Geschichten für uns Kinder
Geschichten für uns Kinder herausgegebenvon Rufus Beck
LESEPROBE
Rufus Beck
Vorwort
Oft werde ich gefragt, was meineBeweggründe dafür sind, so vieles für Kinder zu produzieren. Ja, stimmt,antworte ich, ich drehe Filme, die auch von Kindern gesehen werden, und nehmeHörbücher auf, die auch von Kindern gehört werden, ich spiele in Shows undTheaterstücken und habe selbst welche geschrieben - all das könnte man imweitesten Sinne als «Familienunterhaltung» bezeichnen, aber ich habe dabeieigentlich kein Zielpublikum vor Augen, im Grunde genommen mache ich das allesfür das neugierige Kind in mir.
Kinder sind fasziniert von derTatsache, dass die Eltern ja auch einmal Kinder waren, und hören daher immerwieder gerne, welchen Schabernack, welche Streiche und welchen Unsinn man vor seinerlebenslangen Anstellung als Vater oder Mutter so getrieben hat, bevor man dazugezwungen wurde, erwachsen zu werden und dem vermeintlich ach so schweren Ernstdes Lebens zu folgen. Also beginnt man erst einmal in der Erinnerung an dieeigene Kindheit herumzukramen, doch irgendwann hat sich der biographische Vorratan Anekdoten erschöpft und wiederholt sich. Da kommt der Augenblick, wo die«Kleinen» auf eine ausgedachte, erfundene Geschichte bestehen, die man so adhoc, aus dem Stegreif, vortragen soll.
In uns allen sind Geschichtenverborgen, verschüttet, verschlossen, die nur darauf warten, befreit zuwerden. Doch das funktioniert nur, wenn man es auch als Erwachsener geschaffthat, das Kind in sich zu bewahren.
«Geschichten für uns Kinder» heißtdieses Buch. Geschichten für uns Kinder? Moment mal! Welche Kinder sind dennmit dem «uns» gemeint? Wann hört das Kindsein überhaupt auf? Und wo fängt dasErwachsensein eigentlich an? - Aber wäre es nicht traurig, wenn man daraufeine eindeutige Antwort geben könnte?
Wir haben Schriftsteller gebeten,sich zu fragen: Wer war ich denn als Kind? Was waren meine Vorlieben? Was hätteich mir damals gewünscht, zu lesen oder zu hören?
Damit man sich in seine Kindheitzurückversetzen kann, braucht es Phantasie. Sie ist das Gespräch mit sichselber. Ich glaube, wenn man keine Phantasie hat, kann man die Welt überhaupt nichtverstehen, geschweige denn ertragen, und das Leben rauscht an einem vorbei wieeine undecodierbare Geheimbotschaft. Ob alle Lebewesen eine Seele haben,vermag ich nicht zu sagen, aber was uns Menschen gewiss von den Tierenunterscheidet, ist die Fähigkeit zu träumen, sich etwas vorzustellen, wasnicht existiert.
Wer fähig ist zu träumen und Zugangzu seinen Träumen hat - und damit meine ich vor allem unsere Tagträume undunsere Wunschträume -, hat auch Zugang zum so genannten realen Leben.Phantasie ist ein Schlüssel zu unserem Unterbewussten und gibt uns dieMöglichkeit, in unser zweites Ich hineinzuschauen. Sie ist die Voraussetzungfür eine Vision, die man braucht, um die Welt zu verändern und aktiv an ihr teilzunehmen.Ohne die Fähigkeit zur Phantasie wäre der Mensch überhaupt nicht in der Lage,sich auch nur ansatzweise zu vergegenwärtigen, was im Gegenüber vorgeht. Esgäbe kein Mitleid, kein Mitempfinden, keine Zuneigung, und letztlich würde unsdie Begabung zum Lieben fehlen.
Kinder sind mit ihren Gefühlendirekt verbunden: Fühlen, Denken und Sprechen ist eins, sie haben noch keineAngst vor Emotionen, aber dafür müssen sie auch beschützt werden, sie brauchenRaum und Muße für ihre kreative Selbstentdeckung undfür die Entfaltung ihrer Persönlichkeit. Und was Hänschen nicht lernt, lerntHans nimmermehr, oder nur sehr, sehr schwer. Das Kreative ist dieGrundausbildung und Begabung des Menschen.
Natürlich gibt es unterschiedlichphantasiebegabte Menschen, doch auch das Träumen will geübt sein. Das Erlebtekann nur in unserem Gedächtnis archiviert werden, wenn wir das Gelebte künstlerischwieder verarbeiten. Unsere Träume wollen und müssen gefüttert werden mitGeschichten, Erzählungen, mit Bildern, Klängen und Tönen.
Die Traum- und Phantasiewelt istanarchisch, sie kümmert sich nicht um Regeln der Logik und Vernunft, sie istufer- und grenzenlos. Die Gedanken sind frei! Alles ist möglich. Das ist derzensurfreie Raum. Vielleicht gibt es deswegen auch Angst vor der Macht derPhantasie, da sie ihre Kraft nur entfalten kann, wenn wir sie nichtkontrollieren, beherrschen, beurteilen und zensieren. Es bedarf der Hingabe zusich selbst, und das ist keine Flucht vor der Realität, sondern etwasHeilendes. Insofern sind erfundene, absurde und surreale Geschichten fürKinder genauso wichtig wie solche, die ein Abbild der Realität beschreiben.
All das findet sich in den«Geschichten für uns Kinder». Sie sind ein literarisches Schatzkästchen, eineWundertüte, in der man nach dem Zufalls- und Lustprinzip herumstöbern darf. Mankann das Buch in der Mitte aufschlagen oder es von hinten nach vorne lesen. Esenthält Kurzgeschichten, Märchen, Monologe, Gedichte und sogar eineRap-Ballade. Und bei all diesen Texten spürt man, dass sie aus einemZwiegespräch der Autoren mit dem Kind in sich entstanden sind.
Wenn ich ein Buch lese, ist eseigentlich weniger ein Lesen als ein Hineinhören. Ich will wissen, wie der Textklingt: Hat er eine Dur- oder Moll-Stimmung? Wechseln die Rhythmen? Swingt er? Gibtes eine Leitmelodie? Daher habe ich mir für dieses Buch Texte gewünscht, dienicht nur für das lesende Auge, sondern auch für das Ohr geschrieben sind, dieman am besten laut vorliest. Dieser Wunsch ist in Erfüllung gegangen: Auf denfolgenden Seiten werden uns 26 Schriftsteller verzaubern und entführen in ihre Traum-,Phantasie- und Märchenwelten.
Viel Vergnügen
Rufus Beck
München, im Juli 2006
© Rowohlt Verlag
- Autor: Rufus Beck
- Altersempfehlung: Ab 8 Jahre
- 2006, 2. Aufl., 208 Seiten, 11 farbige Abbildungen, Maße: 15 x 21,5 cm, Gebunden, Deutsch
- Herausgegeben: Rufus Beck
- Verlag: Rowohlt, Berlin
- ISBN-10: 3871345547
- ISBN-13: 9783871345548
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