihrer Stelle tun. Basil konnte noch so stumpfsinnig sein, aber er war sicher spannender als Staubwischen.
Wycliff grinste bei der Erinnerung an die eine herrliche Nacht hemmungsloser Leidenschaft, die durch die drohende Entdeckung nur noch zusätzlich entfacht worden war. Manche Dinge waren es eindeutig wert, Leib und Leben dafür zu riskieren.
»Es war nur diese eine Nacht«, stellte er klar.
Das Dienstmädchen hüstelte.
Aha, sie lauschte also. Und rechnete vermutlich gerade nach, was hundert Frauen in einer Nacht wohl für einen Schnitt bedeuteten.
»Das sind genau die Gerüchte und Geschichten, bei denen die Mütter der Gesellschaft durchdrehen werden«, bemerkte Basil. Er biss in einen Keks und wischte die Krümel von seiner rotbraunen Weste.
»Diese Wirkung habe ich nun einmal auf sie«, antwortete Sebastian. »Ist ja nichts Neues, oder?«
Das war schon immer so gewesen. Seit Generationen waren die Wycliffs berüchtigt für ihre Freizügigkeit und ihre recht laxen Moralvorstellungen. Es gab wohl kaum eine unverschämtere, ausschweifendere und unbekümmertere Sippe in Englands Geschichte. Die Männer waren bekannt dafür, mit den Dienstmädchen anzubandeln, ein Vermögen für ihre Mätressen auszugeben und ganz allgemein und über einen Kamm geschoren, ein betrunkener, undisziplinierter Haufen zu sein. Merkwürdigerweise neigten sie dazu, ernste, praktisch veranlagte und kühle Frauen zu heiraten. Die Sorte Frauen also, die man für fähig hielt, unter Umständen eine gewisse Ordnung zu schaffen, im Kleinen wie im Großen, und ein zivilisiertes Verhalten von ihren Gatten einzufordern. Gelungen war es bisher allerdings keiner von ihnen.
Seine eigenen Eltern bildeten da keine Ausnahme. Was Sebastian aber bislang niemandem erzählt hatte und was er auch tunlichst für sich behalten würde: Wie durch ein Wunder hatte er die unnachgiebige Selbstkontrolle seiner Mutter geerbt, und diese kämpfte ständig mit seinem wüsten Wycliff-Blut.
»Ich vermute, es braucht nicht viel, um die Gesellschaft zu verärgern«, räumte Basil jetzt ein. Er schlug eindeutig nach der anderen Seite der Familie. Der stumpfsinnigen. »Und was hat es mit den Gerüchten auf sich, du wärst Pirat gewesen?«
»Was soll mit denen sein?«, fragte Wycliff und hob anzüglich die Brauen, um seinen Cousin zu provozieren. Eigentlich sollte ich Harlan einladen, sich zu uns zu gesellen, dachte er. Basil wäre beim Anblick der Augenklappe, der Armverletzung und der Piratenverkleidung des Mannes sicher fassungslos und würde sich fragen, wie der Papagei die Reise von Fidschi nach Wycliff House in London nur überlebt hatte.
»Willst du sie nicht abstreiten?«, wollte Basil wissen. »Ich meine ja nur. Du weißt doch, wie viel getratscht wird.« Seine Stimme war schrill vor Freude. »Und erzähl doch mal von Tahiti. Ich habe gehört, dort habe man dich schließlich aufgefunden.«
»Warmes kristallblaues Wasser, das an weißen Sandstränden glitzert, täglich Sonnenschein, nackte oder kaum bekleidete Frauen. Nach einer Weile kann's schon langweilig werden«, sagte Wycliff und zuckte mit den Schultern.
Monroe Burke, sein Freund und Rivale, hatte ihn nach mehrmonatiger Suche schließlich dort aufgefunden und ihm die Nachricht überbracht, dass der bisherige Duke verstorben sei und Sebastian gut daran täte, nach einem Jahrzehnt außer Landes endlich wieder in die Heimat zurückzukehren.
»Du hast dich in einem Tropenparadies gelangweilt und bist nach England zurückgekehrt, um dein Herzogtum zu beanspruchen«, erklärte Basil. »Hmpf.«
»So ist eben das Leben ...«, meinte Wycliff nur. Er sollte sich wohl wegen seiner Reisen und Abenteuer schuldig fühlen - das war es doch, was Basil ihm zu verstehen geben wollte -, aber darauf hatte er keine Lust. Er wusste, er sollte seinen verfluchten Sternen danken, dass er als Duke geboren war. Aber es fühlte sich für ihn meist eher wie eine Last an und nicht wie ein Segen. Stattdessen ging Sebastian dem nach, was ihn wirklich interessierte, und er ließ das Herzogtum gnadenlos links liegen. War das denn wirklich ein Verbrechen? War das verantwortungslos und frevelhaft? Oder führte er einfach nur ein gutes Leben?
Das Dienstmädchen schaute über die Schulter, und obwohl er ihr Gesicht nur im Profil sehen konnte, bemerkte Sebastian ihren finsteren Blick. Diesen und die zarten, englischen Gesichtszüge zu der sahnig weißen Haut. Sie war entzückend. Diese pinkfarbene, kleine Knospe von einem Mund. Die dunklen Haare, die zu einem straffen Knoten im Nacken aufgesteckt waren. Wycliff wollte mehr von ihr sehen. Er wollte ihre Augen sehen.
»Nun, dann wünsche ich dir viel Glück bei der Rückkehr in die Gesellschaft«, sagte Basil und warf einen kritischen Blick auf Wycliffs Aufzug. »Du wirst dir vorher selbstverständlich die Haare schneiden müssen. Oh, und mit diesem ... mit diesem Ohrring wirst nie in den Almack's eingelassen werden.«
Sebastian musste schmunzeln. Basil hatte wirklich keine Ahnung. Der kleine, goldene Reif - unter Seeleuten die traditionelle Art, Geld für ihr Begräbnis zu sparen - war in dieser Hinsicht noch das geringste Problem. Während seiner Reisen hat er sich so manchen Schmuck zugelegt ...
»Da bin ich nun an all diese Orte gereist; von Afrika bis nach Australien hat mich die Abenteuerlust geführt. Und der einzige Ort, der mir verwehrt bleiben soll, ist Almack's?«, knurrte Wycliff. »Das ist ja nun wirklich allzu schade.«
Das Mädchen konnte sich ein giggelndes Lachen nicht verkneifen. Es war eindeutig, sie lauschte!
»Wenn du eine Frau und irgendwann auch einen Nachfolger willst, wirst du zu Almack's gehen müssen. Bring es hinter dich, oder alles wird eines Tages an mich gehen«, sagte Basil mit einem Hauch Schadenfreude in der Stimme. »Das würde meinem Eheweib wohl gefallen.«
Wycliff blickte zu dem Dienstmädchen herüber, das die Augenbrauen hob, als wolle es sagen nun-kümmere-dich-doch-um-Himmels-Willen-schleunigst-um-eine-Ehefrauehe- du-ein-ganzes-Herzogtum-ausgerechnet-in-BasilsHände- fallen-lässt.
»Nicht, dass es da besonders viel zu erben gäbe, wenn man sich die bemitleidenswerten Gläubiger anschaut, die an deine Tür kratzen«, fügte Basil leicht gehässig hinzu. »Trotzdem würde mein Weib sich freuen, Duchess zu werden. «
Wycliffs Miene verfinsterte sich. Dann fiel ihm aber wieder ein, wie wenig es ihn stören würde, wenn Basil alles erbte, weil er bis dahin ja ohnehin längst tot wäre. Ehrlich gesagt entsprach das auch ganz der Tradition der Wycliffs. Die da lautete: Mach dir keine Sorgen, die Erben können das ganze Chaos doch lösen mit den bis unters Dach belasteten Landgütern, den wild wuchernden Schulden, den aufmüpfigen Pächtern und so weiter und so fort.
Mistkerle.
Das Mädchen staubte unverdrossen und gründlich weiter die Regale ab - war das etwa all die Jahre nicht gemacht worden? - und bewegte sich jetzt auf seinen Schreibtisch zu. Weil er so gelangweilt war und weil er sich nach einer Frau verzehrte, starrte Wycliff ihr völlig ungeniert auf den Hintern und die sanduhrförmigen Hüften. Ihre Augen allerdings konnte er immer noch nicht sehen. Ihre Augen, ihre Augen. Er wollte so gerne ihre Augen sehen. Die Augen verrieten einem Mann so viel über eine Frau ...
»Du musst dir unter allen Umständen eine Frau suchen, und wenn es nur wegen des Geldes ist«, fuhr Basil fort.
Wycliff widersprach ihm nicht.
»Zuerst musst du dir die Haare schneiden, dann musst du in die Saville Row und dir was Anständiges zum Anziehen besorgen ...«
Wycliff sah an sich herab. Was war falsch an seinem Aufzug? Er trug eine schlichte Wildlederhose und ein Hemd. Nun gut, der Kragen stand offen, und die Ärmel waren hochgekrempelt. Seine Stiefel waren vielleicht ein wenig in Mitleidenschaft gezogen. Sie hatten ihn durch ganz Afrika getragen, waren über die Deckplanken Dutzender Schiffe gestampft, durch Sümpfe und Seen gewatet. Wenn er ehrlich war, sahen seine Sachen wirklich aus, als hätten sie so viel durchgemacht. So viel und noch einiges mehr.
»Ich dachte bisher, es würde genügen, dass ich ein Duke bin«, unterbrach Sebastian seinen Cousin jetzt rüde.
»Manchmal genügt das auch«, antwortete Basil. »Aber wenn du verzweifelt bist ...«
»Ich bin nicht verzweifelt.«
Tatsächlich hatte Sebastian nicht vor, sich zu binden. Vielmehr hatte er ganz andere Pläne für seinen Aufenthalt in England. Hier hielt ihn nur die Notwendigkeit, dass er eine neue Expedition planen und das Geld dafür auftreiben musste. Sobald das geschehen wäre, würde er erneut Segel setzen und zu neuen Ufern aufbrechen. Aber das würde Basil nicht hinnehmen, weshalb Sebastian gar nicht erst versuchte, seinen Cousin davon zu überzeugen. Stattdessen ließ er ihn einfach weiterreden.
»Du solltest dir trotzdem eine Frau suchen«, redete Basil auf ihn ein. »Ich würde mich freuen, wenn ich dich dabei unterstützen dürfte. Dich überall vorstellen und so weiter.«
Würde ich allen Ernstes planen, mir eine Frau zu suchen, überlegte Wycliff, wäre es der größte Fehler, meinem idiotischen Cousin davon zu erzählen. Dieser Weg, ahnte er, führte sicher nur zu katastrophalen Kuppelversuchen und anderen Abscheulichkeiten in den besten Kreisen.
»Ich danke dir, Cousin Basil. Das ist zu freundlich von dir.«
Zu diesen abschließenden Worten schlürfte Basil einen letzten Schluck Tee, stellte dann die Tasse ab und stand auf, um endlich zu gehen.
Wycliff seufzte auf. Der Besuch war beendet, und gleich würde er sich wieder der Aufgabe widmen können, sich in seinem Heimatland zu akklimatisieren. Die Bordelle wären ein guter Anfang dafür, beschied er.
Basil schlenderte durch das Arbeitszimmer und verlangsamte seine Schritte, als er zum Schreibtisch kam. Wycliff unterdrückte einen Fluch.
»Sieh nicht hin«, murmelte Wycliff.
Basil schaute hin. Natürlich schaute er hin.
»Hör mal, sind diese Zeichnungen von deinen Reisen?«, rief sein Cousin jetzt begeistert. Er nahm sich sogar die Freiheit heraus, eine hochzunehmen, um sie sich genauer anschauen zu können.
»Verdammt, Cousin! Was zum Teufel ...« Basils Augen fielen ihm fast aus dem Kopf.
Es war das Porträt eines Mädchens namens Miri. Sie hatte ihm die Gnade zuteil werden lassen, sie bis zu den Tätowierungen zeichnen zu dürfen, die ihre Hände bedeckten. Und mit diesen Händen umfasste sie ihre vollen, üppigen Brüste. Sie lachte auf dem Bild, doch Sebastian konnte sich beim besten Willen nicht mehr daran erinnern, was so lustig gewesen war. Und er würde es nie erfahren, wenn er nicht zurücksegelte und sie fragte.
Er ignorierte den stechenden Schmerz der Sehnsucht, die sich fast wie Heimweh anfühlte.
»Tätowierungen«, erklärte Wycliff. »Das ist eine tahitische Sitte, bei der scharfe Knochen Tinte unter die Haut klopfen. Es dauert tagelang und ist eine unglaublich schmerzhafte Prozedur ...« Er verstummte, weil Basils Haut eine grünliche Färbung annahm, die zu seiner Weste recht apart aussah.
Das Dienstmädchen reckte den Hals, um ebenfalls einen Blick auf die Zeichnung zu erhaschen. Sebastian grinste und gestattete ihr diese Neugier. Ihre Augen weiteten sich vor Schreck, als sie das Motiv erkannte, und sie blickte fragend zu ihm auf.
Dieser Blick raubte ihm den Atem und fegte das Lächeln von Wycliffs Gesicht. Blau. Ihre Augen waren graublau wie der Ozean, nach dem er sich so sehr verzehrte.
»Ich vermute, solche Sitten muss man wohl von den Wilden erwarten«, sagte der idiotische Cousin.
Wycliff verdrehte die Augen.
»Sie sind keine Wilden, Basil. Das sind einfach Leute, die zufällig nach einem völlig anderen kulturellen Konzept leben«, erklärte er ungeduldig.
»Natürlich hast du aufgrund deiner Reisen eine völlig verquere Einstellung zu dem Thema. Aber es ist doch wirklich offensichtlich, dass niemand auf der Welt die Briten übertrifft«, antwortete Basil und blätterte durch die anderen Bilder.
Du blätterst gerade in den privaten Bildern eines anderen, du idiotischer Kerl.
Das Dienstmädchen biss sich auf die Lippe. Sie wollte etwas sagen, und Wycliff interessierte sich brennend für ihre Meinung.
»Na, das ist ja mal 'ne Wucht«, sagte Basil und bezog sich damit auf ein Aquarell, das Orama zeigte. Eine wunderschöne Frau mit weichen Lippen und einer wärmenden Umarmung, die ihm erlaubt hatte, ihren nackten Körper zu zeichnen, als sie wie Aphrodite aus dem Ozean stieg und das türkisfarbene Wasser ihre Hüften umspülte. Sie war atemberaubend, und es war ein widerlicher Irrtum, dass sein idiotischer Cousin Basil ungestraft eine so natürliche Schönheit betrachten durfte.
Aus dem Augenwinkel sah Wycliff, wie die Wangen des kleinen Dienstmädchens sich rosig färbten. Er hatte vergessen, wie begehrenswert prüde und anständig englische Frauen sein konnten.
Wycliff nahm Basil das Blatt aus der Hand und raffte die anderen Bilder an sich. »Du redest von Anstand, dem man angeblich nur in England begegnet. Dafür verhältst du dich aber ziemlich unanständig und durchwühlst die persönlichen Sachen eines anderen.«
»Wie wahr, wie wahr«, lenkte Basil ein. »Ich bitte vielmals um Entschuldigung. Aber man ist eben immer so neugierig auf alles Exotische. Du musst mich mal in meinen Club begleiten, Cousin, um dort meinen Freunden von deinen Reisen zu erzählen!«
Wycliff murmelte irgendwas, das als Zustimmung gedeutet werden konnte, obwohl er nicht den Wunsch verspürte, in einem alten, muffigen Club mit alten, muffigen Männern zusammenzusitzen.
Nach viel Gewese verabschiedete Basil sich doch, und Wycliff war mit dem Mädchen allein. Sie knickste verlegen vor ihm, murmelte »Euer Gnaden« und fragte, ob sie ihm irgendwie zu Diensten sein könne. Und das alles mit diesem kleinen, rosigen Mund ... Wüste Gedanken gingen ihm durch den Kopf, doch die würde Sebastian jetzt nicht aussprechen, obwohl es typisch für einen wüsten Wycliff wäre, solche Gedanken zu äußern.
»Wenn ich die Fähigkeit besäße, die Zeit zurückzudrehen, hätte ich gerne diese Stunde meiner Lebenszeit zurück «, sagte er deshalb nur ehrlich.
»Wenn ich die Fähigkeit besäße, die Zeit zurückzudrehen, bräuchte ich Euren Lohn nicht«, erwiderte sie scharf und sammelte das Teegeschirr ein. Eigentlich eine einfache Aufgabe, sollte man meinen, aber die Porzellantassen klapperten derartig auf den Untertassen, und die Silberlöffel rutschten so unbeholfen über das Tablett, dass Sebastian berechtigte Zweifel an ihrer Befähigung als Dienstmädchen hegte. Zu all ihrem Unglück verschüttete sie auch noch die Milch. Außerdem fluchte sie leise, was ihn sehr amüsierte. Entweder war sie Harlan bereits über den Weg gelaufen, oder sie hatte selbst keine Bilderbuch- Vergangenheit.
Bisher war dieses kleine Dienstmädchen mit den meerblauen Augen und der gesalzenen Sprache das Einzige, was in England wirklich interessant war.
»Wie heißt du?«, fragte Simon.
Sie zögerte, ehe sie antwortete: »Eliza.«
Ihre Hände waren mit dem Teetablett beladen, so dass sie nur einen knappen, ungeschickten Knicks zustande brachte, ehe sie verschwand. Auf dem Weg nach draußen gönnte sie ihm jedoch noch einen wunderbaren Blick auf ihre Kehrseite.
Sobald sie verschwunden war, zog Wycliff den Schlüssel von dem Lederband, das er um den Hals trug, und schloss damit die Tür auf, die von der Bibliothek direkt in einen weiteren Raum führte, den man nur auf diesem Weg erreichte. Hier bewahrte er all die Dinge auf, die niemand zu Gesicht bekommen sollte. Noch nicht.
Kapitel 3
In dem Ihro Gnaden nackt ist
Später am Tag, Abenddämmerung
Eliza stand vor der Tür zum Schlafgemach des Dukes of Wycliff und nahm all ihren Mumm zusammen. Gleich würde sie schwungvoll und vor allem unangekündigt den Raum betreten. Das war zumindest der Plan.
Ihro Gnaden saß in der Badewanne. Nackt.
Es war nun nicht so, dass Eliza noch nie einen nackten Mann gesehen hätte. Sie war nicht gerade als behütetes Fräulein aufgewachsen.
Das Protokoll, das so eine Situation erforderte, war ihr trotz alledem jedoch nicht vertraut. Ein nackter Duke in der Badewanne und ohne Handtuch. Vermutlich sollte sie das Zimmer gar nicht betreten. Handtuch hin oder her. Oder womöglich doch? Weil sie nie mit Dienstboten aufgewachsen war und bislang noch nie selbst Dienerin gewesen war, musste Eliza alles, was dieser neue Job ihr abverlangte, auf die harte Tour lernen.
Sie hatte diese verfluchte Badewanne gefüllt, hatte gemeinsam mit einem anderen Hausmädchen namens Jenny die schweren Eimer mit heißem Wasser einzeln die drei Stockwerke hochgeschleppt. Ihre Aufgabe war es, schnell genug zu sein, damit das Wasser noch warm war, wenn Ihro Gnaden die Wanne bestieg (aber zugleich nicht so schnell, dass es überschwappte). Es war wirklich schrecklich. Möge der Duke sein verdammtes Bad gefälligst genießen!, dachte Eliza ärgerlich. Genug Arbeit es herzurichten, war es jedenfalls.
In all der Eile und dank ihrer Unerfahrenheit hatte Eliza zu guter Letzt vergessen, ihm ein Handtuch hinzulegen. Ob er einer der Dienstherren war, die bei einem derartigen Versäumnis laut lospolterten und wütend schimpften oder nicht - das wollte sie, wenn sie ganz ehrlich war, lieber gar nicht herausfinden müssen. Ihr Arbeitgeber war ein imposanter, einschüchternder Riese von einem Mann, und sie war nicht der Typ, der zurückschimpfte und -polterte. In jedem Fall bedeutete das alles aber jede Menge Probleme. Und zwar Probleme auf ganzer Linie. Probleme, die bis zur Kündigung führen konnten. Doch so weit wollte Eliza gar nicht erst denken. Sie durfte diese Stellung einfach nicht verlieren, weil dann auch ihre Story für die London Weekly verloren war.
Besorg die Story. Knightlys Worte klangen ihr noch immer in den Ohren. Besorg die Story!
Darum rang Eliza jetzt auch so sehr mit sich. Sollte sie den Duke ohne Handtuch lassen? Oder ihn stören?
Er war ohne Leibdiener zurückgekommen und hatte auch noch keinen eingestellt. Das hieß, es war sonst niemand da, der ihm zur Hand gehen konnte ...
So sah also das Leben als Autorin aus, die in Bedrängnis geriet und verdeckt recherchieren musste. Eliza seufzte. All das machte sie nur für Mr. Knightly und für die Weekly! Aber - bei Gott: Wenn sie solche Mühen in Kauf nehmen musste, um eine Story zu veröffentlichen - sich als Dienstmädchen im skandalösesten Haushalt der Stadt verdingen und in eine peinliche Situation nach der anderen schlittern -, dann würde sie das verdammt noch mal auch tun. Weil sie ihre Arbeit liebte. Ja, sie würde jetzt dort hineingehen und dieses verwünschte Handtuch abliefern. Nein, sie würde ihre Stellung nicht verlieren, das schwor sie sich! Nicht wegen dieser einen Sache.
Ich sollte jetzt aber auch wirklich reingehen, überlegte Eliza, nachdem sie eine weitere halbe Ewigkeit vor der Tür verharrt hatte. Wenn ich einfach nicht auf ihn achte, wird er bestimmt dasselbe mit mir tun, schließlich bin ich ja nur eine Dienerin und seine Aufmerksamkeit gar nicht wert.
Eliza lächelte in sich hinein. So viel wusste sie schon über das Verhältnis zwischen Dienstherr und Dienerin. Dennoch hatte sie das ungute Gefühl, dass es nicht ganz so einfach würde, wie sie sich das gerade erhoffte.
Eliza erinnerte sich noch deutlich daran, wie Ihro Gnaden sie heute Nachmittag im Arbeitszimmer angestarrt hatte. Sein Blick hatte sich angefühlt wie eine intime Berührung. Der Mann raubte ihr den Atem. Doch darüber dachte sie jetzt besser nicht nach.
»Ach, was soll's«, murmelte sie und betrat seine Gemächer. Doch dann blieb sie wie angewurzelt stehen.
Eliza sah den Duke in der Wanne, wie sie es erwartet hatte. Doch es war kein gewöhnlicher Anblick: Die nassen Haare hatte er sich aus dem Gesicht gestrichen, was seine harten, kräftigen Gesichtszüge besonders betonte. Sein Mund war voll und fest, und wider Erwarten lächelte er nicht. Sogar in dieser entspannten Haltung erinnerte er Eliza an einen Krieger: stets in Alarmbereitschaft und jederzeit bereit zu kämpfen.
Das Wasser leckte an seinen Lenden. Seine Brust war eine breite, nackte Fläche aus fester Haut, die sich über wohlgeformte Muskeln spannte. Als Eliza näher auf ihn zuging und einen deutlicheren Blick auf den Mann werfen konnte, der von der glühenden Asche im offenen Kamin und den flackernden Kerzen beleuchtet wurde, bemerkte sie die tintigen blauschwarzen Linien auf seiner Brust. Tätowierungen. Wie bei der Frau auf dem Bild.
Sie schnappte nach Luft.
Er öffnete die Augen. »Hallo Eliza.«
Die Stimme des Dukes war leise und rauchig und ließ ein Beben über ihren Rücken laufen. Das Fenster stand leicht offen, und die kühle Brise ließ die Kerzenflammen wild tanzen und warf schieferschwarze Schatten. Plötzlich wirkte der ganze Raum auf sie wie eine fremde, magische Parallelwelt.
»Euer Gnaden«, murmelte Eliza und sank in einen tiefen Knicks.
»Bist du etwa gekommen, um dich zu mir zu gesellen?«, fragte Sebastian mit rauer Stimme, und sie konnte im ersten Moment nicht sagen, ob er das ernst meinte oder sie beschwindelte.
»Auch dafür werde ich nicht bezahlt, Euer Gnaden«, antwortete Eliza selbstbewusst und erschrak kurz über ihren Mut. Bisher war es ihr leider noch nicht gelungen, sich unterwürfig zu geben. Aber sie wurde für ihre Dreistigkeit belohnt: Sein Mund verzog sich zu einem Grinsen.
Erleichtert atmete Eliza aus, und prompt glitt ihr Blick wieder hinab zu seiner Nacktheit. Sie konnte einfach nicht anders ...
Die Tätowierung bedeckte einen Großteil seiner muskulösen Brust und führte über die Schultern bis zu den Oberarmen, die sie weitläufig bedeckte. Einzelne Linien reichten sogar bis zu seinen Unterarmen. Eine Million Fragen brannten Eliza auf der Zunge. Doch ihr Mund war plötzlich zu trocken, um auch nur ein Wort über die Lippen zu bringen.
»Tätowierungen«, bestätigte der Duke, als könne er ihre Gedanken lesen. »Eine tahitische Tradition. Als ich in Rom war ...«
»Ihr habt erwähnt, der Prozess sei sehr schmerzhaft«, sagte Eliza und spielte damit auf sein Gespräch mit Basil an. »So sieht es auch aus.«
»Es tat höllisch weh.«
»Warum habt Ihr es dann machen lassen?«
»Weil ich nicht wie ein Feigling dastehen wollte«, erklärte Sebastian mit leiser Stimme.
»Das ist alles? Weil Ihr wünschtet, in den Augen der Männer, die am anderen Ende der Welt leben, nicht als Schwächling zu erscheinen?«
Der Duke lachte und sah ihr direkt in die Augen. »Du hast keine Ahnung von Männern, kann das sein?«
»Offensichtlich nicht«, erwiderte Eliza trocken. Seine Direktheit ärgerte sie. Doch das durfte sie ihm auf keinen Fall zeigen.
»Die Zeichnungen zu sehen, ist das eine. Dies hier ist etwas völlig anderes. Findest du nicht auch?«
Eliza nickte.
»Es ist wie ein Reisebericht und eines von vielen Artefakten, die ich gesammelt und zurück nach England gebracht habe. Es gibt da draußen jenseits der Stadtgrenzen von London eine Welt der Wunder, weißt du?« Der Duke sah sie ernst an. »Die Leute sollen davon erfahren.«
»Darf ich es mir näher ansehen?«, fragte Eliza flüsternd, weil es in ihren Augen verboten war, einen Duke zu bitten, ihn so intim mustern zu dürfen. Aber sie musste sich die Tätowierungen einfach aus der Nähe anschauen. Und wenn sie sie berühren dürfte, würde sie auch das tun. Genau diese Art von Detail liebte man bei der Weekly, sagte Eliza sich begeistert. Und gestand sich nur ungern ein, dass sie damit auch ihre ganz eigene Neugier befriedigen würde.
Eifrig kniete sie sich neben die Wanne, um sich die Tätowierungen aus nächster Nähe anzusehen. Dabei entdeckte sie jedoch noch etwas anderes, das ihr Interesse weckte: eine Narbe auf seiner Oberlippe sowie weitere kleine unter den Stoppeln um sein Kinn. Eliza atmete durch die Nase ein und merkte, dass der saubere, seifige Geruch des Dukes sie irritierte. Er widersprach dem Hauch von Gefahr, den er gleichzeitig verströmte.
Sein Kopf war ihrem jetzt ganz nah, sein Mund nur wenige Zentimeter von ihrem entfernt.
Sie wollte seine Haut berühren, weil sie wissen wollte, ob sie sich unter den Tätowierungen weich oder rau anfühlte. Die harten Muskeln seiner Arme wollte sie spüren und seine breite Brust unter ihren Handflächen. Alles für die Weekly, selbstverständlich. Eliza wurde heiß.
Als hätte der Duke ihre Gedanken gelesen, nahm er jetzt ihre Hand und legte sie auf seinen Bizeps. Genau dorthin, wo die Tätowierung begann.
Mit fragendem Blick bat Eliza ihn um Erlaubnis, ehe sie mit den Fingern behutsam über die Linien fuhr. Manche waren gerade, manche eckig, andere drehten sich spiralförmig nach oben und um seine Schulter, ehe sie hinab zu seinem breiten, muskulösen Oberkörper führten. Sie breitete die Hand über seiner Brust aus und spürte die heiße Haut und darunter den pulsierenden Herzschlag.
Die Hand des Dukes schloss sich um ihre.
Noch immer flackerten die Kerzen im Luftzug und warfen unheimliche Schatten. Dampf stieg vom Wasser auf und machte die Luft zwischen ihnen heiß und feucht. Seine Lippen öffneten sich, und Eliza hielt den Atem an - wollte er sie küssen oder sie für ihre Dreistigkeit rügen?
Sie öffnete ihrerseits den Mund, um ihm zu sagen, dass sie nicht so ein Mädchen sei. Doch dummerweise hatte Eliza schon immer die nicht ganz unproblematische Angewohnheit besessen, ihren gesunden Menschenverstand und die Vernunft über Bord zu werfen, um ihre Neugier zu befriedigen. Besonders gefährdet war sie, wenn sie hinter einer Story her war oder das Abenteuer suchte. Oder wenn sie Männer jagte. Wer sie genauer kannte, wusste, dass Eliza Geheimnisse hatte und eine Vergangenheit, die das zur Genüge bewies.
Dass das andere Dienstmädchen Jenny ausgerechnet diesen Moment wählte, um seinerseits den Raum zu betreten, war ausgemachtes Pech. Denn so konnte sie das erleichterte Seufzen in aller Deutlichkeit hören, das die Stille durchbrach. Jenny traten die Augen aus den Höhlen. Kam das aus Elizas Mund oder gar aus dem vom Duke?
Der lehnte sich zurück und schloss genüsslich die Augen. Bei Jennys Anblick riss Eliza ihre Hand von seinem bloßen Oberkörper, sprang auf und wich eilig von der Wanne zurück. Sie sprach das andere Mädchen an.
»Ich wollte nur sehen, ob Ihro Gnaden schon fertig ist«, flüsterte Jenny. »Wir müssen die Wanne und das Wasser noch heute Abend fortschaffen.« Dann riss sie die Augen noch einmal auf, weil sie nun ihrerseits die Tätowierungen des Dukes bemerkte. »Außerdem musst du noch das Bett für ihn herrichten und das alles. Aber pass bloß auf ... du weißt doch, welchen Ruf er hat.«
Kapitel 4
Die Schreibenden Fräulein
Im Büro der London Weekly Am folgenden Tag, einem Donnerstag
Eliza eilte die Fleet Street entlang. Das Herz hämmerte in ihrer Brust, und jeder Atemzug tat weh.
Es war eine Herausforderung gewesen, sich am Butler Saddler und den zahllosen Lakaien vorbeizuschleichen, die überall herumstanden. Mrs. Penelope Buxby, die Haushälterin, war Gott sei Dank leichter zu narren, sobald sie mit dem Whisky angefangen hatte. Sie begann stets zur Mittagszeit mit dem Schnaps, und als Eliza aufgebrochen war, war es später Nachmittag gewesen. Jenny hatte sich einverstanden erklärt, Elizas Abwesenheit zu decken und zu behaupten, sie fege auf dem Dachboden, falls jemand fragte. Dorthin würde niemand gehen, um nach ihr zu sehen.
Eliza traf in der Fleet Street Nummer 57 ein. Ihre Brüste hoben sich schwer mit jedem Atemzug, und ihr Herz klopfte laut. Sie nickte Mehitable Loud zu, dem großen und beängstigend dreinblickenden, nichtsdestotrotz aber sehr freundlichen Riesen, der die Büroräume und alle beschützte, die sich darin aufhielten - insbesondere Mr. Knightly, den Eigentümer und Herausgeber von Londons beliebtester Zeitung.
Eliza hatte sich noch nicht wieder ganz gefasst, als sie in das wöchentliche Redaktionstreffen der London Weekly platzte. Sie kam zu spät; die anderen Autoren waren bereits alle um den großen Tisch versammelt. Damian Owens und Alistair Grey verstummten mitten im Gespräch, und die Köpfe drehten sich in ihre Richtung. Knightly bemerkte mit einem sanften Heben der Augenbrauen ihren Aufzug.
Sie trug ein schlichtes graues Kleid und hatte noch immer die weiße Schürze umgebunden und eine kleine, ebenso weiße Haube auf dem Scheitel. Es war ihr keine Zeit geblieben, um sich umzuziehen, geschweige denn hatte es einen Ort dafür gegeben. Elizas Hände waren gerötet und rau von der morgendlichen Arbeit. Sie hatte Böden geschrubbt.
Es war Annabelle, die schließlich die Frage stellte, die alle interessierte: »Eliza, wieso hast du dich wie eine Dienerin verkleidet?«
»Ich habe eine Stellung im Haushalt des Dukes of Wycliff angetreten«, antwortete Eliza stolz und musste sich ein Grinsen verkneifen, weil sogleich ein erstauntes Raunen durch den Raum ging. Sie bemerkte das zufriedene Funkeln in Knightlys Augen und das Schmunzeln, das unwillkürlich seinen Mund umspielte.
Die anderen Kollegen wussten, was das hieß: Die London Weekly hatte einen Spion in dem Haus, über das ganz London alles wissen wollte.
Eliza hatte schon immer Storys geschrieben, die verdeckte Recherchen erforderten. Und oft hatte sie sich für diese Recherchen auch verkleidet, um so eine Seite Londons kennenzulernen, die die wenigsten ihrer Leser je zu sehen bekamen (in jedem Fall aber eine Seite Londons, die von den anderen Zeitungen selten erforscht wurde): Sie schrieb über die Billighochzeiten der niederen Klassen, über Quacksalber und ihr Schlachterhandwerk, und sie verbrachte sogar ein paar Tage im Armenhaus, um die Londoner später über die wahren Zustände dort aufklären zu können.
Es war also für Eliza nichts Neues, sich ganz auf eine Geschichte zu stürzen und Leib und Seele für die Story aufs Spiel zu setzen. Aber dieses Mal war es anders, weil ein skandalöser, geheimnisvoller und freigeistiger Duke beteiligt war. Und weil sie sozusagen um ihr Leben als Schreibfräulein schrieb.
Eliza lächelte breit. Alles würde gut gehen - die Kolumne, die sie jetzt in der Hand hielt, war Gold wert.
»›Der tätowierte Duke‹«, fügte sie hinzu, und sofort wurde sie von den Redaktionsmitgliedern der Weekly mit Fragen gelöchert. Ihr Herz schlug immer noch schnell, und ihr war ein bisschen schwindlig. Schuld daran war nicht nur die Eile, mit der Eliza hergerannt war, sondern das vollkommen neue und schwindelerregende Gefühl, im Zentrum der allgemeinen Aufmerksamkeit zu stehen.
Eliza überreichte Knightly das Blatt und verzog das Gesicht. Bei ihrem Lauf in die Redaktion war es zerknittert und feucht geworden. Er begann zu lesen.
Es war der beste Zeitpunkt und zugleich der schlechteste für den erst kürzlich nach London zurückgekehrten jungen Duke of Wycliff, um einen alten, berüchtigten Titel für sich zu beanspruchen.
Übrigens sieht er überhaupt nicht so aus, wie man es von einem Duke erwartet: Das Haar trägt er geradezu skandalös lang und dazu einen kleinen goldenen Ring im Ohrläppchen. Kurz: Er sieht eher aus wie ein einfacher Seemann als ein distinguierter britischer Adliger. Aber all das sind unbedeutende Kleinigkeiten verglichen mit den Tätowierungen des Dukes ...
Knightly überflog die nächsten Zeilen und fand eine Stelle, die er ebenfalls laut zum Besten gab: »›Sein Auftreten ähnelt dem eines wilden heidnischen Kriegers.‹« An dieser Stelle bemerkte Eliza, wie ihr Gesicht feurig rot wurde. Hätte sie gewusst, dass Knightly die Story laut vorlesen würde - die sie gestern Nacht wie im Fieber verfasst hatte -, dann hätte sie nicht unbedingt diese Formulierung gewählt.
Verstohlen schaute Eliza ihre Freundinnen an. Die blauen Augen der lieben Annabelle waren vor Entsetzen weit aufgerissen, und Juliannas Vergnügen an der Geschichte war unverkennbar. Julianna besaß diesen unersättlichen Hunger nach Klatschgeschichten, und diese Story stillte diesen Hunger offenbar. Sophie hingegen lauschte sehr interessiert.
»Das ist so herrlich skandalös«, murmelte Julianna wohlig. Sie war die Autorin von »Geheimnisse der Gesellschaft «, der anerkanntermaßen besten Gesellschaftskolumne der Stadt. Und sie war Lady Julianna Roxbury, geborene Somerset.
»Skandale bringen Verkäufe«, bemerkte Knightly automatisch. Das war die Kernaussage, auf die er sein wachsendes Verlagsimperium aufgebaut hatte.
»Skandal bedeutet Veröffentlichung«, flüsterte Eliza kaum hörbar. Annabelle Swift, die eine Ratgeberkolumne unterhielt und die liebste Frau der Welt war, nickte mitfühlend.
»Skandal heißt: Erzähl mir mehr«, sagte Julianna grinsend, als sie nach dem Ende der Sitzung plaudernd den Konferenzraum verließen.
»Ja, erzähl uns alles«, mischte Sophie sich ein. Seit ihrer Hochzeit mit dem Duke of Hamilton and Brandon schrieb Sophie nur noch gelegentlich über Hochzeiten, weil sie Hochzeiten eigentlich nicht mochte. Ihre Kolumne »Miss Harlows Hochzeiten in besseren Kreisen« war jedoch so beliebt, dass sie es ihren Lesern nicht antun konnte, sie einzustellen. Häufiger schrieb sie in letzter Zeit allerdings über ihre große Leidenschaft, die Mode.
»Vielen Dank euch beiden für eure Empfehlungsschreiben «, begann Eliza. Ihre reichen adeligen Freundinnen lachten. Die Briefe waren notwendig gewesen, damit sie sich im Haushalt des Dukes überhaupt mit Erfolg als Dienstmädchen vorstellen konnte. Eliza fuhr fort: »Die Haushälterin war entsetzt, weil jemand mit meinen tadellosen Qualifikationen allen Ernstes einen Haushalt wie eure verlassen und für Wycliff arbeiten wollte.«
»Wenn sie wüsste ...«, murmelte Sophie.
»Ich bin ein schreckliches Dienstmädchen, aber sonst ist ja keiner da, um meinen Platz einzunehmen«, sagte Eliza und kicherte. »Sieht ganz so aus, als habe der Ruf des Dukes so ziemlich jede Bewerberin verscheucht. Geblieben ist wirklich nur der harte Kern derjenigen, die zutiefst verzweifelt sind. Nun ja, und den Rest haben die Gerüchte über seine Schulden erledigt. Ich habe wirklich Glück gehabt - die Stelle habe ich quasi auf dem Silbertablett präsentiert bekommen.«
»Gute Hilfe ist wirklich schwer zu finden«, meinte Julianna wehmütig.
»Die Mädchen werden aber bestimmt Schlange stehen, sobald deine Story über den tätowierten Duke veröffentlicht ist«, prophezeite Sophie.
»Was für mich die Frage aufwirft, liebe Eliza, woher du von diesen Tätowierungen weißt«, sagte Julianna streng.
»Ich glaube, diese Frage hat so ziemlich jeden unserer Kollegen gequält, aber keiner hat sich getraut, vor den anderen danach zu fragen«, fügte Annabelle hinzu und lächelte.
»Ganz einfach deshalb, weil der Duke gerade ein Bad nahm, als ich in seinen Privatgemächern zu tun hatte«, sagte Eliza. Allerdings wusste sie selbst, dass diese Worte nicht annähernd ausdrückten, wie es wirklich gewesen war. Denn sie verschwieg ihren Freundinnen das Kerzenlicht, den aus der Wanne aufsteigenden Wasserdampf und wie sie sich neben ihn gekniet hatte und mit den Fingern über die tintigen Wirbel seiner Tätowierung gefahren war.
»Oh mein Gott!«, keuchte Annabelle. »Hat er etwa versucht, sich Freiheiten herauszunehmen?«
»Nein«, sagte Eliza zögernd - immerhin waren ihre Lippen einander nahe genug gewesen für einen Kuss. »Ich bin nur kurz in seine Gemächer geschlüpft, um ihm ein Handtuch hinzulegen.«
»Es ist nur eine Frage der Zeit, bis er es tut«, behauptete Julianna. »Die Dukes of Wycliff sind berüchtigte Lebemänner, und ich weiß aus sicherer Quelle, dass sie sich gerne mit ihren Dienstmädchen vergnügen.«
»Ich habe so viel Arbeit zu erledigen, dass mir gar nicht die Zeit für so etwas bliebe«, sagte Eliza mit ausdruckslosem Gesicht. »Und nachts bin ich einfach zu erschöpft.«
»So spricht eigentlich nur eine Ehefrau«, sagte Sophie schmunzelnd.
»Also, nun aber heraus mit der Sprache: Wie ist er wirklich, der Duke?«, fragte Annabelle. »Ist er nett?«
»Nett ist nicht der richtige Ausdruck«, antwortete Eliza. »Außerdem geht das Gerücht um, dass er Pirat gewesen sein soll. Und der Armleuchter von Cousin sagte irgendwas von einem ganzen Harem, den der Duke in einer einzigen Nacht vernascht haben soll.«
»Also ist er doch kein durchschnittlicher Gentleman«, bemerkte Julianna. Das Funkeln ihrer Augen spiegelte die Freude, die auch Eliza über diese exquisite Geschichte empfand.
»Sieht er denn gut aus?«, fragte Sophie jetzt nachdenklich und seufzte wohlig. »Er klingt jedenfalls attraktiv. Es geht doch nichts über einen gutaussehenden Duke.«
Eliza wog ihre Antwort wohl ab. Man konnte ihn jedenfalls nicht als schön bezeichnen. Da war etwas Kantiges an seinen Wangenknochen, etwas zu Raues an seinem unrasierten Kinn und den langen Haaren, die er einfach nur zurückgenommen zu einem Zopf trug. Eliza erinnerte sich an die Narbe an seiner Oberlippe, die von seinen Abenteuern erzählte. Aber sein Blick - so unheimlich wach und offen - der war sehr wohl attraktiv.
»In gewisser Weise ... könnte man sehr wohl sagen, dass ...«, stammelte Eliza. »Nun, irgendwie macht er eine Frau atemlos.«
»Ich wage einmal die Behauptung, die Wycliff-Tradition wird noch ein paar Tage in ihm wach bleiben ...«, murmelte Julianna.
»... oder Nächte«, fügte Sophie hinzu.
© der deutschsprachigen Ausgabe 2014 by Verlagsgruppe Random House, München
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Autoren-Porträt von Maya Rodale
Maya Rodale begann auf Anraten ihrer Mutter bereits auf dem College, historische Liebesromane zu lesen, und es dauerte nicht lange, bis sie anfing, selbst welche zu schreiben. Inzwischen hat sie zahlreiche Roman veröffentlicht. Maya Rodale lebt mit ihrem Hund und ihrem ganz persönlichen Helden, ihrem Mann, in New York.Juliane Korelski, geboren 1979 in Halle/Westfalen, absolvierte nach dem Abitur eine Ausbildung zur Buchhändlerin und arbeitete bis zum Herbst 2006 in diesem Beruf. Aus Begeisterung für Geschichte entschied sie sich für das Studium der Geschichte und Antike Kulturen an der Universität Düsseldorf. Sie lebt und arbeitet in Düsseldorf.
Bibliographische Angaben
- Autor: Maya Rodale
- 2014, 480 Seiten, Maße: 12,5 x 18,7 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzung: Korelski, Juliane
- Übersetzer: Juliane Korelski
- Verlag: Blanvalet
- ISBN-10: 3442381800
- ISBN-13: 9783442381807
- Erscheinungsdatum: 21.04.2014
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