Hadulla, W: Aphorismen "Ja, es gibt gute Menschen..."

DER APHORISMUS
Er hat kaum Interesse, ausgewogen zu definieren.
Man kann sogar sagen: Der Aphorismus macht es total
anders als die Definition. Nicht die neutrale, sorgfältige
Darstellung hat er im Sinn. Im Gegenteil, er neigt
zur Parteilichkeit, wählt aus und bewertet subjektiv,
spürbar persönlich.
Der moderne Aphorismus ist bündig und asketisch kurz.
Ihm genügen wenige Worte, manchmal nur ein Halbsatz.
Er ist besonders reizvoll, wenn er nur knappe
Hinweise gibt und höchstens die Hälfte sagt - in der
Hoffnung, dass der Leser auf die richtige Spur gesetzt
wird und den Rest selbst hinzudenkt. Dass er bisweilen
über die Stränge der Syntax springt und zur sprachlichen
Kühnheit neigt, nimmt er billigend, als Preis für
Kürze und Freiheit des Wortspiels, in Kauf.
Und seine Thematik? Sie ist unbegrenzt, reicht vom
kuriosen, harmlosen Spruch bis zur aufmerksamen
Beobachtung unserer Schwächen und gesellschaftlichen
Verwerfungen. Meinungen des Mainstreams sind
vor ihm nie sicher.
Doch müssen wir uns hüten, ihn allzu eingehend zu
beschreiben. Jedes überflüssige Wort führt uns näher,
ihn zu definieren. Denn, wie gesagt, Definitionen mag