Harry Potter Band 5: Harry Potter und der Orden des Phönix
Harry hat in Hogwarts einen schweren Stand. Und damit nicht genug: Auch in den ''Orden des Phönix'', der den bösen Voldemort bekämpft, dürfen nur Erwachsene aufgenommen werden. Außerdem haben Ron und Hermine Harry Potter in der...
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Harry hat in Hogwarts einen schweren Stand. Und damit nicht genug: Auch in den ''Orden des Phönix'', der den bösen Voldemort bekämpft, dürfen nur Erwachsene aufgenommen werden. Außerdem haben Ron und Hermine Harry Potter in der Schüler-Hierarchie überflügelt.
''Das Buch strotzt nur so von Einfällen.''
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Dies ist der fünfte Band der international erfolgreichen Harry-Potter-Serie, die Generationen geprägt hat.
Alle Bände der Serie:
Harry Potter und der Stein der Weisen
Harry Potter und die Kammer des Schreckens
Harry Potter und der Gefangene von Askaban
Harry Potter und der Feuerkelch
Harry Potter und der Orden des Phönix
Harry Potter und der Halbblutprinz
Harry Potter und die Heiligtümer des Todes
Die Harry-Potter-Serie ist abgeschlossen.
Harry Potter und der Orden desPhönix von Joanne K. Rowling
LESEPROBEDudley umnachtet
Der bislangheißeste Tag des Sommers neigte sich dem Ende zu und eine schläfrige Stille lagüber den großen wuchtigen Häusern des Ligusterwegs. Autos, die normalerweiseglänzten, standen staubig in den Einfahrten, und Rasenflächen, die einstsmaragdgrün waren, lagen verdorrt und gelbstichig da - wegen der Dürre war esverboten worden, sie mit Gartenschläuchen zu wässern. Die Bewohner desLigusterwegs, die sich nun nicht mehr wie üblich mit Autowaschen und Rasenmähendie Zeit vertreiben konnten, hatten sich in die Schatten ihrer kühlen Häuserzurückgezogen und die Fenster weit aufgestoßen in der Hoffnung, einevermeintliche Brise hereinzulocken. Der einzige Mensch, der noch draußen war,ein Teenager, lag in einem Blumenbeet vor Nummer vier flach auf dem Rücken.
Es war einschlaksiger, schwarzhaariger Junge mit Brille, der ausgezehrt und leicht ungesundwirkte wie jemand, der in kurzer Zeit recht schnell gewachsen war. Seine Jeanswar dreckig und zerrissen, sein T-Shirt ausgeleiert und verblichen, und dieSohlen seiner Turnschuhe schälten sich vom Oberleder. Harry Potters Äußeresmachte ihn nicht lieb Kind bei den Nachbarn, jener Sorte von Menschen, diemeinten, Schmuddeligkeit gehöre gesetzlich bestraft, doch da er sich an diesemAbend hinter einem großen Hortensienbusch versteckt hatte, war er für Passantengänzlich unsichtbar. Tatsächlich konnten ihn nur Onkel Vernon und Tante Petuniasehen, falls sie die Köpfe aus dem Wohnzimmerfenster streckten und senkrechtnach unten ins Blumenbeet schauten.
Alles inallem, dachte Harry, konnte man ihm zu seiner Idee, sich hier zu verstecken,nur gratulieren. Vielleicht war es nicht sonderlich bequem, wie er da auf derheißen, harten Erde lag, doch immerhin stierte ihn niemand finster an undknirschte so laut mit den Zähnen, dass er die Nachrichten nicht hören konnte,oder warf ihm gehässige Fragen an den Kopf, wie es noch jedes Mal geschehenwar, wenn er versucht hatte, sich ins Wohnzimmer zu setzen und mit Tante undOnkel fernzusehen.
Als wäreHarrys Gedanke durchs offene Fenster geflattert, fing Vernon Dursley, seinOnkel, plötzlich an zu reden.
»Bin froh,dass der Bursche nicht mehr versucht, sich hier breit zu machen. Übrigens, wosteckt er eigentlich?«
»Ich weißes nicht«, sagte Tante Petunia beiläufig. »Nicht im Haus jedenfalls.«
OnkelVernon grunzte. »Die Nachrichten gucken «, höhnte er. »Möchte wissen,was er wirklich im Schilde führt. Ein normaler Junge pfeift doch drauf, was inden Nachrichten kommt - Dudley hat keine Ahnung, was in der Welt passiert. Binmir nicht mal sicher, ob er weiß, wer der Premierminister ist! Jedenfallssiehts nicht so aus, als käme irgendwas über seine Sippschaft in unserenNachrichten -«
»Vernon, schhh!«,sagte Tante Petunia. »Das Fenster steht offen!«
»Oh - ja -Verzeihung, Liebling.«
DieDursleys verstummten. Harry lauschte einem Werbesong für Obst-und-Kleie-Frühstücksflocken,während er Mrs Figg, eine schrullige alte Dame aus dem nahen Glyzinenweg,langsam vorbeitappen sah. Sie blickte finster drein und murmelte vor sich hin.Harry war sehr froh, dass er hinter dem Busch versteckt lag, weil Mrs Figg ihnseit kurzem jedes Mal wenn sie ihn auf der Straße traf, zu sich nach Hause zumTee einlud. Sie war um die Ecke gebogen und verschwunden, als Onkel VernonsStimme erneut aus dem Fenster schwebte.
»Duddy istzum Tee eingeladen?«
»Bei denPolkissens«, sagte Tante Petunia liebevoll. »Er hat so viele kleine Freunde,beliebt, wie er ist «
Mit Müheverkniff sich Harry ein Schnauben. Die Dursleys waren wirklich erstaunlichdumm, wenn es um ihren Sohn Dudley ging. All seine fadenscheinigen Lügen, erwäre jeden Abend der Sommerferien bei einem anderen Typen aus seiner Gang zumTee, hatten sie geschluckt. Harry wusste genau, dass Dudley nirgends zum Teewar; er und seine Gang verbrachten jeden Abend damit, den Spielplatz im Park zudemolieren, an Straßenecken zu rauchen und Steine auf vorbeikommende Autos undKinder zu werfen. Harry hatte sie während seiner abendlichen Streifzüge durchLittle Whinging dabei beobachtet; er hatte den größten Teil der Ferien damitverbracht, durch die Straßen zu ziehen und unterwegs Zeitungen aus den Mülleimernzu klauben.
Als dieersten Töne der Melodie für die Sieben-Uhr-Nachrichten an Harrys Ohr drangen,drehte sich ihm der Magen um. Vielleicht heute Abend - nachdem er einen Monatgewartet hatte -, vielleicht war es heute so weit.
»Währendder Streik der spanischen Gepäckabfertiger in die zweite Woche geht, sitzen soviele Urlauber wie noch nie auf den Flughäfen fest -«
»Denenwürde ich eine lebenslange Siesta verpassen, wenn du mich fragst«, knurrteOnkel Vernon, kaum dass der Sprecher den Satz vollendet hatte, und doch:Draußen im Blumenbeet schien sich Harrys Magen wieder zu entspannen. Wennirgendetwas passiert wäre, dann hätten sie es sicher als Erstes in denNachrichten gebracht; Tod und Zerstörung waren wichtiger als gestrandeteUrlauber.
Er atmetelange und ruhig aus und blickte in den strahlend blauen Himmel. Diesen Sommerwar es Tag für Tag das Gleiche gewesen: die Spannung, die Erwartung, diezeitweilige Erleichterung und dann erneut die wachsende Spannung und stetsdrängender die Frage, warum noch nichts passiert war.
Er lauschteweiter, nur für den Fall, dass es einen kleinen Hinweis gab, dessen ganzeBedeutung den Muggeln entging - ein rätselhaftes Verschwinden vielleicht, oderein merkwürdiger Unfall aber dem Streik der Gepäckabfertiger folgte eineMeldung über die Dürre im Südosten Englands (»Hoffentlich hört der nebenanzu!«, bellte Onkel Vernon. »Der mit seinen Sprinklern, die er um drei Uhrmorgens anstellt!«), dann über einen Hubschrauber, der beinahe über einem Feldin Surrey abgestürzt war, schließlich über die Scheidung einer prominentenSchauspielerin von ihrem prominenten Mann (»Als ob wir an deren schmutzigenAffären interessiert wären«, naserümpfte Tante Petunia, die diesen Fall injeder Illustrierten, die ihr unter die knochigen Finger kam, gebanntverfolgte).
Harryschloss die Augen vor dem jetzt flammenden Abendhimmel, während der Sprechersagte: »- und schließlich hat Wally der Wellensittich sich etwas Neueseinfallen lassen, wie er sich diesen Sommer abkühlen kann. Wally, der auf denFive Feathers in Barnsley lebt, hat Wasserski gelernt! Mary Dorkins hat sichdort für Sie umgeschaut.«
Harryöffnete die Augen. Wenn sie schon bei Wasserski fahrenden Wellensittichenwaren, würde nichts Hörenswertes mehr kommen. Er drehte sich vorsichtig auf denBauch und stemmte sich auf Knie und Ellbogen, um unter dem Fensterwegzukriechen.
Er hattesich gerade mal fünf Zentimeter bewegt, als mehrere Dinge in sehr rascher Folgepassierten.
Ein lauter,widerhallender Knall zerriss die schläfrige Stille wie einPistolenschuss; eine Katze sauste unter einem geparkten Wagen hervor und stobdavon; ein spitzer Schrei, ein gellender Fluch und das Geräusch vonzerbrechendem Porzellan drangen aus dem Wohnzimmer der Dursleys. Als sei diesdas Signal, auf das Harry gewartet hatte, schnellte er hoch und zog einendünnen hölzernen Zauberstab aus seinem Jeansbund wie ein Schwert aus derScheide - doch bevor er sich ganz aufrichten konnte, krachte er mit derSchädeldecke gegen das offene Fenster der Dursleys. Es rumste und TantePetunia kreischte noch lauter.
Harry hattedas Gefühl, als wäre sein Kopf entzweigespalten. Schwankend, mit tränendenAugen, versuchte er den Blick auf die Straße zu richten, um die Quelle desLärms auszumachen, doch kaum hatte er sich stolpernd erhoben, langten zweigroße, purpurrote Hände durchs offene Fenster und schlossen sich fest um seineKehle.
»Tu -das - Ding - weg!«, schnarrteOnkel Vernon in Harrys Ohr. »Sofort! Bevor - es - jemand - sieht!«
»Lass -mich - los!«, keuchte Harry. Einige Sekunden lang rangen sie miteinander.Harry, der mit der rechten Hand den erhobenen Zauberstab fest umklammerte, zogmit der linken an den Wurstfingern seines Onkels; dann, in dem Moment, als derSchmerz an Harrys Schädeldecke besonders fies pochte, japste Onkel Vernonplötzlich und ließ Harry los, als ob er einen elektrischen Schlag bekommenhätte. Eine unsichtbare Kraft schien durch seinen Neffen pulsiert zu sein, sodass er ihn unmöglich weiter festhalten konnte.
Keuchendfiel Harry bäuchlings über den Hortensienbusch, richtete sich auf und spähteumher. Was den lauten Knall verursacht haben könnte, war nicht im Entferntestenzu erkennen, aber inzwischen lugten Gesichter aus einigen Fenstern in derNachbarschaft. Harry steckte hastig seinen Zauberstab in die Jeans undversuchte, eine Unschuldsmiene aufzusetzen.
»WunderbarerAbend!«, rief Onkel Vernon und winkte Mrs Nummer sieben von gegenüber zu, diedurch ihre Netzvorhänge böse herüberfunkelte. »Haben Sie eben diesenAuspuffknall gehört? Hat Petunia und mir einen schönen Schreck eingejagt!«
Er grinsteunentwegt auf schreckliche, besessene Art umher, bis all die neugierigenNachbarn von ihren Fenstern verschwunden waren, dann winkte er Harry zu sichheran, und aus dem Grinsen wurde eine wutentbrannte Grimasse.
Harry tratein paar Schritte näher und achtete darauf, kurz vor dem Punkt Halt zu machen,an dem Onkel Vernons ausgestreckte Hände ihn wieder würgen konnten.
»Was zumTeufel soll das, Bursche?«, fragte Onkel Vernon mit heiserer, vor Wutzitternder Stimme.
»Was sollwas?«, sagte Harry kühl. Er blickte unablässig links und rechts die Straßeentlang, immer noch in der Hoffnung herauszufinden, von wem der Knall stammte.
»Einen Lärmmachen, als ginge eine Pistole los, und das direkt vor unserem -«
»Den Lärmhab ich nicht gemacht«, sagte Harry entschieden. Neben Onkel Vernons breitem,puterrotem Gesicht tauchte jetzt Tante Petunias schmales Pferdegesicht auf. Siewar aschgrau.
»Warum hastdu unter unserem Fenster herumgelungert?«
»Ja - ja,gute Frage, Petunia! Was hast du unter unserem Fenster getrieben, Bursche?«
»DieNachrichten gehört«, sagte Harry mit resignierter Stimme. Tante und Onkeltauschten empörte Blicke.
»DieNachrichten gehört! Schon wieder?«
»Na ja, es gibt doch jeden Tag neue, oder?«, sagte Harry.
»Spiel mirhier nicht den Neunmalklugen, Bursche! Ich will wissen, was du wirklich imSchilde führst - und hör mir bloß auf mit diesem Quatsch von wegen dieNachrichten hören! Du weißt genau, dass deine Sippschaft -«
»Vorsicht,Vernon!«, hauchte Tante Petunia, und Onkel Vernon senkte die Stimme, bis Harryihn kaum noch hören konnte - »dass deine Sippschaft nicht in unsere Nachrichtenkommt!«
»Das meinstdu wohl«, sagte Harry.
DieDursleys glotzten ihn ein paar Sekunden an, dann schimpfte Tante Petunia: »Dubist ein gemeiner kleiner Lügner. Was treiben denn all diese -«, auch siesenkte die Stimme, so dass Harry das nächste Wort von ihren Lippen ablesenmusste, »- Eulen hier, wenn sie dir keine Nachrichten bringen?«
»Aha!«,flüsterte Onkel Vernon triumphierend. »Jetzt lass dir dazu mal eine Ausredeeinfallen, Bursche! Als ob wir nicht wüssten, dass du deine ganzen Nachrichtenvon diesen ekelhaften Vögeln bekommst!«
Harryzögerte einen Moment. Es kostete ihn einige Überwindung, diesmal die Wahrheitzu sagen, obwohl Onkel und Tante unmöglich wissen konnten, wie schlimm es fürihn war, sie einzugestehen.
»Die Eulen bringen mir keine Nachrichten«, antwortete er tonlos.
»Das glaubich nicht«, sagte Tante Petunia sofort.
»Und ichauch nicht«, bestätigte Onkel Vernon.
»Wirwissen, dass du irgendein krummes Ding vorhast«, sagte Tante Petunia.
»Wir sindschließlich nicht blöde, verstehst du«, sagte Onkel Vernon.
»Na, dasist ja mal ne Neuigkeit«, erwiderte Harry mit anschwellendem Zorn, undbevor die Dursleys ihn zurückrufen konnten, wirbelte er herum, lief über denRasen, sprang über die niedrige Gartenmauer und ging mit großen Schritten dieStraße entlang davon.
Das gabÄrger, so viel war sicher. Er würde Onkel und Tante später Rede und Antwortstehen und für seine Frechheit bezahlen müssen, doch fürs Erste war ihm dasziemlich schnuppe; er hatte viel dringendere Angelegenheiten im Kopf.
Harry warsich sicher, dass der Knall von jemandem herrührte, der appariert oderdisappariert war. Es war genau das Geräusch, das Dobby der Hauself machte, wenner ins Blaue hinein verschwand. Konnte Dobby denn hier im Ligusterweg sein?Folgte ihm Dobby vielleicht genau in diesem Moment? Bei diesem Gedankenschnellte er herum und spähte zurück, doch der Ligusterweg schien vollkommenausgestorben, und Harry war sicher, dass Dobby nicht wusste, wie man sichunsichtbar machte.
Er gingweiter und achtete dabei kaum auf den Weg, den er einschlug, denn er hattediese Straßen in letzter Zeit so oft durchstreift, dass ihn seine Füße wie vonallein zu seinen Lieblingsplätzen trugen. Alle paar Schritte warf er einenBlick über die Schulter. Ein magisches Wesen hatte sich in seiner Näheaufgehalten, als er zwischen Tante Petunias sterbenden Begonien gelegen hatte,das war sicher. Warum hatte es ihn nicht angesprochen, warum hatte es keineVerbindung aufgenommen, warum versteckte es sich jetzt?
Und dann,als seine Enttäuschung ihren Höhepunkt erreicht hatte, schwand plötzlich dieseGewissheit.
Vielleichtwar es doch kein magisches Geräusch gewesen. Vielleicht wartete er nur soverzweifelt auf das kleinste Zeichen aus einer Welt, in die er gehörte, dass erbei ganz gewöhnlichen Geräuschen einfach überreagierte. Konnte er sicher sein,dass der Lärm nicht daher rührte, dass in einem Nachbarhaus etwas zu Bruchgegangen war?
Harry hatteein dumpfes, flaues Gefühl im Magen, und unversehens überfiel ihn wieder dieHoffnungslosigkeit, die ihn den ganzen Sommer über geplagt hatte.
Morgen frühum fünf würde der Wecker ihn aus dem Schlaf reißen, damit er die Eule bezahlenkonnte, die ihm den Tagespropheten brachte - aber hatte es noch einenZweck, ihn weiter zu beziehen? Harry schaute dieser Tage nur kurz auf dieTitelseite und warf ihn dann beiseite; wenn diese Trottel von der Zeitungendlich erkannt hatten, dass Voldemort zurück war, würde das Schlagzeilenmachen, und nur solche Nachrichten scherten Harry.
Zwar kamen,wenn er Glück hatte, auch Eulen mit Briefen von seinen besten Freunden Ron undHermine, aber all seine Erwartungen, dass ihre Briefe Neuigkeiten für ihnenthalten würden, waren schon lange zunichte.
Wirkönnen nicht viel über Du-weißt-schon-was sagen, verstehst du Man hat unsgesagt, dass wir nichts Wichtiges schreiben dürfen, falls unsere Briefe in diefalschen Hände gelangen Wir sind ziemlich beschäftigt, aber ich kann dir hiernichts Genaues schreiben Es geht einiges ab, wir erzählen dir alles, wenn wirdich treffen
Aber wannwürden sie ihn treffen? Niemand schien sich groß um einen festen Termin zukümmern. Ich denke, wir besuchen dich ziemlich bald, hatte Hermine aufseine Geburtstagskarte geschrieben, aber wie bald war bald? Soviel Harry ausden vagen Hinweisen in ihren Briefen schließen konnte, waren Hermine und Ron amselben Ort, vermutlich im Haus von Rons Eltern. Er konnte es kaum ertragen,daran zu denken, wie die beiden im Fuchsbau ihren Spaß hatten, während er imLigusterweg festsaß. Tatsächlich war er so sauer auf sie, dass er die beidenSchachteln mit Schokolade aus dem Honigtopf, die sie ihm zum Geburtstaggeschickt hatten, ungeöffnet weggeworfen hatte. Später hatte er es bereut, nachdem welken Salat, den Tante Petunia am selben Abend noch zum Essen aufgetischthatte.
Womit warenRon und Hermine eigentlich so beschäftigt? Und warum war er, Harry, nichtbeschäftigt? Hatte er nicht bewiesen, dass er mit viel mehr fertig werdenkonnte als sie? Hatten sie alle vergessen, was er getan hatte? War es nicht ergewesen, der diesen Friedhof betreten und gesehen hatte, wie Cedricermordet wurde, und der an diesen Grabstein gefesselt wurde und fast umgebrachtworden wäre?
Denk nichtdrüber nach, ermahnte sich Harry streng und zum hundertsten Mal in diesemSommer. Schlimm genug, dass er den Friedhof in seinen Alpträumen immer wiederbesuchte, da brauchte er in seinen wachen Momenten nicht auch noch darübernachzubrüten.
Er bog umeine Ecke und war nun auf dem Magnolienring; auf halbem Weg die Straße entlangkam er an der schmalen Gasse vorbei, die an einer Garage entlangführte und inder er zum ersten Mal seinen Paten gesehen hatte. Sirius zumindest schien zuverstehen, wie Harry sich fühlte. Zugegeben, seine Briefe enthielten ebensowenig handfeste Neuigkeiten wie die von Ron und Hermine, aber wenigstensschrieb er ihm zur Vorsicht mahnende und tröstende Worte statt quälenderAndeutungen: Ich weiß, das muss frustrierend für dich sein Halt die Ohrensteif, dann wird schon alles gut gehen Sei vorsichtig und tu nichtsUnbesonnenes
Immerhin,dachte Harry, während er den Magnolienring überquerte, in die Magnolienstraßeeinbog und auf den nun schon im Dunkeln liegenden Park mit dem Spielplatzzuging, immerhin hatte er (im Wesentlichen) befolgt, was Sirius ihm geratenhatte. Zumindest hatte er der Versuchung widerstanden, den Koffer an seinenBesen zu binden und sich auf eigene Faust auf die Reise zum Fuchsbau zu machen.Im Grunde hatte er sich sehr gut verhalten, wenn er überlegte, wie enttäuschtund zornig er darüber war, so lange im Ligusterweg festzusitzen, wo er nichtsweiter unternehmen konnte, als sich in Blumenbeeten zu verstecken, in derHoffnung, einen Hinweis darauf zu erlauschen, was Lord Voldemort gerade machte.Dennoch wurmte es ihn, dass ihn ausgerechnet ein Mann vor Unbesonnenheitenwarnte, der zwölf Jahre im Zauberergefängnis von Askaban gesessen hatte, derentkommen war, daraufhin den Mord begehen wollte, für den man ihn ursprünglichverurteilt hatte, und schließlich mit einem gestohlenen Hippogreif geflohenwar.
Harryschwang sich über das geschlossene Parktor und überquerte den verdorrten Rasen.Der Park war so menschenleer wie die Straßen in der Nachbarschaft. Er erreichtedie Schaukeln und ließ sich auf einer davon nieder, der letzten, die Dudley undseine Freunde noch nicht demoliert hatten, schlang einen Arm um die Kette undstarrte trübsinnig auf die Erde. Im Blumenbeet der Dursleys würde er sich nichtmehr verstecken können. Morgen musste er sich etwas Neues einfallen lassen, wieer die Nachrichten hören konnte. Bis dahin hatte er nichts, auf das er sichfreuen konnte, nur eine weitere unruhige, sorgenvoll durchwälzte Nacht, dennselbst wenn er von Alpträumen um Cedric verschont blieb, plagten ihnschreckliche Träume von langen schwarzen Korridoren, die alle an Mauern undverschlossenen Türen endeten, was, wie er vermutete, etwas zu tun hatte mit demGefühl, in der Falle zu sitzen, das ihn am Tage quälte. Seine alte Stirnnarbeziepte oft unangenehm, aber Ron oder Hermine oder Sirius, da machte er sichnichts vor, würden dies nicht mehr sonderlich spannend finden. Früher hattenihn die Narbenschmerzen gewarnt, wenn Voldemort wieder stärker wurde, doch nun,da Voldemort zurückgekehrt war, würden seine Freunde ihm wohl nur zu verstehengeben, dass es sie nicht überraschte, wenn die Narbe ständig gereizt war keinGrund zur Sorge Schnee von gestern
Das Gefühl,wie ungerecht das alles war, staute sich in ihm auf, und er hätte am liebstenvor Wut geschrien. Wenn er nicht gewesen wäre, hätte überhaupt niemanderfahren, dass Voldemort zurück war! Und zur Belohnung saß er vier geschlageneWochen lang in Little Whinging, völlig abgeschnitten von der magischen Welt,dazu verurteilt, zwischen welken Begonien zu kauern, nur um Neuigkeiten überWasserski fahrende Wellensittiche zu hören. Wie konnte Dumbledore ihn nureinfach so vergessen? Wieso hatten Ron und Hermine sich getroffen, ohne ihneinzuladen? Wie lange noch musste er sich von Sirius sagen lassen, er solle dieOhren steif halten und ein braver Junge sein; oder der Versuchung widerstehen,an den blöden Tagespropheten zu schreiben und denen klar zu machen, dassVoldemort zurückgekehrt war? Solch wilde Gedanken wirbelten durch Harrys Kopf,und seine Eingeweide verknoteten sich vor Zorn, während eine schwüle, samteneNacht sich über ihn senkte, in der die Luft schwer war vom Geruch warmen,trockenen Grases und einzig das leise Rauschen des Verkehrs auf der Straßehinter den Parkgittern zu hören war.
Er wusstenicht, wie lange er auf der Schaukel gesessen hatte, als das Geräusch vonStimmen seine Grübeleien unterbrach und er aufblickte. Die Laternen der angrenzendenStraßen spendeten dunstiges Licht, stark genug, um die Umrisse einer Gruppe vonLeuten hervortreten zu lassen, die auf dem Weg durch den Park waren. Einer vonihnen sang ein lautes und wüstes Lied. Die anderen lachten. Ein leises Tickenkam von mehreren teuren Rennrädern, die sie mit sich schoben.
Harrywusste, wer diese Leute waren. Die Gestalt vorne war unverkennbar sein CousinDudley Dursley auf dem Weg nach Hause, begleitet von seiner treuen Gang.
Dudleyhatte so gewaltige Maße wie eh und je, doch ein Jahr strenger Diät und dieEntdeckung eines neuen Talents hatten seine Statur deutlich verändert. WieOnkel Vernon allen, die es hören wollten, entzückt erzählte, war Dudley vorkurzem bei den Schulmeisterschaften im Südwesten der Boxchampion imJuniorenschwergewicht geworden. »Der edle Sport«, wie Onkel Vernon ihn nannte,hatte aus Dudley eine noch furchterregendere Gestalt gemacht, als er es zuHarrys Grundschulzeit gewesen war, wo er als Dudleys erster Punchingball hatteherhalten müssen. Harry hatte nicht die geringste Angst mehr vor seinem Cousin,doch wollte er trotzdem nicht glauben, dass ein Dudley, der lernte, noch härterund gezielter zuzuschlagen, ein Grund zum Feiern sein sollte. In der ganzenNachbarschaft hatten die Kinder fürchterliche Angst vor ihm - sogar mehr nochals vor »diesem Potter-Jungen«, der, wie man sie gewarnt hatte, ein abgebrühterHooligan war und ins St.-Brutus-Sicherheitszentrum für unheilbar kriminelleJungen ging.
Harrybeobachtete, wie die dunklen Gestalten den Rasen überquerten, und fragte sich,wen sie heute Abend verprügelt hatten. Schaut euch um, fuhr es Harryunwillkürlich durch den Kopf, während er ihnen mit den Augen folgte. Kommtschon schaut euch um ich sitze hier ganz allein kommt und zeigts mir
WennDudleys Freunde ihn hier sitzen sähen, würden sie sicher geradewegs auf ihnlosgehen, und was würde Dudley dann tun? Vor seiner Gang wollte er gewiss nichtdas Gesicht verlieren, aber er würde schreckliche Angst haben, Harry zuprovozieren wie herrlich es wäre, Dudley so hin- und hergerissen zu sehen,ihn zu reizen, zu beobachten, wie er die Kraft nicht aufbrachte, ihm etwasentgegenzusetzen und falls einer der anderen versuchte, Harry zu schlagen,war er vorbereitet - er hatte seinen Zauberstab. Sollten sie doch kommen liebend gern würde er ein wenig von seinem Frust an den Jungen auslassen, diesein Leben einst zur Hölle gemacht hatten.
Aber siedrehten sich nicht um, sie sahen ihn nicht, hatten fast schon das Gittererreicht. Harry bezwang den Impuls, ihnen nachzurufen eine Schlägereianzuzetteln, war nicht klug er durfte seine magischen Kräfte nicht einsetzen er würde wieder einmal den Rauswurf riskieren.
Die Stimmenvon Dudleys Gang erstarben; die Jungen waren außer Sicht, auf dem Weg dieMagnolienstraße entlang.
Da siehstdus mal, Sirius, dachte Harry dumpf. Nichts Unbesonnenes. Hab die Ohren steifgehalten. Genau das Gegenteil von dem, was du getan hättest.
Er hüpftevon der Schaukel und streckte sich. Tante Petunia und Onkel Vernon schienen derMeinung, wann auch immer Dudley auftauchte, sei die richtige Zeit, um nachHause zu kommen, und alles danach sei viel zu spät. Onkel Vernon hatte gedroht,Harry im Schuppen einzusperren, wenn er je wieder nach Dudley heimkam, und sounterdrückte Harry ein Gähnen und machte sich mit immer noch finsterer Mieneauf den Weg zum Parktor.
DieMagnolienstraße war wie der Ligusterweg gesäumt von großen, wuchtigen Häusernmit tadellos manikürten Rasenstücken, alle von dicken, vierschrötigenEigenheimbesitzern gemäht, die sehr saubere Autos ähnlich dem von Onkel Vernonfuhren. Harry war Little Whinging am Abend lieber, wenn die gardinenbewehrtenFenster juwelenhelle Farbflecke in die Dunkelheit tupften und er nicht Gefahrlief, missbilligendes Murmeln über seine »Sträflingserscheinung« zu hören, wenner an den Hausbesitzern vorbeikam. Er ging rasch, so dass auf halber Streckedurch die Magnolienstraße Dudleys Gang wieder in Sicht kam; sie verabschiedetensich an der Einmündung zum Magnolienring. Harry trat in den Schatten einesgroßen Fliederbusches und wartete.
» hatgequiekt wie ne Sau, was?«, sagte Malcolm unter dem schallenden Gelächter deranderen.
»Hübscherrechter Haken, Big D«, sagte Piers.
»Morgenselbe Zeit?«, sagte Dudley. »Dann bei mir, meine Eltern gehen aus«, sagteGordon.
»Also bisdann«, sagte Dudley.
»Tschüss,Dud!« »Wir sehn uns, Big D!« Harry blieb noch stehen, bis der Rest der Gangweitergelaufen war. Als ihre Stimmen wieder leiser geworden waren, bog er umdie Ecke in den Magnolienring, und da er sehr rasch ging, kam er bald inRufweite zu Dudley, der selbstzufrieden einherschlenderte und melodielos vorsich hin summte.
»Hey, Big D!« Dudley drehte sich um.
»Oh«,grunzte er. »Du bists.«
»Seit wannbist du eigentlich Big D?«, sagte Harry.
»Klappe«,raunzte Dudley und wandte sich ab.
»CoolerName«, sagte Harry grinsend und holte seinen Cousin ein. »Aber für mich wirstdu immer der putzige Duddywutz sein.«
»KLAPPE,hab ich gesagt!«, blaffte Dudley, die schinkengleichen Hände zu Fäusten geballt.
»Wissen dieJungs nicht, dass deine Mami dich so nennt?«
»Halt dieFresse.«
»Du sagst ihrdoch auch nicht, dass sie die Fresse halten soll. Was ist mit Mausebärund süßer Duddymatz, darf ich dich auch so nennen?«
Dudleysagte nichts. Die Anstrengung, sich zu zwingen, Harry nicht zu schlagen, schienall seine Selbstbeherrschung zu erfordern.
»Und wenhast du heute Abend verprügelt?«, fragte Harry und sein Grinsen schwand.»Wieder einen Zehnjährigen? Vorgestern hast dus Mark Evans besorgt, das weißich -«
»Er hatsnicht anders gewollt«, schnarrte Dudley.
»Ach ja?«»Ist frech geworden.«
»Jaah? Hater gesagt, du siehst aus wie ein Schwein, dem man beigebracht hat, auf denHinterbeinen zu laufen? Das ist aber nicht frech, das ist die Wahrheit.«
An DudleysKinnlade zuckte ein Muskel. Er war wütend und Harry sah es mit enormerGenugtuung; ihm war, als würde er allen Ärger an seinem Cousin auslassen, demEinzigen, der dafür herhalten konnte.
Sie bogennach rechts in die Abkürzung zwischen Magnolienring und Glyzinenweg ein, in dieschmale Gasse, wo Harry Sirius zum ersten Mal gesehen hatte. Sie warmenschenleer und dunkler als die Straßen, die sie verband, denn es gab keineLaternen. Garagenwände auf der einen, ein hoher Zaun auf der anderen Seitedämpften das Geräusch ihrer Schritte.
»Kommst dirwohl mächtig stark vor mit dem Ding, das du rumträgst, stimmts?«, sagte Dudleynach einigen Sekunden.
»WelchemDing?«
»Diesem -diesem Ding, das du versteckt hältst.«
Harrygrinste erneut. »Nicht so doof, wie du aussiehst, was, Dud? Aber wenn duswärst, glaub ich, könntest du nicht gleichzeitig gehen und reden.«
Harry zogseinen Zauberstab. Er sah, wie Dudley ihn scheel beäugte.
»Das darfstdu nicht«, sagte Dudley prompt. »Ich weiß es. Die werfen dich aus dieser Beklopptenschule,auf die du gehst.«
»Woherwillst du wissen, dass sie die Vorschriften nicht geändert haben, Big D?«
»Haben sienicht«, sagte Dudley, obwohl er dabei nicht vollkommen überzeugt klang.
Harrylachte leise.
»Du hastdoch Schiss, es ohne dieses Ding mit mir aufzunehmen, oder?«, fauchte Dudley.
»Und dubrauchst vier Kumpel hinter dir, bevor du einen Zehnjährigen verprügeln kannst.Dieser Boxtitel übrigens, mit dem du dauernd angibst - wie alt war dein Gegner?Sieben? Acht?«
»Er warsechzehn, wenn dus genau wissen willst«, fauchte Dudley, »und als ich mit demfertig war, lag er noch zwanzig Minuten halb tot rum, und der war doppelt soschwer wie du. Wart nur, bis ich Dad erzähle, dass du dieses Ding rausgezogenhast -«
»Jetztrennst du zu Daddy, was? Hat sein Putzi-Putzi-Boxchampion Angst vor Harrysbösem Zauberstab?«
»Nachtsbist du nicht so mutig, stimmts?«, höhnte Dudley.
»Es ist Nacht,Duddymatz. So nennt man es nämlich, wenn es überall dunkel wird wie jetzt.«
»Ich mein,wenn du im Bett bist!«, fauchte Dudley.
Er warstehen geblieben. Auch Harry blieb stehen und starrte seinen Cousin an. Soweiter Dudleys breites Gesicht erkennen konnte, hatte er eine merkwürdigtriumphierende Miene aufgesetzt.
»Was solldas heißen, ich bin nicht mutig, wenn ich im Bett bin?«, sagte Harry völligverdutzt. »Wovor soll ich Angst haben, vor Kissen vielleicht?«
»Ich habdich gestern Nacht gehört«, sagte Dudley atemlos. »Hast im Schlaf geredet.Gejammert.«
»Was solldas heißen?«, sagte Harry erneut, doch mit einem kalten, flauen Gefühl imMagen.
GesternNacht hatte er in seinen Träumen wieder den Friedhof besucht. Dudley lachteharsch und bellend auf und nahm eine spitze, wimmernde Stimme an.
»Lass Cedric leben! Lass Cedric leben! Wer ist Cedric - dein Freund?«
»Ich - dulügst«, sagte Harry unwillkürlich. Doch sein Mund war trocken geworden. Dudleylog nicht, das wusste er - wie sonst konnte er von Cedric erfahren haben?
»Dad! Hilfmir, Dad! Er wird mich umbringen, Dad! Uuh huu!«
»Hör auf«,sagte Harry leise. »Hör auf, Dudley, ich warne dich!«
»Komm undhilf mir, Dad! Mum, komm und hilf mir! Er hat Cedric getötet! Dad, hilf mir! Erwird mich - Nimm das Ding runter!«
Dudley wichan die Mauer der Gasse zurück. Harry richtete den Zauberstab direkt auf DudleysHerz. Er konnte vierzehn Jahre Hass auf Dudley in seinen Adern hämmern spüren -was würde er nicht dafür geben, jetzt zuzuschlagen, Dudley so gründlichdurchzuhexen, dass er wie ein Insekt nach Hause krabbeln musste, stumm undblind geschlagen, mit ausgestreckten Fühlerchen
»Fang niewieder davon an«, fauchte Harry. »Hast du mich verstanden?«
»Halt dasDing woandershin!«
»Ich habgesagt, hast du mich verstanden?«
»Halt eswoandershin!«
»HAST DUMICH VERSTANDEN?«
»TU DASDING WEG -«
Dudleykeuchte, eigenartig schaudernd, als wäre er in Eiswasser getaucht worden. Etwaswar mit der Nacht geschehen. Der sternübersäte indigoblaue Nachthimmel warplötzlich pechschwarz und lichtlos - die Sterne, der Mond, die dunstigenStraßenlichter zu beiden Enden der Gasse waren verschwunden. Das ferne Rauschender Autos und das Flüstern der Bäume waren verstummt. Der milde Abend warplötzlich stechend und beißend kalt. Sie waren von völliger,undurchdringlicher, stiller Dunkelheit umgeben, als hätte ein Riese einendicken, eiskalten Mantel über die ganze Gasse geworfen, der ihnen jeglicheSicht nahm.
Für denBruchteil einer Sekunde dachte Harry, er hätte versehentlich gezaubert, obwohler das Verlangen mit aller Kraft unterdrückt hatte - dann zog sein Verstand mitseinen Sinnen gleich - er hatte nicht die Macht, die Sterne zum Erlöschen zubringen. Er drehte den Kopf hin und her und versuchte, etwas zu erkennen, dochdie Dunkelheit drückte auf seine Augen wie ein schwereloser Schleier.
Dudleysangsterfüllte Stimme drang in Harrys Ohr.
»W-wasmachst du d-da? Hö-hör auf d-damit!«
»Ich machgar nichts! Sei still und beweg dich nicht!«
»Ich k-kannnichts sehen! Ich b-bin blind! Ich -«
»Still, habich gesagt!« Harry stand stocksteif da und wandte seine blinden Augen nachlinks und nach rechts. Die Kälte war so heftig, dass er am ganzen Leibzitterte; eine Gänsehaut kroch ihm über die Arme, und seine Nackenhaaresträubten sich - er riss die Augen auf, so weit er konnte, und starrte leer undblind umher.
Es warunmöglich sie konnten nicht hier sein nicht in Little Whinging erlauschte angestrengt er würde sie hören, bevor er sie sah
»Ichs-sags Dad!«, wimmerte Dudley. »W-wo bist du? Was machst d-du da -?«
»Hältst duendlich die Klappe?«, zischte Harry. »Ich versuch was zu hö-«
Doch erverstummte. Er hatte genau das gehört, wovor es ihn gegraust hatte. Außer ihnenwar da noch etwas in dieser Gasse, etwas, das lange, heisere, rasselndeAtemzüge tat. Harry, der zitternd in der eisigen Luft stand, spürte, wie ihneine grauenhafte Angst durchfuhr.
»L-lass dassein! H-hör auf damit! Ich h-hau dich, ich schwörs!«
»Dudley,halt die -«
WUMM.
Eine Fausttraf Harry seitlich am Kopf und riss ihn von den Füßen. Kleine weiße Lichtertauchten vor seinen Augen auf. Zum zweiten Mal in einer Stunde hatte Harry dasGefühl, sein Kopf wäre mittendurch gespalten; im nächsten Moment schlug er hartauf dem Boden auf und der Zauberstab flog ihm aus der Hand.
»DuSchwachkopf, Dudley!«, schrie Harry. Tränen schossen ihm in die Augen vorSchmerz, während er sich auf Hände und Knie hochrappelte und hektisch in derschwarzen Dunkelheit umhertastete. Er hörte Dudley davonstolpern, gegen denZaun stoßen, taumeln.
»DUDLEY,KOMM ZURÜCK! DU LÄUFST GENAU DRAUF ZU!« Ein fürchterlicher, quietschenderSchrei war zu hören und Dudleys Schritte hielten inne. Im selben Moment spürteHarry eine kriechende Kälte hinter sich, die nur eines bedeuten konnte. Da warmehr als einer.
»DUDLEY,MACH NICHT DEN MUND AUF! WAS IMMER DU TUST, MACH NICHT DEN MUND AUF!Zauberstab!«, murmelte Harry hektisch, seine Hände huschten über den Boden wieSpinnen. »Wo ist - Zauberstab - komm schon - lumos!«
Er sprachdas Zauberwort unwillkürlich aus, so verzweifelt brauchte er Licht, das ihm beider Suche half - und zu seiner ungläubigen Erleichterung flammte nicht weit vonseiner rechten Hand entfernt Licht auf - die Spitze des Zauberstabs leuchtete.Harry klaubte ihn auf, rappelte sich hoch und blickte hinter sich.
Ihm drehtesich der Magen um.
Einemächtige Gestalt, in einen Kapuzenumhang gehüllt, unter dem weder Füße nochGesicht zu erkennen waren, glitt sanft über den Boden schwebend auf ihn zu undsog die Nacht in sich ein.
Harrystolperte zurück und hob den Zauberstab.
»Expectopatronum!«
Einsilbriger Dunstfaden schoss aus der Spitze des Zauberstabs und der Dementorwurde langsamer, doch der Zauber hatte nicht richtig gewirkt. Der Dementorneigte sich zu Harry hinunter, und Harry wich, über seine eigenen Füßestrauchelnd, weiter zurück, während Panik ihm das Gehirn vernebelte - konzentrierdich -
Ein graues,schleimiges, schorfiges Paar Hände glitt aus dem Umhang des Dementors hervorund langte nach ihm. Ein Rauschen erfüllte Harrys Ohren.
»Expectopatronum!«
SeineStimme klang matt und fern. Wieder schwebte ein Faden silbrigen Rauchs,schwächer als der letzte, aus dem Zauberstab - er konnte es nicht mehr, derZauber gelang ihm nicht.
In seinemKopf erklang ein Lachen, ein schrilles, überdrehtes Lachen er konnte denwiderlichen, todeskalten Atem des Dementors riechen, der seine Lungen füllte,ihn ertränkte - denken an etwas Glückliches Doch es war kein Glückin ihm die eisigen Finger des Dementors schlossen sich um seine Kehle - dasschrille Lachen wurde immer lauter, eine Stimme sprach in seinem Kopf: »Verneigedich vor dem Tod, Harry er mag sogar schmerzlos sein ich kann es nichtwissen ich bin nie gestorben «
Er würdeRon und Hermine nie mehr sehen - Und während er nach Atem rang, traten ihreGesichter jäh und klar in sein Bewusstsein.
»EXPECTOPATRONUM!«
Eingewaltiger silberner Hirsch brach aus der Spitze von Harrys Zauberstab hervor;seine Geweihenden trafen den Dementor dort, wo das Herz hätte sein sollen; erwurde zurückgestoßen, schwerelos wie die Dunkelheit, und als der Hirsch zumAngriff ansetzte, huschte der Dementor, fledermausgleich, geschlagen davon.»DORTHIN!«, rief Harry dem Hirsch zu. Er wirbelte herum und rannte, denleuchtenden Stab erhoben, die Gasse entlang.
»DUDLEY?DUDLEY!«
Er hattekaum ein Dutzend Schritte getan, da war er schon bei ihm: Dudley lagzusammengerollt auf dem Boden, die Arme aufs Gesicht gedrückt. Ein zweiterDementor kauerte dicht über ihm, umklammerte mit schleimigen Händen DudleysHandgelenke, zog sie langsam, fast liebevoll auseinander und senkte seineKapuze auf Dudleys Gesicht, als wollte er ihn küssen.
»PACKIHN!«, brüllte Harry, und mit rauschendem, donnerndem Lärm kam der silberneHirsch, den er heraufbeschworen hatte, an ihm vorbeigaloppiert. Das augenloseGesicht des Dementors war nur noch Zentimeter von Dudleys Gesicht entfernt, alsdas silberne Geweih ihn erfasste; das Wesen wurde in die Luft geschleudert, undwie sein Gefährte huschte es davon und verschmolz mit der Dunkelheit; derHirsch lief in kurzem Galopp zum Ende der Gasse und löste sich in silbrigenDunst auf.
Mond,Sterne und Straßenlaternen erwachten wieder zum Leben. Eine warme Brise strichdurch die Gasse. Bäume raschelten in den benachbarten Gärten und dasalltägliche Geräusch von Autos auf dem Magnolienring erfüllte wieder die Luft.
Harry standvollkommen reglos da, mit vibrierenden Sinnen, und gewöhnte sich an die jähzurückgekehrte Normalität. Nicht lange, dann wurde ihm bewusst, dass seinT-Shirt an ihm klebte; er war schweißnass.
Er konntenicht glauben, was eben geschehen war. Dementoren hier, in Little Whinging.Dudley lag eingerollt auf dem Boden, wimmernd und zitternd. Harry beugte sichzu ihm hinunter, um zu sehen, ob er die Kraft hatte aufzustehen, doch dannhörte er laute, rennende Schritte hinter sich. Instinktiv hob er erneut denZauberstab und wirbelte auf den Fersen herum, bereit, wem auch immerentgegenzutreten.
Mrs Figg,ihre schrullige alte Nachbarin, kam, schwer atmend, in Sicht. Ihr graumeliertes Haar löste sich aus dem Haarnetz, ein klackerndes Einkaufsnetzschwang an ihrem Handgelenk und ihre Füße steckten mehr schlecht als recht inihren schottengemusterten Puschen. Harry wollte seinen Zauberstab raschverschwinden lassen, aber -
»Nichtwegstecken, du dummer Junge!«, kreischte sie. »Was, wenn noch mehr von denen inder Gegend sind? Oh, dieser Mundungus Fletcher, den bring ich um!«
© CarlsenVerlag
Übersetzung:Klaus Fritz
Joanne K. Rowling begann bereits mit sechs Jahren, ihreersten kleinen Geschichten zu schreiben. Sie las mit neun Jahren alle Storysvon Ian Fleming - dem Erfinder von James Bond. Zu ihren Lieblingsautoren gehörtnoch immer Jane Austen. Rowling kam 1990 während einer Zugfahrt auf die Idee zuden Geschichten von Harry Potter. Fünf Jahre verbrachte sie allein damit, sichdie Zaubererwelt und die sieben Teile der Geschichte auszudenken. "Ichweiß noch unglaublich viele, teils lächerliche Details über Harrys Welt, dieder Leser gar nicht wissen muss", sagt sie. Eigentlich hatte die Schottingar nicht vorgehabt, Bücher für Kinder zu schreiben, aber dann bemerkte sie,wie gut sie sich in ihre eigene Kindheit zurück versetzen konnte. "Ichkann mich ohne Schwierigkeiten an alles ab meinem 11. Lebensjahr erinnern"erzählt sie. "Als Kind ist man sehr machtlos und deshalb hat man dieseeigene Welt, zu der Erwachsene keinen Zugang haben." Auch wenn in HarrysInternat durchaus Erwachsene vorkommen, so können Harry und seine Freunde immerwieder ganz alleine ihre Erfahrungen machen - und genau dieses Gefühl, etwasalleine entscheiden zu können, lieben die jungen Leser und finden es in HarryPotters Geschichten wieder.
Joanne K. Rowling, eine Edinburgher Lehrerin, schrieb den ersten Band derHarry-Potter-Geschichten als 31-jährige, arbeitslose, allein erziehende Mutter- und landete über Nacht einen Bestseller. 27 Millionen Leser in 28 Ländernfiebern mit Harry und warten sehnsüchtig auf die nächsten Bände. In Deutschlandund England wurde sie zur Autorin des Jahres gewählt, bekam den Nestlé SmartiesBook Prize, den Kinderbuchpreis der Jury der Jungen Leser, gehörte zu den 10Bremer Besten und bekam zweimal hintereinander den British Book Award forChildrens Books.
- Autor: J.K. Rowling
- Altersempfehlung: 10 - 99 Jahre
- 2011, Nachdr., 1024 Seiten, Maße: 14,5 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzung: Fritz, Klaus
- Übersetzer: Klaus Fritz
- Verlag: Carlsen
- ISBN-10: 3551555559
- ISBN-13: 9783551555557
- Erscheinungsdatum: 15.11.2003
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