Die Thronerbin / Godspeak Bd.2
Roman. Deutsche Erstausgabe
Ein packendes Epos mit unvergesslichen Charakteren!
Nach dem Tod ihres Vaters soll Prinzessin Rhian den Thron von Ethrea besteigen. Doch auf der kleinen, aber strategisch wichtigen Insel sammeln sich Kräfte, die nicht bereit sind, einer so jungen...
Nach dem Tod ihres Vaters soll Prinzessin Rhian den Thron von Ethrea besteigen. Doch auf der kleinen, aber strategisch wichtigen Insel sammeln sich Kräfte, die nicht bereit sind, einer so jungen...
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Produktinformationen zu „Die Thronerbin / Godspeak Bd.2 “
Ein packendes Epos mit unvergesslichen Charakteren!
Nach dem Tod ihres Vaters soll Prinzessin Rhian den Thron von Ethrea besteigen. Doch auf der kleinen, aber strategisch wichtigen Insel sammeln sich Kräfte, die nicht bereit sind, einer so jungen Frau die Herrschaft zu überlassen. Ein Bürgerkrieg scheint unausweichlich, und andere Reiche strecken bereits ihre gierigen Klauen nach Ethrea aus. Da taucht ein geheimnisvoller Flüchtling aus dem Wüstenreich Mijak auf - und allein seine Anwesenheit lässt Rhian wieder hoffen.
Nach dem Tod ihres Vaters soll Prinzessin Rhian den Thron von Ethrea besteigen. Doch auf der kleinen, aber strategisch wichtigen Insel sammeln sich Kräfte, die nicht bereit sind, einer so jungen Frau die Herrschaft zu überlassen. Ein Bürgerkrieg scheint unausweichlich, und andere Reiche strecken bereits ihre gierigen Klauen nach Ethrea aus. Da taucht ein geheimnisvoller Flüchtling aus dem Wüstenreich Mijak auf - und allein seine Anwesenheit lässt Rhian wieder hoffen.
Klappentext zu „Die Thronerbin / Godspeak Bd.2 “
Ein packendes Epos mit unvergesslichen Charakteren!Nach dem Tod ihres Vaters soll Prinzessin Rhian den Thron von Ethrea besteigen. Doch auf der kleinen, aber strategisch wichtigen Insel sammeln sich Kräfte, die nicht bereit sind, einer so jungen Frau die Herrschaft zu überlassen. Ein Bürgerkrieg scheint unausweichlich, und andere Reiche strecken bereits ihre gierigen Klauen nach Ethrea aus. Da taucht ein geheimnisvoller Flüchtling aus dem Wüstenreich Mijak auf - und allein seine Anwesenheit lässt Rhian wieder hoffen.
Lese-Probe zu „Die Thronerbin / Godspeak Bd.2 “
Die Thronerbin von Karen Miller Erster Teil
Erstes Kapitel
Der König von Ethrea lag im Sterben.
Rrhian saß am bett ihres Vaters, hielt seine gebrechliche
hand in ihrer und atmete in flachen Zügen. ihre Welt war
eine Glaskugel; wenn sie zu tief einatmete, würde die Kugel zerspringen,
und sie mit ihr.
Das ist nicht gerecht, das ist nicht gerecht, das ist nicht gerecht ...
in einer ecke des privaten Schlafgemachs leierte der höchst
ehrwürdige Justin vor sich hin - einer von Prälat Marlans ranghöheren
Göttlichen, der dazu verurteilt war, für die Seele ihres
Vaters zu beten. Den kahlgeschorenen Schädel tief geneigt ließ er
sich seine Gebetsperlen so anhaltend durch die Finger klackern,
dass rhian am liebsten geschrien hätte.
Ich wünschte, du würdest verschwinden. Ich wünschte, du würdest
weggehen. Wir wollen dich hier nicht. Dies ist unsere Zeit, wir
haben nicht so viel davon, dass wir sie teilen könnten.
Sie musste sich fest auf die Unterlippe beißen, um frische Tränen
niederzukämpfen. in letzter Zeit weinte sie so oft, dass sie
sich durchweicht fühlte wie Moos. Und welchen Sinn hatte das
Weinen überhaupt? Weinen würde ihren Vater nicht retten. er
war zerstört, er glitt davon.
Ich werde bald eine Waise sein.
... mehr
Sie war jetzt seit zehn Jahren halbwaise. ohne die Porträts an
den Wänden der burg hätte sie sich vielleicht nicht einmal mehr
an Königin ildas liebes Gesicht erinnert. ein beängstigender Gedanke,
ihre Mutter zweimal zu verlieren. War es ihr bestimmt,
auch ihre brüder zweimal zu verlieren? ranald und Simon waren
erst seit zwei Monaten tot, und zwischen Wachen und Schlafen
hörte sie noch immer ihre Stimmen. Sie hielt es für wahrscheinlich,
und nach ihnen würde sie ihren Vater zweimal verlieren. All
diese doppelten Verluste. Wo war Gott bei alledem? Schlief er?
War er gleichgültig?
Mama, die Jungen und jetzt der liebe Papa. Ich weiß, ich bin
die Jüngste, und das Gesetz der Natur verfügt, dass ich als Letzte
übrig bleiben werde ... aber nicht so früh! Hörst du mich, Gott?
Es ist zu früh!
Als spüre er ihre rebellion, hielt der ehrwürdige in seinem Perlengeklapper
und Geleier inne. »hoheit, der König wird wahrscheinlich
stundenlang schlafen. Vielleicht wäre eure Zeit besser
verbracht, wenn ihr beten würdet.«
Sie hätte gern gesagt: Ich denke, du betest genug für uns beide,
Ehrwürdiger Justin. Aber wenn sie das sagte, würde er es helfred
erzählen, ihrem persönlichen Kaplan, und der wiederum würde
es Prälat Marlan erzählen. Und Marlan würde nicht erfreut sein.
es war nicht klug, Marlan zu verärgern.
Also sagte sie innerlich kochend: »ich bete durchaus, ehrwürdiger
Justin. Jeder Atemzug, den ich mache, ist ein Gebet.«
Der ehrwürdige Justin nickte, auch wenn er nicht zur Gänze
überzeugt war. »bewundernswert, hoheit. Aber gewiss ist der
geziemende Platz für eure Gebete die burgkapelle.«
er mochte der höchstehrwürdige sein, aber es gebrach ihm
dennoch an Autorität, um der Tochter eines Königs befehle zu
erteilen. Sie schaute abermals auf das leichenartige Gesicht ihres
Vaters, dessen gelbsüchtige haut sich in Falten über fleischlo-
se Knochen legte, damit der ehrwürdige ihren Ärger nicht bemerkte.
Sie zwang sich zu einem ruhigen, freundlichen Tonfall,
an dem es nichts zu beanstanden geben würde. Sei eine Dame,
sei eine Dame, sei immer eine Dame.
»ich werde zu gegebener Zeit in die Kapelle gehen. Für den
Augenblick, ehrwürdiger Justin, weiß ich, dass Seine Majestät
Trost in meiner Gegenwart findet, auch wenn er schläft.«
Die Gebetsperlen des ehrwürdigen Justin klackerten hektisch.
er nahm sein Gemurmel dort wieder auf, wo er abgebrochen
hatte.
Auf seinem berg von Kissen regte ihr Vater sich. hinter papierdünnen
Lidern zuckten seine Augen rastlos hin und her. Der Puls
an seiner halsschlagader wurde schneller. »ranald«, murmelte er.
»ranald, mein Junge ... ich komme. ich komme.« Seine Stimme,
einst dunkel und weich wie Sirup und Seide, schnarrte wie
rostiger Draht. »ranald, mein braver Sohn ...« Sein Ausatmen
wurde zu einem Stöhnen.
eine Schale mit Wasser und ein weiches Tuch lagen griffbereit
auf dem nachttisch. Sanft befeuchtete rhian ihrem Vater die
Wangen und Lippen. »es ist alles gut, Papa. errege dich nicht.
ich bin hier. bitte, versuche, dich ein wenig auszuruhen.«
»ranald!«, sagte ihr Vater und öffnete die Augen. Augen, noch
vor so kurzer Zeit vom tiefsten blau, klar und rein wie ein Sommerhimmel,
jetzt trüb geworden, das Weiß darin gelb gefärbt
durch das Versagen der Leber. einen schrecklichen Moment lang
waren sie umwölkt, verwirrt. Dann erinnerte er sich an sie und
seufzte. »rhian. ich dachte, ich hätte ranald gehört.«
Sie ließ das Tuch wieder in die Schale fallen und ergriff von
neuem seine hand. Seine Finger fühlten sich so brüchig an.
Wenn sie sie zu fest hielt, würden sie durchbrechen. »ich weiß,
Papa. Du hast geträumt.«
eine einzelne Träne rann durch seinen grauen Stoppelbart.
»ich hätte ranald niemals mit Simon auf reisen gehen lassen
dürfen«, flüsterte er. »ich war selbstsüchtigerweise zu nachgiebig,
es war mir wichtiger, dass ranald mich liebte, als zu tun, was
das beste war, und jetzt sind sie tot. Mein erbe ist tot und sein
bruder mit ihm. ich habe das Königreich verraten.«
es war mittlerweile ein vertrauter refrain. rhian küsste seine
kalte hand. »Das ist Unsinn, Papa. Die Söhne eines jeden großen
Mannes gehen ins Ausland. Dein Vater hat dir die Welt nicht
verboten, obwohl du der erbe warst. Du hättest deinen Söhnen
dieses Abenteuer niemals verwehren können. ranald und Simon
hatten Pech, das ist alles. es ist nicht deine Schuld. Du hast dir
nichts vorzuwerfen.«
in der ecke klapperten die Perlen des ehrwürdigen Justin noch
lauter. Die Kirche missbilligte abergläubische Auffassungen wie
Pech. rhian bedachte den Mann mit einem warnenden blick.
ehrwürdig oder nicht, sie würde nicht zulassen, dass er ihren
Vater aufregte.
»rhian.«
»Ja, Papa?«
er versuchte, ihre Finger zu drücken. »Mein liebes Mädchen.
Was wird aus dir werden, wenn ich fort bin?«
Diese Frage konnte sie beantworten, aber nicht vor dem
höchstehrwürdigen Justin. nicht vor irgendjemandem, der ihre
Worte prompt helfred und Marlan hinterbringen würde.
»Pst, Papa«, sagte sie und strich mit der anderen hand über
sein dünn gewordenes haar. »ermüde dich nicht, indem du redest.«
Aber er war entschlossen, sich zu grämen. »ich hätte dafür sorgen
sollen, dass du dich verlobst, rhian. ich habe dir gegenüber
versagt, wie ich deinen brüdern gegenüber versagt habe.«
ein einzelner name läutete wie eine Glocke in ihrem herzen.
Alasdair. Aber es hatte keinen Sinn, an ihn zu denken. er war in
das herzogtum Linfoi und zu seinem eigenen kränklichen Vater
zurückgekehrt ... und außerdem war es ihr bisher nicht ein
mal in Ansätzen gelungen, den König ihm gegenüber milder zu stimmen.
»Papa, Papa, errege dich nicht«, murmelte sie besänftigend.
»Du brauchst ruhe. Gott wird sich um mich kümmern.« ein
weiterer blick, über ihre Schulter. »ist das nicht so, ehrwürdiger
Justin?«
Widerstrebend nickte er. »Gott kümmert sich um all seine Kinder,
in dem Maße, wie sie es verdienen.«
»na bitte«, sagte sie. »Siehst du? Der ehrwürdige Justin gibt
mir recht.« Dann fügte sie, noch während sie heiße Tränen aufsteigen
fühlte, hinzu: »Wie dem auch sei, du gehst nirgendwohin.
hörst du mich, Papa? Du wirst wieder gesund werden.«
er lächelte, ein verzerrtes Lächeln jetzt, da sich ihm die Zähne
im Zahnfleisch gelockert hatten und lose klapperten. »ich
war während meines ganzen Lebens nicht der ehrerbietigste aller
Männer. Aber selbst ich weiß, rhian, dass Gott tut, was Gott will.
ich werde gehen, wenn ich gerufen werde, und nicht einmal du,
mein herrisches kleines biest, kannst verfügen, dass ich bleibe.«
Mein herrisches kleines Biest. es war eines der Koseworte ihres
Vaters für sie. Sie hatte es seit sehr, sehr langer Zeit nicht mehr
von ihm gehört. »Ja, Papa«, sagte sie und küsste abermals seine
kalten Finger.
Kurz danach schlummerte er wieder ein. ohne auf den höchst-
ehrwürdigen Justin und seine vielsagenden Seufzer zu achten,
hielt sie die zerbrechliche hand ihres Vaters und versuchte, trotzig
im Angesicht der offenkundigen entscheidung Gottes, ihn
dazu zu zwingen, zu leben, zu leben, zu leben.
es war ein kleiner raum, der noch kleiner gemacht wurde durch
eine Überfülle parfümierter und gepuderter Damen, rundlich
von Tellern voller gezuckerter Kuchen und sahniger, in feinen
Porzellantassen servierter Trinkschokolade. Taft und Satin raschelten,
Musselin rauschte, und Seide seufzte, während sie sich
lachend und kreischend wie Kinder um Puppen, Spielzeugbären,
Stoffferkel, Miezekatzen, hölzerne bogenschützen, bemalte Marionetten,
blechpfeifen und alle möglichen anderen Dinge kabbelten,
die der Spielzeugmacher ihnen zu ihrem entzücken zur
begutachtung vorlegte.
Gräfin Dester, ehefrau des ratssekretärs Graf Dester, stocherte
ungeduldig mit einem juwelengeschmückten Finger in dem
Durcheinander von Spielzeugen auf ihrem Schoß und seufzte.
»Meine Güte, Jonink, ich weiß es einfach nicht. ich meine, sie sind
alle entzückend, nicht wahr? ihr macht es mir so schwer, mich zu
entscheiden. Und barmherziger, wenn ich nicht genau das richtige
Spielzeug auswähle, nun, dann wird die kleine Astaria wahrscheinlich
tagelang schmollen, gesegnet sei ihr geliebtes herz.
Meine Süße ist so eigen, wenn es um ihr Spielzeug geht ...«
Friemelsam Jonink, königlich bestallter Spielzeugmacher,
knirschte hinter seinem Lächeln mit den Zähnen. Was sollte man
dazu sagen? Die kleine Astaria würde jeder Puppe, die sie bekam,
binnen fünf Minuten den Kopf abgerissen haben, und dann
würde er die Puppe wieder reparieren müssen, ohne dass man
die nahtstellen sah, und wie sehr er sich auch bemühte und wie
perfekt die reparatur auch ausfiel, die kleine Astaria würde kreischen,
dass sie nicht dieselbe sei, Mama, nein, das sei sie nicht, also
bitte schön, sie wollte ein neues Püppchen ... und Mama würde
sie küssen und liebkosen und ihr ein neues Püppchen kaufen ...
und so würde alles wieder von vorn anfangen.
Da wurde eine Aristokratin wie nur irgendeine herangezogen,
Gott segne sie und jeden anderen verwöhnten Liebling im Königreich
... denn wer sonst sorgte dafür, dass ein bescheidener
Spielzeugmacher ein Dach über dem Kopf hatte?
Gräfin Dester seufzte, so dass ihre rougebedeckten Wangen erbebten,
und bedachte den sie umschwirrenden Schwarm niederrangiger
hofdamen mit einem kalten blick aus grauen Augen.
Die Frauen hatten sich mit ihr zusammengefunden, um Spielzeu-
ge für ihre Söhne und Töchter, nichten und neffen oder brüder
und Schwestern und blumenkinder zu kaufen. Sie zupfte ein spitzengesäumtes
Taschentuch aus ihrem beträchtlichen Dekolletee
und wedelte damit in richtung der anderen Frauen.
»Marja, oh, Marja, Liebes! Kommt her und helft mir bei der
entscheidung!«
Friemelsam, der eine vollkommen ausdruckslose Miene beibehielt,
beobachtete, wie Gräfin braben die Lippen zusammenkniff
und die Augen verdrehte, sichtlich verärgert, bevor sie sich um
die eigene Achse drehte und sich wie geheißen zu Gräfin Dester
gesellte. ihr Gemahl, Graf braben, war bloß Anwärter des Königlichen
rats, daher empfahl es sich nicht, Gräfin Dester vor
den Kopf zu stoßen. Gräfin braben war vieles, aber bestimmt
nicht dumm. Sie hatte sich binnen drei Minuten für eine bemalte
holzpuppe und ein Puppen-Teeservice entschieden.
Mit einem raschen Seitenblick auf ihn beugte sie sich emsig
über Gräfin Dester. »Ja, Violetta, Liebes?«
Violetta, Liebes, drückte Gräfin braben einen Armvoll Puppen,
Plüschbären, Marionetten und rasseln in die hand. »Wählt ein
Spielzeug aus, Marja, ich bitte euch! Wenn es Astaria dann nicht
gefällt, kann ich sagen, es sei eure Schuld, und sie wird es nicht
an mir auslassen.«
»ich fühle mich geehrt«, murmelte Gräfin braben, während sie
die Spielsachen an sich drückte.
»Das solltet ihr auch«, gab Gräfin Dester zurück. »Die kleine
Astaria ist ...«
»Guten Tag«, erklang hinter ihnen eine kühle, beherrschte
Stimme.
Gräfin Dester wand sich auf ihrem hocker, sah, wer eingetreten
war, und stieß ein vornehmes kleines Kreischen aus. »euer
hoheit! Meine Güte, was für eine ehre!« Die verbliebenen Puppen,
Plüschbären, Marionetten und rasseln auf ihrem Schoß stoben
zur Decke empor, als sie aufsprang.
immer noch lächelnd - nach einer Weile verfestigte sich der
Gesichtsausdruck wie Marzipan - eilte Friemelsam, die Arme
weit ausgebreitet, herbei, um seine kostbare Ware aufzufangen.
Mit der Spitze eines Stiefels verfing er sich unter der Kante eines
handgewebten icthianischen Teppichs und fiel der Länge nach,
Teddybären an die brust gedrückt, der einzigen Tochter des Königs
zu Füßen.
Sie zog eine Augenbraue hoch. »Wirklich, Jonink. Der Fußfall
ist für die begrüßung Seiner Majestät reserviert. ein einfaches:
›Guten Tag, euer hoheit‹ hätte genügt.«
Mit einem Ächzen hievte Friemelsam sich auf die Knie und
streckte die hand aus. »Guten Tag, euer hoheit«, wiederholte
er gehorsam. »interesse an einer rassel?«
Prinzessin rhian lächelte, ein kläglicher Ausdruck der erheiterung.
Dann streckte sie eine schlanke, sonnengebräunte hand
aus, ergriff rassel und Finger und zog ihn geschickt auf die Füße.
»ihr seid ein frecher Schuft, Friemelsam Jonink.«
»ich weiß, hoheit«, pflichtete er ihr bei. »ich könnte schwören,
dass ihr mich genau aus dem Grunde mögt.«
Sie funkelte ihn in gespielter entrüstung an und ließ seine
hand los. »Und welcher irregeleitete narr hat euch das auf die
nase gebunden?«
Jetzt war sein Lächeln aufrichtig. »eine königliche närrin, mit
haaren wie Mitternacht, Augen wie Saphire und einem Lachen,
das die Singvögel beschämt.«
»Dann war sie in der Tat eine närrin, einen so schmeichlerischen
Spitzbuben wie euch zu ermutigen«, versetzte die Prinzessin
und wandte sich dann an Gräfin Dester. »Violetta, ihr wirkt
erregt. Kann ich helfen?«
Gräfin Dester errötete und lachte affektiert. »nun, meine Güte,
euer hoheit, ich meine, zumindest, es ist nur so, dass ...«
Trocken warf Gräfin braben ein: »Gräfin Dester hat ein wenig
Mühe, ein Geschenk für Astaria auszuwählen, hoheit.«
Die Prinzessin nickte. »ich verstehe. Und wie geht es meiner
blumentochter, Violetta? ich gestehe, ich habe in den letzten
Wochen meine ehrenkinder vernachlässigt.«
Sie hatte den König gepflegt. Friemelsam, der seine Waren neu
geordnet und die beschädigten Stücke weit nach hinten geschoben
hatte, blickte auf. »ich hoffe, Seiner Majestät geht es besser,
euer hoheit?«
Augenblicklich herrschte Schweigen in dem parfümgeschwängerten
raum, jede Spur der frenetischen Sorglosigkeit erstickt
von den Schatten randals und Simons, ethreas toter Prinzen,
der toten brüder dieser jungen Frau. Der hof und das Königreich
waren offiziell nicht mehr in Trauer, sondern entschlossen,
Kummer und entsetzen beiseitezuschieben. Zusammenkünfte
wie diese kleine Spielzeugmesse täuschten vor, dass alles in ordnung
sei ... und alle glaubten es, zumindest für eine Weile.
bis so ein narr von einem Spielzeugmacher die Stimmung mit
unglücklichen Fragen verdarb.
in der einstudierten Miene der Prinzessin regte sich nichts,
aber Friemelsam dachte, er kenne sie gut genug, um hinter die
königliche Maske zu blicken. »es geht ihm ein wenig besser, Jonink
«, sagte sie mit tonlos. »Danke der nachfrage.«
oje. Also stand es sehr schlimm um den König. ohne auf die
wütenden blicke der höfischen Damen zu achten, fuhr er fort:
»Wenn ihr mir vergeben wollt, dass ich es erwähne, ich habe eine
Freundin, eine exzellente Ärztin und eine großartige Frau. es
wäre mir ein großes Vergnügen ...«
bevor er seinen Satz beenden konnte, hatte Gräfin Dester sich
bereits auf ihn gestürzt. »Jonink, ihr vergesst euch! ihr solltet
euch eurer Stellung bewusst sein und euch damit bescheiden,
wenn ihr so freundlich sein wollt! Mein Mann, Graf Dester, hat
den bader empfohlen, der Tag und nacht bemüht ist, Seiner Majestät
Leiden zu lindern! Wenn bader Ardel ein heilmittel nicht
verschreibt, dann könnt ihr gewiss sein, dass es auch keinen Pfif-
ferling wert ist!« Und sie tat alle nicht von Ardel empfohlenen
heilmittel mit einem Fingerschnippen ab.
Friemelsam verbeugte sich mit verkniffenen Lippen. »ich bitte
um entschuldigung, meine Dame. es lag lediglich in meiner
Absicht ...«
Gräfin Dester wandte ihm den rücken zu. »nun, euer hoheit,
was eure überaus huldvolle nachfrage nach der lieben kleinen
Astaria angeht, sie erblüht mit jedem Tag mehr. ein überaus
schönes Kind, auch wenn ich das selbst sage, mir selbst in diesem
Alter wie aus dem Gesicht geschnitten ...«
Friemelsam riskierte einen schnellen blickwechsel mit Gräfin
braben. ihre Lippen zuckten, genau einmal. ein Augenlid flackerte.
ihr war am Gesicht abzulesen, dass sie dasselbe dachte wie
er: was für eine Zukunft der lieben Astaria bevorstand.
Gräfin Dester bekam nichts davon mit. Sie plapperte immer
weiter und weiter, Astaria habe dies gesagt, Astaria habe jenes
getan, und euer hoheit würden nicht für möglich halten, was
das kleine Püppchen gerade heute Morgen erst getan habe ...
Friemelsam, dem nichts anderes übrig blieb, als aufmerksam
dazustehen und an den richtigen Stellen zu nicken, ließ den blick
dreist auf dem Gesicht der Prinzessin verweilen. Sie wirkte ausgezehrt,
mit Schatten wie Zwielicht unter den herrlichen Augen
und allzu tiefen höhlen, als ihrer Schönheit guttat, unter den
hohen Wangenknochen. ihr exquisites Kleid aus blaugoldenem
Seidenbrokat saß ihr um die Taille zu locker. Sie stand hoch aufgerichtet
und gerade da wie eine junge Kiefer, aber ihr ganzer
Körper verriet Anspannung, und ihr Antlitz zeigte das Wispern
eines Stirnrunzelns.
Oje, oje. Es sieht eindeutig schlimm aus.
» ... und erst letzte Woche, euer hoheit, wenn ihr das glauben
könnt, hat das süße kleine Ding die Tür zum Taubenschlag
aufbekommen und alle Vögel herausgelassen!«, zwitscherte Gräfin
Dester. »Ach, was hatte der Taubenmeister für eine Arbeit, sie
zurückzuholen, denn er wusste schließlich, dass die Kosten eines
jeden Vogels, über dessen Verbleib er keine rechenschaft ablegen
kann, von seinem Gehalt abgezogen werden! oh, was haben wir
gelacht, die kleine Astaria und ich!«
»ein erheiterndes Kunststückchen, liebe Violetta«, pflichtete
die Prinzessin ihr bei. »Und jetzt denke ich, habe ich eine Lösung
für euer Dilemma. Warum schenkt ihr der süßen kleinen
Astaria nicht alle Spielzeuge? ich meine, diejenigen, auf die noch
niemand anderes Anspruch erhoben hat.«
Gräfin Dester stutzte. »Alle, euer hoheit?«
»Denkt nur, wie begeistert sie sein wird, wenn sie weiß, dass
sie die großzügigste Mama im ganzen Königreich hat«, sagte die
Prinzessin ernsthaft. »Wenn sie diese wunderschönen Puppen
und Spielzeuge sieht und herausfindet, dass jede einzelne für sie
bestimmt ist, werdet ihr gewiss ein Lächeln sehen, das breit genug
ist, um die Monde zu verschlucken.«
Friemelsam trat vor. »natürlich mit einem großzügigen Preisnachlass,
euer hochgeboren, um meine Dankbarkeit für euren
Kauf zu zeigen.«
Gräfin Dester kniff die Augen zusammen. »Wie großzügig?«
er schluckte. »Zwanzig Prozent?«
»Dreißig.«
»Fünfundzwanzig?«
Gräfin Dester öffnete den Mund, um einwände zu erheben,
fing jedoch den blick der Prinzessin auf und schnaubte stattdessen.
»Also schön. Fünfundzwanzig. Follit! her zu mir!«
Während Gräfin Desters Page dem ruf Folge leistete, sagte
Prinzessin rhian: »Meine Damen, es war mir ein Vergnügen, ein
wenig Zeit in eurer Gesellschaft zu verbringen, aber ich fürchte,
ich muss jetzt zum König zurückkehren. bitte, setzt eure einkäufe
fort und übermittelt euren Familien meinen Gruß und
meine aufrichtige Zuneigung.« Sie nahm die Knickse der Damen
mit einem Lächeln zur Kenntnis und zog sich zurück.
Friemelsam sah ihr stirnrunzelnd nach, dann entschuldigte er
sich bei Gräfin Dester. »einen Augenblick, euer hochgeboren,
ich habe da etwas vergessen ...«
Gräfin Dester stieß einen ungläubigen Laut aus. Friemelsam
stellte sich taub, schlüpfte durch das Gedränge parfümierter
Frauen und trat durch die offene Tür in den Flur hinaus. »euer
hoheit!«
Die Prinzessin, die gerade um eine ecke biegen wollte, zögerte.
»Jonink? ist etwas passiert?«
er holte sie mit fünf schnellen Schritten ein, dann machte er
eine schnelle Verbeugung. »nicht bei mir, hoheit. ich wollte nur
sagen, hm, vielen Dank.«
Sie zuckte die Achseln. »es gab keine notwendigkeit für Gräfin
Dester, so unhöflich zu sein. ihr habt nur versucht zu helfen.
Gott weiß, dass Seine Majestät alle hilfe gebrauchen kann, die
er bekommen kann.«
er widerstand dem Drang, ihren Arm zu tätscheln. »Mir war
es ernst mit dem, was ich gesagt habe, hoheit. Ursa ist eine hervorragende
baderin, die beste, die mir je begegnet ist. ich bin
davon überzeugt, dass sie helfen könnte. Sie könnte zumindest
den Schmerz des Königs lindern, da bin ich mir gewiss.«
»Wenn ihr das sagt, Jonink, dann habe ich keinen Zweifel daran,
dass es der Wahrheit entspricht. Aber ich fürchte, ganz so
einfach wird es nicht sein.«
»Graf Dester«, bemerkte er und verzog das Gesicht. »natürlich.
ich verstehe.«
Sie legte den Kopf schief, während sie ihn betrachtete. »Das
glaube ich euch sofort«, erwiderte sie schließlich. »ihr versteht
für einen einfachen Spielzeugmacher eine Menge von höfischer
Politik, finde ich.«
»Für einen einfachen Spielzeugmacher, der, seit er groß genug
war, um die Werkzeugtasche seines Vaters zu halten, an diesem
hof ein und aus gegangen ist«, stellte er fest. »ich müsste
schon erheblich tauber, dümmer und blinder sein, als ich es bin,
um nicht zu erkennen, wie die Dinge hier stehen, euer hoheit.«
ihr flüchtiges Lächeln war bekümmert. »Ja, das kann ich mir
vorstellen.«
Sie machte Anstalten, sich umzudrehen, aber er konnte es nicht
dabei bewenden lassen. Das arme Mädchen war zutiefst unglücklich
und offenkundig beinahe am ende ihrer Kräfte. Sie stand
ganz allein auf der Welt, beinahe allein, und brauchte dringend
hilfe.
»Wirklich, hoheit, lasst mich zumindest mit Ursa sprechen«,
sagte er schmeichelnd. »Sie hat viel erfahrung mit Fieberkrankheiten
und Ausflüssen. Sie könnte einen kleinen Trank mit ein
wenig Milch und Wein und einigen Kräutern zubereiten und ihn
mir dann geben, und ich könnte ...«
»ihr ändert euch nie, hm?«, fragte die Prinzessin. »Seit ich
denken kann, habt ihr die zerbrochenen Dinge in meinem Leben
repariert. erinnert ihr euch an dieses gescheckte graue Schaukelpferd,
das ich zu Schanden geritten habe? Das Schaukelpferd,
das ich von Simon geerbt habe, der es seinerseits von ranald geerbt
hatte? Dreimal habt ihr es geflickt, bis wir uns eingestehen
mussten, dass das arme alte Ding zu seiner letzten Schlacht getänzelt
war.« Die zuneigungsvolle erheiterung erstarb in ihren
Zügen, und ihr Gesicht wirkte bleich und weit älter als die neunzehn
Jahre, die sie zählte. »erinnert ihr euch, was ihr mir gesagt
habt, als ich ein Kind von sieben Jahren war und ihr mich auf
eurem Schoß habt sitzen und weinen lassen? ihr sagtet: ›Kleine
Prinzessin, bekümmert euch nicht. Das alte Pferd hatte ein gutes
Leben und ein langes obendrein, und alle Dinge müssen früher
oder später zu Staub werden.‹« Plötzlich waren die strahlend
blauen Augen voller Tränen, und ihre Lippen zitterten.
Durch die nahe offene Tür wehte ein schriller, streitlustiger
ruf. »Jonink? Jonink! Kommt auf der Stelle zurück, Jonink!«
Die Prinzessin holte bebend Atem und fuhr sich mit der hand
übers Gesicht. »Man verlangt nach euch, Jonink, und auch ich
werde andernorts gebraucht. ich werde eure freundlichen Gedanken
an den König weiterleiten. er wird gerührt sein zu erfahren,
welchen Anteil sein Volk an seinem Wohlergehen nimmt.«
impulsiv schloss sie eine hand um seinen Unterarm. »ich danke
euch, Friemelsam. ihr seid ein lieber, wahrer Freund.«
Und sie war fort, entfernte sich mit langen, schnellen Schritten,
die nur geringfügig durch ihr Kleid behindert wurden. Friemelsam
blickte ihr nach, bis sie außer Sicht war, und seine eigene
Trauer um die toten Prinzen erwachte von neuem.
Armes Mädchen. Was für eine Bürde sie trägt. Die Menschen beobachten
sie auf Schritt und Tritt. Tuscheln hinter ihrem Rücken.
Tuscheln, bevor sie eintritt. Analysieren ihr Leben, noch während
sie es lebt.
natürlich würde sich wahrscheinlich alles zum Guten wenden.
höchstwahrscheinlich würde der daniederliegende König sich
erholen. bader leisteten heutzutage erstaunliches. Der König
musste sich erholen, ethrea war noch nicht bereit, ihn zu verlieren.
Durch den vorzeitigen Verlust von ranald und Simon gab es
keinen Prinzen, der darauf wartete, den Thron zu besteigen. Da
war nur Prinzessin rhian. Die noch nicht einmal ihre Volljährigkeit
erreicht hatte und obendrein ein Mädchen war. ethrea war
noch nie von einer Frau regiert worden ... und es gab Personen,
die fanden, dass dies auch niemals geschehen solle.
Zum Beispiel Prälat Marlan. Seine Ansichten über Frauen sind,
gelinde gesagt, streng.
ein kalter Schauder überlief ihn. Sollte König eberg ohne einen
männlichen erben sterben, konnte daraus nur elend erwachsen.
ethreas Vergangenheit war ein bildteppich aus Verrat und
blutvergießen, geboren aus dem verzweifelten Streben von sechs
herzogtümern, die herrschaft über das ganze Land zu erringen.
Am ende war das herzogtum Fyndel siegreich aus den Kämpfen
hervorgegangen und in Königspfalz umbenannt worden. Frie-
de war eingekehrt, und für mehr als dreihundert Jahre hatte das
Flickwerk der Grenzen der fünf geringeren Fürstentümer einigermaßen
gehalten. Aber was für ein Chaos würde es geben, falls
Eberg starb. Alle Länder, die an Ethrea interessiert waren, würden
wie ein mörderischer Krähenschwarm über uns herfallen ...
Friemelsams herz begann zu hämmern. Wenn der König wieder
gesund wurde, konnte er sich eine neue Frau suchen und einen
Sohn zeugen, um die beiden zu ersetzen, die viel zu früh
gestorben waren. eberg war nicht alt, nur drei Jahre älter als er
selbst. er hatte gerade erst die mittleren Jahre erreicht. Gewiss
hatte der König noch Dutzende von Söhnen in sich. Wenn es zum
Schlimmsten käme und er starb, bevor dieser hypothetische Sohn
achtzehn wurde, nun, dann würde es eine regentschaft geben,
aber so etwas konnte man überstehen. einen König in Windeln
konnte man überstehen. Aber welches Königreich konnte ganz
ohne König auskommen?
Hör auf, dir selbst Angst zu machen, Jonink. Seine Majestät wird
wieder gesund.
Gräfin Dester erschien in der offenen Tür. »Jonink! Was macht
ihr nur hier? Muss ich euch daran erinnern, wer ich bin?«
»nein, euer hochwohlgeboren!«, sagte Friemelsam. »Meine
aufrichtige entschuldigung. ich komme sofort!« Und er entfloh
seinen traurigen Gedanken, als jagten sie ihn mit gesträubten nackenhaaren
und gebleckten Zähnen.
Während der Sturm von Gräfin Desters Missvergnügen ihn
umtoste, nickte er und entschuldigte sich und verneigte sich und
packte ihre einkäufe ein, dann widmete er sich den Dingen, die
andere hofdamen erstanden hatten. Als er fertig war und endlich
allein, gestattete er sich einen Augenblick, um sich niederzusetzen
und zu seufzen und voller Freude seine mit Münzen
gefüllte börse anzuheben.
»Selbst mit diesem empörenden Preisnachlass kein schlechtes
Tagewerk, meine Liebste«, bemerkte er, an die Luft gewandt.
© Der deutschsprachigen Ausgabe 2010 by blanvalet Verlag,
München, in der Verlagsgruppe random house Gmbh
Umschlagmotiv: © hildenDesign unter Verwendung einer
illustration von David Wyatt
Lektorat: holger Kappel
redaktion: Maike Claußnitzer
Satz: buch-Werkstatt Gmbh, bad Aibling
Druck und einband: GGP Media Gmbh, Pößneck
Printed in Germany
iSbn 978-3-442-26787-3
www.blanvalet.de
Sie war jetzt seit zehn Jahren halbwaise. ohne die Porträts an
den Wänden der burg hätte sie sich vielleicht nicht einmal mehr
an Königin ildas liebes Gesicht erinnert. ein beängstigender Gedanke,
ihre Mutter zweimal zu verlieren. War es ihr bestimmt,
auch ihre brüder zweimal zu verlieren? ranald und Simon waren
erst seit zwei Monaten tot, und zwischen Wachen und Schlafen
hörte sie noch immer ihre Stimmen. Sie hielt es für wahrscheinlich,
und nach ihnen würde sie ihren Vater zweimal verlieren. All
diese doppelten Verluste. Wo war Gott bei alledem? Schlief er?
War er gleichgültig?
Mama, die Jungen und jetzt der liebe Papa. Ich weiß, ich bin
die Jüngste, und das Gesetz der Natur verfügt, dass ich als Letzte
übrig bleiben werde ... aber nicht so früh! Hörst du mich, Gott?
Es ist zu früh!
Als spüre er ihre rebellion, hielt der ehrwürdige in seinem Perlengeklapper
und Geleier inne. »hoheit, der König wird wahrscheinlich
stundenlang schlafen. Vielleicht wäre eure Zeit besser
verbracht, wenn ihr beten würdet.«
Sie hätte gern gesagt: Ich denke, du betest genug für uns beide,
Ehrwürdiger Justin. Aber wenn sie das sagte, würde er es helfred
erzählen, ihrem persönlichen Kaplan, und der wiederum würde
es Prälat Marlan erzählen. Und Marlan würde nicht erfreut sein.
es war nicht klug, Marlan zu verärgern.
Also sagte sie innerlich kochend: »ich bete durchaus, ehrwürdiger
Justin. Jeder Atemzug, den ich mache, ist ein Gebet.«
Der ehrwürdige Justin nickte, auch wenn er nicht zur Gänze
überzeugt war. »bewundernswert, hoheit. Aber gewiss ist der
geziemende Platz für eure Gebete die burgkapelle.«
er mochte der höchstehrwürdige sein, aber es gebrach ihm
dennoch an Autorität, um der Tochter eines Königs befehle zu
erteilen. Sie schaute abermals auf das leichenartige Gesicht ihres
Vaters, dessen gelbsüchtige haut sich in Falten über fleischlo-
se Knochen legte, damit der ehrwürdige ihren Ärger nicht bemerkte.
Sie zwang sich zu einem ruhigen, freundlichen Tonfall,
an dem es nichts zu beanstanden geben würde. Sei eine Dame,
sei eine Dame, sei immer eine Dame.
»ich werde zu gegebener Zeit in die Kapelle gehen. Für den
Augenblick, ehrwürdiger Justin, weiß ich, dass Seine Majestät
Trost in meiner Gegenwart findet, auch wenn er schläft.«
Die Gebetsperlen des ehrwürdigen Justin klackerten hektisch.
er nahm sein Gemurmel dort wieder auf, wo er abgebrochen
hatte.
Auf seinem berg von Kissen regte ihr Vater sich. hinter papierdünnen
Lidern zuckten seine Augen rastlos hin und her. Der Puls
an seiner halsschlagader wurde schneller. »ranald«, murmelte er.
»ranald, mein Junge ... ich komme. ich komme.« Seine Stimme,
einst dunkel und weich wie Sirup und Seide, schnarrte wie
rostiger Draht. »ranald, mein braver Sohn ...« Sein Ausatmen
wurde zu einem Stöhnen.
eine Schale mit Wasser und ein weiches Tuch lagen griffbereit
auf dem nachttisch. Sanft befeuchtete rhian ihrem Vater die
Wangen und Lippen. »es ist alles gut, Papa. errege dich nicht.
ich bin hier. bitte, versuche, dich ein wenig auszuruhen.«
»ranald!«, sagte ihr Vater und öffnete die Augen. Augen, noch
vor so kurzer Zeit vom tiefsten blau, klar und rein wie ein Sommerhimmel,
jetzt trüb geworden, das Weiß darin gelb gefärbt
durch das Versagen der Leber. einen schrecklichen Moment lang
waren sie umwölkt, verwirrt. Dann erinnerte er sich an sie und
seufzte. »rhian. ich dachte, ich hätte ranald gehört.«
Sie ließ das Tuch wieder in die Schale fallen und ergriff von
neuem seine hand. Seine Finger fühlten sich so brüchig an.
Wenn sie sie zu fest hielt, würden sie durchbrechen. »ich weiß,
Papa. Du hast geträumt.«
eine einzelne Träne rann durch seinen grauen Stoppelbart.
»ich hätte ranald niemals mit Simon auf reisen gehen lassen
dürfen«, flüsterte er. »ich war selbstsüchtigerweise zu nachgiebig,
es war mir wichtiger, dass ranald mich liebte, als zu tun, was
das beste war, und jetzt sind sie tot. Mein erbe ist tot und sein
bruder mit ihm. ich habe das Königreich verraten.«
es war mittlerweile ein vertrauter refrain. rhian küsste seine
kalte hand. »Das ist Unsinn, Papa. Die Söhne eines jeden großen
Mannes gehen ins Ausland. Dein Vater hat dir die Welt nicht
verboten, obwohl du der erbe warst. Du hättest deinen Söhnen
dieses Abenteuer niemals verwehren können. ranald und Simon
hatten Pech, das ist alles. es ist nicht deine Schuld. Du hast dir
nichts vorzuwerfen.«
in der ecke klapperten die Perlen des ehrwürdigen Justin noch
lauter. Die Kirche missbilligte abergläubische Auffassungen wie
Pech. rhian bedachte den Mann mit einem warnenden blick.
ehrwürdig oder nicht, sie würde nicht zulassen, dass er ihren
Vater aufregte.
»rhian.«
»Ja, Papa?«
er versuchte, ihre Finger zu drücken. »Mein liebes Mädchen.
Was wird aus dir werden, wenn ich fort bin?«
Diese Frage konnte sie beantworten, aber nicht vor dem
höchstehrwürdigen Justin. nicht vor irgendjemandem, der ihre
Worte prompt helfred und Marlan hinterbringen würde.
»Pst, Papa«, sagte sie und strich mit der anderen hand über
sein dünn gewordenes haar. »ermüde dich nicht, indem du redest.«
Aber er war entschlossen, sich zu grämen. »ich hätte dafür sorgen
sollen, dass du dich verlobst, rhian. ich habe dir gegenüber
versagt, wie ich deinen brüdern gegenüber versagt habe.«
ein einzelner name läutete wie eine Glocke in ihrem herzen.
Alasdair. Aber es hatte keinen Sinn, an ihn zu denken. er war in
das herzogtum Linfoi und zu seinem eigenen kränklichen Vater
zurückgekehrt ... und außerdem war es ihr bisher nicht ein
mal in Ansätzen gelungen, den König ihm gegenüber milder zu stimmen.
»Papa, Papa, errege dich nicht«, murmelte sie besänftigend.
»Du brauchst ruhe. Gott wird sich um mich kümmern.« ein
weiterer blick, über ihre Schulter. »ist das nicht so, ehrwürdiger
Justin?«
Widerstrebend nickte er. »Gott kümmert sich um all seine Kinder,
in dem Maße, wie sie es verdienen.«
»na bitte«, sagte sie. »Siehst du? Der ehrwürdige Justin gibt
mir recht.« Dann fügte sie, noch während sie heiße Tränen aufsteigen
fühlte, hinzu: »Wie dem auch sei, du gehst nirgendwohin.
hörst du mich, Papa? Du wirst wieder gesund werden.«
er lächelte, ein verzerrtes Lächeln jetzt, da sich ihm die Zähne
im Zahnfleisch gelockert hatten und lose klapperten. »ich
war während meines ganzen Lebens nicht der ehrerbietigste aller
Männer. Aber selbst ich weiß, rhian, dass Gott tut, was Gott will.
ich werde gehen, wenn ich gerufen werde, und nicht einmal du,
mein herrisches kleines biest, kannst verfügen, dass ich bleibe.«
Mein herrisches kleines Biest. es war eines der Koseworte ihres
Vaters für sie. Sie hatte es seit sehr, sehr langer Zeit nicht mehr
von ihm gehört. »Ja, Papa«, sagte sie und küsste abermals seine
kalten Finger.
Kurz danach schlummerte er wieder ein. ohne auf den höchst-
ehrwürdigen Justin und seine vielsagenden Seufzer zu achten,
hielt sie die zerbrechliche hand ihres Vaters und versuchte, trotzig
im Angesicht der offenkundigen entscheidung Gottes, ihn
dazu zu zwingen, zu leben, zu leben, zu leben.
es war ein kleiner raum, der noch kleiner gemacht wurde durch
eine Überfülle parfümierter und gepuderter Damen, rundlich
von Tellern voller gezuckerter Kuchen und sahniger, in feinen
Porzellantassen servierter Trinkschokolade. Taft und Satin raschelten,
Musselin rauschte, und Seide seufzte, während sie sich
lachend und kreischend wie Kinder um Puppen, Spielzeugbären,
Stoffferkel, Miezekatzen, hölzerne bogenschützen, bemalte Marionetten,
blechpfeifen und alle möglichen anderen Dinge kabbelten,
die der Spielzeugmacher ihnen zu ihrem entzücken zur
begutachtung vorlegte.
Gräfin Dester, ehefrau des ratssekretärs Graf Dester, stocherte
ungeduldig mit einem juwelengeschmückten Finger in dem
Durcheinander von Spielzeugen auf ihrem Schoß und seufzte.
»Meine Güte, Jonink, ich weiß es einfach nicht. ich meine, sie sind
alle entzückend, nicht wahr? ihr macht es mir so schwer, mich zu
entscheiden. Und barmherziger, wenn ich nicht genau das richtige
Spielzeug auswähle, nun, dann wird die kleine Astaria wahrscheinlich
tagelang schmollen, gesegnet sei ihr geliebtes herz.
Meine Süße ist so eigen, wenn es um ihr Spielzeug geht ...«
Friemelsam Jonink, königlich bestallter Spielzeugmacher,
knirschte hinter seinem Lächeln mit den Zähnen. Was sollte man
dazu sagen? Die kleine Astaria würde jeder Puppe, die sie bekam,
binnen fünf Minuten den Kopf abgerissen haben, und dann
würde er die Puppe wieder reparieren müssen, ohne dass man
die nahtstellen sah, und wie sehr er sich auch bemühte und wie
perfekt die reparatur auch ausfiel, die kleine Astaria würde kreischen,
dass sie nicht dieselbe sei, Mama, nein, das sei sie nicht, also
bitte schön, sie wollte ein neues Püppchen ... und Mama würde
sie küssen und liebkosen und ihr ein neues Püppchen kaufen ...
und so würde alles wieder von vorn anfangen.
Da wurde eine Aristokratin wie nur irgendeine herangezogen,
Gott segne sie und jeden anderen verwöhnten Liebling im Königreich
... denn wer sonst sorgte dafür, dass ein bescheidener
Spielzeugmacher ein Dach über dem Kopf hatte?
Gräfin Dester seufzte, so dass ihre rougebedeckten Wangen erbebten,
und bedachte den sie umschwirrenden Schwarm niederrangiger
hofdamen mit einem kalten blick aus grauen Augen.
Die Frauen hatten sich mit ihr zusammengefunden, um Spielzeu-
ge für ihre Söhne und Töchter, nichten und neffen oder brüder
und Schwestern und blumenkinder zu kaufen. Sie zupfte ein spitzengesäumtes
Taschentuch aus ihrem beträchtlichen Dekolletee
und wedelte damit in richtung der anderen Frauen.
»Marja, oh, Marja, Liebes! Kommt her und helft mir bei der
entscheidung!«
Friemelsam, der eine vollkommen ausdruckslose Miene beibehielt,
beobachtete, wie Gräfin braben die Lippen zusammenkniff
und die Augen verdrehte, sichtlich verärgert, bevor sie sich um
die eigene Achse drehte und sich wie geheißen zu Gräfin Dester
gesellte. ihr Gemahl, Graf braben, war bloß Anwärter des Königlichen
rats, daher empfahl es sich nicht, Gräfin Dester vor
den Kopf zu stoßen. Gräfin braben war vieles, aber bestimmt
nicht dumm. Sie hatte sich binnen drei Minuten für eine bemalte
holzpuppe und ein Puppen-Teeservice entschieden.
Mit einem raschen Seitenblick auf ihn beugte sie sich emsig
über Gräfin Dester. »Ja, Violetta, Liebes?«
Violetta, Liebes, drückte Gräfin braben einen Armvoll Puppen,
Plüschbären, Marionetten und rasseln in die hand. »Wählt ein
Spielzeug aus, Marja, ich bitte euch! Wenn es Astaria dann nicht
gefällt, kann ich sagen, es sei eure Schuld, und sie wird es nicht
an mir auslassen.«
»ich fühle mich geehrt«, murmelte Gräfin braben, während sie
die Spielsachen an sich drückte.
»Das solltet ihr auch«, gab Gräfin Dester zurück. »Die kleine
Astaria ist ...«
»Guten Tag«, erklang hinter ihnen eine kühle, beherrschte
Stimme.
Gräfin Dester wand sich auf ihrem hocker, sah, wer eingetreten
war, und stieß ein vornehmes kleines Kreischen aus. »euer
hoheit! Meine Güte, was für eine ehre!« Die verbliebenen Puppen,
Plüschbären, Marionetten und rasseln auf ihrem Schoß stoben
zur Decke empor, als sie aufsprang.
immer noch lächelnd - nach einer Weile verfestigte sich der
Gesichtsausdruck wie Marzipan - eilte Friemelsam, die Arme
weit ausgebreitet, herbei, um seine kostbare Ware aufzufangen.
Mit der Spitze eines Stiefels verfing er sich unter der Kante eines
handgewebten icthianischen Teppichs und fiel der Länge nach,
Teddybären an die brust gedrückt, der einzigen Tochter des Königs
zu Füßen.
Sie zog eine Augenbraue hoch. »Wirklich, Jonink. Der Fußfall
ist für die begrüßung Seiner Majestät reserviert. ein einfaches:
›Guten Tag, euer hoheit‹ hätte genügt.«
Mit einem Ächzen hievte Friemelsam sich auf die Knie und
streckte die hand aus. »Guten Tag, euer hoheit«, wiederholte
er gehorsam. »interesse an einer rassel?«
Prinzessin rhian lächelte, ein kläglicher Ausdruck der erheiterung.
Dann streckte sie eine schlanke, sonnengebräunte hand
aus, ergriff rassel und Finger und zog ihn geschickt auf die Füße.
»ihr seid ein frecher Schuft, Friemelsam Jonink.«
»ich weiß, hoheit«, pflichtete er ihr bei. »ich könnte schwören,
dass ihr mich genau aus dem Grunde mögt.«
Sie funkelte ihn in gespielter entrüstung an und ließ seine
hand los. »Und welcher irregeleitete narr hat euch das auf die
nase gebunden?«
Jetzt war sein Lächeln aufrichtig. »eine königliche närrin, mit
haaren wie Mitternacht, Augen wie Saphire und einem Lachen,
das die Singvögel beschämt.«
»Dann war sie in der Tat eine närrin, einen so schmeichlerischen
Spitzbuben wie euch zu ermutigen«, versetzte die Prinzessin
und wandte sich dann an Gräfin Dester. »Violetta, ihr wirkt
erregt. Kann ich helfen?«
Gräfin Dester errötete und lachte affektiert. »nun, meine Güte,
euer hoheit, ich meine, zumindest, es ist nur so, dass ...«
Trocken warf Gräfin braben ein: »Gräfin Dester hat ein wenig
Mühe, ein Geschenk für Astaria auszuwählen, hoheit.«
Die Prinzessin nickte. »ich verstehe. Und wie geht es meiner
blumentochter, Violetta? ich gestehe, ich habe in den letzten
Wochen meine ehrenkinder vernachlässigt.«
Sie hatte den König gepflegt. Friemelsam, der seine Waren neu
geordnet und die beschädigten Stücke weit nach hinten geschoben
hatte, blickte auf. »ich hoffe, Seiner Majestät geht es besser,
euer hoheit?«
Augenblicklich herrschte Schweigen in dem parfümgeschwängerten
raum, jede Spur der frenetischen Sorglosigkeit erstickt
von den Schatten randals und Simons, ethreas toter Prinzen,
der toten brüder dieser jungen Frau. Der hof und das Königreich
waren offiziell nicht mehr in Trauer, sondern entschlossen,
Kummer und entsetzen beiseitezuschieben. Zusammenkünfte
wie diese kleine Spielzeugmesse täuschten vor, dass alles in ordnung
sei ... und alle glaubten es, zumindest für eine Weile.
bis so ein narr von einem Spielzeugmacher die Stimmung mit
unglücklichen Fragen verdarb.
in der einstudierten Miene der Prinzessin regte sich nichts,
aber Friemelsam dachte, er kenne sie gut genug, um hinter die
königliche Maske zu blicken. »es geht ihm ein wenig besser, Jonink
«, sagte sie mit tonlos. »Danke der nachfrage.«
oje. Also stand es sehr schlimm um den König. ohne auf die
wütenden blicke der höfischen Damen zu achten, fuhr er fort:
»Wenn ihr mir vergeben wollt, dass ich es erwähne, ich habe eine
Freundin, eine exzellente Ärztin und eine großartige Frau. es
wäre mir ein großes Vergnügen ...«
bevor er seinen Satz beenden konnte, hatte Gräfin Dester sich
bereits auf ihn gestürzt. »Jonink, ihr vergesst euch! ihr solltet
euch eurer Stellung bewusst sein und euch damit bescheiden,
wenn ihr so freundlich sein wollt! Mein Mann, Graf Dester, hat
den bader empfohlen, der Tag und nacht bemüht ist, Seiner Majestät
Leiden zu lindern! Wenn bader Ardel ein heilmittel nicht
verschreibt, dann könnt ihr gewiss sein, dass es auch keinen Pfif-
ferling wert ist!« Und sie tat alle nicht von Ardel empfohlenen
heilmittel mit einem Fingerschnippen ab.
Friemelsam verbeugte sich mit verkniffenen Lippen. »ich bitte
um entschuldigung, meine Dame. es lag lediglich in meiner
Absicht ...«
Gräfin Dester wandte ihm den rücken zu. »nun, euer hoheit,
was eure überaus huldvolle nachfrage nach der lieben kleinen
Astaria angeht, sie erblüht mit jedem Tag mehr. ein überaus
schönes Kind, auch wenn ich das selbst sage, mir selbst in diesem
Alter wie aus dem Gesicht geschnitten ...«
Friemelsam riskierte einen schnellen blickwechsel mit Gräfin
braben. ihre Lippen zuckten, genau einmal. ein Augenlid flackerte.
ihr war am Gesicht abzulesen, dass sie dasselbe dachte wie
er: was für eine Zukunft der lieben Astaria bevorstand.
Gräfin Dester bekam nichts davon mit. Sie plapperte immer
weiter und weiter, Astaria habe dies gesagt, Astaria habe jenes
getan, und euer hoheit würden nicht für möglich halten, was
das kleine Püppchen gerade heute Morgen erst getan habe ...
Friemelsam, dem nichts anderes übrig blieb, als aufmerksam
dazustehen und an den richtigen Stellen zu nicken, ließ den blick
dreist auf dem Gesicht der Prinzessin verweilen. Sie wirkte ausgezehrt,
mit Schatten wie Zwielicht unter den herrlichen Augen
und allzu tiefen höhlen, als ihrer Schönheit guttat, unter den
hohen Wangenknochen. ihr exquisites Kleid aus blaugoldenem
Seidenbrokat saß ihr um die Taille zu locker. Sie stand hoch aufgerichtet
und gerade da wie eine junge Kiefer, aber ihr ganzer
Körper verriet Anspannung, und ihr Antlitz zeigte das Wispern
eines Stirnrunzelns.
Oje, oje. Es sieht eindeutig schlimm aus.
» ... und erst letzte Woche, euer hoheit, wenn ihr das glauben
könnt, hat das süße kleine Ding die Tür zum Taubenschlag
aufbekommen und alle Vögel herausgelassen!«, zwitscherte Gräfin
Dester. »Ach, was hatte der Taubenmeister für eine Arbeit, sie
zurückzuholen, denn er wusste schließlich, dass die Kosten eines
jeden Vogels, über dessen Verbleib er keine rechenschaft ablegen
kann, von seinem Gehalt abgezogen werden! oh, was haben wir
gelacht, die kleine Astaria und ich!«
»ein erheiterndes Kunststückchen, liebe Violetta«, pflichtete
die Prinzessin ihr bei. »Und jetzt denke ich, habe ich eine Lösung
für euer Dilemma. Warum schenkt ihr der süßen kleinen
Astaria nicht alle Spielzeuge? ich meine, diejenigen, auf die noch
niemand anderes Anspruch erhoben hat.«
Gräfin Dester stutzte. »Alle, euer hoheit?«
»Denkt nur, wie begeistert sie sein wird, wenn sie weiß, dass
sie die großzügigste Mama im ganzen Königreich hat«, sagte die
Prinzessin ernsthaft. »Wenn sie diese wunderschönen Puppen
und Spielzeuge sieht und herausfindet, dass jede einzelne für sie
bestimmt ist, werdet ihr gewiss ein Lächeln sehen, das breit genug
ist, um die Monde zu verschlucken.«
Friemelsam trat vor. »natürlich mit einem großzügigen Preisnachlass,
euer hochgeboren, um meine Dankbarkeit für euren
Kauf zu zeigen.«
Gräfin Dester kniff die Augen zusammen. »Wie großzügig?«
er schluckte. »Zwanzig Prozent?«
»Dreißig.«
»Fünfundzwanzig?«
Gräfin Dester öffnete den Mund, um einwände zu erheben,
fing jedoch den blick der Prinzessin auf und schnaubte stattdessen.
»Also schön. Fünfundzwanzig. Follit! her zu mir!«
Während Gräfin Desters Page dem ruf Folge leistete, sagte
Prinzessin rhian: »Meine Damen, es war mir ein Vergnügen, ein
wenig Zeit in eurer Gesellschaft zu verbringen, aber ich fürchte,
ich muss jetzt zum König zurückkehren. bitte, setzt eure einkäufe
fort und übermittelt euren Familien meinen Gruß und
meine aufrichtige Zuneigung.« Sie nahm die Knickse der Damen
mit einem Lächeln zur Kenntnis und zog sich zurück.
Friemelsam sah ihr stirnrunzelnd nach, dann entschuldigte er
sich bei Gräfin Dester. »einen Augenblick, euer hochgeboren,
ich habe da etwas vergessen ...«
Gräfin Dester stieß einen ungläubigen Laut aus. Friemelsam
stellte sich taub, schlüpfte durch das Gedränge parfümierter
Frauen und trat durch die offene Tür in den Flur hinaus. »euer
hoheit!«
Die Prinzessin, die gerade um eine ecke biegen wollte, zögerte.
»Jonink? ist etwas passiert?«
er holte sie mit fünf schnellen Schritten ein, dann machte er
eine schnelle Verbeugung. »nicht bei mir, hoheit. ich wollte nur
sagen, hm, vielen Dank.«
Sie zuckte die Achseln. »es gab keine notwendigkeit für Gräfin
Dester, so unhöflich zu sein. ihr habt nur versucht zu helfen.
Gott weiß, dass Seine Majestät alle hilfe gebrauchen kann, die
er bekommen kann.«
er widerstand dem Drang, ihren Arm zu tätscheln. »Mir war
es ernst mit dem, was ich gesagt habe, hoheit. Ursa ist eine hervorragende
baderin, die beste, die mir je begegnet ist. ich bin
davon überzeugt, dass sie helfen könnte. Sie könnte zumindest
den Schmerz des Königs lindern, da bin ich mir gewiss.«
»Wenn ihr das sagt, Jonink, dann habe ich keinen Zweifel daran,
dass es der Wahrheit entspricht. Aber ich fürchte, ganz so
einfach wird es nicht sein.«
»Graf Dester«, bemerkte er und verzog das Gesicht. »natürlich.
ich verstehe.«
Sie legte den Kopf schief, während sie ihn betrachtete. »Das
glaube ich euch sofort«, erwiderte sie schließlich. »ihr versteht
für einen einfachen Spielzeugmacher eine Menge von höfischer
Politik, finde ich.«
»Für einen einfachen Spielzeugmacher, der, seit er groß genug
war, um die Werkzeugtasche seines Vaters zu halten, an diesem
hof ein und aus gegangen ist«, stellte er fest. »ich müsste
schon erheblich tauber, dümmer und blinder sein, als ich es bin,
um nicht zu erkennen, wie die Dinge hier stehen, euer hoheit.«
ihr flüchtiges Lächeln war bekümmert. »Ja, das kann ich mir
vorstellen.«
Sie machte Anstalten, sich umzudrehen, aber er konnte es nicht
dabei bewenden lassen. Das arme Mädchen war zutiefst unglücklich
und offenkundig beinahe am ende ihrer Kräfte. Sie stand
ganz allein auf der Welt, beinahe allein, und brauchte dringend
hilfe.
»Wirklich, hoheit, lasst mich zumindest mit Ursa sprechen«,
sagte er schmeichelnd. »Sie hat viel erfahrung mit Fieberkrankheiten
und Ausflüssen. Sie könnte einen kleinen Trank mit ein
wenig Milch und Wein und einigen Kräutern zubereiten und ihn
mir dann geben, und ich könnte ...«
»ihr ändert euch nie, hm?«, fragte die Prinzessin. »Seit ich
denken kann, habt ihr die zerbrochenen Dinge in meinem Leben
repariert. erinnert ihr euch an dieses gescheckte graue Schaukelpferd,
das ich zu Schanden geritten habe? Das Schaukelpferd,
das ich von Simon geerbt habe, der es seinerseits von ranald geerbt
hatte? Dreimal habt ihr es geflickt, bis wir uns eingestehen
mussten, dass das arme alte Ding zu seiner letzten Schlacht getänzelt
war.« Die zuneigungsvolle erheiterung erstarb in ihren
Zügen, und ihr Gesicht wirkte bleich und weit älter als die neunzehn
Jahre, die sie zählte. »erinnert ihr euch, was ihr mir gesagt
habt, als ich ein Kind von sieben Jahren war und ihr mich auf
eurem Schoß habt sitzen und weinen lassen? ihr sagtet: ›Kleine
Prinzessin, bekümmert euch nicht. Das alte Pferd hatte ein gutes
Leben und ein langes obendrein, und alle Dinge müssen früher
oder später zu Staub werden.‹« Plötzlich waren die strahlend
blauen Augen voller Tränen, und ihre Lippen zitterten.
Durch die nahe offene Tür wehte ein schriller, streitlustiger
ruf. »Jonink? Jonink! Kommt auf der Stelle zurück, Jonink!«
Die Prinzessin holte bebend Atem und fuhr sich mit der hand
übers Gesicht. »Man verlangt nach euch, Jonink, und auch ich
werde andernorts gebraucht. ich werde eure freundlichen Gedanken
an den König weiterleiten. er wird gerührt sein zu erfahren,
welchen Anteil sein Volk an seinem Wohlergehen nimmt.«
impulsiv schloss sie eine hand um seinen Unterarm. »ich danke
euch, Friemelsam. ihr seid ein lieber, wahrer Freund.«
Und sie war fort, entfernte sich mit langen, schnellen Schritten,
die nur geringfügig durch ihr Kleid behindert wurden. Friemelsam
blickte ihr nach, bis sie außer Sicht war, und seine eigene
Trauer um die toten Prinzen erwachte von neuem.
Armes Mädchen. Was für eine Bürde sie trägt. Die Menschen beobachten
sie auf Schritt und Tritt. Tuscheln hinter ihrem Rücken.
Tuscheln, bevor sie eintritt. Analysieren ihr Leben, noch während
sie es lebt.
natürlich würde sich wahrscheinlich alles zum Guten wenden.
höchstwahrscheinlich würde der daniederliegende König sich
erholen. bader leisteten heutzutage erstaunliches. Der König
musste sich erholen, ethrea war noch nicht bereit, ihn zu verlieren.
Durch den vorzeitigen Verlust von ranald und Simon gab es
keinen Prinzen, der darauf wartete, den Thron zu besteigen. Da
war nur Prinzessin rhian. Die noch nicht einmal ihre Volljährigkeit
erreicht hatte und obendrein ein Mädchen war. ethrea war
noch nie von einer Frau regiert worden ... und es gab Personen,
die fanden, dass dies auch niemals geschehen solle.
Zum Beispiel Prälat Marlan. Seine Ansichten über Frauen sind,
gelinde gesagt, streng.
ein kalter Schauder überlief ihn. Sollte König eberg ohne einen
männlichen erben sterben, konnte daraus nur elend erwachsen.
ethreas Vergangenheit war ein bildteppich aus Verrat und
blutvergießen, geboren aus dem verzweifelten Streben von sechs
herzogtümern, die herrschaft über das ganze Land zu erringen.
Am ende war das herzogtum Fyndel siegreich aus den Kämpfen
hervorgegangen und in Königspfalz umbenannt worden. Frie-
de war eingekehrt, und für mehr als dreihundert Jahre hatte das
Flickwerk der Grenzen der fünf geringeren Fürstentümer einigermaßen
gehalten. Aber was für ein Chaos würde es geben, falls
Eberg starb. Alle Länder, die an Ethrea interessiert waren, würden
wie ein mörderischer Krähenschwarm über uns herfallen ...
Friemelsams herz begann zu hämmern. Wenn der König wieder
gesund wurde, konnte er sich eine neue Frau suchen und einen
Sohn zeugen, um die beiden zu ersetzen, die viel zu früh
gestorben waren. eberg war nicht alt, nur drei Jahre älter als er
selbst. er hatte gerade erst die mittleren Jahre erreicht. Gewiss
hatte der König noch Dutzende von Söhnen in sich. Wenn es zum
Schlimmsten käme und er starb, bevor dieser hypothetische Sohn
achtzehn wurde, nun, dann würde es eine regentschaft geben,
aber so etwas konnte man überstehen. einen König in Windeln
konnte man überstehen. Aber welches Königreich konnte ganz
ohne König auskommen?
Hör auf, dir selbst Angst zu machen, Jonink. Seine Majestät wird
wieder gesund.
Gräfin Dester erschien in der offenen Tür. »Jonink! Was macht
ihr nur hier? Muss ich euch daran erinnern, wer ich bin?«
»nein, euer hochwohlgeboren!«, sagte Friemelsam. »Meine
aufrichtige entschuldigung. ich komme sofort!« Und er entfloh
seinen traurigen Gedanken, als jagten sie ihn mit gesträubten nackenhaaren
und gebleckten Zähnen.
Während der Sturm von Gräfin Desters Missvergnügen ihn
umtoste, nickte er und entschuldigte sich und verneigte sich und
packte ihre einkäufe ein, dann widmete er sich den Dingen, die
andere hofdamen erstanden hatten. Als er fertig war und endlich
allein, gestattete er sich einen Augenblick, um sich niederzusetzen
und zu seufzen und voller Freude seine mit Münzen
gefüllte börse anzuheben.
»Selbst mit diesem empörenden Preisnachlass kein schlechtes
Tagewerk, meine Liebste«, bemerkte er, an die Luft gewandt.
© Der deutschsprachigen Ausgabe 2010 by blanvalet Verlag,
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Autoren-Porträt von Karen Miller
Karen Miller wurde in Vancouver, Kanada, geboren und zog schon im Alter von zwei Jahren nach Australien. Sie arbeitete in den verschiedensten Berufen, unter anderem als Pferdezüchterin in England. Karen Miller lebt in Sydney und widmet sich ganz dem Schreiben.
Bibliographische Angaben
- Autor: Karen Miller
- 2011, 796 Seiten, Maße: 13,5 x 20,7 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzung: Link, Michaela
- Übersetzer: Michaela Link
- Verlag: Blanvalet
- ISBN-10: 3442267870
- ISBN-13: 9783442267873
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