Verpissimo! Ein Sommer in Italien
Roman. Originalausgabe
Grandiose Chick-lit mit Italo-Flair! You no boyfriend? Verpissimo!
Italienische Sprachkenntnisse sind nur eine Frage der Einstellung
Auswandern nach Italien! Nix hält Dana und ihre allerbeste Freundin Mel in Deutschland: Ihre Jobs sind ätzend, ihre...
Italienische Sprachkenntnisse sind nur eine Frage der Einstellung
Auswandern nach Italien! Nix hält Dana und ihre allerbeste Freundin Mel in Deutschland: Ihre Jobs sind ätzend, ihre...
Leider schon ausverkauft
Buch (Kartoniert)
- Lastschrift, Kreditkarte, Paypal, Rechnung
- Kostenlose Rücksendung
Produktdetails
Produktinformationen zu „Verpissimo! Ein Sommer in Italien “
Klappentext zu „Verpissimo! Ein Sommer in Italien “
Grandiose Chick-lit mit Italo-Flair! You no boyfriend? Verpissimo! Italienische Sprachkenntnisse sind nur eine Frage der Einstellung
Auswandern nach Italien! Nix hält Dana und ihre allerbeste Freundin Mel in Deutschland: Ihre Jobs sind ätzend, ihre Freunde (Käfer-Klaus und Mickey) betrügerisch beziehungsweise Muttersöhnchen. Kurzentschlossen investiert Mel in eine Villa im Piemont, die ihr der italienische Makler am Telefon ans Herz gelegt hat. Eine Frühstückspension ist angedacht. Nur: Der schrullige Vorbesitzer (Müll-Mastro, die Altlast) weigert sich auszuziehen. Zahlende Gäste kommen entweder gar nicht oder sind Rocker. Oder Grufties. Meer ist weniger, und was um alles in der Welt ist die Kottize Fischikale?
Die Freundinnen sind mittendrin im dolce vita für Hartgesottene inklusive italienischer (Alb-)Traummänner
Lese-Probe zu „Verpissimo! Ein Sommer in Italien “
Verpissimo! Ein Sommer in Italien von Anna Gold1. KAPITEL
... mehr
ALLER ANFANG IST SCHWIEGERMUTTER ...
„Mel? Ist alles okay? Kann ich irgendetwas für dich tun?", frage ich ins Telefon.
„Nein, zu spät!", tönt es stöhnend zurück. „Ich sterbe!"
Tut sie nicht. Mel ist zu schön zum Sterben, aber leider auch zu allergisch, um zu leben. Zumindest, um richtig zu leben. Dumm gelaufen. Meine beste Freundin ist nicht nur gegen Blüten und Pollen allergisch, sondern auch gegen ...
„Scheiße! Da ist bestimmt Asbest in der Wand! Alles zieht sich zu!"
„Engelchen, dann zieh doch aus!", kontere ich.
Gutes Stichwort. An Auszug denke ich selbst auch schon länger. Seit vier Jahren wohne ich in einem kleinen Dorf mit einem überdurchschnittlich hohen Rentneranteil und frage mich tagtäglich warum.
Vor ein paar Wochen wäre ich fast in eine Stadtwohnung gezogen, direkt über einem Fischgeschäft und unmittelbar unter einer Zahnarztpraxis, deren Düfte sich in meiner Mitte neutralisierten. Leider fand ein paar Minuten nach meiner Besichtigung in eben jener Zahnarztpraxis ein Kidnapping statt, das live im Fernsehen übertragen wurde. Der Kidnapper hatte es auf die Zahnarzthelferin abgesehen, und laut seinen Worten hatte das wohl der Zahnarzt auch. Der Vorfall ging zwar unblutig aus, aber meine Mutter, der ich bei dieser Liveübertragung gleich meine neue Wohnung von außen zeigen konnte („Schalt mal ins erste Programm ... die zwei Fenster über dem Polizeiauto, dort würde ich dann nächsten Monat einziehen ... ja, der Eingang hinter dem Absperrband ..."), stoppte die ganze Aktion, indem sie am selben Tag bei der Vermieterin anrief und ihr nahelegte, besser niemanden wie mich einziehen zu lassen, denn ich würde nur Müll und Unrat in die Wohnung schleppen.
Mutti meinte zwar keinen Müll und Unrat im herkömmlichen Sinne. Die Wohnung war ich trotzdem los.
„Danas Männer müssen einfach nur negativ aus der Masse hervorstechen, schon haben sie gute Karten bei meiner Tochter. Sie steht auf Unrat ... auf Müll ... auf all das, was normale Frauen abstoßend finden ...", sagt meine Mutter, und zwar all denen, die es noch nicht einmal wissen wollen. Bei meinem letzten Besuch fragte sogar schon der Briefträger, ob er mal ein Bild von meinem aktuellen Müll-Mann sehen könne.
Ehrlich gesagt finde ich das ein bisschen unfair. Ist es so schlimm, dass ich nicht auf Brad-Pitt-Typen stehe, sondern mehr auf Vincent-Cassel-Kerle?
Außerdem brauche ich keinen Mann. Weil ich nämlich schon einen habe! Michael alias Mickey, der in meinen Augen nichts mit Müll am Hut hat. Wenn überhaupt, dann nur mit seelischem. In ein paar Jahren wird mein Mickey nämlich ein sehr guter Therapeut sein. Er ist schon jetzt der perfekte Zuhörer.
Weil er selten spricht, was wiederum auch daran liegen kann, dass ihn die Menschen in seinem Leben einfach nicht zu Wort kommen lassen.
Nicht, dass wir ihn übersehen, das geht bei diesem Zwei-Meter-Hünen gar nicht. Nein, mein Mickey ist einfach zu nett, um anderen ins Wort zu fallen. Seine Reserven an Verständnis und Mitgefühl sind nahezu unerschöpflich, und sein Glaube an das Gute im Menschen ist so groß wie dieser Planet. Ja, mein Traummann ist einfach ...
„... eine taubstumme Ausgabe von Freddy Krüger", sagt meine Mutter.
„... eine ruhige Ausgabe von Mike Krüger", sagt meine beste Freundin Mel.
Mir doch egal. Zum einen bin ich auch nicht die Schönste (aber schon sehr niedlich!), und zum anderen hat mein Mickey ein Herz aus Gold und ich liebe ihn über alles, was meine Mama nur wie folgt kommentiert: „Wenigstens verdient er genug Geld, und ich muss ihn mir ja auch nicht jeden Tag ansehen!"
Leider verdient Michael überhaupt kein Geld, denn er studiert ja noch, und leider kann ich ihn mir auch nicht jeden Tag ansehen, was weniger an seinem harten Studium als mehr an seiner Mutter, Kontradelle, liegt.
Kontra geben ist Kontradelles Leidenschaft, und das tut sie so intensiv, dass mitunter auch Dellen zustande kommen, wie es hier und da ein vor Wut zerbeulter Topf ihrer Küche verrät ... und laut Mickey auch der äußerlich wie innerlich zerbeulte Kopf ihres Exmannes, der das zum Anlass nahm, die Scheidung einzureichen.
Eigentlich tut mir Kontradelle sehr leid, denn seit Mickeys Vater vor zwei Jahren die Flucht ergriff, vereinsamt sie zusehends. Freunde hatte sie schon vorher keine, weil sie der Ansicht ist, das sei Zeitverschwendung. Und die Familie, die sich nicht von ihr scheiden ließ, lebt wohl auch nicht grundlos in Disneyworld (wo die Stimmung auf einem unechten Dauergrins-Level gehalten wird). Das einzige, was Mickeys Mama noch geblieben ist, sind eine glamouröse Prunkvilla, ein gigantisches Privatvermögen und ihr großartiger Prachtsohn. All meine Bemühungen, Kontradelle aus ihrem Einsamkeitstrott zu holen oder wenigstens mit ihr auf einen Nenner zu kommen, boykottierte sie mit den Worten: „Wenn du wirklich etwas für mich tun willst, dann lass mir wenigstens noch meinen Sohn!"
Zuerst dachte ich, das sei ein Scherz oder eine zeitweilige Laune, aber ich musste erkennen, dass sich an diesem Statement seit zwei Jahren nichts ändert. Während ich im Jahr davor nur als kurzzeitige Affäre ihres Sohnes gehandelt wurde und keine große Beachtung bei Kontradelle fand, bin ich seit dem Scheitern ihrer eigenen Beziehung zu ihrer schärfsten Konkurrentin geworden. Seit dieser Zeit buhlt meine zukünftige Schwiegermutter mit mir um jede Mickey-Minute.
Mickey selbst nimmt das alles - wie eh und je - wortlos hin. Und das, obwohl die Einsamkeit seiner Mutter mittlerweile auch an seinem Kopf Spuren hinterlassen hat. Nachdem Mickeys Haare endlich etwas länger und damit dem, was man unter Frisur versteht, schon sehr nahe gekommen waren, bestand Mama auf ihrer persönlichen Wunschfrisur. Die wiederum nennt sich Mecki und sieht auch so aus. Nämlich wie ein uralter, Fußball-köpfiger Igel, den man lieber nicht streichelt (was wohl auch Sinn der Sache ist). An der Stelle empfahl selbst ich Freddy Krügers Hut.
Aber leider habe ich bei Kontradelle nichts zu melden - und schon gar nichts zu empfehlen. Heute waren sie - trotz meines leisen Protestes: „Tu es bitte nicht, Mickey!" - beim Tätowierer, wo mein Herzensmann einen Anker mit Kontradelle-Schriftzug auf den Oberarm gebannt bekam. Danach folgte ein gemeinsames und vollwertiges Abendessen, bei dem mich Kontradelle noch rechtzeitig auslud.
Als Mickey mir vor einer Stunde auch noch unsere heutige Freund- übernachtet-bei-Freundin-Verabredung absagte, um stattdessen mit Mama die Sterne zu beobachten, hörte ich Kontradelle aus dem Hintergrund rufen: „3:0 für mich, Dana! Er ist und bleibt meine Mickey-Maus!"
Auch wenn meine eigene Mutter bisher nicht mit vielen Lebensweisheiten geglänzt hat, so brachte sie mir zumindest bei, dass jeder Mensch zwei Seiten hat. Ja, und auch wenn es mir nicht leicht fällt, Kontradelle ihre gute Seite abzugewinnen, so verstehe ich doch, woher ihr Kampfesgeist rührt, und meine wohl allzu berechtigte Wut wandelt sich nahezu jedes Mal in Mitleid. Kontradelle ist wirklich eine arme, einsame Frau, und laut Mickey leidet sie sogar unter Depressionen.
Dennoch ist die Beziehung zu meinem Mickey mittlerweile so etwas wie ein Battle gegen seine Mutter geworden, die - warum auch immer - Mickey zu ihrem persönlichen (Beschäftigungs-)Therapeuten und mich zur Zielscheibe ihres unendlichen Frusts gemacht hat.
Nicht, dass meine eigene Mutter da besser wäre. Sie ist nur weiter weg. In meinem Heimatdorf, dass ich an meinem zwanzigsten Geburtstag verlassen habe, also vor genau vier Jahren. Es zog mich einfach in die ferne Großstadt, weit weg von meinen Mutter-Problemen - und nun sitze ich wieder in einem Dorf, auch wenn dieses Dorf vor den Toren der Stadt Frankfurt liegt, und habe eine Mutter an der Backe, die mir den Mann meines Lebens vom Leib hält.
„Hatschi! Dana? Bist du noch da?", niest es aus dem Hörer.
Stimmt! Das einzige, was mir seit all den Jahren problemlos zur Seite steht, ist mein allergisches Engelchen Mel. Wenn auch nur über das Telefon, denn meine beste Freundin wohnt in München. Trotz Fernbeziehung stehen wir uns so nahe wie siamesische Zwillinge. Bildlich trifft das allerdings überhaupt nicht zu. Mel ist das optische Gegenteil von mir. Ich bin klitzeklein, sie ist riesengroß. Ich bin brünett, Mel ist blond. Ich bin ... ähm ... kompakt. Meine beste Freundin ist gertenschlank. Ja, ich würde so weit gehen, Mel als den Schwan und mich als das Entlein zu charakterisieren. Auch wenn ich kein hässliches Entlein bin, sondern mehr so eine unscheinbare Henne. Vielleicht ist das auch nicht der richtige Vergleich. Die Nerds in meiner Klasse hielten an der Behauptung fest, Mel und ich seien so etwas wie die irdischen Versionen von C-3PO (Mel) und R2-D2 (ich). Auch bei diesem Star-Wars-Vergleich kam ich eindeutig unscheinbarer weg, denn wie wir in Erfahrung brachten, war C-3PO ein großer Goldjunge und R2-D2 ein kleiner Industriestaubsauger mit ordentlichem Fassungsvermögen.
„Ihr zwei seid wie Dick und Doof!", meint hingegen meine Mutter.
Das klingt zwar gemein, trifft es wohl aber eher. Ich habe mich schon zu einer Zeit mit Mels Schönheit abgefunden, als sie noch über mein Streber-Dasein lachte. So ist es eben. Mel hat die schöne Figur, ich das gute Schulzeugnis. Nichts weiter als ein Beleg für die Tatsache, dass sich Gegensätze anziehen. Und wie! Magnete sind nichts gegen Mel und mich. Seit dem Kindergarten teilen wir uns nicht nur die Zeit, den Tisch und das Brot, sondern auch die Neigungen, die Neugierde und die Noten (nur dann, wenn Mel bei mir abschrieb). Auf dem Schulhof nannten sie uns "die Zweimaligkeiten" und das waren wir auch. Selbst wenn wir rüberkamen wie Dogge und Mops, ich stets allein zu den Schreib- und Lesewettbewerben ging und all die "Willst du mit mir gehen?"-Briefchen immer nur an Mel adressiert waren.
Und auch wenn wir unsere Klamotten nie tauschen konnten, ohne das Mel aussah wie eine bauchfreier Hochwasser-Storch und ich wie eine Kinder- Pellwurst mit überlangen Ärmeln und hinterher schleifenden Hosenbeinen.
Dank all dieser Parallelen lief auch unser Leben bis heute erstaunlich ähnlich ab. Kurz nach der Schule zog es uns in die große Stadt. Hier wollten wir leben - und arbeiten. Und da Mel nach ihrem Aussehen und ich nach meinem Notenspiegel eingestellt wurde, landete ich in Frankfurt und meine beste Freundin in München.
Zu meinem Job gibt es nicht viel zu sagen. Ich arbeite in einem Ministerium als genauso schlecht wie recht bezahlte Bürotusse. In unserem sogenannten Referat sitzen neben mir neun weitere Frauen, von denen neun meine Vorgesetzten sind - ich stehe tatsächlich ganz unten in der Hierarchie! Um das optisch zu unterstreichen, bin ich mit meinen einsfünfzig auch noch die Kleinste. Blöderweise übersieht mich aber trotzdem keiner. Mein Büro ist in der Mitte, und alle anfallenden Arbeiten werden nach Möglichkeit bei mir geparkt. Die Kleinste hat zumindest das größte Arbeitspensum. Obwohl das in Ämtern ja immer recht bescheiden ausfällt. Trotz auftürmender Papierberge kann auch ich mehrmals am Tag Löcher in die Luft starren, von einem aufregenderen Job träumen oder mit Familie und Freunden telefonieren.
Das tun meine Kolleginnen schließlich auch.
Und deshalb könnte man den Eindruck gewinnen, in einem hysterischen Hühnerstall statt bei hessischen Staatsdienern gelandet zu sein.
In der Folge ist das einzige männliche Wesen, das sich in unser gackerndes Referat verirrt, nur unser Postmann Markus. Ja, und selbst den hat das Östrogen schon dahingehend angefixt, dass er seinen Tonfall in ein weibliches Singsang ändert, sobald er mein Büro betritt.
Ganz anders sieht es bei meiner besten Freundin aus, die in einem topmodernen und testosterongeschwängerten Bürokomplex arbeitet. Mel ist schicke Cheftippse eines Münchner Großkonzerns. Sie verdient das Doppelte von dem, was ich monatlich nach Hause bringe. Dafür ist ihr Job auch nicht so einfach wie meiner. Sagt Mel.
Wie auch immer. Adrettes Aussehen gepaart mit arrogantem Auftreten, anstrengendem Chef, anhänglichen Kollegen und atemberaubenden Allergien verlangen meiner besten Freundin einiges ab. Arme Mel, mit ihr möchte ich wirklich nicht tauschen.
„Hatschi- Warum bist du denn heute so sprachlos, Dana? Gibt es wieder Probleme mit dem Schwiegermonster?"
Mel weiß immer, was mit mir los ist. Und schon platzt der ganze Kontradelle- Koller aus mir heraus und geradewegs in den Hörer, wo ihn meine beste Freundin mit lautstarken Niesattacken unterstreicht.
„Hach, so eine Hatschi-germutter wünscht man keinem", meint Mel, und ich seufze zurück, weil mir die einsame und depressive Kontradelle einfach nur leidtut. Dazu kommt, dass es mir - von meinem mickrigen Einkommen und Mickeys mimosiger Erzeugerin einmal abgesehen - richtig gut geht. Und das wiederum habe ich einzig und allein meinem Traummann zu verdanken, den ich so sehr liebe, dass ich schon beim minimalsten Gedanken an ihn strahle wie ein Honigkuchenpferd.
Das einzige, was Mickey und ich dringend einmal bräuchten, wäre etwas Zeit zu zweit. Vielleicht ein spontaner und mutterfreier Wochenendtrip oder - noch besser - eine ganze Woche Urlaub. Oh ja, Urlaub! Das wäre der Puderzucker auf meinem Honigkuchen. Auch wenn mein Budget nicht mehr als eine Woche Jugendherberge im Taunus hergibt. Allein der Gedanke an Urlaub mit meinem Mickey lässt mich ein lautes „Oh ja!" durch den Raum rufen.
Mel bezieht das auf sich:
„Oh ja, Dana, ich kann wirklich nicht mehr!"
Mel geht es überhaupt nicht gut. Das kann an ihren zehntausend Allergien oder an ihrer zehrenden Arbeit liegen - oder mal wieder an Klaus.
Tja, mit Klaus ist das so eine Sache. Wir kennen Klaus seit der fünften Klasse. Da wählten wir ihn zum Klassensprecher - und er Mel zu seiner großen Liebe. Bis heute. Das mag kitschig, schnulzig und rosarot klingen, wäre es aber nur, wenn Mel so ein Naturnarr wäre, der auch noch einem Mistkäfer etwas abgewinnen kann (oder zumindest nicht allergisch darauf reagiert). Das wiederum bezieht sich nicht auf Klaus selbst, sondern auf seinen Umgang: Klaus ist der wunderschöne Sohn eines feschen Försters und einer Vollblut- Fleckviehzüchterin, der noch immer in unserem Heimatdorf lebt, um vererbten Kühen die Euter zu schaukeln.
Einer, den man sonst nur im Holzfällerhemd auf einem Hochstand oder mit Helm in einer Höhle antrifft. Einer, den man regelmäßig ans Duschen und Garderobewechseln erinnern muss, oder auch daran, dass Menschen lieber in Häusern statt auf Bäumen leben. Einer, der an den Wochenenden atemberaubende Wald- oder Wiesenwanderungen mit stundenlanger und stinkendlangweiliger Insektenkunde unternimmt. Einer, den es in der warmen Urlaubszeit in sumpfige Morastgebiete zieht, da in der schwülen Hitze dort das Leben pulsiert (und die von Insektenstichen übersäte Haut ebenso).
Auch wenn Mel ihn dabei ungern und (aus allergischen Gründen?) unregelmäßig begleitet, ist auch er ihre große Liebe. Niemals würde meine beste Freundin ihren rustikalen Klaus gegen einen zivilisierten Stadtmenschen eintauschen.
Für Klaus gibt Mel wirklich viel. Vor ein paar Monaten sogar ihr PS-starkes Cabrio, denn laut Klaus trägt das die Hauptschuld am anhaltenden Käfersterben. So stieg meine beste Freundin auf die Bahn um, mit der sie Klaus fortan besuchte. Ungeachtet der Tatsache, dass die Bahn sicher auch ein paar Käfer auf dem Gewissen hat und ein Zugticket heute schon fast der ersten Rate eines Flugzeugkaufs entspricht. Wenn andere schon nichts für die Wirtschaft tun, muss eben Mel ran.
Dafür liebe ich sie, denn sie kann genauso wenig mit Geld umgehen wie ich (wenn ich denn jemals Geld hätte), aber sie tut es irgendwie für einen allgemeinnützigen Zweck. Mehr oder weniger.
Für all die am Wochenende sturzbetrunken heimkehrenden Bundeswehrjungs ist meine schöne Freundin jedenfalls so etwas wie eine lebende Legende der Strecke München - Minidorf. Zahlreiche mit Edding an Rückenlehnen gemalte Darstellungen einer nackten Frau - versehen mit Mels Vor- und Zunamen - werden noch für Jahrzehnte an meine beste Freundin erinnern, die doch nichts weiter tat, als in einem Zug-Abteil zu sitzen und sich auf ihren Klaus zu freuen.
Ich denke zurück. An all den Spaß, den ich zusammen mit Mel hatte. Damals in der Schule. Später auf unseren ersten Partys. Und beim Gedanken an unseren ersten Liebeskummer könnte ich sofort wieder losheulen. Wir waren immer füreinander da. Und wir hatten eine verdammt gute Zeit. Doch zu dieser Zeit lebten wir auch noch in unserem Dorf, wurden behütet, umsorgt -- und anerkannt.
Wahrscheinlich leidet Mel in München genauso unter mangelnder Akzeptanz wie ich in Frankfurt. Die Anonymität der Großstadt haute uns damals aus den Socken, wie es sonst nur ein schwüles Dachzimmer geschafft hätte. Und bis heute wird es uns dauerbelächelten Landeiern nicht gerade leicht gemacht.
„Ach, Dana, da wo Sie herkommen, ticken die Uhren ohnehin langsamer!", sagen sogar schon meine langatmigen Amtskollegen, während Mel hauptsächlich für ihren Fleckvieh-Freund belächelt wird.
Tatsächlich kämpfen wir im Großstadt-Dschungel nicht nur ums nackte Überleben, sondern auch um ein wenig Akzeptanz und Anerkennung. Doch von diesem Kuchen bekommen wir bis heute keinen Bissen ab. Was also haben wir von jenem Großstadt-Kampf?
Ehrlichgesagt: nichts. Überhaupt nichts. Fragt sich, warum wir dann überhaupt noch hier sind. Aber wo sollten wir stattdessen sein? Seit meinem Wegzug vermisse ich mein Heimatdorf genauso wenig wie meine Pubertät. Wenn mir irgendetwas aus meinem alten Leben fehlen sollte, dann nur meine fünfhundert Kilometer entfernte beste Freundin, die mich bestimmt genauso innig vermisst wie ihren Kriechtierfreund-Klaus.
„Klaus betrügt mich! Hatschi!", niest Mel in dem Moment.
Jetzt geht das schon wieder los.
„Engelchen, womit soll der dich denn betrügen? Mit einem Hirsch? Mit einem Käfer?"
„Auf der Hirschkäfer-Tour. Da hat er sich mit einer Isolde unterhalten. Das hat er mir ganz trocken am Telefon erzählt."
„Mel! Eine Frau wie du wird doch nicht durch eine Isolde ersetzt. Klaus ist froh, dass er dich hat."
Und wer Mel sieht, der gibt mir sofort recht.
„Meinst du?"
Mel selber sieht das wohl nicht so. Dabei kenne ich wirklich keinen Menschen - nicht auf Leinwänden oder Catwalks -, der es mit Mels Schönheit aufnehmen könnte.
„Dana, ich könnte nur heulen! -Hatschi!"
Wie gerne würde ich meine beste, dauerallergische Freundin jetzt in den Arm nehmen und mit ihr gemeinsam im Tal der Tränen versinken. Kann ich leider nicht, weil Mel so weit weg ist und mein Handy plötzlich "Ein Schloß am Wörthersee" singt, während auf dem Display "Mickey" blinkt.
Wenn mein Traummann mich anruft, anstatt sich mit Mutter die Sterne anzusehen, dann hat das einen triftigen Grund.
„Mel, ich muss dringend an mein Handy gehen. Ich ruf dich nachher zurück", unterbreche ich das heulende Hatschi meiner besten Freundin und lege schnell auf.
Kaum nehme ich Mickey entgegen, begrüßt der mich mit einem zaghaften „Ich brauche Urlaub!"
Bei Kontradelle-Dauerbeschuss zweifelsohne nachvollziehbar.
Auch stelle ich mal wieder fest, dass mein Freund ein wunderbarer Menschenkenner ist und deshalb in ein paar Jahren der beste Therapeut der Welt sein wird. Warum sonst spricht er mir im entscheidenden Moment direkt aus der Seele?
Seit fünf Jahren bin ich nicht mehr im Urlaub gewesen, und das macht sich nun langsam bemerkbar. Vor allem, weil meine Amtskollegin Ruth kürzlich in die Wechseljahre kam und seitdem alles daransetzt, dass auch ich darunter zu leiden habe. Seit einigen Wochen beschimpft mich die zuvor so unauffällige Kollegin im Stundentakt, kommandiert mich herum (was sich aufgrund des spärlichen Arbeitsaufkommens noch in Grenzen hält) und nutzt jede Gelegenheit, mich bei den Kollegen anzuschwärzen. Leider habe ich nicht den Mumm ihr zu sagen, dass mir trotz eierproduzierender Eierstöcke das gleiche Recht auf private Telefonate und Toilettenbesuche zusteht.
Nein, wenn die Menschen um mich herum ausflippen, dann sage ich gar nichts. Lieber ergreife ich die Flucht. So war das schon immer.
Ich erinnere mich noch gut an die Zeit, als meine Mutter in die Wechseljahre kam, im tiefsten Winter unsere Klimaanlage aufdrehte, nachts lautstark weinend durchs Haus lief und permanent etwas an mir auszusetzen hatte. Am Ende meiner Geduldsspanne floh ich nach Frankfurt.
Im Nachhinein kam Mamas Menopause wie gerufen. Ich wollte von Anfang an nicht in unserem Dorf alt werden, ohnehin irgendwann das Abenteuer „Großstadt" bestreiten. Nun konnte ich die Sache beschleunigen - und den Umzug von meinem verständnisvollen Vater finanzieren lassen.
Ja, ich gebe es zu, ich bin ein klassischer Verpisser. Und die wohl einfachste (da vergänglichste) Form von Flucht ist natürlich Urlaub: Alle sind nett, weil sie dafür bezahlt werden. Sämtliche Sorgen und Nöte verblassen hinter Entspannung und Erholung an einem wunderbaren Ort. Und wenn ich diese Zeit auch noch mit dem Menschen verbringen kann, den ich über alles liebe, dann wird es ... allerhöchste Zeit. Schon erreicht das Rauschen des Meeres meine Ohren. Magie? Nein, leider nur die lautstarken Schlafgeräusche meiner neunzigjährigen Nachbarin, die einheitlich durch die porösen Wände dringen.
„Du, Urlaub ist jetzt wirklich die beste Idee!", singe ich kraftvoll und mehrmals in den Hörer, weil Mickey schon wieder in den Ruhemodus übergegangen ist.
„Du hast also kein Problem damit?", hakt mein Traummann zaghaft nach - allerdings erst nach einer längeren Schweigeminute.
„Warum sollte ich damit ein Problem haben? Nur, weil du diese tolle Idee zuerst hattest? Bestimmt nicht! Weißt du denn schon, wo es hingehen soll?"
„Ist schon alles gebucht.", antwortet Mickey wie aus der Pistole geschossen.
Wow! So spontan kenne ich ihn gar nicht - weder verbal noch in Aktion. Als wir uns kennenlernten, musste ein ganzes Jahr ins Land ziehen, bis ich Mickey zum ersten Mal daheim beehren durfte. Obwohl sein Elternhaus keine fünf Autominuten von mir entfernt liegt, bestand Kontradelle auf diese räumliche und zeitliche Trennung. Umso schöner, dass sich nun, nach mehr als drei Jahren, endlich unser erster gemeinsamer Urlaub anbahnt, spontaner als jemals von mir erwartet.
„Wo fahren wir denn hin, mein Schatz?", singe ich voller Freude in den Hörer.
Schweigen.
„Wo geht es denn hin?", frage ich ein paar Minuten darauf noch einmal.
„Nach Florida. Miami. Wieder."
Nach Florida? Für mich wäre das eine Premiere.
„Wow!", sage und denke ich. Sommer, Sonne, Strand ...
„Und Mutter!", meint Mickey.
„Kontradelle kommt auch mit?"
„Sie heißt Corabelle! Und ja, Mutter hat das gebucht!"
„Deine Mutter spendiert uns einen Amerika-Trip?"
Ich habe Kontradelle unterschätzt.
„Meine Mutter spendiert UNS einen Amerika-Trip - sich und mir!", antwortet Mickey reumütig.
Ich habe Kontradelle total unterschätzt.
„Dana, 4:0!", ruft Kontradelle aus dem Hintergrund.
„Du fährst schon wieder ohne mich in den Urlaub?!", gebe ich fassungslos von mir, „Mickey, wir hatten doch eine Abmachung!"
Diese Abmachung entstand vor einem halben Jahr, als Mickey und Kontradelle gerade von den Seychellen zurückkehrten und Mickey mir felsenfest versprechen musste, seinen nächsten Urlaub mit mir zu verbringen und nicht mit Kontradelle, die sich in dem Moment auch noch Mickeys Handy zu eigen macht:
„Dana, jetzt zick hier mal nicht rum! Wir werden für ein halbes Jahr nach Florida gehen. So viel Urlaub hast du doch gar nicht!"
„Aber, aber ... wie bitte, ein halbes Jahr?!", frage ich fassungslos.
„Ja, wenn Mickeys Studium fertig ist, wird er wohl keine sechs Monate mehr frei bekommen!"
Ich kenne aber auch keinen Studenten, der ein halbes Jahr pausiert. Obwohl ... Auf den Seychellen waren sie auch schon mehrere Monate gewesen. Kaum waren drei quälende Wochen vergangen, verlängerte Kontradelle um weitere zwei, und das wiederholte sie noch drei Male.
Schon beim Gedanken an diese Zeit läuft mir ein kalter Schauer über den Rücken. Als würde sie das spüren, meint Kontradelle in dem Moment: „Mehr als neunzig Tage in die USA können nur diejenigen, die einen richtigen Job und genügend Geld auf dem Konto haben."
Ja, und dank dem einen habe ich nicht mal die Spur vom anderen. Obwohl Mickey und Mutti auch keinen Job haben ... dafür aber Geld! Sehr viel Geld. Dank Mickeys Vater, der mittlerweile in Hamburg lebt.
„Dana, sieh der Wahrheit ins Gesicht: Jemand wie du bekommt kein B2- Visum!"
Ich will auch gar keinen R2-D2!
Alles, was ich will, ist Mickey. Meinen Mickey! Aber das kann ich seiner Mutter nicht sagen. Warum auch immer, aber ich traue mich das nicht. Obwohl Kontradelle nur wenig Rückhalt hat, besitzt sie ein unglaubliches Rückgrat. Und das zeigt sie mir jetzt von ihrer besten Seite: „Außerdem wird Mickey zum Ende des Jahres in Hamburg studieren. Da ist es doch wohl selbstverständlich, dass ich vorher noch etwas Zeit mit ihm verbringen möchte!"
Bitte, was?! Hamburg???
Die Fernbeziehung zu meiner besten Freundin in München ist schon eine Belastung. Jetzt soll ich auch noch eine mit Mickey führen?!
Immerhin bin ich nicht die einzige, die an Flucht denkt. Trotzdem hoffe ich, dass der Grund für Mickeys Flucht in den Norden Kontradelle heißt - und nicht Dana.
„Dana? Bist du noch dran?"
Leider schon.
Dessen ungeachtet schweige ich trotzdem - atme dafür umso lauter und heftiger.
„Warum bist du bloß so egoistisch? Warum gönnst du Mickey seinen wohlverdienten Urlaub nicht? Weißt du eigentlich, wie hart sein Studium ist? Er wird mal Therapeut, verdammt!"
Vor langer Zeit sagte der Papst einmal, er sei der nicht irrende Stellvertreter Gottes auf Erden. Scheint so, als mache Kontradelle ihm diesen Rang nun streitig.
„Tut mir leid", erklingt jetzt auch noch eine Roboterstimme - allerdings aus meinem Mund.
„Das klang nicht nach Entschuldigung! Das geht auch anders, Dana!"
„Es tut mir leid. Mickey hat seinen Urlaub verdient! Das gönne ich ihm ...nein, euch beiden natürlich", sage ich, während ich mich gleichzeitig frage, wie sie es verdammt noch mal geschafft hat, mich solch devote Sätze aussprechen zu lassen.
Ist mein Mitleidspegel mal wieder am Anschlag? Wohl kaum, im Moment empfinde ich eher das Gegenteil. Bin ich ein Feigling? Oder einfach nur ein willenloser R2-D2, der so funktioniert, wie andere das gerne hätten?
Daran will ich gar nicht erst denken. Stattdessen nehme ich vorlieb mit den katholischen Priestern, die nach Ablegen des Zölibat-Gelübdes auch nicht mehr wissen, warum sie nur Sekunden zuvor den einzigen Spaßfaktor ihres Lebens zerstört haben.
„Na, dann ist es ja gut. Mickey wird dir auch viele E-Mails schicken", muntert Kontradelle mich auf, so wie es wohl auch der Papst bei seinen Priestern praktiziert, damit diese sich nicht direkt von der nächsten Klippe stürzen.
„Dankeschön. Da freue ich mich", antwortet R2-Dana2.
Warum auch immer nehme ich aber gleich darauf den kläglichen Rest meines nichtvorhandenen Mutes zusammen und frage: „Dürfte ich jetzt bitte noch einmal mit Mickey sprechen? Nur ganz kurz. Bitte!" Himmel, ich höre mich an wie ein um Süßigkeiten bettelndes Kleinkind.
Nach einigen Minuten des Nachdenkens fasst sich Kontradelle ein Herz für Kinder und drückt auf den Lautsprecherknopf.
„Okay, schieß los. Wir hören dich jetzt beide!"
„Mickey?", frage ich unsicher.
„Ja, Dana?", fragt Mickey zurück.
„Willst du wirklich nach Hamburg ziehen?"
„Ja, denkst du, ich lüge?!", kreischt Kontradelle, und da mein lautes Schluchzen wohl nicht mehr zu überhören ist, nimmt auch Mickey all seinen Mut zusammen und sagt: „Wahrscheinlich schon. Aber das entscheidet sich erst im Urlaub!"
In diesem Moment ist es mir egal, dass Kontradelle keine Privatsphäre zwischen Mickey und mir duldet, und so stelle ich die Frage, die gerade in mir brennt, selbstverständlich an Mickey: „Liebst du mich?"
„Wie bitte?!", schreit Kontradelle.
„Mickey, liebst du mich?", frage ich noch einmal und Kontradelle antwortet: „Dana, das ist billigste Manipulation!"
Es macht Klick, und unser Gespräch ist beendet.
Manipulation? Billigste Manipulation? Fassungslos starre ich an die Wand. Bevor mich die quälenden Gedanken umbringen, fliehe ich ... vor den Fernseher.
Copyright © 2014 Mira Taschenbuch im Cora Verlag
ALLER ANFANG IST SCHWIEGERMUTTER ...
„Mel? Ist alles okay? Kann ich irgendetwas für dich tun?", frage ich ins Telefon.
„Nein, zu spät!", tönt es stöhnend zurück. „Ich sterbe!"
Tut sie nicht. Mel ist zu schön zum Sterben, aber leider auch zu allergisch, um zu leben. Zumindest, um richtig zu leben. Dumm gelaufen. Meine beste Freundin ist nicht nur gegen Blüten und Pollen allergisch, sondern auch gegen ...
„Scheiße! Da ist bestimmt Asbest in der Wand! Alles zieht sich zu!"
„Engelchen, dann zieh doch aus!", kontere ich.
Gutes Stichwort. An Auszug denke ich selbst auch schon länger. Seit vier Jahren wohne ich in einem kleinen Dorf mit einem überdurchschnittlich hohen Rentneranteil und frage mich tagtäglich warum.
Vor ein paar Wochen wäre ich fast in eine Stadtwohnung gezogen, direkt über einem Fischgeschäft und unmittelbar unter einer Zahnarztpraxis, deren Düfte sich in meiner Mitte neutralisierten. Leider fand ein paar Minuten nach meiner Besichtigung in eben jener Zahnarztpraxis ein Kidnapping statt, das live im Fernsehen übertragen wurde. Der Kidnapper hatte es auf die Zahnarzthelferin abgesehen, und laut seinen Worten hatte das wohl der Zahnarzt auch. Der Vorfall ging zwar unblutig aus, aber meine Mutter, der ich bei dieser Liveübertragung gleich meine neue Wohnung von außen zeigen konnte („Schalt mal ins erste Programm ... die zwei Fenster über dem Polizeiauto, dort würde ich dann nächsten Monat einziehen ... ja, der Eingang hinter dem Absperrband ..."), stoppte die ganze Aktion, indem sie am selben Tag bei der Vermieterin anrief und ihr nahelegte, besser niemanden wie mich einziehen zu lassen, denn ich würde nur Müll und Unrat in die Wohnung schleppen.
Mutti meinte zwar keinen Müll und Unrat im herkömmlichen Sinne. Die Wohnung war ich trotzdem los.
„Danas Männer müssen einfach nur negativ aus der Masse hervorstechen, schon haben sie gute Karten bei meiner Tochter. Sie steht auf Unrat ... auf Müll ... auf all das, was normale Frauen abstoßend finden ...", sagt meine Mutter, und zwar all denen, die es noch nicht einmal wissen wollen. Bei meinem letzten Besuch fragte sogar schon der Briefträger, ob er mal ein Bild von meinem aktuellen Müll-Mann sehen könne.
Ehrlich gesagt finde ich das ein bisschen unfair. Ist es so schlimm, dass ich nicht auf Brad-Pitt-Typen stehe, sondern mehr auf Vincent-Cassel-Kerle?
Außerdem brauche ich keinen Mann. Weil ich nämlich schon einen habe! Michael alias Mickey, der in meinen Augen nichts mit Müll am Hut hat. Wenn überhaupt, dann nur mit seelischem. In ein paar Jahren wird mein Mickey nämlich ein sehr guter Therapeut sein. Er ist schon jetzt der perfekte Zuhörer.
Weil er selten spricht, was wiederum auch daran liegen kann, dass ihn die Menschen in seinem Leben einfach nicht zu Wort kommen lassen.
Nicht, dass wir ihn übersehen, das geht bei diesem Zwei-Meter-Hünen gar nicht. Nein, mein Mickey ist einfach zu nett, um anderen ins Wort zu fallen. Seine Reserven an Verständnis und Mitgefühl sind nahezu unerschöpflich, und sein Glaube an das Gute im Menschen ist so groß wie dieser Planet. Ja, mein Traummann ist einfach ...
„... eine taubstumme Ausgabe von Freddy Krüger", sagt meine Mutter.
„... eine ruhige Ausgabe von Mike Krüger", sagt meine beste Freundin Mel.
Mir doch egal. Zum einen bin ich auch nicht die Schönste (aber schon sehr niedlich!), und zum anderen hat mein Mickey ein Herz aus Gold und ich liebe ihn über alles, was meine Mama nur wie folgt kommentiert: „Wenigstens verdient er genug Geld, und ich muss ihn mir ja auch nicht jeden Tag ansehen!"
Leider verdient Michael überhaupt kein Geld, denn er studiert ja noch, und leider kann ich ihn mir auch nicht jeden Tag ansehen, was weniger an seinem harten Studium als mehr an seiner Mutter, Kontradelle, liegt.
Kontra geben ist Kontradelles Leidenschaft, und das tut sie so intensiv, dass mitunter auch Dellen zustande kommen, wie es hier und da ein vor Wut zerbeulter Topf ihrer Küche verrät ... und laut Mickey auch der äußerlich wie innerlich zerbeulte Kopf ihres Exmannes, der das zum Anlass nahm, die Scheidung einzureichen.
Eigentlich tut mir Kontradelle sehr leid, denn seit Mickeys Vater vor zwei Jahren die Flucht ergriff, vereinsamt sie zusehends. Freunde hatte sie schon vorher keine, weil sie der Ansicht ist, das sei Zeitverschwendung. Und die Familie, die sich nicht von ihr scheiden ließ, lebt wohl auch nicht grundlos in Disneyworld (wo die Stimmung auf einem unechten Dauergrins-Level gehalten wird). Das einzige, was Mickeys Mama noch geblieben ist, sind eine glamouröse Prunkvilla, ein gigantisches Privatvermögen und ihr großartiger Prachtsohn. All meine Bemühungen, Kontradelle aus ihrem Einsamkeitstrott zu holen oder wenigstens mit ihr auf einen Nenner zu kommen, boykottierte sie mit den Worten: „Wenn du wirklich etwas für mich tun willst, dann lass mir wenigstens noch meinen Sohn!"
Zuerst dachte ich, das sei ein Scherz oder eine zeitweilige Laune, aber ich musste erkennen, dass sich an diesem Statement seit zwei Jahren nichts ändert. Während ich im Jahr davor nur als kurzzeitige Affäre ihres Sohnes gehandelt wurde und keine große Beachtung bei Kontradelle fand, bin ich seit dem Scheitern ihrer eigenen Beziehung zu ihrer schärfsten Konkurrentin geworden. Seit dieser Zeit buhlt meine zukünftige Schwiegermutter mit mir um jede Mickey-Minute.
Mickey selbst nimmt das alles - wie eh und je - wortlos hin. Und das, obwohl die Einsamkeit seiner Mutter mittlerweile auch an seinem Kopf Spuren hinterlassen hat. Nachdem Mickeys Haare endlich etwas länger und damit dem, was man unter Frisur versteht, schon sehr nahe gekommen waren, bestand Mama auf ihrer persönlichen Wunschfrisur. Die wiederum nennt sich Mecki und sieht auch so aus. Nämlich wie ein uralter, Fußball-köpfiger Igel, den man lieber nicht streichelt (was wohl auch Sinn der Sache ist). An der Stelle empfahl selbst ich Freddy Krügers Hut.
Aber leider habe ich bei Kontradelle nichts zu melden - und schon gar nichts zu empfehlen. Heute waren sie - trotz meines leisen Protestes: „Tu es bitte nicht, Mickey!" - beim Tätowierer, wo mein Herzensmann einen Anker mit Kontradelle-Schriftzug auf den Oberarm gebannt bekam. Danach folgte ein gemeinsames und vollwertiges Abendessen, bei dem mich Kontradelle noch rechtzeitig auslud.
Als Mickey mir vor einer Stunde auch noch unsere heutige Freund- übernachtet-bei-Freundin-Verabredung absagte, um stattdessen mit Mama die Sterne zu beobachten, hörte ich Kontradelle aus dem Hintergrund rufen: „3:0 für mich, Dana! Er ist und bleibt meine Mickey-Maus!"
Auch wenn meine eigene Mutter bisher nicht mit vielen Lebensweisheiten geglänzt hat, so brachte sie mir zumindest bei, dass jeder Mensch zwei Seiten hat. Ja, und auch wenn es mir nicht leicht fällt, Kontradelle ihre gute Seite abzugewinnen, so verstehe ich doch, woher ihr Kampfesgeist rührt, und meine wohl allzu berechtigte Wut wandelt sich nahezu jedes Mal in Mitleid. Kontradelle ist wirklich eine arme, einsame Frau, und laut Mickey leidet sie sogar unter Depressionen.
Dennoch ist die Beziehung zu meinem Mickey mittlerweile so etwas wie ein Battle gegen seine Mutter geworden, die - warum auch immer - Mickey zu ihrem persönlichen (Beschäftigungs-)Therapeuten und mich zur Zielscheibe ihres unendlichen Frusts gemacht hat.
Nicht, dass meine eigene Mutter da besser wäre. Sie ist nur weiter weg. In meinem Heimatdorf, dass ich an meinem zwanzigsten Geburtstag verlassen habe, also vor genau vier Jahren. Es zog mich einfach in die ferne Großstadt, weit weg von meinen Mutter-Problemen - und nun sitze ich wieder in einem Dorf, auch wenn dieses Dorf vor den Toren der Stadt Frankfurt liegt, und habe eine Mutter an der Backe, die mir den Mann meines Lebens vom Leib hält.
„Hatschi! Dana? Bist du noch da?", niest es aus dem Hörer.
Stimmt! Das einzige, was mir seit all den Jahren problemlos zur Seite steht, ist mein allergisches Engelchen Mel. Wenn auch nur über das Telefon, denn meine beste Freundin wohnt in München. Trotz Fernbeziehung stehen wir uns so nahe wie siamesische Zwillinge. Bildlich trifft das allerdings überhaupt nicht zu. Mel ist das optische Gegenteil von mir. Ich bin klitzeklein, sie ist riesengroß. Ich bin brünett, Mel ist blond. Ich bin ... ähm ... kompakt. Meine beste Freundin ist gertenschlank. Ja, ich würde so weit gehen, Mel als den Schwan und mich als das Entlein zu charakterisieren. Auch wenn ich kein hässliches Entlein bin, sondern mehr so eine unscheinbare Henne. Vielleicht ist das auch nicht der richtige Vergleich. Die Nerds in meiner Klasse hielten an der Behauptung fest, Mel und ich seien so etwas wie die irdischen Versionen von C-3PO (Mel) und R2-D2 (ich). Auch bei diesem Star-Wars-Vergleich kam ich eindeutig unscheinbarer weg, denn wie wir in Erfahrung brachten, war C-3PO ein großer Goldjunge und R2-D2 ein kleiner Industriestaubsauger mit ordentlichem Fassungsvermögen.
„Ihr zwei seid wie Dick und Doof!", meint hingegen meine Mutter.
Das klingt zwar gemein, trifft es wohl aber eher. Ich habe mich schon zu einer Zeit mit Mels Schönheit abgefunden, als sie noch über mein Streber-Dasein lachte. So ist es eben. Mel hat die schöne Figur, ich das gute Schulzeugnis. Nichts weiter als ein Beleg für die Tatsache, dass sich Gegensätze anziehen. Und wie! Magnete sind nichts gegen Mel und mich. Seit dem Kindergarten teilen wir uns nicht nur die Zeit, den Tisch und das Brot, sondern auch die Neigungen, die Neugierde und die Noten (nur dann, wenn Mel bei mir abschrieb). Auf dem Schulhof nannten sie uns "die Zweimaligkeiten" und das waren wir auch. Selbst wenn wir rüberkamen wie Dogge und Mops, ich stets allein zu den Schreib- und Lesewettbewerben ging und all die "Willst du mit mir gehen?"-Briefchen immer nur an Mel adressiert waren.
Und auch wenn wir unsere Klamotten nie tauschen konnten, ohne das Mel aussah wie eine bauchfreier Hochwasser-Storch und ich wie eine Kinder- Pellwurst mit überlangen Ärmeln und hinterher schleifenden Hosenbeinen.
Dank all dieser Parallelen lief auch unser Leben bis heute erstaunlich ähnlich ab. Kurz nach der Schule zog es uns in die große Stadt. Hier wollten wir leben - und arbeiten. Und da Mel nach ihrem Aussehen und ich nach meinem Notenspiegel eingestellt wurde, landete ich in Frankfurt und meine beste Freundin in München.
Zu meinem Job gibt es nicht viel zu sagen. Ich arbeite in einem Ministerium als genauso schlecht wie recht bezahlte Bürotusse. In unserem sogenannten Referat sitzen neben mir neun weitere Frauen, von denen neun meine Vorgesetzten sind - ich stehe tatsächlich ganz unten in der Hierarchie! Um das optisch zu unterstreichen, bin ich mit meinen einsfünfzig auch noch die Kleinste. Blöderweise übersieht mich aber trotzdem keiner. Mein Büro ist in der Mitte, und alle anfallenden Arbeiten werden nach Möglichkeit bei mir geparkt. Die Kleinste hat zumindest das größte Arbeitspensum. Obwohl das in Ämtern ja immer recht bescheiden ausfällt. Trotz auftürmender Papierberge kann auch ich mehrmals am Tag Löcher in die Luft starren, von einem aufregenderen Job träumen oder mit Familie und Freunden telefonieren.
Das tun meine Kolleginnen schließlich auch.
Und deshalb könnte man den Eindruck gewinnen, in einem hysterischen Hühnerstall statt bei hessischen Staatsdienern gelandet zu sein.
In der Folge ist das einzige männliche Wesen, das sich in unser gackerndes Referat verirrt, nur unser Postmann Markus. Ja, und selbst den hat das Östrogen schon dahingehend angefixt, dass er seinen Tonfall in ein weibliches Singsang ändert, sobald er mein Büro betritt.
Ganz anders sieht es bei meiner besten Freundin aus, die in einem topmodernen und testosterongeschwängerten Bürokomplex arbeitet. Mel ist schicke Cheftippse eines Münchner Großkonzerns. Sie verdient das Doppelte von dem, was ich monatlich nach Hause bringe. Dafür ist ihr Job auch nicht so einfach wie meiner. Sagt Mel.
Wie auch immer. Adrettes Aussehen gepaart mit arrogantem Auftreten, anstrengendem Chef, anhänglichen Kollegen und atemberaubenden Allergien verlangen meiner besten Freundin einiges ab. Arme Mel, mit ihr möchte ich wirklich nicht tauschen.
„Hatschi- Warum bist du denn heute so sprachlos, Dana? Gibt es wieder Probleme mit dem Schwiegermonster?"
Mel weiß immer, was mit mir los ist. Und schon platzt der ganze Kontradelle- Koller aus mir heraus und geradewegs in den Hörer, wo ihn meine beste Freundin mit lautstarken Niesattacken unterstreicht.
„Hach, so eine Hatschi-germutter wünscht man keinem", meint Mel, und ich seufze zurück, weil mir die einsame und depressive Kontradelle einfach nur leidtut. Dazu kommt, dass es mir - von meinem mickrigen Einkommen und Mickeys mimosiger Erzeugerin einmal abgesehen - richtig gut geht. Und das wiederum habe ich einzig und allein meinem Traummann zu verdanken, den ich so sehr liebe, dass ich schon beim minimalsten Gedanken an ihn strahle wie ein Honigkuchenpferd.
Das einzige, was Mickey und ich dringend einmal bräuchten, wäre etwas Zeit zu zweit. Vielleicht ein spontaner und mutterfreier Wochenendtrip oder - noch besser - eine ganze Woche Urlaub. Oh ja, Urlaub! Das wäre der Puderzucker auf meinem Honigkuchen. Auch wenn mein Budget nicht mehr als eine Woche Jugendherberge im Taunus hergibt. Allein der Gedanke an Urlaub mit meinem Mickey lässt mich ein lautes „Oh ja!" durch den Raum rufen.
Mel bezieht das auf sich:
„Oh ja, Dana, ich kann wirklich nicht mehr!"
Mel geht es überhaupt nicht gut. Das kann an ihren zehntausend Allergien oder an ihrer zehrenden Arbeit liegen - oder mal wieder an Klaus.
Tja, mit Klaus ist das so eine Sache. Wir kennen Klaus seit der fünften Klasse. Da wählten wir ihn zum Klassensprecher - und er Mel zu seiner großen Liebe. Bis heute. Das mag kitschig, schnulzig und rosarot klingen, wäre es aber nur, wenn Mel so ein Naturnarr wäre, der auch noch einem Mistkäfer etwas abgewinnen kann (oder zumindest nicht allergisch darauf reagiert). Das wiederum bezieht sich nicht auf Klaus selbst, sondern auf seinen Umgang: Klaus ist der wunderschöne Sohn eines feschen Försters und einer Vollblut- Fleckviehzüchterin, der noch immer in unserem Heimatdorf lebt, um vererbten Kühen die Euter zu schaukeln.
Einer, den man sonst nur im Holzfällerhemd auf einem Hochstand oder mit Helm in einer Höhle antrifft. Einer, den man regelmäßig ans Duschen und Garderobewechseln erinnern muss, oder auch daran, dass Menschen lieber in Häusern statt auf Bäumen leben. Einer, der an den Wochenenden atemberaubende Wald- oder Wiesenwanderungen mit stundenlanger und stinkendlangweiliger Insektenkunde unternimmt. Einer, den es in der warmen Urlaubszeit in sumpfige Morastgebiete zieht, da in der schwülen Hitze dort das Leben pulsiert (und die von Insektenstichen übersäte Haut ebenso).
Auch wenn Mel ihn dabei ungern und (aus allergischen Gründen?) unregelmäßig begleitet, ist auch er ihre große Liebe. Niemals würde meine beste Freundin ihren rustikalen Klaus gegen einen zivilisierten Stadtmenschen eintauschen.
Für Klaus gibt Mel wirklich viel. Vor ein paar Monaten sogar ihr PS-starkes Cabrio, denn laut Klaus trägt das die Hauptschuld am anhaltenden Käfersterben. So stieg meine beste Freundin auf die Bahn um, mit der sie Klaus fortan besuchte. Ungeachtet der Tatsache, dass die Bahn sicher auch ein paar Käfer auf dem Gewissen hat und ein Zugticket heute schon fast der ersten Rate eines Flugzeugkaufs entspricht. Wenn andere schon nichts für die Wirtschaft tun, muss eben Mel ran.
Dafür liebe ich sie, denn sie kann genauso wenig mit Geld umgehen wie ich (wenn ich denn jemals Geld hätte), aber sie tut es irgendwie für einen allgemeinnützigen Zweck. Mehr oder weniger.
Für all die am Wochenende sturzbetrunken heimkehrenden Bundeswehrjungs ist meine schöne Freundin jedenfalls so etwas wie eine lebende Legende der Strecke München - Minidorf. Zahlreiche mit Edding an Rückenlehnen gemalte Darstellungen einer nackten Frau - versehen mit Mels Vor- und Zunamen - werden noch für Jahrzehnte an meine beste Freundin erinnern, die doch nichts weiter tat, als in einem Zug-Abteil zu sitzen und sich auf ihren Klaus zu freuen.
Ich denke zurück. An all den Spaß, den ich zusammen mit Mel hatte. Damals in der Schule. Später auf unseren ersten Partys. Und beim Gedanken an unseren ersten Liebeskummer könnte ich sofort wieder losheulen. Wir waren immer füreinander da. Und wir hatten eine verdammt gute Zeit. Doch zu dieser Zeit lebten wir auch noch in unserem Dorf, wurden behütet, umsorgt -- und anerkannt.
Wahrscheinlich leidet Mel in München genauso unter mangelnder Akzeptanz wie ich in Frankfurt. Die Anonymität der Großstadt haute uns damals aus den Socken, wie es sonst nur ein schwüles Dachzimmer geschafft hätte. Und bis heute wird es uns dauerbelächelten Landeiern nicht gerade leicht gemacht.
„Ach, Dana, da wo Sie herkommen, ticken die Uhren ohnehin langsamer!", sagen sogar schon meine langatmigen Amtskollegen, während Mel hauptsächlich für ihren Fleckvieh-Freund belächelt wird.
Tatsächlich kämpfen wir im Großstadt-Dschungel nicht nur ums nackte Überleben, sondern auch um ein wenig Akzeptanz und Anerkennung. Doch von diesem Kuchen bekommen wir bis heute keinen Bissen ab. Was also haben wir von jenem Großstadt-Kampf?
Ehrlichgesagt: nichts. Überhaupt nichts. Fragt sich, warum wir dann überhaupt noch hier sind. Aber wo sollten wir stattdessen sein? Seit meinem Wegzug vermisse ich mein Heimatdorf genauso wenig wie meine Pubertät. Wenn mir irgendetwas aus meinem alten Leben fehlen sollte, dann nur meine fünfhundert Kilometer entfernte beste Freundin, die mich bestimmt genauso innig vermisst wie ihren Kriechtierfreund-Klaus.
„Klaus betrügt mich! Hatschi!", niest Mel in dem Moment.
Jetzt geht das schon wieder los.
„Engelchen, womit soll der dich denn betrügen? Mit einem Hirsch? Mit einem Käfer?"
„Auf der Hirschkäfer-Tour. Da hat er sich mit einer Isolde unterhalten. Das hat er mir ganz trocken am Telefon erzählt."
„Mel! Eine Frau wie du wird doch nicht durch eine Isolde ersetzt. Klaus ist froh, dass er dich hat."
Und wer Mel sieht, der gibt mir sofort recht.
„Meinst du?"
Mel selber sieht das wohl nicht so. Dabei kenne ich wirklich keinen Menschen - nicht auf Leinwänden oder Catwalks -, der es mit Mels Schönheit aufnehmen könnte.
„Dana, ich könnte nur heulen! -Hatschi!"
Wie gerne würde ich meine beste, dauerallergische Freundin jetzt in den Arm nehmen und mit ihr gemeinsam im Tal der Tränen versinken. Kann ich leider nicht, weil Mel so weit weg ist und mein Handy plötzlich "Ein Schloß am Wörthersee" singt, während auf dem Display "Mickey" blinkt.
Wenn mein Traummann mich anruft, anstatt sich mit Mutter die Sterne anzusehen, dann hat das einen triftigen Grund.
„Mel, ich muss dringend an mein Handy gehen. Ich ruf dich nachher zurück", unterbreche ich das heulende Hatschi meiner besten Freundin und lege schnell auf.
Kaum nehme ich Mickey entgegen, begrüßt der mich mit einem zaghaften „Ich brauche Urlaub!"
Bei Kontradelle-Dauerbeschuss zweifelsohne nachvollziehbar.
Auch stelle ich mal wieder fest, dass mein Freund ein wunderbarer Menschenkenner ist und deshalb in ein paar Jahren der beste Therapeut der Welt sein wird. Warum sonst spricht er mir im entscheidenden Moment direkt aus der Seele?
Seit fünf Jahren bin ich nicht mehr im Urlaub gewesen, und das macht sich nun langsam bemerkbar. Vor allem, weil meine Amtskollegin Ruth kürzlich in die Wechseljahre kam und seitdem alles daransetzt, dass auch ich darunter zu leiden habe. Seit einigen Wochen beschimpft mich die zuvor so unauffällige Kollegin im Stundentakt, kommandiert mich herum (was sich aufgrund des spärlichen Arbeitsaufkommens noch in Grenzen hält) und nutzt jede Gelegenheit, mich bei den Kollegen anzuschwärzen. Leider habe ich nicht den Mumm ihr zu sagen, dass mir trotz eierproduzierender Eierstöcke das gleiche Recht auf private Telefonate und Toilettenbesuche zusteht.
Nein, wenn die Menschen um mich herum ausflippen, dann sage ich gar nichts. Lieber ergreife ich die Flucht. So war das schon immer.
Ich erinnere mich noch gut an die Zeit, als meine Mutter in die Wechseljahre kam, im tiefsten Winter unsere Klimaanlage aufdrehte, nachts lautstark weinend durchs Haus lief und permanent etwas an mir auszusetzen hatte. Am Ende meiner Geduldsspanne floh ich nach Frankfurt.
Im Nachhinein kam Mamas Menopause wie gerufen. Ich wollte von Anfang an nicht in unserem Dorf alt werden, ohnehin irgendwann das Abenteuer „Großstadt" bestreiten. Nun konnte ich die Sache beschleunigen - und den Umzug von meinem verständnisvollen Vater finanzieren lassen.
Ja, ich gebe es zu, ich bin ein klassischer Verpisser. Und die wohl einfachste (da vergänglichste) Form von Flucht ist natürlich Urlaub: Alle sind nett, weil sie dafür bezahlt werden. Sämtliche Sorgen und Nöte verblassen hinter Entspannung und Erholung an einem wunderbaren Ort. Und wenn ich diese Zeit auch noch mit dem Menschen verbringen kann, den ich über alles liebe, dann wird es ... allerhöchste Zeit. Schon erreicht das Rauschen des Meeres meine Ohren. Magie? Nein, leider nur die lautstarken Schlafgeräusche meiner neunzigjährigen Nachbarin, die einheitlich durch die porösen Wände dringen.
„Du, Urlaub ist jetzt wirklich die beste Idee!", singe ich kraftvoll und mehrmals in den Hörer, weil Mickey schon wieder in den Ruhemodus übergegangen ist.
„Du hast also kein Problem damit?", hakt mein Traummann zaghaft nach - allerdings erst nach einer längeren Schweigeminute.
„Warum sollte ich damit ein Problem haben? Nur, weil du diese tolle Idee zuerst hattest? Bestimmt nicht! Weißt du denn schon, wo es hingehen soll?"
„Ist schon alles gebucht.", antwortet Mickey wie aus der Pistole geschossen.
Wow! So spontan kenne ich ihn gar nicht - weder verbal noch in Aktion. Als wir uns kennenlernten, musste ein ganzes Jahr ins Land ziehen, bis ich Mickey zum ersten Mal daheim beehren durfte. Obwohl sein Elternhaus keine fünf Autominuten von mir entfernt liegt, bestand Kontradelle auf diese räumliche und zeitliche Trennung. Umso schöner, dass sich nun, nach mehr als drei Jahren, endlich unser erster gemeinsamer Urlaub anbahnt, spontaner als jemals von mir erwartet.
„Wo fahren wir denn hin, mein Schatz?", singe ich voller Freude in den Hörer.
Schweigen.
„Wo geht es denn hin?", frage ich ein paar Minuten darauf noch einmal.
„Nach Florida. Miami. Wieder."
Nach Florida? Für mich wäre das eine Premiere.
„Wow!", sage und denke ich. Sommer, Sonne, Strand ...
„Und Mutter!", meint Mickey.
„Kontradelle kommt auch mit?"
„Sie heißt Corabelle! Und ja, Mutter hat das gebucht!"
„Deine Mutter spendiert uns einen Amerika-Trip?"
Ich habe Kontradelle unterschätzt.
„Meine Mutter spendiert UNS einen Amerika-Trip - sich und mir!", antwortet Mickey reumütig.
Ich habe Kontradelle total unterschätzt.
„Dana, 4:0!", ruft Kontradelle aus dem Hintergrund.
„Du fährst schon wieder ohne mich in den Urlaub?!", gebe ich fassungslos von mir, „Mickey, wir hatten doch eine Abmachung!"
Diese Abmachung entstand vor einem halben Jahr, als Mickey und Kontradelle gerade von den Seychellen zurückkehrten und Mickey mir felsenfest versprechen musste, seinen nächsten Urlaub mit mir zu verbringen und nicht mit Kontradelle, die sich in dem Moment auch noch Mickeys Handy zu eigen macht:
„Dana, jetzt zick hier mal nicht rum! Wir werden für ein halbes Jahr nach Florida gehen. So viel Urlaub hast du doch gar nicht!"
„Aber, aber ... wie bitte, ein halbes Jahr?!", frage ich fassungslos.
„Ja, wenn Mickeys Studium fertig ist, wird er wohl keine sechs Monate mehr frei bekommen!"
Ich kenne aber auch keinen Studenten, der ein halbes Jahr pausiert. Obwohl ... Auf den Seychellen waren sie auch schon mehrere Monate gewesen. Kaum waren drei quälende Wochen vergangen, verlängerte Kontradelle um weitere zwei, und das wiederholte sie noch drei Male.
Schon beim Gedanken an diese Zeit läuft mir ein kalter Schauer über den Rücken. Als würde sie das spüren, meint Kontradelle in dem Moment: „Mehr als neunzig Tage in die USA können nur diejenigen, die einen richtigen Job und genügend Geld auf dem Konto haben."
Ja, und dank dem einen habe ich nicht mal die Spur vom anderen. Obwohl Mickey und Mutti auch keinen Job haben ... dafür aber Geld! Sehr viel Geld. Dank Mickeys Vater, der mittlerweile in Hamburg lebt.
„Dana, sieh der Wahrheit ins Gesicht: Jemand wie du bekommt kein B2- Visum!"
Ich will auch gar keinen R2-D2!
Alles, was ich will, ist Mickey. Meinen Mickey! Aber das kann ich seiner Mutter nicht sagen. Warum auch immer, aber ich traue mich das nicht. Obwohl Kontradelle nur wenig Rückhalt hat, besitzt sie ein unglaubliches Rückgrat. Und das zeigt sie mir jetzt von ihrer besten Seite: „Außerdem wird Mickey zum Ende des Jahres in Hamburg studieren. Da ist es doch wohl selbstverständlich, dass ich vorher noch etwas Zeit mit ihm verbringen möchte!"
Bitte, was?! Hamburg???
Die Fernbeziehung zu meiner besten Freundin in München ist schon eine Belastung. Jetzt soll ich auch noch eine mit Mickey führen?!
Immerhin bin ich nicht die einzige, die an Flucht denkt. Trotzdem hoffe ich, dass der Grund für Mickeys Flucht in den Norden Kontradelle heißt - und nicht Dana.
„Dana? Bist du noch dran?"
Leider schon.
Dessen ungeachtet schweige ich trotzdem - atme dafür umso lauter und heftiger.
„Warum bist du bloß so egoistisch? Warum gönnst du Mickey seinen wohlverdienten Urlaub nicht? Weißt du eigentlich, wie hart sein Studium ist? Er wird mal Therapeut, verdammt!"
Vor langer Zeit sagte der Papst einmal, er sei der nicht irrende Stellvertreter Gottes auf Erden. Scheint so, als mache Kontradelle ihm diesen Rang nun streitig.
„Tut mir leid", erklingt jetzt auch noch eine Roboterstimme - allerdings aus meinem Mund.
„Das klang nicht nach Entschuldigung! Das geht auch anders, Dana!"
„Es tut mir leid. Mickey hat seinen Urlaub verdient! Das gönne ich ihm ...nein, euch beiden natürlich", sage ich, während ich mich gleichzeitig frage, wie sie es verdammt noch mal geschafft hat, mich solch devote Sätze aussprechen zu lassen.
Ist mein Mitleidspegel mal wieder am Anschlag? Wohl kaum, im Moment empfinde ich eher das Gegenteil. Bin ich ein Feigling? Oder einfach nur ein willenloser R2-D2, der so funktioniert, wie andere das gerne hätten?
Daran will ich gar nicht erst denken. Stattdessen nehme ich vorlieb mit den katholischen Priestern, die nach Ablegen des Zölibat-Gelübdes auch nicht mehr wissen, warum sie nur Sekunden zuvor den einzigen Spaßfaktor ihres Lebens zerstört haben.
„Na, dann ist es ja gut. Mickey wird dir auch viele E-Mails schicken", muntert Kontradelle mich auf, so wie es wohl auch der Papst bei seinen Priestern praktiziert, damit diese sich nicht direkt von der nächsten Klippe stürzen.
„Dankeschön. Da freue ich mich", antwortet R2-Dana2.
Warum auch immer nehme ich aber gleich darauf den kläglichen Rest meines nichtvorhandenen Mutes zusammen und frage: „Dürfte ich jetzt bitte noch einmal mit Mickey sprechen? Nur ganz kurz. Bitte!" Himmel, ich höre mich an wie ein um Süßigkeiten bettelndes Kleinkind.
Nach einigen Minuten des Nachdenkens fasst sich Kontradelle ein Herz für Kinder und drückt auf den Lautsprecherknopf.
„Okay, schieß los. Wir hören dich jetzt beide!"
„Mickey?", frage ich unsicher.
„Ja, Dana?", fragt Mickey zurück.
„Willst du wirklich nach Hamburg ziehen?"
„Ja, denkst du, ich lüge?!", kreischt Kontradelle, und da mein lautes Schluchzen wohl nicht mehr zu überhören ist, nimmt auch Mickey all seinen Mut zusammen und sagt: „Wahrscheinlich schon. Aber das entscheidet sich erst im Urlaub!"
In diesem Moment ist es mir egal, dass Kontradelle keine Privatsphäre zwischen Mickey und mir duldet, und so stelle ich die Frage, die gerade in mir brennt, selbstverständlich an Mickey: „Liebst du mich?"
„Wie bitte?!", schreit Kontradelle.
„Mickey, liebst du mich?", frage ich noch einmal und Kontradelle antwortet: „Dana, das ist billigste Manipulation!"
Es macht Klick, und unser Gespräch ist beendet.
Manipulation? Billigste Manipulation? Fassungslos starre ich an die Wand. Bevor mich die quälenden Gedanken umbringen, fliehe ich ... vor den Fernseher.
Copyright © 2014 Mira Taschenbuch im Cora Verlag
... weniger
Autoren-Porträt von Anna Gold
Nach fünfzehn langen Jahren anonymer Bürotätigkeiten in allen erdenklichen Berufssparten entschied sich Anna Gold, ihr Hobby zum Beruf zu machen. Seit 2011 arbeitet sie als freie Schriftstellerin und Ghostwriter. Anna Gold ist Mutter eines zweijährigen Sohnes, Ehefrau eines Drehbuchautors und wohnt zusammen mit ihrer vegetarischen Familie in Oberbayern.
Bibliographische Angaben
- Autor: Anna Gold
- 2014, 1. Aufl., 304 Seiten, Maße: 12,5 x 18,5 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Verlag: MIRA Taschenbuch
- ISBN-10: 3956490096
- ISBN-13: 9783956490095
- Erscheinungsdatum: 01.06.2014
Kommentar zu "Verpissimo! Ein Sommer in Italien"
0 Gebrauchte Artikel zu „Verpissimo! Ein Sommer in Italien“
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
---|
2 von 5 Sternen
5 Sterne 0Schreiben Sie einen Kommentar zu "Verpissimo! Ein Sommer in Italien".
Kommentar verfassen