Gemeinsam stark in Virgin River / Virgin River Bd.9
Roman. Deutsche Erstveröffentlichung
Pfarrer Noah Kincaid hat die alte Kirche von Virgin River im Internet ersteigert. Er möchte sie zu neuem Leben erwecken, doch dazu braucht er Hilfe. Tatsächlich meldet sich auch jemand auf seine Anzeige: die vorlaute Ellie Baldwin. Ihre Vergangenheit ist so...
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Produktinformationen zu „Gemeinsam stark in Virgin River / Virgin River Bd.9 “
Klappentext zu „Gemeinsam stark in Virgin River / Virgin River Bd.9 “
Pfarrer Noah Kincaid hat die alte Kirche von Virgin River im Internet ersteigert. Er möchte sie zu neuem Leben erwecken, doch dazu braucht er Hilfe. Tatsächlich meldet sich auch jemand auf seine Anzeige: die vorlaute Ellie Baldwin. Ihre Vergangenheit ist so bunt wie ihre Kleidung. Dringend braucht sie eine respektable Anstellung, um das Sorgerecht für ihre Kinder zurückzuerlangen. Noah ist skeptisch! Aber je näher er die entschlossene junge Frau kennenlernt, desto mehr spürt er: Ellie ist genau der frische Wind, den er in seinem Leben braucht. Sosehr sie sich auch äußerlich unterscheiden, in ihrem Inneren haben sie die gleichen Träume und Sehnsüchte. Und gibt es einen besseren Ort, um diese wahr zu machen, als Virgin River?
Lese-Probe zu „Gemeinsam stark in Virgin River / Virgin River Bd.9 “
Gemeinsam stark in Virgin River von Robyn Carr1. KAPITEL
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Der kürzlich ordinierte Pfarrer Noah Kincaid vertrieb sich die Zeit im Internet und entdeckte dabei durch Zufall, dass eine Kirche über eBay versteigert werden sollte. Die Kirche befand sich in Virgin River - einem kleinen Ort, von dem Noah vorher noch nie gehört hatte. Er lachte über die verrückte Idee, eine Kirche im Internet zu versteigern. Andererseits faszinierte ihn das Angebot aber auch. Er wartete zwar gerade darauf, dass man ihm eine eigene Gemeinde zuwies, fand allerdings, es könne nicht schaden, sich diese Kirche und den Ort einmal persönlich anzuschauen. Und wenn es nur dazu diente, dass er einmal aus der Stadt herauskam und etwas anderes sah. Außerdem hatte er gehört, dass es im nördlichen Kalifornien sehr schön sein sollte.
Das Erste, das ihm auf der Reise auffiel, war die überwältigende Schönheit der Berge, der Mammutbäume und der Flüsse. Das Städtchen selbst wirkte ein wenig heruntergekommen und die Kirche war in Wirklichkeit nur eine Ruine. Dennoch herrschte in diesem Ort eine friedliche und unkomplizierte Atmosphäre, der sich Noah nicht entziehen konnte. Alles wirkte so frisch und einfach.
In dem kleinen Städtchen nahm man von ihm nicht groß Notiz. Noah fiel auf, dass die männlichen Bewohner entweder militärisch kurz geschnittene Haare hatten oder Pferdeschwanz und Bart trugen, wie die Fischer, mit denen Noah im Laufe der Jahre zusammengearbeitet hatte. Noah fügte sich nahezu nahtlos in das Bild ein. Seine Stiefel waren abgewetzt, seine Jeans verwaschen und an einigen Stellen durchgescheuert und sein Hemd war an Kragen und Manschetten völlig zerschlissen und wurde an den Ellbogen schon recht fadenscheinig. Sein schwarzes, inzwischen viel zu langes Haar reichte ihm bereits bis über den Hemdkragen. Sobald er eine eigene Gemeinde bekäme, würde er als Erstes zum Friseur gehen und sich die Haare schneiden lassen. Das hatte er sich fest vorgenommen. Doch im Augenblick passte er genau hierher und sah aus, wie andere Arbeiter eben auch nach einem harten Tag Arbeit aussahen. Er war genauso fit und gebräunt wie diejenigen, die seit Jahren als Fischer oder Hafenarbeiter arbeiteten, Netze flickten oder täglich den tonnenschweren Fang mit der Kraft ihrer Hände einholten.
Die Kirche war leicht zu finden. Noah benötigte nicht einmal einen Schlüssel, um hineinzugelangen. Der Haupteingang war zwar zugenagelt und die Kirche wirkte wie seit Jahren verlassen, aber die Tür im Seitenschiff war nicht abgeschlossen. Das Innere der Kirche stand, bis auf den Müll, den irgendwelche Besucher im Laufe der Zeit hinterlassen hatten, leer. Vor die zerbrochenen Fenster hatte man Holzlatten angebracht. Als Noah in den Altarraum gelangte, entdeckte er jedoch eine umwerfende Glasmalerei auf einem Kirchenfenster, das zum Schutz von der Außenseite her mit Brettern verschalt war. Es war völlig unbeschädigt.
Später schaute er sich die Gegend um die Kirche herum an. Das dauerte nicht lange. Er trank einen Kaffee in dem einzigen Laden, in dem es etwas zu essen gab, und schoss noch ein paar Fotos mit seiner Digitalkamera, bevor er wieder nach Hause fuhr. Als er wieder in Seattle war, nahm er Kontakt zu der Frau auf, die die Kirche über eBay versteigerte. Sie hieß Hope McCrea. „Diese Kirche ist schon seit Jahren dicht", klärte sie ihn mit heiserer Stimme auf. „Diese Stadt lebt seit vielen Jahren ohne ein Gotteshaus."
„Aber Sie sind sich sicher, dass die Stadt eines braucht?", wollte Noah von ihr wissen.
„Nicht ganz sicher", antwortete sie ihm. „Aber ein bisschen Religion kann verflucht noch mal nicht schaden. Die Kirche muss entweder wieder für Gottesdienste genutzt oder dem Erdboden gleichgemacht werden. Eine leer stehende Kirche bringt Unglück."
Darin stimmt Noah völlig mit ihr überein.
Obwohl er sehr mit der Arbeit in der Schule, in der er unterrichtete, beschäftigt war, gingen ihm Virgin River und die Kirche nicht mehr aus dem Kopf.
Er erzählte seinen presbyterianischen Vorgesetzten von der Idee, die Kirche zu kaufen, und erfuhr, dass man dort bereits von der Existenz dieser Kirche gehört hatte. Noah zeigte ihnen die Fotos. Alle Anwesenden stimmten mit ihm in seiner Beurteilung das mögliche Potenzial der Kirche betreffend überein. Der Gedanke, einen ihrer Pfarrer dorthin zu entsenden, erschien ihnen ausgesprochen reizvoll. Virgin River hatte genau die richtige Größe für eine neue Kirchengemeinde. Darüber hinaus gab es außer dieser kleinen Kirche keine weiteren Kirchen in der Stadt. Allerdings würde die Restaurierung vermutlich ein Vermögen kosten, von der Ausstattung ganz zu schweigen. Die Presbyterianer sahen keine Möglichkeit, das entsprechende Budget dafür aufzutreiben. Sie dankten Noah aufrichtig für die Anregung und versprachen ihm, bald eine andere Gemeinde für ihn zu finden.
Die Presbyterianer wussten nicht, dass Noah erst kürzlich zu etwas Geld gekommen war. Für ihn ein kleines Vermögen. Er war fünfunddreißig und hatte seit seinem achtzehnten Lebensjahr immer nur gearbeitet und studiert. Während seiner Zeit an der Universität hatte er nebenbei auf Bootswerften, in Hafenanlagen und auf Fischmärkten im Hafen von Seattle geschuftet, um sich sein Studium zu finanzieren. Doch im vorigen Jahr war seine Mutter gestorben und hatte ihm, zu seiner großen Überraschung, ein ansehnliches Erbe hinterlassen.
Also bot Noah seinen Vorgesetzten an, die finanziellen Mittel für die Renovierung des Gotteshauses zu stiften, wenn sie ihn dafür zum Pastor dieser Gemeinde ernannten. Sein Vorschlag wurde begeistert aufgenommen.
Bevor Noah den Vertrag unterschrieb, rief er seinen besten Freund an, den Mann, der ihn dazu überredet hatte, Pastor zu werden. George Davenport dachte, Noah hätte den Verstand verloren. George war ein ehemaliger presbyterianischer Pfarrer im Ruhestand. Er hatte die letzten fünfzehn Jahre an der Pacific University von Seattle gelehrt. „Ich hätte tausend bessere Ideen, womit du dein Geld verschwenden könntest", sagte George. „Fahr nach Las Vegas und setze alles auf Rot. Oder finanziere dir eine eigene Missionsstation in Mexiko. Falls diese Menschen wirklich einen Geistlichen brauchten, hätten sie sich längst einen gesucht."
„Witzig, dass diese Kirche dennoch immer noch völlig ungenutzt in Virgin River herumsteht, als ob sie auf ihre Wiederbelebung warten würde. Es muss doch einen Grund geben, dass sie ausgerechnet mir zufällig auf eBay aufgefallen ist", erwiderte Noah. „Ich war vorher noch nie auf eBay."
Nach langem Hin und Her lenkte George schließlich ein. „Wenn die Bausubstanz des Gebäudes prinzipiell noch gut und der Preis in Ordnung ist, könnte es vielleicht klappen. Du könntest diese großzügige Spende steuerlich absetzen. Und die Chance, in einer winzigen, armen Gemeinde irgendwo in den Bergen und ohne Handyempfang als Pastor zu wirken, scheint mir für dich gerade richtig."
„Noch gibt es dort keine Gemeinde, George", erinnerte ihn Noah.
„Dann musst du dir eben eine suchen, mein Sohn. Falls jemand dazu in der Lage ist, dann du. Du bist für so etwas geboren. Verstehe mich nicht falsch, ich rede hier nicht von deiner DNA oder deinen Genen, sondern von deinem angeborenen Talent. Ich habe dich beim Fische verkaufen beobachtet und dachte mir immer, dass da noch mehr dahintersteckt. Geh - wenn es das ist, was du willst. Öffne Türen und Herzen und gib alles, was du zu bieten hast. Außerdem bist du der einzige Pfarrer, den ich kenne, der überhaupt ein paar Cent in der Tasche hat."
Noah unterschrieb also den Vertrag mit den Presbyterianern und hoffte, dass sich seine Mutter nicht im Grab umdrehte. Um der Wahrheit die Ehre zu geben, sie hatte ihn heimlich ermutigt, als er vor Jahren fest entschlossen gewesen war, dem theologischen Seminar den Rücken zu kehren. Und sie hatte allen Grund dazu gehabt. Noahs Vater war ein mächtiger, halbprominenter Fernsehprediger - und ein eiskalter Kontrollfreak. Seinetwegen war Noah von zu Hause weggegangen - etwas, was seine Mutter nicht hatte tun können.
Wenn ihm jemand vor siebzehn Jahren, als er vor seinem Vater geflohen war, gesagt hätte, dass er selbst eines Tages einmal als Pfarrer arbeiten würde, hätte er ihn ausgelacht. Und jetzt war er nicht nur Pfarrer, er wollte auch diese Kirche. Diese Ruine einer Kirche in dieser unkomplizierten, friedlichen kleinen Stadt in den Bergen.
Einige Wochen später saß Noah in seinem zwanzig Jahre alten blauen Ford Kombi und zog seinen fünfzehn Jahre alten Wohnwagen, der für die nächste Zeit sein Zuhause sein würde, bis nach Nordkalifornien hinter sich her. Zwischendurch und bevor er unter den hohen Bäumen in den Bergen keinen Empfang mehr haben würde, rief er mit seinem Handy bei George im Büro an. „George, ich bin auf dem Weg nach Virgin River."
„Und, mein Junge, wie fühlst du dich?" George konnte das leise Lachen in seiner Stimme kaum verbergen. „Fühlt es sich an wie das Geschäft deines Lebens oder eher so, als würdest du in wenigen Tagen völlig abgebrannt auf der Straße sitzen?"
Noah lachte. „Weiß ich noch nicht so genau. Vermutlich werde ich dir diese Frage erst beantworten können, wenn die Kirche wieder in einem präsentablen Zustand ist. Aber, falls es mir nicht gelingt, eine Gemeinde zu gründen, bin ich schneller wieder in Seattle und verkaufe Fisch, als mir lieb ist." Er bezog sich damit auf seinen ehemaligen Job auf dem Fischmarkt von Seattle. Er hatte im wahrsten Sinne des Wortes mit großen Fischen zu tun gehabt. Es war ihm vorgekommen wie ein nicht enden wollendes Theaterstück. Dabei hatte George ihn entdeckt. „Ich werde sofort mit den Instandhaltungsmaßnahmen beginnen und hoffe, dass das Presbyterium mich nicht im Regen stehen lässt, falls niemand zu den Messen erscheint. Ich meine, soweit man der Kirche vertrauen kann ..."
George beantwortete diesen Kommentar mit einem herzhaften Lachen. „Das sind die Letzten, denen man trauen sollte. Diese Presbyterianer denken zu viel! Ich weiß, dass mir die Idee zuerst auch nicht besonders gefiel, Noah, aber ich wünsche dir viel Erfolg. Ich bin stolz auf dich, weil du die Gelegenheit beim Schopf packst."
„Danke, George. Wir bleiben in Verbindung."
„Noah", sagte George diesmal in einem ernsten Tonfall. „Viel Glück, mein Sohn. Ich hoffe, du findest, wonach du suchst."
Noah traf am ersten Juli mit seinem Wohnwagen in Virgin River ein und steuerte schnurstracks auf die kleine Kirche zu. Vor dem Gebäude parkte ein großer alter Jeep, dessen Reifen mit Schlamm verschmiert waren. Daneben wartete eine winzige alte Frau mit drahtigen weißen Haaren, einer dicken Brille und einer Zigarette, die an ihren Lippen festzukleben schien. Sie trug große Turnschuhe, die aussahen, als seien sie noch nie weiß gewesen, und trotz der sommerlichen Temperaturen ein Jackett mit eingerissenen Taschen. Noah stellte seinen Wagen ab und stieg aus. Die Frau trat die Zigarette aus. Die Lady gehört vermutlich zu den sagenhaften Schönheiten dieser Stadt, dachte er ironisch.
„Sie sind vermutlich Pfarrer Kincaid?", fragte sie.
Ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, hatte sie wohl einen feineren Pastor erwartet, kam es Noah in den Sinn. Vielleicht einen, der Kakihosen und ein ordentlich gebügeltes weißes Oberhemd trug? Und polierte Slipper? Einen Pfarrer mit ordentlich geschnittenen Haaren? Oder wenigstens frisch rasiert? Noahs Haare waren zottelig, sein Bart stoppelig und auf seiner Jeans gab es ein paar Motorölflecken, das Resultat eines unfreiwilligen Halts vor ungefähr hundert Kilometern, als er seinen Kombi hatte reparieren müssen. „Mrs McCrea", begrüßte er sie und reichte ihr die Hand.
Sie schüttelte sie kurz und übergab ihm die Schlüssel. „Willkommen. Möchten Sie eine Führung?"
„Brauche ich Schlüssel?", fragte er. „Bei meinem letzten Besuch war das Gebäude nicht abgeschlossen. Ich habe mir die Kirche schon einmal etwas genauer angesehen."
„Sie haben sie schon gesehen?", fragte die Frau offensichtlich überrascht.
„Ja. Ich war kurz hier, bevor ich im Namen der presbyterianischen Kirche ein Gebot abgegeben habe. Die Tür war nicht abgeschlossen, deshalb bin ich einfach hineingegangen. Meine Vorgesetzten benötigen von Ihnen lediglich eine Bestätigung des Statikers, dass die Bausubstanz der Kirche grundsätzlich noch in Ordnung ist. Ich habe ihnen bereits eine Menge Fotos gezeigt."
Hope McCrea schob sich die übergroße Brille auf der Nase zurück. „Sind Sie wirklich Pastor oder arbeiten sie vielleicht als Geheimagent?"
Er grinste sie an. „Haben Sie geglaubt, die Presbyterianer kaufen die Katze im Sack?"
„Das dachte ich tatsächlich, weil ich mir nichts anderes vorstellen konnte. Gut, wenn damit alles geklärt ist, lassen Sie uns doch zu Jack's gehen - es ist Zeit für meinen Drink. Vom Arzt verordnet. Ich gehe vor."
„Hat der Arzt Ihnen auch das Rauchen verordnet?", fragte Noah lächelnd.
„Sie sind verdammt direkt, mein Lieber. Verscherzen Sie es sich lieber nicht mit mir!"
„Den Arzt muss ich kennenlernen", murmelte Noah, während er ihr folgte. Plötzlich blieb Hope stehen und sah ihn über die Schulter hinweg an. „Er ist tot", sagte sie nur, drehte sich wieder um und stapfte vor ihm in Jacks Bar.
Noah war erst wenige Tage in der Stadt, als ihn die Suche nach einer Reinigung in den Nachbarort Fortuna führte. Eine schmale, gewundene Bergstraße brachte ihn zum Freeway, und Noah staunte, dass er es mit seinem alten Kombi überhaupt bis nach Virgin River geschafft hatte. Er hatte noch nicht einmal die halbe Strecke nach Fortuna zurückgelegt und schon seine erste Lektion über den dramatischen Unterschied zwischen dem Stadtleben im Hafen von Seattle und dem Leben in den Bergen erhalten.
Am Straßenrand entdeckte er ein regloses Tier, und da die die Straße ein paar Meter weiter etwas breiter wurde, konnte er anhalten. Er stieg aus dem Wagen und ging zu dem verletzten Tier zurück. Als er nur noch wenige Meter entfernt war, stellte er fest, dass es sich um einen Hund handelte, der vielleicht von einer Familie vermisst wurde. Er trat näher heran. Das Fell glänzte feucht vor Blut, und Hunderte von Fliegen umschwärmten die Wunden. Noah bemerkte eine schwache Regung. Er hockte sich neben das Tier, das ihn mit offenen Augen und hängender Zunge anschaute. Es atmete zwar noch, doch es schien mit dem Tod zu ringen. Der Zustand der armen Kreatur ging Noah zu Herzen.
In dem Moment kam ein alter Lieferwagen angefahren. Der Fahrer stellte seinen Wagen hinter Noahs Kombi ab. Noah hielt den Mann für einen Bauern oder Viehzüchter. Er trug Jeans, Stiefel, einen Cowboyhut und bewegte sich, als ob er unter Rückenschmerzen litt. „Haben Sie ein Problem?", fragte der Mann.
Noah musterte ihn kurz. „Der Hund", sagte er. „Vermutlich von einem Auto angefahren worden. Muss schon etwas her sein. Aber er lebt noch."
Der Bauer kniete sich neben ihn und sah sich die Sache ebenfalls etwas genauer an. „Hm", murmelte er, bevor er aufstand. „In Ordnung. Ich kümmere mich darum."
Noah vertrieb die Fliegen und streichelte dem Hund über den Kopf. „Ruhig, jetzt wird dir geholfen." Er kraulte den Hund immer noch im Nacken, als die Stiefel des Mannes in Noahs Gesichtsfeld zurückkehrten - zusammen mit einem Gewehrlauf, der auf die Brust des Hundes gerichtet war. „Treten Sie mal einen Schritt zurück, mein Lieber", sagte der Mann.
„Hey!", rief Noah und stieß den Gewehrlauf beiseite. „Was tun Sie da?"
„Ich will das arme Viech aus seiner misslichen Lage erlösen", antwortete der Mann in einem Tonfall, der keinen Zweifel daran ließ, wie lächerlich er diese Frage fand. „Was würden Sie denn unternehmen?"
„Ihn zum Tierarzt bringen", erklärte Noah, der sich inzwischen erhoben hatte. „Vielleicht kann man dem Hund noch helfen."
„Mein Lieber, sehen Sie sich das Vieh doch mal an. Es ist völlig ausgemergelt. Der war schon halb tot, bevor er von einem Auto erwischt wurde. Es wäre nicht gut, wenn wir ihn sterbend zurückließen." Er zielte erneut auf den Hund.
Noah stieß das Gewehr erneut weg. „Wo finde ich den nächsten Tierarzt?", wollte er wissen. „Ich nehme den Hund mit. Falls der Tierarzt ihm nicht mehr helfen kann, kann er ihn einschläfern, ohne dass man ihn erschießen muss."
Der Bauer kratzte sich am Kinn und schüttelte den Kopf. „Nathaniel Jensen ist gleich auf dieser Seite von Fortuna zu finden, doch er behandelt eigentlich nur große Tiere, obwohl er selbst zwei Hunde hat. Wenn er nicht helfen kann, dann kann er Ihnen vielleicht jemanden nennen, der es kann. Aber, mein Lieber, dieser Hund wird es nicht mehr bis zum Tierarzt schaffen."
„Wie komme ich dahin?", fragte Noah.
„Folgen Sie der Hauptstraße bis zur Ausfahrt 36, und da biegen Sie in die Waycliff Road ein. Dann sehen Sie schon ein Schild, das sie zu den Jensen Ställen und der Tierklinik von Dr. Jensen führt. Es ist nur ein paar Minuten entfernt von hier die Straße runter." Der Mann schüttelte immer noch den Kopf. „Es könnte in dreißig Sekunden erledigt sein."
Noah ignorierte seinen Einwand und ging zu seinem Wagen, um die Beifahrertür zu öffnen. Dann kehrte er zu dem Hund zurück und hob ihn hoch. Bei dieser Gelegenheit entdeckte er, dass es sich um eine Hündin handelte. Das bereits getrocknete Blut störte ihn nicht, allerdings schwirrten die Fliegen um die Wunde herum. Er war sich ziemlich sicher, dass er anschließend ein paar Maden auf seinem Hemd finden würde. Als er beinahe schon wieder an seinem Wagen war, hörte er, dass der Viehzüchter ihm Glück wünschte. „Ja", grummelte Noah. „Danke."
Übersetzung: Barbara Minden
MIRA Taschenbuch Band 25619 © 2010 by Robyn Carr
Der kürzlich ordinierte Pfarrer Noah Kincaid vertrieb sich die Zeit im Internet und entdeckte dabei durch Zufall, dass eine Kirche über eBay versteigert werden sollte. Die Kirche befand sich in Virgin River - einem kleinen Ort, von dem Noah vorher noch nie gehört hatte. Er lachte über die verrückte Idee, eine Kirche im Internet zu versteigern. Andererseits faszinierte ihn das Angebot aber auch. Er wartete zwar gerade darauf, dass man ihm eine eigene Gemeinde zuwies, fand allerdings, es könne nicht schaden, sich diese Kirche und den Ort einmal persönlich anzuschauen. Und wenn es nur dazu diente, dass er einmal aus der Stadt herauskam und etwas anderes sah. Außerdem hatte er gehört, dass es im nördlichen Kalifornien sehr schön sein sollte.
Das Erste, das ihm auf der Reise auffiel, war die überwältigende Schönheit der Berge, der Mammutbäume und der Flüsse. Das Städtchen selbst wirkte ein wenig heruntergekommen und die Kirche war in Wirklichkeit nur eine Ruine. Dennoch herrschte in diesem Ort eine friedliche und unkomplizierte Atmosphäre, der sich Noah nicht entziehen konnte. Alles wirkte so frisch und einfach.
In dem kleinen Städtchen nahm man von ihm nicht groß Notiz. Noah fiel auf, dass die männlichen Bewohner entweder militärisch kurz geschnittene Haare hatten oder Pferdeschwanz und Bart trugen, wie die Fischer, mit denen Noah im Laufe der Jahre zusammengearbeitet hatte. Noah fügte sich nahezu nahtlos in das Bild ein. Seine Stiefel waren abgewetzt, seine Jeans verwaschen und an einigen Stellen durchgescheuert und sein Hemd war an Kragen und Manschetten völlig zerschlissen und wurde an den Ellbogen schon recht fadenscheinig. Sein schwarzes, inzwischen viel zu langes Haar reichte ihm bereits bis über den Hemdkragen. Sobald er eine eigene Gemeinde bekäme, würde er als Erstes zum Friseur gehen und sich die Haare schneiden lassen. Das hatte er sich fest vorgenommen. Doch im Augenblick passte er genau hierher und sah aus, wie andere Arbeiter eben auch nach einem harten Tag Arbeit aussahen. Er war genauso fit und gebräunt wie diejenigen, die seit Jahren als Fischer oder Hafenarbeiter arbeiteten, Netze flickten oder täglich den tonnenschweren Fang mit der Kraft ihrer Hände einholten.
Die Kirche war leicht zu finden. Noah benötigte nicht einmal einen Schlüssel, um hineinzugelangen. Der Haupteingang war zwar zugenagelt und die Kirche wirkte wie seit Jahren verlassen, aber die Tür im Seitenschiff war nicht abgeschlossen. Das Innere der Kirche stand, bis auf den Müll, den irgendwelche Besucher im Laufe der Zeit hinterlassen hatten, leer. Vor die zerbrochenen Fenster hatte man Holzlatten angebracht. Als Noah in den Altarraum gelangte, entdeckte er jedoch eine umwerfende Glasmalerei auf einem Kirchenfenster, das zum Schutz von der Außenseite her mit Brettern verschalt war. Es war völlig unbeschädigt.
Später schaute er sich die Gegend um die Kirche herum an. Das dauerte nicht lange. Er trank einen Kaffee in dem einzigen Laden, in dem es etwas zu essen gab, und schoss noch ein paar Fotos mit seiner Digitalkamera, bevor er wieder nach Hause fuhr. Als er wieder in Seattle war, nahm er Kontakt zu der Frau auf, die die Kirche über eBay versteigerte. Sie hieß Hope McCrea. „Diese Kirche ist schon seit Jahren dicht", klärte sie ihn mit heiserer Stimme auf. „Diese Stadt lebt seit vielen Jahren ohne ein Gotteshaus."
„Aber Sie sind sich sicher, dass die Stadt eines braucht?", wollte Noah von ihr wissen.
„Nicht ganz sicher", antwortete sie ihm. „Aber ein bisschen Religion kann verflucht noch mal nicht schaden. Die Kirche muss entweder wieder für Gottesdienste genutzt oder dem Erdboden gleichgemacht werden. Eine leer stehende Kirche bringt Unglück."
Darin stimmt Noah völlig mit ihr überein.
Obwohl er sehr mit der Arbeit in der Schule, in der er unterrichtete, beschäftigt war, gingen ihm Virgin River und die Kirche nicht mehr aus dem Kopf.
Er erzählte seinen presbyterianischen Vorgesetzten von der Idee, die Kirche zu kaufen, und erfuhr, dass man dort bereits von der Existenz dieser Kirche gehört hatte. Noah zeigte ihnen die Fotos. Alle Anwesenden stimmten mit ihm in seiner Beurteilung das mögliche Potenzial der Kirche betreffend überein. Der Gedanke, einen ihrer Pfarrer dorthin zu entsenden, erschien ihnen ausgesprochen reizvoll. Virgin River hatte genau die richtige Größe für eine neue Kirchengemeinde. Darüber hinaus gab es außer dieser kleinen Kirche keine weiteren Kirchen in der Stadt. Allerdings würde die Restaurierung vermutlich ein Vermögen kosten, von der Ausstattung ganz zu schweigen. Die Presbyterianer sahen keine Möglichkeit, das entsprechende Budget dafür aufzutreiben. Sie dankten Noah aufrichtig für die Anregung und versprachen ihm, bald eine andere Gemeinde für ihn zu finden.
Die Presbyterianer wussten nicht, dass Noah erst kürzlich zu etwas Geld gekommen war. Für ihn ein kleines Vermögen. Er war fünfunddreißig und hatte seit seinem achtzehnten Lebensjahr immer nur gearbeitet und studiert. Während seiner Zeit an der Universität hatte er nebenbei auf Bootswerften, in Hafenanlagen und auf Fischmärkten im Hafen von Seattle geschuftet, um sich sein Studium zu finanzieren. Doch im vorigen Jahr war seine Mutter gestorben und hatte ihm, zu seiner großen Überraschung, ein ansehnliches Erbe hinterlassen.
Also bot Noah seinen Vorgesetzten an, die finanziellen Mittel für die Renovierung des Gotteshauses zu stiften, wenn sie ihn dafür zum Pastor dieser Gemeinde ernannten. Sein Vorschlag wurde begeistert aufgenommen.
Bevor Noah den Vertrag unterschrieb, rief er seinen besten Freund an, den Mann, der ihn dazu überredet hatte, Pastor zu werden. George Davenport dachte, Noah hätte den Verstand verloren. George war ein ehemaliger presbyterianischer Pfarrer im Ruhestand. Er hatte die letzten fünfzehn Jahre an der Pacific University von Seattle gelehrt. „Ich hätte tausend bessere Ideen, womit du dein Geld verschwenden könntest", sagte George. „Fahr nach Las Vegas und setze alles auf Rot. Oder finanziere dir eine eigene Missionsstation in Mexiko. Falls diese Menschen wirklich einen Geistlichen brauchten, hätten sie sich längst einen gesucht."
„Witzig, dass diese Kirche dennoch immer noch völlig ungenutzt in Virgin River herumsteht, als ob sie auf ihre Wiederbelebung warten würde. Es muss doch einen Grund geben, dass sie ausgerechnet mir zufällig auf eBay aufgefallen ist", erwiderte Noah. „Ich war vorher noch nie auf eBay."
Nach langem Hin und Her lenkte George schließlich ein. „Wenn die Bausubstanz des Gebäudes prinzipiell noch gut und der Preis in Ordnung ist, könnte es vielleicht klappen. Du könntest diese großzügige Spende steuerlich absetzen. Und die Chance, in einer winzigen, armen Gemeinde irgendwo in den Bergen und ohne Handyempfang als Pastor zu wirken, scheint mir für dich gerade richtig."
„Noch gibt es dort keine Gemeinde, George", erinnerte ihn Noah.
„Dann musst du dir eben eine suchen, mein Sohn. Falls jemand dazu in der Lage ist, dann du. Du bist für so etwas geboren. Verstehe mich nicht falsch, ich rede hier nicht von deiner DNA oder deinen Genen, sondern von deinem angeborenen Talent. Ich habe dich beim Fische verkaufen beobachtet und dachte mir immer, dass da noch mehr dahintersteckt. Geh - wenn es das ist, was du willst. Öffne Türen und Herzen und gib alles, was du zu bieten hast. Außerdem bist du der einzige Pfarrer, den ich kenne, der überhaupt ein paar Cent in der Tasche hat."
Noah unterschrieb also den Vertrag mit den Presbyterianern und hoffte, dass sich seine Mutter nicht im Grab umdrehte. Um der Wahrheit die Ehre zu geben, sie hatte ihn heimlich ermutigt, als er vor Jahren fest entschlossen gewesen war, dem theologischen Seminar den Rücken zu kehren. Und sie hatte allen Grund dazu gehabt. Noahs Vater war ein mächtiger, halbprominenter Fernsehprediger - und ein eiskalter Kontrollfreak. Seinetwegen war Noah von zu Hause weggegangen - etwas, was seine Mutter nicht hatte tun können.
Wenn ihm jemand vor siebzehn Jahren, als er vor seinem Vater geflohen war, gesagt hätte, dass er selbst eines Tages einmal als Pfarrer arbeiten würde, hätte er ihn ausgelacht. Und jetzt war er nicht nur Pfarrer, er wollte auch diese Kirche. Diese Ruine einer Kirche in dieser unkomplizierten, friedlichen kleinen Stadt in den Bergen.
Einige Wochen später saß Noah in seinem zwanzig Jahre alten blauen Ford Kombi und zog seinen fünfzehn Jahre alten Wohnwagen, der für die nächste Zeit sein Zuhause sein würde, bis nach Nordkalifornien hinter sich her. Zwischendurch und bevor er unter den hohen Bäumen in den Bergen keinen Empfang mehr haben würde, rief er mit seinem Handy bei George im Büro an. „George, ich bin auf dem Weg nach Virgin River."
„Und, mein Junge, wie fühlst du dich?" George konnte das leise Lachen in seiner Stimme kaum verbergen. „Fühlt es sich an wie das Geschäft deines Lebens oder eher so, als würdest du in wenigen Tagen völlig abgebrannt auf der Straße sitzen?"
Noah lachte. „Weiß ich noch nicht so genau. Vermutlich werde ich dir diese Frage erst beantworten können, wenn die Kirche wieder in einem präsentablen Zustand ist. Aber, falls es mir nicht gelingt, eine Gemeinde zu gründen, bin ich schneller wieder in Seattle und verkaufe Fisch, als mir lieb ist." Er bezog sich damit auf seinen ehemaligen Job auf dem Fischmarkt von Seattle. Er hatte im wahrsten Sinne des Wortes mit großen Fischen zu tun gehabt. Es war ihm vorgekommen wie ein nicht enden wollendes Theaterstück. Dabei hatte George ihn entdeckt. „Ich werde sofort mit den Instandhaltungsmaßnahmen beginnen und hoffe, dass das Presbyterium mich nicht im Regen stehen lässt, falls niemand zu den Messen erscheint. Ich meine, soweit man der Kirche vertrauen kann ..."
George beantwortete diesen Kommentar mit einem herzhaften Lachen. „Das sind die Letzten, denen man trauen sollte. Diese Presbyterianer denken zu viel! Ich weiß, dass mir die Idee zuerst auch nicht besonders gefiel, Noah, aber ich wünsche dir viel Erfolg. Ich bin stolz auf dich, weil du die Gelegenheit beim Schopf packst."
„Danke, George. Wir bleiben in Verbindung."
„Noah", sagte George diesmal in einem ernsten Tonfall. „Viel Glück, mein Sohn. Ich hoffe, du findest, wonach du suchst."
Noah traf am ersten Juli mit seinem Wohnwagen in Virgin River ein und steuerte schnurstracks auf die kleine Kirche zu. Vor dem Gebäude parkte ein großer alter Jeep, dessen Reifen mit Schlamm verschmiert waren. Daneben wartete eine winzige alte Frau mit drahtigen weißen Haaren, einer dicken Brille und einer Zigarette, die an ihren Lippen festzukleben schien. Sie trug große Turnschuhe, die aussahen, als seien sie noch nie weiß gewesen, und trotz der sommerlichen Temperaturen ein Jackett mit eingerissenen Taschen. Noah stellte seinen Wagen ab und stieg aus. Die Frau trat die Zigarette aus. Die Lady gehört vermutlich zu den sagenhaften Schönheiten dieser Stadt, dachte er ironisch.
„Sie sind vermutlich Pfarrer Kincaid?", fragte sie.
Ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, hatte sie wohl einen feineren Pastor erwartet, kam es Noah in den Sinn. Vielleicht einen, der Kakihosen und ein ordentlich gebügeltes weißes Oberhemd trug? Und polierte Slipper? Einen Pfarrer mit ordentlich geschnittenen Haaren? Oder wenigstens frisch rasiert? Noahs Haare waren zottelig, sein Bart stoppelig und auf seiner Jeans gab es ein paar Motorölflecken, das Resultat eines unfreiwilligen Halts vor ungefähr hundert Kilometern, als er seinen Kombi hatte reparieren müssen. „Mrs McCrea", begrüßte er sie und reichte ihr die Hand.
Sie schüttelte sie kurz und übergab ihm die Schlüssel. „Willkommen. Möchten Sie eine Führung?"
„Brauche ich Schlüssel?", fragte er. „Bei meinem letzten Besuch war das Gebäude nicht abgeschlossen. Ich habe mir die Kirche schon einmal etwas genauer angesehen."
„Sie haben sie schon gesehen?", fragte die Frau offensichtlich überrascht.
„Ja. Ich war kurz hier, bevor ich im Namen der presbyterianischen Kirche ein Gebot abgegeben habe. Die Tür war nicht abgeschlossen, deshalb bin ich einfach hineingegangen. Meine Vorgesetzten benötigen von Ihnen lediglich eine Bestätigung des Statikers, dass die Bausubstanz der Kirche grundsätzlich noch in Ordnung ist. Ich habe ihnen bereits eine Menge Fotos gezeigt."
Hope McCrea schob sich die übergroße Brille auf der Nase zurück. „Sind Sie wirklich Pastor oder arbeiten sie vielleicht als Geheimagent?"
Er grinste sie an. „Haben Sie geglaubt, die Presbyterianer kaufen die Katze im Sack?"
„Das dachte ich tatsächlich, weil ich mir nichts anderes vorstellen konnte. Gut, wenn damit alles geklärt ist, lassen Sie uns doch zu Jack's gehen - es ist Zeit für meinen Drink. Vom Arzt verordnet. Ich gehe vor."
„Hat der Arzt Ihnen auch das Rauchen verordnet?", fragte Noah lächelnd.
„Sie sind verdammt direkt, mein Lieber. Verscherzen Sie es sich lieber nicht mit mir!"
„Den Arzt muss ich kennenlernen", murmelte Noah, während er ihr folgte. Plötzlich blieb Hope stehen und sah ihn über die Schulter hinweg an. „Er ist tot", sagte sie nur, drehte sich wieder um und stapfte vor ihm in Jacks Bar.
Noah war erst wenige Tage in der Stadt, als ihn die Suche nach einer Reinigung in den Nachbarort Fortuna führte. Eine schmale, gewundene Bergstraße brachte ihn zum Freeway, und Noah staunte, dass er es mit seinem alten Kombi überhaupt bis nach Virgin River geschafft hatte. Er hatte noch nicht einmal die halbe Strecke nach Fortuna zurückgelegt und schon seine erste Lektion über den dramatischen Unterschied zwischen dem Stadtleben im Hafen von Seattle und dem Leben in den Bergen erhalten.
Am Straßenrand entdeckte er ein regloses Tier, und da die die Straße ein paar Meter weiter etwas breiter wurde, konnte er anhalten. Er stieg aus dem Wagen und ging zu dem verletzten Tier zurück. Als er nur noch wenige Meter entfernt war, stellte er fest, dass es sich um einen Hund handelte, der vielleicht von einer Familie vermisst wurde. Er trat näher heran. Das Fell glänzte feucht vor Blut, und Hunderte von Fliegen umschwärmten die Wunden. Noah bemerkte eine schwache Regung. Er hockte sich neben das Tier, das ihn mit offenen Augen und hängender Zunge anschaute. Es atmete zwar noch, doch es schien mit dem Tod zu ringen. Der Zustand der armen Kreatur ging Noah zu Herzen.
In dem Moment kam ein alter Lieferwagen angefahren. Der Fahrer stellte seinen Wagen hinter Noahs Kombi ab. Noah hielt den Mann für einen Bauern oder Viehzüchter. Er trug Jeans, Stiefel, einen Cowboyhut und bewegte sich, als ob er unter Rückenschmerzen litt. „Haben Sie ein Problem?", fragte der Mann.
Noah musterte ihn kurz. „Der Hund", sagte er. „Vermutlich von einem Auto angefahren worden. Muss schon etwas her sein. Aber er lebt noch."
Der Bauer kniete sich neben ihn und sah sich die Sache ebenfalls etwas genauer an. „Hm", murmelte er, bevor er aufstand. „In Ordnung. Ich kümmere mich darum."
Noah vertrieb die Fliegen und streichelte dem Hund über den Kopf. „Ruhig, jetzt wird dir geholfen." Er kraulte den Hund immer noch im Nacken, als die Stiefel des Mannes in Noahs Gesichtsfeld zurückkehrten - zusammen mit einem Gewehrlauf, der auf die Brust des Hundes gerichtet war. „Treten Sie mal einen Schritt zurück, mein Lieber", sagte der Mann.
„Hey!", rief Noah und stieß den Gewehrlauf beiseite. „Was tun Sie da?"
„Ich will das arme Viech aus seiner misslichen Lage erlösen", antwortete der Mann in einem Tonfall, der keinen Zweifel daran ließ, wie lächerlich er diese Frage fand. „Was würden Sie denn unternehmen?"
„Ihn zum Tierarzt bringen", erklärte Noah, der sich inzwischen erhoben hatte. „Vielleicht kann man dem Hund noch helfen."
„Mein Lieber, sehen Sie sich das Vieh doch mal an. Es ist völlig ausgemergelt. Der war schon halb tot, bevor er von einem Auto erwischt wurde. Es wäre nicht gut, wenn wir ihn sterbend zurückließen." Er zielte erneut auf den Hund.
Noah stieß das Gewehr erneut weg. „Wo finde ich den nächsten Tierarzt?", wollte er wissen. „Ich nehme den Hund mit. Falls der Tierarzt ihm nicht mehr helfen kann, kann er ihn einschläfern, ohne dass man ihn erschießen muss."
Der Bauer kratzte sich am Kinn und schüttelte den Kopf. „Nathaniel Jensen ist gleich auf dieser Seite von Fortuna zu finden, doch er behandelt eigentlich nur große Tiere, obwohl er selbst zwei Hunde hat. Wenn er nicht helfen kann, dann kann er Ihnen vielleicht jemanden nennen, der es kann. Aber, mein Lieber, dieser Hund wird es nicht mehr bis zum Tierarzt schaffen."
„Wie komme ich dahin?", fragte Noah.
„Folgen Sie der Hauptstraße bis zur Ausfahrt 36, und da biegen Sie in die Waycliff Road ein. Dann sehen Sie schon ein Schild, das sie zu den Jensen Ställen und der Tierklinik von Dr. Jensen führt. Es ist nur ein paar Minuten entfernt von hier die Straße runter." Der Mann schüttelte immer noch den Kopf. „Es könnte in dreißig Sekunden erledigt sein."
Noah ignorierte seinen Einwand und ging zu seinem Wagen, um die Beifahrertür zu öffnen. Dann kehrte er zu dem Hund zurück und hob ihn hoch. Bei dieser Gelegenheit entdeckte er, dass es sich um eine Hündin handelte. Das bereits getrocknete Blut störte ihn nicht, allerdings schwirrten die Fliegen um die Wunde herum. Er war sich ziemlich sicher, dass er anschließend ein paar Maden auf seinem Hemd finden würde. Als er beinahe schon wieder an seinem Wagen war, hörte er, dass der Viehzüchter ihm Glück wünschte. „Ja", grummelte Noah. „Danke."
Übersetzung: Barbara Minden
MIRA Taschenbuch Band 25619 © 2010 by Robyn Carr
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Autoren-Porträt von Robyn Carr
Als Robyn Carr mit Ende Zwanzig ihrem Ehemann zu seinen Einsätzen als Air Force Helikopterpilot folgte, konnte sie ihren eigentlichen Beruf als Krankenschwester nicht mehr ausüben. So begann sie erst zu lesen, und dann selber zu schreiben. Inzwischen sind von der erfolgreichen Bestsellerautorin und Mutter von zwei Kindern zahlreiche Romances erschienen.Barbara Minden arbeitete in der Marktforschung und absolvierte dann ein Volontariat bei einer Segelzeitschrift, bevor sie von Hamburg nach Nordafrika und Sevilla segelte, das für mehrere Jahre ihre zweite Heimat wurde. Heute lebt und arbeitet sie als freie Autorin, Übersetzerin und Redakteurin in Hamburg.
Bibliographische Angaben
- Autor: Robyn Carr
- 2012, 1. Aufl., 396 Seiten, Maße: 12,5 x 18,5 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Übersetzung: Minden, Barbara
- Übersetzer: Barbara Minden
- Verlag: MIRA Taschenbuch
- ISBN-10: 3862784614
- ISBN-13: 9783862784615
- Erscheinungsdatum: 01.10.2012
Rezension zu „Gemeinsam stark in Virgin River / Virgin River Bd.9 “
Gefährlich sexy - ein Muss für Romantic-Thriller-Fans!"RT Bookclub"Die Virgin River- Romane sind so mitreißend - ich habe mich auf Anhieb mit den Charakteren verbunden gefühlt."- Debbie Macomber, New York Times-Bestsellerautorin
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