Gottverdammte Tage auf einem gottverdammten Planeten
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Das neueste Werk des jungen wilden Flamen aus den wallonischen Bergen ist eine Menschheits-, Technik- und Kulturgeschichte in schnoddrigen Kommentaren, krassen Bildern und funkensprühenden Sätzen. Ein Pamphlet, das dem Menschen den Spiegel vorhält und...
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Produktinformationen zu „Gottverdammte Tage auf einem gottverdammten Planeten “
Das neueste Werk des jungen wilden Flamen aus den wallonischen Bergen ist eine Menschheits-, Technik- und Kulturgeschichte in schnoddrigen Kommentaren, krassen Bildern und funkensprühenden Sätzen. Ein Pamphlet, das dem Menschen den Spiegel vorhält und seinen Werdegang vom Wasserwesen zum Erbauer der Atombombe, seine Entwicklung im Zeichen des Fortschritts als einen einzigen Zug der Verheerung und Weltzerstörung beschreibt.
Klappentext zu „Gottverdammte Tage auf einem gottverdammten Planeten “
Der neue Geniestreich des wilden Flamen: die Geschichte der Menschheit als bitterböse Satire.Das neueste Werk des jungen wilden Flamen aus den wallonischen Bergen ist eine Menschheits-, Technik- und Kulturgeschichte in schnoddrigen Kommentaren, krassen Bildern und funkensprühenden Sätzen. Ein Pamphlet, das dem Menschen den Spiegel vorhält und seinen Werdegang vom Wasserwesen zum Erbauer der Atombombe, seine Entwicklung im Zeichen des Fortschritts als einen einzigen Zug der Verheerung und Weltzerstörung beschreibt.
Der neue Geniestreich des wilden Flamen: die Geschichte der Menschheit als bitterböse Satire.Das neueste Werk des jungen wilden Flamen aus den wallonischen Bergen ist eine Menschheits-, Technik- und Kulturgeschichte in schnoddrigen Kommentaren, krassen Bildern und funkensprühenden Sätzen. Ein Pamphlet, das dem Menschen den Spiegel vorhält und seinen Werdegang vom Wasserwesen zum Erbauer der Atombombe, seine Entwicklung im Zeichen des Fortschritts als einen einzigen Zug der Verheerung und Weltzerstörung beschreibt.
Lese-Probe zu „Gottverdammte Tage auf einem gottverdammten Planeten “
Aller Anfang ist schwer. Sieh nur: Es kriecht aus dem Wasser, ohne sich umzudrehen. Es könnte noch einen letzten Blick auf den Ozean werfen, aus einem Gefühl ehrfürchtigen Heimwehs, doch das tut es nicht. Es hat nämlich genug davon, auf den sandigen Gründen der uranfänglichen Wasser herumzukriechen, genug von den Eichel- und Pfeilwürmern, den Chorda- und Manteltieren, den Schädellosen, mit denen es Jahrmillionen die Meere geteilt hat. Es sagt Adieu den Quastenflossern, den Muscheln und Schollen, Lebwohl den Knurrhähnen, Rochen und Brassen, will nicht mehr mit Lachsen und Aalen im selben Urelement zusammenleben. Verabschiedet sich von den Seeteufeln und wünscht auch den Barschen stets ein Kiemendick Wasser unter den Flossen, doch kann es den Versprechungen einer rosigen Zukunft nicht mehr widerstehen und verlässt das kühle Nass. Na los, es scheißt noch ein letztes Mal kräftig in die See, mit diesem Akt symbolisch seinen Entschluss unterstreichend, legt sich dann zum Abtropfen und Trocknen dorthin, wo schon die Perlhirse keimt, und zieht danach in den Dschungel, um sich in ein erschröckliches Monster mit dicken Knochen, Talgdrüsen, meterlangem Gedärm und einer Speckschicht zu verwandeln. Und Haaren, unglaublich viel Haaren vom Kopf bis zu den Pfoten, in denen Flöhe und Zecken ein einfaches Leben führen, indem sie den Wirt so jucken, dass der sich kratzen muss, bis seine Haut in Fetzen hängt und sie aus seinem Blut ihr Festmahl machen.Wie spät ist es?
Früh, es ist noch früh. Früher ist fast unmöglich. Der Tag ist jung und frisch, und nichts steht fest. Und als das Wetter dann endlich etwas milder wird, verlässt es allmählich den feuchten Schatten des tropischen Regenwalds und durchstreift die Savannen, mal in den Bäumen, mal unter ihnen.
Es hat sich, wie so viele, die das heilige Wasser verließen, in Schwanz- und Spaltenträger geteilt. Doch ist es, mit Ausnahme des weiter nicht zählenden Bonobos, das einzige Wesen - und wird das auch bleiben -, bei dem das
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Männchen das Weibchen von vorne nimmt und mit Nachkommenschaft vollpumpt; so kann das Männchen die Angst und den Hass in der groben Visage des Weibchens betrachten, die Abneigung und den Ekel. Es paart sich im Gestank gegenseitiger Mundgerüche - aufeinander, kreuz und quer. Denn sonst ist nicht viel zu tun. Beeren fressen und in der Erde nach Riedgraswurzeln zum Auslutschen graben. Es säuft Pfützen leer, knackt Nüsse und lässt sich ab und zu Ameisen ins gefräßige Maul spazieren: herrliche Termiten, die es auf einem Zweig gesammelt hat, saftig und vitaminreich. Das sind seine Aktivitäten. Das und den Mond anheulen, aus Übermut. Oh, wie herrlich, aus dem Wasser gekrochen zu sein, wo man gedankenlos laichte, Schleimfäden herumspritzte oder ein paar Zellen teilte, um fruchtbar die Meere zu füllen. Und wie herrlich, all dies zu bedenken, wenn man sich auf dem Baum zum Schlafen legt, im Frieden mit sich und den Vögeln.
Doch es wird warm. Zu warm. Die Früchte verdorren, und die Bäume verkümmern. Zur Mittagsstunde sengt die Sonne ihm wütend den Pelz. Sein Rücken scheint zu verbrennen. Und um der Sonne eine kleinere Angriffsfläche zu bieten, macht es sich größer, richtet sich auf. Was für ein Schlingel. So! Jetzt sind nur noch Kopf und Schultern der Sonne ausgesetzt, der Rest seines Körpers braucht nicht mehr zu braten. Sieh mal, freihändig! Es geht auf den Hinterbeinen! Es kann Obst pflücken und in der Nase bohren, ohne seinen Weg dafür unterbrechen zu müssen. Drollig. Hundertzwanzig Zentimeter misst es jetzt, groß genug, um über das Gras der Savanne hinwegzublicken.
In seinem vor Hitze fast kochenden Kopf befindet sich, außer hier und da etwas Rotz, ein gut 650 Kubikzentimeter großes Stück Dreck: seine Hirnzellen, Kommandeure des Vögelns und Fressens. 650 Kubikzentimeter pure Lebensfreude, und die will sich austoben, jawohl. Wär das möglich?
Doch es gibt nichts zu futtern, und die Weibchen sind trächtig oder haben ein Junges an den Zitzen, was sie lustlos und unfruchtbar macht. Und solange sie Milch geben, lassen sie sich nicht bespringen, so einfach ist das. Es gibt also nur eins: dem Nachwuchs den Schädel einschlagen. Infantizid! Mit welcher Ausgelassenheit das nur ein paar Tage alte, noch vom Gebärmutterschleim bedeckte Kleine bei den Hinterläufen gepackt und mit dem Kopf auf einen Stein geknallt wird! Das Blut spritzt in alle Richtungen, der Kot kleckert als Todesanzeige heraus. Kleines hinüber. Endlich kann es seine achtundzwanzig Kilogramm auf die Mutter werfen, ihr seine Kloakendünste ins Gesicht keuchen, neben dem Jungtierkadaver, auf den sie die Augen geheftet hält. Doch falls das ein Trost ist, lang braucht das Weibchen nicht auf Vollzug zu warten: Schon vom Morden hat das Männchen einen Steifen bekommen und besitzt keine Worte, seinen Schweinigeleien erst noch langes Süßholzgeraspel vorauszuschicken. Rein und raus und fertig. Das spart vor allem Zeit. Viel Zeit und viel Geschwafel.
Jetzt aber: essen! Nur was? Nichts zu finden in dieser elenden Dürre, und der Hunger ist zu groß, einfach in der Erde nach ein paar Wurzeln zu scharren. Das Gras ist vertrocknet und wird sofort wieder ausgekotzt. Sein Magen verträgt das nicht - sieht es etwa aus wie ein Wiederkäuer? Fleisch muss es haben, das ist die einzige Lösung. Und es starrt zum Himmel, bis seine Augen brennen, und es sieht, wie die Geier von ihrem blauenden Revier aus ein Stück Vieh ins Visier nehmen. Da oben müsste es sein. Am Boden kommt es zu spät. Das Aas ist verschlungen, das Fett der Beute von den Vögeln bereits in Flugmeilen umgesetzt, und es muss sich mit dem Abfall begnügen, der im Gerippe zurückbleibt. Gekröse. Es grabscht sich den Magen aus dem Kadaver des Dings, das bis vor kurzem noch ein Gnu war, und saugt ihn aus. Echt eklig, aber es schmeckt, wie vieles Eklige, nach mehr. Als der Magen ausgeschlürft ist, hat es für immer den Geschmack von Blut auf den Lippen und will die Zähne in das wenige Fleisch schlagen, das noch an den Knochen hängt. Denn genug wird es hiervon nie mehr bekommen, das steht fest. Doch sein Kauapparat ist nicht für diese Art Nahrung geschaffen; seine Zähne sind nicht spitz genug, das sehnige Fleisch in Streifen zu reißen, und die dicken Brocken zu groß und zu zäh, einfach unzerkaut heruntergeschluckt zu werden. Der Kadaver muss zerlegt, auseinandergenommen werden, bevor die Würmer ihn ungenießbar machen. Es stampft und springt auf die Knochen, das Gerippe muss brechen. Ohne Erfolg. Doch es ist fest entschlossen, schließlich hat es Blut gerochen. Da, sieh, es nimmt einen Stein und schlägt damit zu. Und was passiert? Was passiert? Die Knochen krachen, und etwas Leckeres ist darin: Mark. Es saugt es aus und ist zufrieden.
Was für ein Glück: gevögelt und gefressen zu haben, satt und befriedigt. Nur ein Schläfchen fehlt jetzt noch zur Seligkeit. Während die Kleinen verrotten, träumt es von sich selbst, kaiserlich pissend in einen See, die Hände im Nacken.
Doch - leider! - das Paradies muss auf ein andermal warten: Die Weibchen sind es leid, immer wieder einer Nachkommenschaft Milch geben zu müssen, die schon ein paar Tage später an einen Felsen geknallt wird. Leid, neun Monate bei der Hitze sinnlos mit dickem Bauch herumzulaufen, der sie wehrlos macht, und für zwei essen zu müssen. Also hüpft es jetzt mit jedem ins Gebüsch. Eine ausgeklügelte Taktik: Herrscher und Huren, zehntausend insgesamt, verteilt über die ganze Erde. Das heißt, 0,006 Vertreter der Art pro Quadratkilometer. Und der Vorteil der Rumhurerei: Inzwischen hat es durch all den Wettbewerb ums Weibchen einen gewissen Stolz auf seinen eigenen Samen entwickelt, der Macho. Und da es nicht immer weiß, ob es die Nachkommen eines anderen oder die eigenen zu Hackfleisch macht, lässt es die Jungen eben leben. Vorsicht ist besser als Nachsicht. Und die Huren, das muss man sagen, sind gut. Verdammt, ja! Sie geben sich dem, der das meiste zu bieten hat. Fleisch. Fleisch! Fleisch für Fleisch. Also muss man die Steine von eben perfektionieren. Härter und schärfer müssen sie werden, damit man die Knochen noch besser knacken kann. Sieh da, ein Schaber! Und hier, eine Nadel, scharf und tödlich. Und da, ein Faustkeil, schwer, aber handlich, ideal zum Zerschmettern. Es muss natürlich erfinderisch sein, wenn es nicht mit dem Abfall der anderen zufrieden sein will.
Eigentlich möchte es nun auch selbst etwas jagen. Etwas aus einem Stück. Und frisch. Wie gern würde es sich zum Beispiel ein noch klopfendes Herz einverleiben - als äße es ein wenig damit zugleich auch das Leben. Warmes Gedärm, das wär was! Ein Tier, groß genug, es ins Lager mitzunehmen, damit man einem Weibchen was anbieten kann oder vielleicht - wer weiß - allen Weibchen.
Worauf wartet es eigentlich noch? Na los! Es müsste klappen, denn unter der Trockenheit leiden alle, Gazellen wie Rehe. Die Tiere laufen zwar schnell und lassen sich nicht einfach mit einem Stein erlegen, doch unter Durst leiden auch sie und sind früher oder später erschöpft. Darum hat es sich entschlossen, draufloszumarschieren. Einfach einem Tier hinterher, immer demselben. Ein Kinderspiel in diesem offenen Gelände. Da, lang hat es nicht warten müssen, da läuft schon was. Was ist es? Ja, ein Gnu, tatsächlich, ein Gnu, erschöpft vom Durst, auf der Suche nach einer Wasserstelle, einer dreckigen Pfütze, einem Tropfen, wenn's ihn nur auflecken dürfte. Das Tier bemerkt seine Verfolger.
Doch Geduld ist eine schöne Tugend, ganz ruhig geht es dem Vierbeiner hinterher, nicht zu schnell, nicht zu energisch, ganz entspannt, ganz gelassen. Trotz der Hitze. Es spürt ein Kribbeln auf der Haut. Adrenalin. Es spürt das Nahen des Fressens und die Begier zu vögeln. Alles, was es in die Lage versetzt, die Müdigkeit zu vergessen und das Gnu zu verfolgen, immer langsamer jetzt. Denn das Gnu, auch das Gnu, ermüdet nach Stunden des Laufens - wie du. Und das soll es ja auch. Schubidu. Jetzt geht es dem Tier nicht mehr hinterher, sondern läuft in lockerem Trab darauf zu, der Sieg ist nah. Und als die Beute merkt, dass ihr Gebrüll eher wie ein Hilfeschrei als irgendwie abschreckend klingt, und endlich aufgibt, springen die Jäger auf sie. Fünf Mann zugleich. Schlagen mit den Steinen auf den weichen Schädel ein, rammen dem Tier die schärfsten Ecken und Kanten in die Brust, während es zappelt und brüllt. Dann tut das Gnu die Augen zu. Danach ist auf der Welt nur ein Geräusch zu hören: das Schmausen und Schmatzen der fünf. Es schlägt seine Zähne in die weichsten Teile. Und bevor es zum Rückzug bläst, reißt es dem besiegten Tier noch schnell die Zähne aus, als Andenken, als Jagdtrophäe. Damit kann es den Weibchen bestimmt imponieren. Die Reste des Kadavers legt es sich über die Schulter. Seine Rückkehr wird garantiert dankbar gefeiert, und am Abend verwandelt sich die Savanne in eine einzige weiche Matratze. Wenn das keine Motivation ist.
Natürlich ist das Motivation. Es haut und schleift Steine, noch feiner jetzt, damit sie noch besser in seine Hand passen, schärfer sind, tödlicher. Und beim Hauen und Schleifen springen auf einmal Funken, nanu, das Gras fängt Feuer. Es hat das schon einmal gesehen, und war auch damals von der Macht des Feuers fasziniert. Mit einer gewissen Rührung, aber auch mit Schrecken hatte es beobachtet, wie der Blitz einen Baum spaltete, worauf die Hitze Licht wurde und das Licht Hitze. Alles ziemlich verwirrend. Die Tiere liefen davon, um die Wette. Was muhen konnte, muhte, und was kreischen, kreischte. Und es betrachtete das alles, wie es zuvor schon einmal in eine Pfütze geschaut hatte, voll Bewunderung ob seines Spiegelbilds, und war zuletzt auch davongelaufen, sicherheitshalber.
Macht, etwas anderes konnte es im Feuer nicht sehen, denn das Feuer verschonte nichts, und was es doch verschonte, lief vor ihm davon. Und jetzt, jetzt macht es selbst diese Macht. Zwei Feuersteine aneinanderzuschlagen genügt, nachts die Löwen auf Distanz zu halten. Zwar gibt es ein paar Motten und Mücken, die sich davon nicht einschüchtern lassen, aber sie büßen dafür. Oder spüren auch sie dieselbe Faszination und geben ihr einfach nach, fliegen in die Flammen, um auf immer zu verschwinden?
So kommt es, dass es sich einmal einen gerösteten Schmetterling in den Mund steckt, nicht so sehr aus Hunger als aus Freude am Fressen. Und aus Neugier. Der Körper des Tierchens fühlt sich angenehm auf der Zunge an, warm, und als es darauf beißt und das weiche Innere an seinen Gaumen spritzt, kommt ihm der Gedanke, dass es ja nichts schaden könne, die sehnigsten Schlachtabfälle ins Feuer zu werfen. - Wow! Dieser Duft, Jungs! Dieser Duft! Das Wasser läuft ihm im Mund zusammen. Viel, viel zarter ist das Fleisch jetzt und wird auch noch leichter verdaut. Dass es nicht früher darauf gekommen ist, aus dem Wasser zu kriechen und auf zwei Beinen zu laufen! Da sitzt es, majestätisch, im Kreis um das Feuer und vergisst dabei die Schmerzen der Jagd, ja sogar sein klopfendes Zahnweh und die Bauchkrämpfe. Es schaut ins Feuer und ist zufrieden. Es lauscht dem Geknister der Fliegen und dürren Zweige und lässt die Gedanken frei schweifen, zu Orten, wo es irgendwann noch mal hin möchte, zum Mond vielleicht. So ein Schwachsinn!
Warm. Gemütlich. Wenn nur nicht immer noch jeder mit jedem herumschlafen würde und es einen Wunsch in sich aufkommen spürte, mit einem Artgenossen zu tun, was es eben noch mit den Tieren getan hat. Etwas mit scharfen Steinen und viel Blut. Es würde den anderen gern deutlich machen, dass sie das Weibchen hier in Ruhe lassen sollen, es mag sie und findet es unerträglich, sie mit der Gruppe teilen zu müssen. Und die Weibchen, o unbeschreibliches Elend, empfinden manchmal das Gleiche: Sie knurren, wenn sie sehen müssen, wie ihr geliebter Flegel eine andere deckt. Doch weit kommt es damit nicht, mit diesem Geknurr. Es braucht etwas, um sich auszudrücken. Etwas, womit es eindeutig klarmachen kann: "Finger weg von diesem Exemplar, denn alles, was da schwillt an Brust und Hintern, Bauch und Lippen, alles, was da prangt und hangt und wabbelt, ist Besitz! Mein Besitz!" Ja, etwas, womit es sich ausdrücken kann, denn es kann sich nicht erlauben, tagelang aufeinander einzudreschen, schließlich brauchen sie sich immer noch gegenseitig zur Großwildjagd.
Und damit entwickelt es etwas, was sonst keine Art in dem Maße besitzt: eine weiße Umrandung der Iris. Augenweiß! Viel Weiß! Das erleichtert, mit Blicken zu sprechen: Angst, Verliebtheit, Wut, Begierde, Eifersucht^ Das alles lässt sich mit dem Weiß in den Augen ausdrücken. Wie praktisch! Dem andern schöne Augen machen zu können. Und weil es sich mit den anderen jetzt so gut verständigen kann, hat es begriffen, dass es für den Zusammenhalt untereinander besser ist, sich etwas selektiver zu paaren. Es steigt fortan nicht mehr vom einen herunter, nur um sich sofort auf den anderen zu werfen, oder wenn, dann lieber doch so, dass es nicht gleich auffällt.
Es paart sich und schwängert, klar, schon Mutter mit zwölf, und bleibt zusammen, bis das Kleine auf eigenen Beinen steht und nicht mehr an den Mutterzitzen hängt.
Das alles mit Erfolg, denn seine Anzahl wächst. Auf zehn Quadratkilometer zählt die Art jetzt einen Vertreter, und die Nahrung wird denn auch knapp. Vögeln, keine Frage, macht schon Freude. Aber eine Familie ernähren zu müssen, das ist was anderes, nur fünf Kilo Fleisch kommen pro Hektar zusammen, verdammt! Man muss neue Jagdreviere suchen, nichts dran zu ändern. Die Welt ist groß, es gibt genug für jeden.
Warum soll es bei seinem Haufen bleiben und Hunger leiden? Es schwärmt aus, eine Gruppe nach der anderen, immer ein bisschen weiter, ein Kilometer pro Generation. Die ersten Horden verlassen die Ufer des vertrauten Flusses, es zieht durch die Täler, klettert auf und über Berghänge, sucht Nahrung hier und Liebe da. Unmerklich fast und ohne dass es voneinander weiß, hat es sich wie eine Plage über den größten Teil der Erde verbreitet. Es herrscht, keine Region, die seinen Stempel nicht trägt. So kann man das betrachten. Es herrscht, doch für seine Ansprüche noch nicht genug.
Unterwegs hat es in den Wüsten büschelweise Haare verloren und hat gelernt zu schwitzen statt zu hecheln, um die Hitze aus dem gottverdammten Körper zu kriegen.
Und die Trockenheit dauert an. Die Wärme geht ja noch, sie nimmt sogar ein klein bisschen ab, aber die Trockenheit ist geblieben.
Wie spät ist es?
Heh, was spürt es da nur die ganze Zeit in seinem Hals kitzeln?
Den Kehlkopf, er senkt sich langsam, sitzt auf einmal ein ganzes Stück tiefer. Es kann Geräusche damit machen, "u-u- uh" und "a-a-ah"! Das kann natürlich jeder. Es kann aber auch "u-i-u" und "trullala". Das ist schon schwerer. Oder, äh "kwotito" und "tunkuba". Haha. Bwong bwong pong. Kiki flipi. Ata fata. Das ist lustig! So was! Der Rachenraum ist größer geworden, daran liegt es, und mit der Zunge kann es die Laute jetzt formen. Kleine Demonstration gefällig? "Fanta." Also bitte, zwei ganze Silben! Die fröhlichsten Tage im Logbuch der Welt brechen an, denn alles ist noch unbenannt und jemand, es, wer sonst, muss alldem noch einen Namen geben. Tier. Baum. Wasser. Moos. Kein Ende abzusehen; alles, aber auch alles muss ein eigenes Wort bekommen. Himmel. Boden. Mond. Vogel. Feuer. Grube. Fuchs. Abends sitzt es mit den anderen zusammen und palavert über die Namen, die noch in der Welt verteilt werden müssen. Einer zeigt auf einen Stein und probiert so ein Wort: "Sch--tein". Klingt nicht schlecht. Die anderen nicken, oder nein, sie nicken nicht, sie haben schon die Worte "ja" und "nein", sie sagen also: "Ja, Stein passt zu dem Ding", und Stein wird es bleiben. Blaffen und Brüllen war gestern, außer ab und zu, denn es merkt schnell, dass all die Worte manchmal auch schrecklich unzureichend sein können. Ansonsten spricht es - doch das Äugeln, das große und schöne Augen machen, verlernt es natürlich nicht mehr.
Begegnen zwei sich seitdem im Wald, können sie etwas sagen. Zum Beispiel: "Kalt heute, nicht?"
Und ob es kalt ist, und es wird nicht so schnell wärmer werden. Im Norden hält eine Eisschicht alles Wasser gefangen. Sie saugt es auf, friert es ein, wodurch das Eis immer dicker und der Süden immer trockener wird. Manche Inseln sind tiefgefroren, bis zu dreißig Grad unter null. Die Wüsten wachsen, der Meeresspiegel sinkt, und ganze Landstriche im Inneren der Kontinente werden zu einer einzigen riesigen Steppe - voll schmackhafter Mammuts, das muss man immerhin zugeben. Es könnte schwören, dass die Welt sich für den Umstand rächt, dass es seit einer Weile das Feuer beherrscht. Jetzt hätte es sein Fell gerne wieder, und weil das nicht von selbst zurückkehrt, bleibt ihm nichts andres übrig, als es den Tieren abzunehmen. Sie sind ja so nützlich, die Tiere! Ihr Fleisch zum Essen und ihre Haut zum Sichkleiden.
Es reißt sich die Felle zurecht und bindet sie zusammen, Blut- und Schleimklumpen hängen noch dran. Nach einigen Tagen beginnen die Kleider natürlich zu verrotten und stecken die Ärmel voller Würmer, doch das lässt sich ändern. Irgendwann. Erst mal nachdenken, und inzwischen die Körperwärme eines anderen Wesens genießen. Nun ja, genießen^ in ihm knackt und knarrt es überall, vor Rheuma. Die Mücken stellen fröhlich ihre Macht zur Schau; wie Geister schwirren sie über die Steppen und bringen Gesumm und jede Menge Malaria.
Es ist dafür gemacht, vierzig Jahre zu werden, fünfhundert Mondphasen ungefähr, und dann altersschwach zu krepieren. Doch jetzt stirbt es durchschnittlich meist schon im Alter von fünfzehn, ausgemergelt, erschöpft, mit gebrochenen Knochen und eiternden Wunden. So wirft man es in die Grube, denn diese Mode hat es sich seit neuestem zu eigen gemacht: Es entsorgt seine Leichen in der Erde, mal aufrecht stehend, mal liegend. Der Tod ist etwas zu allgegenwärtig, um kein Bewusstsein für ihn zu entwickeln. Es schlägt Krater in die gefrorene Erde, eine Mordsschinderei, und legt seine toten Verwandten hinein, zusammen mit ein paar Tierzähnen und - wo man's findet - ein paar Blumen, Beeren oder etwas Getreide. Links steht eine und heult, rechts einer und lacht, weil eine Witwe frei wird. Ist die Grube zugeworfen, ist der Tote schon wieder vergessen, und es brettert weiter auf dem Pfad der Evolution.
Äh - wie steht es inzwischen mit der Sprache? Sind noch neue Worte dazugekommen?
Natürlich, es geht immer weiter, denn wenn man das Tastbare benennen kann, muss es auch Worte für das Ungreifbare geben. Liebe. Hunger. Hass. Mühe. Ekel. Schlaf. Könnte sein, dass die Welt noch nicht vollständig benannt sein wird, wenn sie vor die Hunde geht, so viel gibt es, wofür man neue Worte finden muss, und so viel kommt jeden Tag hinzu. Das hier? Was ist das? Es schaut es an, mit der Zunge nach Sprache tastend, und der Erfinder des neumodischen Dings erhält zuerst das Wort und sagt: "Speer."
Speer also.
Tiere werden seither nicht mehr totgeschlagen, sondern erstochen. Ein beträchtlicher Fortschritt, auch für die Beute. Und da es friert, bleiben die Kadaver länger frisch, und man braucht nicht mehr so oft zu jagen. Es hat mehr Zeit für die anderen und für sich selbst. Man igelt sich ein. Die eigene Grotte - besser als ein Platz an der Sonne. So sitzt es mit den anderen zusammen, in seiner Höhle, niesend und röchelnd, und starrt in die Flammen, bis es ins Träumen gerät und in Gesang ausbricht, "Singen ja ja jippie jippie jey", worauf die anderen in die Hände klatschen. Es nimmt einen Stock und stampft damit auf den Boden oder einen Stein, aus Freude am Rhythmus. Singen, ja, das tut es gern. Angefangen hat alles, als das Eis noch auf dem Vormarsch war und einer im Wald einmal ausflippte, nachdem er aus Versehen einen Giftpilz geschluckt hatte. Das Glück, das er dabei ausstrahlte, war so einfältig, aber ehrlich, dass die anderen sich davon anstecken ließen und mitsangen. Dazu hat es jetzt viel Zeit, schließlich herrscht Nahrungsüberschuss.
Es erfindet das Wort "Langeweile". Seine Männchen leiden genau genommen am meisten darunter, denn ihre Zitzen sind nutzlos, niemand nuckelt daran, niemandem macht es eine Freude damit. Es verliert nach und nach auch die Bewunderung der Weibchen, da es weniger oft auf die Jagd geht und seine Macht nur noch selten demonstrieren kann.
Eines stapelt ein paar Steine aufeinander, hoch genug, dass es mit den Händen an die Decke kommt. Es taucht seine Finger in den roten Ocker und malt einen Strich auf die Höhlenwand.
Und noch einen, und noch einen. Eigentlich kaum zu glauben, dass es all diese Streifen zum ersten Mal auf den Fels malt, so perfekt sind sie schon. Strich für Strich entsteht so ein Büffel, im Profil. Eine Jagdszene offenbar, denn in dem Tier stecken ein paar von den hypermodernen Speeren. "Künstler", sagt eines der Weibchen, denn die Weibchen quasseln ja gern und liefern daher den größten Beitrag zum Wortschatz. "Künstler", und es kann seine tiefe Bewunderung nur mühsam verbergen. Das Männchen hat etwas aus nichts gemacht, und ganz ohne praktischen Nutzen. Ein Büffel aus Ocker, Mannomann! Und die Jäger, die lachen. "Da kannze so viele Büffel an die Wand malen, wie de willst, viel Fleisch werden se dir nich geben." Und auch: "Hätten wir für dich keine echten Büffel umgelegt, hättest du deine Zeichnung gar nicht machen können!"
Ups, die alte Rolle wird brüchig; ein komischer Kauz hat bewiesen, dass es mehr gibt im Leben als Fressen, dass man sich Respekt auch verschaffen kann, indem man in was Nutzlosem brilliert. Der Schmarotzer. Der Parasit.
Doch schöne Zeichnung hin oder her, es kann sie nicht dauernd angaffen, die Truppe muss die Höhle verlassen: dem Rotwild hinterher, das sich in neue Weidegründe aufmacht. Los, raus! In die Kälte!
Die Tiere, ach ja. Es hofft, sie irgendwann mal beherrschen zu können. Es kann sie massakrieren und essen, doch es muss immer noch ihren Spuren folgen, ihrer ewigen Odyssee, auf der Suche nach Futter. Da war's grad einmal fünf Minuten gemütlich. Gibt es im jeweiligen Weide- und Brunftrevier keine Höhlen, muss es selbst für ein Dach überm Kopf sorgen. Selbst eine Höhle machen, übertrieben gesagt. Einem Mammut werden dafür die Stoßzähne aus der Visage gebrochen, groß und gekrümmt, und mit Fellen bespannt. Und siehe da: ein Zelt. Leicht wieder abzubauen und transportierbar, nur leider etwas klein.
Wie spät wird es wohl sein?
Uff! Ein Glück, dass auch die Pflanzen in diesem Elend überleben müssen und sie die Wurzeln immer tiefer in die Erde treiben. Dicke, fette Möhren, dicker und fetter als früher und ziemlich lecker eigentlich, wenn man sie erst mal aus dem Boden gewühlt hat. Es knabbert an einer Schwarzwurzel und bemitleidet sich in seinem Unglück.
"Nach Regen kommt Sonnenschein", sagt eines. "Gackern die Hühner morgens im Gras, regnet's am Abend im Übermaß." Tja, seit neuestem hat es nicht nur einen Maler in seinen Reihen, sondern auch gleich noch einen Poeten am Hals. Wo soll das hinführen? Doch der Dichter hat nicht unrecht: Es regnet, und es regnet nicht nur, es gießt. Immerhin wird es langsam wieder wärmer, das ist schon viel wert. Sonst ist es mit dem Wetter nicht weit her. Das Eis schmilzt allmählich, fast unmerklich, aber mit umso ekligeren und weitreichenderen Folgen. Der Wasserspiegel ist gestiegen, manche finden sich über Nacht auf einer Insel wieder. Von allen abgeschnitten, isoliert, und das gefällt einigen auch noch.
Es sieht sein Spiegelbild in all dem Wasser und betrachtet, was der ermüdende Lauf der Äonen aus ihm gemacht hat: ein nacktes Tier, klein und gedrungen. Es wiegt schon längst keine achtundzwanzig Kilo mehr, sondern schleppt eine dicke Fettschicht mit sich herum, eben noch angelegt gegen die Kälte. Und dieser Kopf, dieser herrliche Schädel mit seiner noch herrlicheren Füllung, beherbergt inzwischen ein Zellengekröse von gut 1300 Kubikzentimetern. Kommandeur eigentlich immer noch nur des Vögelns und Fressens, kann es sich aber durchaus schon weismachen, dass all der ingeniöse Schmadder noch zu vielem anderen dient.
Apropos, hat irgendwer in letzter Zeit noch ein Mammut gesehen?
Natürlich, essen ist herrlich. Nur schade, dass all die Nahrung einem nicht von selbst in den Mund fliegt. Ist das nicht unter seiner inzwischen erworbenen Würde, ständig seinen Mahlzeiten hinterherzulaufen? Fast demütigend. Zum Beispiel die Wild- oder die Reiherenten: leckere Vögel, keine Frage. Aber ist es keine Schande, dass die Viecher nicht einfach wie Regen vom Himmel fallen? Nur in der Mauser kann man sie fangen, wenn sie nicht fliegen können und einem einfach ins Netz gehen. Es hätte gern Vögel, die schon von vornherein im Netz sitzen, ja, die gewissermaßen in einem Netz geboren werden und die man zum Mittagessen nur noch herausnehmen muss.
Fische fängt es in einer Weidenreuse, oder es staut Bäche und spießt die Lachse auf mit dem Speer. Mit ein bisschen Schilfwurzel und einer Walderdbeere als Nachtisch gar nicht übel. Aber auch da wieder: Es möchte gern Schilfwurzel essen, wenn es Lust darauf hat, und ein Stück Esel oder Gazelle verputzen, wenn sein Appetit es will.
Doch es wird warm. Zu warm. Die Früchte verdorren, und die Bäume verkümmern. Zur Mittagsstunde sengt die Sonne ihm wütend den Pelz. Sein Rücken scheint zu verbrennen. Und um der Sonne eine kleinere Angriffsfläche zu bieten, macht es sich größer, richtet sich auf. Was für ein Schlingel. So! Jetzt sind nur noch Kopf und Schultern der Sonne ausgesetzt, der Rest seines Körpers braucht nicht mehr zu braten. Sieh mal, freihändig! Es geht auf den Hinterbeinen! Es kann Obst pflücken und in der Nase bohren, ohne seinen Weg dafür unterbrechen zu müssen. Drollig. Hundertzwanzig Zentimeter misst es jetzt, groß genug, um über das Gras der Savanne hinwegzublicken.
In seinem vor Hitze fast kochenden Kopf befindet sich, außer hier und da etwas Rotz, ein gut 650 Kubikzentimeter großes Stück Dreck: seine Hirnzellen, Kommandeure des Vögelns und Fressens. 650 Kubikzentimeter pure Lebensfreude, und die will sich austoben, jawohl. Wär das möglich?
Doch es gibt nichts zu futtern, und die Weibchen sind trächtig oder haben ein Junges an den Zitzen, was sie lustlos und unfruchtbar macht. Und solange sie Milch geben, lassen sie sich nicht bespringen, so einfach ist das. Es gibt also nur eins: dem Nachwuchs den Schädel einschlagen. Infantizid! Mit welcher Ausgelassenheit das nur ein paar Tage alte, noch vom Gebärmutterschleim bedeckte Kleine bei den Hinterläufen gepackt und mit dem Kopf auf einen Stein geknallt wird! Das Blut spritzt in alle Richtungen, der Kot kleckert als Todesanzeige heraus. Kleines hinüber. Endlich kann es seine achtundzwanzig Kilogramm auf die Mutter werfen, ihr seine Kloakendünste ins Gesicht keuchen, neben dem Jungtierkadaver, auf den sie die Augen geheftet hält. Doch falls das ein Trost ist, lang braucht das Weibchen nicht auf Vollzug zu warten: Schon vom Morden hat das Männchen einen Steifen bekommen und besitzt keine Worte, seinen Schweinigeleien erst noch langes Süßholzgeraspel vorauszuschicken. Rein und raus und fertig. Das spart vor allem Zeit. Viel Zeit und viel Geschwafel.
Jetzt aber: essen! Nur was? Nichts zu finden in dieser elenden Dürre, und der Hunger ist zu groß, einfach in der Erde nach ein paar Wurzeln zu scharren. Das Gras ist vertrocknet und wird sofort wieder ausgekotzt. Sein Magen verträgt das nicht - sieht es etwa aus wie ein Wiederkäuer? Fleisch muss es haben, das ist die einzige Lösung. Und es starrt zum Himmel, bis seine Augen brennen, und es sieht, wie die Geier von ihrem blauenden Revier aus ein Stück Vieh ins Visier nehmen. Da oben müsste es sein. Am Boden kommt es zu spät. Das Aas ist verschlungen, das Fett der Beute von den Vögeln bereits in Flugmeilen umgesetzt, und es muss sich mit dem Abfall begnügen, der im Gerippe zurückbleibt. Gekröse. Es grabscht sich den Magen aus dem Kadaver des Dings, das bis vor kurzem noch ein Gnu war, und saugt ihn aus. Echt eklig, aber es schmeckt, wie vieles Eklige, nach mehr. Als der Magen ausgeschlürft ist, hat es für immer den Geschmack von Blut auf den Lippen und will die Zähne in das wenige Fleisch schlagen, das noch an den Knochen hängt. Denn genug wird es hiervon nie mehr bekommen, das steht fest. Doch sein Kauapparat ist nicht für diese Art Nahrung geschaffen; seine Zähne sind nicht spitz genug, das sehnige Fleisch in Streifen zu reißen, und die dicken Brocken zu groß und zu zäh, einfach unzerkaut heruntergeschluckt zu werden. Der Kadaver muss zerlegt, auseinandergenommen werden, bevor die Würmer ihn ungenießbar machen. Es stampft und springt auf die Knochen, das Gerippe muss brechen. Ohne Erfolg. Doch es ist fest entschlossen, schließlich hat es Blut gerochen. Da, sieh, es nimmt einen Stein und schlägt damit zu. Und was passiert? Was passiert? Die Knochen krachen, und etwas Leckeres ist darin: Mark. Es saugt es aus und ist zufrieden.
Was für ein Glück: gevögelt und gefressen zu haben, satt und befriedigt. Nur ein Schläfchen fehlt jetzt noch zur Seligkeit. Während die Kleinen verrotten, träumt es von sich selbst, kaiserlich pissend in einen See, die Hände im Nacken.
Doch - leider! - das Paradies muss auf ein andermal warten: Die Weibchen sind es leid, immer wieder einer Nachkommenschaft Milch geben zu müssen, die schon ein paar Tage später an einen Felsen geknallt wird. Leid, neun Monate bei der Hitze sinnlos mit dickem Bauch herumzulaufen, der sie wehrlos macht, und für zwei essen zu müssen. Also hüpft es jetzt mit jedem ins Gebüsch. Eine ausgeklügelte Taktik: Herrscher und Huren, zehntausend insgesamt, verteilt über die ganze Erde. Das heißt, 0,006 Vertreter der Art pro Quadratkilometer. Und der Vorteil der Rumhurerei: Inzwischen hat es durch all den Wettbewerb ums Weibchen einen gewissen Stolz auf seinen eigenen Samen entwickelt, der Macho. Und da es nicht immer weiß, ob es die Nachkommen eines anderen oder die eigenen zu Hackfleisch macht, lässt es die Jungen eben leben. Vorsicht ist besser als Nachsicht. Und die Huren, das muss man sagen, sind gut. Verdammt, ja! Sie geben sich dem, der das meiste zu bieten hat. Fleisch. Fleisch! Fleisch für Fleisch. Also muss man die Steine von eben perfektionieren. Härter und schärfer müssen sie werden, damit man die Knochen noch besser knacken kann. Sieh da, ein Schaber! Und hier, eine Nadel, scharf und tödlich. Und da, ein Faustkeil, schwer, aber handlich, ideal zum Zerschmettern. Es muss natürlich erfinderisch sein, wenn es nicht mit dem Abfall der anderen zufrieden sein will.
Eigentlich möchte es nun auch selbst etwas jagen. Etwas aus einem Stück. Und frisch. Wie gern würde es sich zum Beispiel ein noch klopfendes Herz einverleiben - als äße es ein wenig damit zugleich auch das Leben. Warmes Gedärm, das wär was! Ein Tier, groß genug, es ins Lager mitzunehmen, damit man einem Weibchen was anbieten kann oder vielleicht - wer weiß - allen Weibchen.
Worauf wartet es eigentlich noch? Na los! Es müsste klappen, denn unter der Trockenheit leiden alle, Gazellen wie Rehe. Die Tiere laufen zwar schnell und lassen sich nicht einfach mit einem Stein erlegen, doch unter Durst leiden auch sie und sind früher oder später erschöpft. Darum hat es sich entschlossen, draufloszumarschieren. Einfach einem Tier hinterher, immer demselben. Ein Kinderspiel in diesem offenen Gelände. Da, lang hat es nicht warten müssen, da läuft schon was. Was ist es? Ja, ein Gnu, tatsächlich, ein Gnu, erschöpft vom Durst, auf der Suche nach einer Wasserstelle, einer dreckigen Pfütze, einem Tropfen, wenn's ihn nur auflecken dürfte. Das Tier bemerkt seine Verfolger.
Doch Geduld ist eine schöne Tugend, ganz ruhig geht es dem Vierbeiner hinterher, nicht zu schnell, nicht zu energisch, ganz entspannt, ganz gelassen. Trotz der Hitze. Es spürt ein Kribbeln auf der Haut. Adrenalin. Es spürt das Nahen des Fressens und die Begier zu vögeln. Alles, was es in die Lage versetzt, die Müdigkeit zu vergessen und das Gnu zu verfolgen, immer langsamer jetzt. Denn das Gnu, auch das Gnu, ermüdet nach Stunden des Laufens - wie du. Und das soll es ja auch. Schubidu. Jetzt geht es dem Tier nicht mehr hinterher, sondern läuft in lockerem Trab darauf zu, der Sieg ist nah. Und als die Beute merkt, dass ihr Gebrüll eher wie ein Hilfeschrei als irgendwie abschreckend klingt, und endlich aufgibt, springen die Jäger auf sie. Fünf Mann zugleich. Schlagen mit den Steinen auf den weichen Schädel ein, rammen dem Tier die schärfsten Ecken und Kanten in die Brust, während es zappelt und brüllt. Dann tut das Gnu die Augen zu. Danach ist auf der Welt nur ein Geräusch zu hören: das Schmausen und Schmatzen der fünf. Es schlägt seine Zähne in die weichsten Teile. Und bevor es zum Rückzug bläst, reißt es dem besiegten Tier noch schnell die Zähne aus, als Andenken, als Jagdtrophäe. Damit kann es den Weibchen bestimmt imponieren. Die Reste des Kadavers legt es sich über die Schulter. Seine Rückkehr wird garantiert dankbar gefeiert, und am Abend verwandelt sich die Savanne in eine einzige weiche Matratze. Wenn das keine Motivation ist.
Natürlich ist das Motivation. Es haut und schleift Steine, noch feiner jetzt, damit sie noch besser in seine Hand passen, schärfer sind, tödlicher. Und beim Hauen und Schleifen springen auf einmal Funken, nanu, das Gras fängt Feuer. Es hat das schon einmal gesehen, und war auch damals von der Macht des Feuers fasziniert. Mit einer gewissen Rührung, aber auch mit Schrecken hatte es beobachtet, wie der Blitz einen Baum spaltete, worauf die Hitze Licht wurde und das Licht Hitze. Alles ziemlich verwirrend. Die Tiere liefen davon, um die Wette. Was muhen konnte, muhte, und was kreischen, kreischte. Und es betrachtete das alles, wie es zuvor schon einmal in eine Pfütze geschaut hatte, voll Bewunderung ob seines Spiegelbilds, und war zuletzt auch davongelaufen, sicherheitshalber.
Macht, etwas anderes konnte es im Feuer nicht sehen, denn das Feuer verschonte nichts, und was es doch verschonte, lief vor ihm davon. Und jetzt, jetzt macht es selbst diese Macht. Zwei Feuersteine aneinanderzuschlagen genügt, nachts die Löwen auf Distanz zu halten. Zwar gibt es ein paar Motten und Mücken, die sich davon nicht einschüchtern lassen, aber sie büßen dafür. Oder spüren auch sie dieselbe Faszination und geben ihr einfach nach, fliegen in die Flammen, um auf immer zu verschwinden?
So kommt es, dass es sich einmal einen gerösteten Schmetterling in den Mund steckt, nicht so sehr aus Hunger als aus Freude am Fressen. Und aus Neugier. Der Körper des Tierchens fühlt sich angenehm auf der Zunge an, warm, und als es darauf beißt und das weiche Innere an seinen Gaumen spritzt, kommt ihm der Gedanke, dass es ja nichts schaden könne, die sehnigsten Schlachtabfälle ins Feuer zu werfen. - Wow! Dieser Duft, Jungs! Dieser Duft! Das Wasser läuft ihm im Mund zusammen. Viel, viel zarter ist das Fleisch jetzt und wird auch noch leichter verdaut. Dass es nicht früher darauf gekommen ist, aus dem Wasser zu kriechen und auf zwei Beinen zu laufen! Da sitzt es, majestätisch, im Kreis um das Feuer und vergisst dabei die Schmerzen der Jagd, ja sogar sein klopfendes Zahnweh und die Bauchkrämpfe. Es schaut ins Feuer und ist zufrieden. Es lauscht dem Geknister der Fliegen und dürren Zweige und lässt die Gedanken frei schweifen, zu Orten, wo es irgendwann noch mal hin möchte, zum Mond vielleicht. So ein Schwachsinn!
Warm. Gemütlich. Wenn nur nicht immer noch jeder mit jedem herumschlafen würde und es einen Wunsch in sich aufkommen spürte, mit einem Artgenossen zu tun, was es eben noch mit den Tieren getan hat. Etwas mit scharfen Steinen und viel Blut. Es würde den anderen gern deutlich machen, dass sie das Weibchen hier in Ruhe lassen sollen, es mag sie und findet es unerträglich, sie mit der Gruppe teilen zu müssen. Und die Weibchen, o unbeschreibliches Elend, empfinden manchmal das Gleiche: Sie knurren, wenn sie sehen müssen, wie ihr geliebter Flegel eine andere deckt. Doch weit kommt es damit nicht, mit diesem Geknurr. Es braucht etwas, um sich auszudrücken. Etwas, womit es eindeutig klarmachen kann: "Finger weg von diesem Exemplar, denn alles, was da schwillt an Brust und Hintern, Bauch und Lippen, alles, was da prangt und hangt und wabbelt, ist Besitz! Mein Besitz!" Ja, etwas, womit es sich ausdrücken kann, denn es kann sich nicht erlauben, tagelang aufeinander einzudreschen, schließlich brauchen sie sich immer noch gegenseitig zur Großwildjagd.
Und damit entwickelt es etwas, was sonst keine Art in dem Maße besitzt: eine weiße Umrandung der Iris. Augenweiß! Viel Weiß! Das erleichtert, mit Blicken zu sprechen: Angst, Verliebtheit, Wut, Begierde, Eifersucht^ Das alles lässt sich mit dem Weiß in den Augen ausdrücken. Wie praktisch! Dem andern schöne Augen machen zu können. Und weil es sich mit den anderen jetzt so gut verständigen kann, hat es begriffen, dass es für den Zusammenhalt untereinander besser ist, sich etwas selektiver zu paaren. Es steigt fortan nicht mehr vom einen herunter, nur um sich sofort auf den anderen zu werfen, oder wenn, dann lieber doch so, dass es nicht gleich auffällt.
Es paart sich und schwängert, klar, schon Mutter mit zwölf, und bleibt zusammen, bis das Kleine auf eigenen Beinen steht und nicht mehr an den Mutterzitzen hängt.
Das alles mit Erfolg, denn seine Anzahl wächst. Auf zehn Quadratkilometer zählt die Art jetzt einen Vertreter, und die Nahrung wird denn auch knapp. Vögeln, keine Frage, macht schon Freude. Aber eine Familie ernähren zu müssen, das ist was anderes, nur fünf Kilo Fleisch kommen pro Hektar zusammen, verdammt! Man muss neue Jagdreviere suchen, nichts dran zu ändern. Die Welt ist groß, es gibt genug für jeden.
Warum soll es bei seinem Haufen bleiben und Hunger leiden? Es schwärmt aus, eine Gruppe nach der anderen, immer ein bisschen weiter, ein Kilometer pro Generation. Die ersten Horden verlassen die Ufer des vertrauten Flusses, es zieht durch die Täler, klettert auf und über Berghänge, sucht Nahrung hier und Liebe da. Unmerklich fast und ohne dass es voneinander weiß, hat es sich wie eine Plage über den größten Teil der Erde verbreitet. Es herrscht, keine Region, die seinen Stempel nicht trägt. So kann man das betrachten. Es herrscht, doch für seine Ansprüche noch nicht genug.
Unterwegs hat es in den Wüsten büschelweise Haare verloren und hat gelernt zu schwitzen statt zu hecheln, um die Hitze aus dem gottverdammten Körper zu kriegen.
Und die Trockenheit dauert an. Die Wärme geht ja noch, sie nimmt sogar ein klein bisschen ab, aber die Trockenheit ist geblieben.
Wie spät ist es?
Heh, was spürt es da nur die ganze Zeit in seinem Hals kitzeln?
Den Kehlkopf, er senkt sich langsam, sitzt auf einmal ein ganzes Stück tiefer. Es kann Geräusche damit machen, "u-u- uh" und "a-a-ah"! Das kann natürlich jeder. Es kann aber auch "u-i-u" und "trullala". Das ist schon schwerer. Oder, äh "kwotito" und "tunkuba". Haha. Bwong bwong pong. Kiki flipi. Ata fata. Das ist lustig! So was! Der Rachenraum ist größer geworden, daran liegt es, und mit der Zunge kann es die Laute jetzt formen. Kleine Demonstration gefällig? "Fanta." Also bitte, zwei ganze Silben! Die fröhlichsten Tage im Logbuch der Welt brechen an, denn alles ist noch unbenannt und jemand, es, wer sonst, muss alldem noch einen Namen geben. Tier. Baum. Wasser. Moos. Kein Ende abzusehen; alles, aber auch alles muss ein eigenes Wort bekommen. Himmel. Boden. Mond. Vogel. Feuer. Grube. Fuchs. Abends sitzt es mit den anderen zusammen und palavert über die Namen, die noch in der Welt verteilt werden müssen. Einer zeigt auf einen Stein und probiert so ein Wort: "Sch--tein". Klingt nicht schlecht. Die anderen nicken, oder nein, sie nicken nicht, sie haben schon die Worte "ja" und "nein", sie sagen also: "Ja, Stein passt zu dem Ding", und Stein wird es bleiben. Blaffen und Brüllen war gestern, außer ab und zu, denn es merkt schnell, dass all die Worte manchmal auch schrecklich unzureichend sein können. Ansonsten spricht es - doch das Äugeln, das große und schöne Augen machen, verlernt es natürlich nicht mehr.
Begegnen zwei sich seitdem im Wald, können sie etwas sagen. Zum Beispiel: "Kalt heute, nicht?"
Und ob es kalt ist, und es wird nicht so schnell wärmer werden. Im Norden hält eine Eisschicht alles Wasser gefangen. Sie saugt es auf, friert es ein, wodurch das Eis immer dicker und der Süden immer trockener wird. Manche Inseln sind tiefgefroren, bis zu dreißig Grad unter null. Die Wüsten wachsen, der Meeresspiegel sinkt, und ganze Landstriche im Inneren der Kontinente werden zu einer einzigen riesigen Steppe - voll schmackhafter Mammuts, das muss man immerhin zugeben. Es könnte schwören, dass die Welt sich für den Umstand rächt, dass es seit einer Weile das Feuer beherrscht. Jetzt hätte es sein Fell gerne wieder, und weil das nicht von selbst zurückkehrt, bleibt ihm nichts andres übrig, als es den Tieren abzunehmen. Sie sind ja so nützlich, die Tiere! Ihr Fleisch zum Essen und ihre Haut zum Sichkleiden.
Es reißt sich die Felle zurecht und bindet sie zusammen, Blut- und Schleimklumpen hängen noch dran. Nach einigen Tagen beginnen die Kleider natürlich zu verrotten und stecken die Ärmel voller Würmer, doch das lässt sich ändern. Irgendwann. Erst mal nachdenken, und inzwischen die Körperwärme eines anderen Wesens genießen. Nun ja, genießen^ in ihm knackt und knarrt es überall, vor Rheuma. Die Mücken stellen fröhlich ihre Macht zur Schau; wie Geister schwirren sie über die Steppen und bringen Gesumm und jede Menge Malaria.
Es ist dafür gemacht, vierzig Jahre zu werden, fünfhundert Mondphasen ungefähr, und dann altersschwach zu krepieren. Doch jetzt stirbt es durchschnittlich meist schon im Alter von fünfzehn, ausgemergelt, erschöpft, mit gebrochenen Knochen und eiternden Wunden. So wirft man es in die Grube, denn diese Mode hat es sich seit neuestem zu eigen gemacht: Es entsorgt seine Leichen in der Erde, mal aufrecht stehend, mal liegend. Der Tod ist etwas zu allgegenwärtig, um kein Bewusstsein für ihn zu entwickeln. Es schlägt Krater in die gefrorene Erde, eine Mordsschinderei, und legt seine toten Verwandten hinein, zusammen mit ein paar Tierzähnen und - wo man's findet - ein paar Blumen, Beeren oder etwas Getreide. Links steht eine und heult, rechts einer und lacht, weil eine Witwe frei wird. Ist die Grube zugeworfen, ist der Tote schon wieder vergessen, und es brettert weiter auf dem Pfad der Evolution.
Äh - wie steht es inzwischen mit der Sprache? Sind noch neue Worte dazugekommen?
Natürlich, es geht immer weiter, denn wenn man das Tastbare benennen kann, muss es auch Worte für das Ungreifbare geben. Liebe. Hunger. Hass. Mühe. Ekel. Schlaf. Könnte sein, dass die Welt noch nicht vollständig benannt sein wird, wenn sie vor die Hunde geht, so viel gibt es, wofür man neue Worte finden muss, und so viel kommt jeden Tag hinzu. Das hier? Was ist das? Es schaut es an, mit der Zunge nach Sprache tastend, und der Erfinder des neumodischen Dings erhält zuerst das Wort und sagt: "Speer."
Speer also.
Tiere werden seither nicht mehr totgeschlagen, sondern erstochen. Ein beträchtlicher Fortschritt, auch für die Beute. Und da es friert, bleiben die Kadaver länger frisch, und man braucht nicht mehr so oft zu jagen. Es hat mehr Zeit für die anderen und für sich selbst. Man igelt sich ein. Die eigene Grotte - besser als ein Platz an der Sonne. So sitzt es mit den anderen zusammen, in seiner Höhle, niesend und röchelnd, und starrt in die Flammen, bis es ins Träumen gerät und in Gesang ausbricht, "Singen ja ja jippie jippie jey", worauf die anderen in die Hände klatschen. Es nimmt einen Stock und stampft damit auf den Boden oder einen Stein, aus Freude am Rhythmus. Singen, ja, das tut es gern. Angefangen hat alles, als das Eis noch auf dem Vormarsch war und einer im Wald einmal ausflippte, nachdem er aus Versehen einen Giftpilz geschluckt hatte. Das Glück, das er dabei ausstrahlte, war so einfältig, aber ehrlich, dass die anderen sich davon anstecken ließen und mitsangen. Dazu hat es jetzt viel Zeit, schließlich herrscht Nahrungsüberschuss.
Es erfindet das Wort "Langeweile". Seine Männchen leiden genau genommen am meisten darunter, denn ihre Zitzen sind nutzlos, niemand nuckelt daran, niemandem macht es eine Freude damit. Es verliert nach und nach auch die Bewunderung der Weibchen, da es weniger oft auf die Jagd geht und seine Macht nur noch selten demonstrieren kann.
Eines stapelt ein paar Steine aufeinander, hoch genug, dass es mit den Händen an die Decke kommt. Es taucht seine Finger in den roten Ocker und malt einen Strich auf die Höhlenwand.
Und noch einen, und noch einen. Eigentlich kaum zu glauben, dass es all diese Streifen zum ersten Mal auf den Fels malt, so perfekt sind sie schon. Strich für Strich entsteht so ein Büffel, im Profil. Eine Jagdszene offenbar, denn in dem Tier stecken ein paar von den hypermodernen Speeren. "Künstler", sagt eines der Weibchen, denn die Weibchen quasseln ja gern und liefern daher den größten Beitrag zum Wortschatz. "Künstler", und es kann seine tiefe Bewunderung nur mühsam verbergen. Das Männchen hat etwas aus nichts gemacht, und ganz ohne praktischen Nutzen. Ein Büffel aus Ocker, Mannomann! Und die Jäger, die lachen. "Da kannze so viele Büffel an die Wand malen, wie de willst, viel Fleisch werden se dir nich geben." Und auch: "Hätten wir für dich keine echten Büffel umgelegt, hättest du deine Zeichnung gar nicht machen können!"
Ups, die alte Rolle wird brüchig; ein komischer Kauz hat bewiesen, dass es mehr gibt im Leben als Fressen, dass man sich Respekt auch verschaffen kann, indem man in was Nutzlosem brilliert. Der Schmarotzer. Der Parasit.
Doch schöne Zeichnung hin oder her, es kann sie nicht dauernd angaffen, die Truppe muss die Höhle verlassen: dem Rotwild hinterher, das sich in neue Weidegründe aufmacht. Los, raus! In die Kälte!
Die Tiere, ach ja. Es hofft, sie irgendwann mal beherrschen zu können. Es kann sie massakrieren und essen, doch es muss immer noch ihren Spuren folgen, ihrer ewigen Odyssee, auf der Suche nach Futter. Da war's grad einmal fünf Minuten gemütlich. Gibt es im jeweiligen Weide- und Brunftrevier keine Höhlen, muss es selbst für ein Dach überm Kopf sorgen. Selbst eine Höhle machen, übertrieben gesagt. Einem Mammut werden dafür die Stoßzähne aus der Visage gebrochen, groß und gekrümmt, und mit Fellen bespannt. Und siehe da: ein Zelt. Leicht wieder abzubauen und transportierbar, nur leider etwas klein.
Wie spät wird es wohl sein?
Uff! Ein Glück, dass auch die Pflanzen in diesem Elend überleben müssen und sie die Wurzeln immer tiefer in die Erde treiben. Dicke, fette Möhren, dicker und fetter als früher und ziemlich lecker eigentlich, wenn man sie erst mal aus dem Boden gewühlt hat. Es knabbert an einer Schwarzwurzel und bemitleidet sich in seinem Unglück.
"Nach Regen kommt Sonnenschein", sagt eines. "Gackern die Hühner morgens im Gras, regnet's am Abend im Übermaß." Tja, seit neuestem hat es nicht nur einen Maler in seinen Reihen, sondern auch gleich noch einen Poeten am Hals. Wo soll das hinführen? Doch der Dichter hat nicht unrecht: Es regnet, und es regnet nicht nur, es gießt. Immerhin wird es langsam wieder wärmer, das ist schon viel wert. Sonst ist es mit dem Wetter nicht weit her. Das Eis schmilzt allmählich, fast unmerklich, aber mit umso ekligeren und weitreichenderen Folgen. Der Wasserspiegel ist gestiegen, manche finden sich über Nacht auf einer Insel wieder. Von allen abgeschnitten, isoliert, und das gefällt einigen auch noch.
Es sieht sein Spiegelbild in all dem Wasser und betrachtet, was der ermüdende Lauf der Äonen aus ihm gemacht hat: ein nacktes Tier, klein und gedrungen. Es wiegt schon längst keine achtundzwanzig Kilo mehr, sondern schleppt eine dicke Fettschicht mit sich herum, eben noch angelegt gegen die Kälte. Und dieser Kopf, dieser herrliche Schädel mit seiner noch herrlicheren Füllung, beherbergt inzwischen ein Zellengekröse von gut 1300 Kubikzentimetern. Kommandeur eigentlich immer noch nur des Vögelns und Fressens, kann es sich aber durchaus schon weismachen, dass all der ingeniöse Schmadder noch zu vielem anderen dient.
Apropos, hat irgendwer in letzter Zeit noch ein Mammut gesehen?
Natürlich, essen ist herrlich. Nur schade, dass all die Nahrung einem nicht von selbst in den Mund fliegt. Ist das nicht unter seiner inzwischen erworbenen Würde, ständig seinen Mahlzeiten hinterherzulaufen? Fast demütigend. Zum Beispiel die Wild- oder die Reiherenten: leckere Vögel, keine Frage. Aber ist es keine Schande, dass die Viecher nicht einfach wie Regen vom Himmel fallen? Nur in der Mauser kann man sie fangen, wenn sie nicht fliegen können und einem einfach ins Netz gehen. Es hätte gern Vögel, die schon von vornherein im Netz sitzen, ja, die gewissermaßen in einem Netz geboren werden und die man zum Mittagessen nur noch herausnehmen muss.
Fische fängt es in einer Weidenreuse, oder es staut Bäche und spießt die Lachse auf mit dem Speer. Mit ein bisschen Schilfwurzel und einer Walderdbeere als Nachtisch gar nicht übel. Aber auch da wieder: Es möchte gern Schilfwurzel essen, wenn es Lust darauf hat, und ein Stück Esel oder Gazelle verputzen, wenn sein Appetit es will.
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Autoren-Porträt von Dimitri Verhulst
Dimitri Verhulst, geboren 1972 im flämischen Aalst und heute in der Wallonie zu Hause.
Bibliographische Angaben
- Autor: Dimitri Verhulst
- 2010, 159 Seiten, Maße: 12,1 x 18,8 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Deutsch von Rainer Kersten
- Übersetzer: Rainer Kersten
- Verlag: Luchterhand Literaturverlag
- ISBN-10: 3630621767
- ISBN-13: 9783630621760
Rezension zu „Gottverdammte Tage auf einem gottverdammten Planeten “
"Chapeau! Was für ein Schwung, was für ein Rhythmus - als wäre das Buch dafür geschrieben, es am Megaphon vorzulesen."
Kommentar zu "Gottverdammte Tage auf einem gottverdammten Planeten"
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