Goethes Malerin
Die Erinnerungen der Louise Seidler
Louise Seidler nutzte die Chance, die ihr das geistig aufgeschlossene Weimarer Umfeld bot. Sie arbeitete zielstrebig an ihrer Ausbildung und baute sich in Weimar, Dresden, München und Rom die nötigen Kontakte auf. Mehrfache Stipendien, Aufträge und Ankäufe...
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Produktinformationen zu „Goethes Malerin “
Klappentext zu „Goethes Malerin “
Louise Seidler nutzte die Chance, die ihr das geistig aufgeschlossene Weimarer Umfeld bot. Sie arbeitete zielstrebig an ihrer Ausbildung und baute sich in Weimar, Dresden, München und Rom die nötigen Kontakte auf. Mehrfache Stipendien, Aufträge und Ankäufe durch die regierenden Herzöge und durch Goethe ermöglichten ihr u. a. einen jahrelangen Aufenthalt im "Wunderland" Italien. Nach der Rückkehr war sie Zeichenlehrerin der Weimarer Prinzessinnen Marie und Augusta und wurde zur Kustodin der großherzoglichen Gemäldesammlung berufen. Goethe schätzte ihr unkompliziertes Wesen und ihren praktischen Sinn und unterstütze sie auf vielfache Weise.Seidlers unterhaltsame "Erinnerungen" wurden auf Grund der detailreichen Schilderungen von Menschen, Orten und Ereignisse zu einer hervorragenden Quelle und einem aufschlußreichen Zeitzeugnis. Ihre Popularität verdanken sie dem liebenswürdigen Charakter dieser unkonventionellen Frau und Künstlerin. Der hervorragend recherchierte Kommentar der Herausgeberin ist für Klassikforscher wie Kunsthistoriker aufschlußreich.
Daß sich eine unverheiratete Frau als professionelle Malerin durchsetzte, war im 19. Jahrhundert etwas Außergewöhnliches. Integriert in den Goethe-Kreis wie in die Dresdner Gruppe der romantischen Maler und die Künstlerkolonie in Rom, arbeitete Louise Seidler (1786-1866) zielstrebig an ihrer künstlerischen Ausbildung. Höhepunkt ihrer unterhaltsamen Schilderungen sind die Erinnerungen an Italien, wo sie sich fünf Jahre aufhielt. Fern aller Stilisierung vermittelt sie ein individuelles Bild der Großen ihrer Zeit wie Goethe, Thorvaldsen, Caspar David Friedrich, Schelling und Schlegel.
Louise Seidlers "Erinnerungen" sind neben den "Jugenderinnerungen eines alten Mannes" von Wilhelm von Kügelgen die populärste Künstlerautobiographie des 19. Jahrhunderts. Fontane schätzte ihre vorzüglichen Schilderungen: "das ist Selbsterlebtes, mit eignen Sinnen Gehörtes und Gesehenes".
Lese-Probe zu „Goethes Malerin “
Aus meiner Confirmationszeit erinnere ich mich übrigens lebhaft eines tragikomischen Ereignisses. Die Wohnung des ehrwürdigen Superintendenten, welcher uns zum heiligen Abendmahl vorbereiten sollte, lag dem Stadtgraben gegenüber, wo die liebe Straßenjugend ihre fröhlichen Spiele zu treiben pflegte. Besonders in dieser Winterszeit, da der Graben tüchtig gefroren war, hatte das Glitschen kein Ende. Mit heimlichem Neide schaute ich diesen von der ernsten Großmutter mir bisher streng verboten gewesenen Belustigungen zu; für mein Leben gern hätte auch ich meine Geschicklichkeit auf dem blanken Eise erprobt. Aber ich schämte mich doch zu sehr - bis eines Tages Auguste Böhmer, der ich mein tiefes Sehnen zugleich mit meinen Bedenken mittheilte, letztere leicht hinwegzuscherzen wußte. Ich unternahm das nie Gewagte und eilte auf die glatte Eisbahn, jedoch ungeübt wie ich war, fiel ich Hochaufgeschossene der Länge nach zu Boden, Bibel, Gesangbuch und Katechismus flogen umher. Als ich, dunkelroth vor Scham, mich wieder aufgerafft hatte, sah ich zu meinem Schrecken den ernsten Lehrer am Fenster stehen, der in starrer Verwunderung beide Hände über dem Kopfe zusammenschlug. Nachdem ich confirmirt worden war, verließ ich meine Vaterstadt und ging nach Gotha in die Pension. Ein guter Geist herrschte in der Stielerschen Anstalt; kindliche Genügsamkeit und Frohsinn machten uns alle Pflichten leicht. Während mein Verstand hier in allem Wissenswerthen reiche Nahrung fand, schloß mein Herz sich einigen Gefährtinnen in warmer Jugendfreundschaft an. Die Tochter des Dichters Gotter, Pauline, ein anmuthiges feines Mädchen, welches man seines aparten Wesens halber "das Prinzeßchen" nannte, zog mich besonders an; noch inniger vertraut wurde ich mit Lottchen Stieler, der jugendlichen Schwägerin der Pensionsvorsteherin, welche mir in der Musik Vorbild und Lehrerin wurde, und zu der sich bis in die späteste Zeit ein dauerndes, herzliches Verhältniß gestaltete. Im letzten Jahre meines Aufenthaltes
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in der Anstalt fesselte mich - wie gewiß Jeden, mit dem sie in Berührung kam - eine neue Pensionärin: die bildschöne Fanny Caspers. Diese wurde von ihrem reichen Bräutigam der Institutsvorsteherin Ostern 1802 auf ein Jahr übergeben, damit sie sich an ein geregeltes Leben gewöhnen und wirthschaftliche Kenntisse erwerben sollte. Nach Ablauf dieser Frist wollte er Fanny zum Altar führen.
Begegnung mit Goethe in Dresden.
Eines Morgens, während ich auf der Gallerie arbeitete, erscholl die Kunde: "Er ist da! Er ist auf der Gallerie!" "Ich habe ihn gesehen," rief Frommann, "ich habe ihn gesprochen, er ist in bester Laune!" Die Schwägerin meinte: "Ich weiß nicht, ob es nöthig ist, ihm entgegenzugehen; ich denke, wir warten ihn hier ab." Diese Meinung drang durch. Aber als die imponirende Gestalt des Dichterfürsten, der trotz seiner einundsechszig Jahre in voller männlicher Schönheit strahlte, am äußersten Ende der Gallerie sichtbar wurde, da flog sie ihm doch schnell entgegen. Ich blieb allein, überrascht, verdutzt zurück. In kindischer Verlegenheit darüber, daß mir der Moment entschlüpft war, ihn auch sogleich zu begrüßen, flüchtete ich mich in eine Fenstervertiefung. Hier hörte ich, wie Goethe näher kam und an meiner Staffelei stehen blieb. "Das ist ja eine allerliebste Arbeit, diese heilige Cäcilia nach Carlo Dolce!" hörte ich ihn sagen; "wer hat sie gemacht?" Man nannte ihm meinen Namen; als er ihn erfahren hatte, schaute er um die Ecke und sah mich in meinem Versteck stehen. Ich fühlte das Blut in meine Wangen steigen, als er mir liebreich die Hand bot. In väterlich-wohlwollendem Tone drückte er seine Freude aus, mir hier zu begegnen, und ein Talent, von welchem er früher nie etwas gewußt, an mir zu finden. "Wo wohnen Sie, mein Kind?" fragte er weiter. "In der Ostra-Allee, neben dem botanischen Garten", erwiderte ich. "Da werde ich Sie besuchen; wir wollen zusammen den botanischen Garten besehen und diese herrlichen Augustabende recht genießen. Auch kann ich Ihnen noch manches zeigen; es giebt Privatsammlungen hier, die Sie gewiß noch nicht kennen. Nur wünschte ich nicht, daß davon gesprochen wird," fügte er hinzu. Wie beglückt war ich durch diese unerwartete Güte! Als meine Nachbarin bemerkte, daß Goethe später oft in der Gallerie auf- und niederwandelte und mit mir über Gemälde sprach, bat sie mich, ihn gelegentlich über die Bedeutung einer Schnecke zu fragen, welche im Vordergrunde einer uns gegenüberhängenden "Verkündigung" von Mantegna angebracht war. Ich benutzte einen günstigen Augenblick dazu, als der Dichter am nächsten Morgen, wie gewöhnlich, die Gallerie besuchte. "Diese Schnecke ist ein Zierrath, meine Freundin, welchen die Laune des Malers hier angebracht hat! (Ich hole Sie heute mit dem Wagen ab, wir fahren zusammen spazieren)", flüsterte er mir dazwischen in aller Schnelligkeit zu; dann fuhr er in seinem vorigen Tone fort: "Die Maler haben oft solche Phantasieen und Einfälle, denen nicht immer eine tiefere Beziehung zum Grunde liegt." Er beendete nun seine Belehrung, als sei jene Einschaltung gar nicht gemacht worden. Gegen Abend kam wirklich der Wagen. Goethe und Seebeck saßen darin; wir fuhren an dem herrlichen Augustabend durch Dresdens reizende Umgegend. So geschah es mehrmals; ich erlebte köstlichste Stunden. "Wo mag er nur die Abende zubringen?" hörte ich oft die Freunde fragen, "Riemer weiß auch nichts davon!" Ich hütete mich natürlich, zu plaudern und meinem Versprechen untreu zu werden; als armes, keineswegs immer willkommen geheißenes Anhängsel so mancher gesellschaftlichen Vergnügung fand ich im Gegenteil eine Art von stolzem Behagen daran, von dem allverehrten Manne im Stillen so begünstigt zu sein.
Abschied von Rom.Am Johannisfeste 1823, drei Tage vor meiner Abreise, verabredete ich mit den nächsten Freunden einen letzten Spaziergang nach der Villa Poniatowski. Philipp Veit hatte leider mit Frau und Kind Rom bereits verlassen, um den Sommer in Tivoli zuzubringen; ihm hatte ich schon das allerschmerzlichste Lebewohl gesagt. Andere Kunstgenossen und Freunde begleiteten mich aber nach jener Villa. Der Abend war wunderschön, die herrliche Aussicht wurde durch die scheidende Sonne vergoldet, deren Untergang mir nie so majestätisch erschienen war, wie diesmal. Lange war ich träumerisch in den Anblick des herrlichen Naturschauspiels versunken, entzückt und doch schmerzvoll den Abschied vorempfindend. Da erhob der heitere Maler Catel, welcher mit von der Partie war, die Stimme und unterbrach das feierliche Schweigen mit dem Ausrufe: "Laßt uns doch noch einen Salat und Eier in der nahe gelegenen Osteria >Zum Papa Giulio" genießen!< - Gesagt, gethan. Aber wie wurde ich überrascht! Am Fuße der Treppe, welche zu dem vorgenannten Gesellschaftslocale führte, stand der Maler Remy aus Berlin, bot mir den Arm und bat mich im Namen mehrerer Freunde um die Erlaubniß, den Abend nach Sitte der männlichen Kunstgenossen feiern zu dürfen. Gleichzeitig öffnete sich die Thür, und eine lange, sauber gedeckte, mit Blumen geschmückte Tafel zeigte sich meinen erstaunten Blicken, fünfunddreißig mir besonders befreundete und hoch von mir verehrte Künstler waren um dieselbe versammelt. Ein fröhlicher Gruß schallte mir von ihren Lippen entgegen, und vor einem prachtvollen Kranze erhielt ich meinen Platz; mein Sessel war mit Blumen umwunden und auf meinem Teller lag ein dichter Lorbeerkranz mit einem Gedichte von Auguste Klein, welches also begann: "Bei diesem Kranz gedenk' der röm'schen Zeiten Wenn rauh und kalt des Nordens Lüfte weh'n; Der Lorbeer soll in's Studium Dich begleiten Von schlankem Stamm auf kapitol'schen Höh'n, Und Freude, denk' ich, soll er Dir bereiten Wenn deutsche Freunde horchend um Dich steh'n; Dann werden tausend Bilder Dich umschweben, Und in die Blätter dringt ein neues Leben!" Der Orvieto kreiste zu den schmackhaften Speisen, und alle Lieder, welche sonst den abreisenden Künstlern zu Ehren gesungen wurden, erschallten nun abgeändert für die "reisende Maid" in frischen, wehmüthig-fröhlichen Klängen. Es waren herrliche, erhebende Stunden, welche ich genoß; mir zur Rechten saß der würdige Prediger Schmieder, zu meiner Linken der stets muntere Catel, Freunde und Freundinnen reihten sich diesen an. Um Mitternacht endete das für mich so überraschende Fest. Der Mond stand am Himmel; sein mildes Licht goß Klarheit und Frieden auch in meine tiefbewegte Seele. Still schlich ich nach Haus - singend und plaudernd zogen neben mir die Anderen davon. Nie zuvor war der Abschied einer Künstlerin von Rom so schön gefeiert worden; auch später habe ich von keiner ähnlichen Feier gehört. Erschöpft von so viel Freuden und Ehren, erschüttert von dem Schmerze des Abschieds, erreichte ich die Schwelle meines Kämmerleins. Vor meinem Bette saß ich lange, gedankenvoll vor mich hinstarrend; wohl fühlte ich, daß Größeres mir nie beschieden sein könne. Voll inniger Wehmuth empfand ich, daß keiner meiner glücklichen Tage in Rom mir zurückkehren würde, und daß eine solche Seligkeit, wie ich sie dort genossen, fast nur den einen Wunsch übrig lassen konnte: lieber an der Pyramide des Cestius für immer auszuruhen, als nach Deutschland zurückzukehren. - Als ich mich endlich ermannte und die Fenster schloß, erklangen unter denselben noch die rührendsten Abschiedslieder. Mein kaum zur Ruhe gekommenes Herz wurde durch die ergreifenden Klänge der deutschen Scheidegrüße aufs neue erschüttert; Thränen erstickten den Dank, welchen ich den Sängern so gern zugerufen hätte.
Begegnung mit Goethe in Dresden.
Eines Morgens, während ich auf der Gallerie arbeitete, erscholl die Kunde: "Er ist da! Er ist auf der Gallerie!" "Ich habe ihn gesehen," rief Frommann, "ich habe ihn gesprochen, er ist in bester Laune!" Die Schwägerin meinte: "Ich weiß nicht, ob es nöthig ist, ihm entgegenzugehen; ich denke, wir warten ihn hier ab." Diese Meinung drang durch. Aber als die imponirende Gestalt des Dichterfürsten, der trotz seiner einundsechszig Jahre in voller männlicher Schönheit strahlte, am äußersten Ende der Gallerie sichtbar wurde, da flog sie ihm doch schnell entgegen. Ich blieb allein, überrascht, verdutzt zurück. In kindischer Verlegenheit darüber, daß mir der Moment entschlüpft war, ihn auch sogleich zu begrüßen, flüchtete ich mich in eine Fenstervertiefung. Hier hörte ich, wie Goethe näher kam und an meiner Staffelei stehen blieb. "Das ist ja eine allerliebste Arbeit, diese heilige Cäcilia nach Carlo Dolce!" hörte ich ihn sagen; "wer hat sie gemacht?" Man nannte ihm meinen Namen; als er ihn erfahren hatte, schaute er um die Ecke und sah mich in meinem Versteck stehen. Ich fühlte das Blut in meine Wangen steigen, als er mir liebreich die Hand bot. In väterlich-wohlwollendem Tone drückte er seine Freude aus, mir hier zu begegnen, und ein Talent, von welchem er früher nie etwas gewußt, an mir zu finden. "Wo wohnen Sie, mein Kind?" fragte er weiter. "In der Ostra-Allee, neben dem botanischen Garten", erwiderte ich. "Da werde ich Sie besuchen; wir wollen zusammen den botanischen Garten besehen und diese herrlichen Augustabende recht genießen. Auch kann ich Ihnen noch manches zeigen; es giebt Privatsammlungen hier, die Sie gewiß noch nicht kennen. Nur wünschte ich nicht, daß davon gesprochen wird," fügte er hinzu. Wie beglückt war ich durch diese unerwartete Güte! Als meine Nachbarin bemerkte, daß Goethe später oft in der Gallerie auf- und niederwandelte und mit mir über Gemälde sprach, bat sie mich, ihn gelegentlich über die Bedeutung einer Schnecke zu fragen, welche im Vordergrunde einer uns gegenüberhängenden "Verkündigung" von Mantegna angebracht war. Ich benutzte einen günstigen Augenblick dazu, als der Dichter am nächsten Morgen, wie gewöhnlich, die Gallerie besuchte. "Diese Schnecke ist ein Zierrath, meine Freundin, welchen die Laune des Malers hier angebracht hat! (Ich hole Sie heute mit dem Wagen ab, wir fahren zusammen spazieren)", flüsterte er mir dazwischen in aller Schnelligkeit zu; dann fuhr er in seinem vorigen Tone fort: "Die Maler haben oft solche Phantasieen und Einfälle, denen nicht immer eine tiefere Beziehung zum Grunde liegt." Er beendete nun seine Belehrung, als sei jene Einschaltung gar nicht gemacht worden. Gegen Abend kam wirklich der Wagen. Goethe und Seebeck saßen darin; wir fuhren an dem herrlichen Augustabend durch Dresdens reizende Umgegend. So geschah es mehrmals; ich erlebte köstlichste Stunden. "Wo mag er nur die Abende zubringen?" hörte ich oft die Freunde fragen, "Riemer weiß auch nichts davon!" Ich hütete mich natürlich, zu plaudern und meinem Versprechen untreu zu werden; als armes, keineswegs immer willkommen geheißenes Anhängsel so mancher gesellschaftlichen Vergnügung fand ich im Gegenteil eine Art von stolzem Behagen daran, von dem allverehrten Manne im Stillen so begünstigt zu sein.
Abschied von Rom.Am Johannisfeste 1823, drei Tage vor meiner Abreise, verabredete ich mit den nächsten Freunden einen letzten Spaziergang nach der Villa Poniatowski. Philipp Veit hatte leider mit Frau und Kind Rom bereits verlassen, um den Sommer in Tivoli zuzubringen; ihm hatte ich schon das allerschmerzlichste Lebewohl gesagt. Andere Kunstgenossen und Freunde begleiteten mich aber nach jener Villa. Der Abend war wunderschön, die herrliche Aussicht wurde durch die scheidende Sonne vergoldet, deren Untergang mir nie so majestätisch erschienen war, wie diesmal. Lange war ich träumerisch in den Anblick des herrlichen Naturschauspiels versunken, entzückt und doch schmerzvoll den Abschied vorempfindend. Da erhob der heitere Maler Catel, welcher mit von der Partie war, die Stimme und unterbrach das feierliche Schweigen mit dem Ausrufe: "Laßt uns doch noch einen Salat und Eier in der nahe gelegenen Osteria >Zum Papa Giulio" genießen!< - Gesagt, gethan. Aber wie wurde ich überrascht! Am Fuße der Treppe, welche zu dem vorgenannten Gesellschaftslocale führte, stand der Maler Remy aus Berlin, bot mir den Arm und bat mich im Namen mehrerer Freunde um die Erlaubniß, den Abend nach Sitte der männlichen Kunstgenossen feiern zu dürfen. Gleichzeitig öffnete sich die Thür, und eine lange, sauber gedeckte, mit Blumen geschmückte Tafel zeigte sich meinen erstaunten Blicken, fünfunddreißig mir besonders befreundete und hoch von mir verehrte Künstler waren um dieselbe versammelt. Ein fröhlicher Gruß schallte mir von ihren Lippen entgegen, und vor einem prachtvollen Kranze erhielt ich meinen Platz; mein Sessel war mit Blumen umwunden und auf meinem Teller lag ein dichter Lorbeerkranz mit einem Gedichte von Auguste Klein, welches also begann: "Bei diesem Kranz gedenk' der röm'schen Zeiten Wenn rauh und kalt des Nordens Lüfte weh'n; Der Lorbeer soll in's Studium Dich begleiten Von schlankem Stamm auf kapitol'schen Höh'n, Und Freude, denk' ich, soll er Dir bereiten Wenn deutsche Freunde horchend um Dich steh'n; Dann werden tausend Bilder Dich umschweben, Und in die Blätter dringt ein neues Leben!" Der Orvieto kreiste zu den schmackhaften Speisen, und alle Lieder, welche sonst den abreisenden Künstlern zu Ehren gesungen wurden, erschallten nun abgeändert für die "reisende Maid" in frischen, wehmüthig-fröhlichen Klängen. Es waren herrliche, erhebende Stunden, welche ich genoß; mir zur Rechten saß der würdige Prediger Schmieder, zu meiner Linken der stets muntere Catel, Freunde und Freundinnen reihten sich diesen an. Um Mitternacht endete das für mich so überraschende Fest. Der Mond stand am Himmel; sein mildes Licht goß Klarheit und Frieden auch in meine tiefbewegte Seele. Still schlich ich nach Haus - singend und plaudernd zogen neben mir die Anderen davon. Nie zuvor war der Abschied einer Künstlerin von Rom so schön gefeiert worden; auch später habe ich von keiner ähnlichen Feier gehört. Erschöpft von so viel Freuden und Ehren, erschüttert von dem Schmerze des Abschieds, erreichte ich die Schwelle meines Kämmerleins. Vor meinem Bette saß ich lange, gedankenvoll vor mich hinstarrend; wohl fühlte ich, daß Größeres mir nie beschieden sein könne. Voll inniger Wehmuth empfand ich, daß keiner meiner glücklichen Tage in Rom mir zurückkehren würde, und daß eine solche Seligkeit, wie ich sie dort genossen, fast nur den einen Wunsch übrig lassen konnte: lieber an der Pyramide des Cestius für immer auszuruhen, als nach Deutschland zurückzukehren. - Als ich mich endlich ermannte und die Fenster schloß, erklangen unter denselben noch die rührendsten Abschiedslieder. Mein kaum zur Ruhe gekommenes Herz wurde durch die ergreifenden Klänge der deutschen Scheidegrüße aufs neue erschüttert; Thränen erstickten den Dank, welchen ich den Sängern so gern zugerufen hätte.
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Autoren-Porträt von Louise Seidler
Sylke Kaufmann, geb. 1968 in Halle, Studium der Germanistik und Kunstgeschichte in Jena, Arbeit an einer Dissertation über Louise Seidler. Neben Aufsätzen zur Weimarer Kulturgeschichte zwei Buchveröffentlichungen über Henriette von Pogwisch und über Goethe und die Altertumskunde.
Bibliographische Angaben
- Autor: Louise Seidler
- 2003, 491 Seiten, mit zahlreichen Schwarz-Weiß-Abbildungen, Maße: 11,6 x 19,3 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Herausgegeben: Sylke Kaufmann
- Verlag: Aufbau TB
- ISBN-10: 3746614260
- ISBN-13: 9783746614267
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