Große Sprünge

"Wir sitzen in der U-Bahn in einem Wagen voller Geschichten. Die Menschen hocken da mit versteinerten Gesichtern und haben ihre Geschichten auf dem Schoß oder in den Taschen oder in den Plastiktüten zu ihren Füßen." Doch Judy Budnitz findet ihre Geschichten nicht nur in der U-Bahn. Im Krankenhaus opfert ein junger Mann sein Herz für seine sterbe Mutter. An einem Kiosk werden Straßenkarten verkauft, die zu keinem Ziel führen. Eine Zeichenklasse steht frierend ihren Modellen eine ganz Nacht über Akt, der einzige Freund eines Mädchens ist ein Mann im Hundekostüm, ein anderer Mann nimmt die Gestalt seines verhaßten Nachbarn an, ein Bäcker backt Menschen statt Brot.
Judy Budnitz Erzählungen sind schockierend und böse, ironisch und sarkastisch, aber auch märchenhaft und versöhnlich. Mit einer surrealistischen Phantasie entwickelt sie aus gewöhnlichen Situationen befremde Konstellationen; mit durchdringem Blick auf scheinbar Vertrautes bricht sie den Alltag auf und kehrt geläufige M uster um. Hinter der vermeintlichen Normalität wird das Verdrängte, das Zensierte, das Verrückte sichtbar. Aber immer gibt es da auch ein Moment des Aufbegehrens, die Möglichkeit, den "großen Sprung" in ein anderes Leben zu wagen. Denn auch das Verrückte ist nicht immer so, wie es scheint.